Chinas Verwandlung Von der Revolution zur Grossmacht: Die Volksrepublik ist 70 Mit Geng Wenbing, Nick Hayek, Guy Parmelin, Harro von Senger ...
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Sonderheft 26. September 2019 – 87. Jahrgang Chinas Verwandlung Von der Revolution zur G rossmacht: Die Volksrepublik ist 70 Mit Geng Wenbing, Nick Hayek, Guy Parmelin, Harro von Senger, Christoph Blocher, David Syz, Sebastian Heilmann u. a.
Intern Inhalt China tritt als zweitgrösste Volkswirtschaft 6 Wie sich die Retter von China der Welt gegenüber dem Spitzenreiter USA selber retteten Christoph Blochers zunehmend selbstbewusster auf. Zum 70. Ge- Familien-Abenteuer in Asien burtstag der Volksrepublik kommt unwillkür- 10 Botschafter Geng Wenbing lich die Frage auf, ob die Weltwirtschaft nun «Weg der friedlichen Entwicklung» endgültig zweipolig geworden sei. Sebastian 14 Und täglich grüsst Karl Marx Heilmann, einer der bekanntesten China-Ex- Harro von Senger über China perten in Europa, führt im Interview mit der 16 «Auf einem eigenen Pfad» Weltwoche aus, wie China und die USA tatsäch- Gespräch mit Sebastian Heilmann lich zu den zwei massgeblichen Polen gewor- 18 Xi Jinping Vom Parteiprinzen den sind. Die Rivalität zwischen den Präsiden- zum starken Mann ten Donald Trump und Xi Jinping dominiere 20 Doppelte Kulturbrücke das Geschehen, und besonders seit der Finanz- Schweizer Produkte in China krise bewege sich China selbstbewusst auf ei- nem eigenständigen Weg. Seite 16 21 Stürmisch zu bescheidenem Wohlstand Chinas Wirtschaft Ganz Ähnliches spielt sich zurzeit in der Unter- Mehr Verständnis: Botschafter Geng. 22 Wer hat’s erfunden? nehmenswelt ab. Soeben hat der chinesische Kampf ums geistige Eigentum Technologiekonzern Huawei ein neues Mobil- über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede 24 China gestern und heute telefon vorgestellt, das, wie jeweils üblich, tech- zwischen den beiden Ländern und über die Eindrückliche Veränderung nische Verbesserungen bietet; aber diesmal ist wichtigsten Abschnitte der Entwicklung Chin- 27 Huaweis 5G-Powerplay es anders. Es geht nicht nur um schönere Bild- as. Geng ist der Ansicht, dass das Verständnis Der Handy-Champion in der Schweiz schirme oder bessere Kameras, sondern auch für sein Land im Westen zugenommen hat, er 28 Beharrliche Aufholjagd darum, dass sich eine chinesische Spitzenfirma sagt im Interview aber auch klar, wo er in Medi- Manager David Syz von der Welt des international tonangebenden enberichten Verzerrungen sieht. Seite 10 amerikanischen Riesen Google löst und eigen- 29 Wie stabil ist der erwachte Riese? ständigere Wege geht. Bisher wurde Huawei, Zum Jubiläum der Volksrepublik liegt auch Nach der Wachstumsparty wie alle Marken, die das Android-Betriebssys- die Frage auf der Hand, wie sich das Leben für 30 Beginn eines besseren Lebens tem einsetzen, von Google mit Zusatzdiensten einen «normalen» Chinesen in den letzten Shi Minghuas Karriere und Anwendungen versorgt. Im Mai verhängte siebzig Jahren verändert hat. Der 67-jährige 32 Der Wille, es zu schaffen die US-Regierung aber einen Boykott gegen Shi Minghua aus Schanghai war für ein Ge- Der Bühler-Konzern in China Huawei: US-amerikanische Firmen wurden als spräch mit Elisabeth Tester bereit und hat sie 34 Bundesrat Guy Parmelin Zulieferer von Chips oder Software (zum Bei- in seiner gemütlichen Wohnung äusserst zu- Zuerst kamen die Uhren spiel Google) blockiert. Nun tritt Huawei eben vorkommend empfangen und bewirtet. Das mit eigener Handy-Ausstattung in den Markt. Gespräch zeigt die vielen interessanten Paral- Im Grunde zielt der Boykott der USA auf die lelen zwischen seinem Leben und der Ent- Impressum neue schnelle Netzwerktechnologie 5G, bei der wicklung des Landes auf Seite 30. Herausgeberin: Weltwoche Verlags AG, Huawei einen Vorsprung hat. Das Powerplay Ihre Weltwoche Förrlibuckstrasse 70, Postfach, 8021 Zürich des Konzerns ist Thema auf Seite 27. Die Weltwoche erscheint donnerstags. Redaktion: Telefon 043 444 57 00, Fax 043 444 56 69, E-Mail-Adressen: vorname.name@weltwoche.ch, In der Schweiz ist das Chemie-Unternehmen leserbriefe@weltwoche.ch Ems bekannt als eine der ertragsstärksten In- Verlag: Tel. 043 444 57 00, Fax 043 444 56 07, E-Mail: verlag@weltwoche.ch dustriegruppen. Weniger bekannt ist, dass der Internet: www.weltwoche.ch Umbau dieses Konzerns vom Textilfaserge- Abo-Service: Tel. 043 444 57 01, Fax 043 444 50 91 schäft zum Hersteller von modernen Kunst- E-Mail: kundenservice@weltwoche.ch Jahresabonnement Inland Fr. 346.– (inkl. MwSt.) stoffen eng mit China zusammenhing. Kon- Schnupperabonnement Inland Fr. 38.— (inkl. MwSt.) zernchef und Eigentümer Christoph Blocher Weitere Angebote für In- und Ausland unter www.weltwoche.ch/abo unternahm 1985 mit der ganzen Familie eine Reise nach China, um da die Nachfrage nach Gründer: Karl von Schumacher (1894–1957) Kunststofffaser-Fabriken zu sondieren. Die Verleger und Chefredaktor: Roger Köppel Chefredaktion: Philipp Gut (Stv.), Reise wird hier anschaulich beschrieben. Und Beat Gygi (Wirtschaft) das Ergebnis war, dass Ems in China schliess- Produktionschef: Lukas Egli lich über hundert Textilfabriken baute und ab- Verlagsleiter: Sandro Gianini lieferte. Seite 6 Die Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise Wie vermittelt ein chinesischer Botschafter der oder in Ausschnitten, ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion gestattet. Bevölkerung in seinem Gastland, welche Be- Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine deutung dem Siebzig-Jahr-Jubiläum der Haftung übernommen. Volksrepublik zukommt? Wir sprachen mit Der Weltwoche-Inhalt ist gedruckt auf Recyclingpapier, Geng Wenbing, der China in Bern vertritt, über das aus 100 % Altpapier hergestellt wird. die Nationalfeiertage der Schweiz und Chinas, Es schont Ressourcen, Energie und somit die Umwelt. China Spezial Nr. 39.19 3 Cover: Jon Berkeley für die Weltwoche; Bild Intern: Caspar Martig
Editorial Wie weiter mit China? Ein Besuch bei Nick Hayek und ein Gespräch über dieses faszinierende Land. Von Roger Köppel K ürzlich war ich im wunderschönen neuen Sitz der Swatch Group in Biel, gleich neben dem altehrwürdig-industrieklassizisti schen Hauptquartier der Uhrenmarke Omega, die mich seit der Konfirmation am Handge lenk begleitet. Von einer Empore herab grüsst Nick Hayek, der Chef, der 150 Millionen Franken in diese drachenartige Zauber-Holzkonstruktion in vestierte. Der Bau erinnert auch etwas an ein Raumschiff, allerdings an ein biologisch abbau bares. Nach einer kurzen Führung setzen wir «Heuchlerische Kritik»: Unternehmer Hayek in einem Swatch-Geschäft in Schanghai. uns in einem Sitzungszimmer an einen Tisch und kommen auf das zentrale Thema: China. klären Sie einem Afrikaner, der kein Wasser, sich aus seiner Sicht gegen die Verletzung Hayeks Milliarden-Unternehmen ist seit keinen Strom und keine Medikamente hat, internationaler Handelsregeln wehrt. Aller den achtziger Jahren in China unterwegs. Da warum er die chinesischen Investitionen ab dings scheint die China-Politik der USA zur mals baute Vater Nicolas mit Hayek Enginee lehnen sollte, weil sie von einem bösen, zeit eher ein etwas kurzsichtiges Manöver, das ring ein Stahlwerk. Heute ist das Land ein autoritären Land kommen – und stattdessen von den nicht so leicht zu beseitigenden Struk wichtiger Abnehmer von Uhren und anderen doch, bitte schön, auf Almosen aus dem demo turschwächen der eigenen Wirtschaft auf den Produkten des Hauses. Hayek ist ein unkon kratischen Europa warten solle. Heuchleri äusseren Gegner ablenken soll. ventioneller Denker, weltweit tätig. Kopf scher geht’s nicht.» In einem solchen Weltklima wirtschafts schüttelnd erzählt er von der «heuchlerischen Hayek hat recht. Der westliche Blick auf kriegerischer Zuspitzung kommt auch die Kritik» an China. China scheint derzeit verzerrt, eingetrübt von neutrale Schweiz unter Druck – von aussen Vieles, was er sagt und später in Interviews einem angekränkelten Selbstvertrauen. Dazu und innen. Es gibt viele laute, wenn auch unbe auch wiederholen wird, steht quer zum china rufene Stimmen, die einen härteren Ton ge skeptischen Mainstream in der Schweiz. Unse Hayek hat recht. Der westliche genüber China fordern. Es wäre für die Schweiz re Zeitungen sind seit Monaten voll mit ver ein Kapitalfehler, sich in den Chor dieser schwörungstheorieartigen Berichten über Blick auf C hina scheint Konfrontationsopportunisten einzureihen. angebliche Weltbeherrschungspläne der Chi derzeit verzerrt. Die Schweiz hat einen riesigen Trumpf in nesen mit ihrer Seidenstrasse. Im Bundeshaus der Hand – ihre Neutralität. Neutralität ist das werkeln zahlreiche Politiker an neuen Ge kommt eine merkwürdige Überheblichkeit, Recht des Kleinstaats, sich aus dem Streit der setzen, die China den Erwerb von Unterneh die kein Zeichen von Stärke, eher von Schwä anderen herauszuhalten. Neutralität läuft hi men in der Schweiz erschweren sollen. che im Umgang mit dem aufstrebenden Land naus auf eine Aussenpolitik, die eher zuhört Natürlich betreibe China auch Machtpoli bedeutet, das sich innerhalb von nur vierzig als austeilt, die freundlich und respektvoll mit tik, sagt der Unternehmer, aber anders als bei Jahren von einem Armenhaus zu einem allen umgeht, auch wenn man ihre Stand den USA habe er nicht den Eindruck, dass die relativen bescheidenen Wohlstand hoch punkte nicht immer teilt. In einer Zeit, da alle Chinesen anderen Völkern ihren way of life gearbeitet hat. mit allen streiten, ist der Neutrale im Vorteil. aufdrücken möchten. Chinesische Unterneh Auch dazu hat Hayek eine überraschende Die Schweiz kann als Oase der Verständigung mer seien langfristig orientiert, das schnelle Diagnose parat: China sei nicht einfach auf besser wirken, als wenn sie sich auch noch zum Geld zähle weniger, da würden nicht einfach grund tiefer Löhne nach oben gekommen, Lautsprecher billiger Vorhaltungen gegen Firmen gekauft, filetiert und dann mit Speku sondern in letzter Zeit zusehends auch durch über China macht. lationsabsicht an der Börse verscherbelt. Innovationskraft mit starken eigenen Produk Die Schweiz war ein Pionier bei der Aner Auch das chinesische Engagement in Afrika ten auf der Grundlage eines sehr grossen kennung des modernen China vor knapp sieht Hayek gelassen. Es sei doch pure Heuche Heimmarkts. Es wäre demnach ein Fehler, in siebzig Jahren. Sie kann heute wieder Pionier lei, wenn die gleichen Länder, die früher in China nur die Masse billiger Arbeiter zu sehen. arbeit leisten, indem sie den Beweis erbringt, China Opiumkriege angezettelt oder gigan Das Land hat eine grosse Tradition technolo dass gute Beziehungen auf der Basis einer tische Kolonialreiche auf der Welt betrieben gischer Erfindungsfantasie, die nach dem Ab jahrzehntelangen freundschaftlichen Verbun hätten, heute den Chinesen verbieten wollten, fall von Maos Kommandokommunismus akut denheit erfolgreicher sind als der Versuch, die in Afrika Strassen, Spitäler, Strom- und Schie wieder auflebt. Chinesen daran hindern zu wollen, einen nennetze aufzubauen. Alle gegen China – die Stimmung wird na Wohlstand zu erzielen, den wir im verwöhn Noch pointierter formuliert er es später in türlich auch durch die Vereinigten Staaten an ten Westen längst als Exklusivprivileg für einem Interview mit der Aargauer Zeitung: «Er geheizt. Präsident Trump hat recht, wenn er selbstverständlich nehmen. 4 China Spezial Nr. 39.19 Bild: SWATCH
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Willkommen: Familie Blocher mit Magdalena, Markus, Rahel, Christoph, Miriam und Silvia (v.l.) vor der neuen Synthesefaser-Anlage in Foshan, 1985. Wie sich die Retter von China selber retteten Das Bündner Chemieunternehmen Ems hat im aufstrebenden China über hundert Textilfabriken gebaut und mit dem Ertrag daraus den eigenen Wandel zum modernen Kunststoffhersteller bewältigt. Es war eine Rettung für beide Seiten. Von Christoph Blocher Eine Geschäftstätigkeit auf dem chinesischen von Synthesefasern, mehr und mehr nach Produktion und Marktaufbau – des Unterneh- Festland war für Ausländer bis Anfang der Asien verschob. Für Ems war klar: Man kann mens investiert werden. Für Ems wurde es ein 1980er Jahre praktisch ausgeschlossen. Chine- nicht in Europa, vor allem nicht in der teuren Kampf um Leben und Tod. sische Kontakte waren auf Taiwan beschränkt. Schweiz und auf keinen Fall in der transport- Heute darf man sagen, dass diese Strategie Als dann zu Beginn der achtziger Jahre die mässig ungünstigen Bergregion Graubünden erfolgreich und damit richtig war. All die euro- Volksrepublik China mit ihren weit über einer – dem Standort von Ems – Synthesefasern pro- päischen Firmen, die im Fasergeschäft ver- Milliarde Menschen auch für Ausländer geöff- duzieren, wenn die Kunden mehr und mehr in harrten und glaubten, den Asiaten die Stirn net wurde, drängten die Industriestaaten auf Asien beheimatet sind. Diese Erkenntnis galt, bieten zu können, gingen unter. Sogar die diesen Markt, an vorderster Front die Ameri- noch bevor das grosse China auf die Weltmärk- damals weltgrösste deutsche Chemiefirma kaner, dann die Japaner und die Europäer. Das te trat. Ems entschloss sich daher umzustellen, Hoechst, der Marktführer, mit der wunderba- neue Marktumfeld kam auch für die das bedeutete aus der Faserproduktion auszu- ren Synthesefaser Trevira überlebte nicht. Ems-Gruppe im Kanton Graubünden gelegen. steigen und in das völlig neue Gebiet der poly- Schmerzvoll war auch, als 2009 die schweizeri- Es wurde daraus eine grosse Sache zum Wohl meren Werkstoffe einzusteigen. sche Kunstgarnfirma Viscosuisse mit Stand Chinas und der Schweiz. Allerdings galt es, das beachtliche wertvolle orten in Emmenbrücke und im St. Galler Know-how für gute Textilfasern zu nutzen, Rheintal bankrottging. I. Wie es dazu kam _ Ems war bis in die das heisst dieses nach Asien zu lizenzieren und 1970er Jahre hauptsächlich in textilen Synthe- dort Produktionsfabriken zu verkaufen. Ems Wir hatten Glück! sefasern (Nylon und Polyester) tätig. Aber be- tat dies erfolgreich in Taiwan, in Thailand, auf Chinas Öffnung wurde für diese Firmen zum reits damals war klar erkennbar, dass diese den Philippinen, in Südkorea, in Vietnam – Schock. Scharf zeichnete sich ab, dass Europa Produkte auf die Länge in Europa keine also in den grossen Massentextilländern. Das kein Massentextilproduktionsstandort sein Chance haben würden, da sich die ganze Mas- Geld aus dem Anlagenbau sollte für die Neu- kann, was auch für den betreffenden Rohstoff sentextilindustrie, das heisst die Abnehmer ausrichtung – für Forschung, Entwicklung, – eben S ynthesefasern – galt. Für Ems wurde 6 China Spezial Nr. 39.19
Chinas Öffnung zur Chance: Ein Riesenmarkt Auf Schiffen, im Zug, stehend auf Lastwagen Die Grösse der Kleider spielt ja auch eine Rolle. für den Bau von Faseranlagen tat sich auf. und, im Süden, in von Hongkong herbeige- Wieder wurde ein Mittelwert genommen. So schloss Ems bereits Anfang der 1980er schafften Minibussen bereisten wir das riesige Gleichzeitig erhielten die beiden Älteren die Jahre einen ersten Vertrag für den Bau einer Land. Es war eine langsame, sehr holprige Aufgabe, zu berechnen, wie viele Tonnen Syn- Grossanlage zur Herstellung von Polyamid Fahrt. Die Strassen waren sehr schlecht, zum thesefasern es braucht, wenn alle 1,3 Milliarden fasern (Nylon) in der noch sehr rückständigen Teil so dicht mit Velos befahren, dass man die sich ein Tschöpli und ein Paar Hosen neu an- Volksrepublik China – damals ein Entwick- Strasse nicht sehen konnte. Hupend bahnte schaffen. Die Jüngeren bekamen die Aufgabe, lungsland – ab. Das hiess, wir stellten eine sich der chinesische Fahrer einen Weg durch die zu erfragen, wie viele Jahrestonnen eine moder- schlüsselfertige moderne Produktionsanlage «trampelnde» Schar. Autos gab es damals in ne Produktionsanlage produziere und was die- in Xinhui (Provinz Guangdong) auf, garantier- China kaum. Die Waren wurden getragen oder se ungefähr koste. ten die Produktionsqualität, die Termine, die auf den schwer und massiv gebauten Fahr Investitionskosten, stellten die Finanzierung rädern transportiert. Meist mehrere Personen, Lob vom Handels- und Finanzminister über schweizerische Banken sicher und bilde- oft ganze Familien sassen darauf, beladen mit So entstand schliesslich ein Businessplan für ten chinesische Ingenieure und ihr Hilfsperso- unförmigen Kisten, mehreren Hühnerkäfigen, die nächsten zwanzig Jahre. Mit unseren Be- nal zum Betrieb der Anlage aus. Die Schulung lebenden Schweinen. rechnungen kamen wir auf 120 grosse Synthe- erfolgte hier in der Schweiz in den Fabrikan Die Menschen waren ausserordentlich sefabriken, was eine Finanzierung von sechs lagen in Domat/Ems. schlank, was auf knappe Ernährung schliessen Milliarden nötig machte. Mein Beschluss stand Wir hatten Glück! Das Abenteuer gelang. liess, trugen Hüte aus Reisstroh und weite, fest: Diese Fabriken wollte ich bauen und lie- Die Faserfabrik in Xinhui wurde zu einer Vor- dunkelblaue, baumwollene Hosen und Jacken fern. Und siehe da: Bis 2003 bauten wir in China zeige- und Referenzanlage. Sie wurde in ganz (im Westen als Mao-Look bekannt). In den 117 grosse Synthesefaserfabriken und schafften China bekannt und bewundert. abgelegenen Gebieten waren wir «Langnasen» dadurch die Umstellung auf polymere Werk- die grosse Attraktion. Die Leute liefen zu stoffe in Domat/Ems. Einen genaueren Busi- II. Reise 1985 _ Im Frühjahr 1985 eröffnete ich sammen, prüften eigenhändig, ob die blonden nessplan als diesen, den meine vier Schulkinder meiner Frau, es sei nun dringend, dass ich für Haare unserer Kinder echt seien. U nsere Jüngs- erarbeitet hatten, habe ich nie mehr gehabt. drei bis vier Wochen durch ganz China reisen te weigerte sich, ohne Hut w eiterzureisen. Als ich 2007 als Bundesrat im Zusammen- würde, um den Markt kennenzulernen, denn hang mit Terrorismusbekämpfung in China die neue, sehr fortschrittliche Regierung wolle III. Das wirtschaftliche Konzept _ Armut weilte, begrüssten mich plötzlich nicht nur der das Land nun wirtschaftlich voranbringen. Die- zeigte sich überall. Das Land war durch den Sicherheits- und Justizminister, sondern auch se Gelegenheit sei für Ems günstig. Kommunismus heruntergewirtschaftet. Was der Handels- und Finanzminister. Sie waren Meine Frau erschrak und erhob Einspruch: brauchen Menschen in einer solchen Situation? des Lobes voll, dass Ems der wirtschaftlichen «Wir haben seit fünf Jahren keine Ferien mehr Mehr zu essen und ein zweites Kleid. Mehr zu Tätigkeit der Chinesen so früh das Vertrauen gehabt, und du hast uns versprochen, in diesem essen, das hiess mehr pflanzen. Doch in C hina geschenkt habe. Solch positive Taten – Jahr gemeinsam mit der Familie Ferien zu ma- war schon damals jeder Quadratzentimeter Bo- allerdings auch negative – vergessen die chen!» Sie hatte recht. den für die Produktion von Lebensmitteln und Chinesen nie. So machten wir aus der Not eine Tugend und Baumwolle besetzt. Die Landwirtschaft war bereisten mit der ganzen Familie für vier Wo- maschinell rückständig, aber intensiv. V. Vom China Anfang der 1980er Jahre zum chen die Volksrepublik China. Wir, meine Frau Mir wurde immer klarer, dass die Chinesen heutigen Stand _ China kam aus der strikt so- für ihre zunehmenden eigenen Bedürfnisse, zialistischen, kommunistischen Staats Zugegeben: Der Anfang aber auch um den erwarteten Export an billigen wirtschaft. Weil diese, wie überall in so Textilien zu decken, eine rasch wachsende Tex- zialistischen Ländern, nicht funktionierte und einer Geschäftstätigkeit ist tilindustrie für Synthesefasern brauchten. Da die Menschen verarmten, entschloss sich China schwierig. zeichnete sich für Ems ein zukunftsträchtiges für die mehr oder weniger freie Marktwirt- Geschäftsmodell rasch ab: der Verkauf von schaft, aber auch dafür, politisch den Sozialis- Silvia mit den Kindern Magdalena (sechzehn- schlüsselfertigen Fabrikanlagen für qualitativ mus aufrechtzuerhalten. 80 Prozent der Chine- jährig), Markus (vierzehnjährig), Miriam (zehn- hochwertige Textilfasern nach dem Vorbild der sen waren Bauern, China ein Entwicklungsland. jährig), Rahel (achtjährig) und ich, wurden be- Fabrikanlage in Xinhui. Schmutz, Knappheit, Armut und vieles, was gleitet von einem Tross aus Ingenieuren, nicht funktionierte, herrschten vor. Die Land- Dolmetschern und chinesischen Verbindungs IV. Der Businessplan _ Während sich die wirtschaft war reine Handarbeit, Felder eher so leuten aus Hongkong. Unsere gemeinsamen künftige Marschrichtung auf dieser Chinareise gross wie Gartebeetli. Im Süden – einem subtro- «Ferien» begannen mit einer Schifffahrt von erhärtete, galt es, einen Businessplan für die pischen Klima – gab es viele Früchte, Reis und Hongkong nach Xinhui, zusammen mit vielen kommenden Jahre zu erarbeiten. Dies taten un- Gemüse. Die Lebensmittel wurden staatlich Chinesen, die sich in Hongkong mit Luxus sere vier Kinder, die damals im Alter zwischen mittels Coupons verteilt. Die Chinesen hatten gütern eingedeckt hatten. acht und sechzehn Jahren waren: knapp zu essen, aber Hungernde – wie wir dies Wir waren daran, in unbekannte Gebiete vor- Am ersten Abend bekamen sie die Aufgabe, später zum Beispiel in Nordkorea erlebt haben zustossen. Denn die Regierung wollte vor allem herauszufinden, wie viele Chinesen in China le- – bemerkten wir nicht. Verkaufen konnten die zurückgebliebene Regionen erschliessen. Dank ben. Sie konnten sich ja beim Begleittross – den Bauern ihre Produkte bis zu diesem Zeitpunkt der vorbildlichen Fabrikanlage in Xinhui eilte Chemikern, Ingenieuren, Dolmetschern, Chi- nur an den Staat. uns ein guter Ruf voraus, und der B esuch dieser nesen und Schweizern – erkundigen. Dann erfolgte rasch eine Wende. Märkte wur- Gebiete wurde uns ermöglicht. Überall wurden Am zweiten Abend einigten wir uns auf 1,3 den zugelassen. Jeden Morgen strömten Hun- wir mit grossem Aufwand willkommen ge- Milliarden Chinesen. Nun galt es, herauszufin- derttausende von Bauern mit ihren Waren und heissen. So prangte zum Beispiel ein grosses den, wie viel Gramm Synthesefasern ein Hemd Tieren auf den Markt – beispielsweise nach Spruchband über der Strasse am Eingang einer und eine Hose brauchten. Schanghai. Ein imponierendes, farbenfrohes Stadt: «Die Retter von China aus der Schweiz Am dritten Abend brachten die Kinder ihre Ereignis. Später wurden die an Hochschulen sind willkommen.» verschiedenen Zahlen für den Faseranteil vor. ausgebildeten Ingenieure – die Ausbildung in 8 China Spezial Nr. 39.19
China erwacht: Unternehmer Blocher (l.) beim Baustellenbesuch. «Trampelnde» Schar: romantische Agrarwirtschaft, Mitte der 8oer. Unbekannte Gebiete: die Blochers unterwegs in China. Naturwissenschaften hatte grosses Gewicht – – ist das 1980 praktisch bankrott gewesene fang einer Geschäftstätigkeit ist schwierig, nach Amerika zur Weiterbildung geschickt. Land zum B eispiel im Automobilbau die Num- kompliziert und zeitaufwendig. Aber wenn Jetzt sprachen sie Englisch, was für uns hilf- mer eins. China hat Japan, die USA und Europa man den Zugang zu den Menschen hat, ist es reich war. Sie begannen schnell, industriell zu darin zahlenmässig überholt. Die grössten für uns Schweizer einfach, mit Chinesen zu arbeiten. China öffnete sich für ausländische In- Automessen der Welt finden in China statt. geschäften. Grundlage ist das persönliche Ver- vestitionen – Amerikaner, Deutsche, Japaner er- trauen. Wenn man dieses nicht missbraucht, richteten in China früh Autowerke, an denen Das andere China gibt es lebenslange Freundschaften. Ich habe allerdings eine massgebliche chinesische Betei- Für Textilfasern, Textilmaschinen, Eisen viele sehr dicke Verträge abgeschlossen, aber ligung vorgeschrieben war. bahnen, Elektronik und vieles mehr brauchen nie einen Vertrag geöffnet, denn das Vertrauen die Chinesen keine fremde Hilfe mehr. Auch in – nicht das Recht oder viele Juristen – war die VI. Die Chinesen _ Die Chinesen sind sehr der Technologie, Digitalisierung, Robotertech- Grundlage. Und das ist auch heute noch so. arbeitsam, interessiert und sparsam. In dieser nik spielt China ganz vorne mit und hat erst Ein Geschäftsmann tut gut daran, sich an die Beziehung sind sie uns Schweizern ähnlich. Da- noch den Vorteil eines eigenen, riesigen Mark- alte Regel zu halten, die ich vor allem auch un- rum hatten die Chinesen stets eine hohe Spar- tes mit über 1,5 Milliarden Konsumenten. seren Verkäufern mitgegeben habe. «Ihr könnt quote, was dem Land beim marktwirtschaftli- Die Bilder chinesischer Städte, deren Sil- über alles reden. Aber über drei Dinge nicht: chen Aufbau sehr zugutekam. Die Auffassung, houetten von amerikanischen Städten kaum nicht über Religion und Politik und nicht über China sei nur vorangekommen wegen tieferer zu unterscheiden sind, sind allerdings nicht Hunde.» Die Erfahrung zeigt, dass es in dieser Löhne, ist zu einfach. Natürlich war dies an- repräsentativ für ganz China. 60 Prozent der Beziehung gerne Streit gibt, der dann einer fänglich ein Vorteil im Export. Bereits heute Chinesen leben auf dem Land, wo China noch geschäftlichen Tätigkeit nicht förderlich ist. aber gehört China nicht mehr zu den lohngüns- weitgehend ein Entwicklungsland ist. Aber So haben wir es auch in China gehalten. tigsten Ländern. Der Lebensstandard ist in den die restlichen 40 Prozent Chinesen machen letzten vierzig Jahren enorm gestiegen. Den 600 Millionen aus, das ergibt einen Riesen- Alt Bundesrat Christoph Blocher war bis zu seiner Zeit Chinesen geht es viel besser. markt. in der Landesregierung (2003–2007) Eigentümer und Die Chinesen sind aber auch innovativ. Ihre Konzernchef der Ems-Chemie. Er ist zudem langjähriger Forschung und Entwicklungsfähigkeit sind VII. Der Zugang zu den Menschen _ Ich Spitzenpolitiker der SVP und Initiant des erfolgreichen Referendums 1992 gegen den EWR-Beitritt. Die nicht zu unterschätzen! Heute – also vierzig wurde oft gefragt, wie denn die Chinesen als Unternehmen der Ems-Gruppe sind heute im Eigentum Jahre nach der Öffnung für die Marktwirtschaft Geschäftspartner seien. Zugegeben: Der An- und unter der Führung der Kinder. China Spezial Nr. 39.19 9
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«Weg der friedlichen Entwicklung» Geng Wenbing hat als Botschafter Chinas in der Schweiz zur intensiveren Z usammenarbeit der beiden Länder beigetragen. Mit Blick auf die Weltpolitik kritisiert er die E inmischung des Westens in Chinas Angelegenheiten, auch durch internationale Organisationen. Von Beat Gygi und Roger Köppel Wenn nächstens der 70. Geburtstag der Volks- republik China gefeiert wird, ist aus heutiger Sicht fast unvorstellbar, wie das Land damals aus Krieg und Zerstörung heraus gegründet wurde und dann nach Entwicklungsmöglich- keiten suchte. Die Schweiz war von Anfang an nah am Geschehen, nur Monate nach der Staatsgründung hat sie als eines der ersten Länder China diplomatisch anerkannt. Als in den achtziger Jahren der chinesische Auf- schwung begann, zählten die Schweizer zu den ersten Entwicklern und Investoren, später auch bei der Einrichtung von freiem Handel. Geng Wenbing, seit Februar 2016 ausseror- dentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Volksrepublik China in der Schweiz, spricht hier über die eindrückliche Entwick- lung seines Landes und dessen Zusammen- arbeit mit der Schweiz. Dem Leserpublikum ist er schon bekannt, denn aus Anlass des Jubiläums der Volksrepublik China legt er dieses Jahr in der Weltwoche monatlich in ei- ner Kolumne die chinesische Sicht zu promi- nenten Themen dar. Vor seinem Wechsel nach Bern war er in anderen Ländern diplo- matisch tätig und schliesslich Generaldirek- tor des Amtes für Disziplinaraufsicht im chinesischen Aussenministerium, das in der Antikorruptionskampagne eine wichtige Rolle spielt. Wir treffen ihn in seiner Resi- denz in Bern. Konversation ist auch auf Fran- zösisch möglich, hat er doch einen Hoch- schulabschluss in französischer Literatur. Herr Botschafter, am 1. Oktober ist der 70. Geburtstag der Volksrepublik China. Ist es heute von Bedeutung, dass die Schweiz 1950 als eines der ersten Länder China diplomatisch anerkannt hat? China legte grossen Wert auf die guten Bezie- hungen zur Schweiz. Dass diese zu den ers- ten Staaten zählte, die China diplomatisch anerkannt haben, und dass sich die Bezie- hungen zwischen den beiden Ländern seit- dem sehr gut entwickeln, schätzen wir sehr. Ist das in China in der breiten Bevölke rung bekannt oder nur unter Diploma ten, Politikern und Akademikern? Im Volk ist dies nicht allen bewusst, aber die Schweiz gehört unter den vielen west- lichen Staaten zu den Ländern, die bei den Chinesen am beliebtesten sind. Werden Sie in der Schweiz auf das Jubi läum angesprochen? In welcher Weise? Das Interesse an China ist heute weltweit be- «Tendenz zu mehr Objektivität»: Botschafter Geng Wenbing. 10 China Spezial Nr. 39.19 Bild: Caspar Martig für die Weltwoche
merkenswert hoch. Immer mehr Medien be- ben und hat schon fassbare Erfolge erzielt. den Arbeitsmarkt, die Finanzwirtschaft, den richten immer häufiger über das Land, in Hinzu kommt der Aufbau der neuartigen Aussenhandel, die ausländischen Investitio- jüngster Zeit natürlich auch wegen der chi- internationalen Beziehungen und der Schick- nen, die allgemeinen Investitionen und die nesisch-amerikanischen Beziehung, die von salsgemeinschaft der Menschheit. Beide Wirtschaftsprognose s tabil zu halten. Diese Unsicherheit, Instabilität und Unvorherseh- Konzepte erfreuen sich weitgehender Befür- Massnahmen sind bereits sehr wirksam. Die barkeit geprägt ist. Das 70. Gründungs wortung der internationalen Gemeinschaft. . Konsumgüterpreise und damit die Inflation jubiläum feiern wir also vor dem Hinter- War die Gründung der Volksrepublik China bleiben auf einem s tabilen Niveau, darüber grund eines internationalen Kräftemessens vor siebzig Jahren ein revolutionärer Bruch hinaus hat sich aber die Binnennachfrage sowie einer langfristigen und tiefgreifenden oder eher die Fortsetzung der Geschichte nun zum Hauptmotor des Wirtschaftswachs- Transformation Chinas, das nach dem Errei- des alten China? tums entwickelt. Der Inlandkonsum machte chen der Unabhängigkeit und dem enor- Die Volksrepublik hat der alten chinesischen letztes Jahr schon 76 Prozent des Wirtschafts- men wirtschaftlichen Aufschwung nun am Nation ein neues Leben geschenkt. Gleichzei- wachstums aus. Und wenn der Internationale Erstarken ist. So kommt bei Unterhaltungen tig haben wir auch die alte chinesische Zivili- Währungsfonds die Prognose für das globale mit schweizerischen Freunden die Rede sation geerbt und weitergeführt. China hat Wirtschaftswachstum soeben auf 3,3 Prozent irgendwann wie von selbst auf China. eine sehr lange Zivilisationsgeschichte von nach unten korrigiert, zugleich aber die Vor- Was interessiert Ihre Gesprächspartner mehr als 5000 Jahren. In der Periode vor der aussage für die chinesische Wirtschaft leicht am meisten? Gründung der Volksrepublik jedoch, also vor auf 6,3 Prozent erhöht hat, heisst das doch: Am ehesten die chinesische Aussenpolitik. 1949, war es einst ein halbkoloniales und Die Tendenz der Wirtschaftsentwicklung in Unternehmer interessieren sich auch spe- halbfeudales Land, und vor und während des China ist positiv. ziell für die chinesisch-amerikanischen Zweiten Weltkrieges litt China lange unter Was wäre für China eine unannehmbare Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, ausländischen Aggressionen. Erst nach 1949 Forderung Trumps? Wo ginge er zu weit? denn diese betreffen ja auch ihre eigenen stand das chinesische Volk im wahrsten Sinne Zu jeglicher Einmischung in interne Angele- Interessen. Etliche Medien griffen auch auf, nachdem die Kommunistische Partei die genheiten Chinas sagen wir nein. China wird heftig debattierte interne Themen Chinas Regierung übernommen hatte. Bezüglich auf keinen Fall ein Abkommen akzeptieren, auf, beispielsweise die Lage in Xinjiang Gesellschaftssystem und Entwicklungsweg das die Souveränität und Würde des Landes oder Hongkong. haben wir nach einem von Erfolg gekrönten untergräbt. Wenn die USA ein Abkommen Wie empfinden Sie die Medienberichte Weg gesucht und diesen auch gefunden. unterzeichnen möchten, müssten sie die zu- über China? Was empfinden Sie als Vertreter Chinas, wenn sätzlichen Strafzölle aufheben. Ein gegensei- Alles in allem gibt es eine Tendenz zu die gleichen Staaten, die früher als Invasoren tiges Respektieren der Interessen ist nötig. mehr Objektivität in der Berichterstat- gekommen waren, heute als moralische Auto China will keinen Handelskrieg, aber wenn tung. Die Schweizer Medien berichten ritäten auftreten und vorgeben wollen, wie Sie die USA unbedingt einen möchten, sind wir nun zum Beispiel neutral darüber, wie die mit Tibet oder Hongkong umgehen sollen? bereit, dem entgegenzutreten. USA einseitig Zölle auf Waren aus China Aus meiner persönlichen Sicht ist die Kritik Kann aus einem Handelskrieg ein richtiger verhängen wollen und wie sich Trumps der westlichen Länder meist ideologisch be- Krieg werden? Handelspolitik auswirkt. gründet. Mit Blick auf die Taiwan-Frage, auf Nein. Wie erklären Sie den Schweizerinnen und Tibet oder jüngst Xinjiang und Hongkong ist China ist mit seinen grossen Summen an Schweizern, was die wichtigsten Aspekte für uns klar, dass sich die USA und einige US-Staatspapieren quasi der Geldgeber der des chinesischen Jubiläums sind? westliche Länder von aussen eingemischt USA, ist das ein Drohpotenzial, das man In den vergangenen siebzig Jahren ist es haben. Dabei geht es nicht mehr einfach um ausspielen kann? China gelungen, die soziale Stabilität und unterschiedliche politische Auffassungen, China will keinen Handelskrieg und beson- die wirtschaftliche Entwicklung gleich sondern vielmehr darum, dass die USA den ders keinen Finanzkrieg mit den Vereinig- zeitig zu realisieren, und dabei hat das Aufstieg von China behindern wollen. Was ten Staaten führen. Sollte sich der Konflikt Land entschlossen und unbeirrt am Ent- westliche Invasoren vor hundert Jahren ange- auf den Finanzsektor ausweiten, hätte er wicklungsmodell festgehalten, das den richtet hatten, war zwar eine Katastrophe für unvorhersehbare Auswirkungen auf die eigenen Gegebenheiten entsprach. Insbe- das chinesische Volk, aber das ist Geschichte. Weltwirtschaft. Wir sehen die Staatsanlei- sondere das rasante Wirtschaftswachstum Wir legen grösseren Wert auf die Zukunft. hen der USA nicht als eine Waffe. innerhalb von vierzig Jahren führt China Wenn westliche Länder heute als morali Wer leidet denn eigentlich mehr unter der aus der absoluten Armut, und es entwickelt sche Kritiker auftreten, empfinden Sie das Auseinandersetzung: China oder die USA? sich zur zweitgrössten Volkswirtschaft der nicht als Doppelmoral? Die Vereinigten Staaten haben unilateral den Welt. Heute können 1,4 Milliarden Men- Doch, das ist Doppelmoral, und nicht nur Handelskrieg ausgerufen, der zwar tausend schen in bescheidenem Wohlstand leben. aus meiner Sicht. 99 Prozent der einfachen, Feinde fordert, aber nicht weniger Opfer in Nächstes Jahr kann sich China endgültig normalen Chinesen sprechen sich gegen den eigenen Reihen. Es gibt keinen Sieger – von der absoluten Armut verabschieden. eine Einmischung westlicher Länder in die die Frage, wer mehr Schaden erleidet, ist sinn- Wie behandelt das erstarkende China inneren Angelegenheiten ihres Landes aus. los. Doch der Handelsstreit lässt die Welt kleine Länder wie die Schweiz? Wie stark bremst denn der Handelskonflikt einerseits die hegemoniale Verhaltensweise In der Aussenpolitik folgt China nach wie vor zwischen den USA und China eigentlich die der Vereinigten Staaten deutlich erkennen dem Weg der friedlichen Entwicklung. Es chinesische Entwicklung? und anderseits die Entschlossenheit Chinas, setzt sich ein für die Bewahrung des Weltfrie- Der Handelsstreit zwischen China und den den Multilateralismus und den Freihandel zu dens. In den letzten Jahren hat China einige Vereinigten Staaten beeinträchtigt die verfechten. Ein chinesisches Sprichwort be- positive internationale Initiativen sowie Wirtschaft beider Länder wie auch die Welt- sagt: Wer die Gerechtigkeit vertritt, findet viel Konzepte zur Kooperation lanciert. Vor al- wirtschaft. In Bezug auf die chinesische Wirt- Unterstützung, wer der Gerechtigkeit zuwi- lem die «Belt and Road»-Initiative (BRI) also schaft sind die Auswirkungen jedoch unter derhandelt, wird schliesslich isoliert sein. Im- die neue Seidenstrasse, wird zu einem aner- Kontrolle und begrenzt. Wir haben sechs mer mehr Menschen werden einsehen, dass kannt erfolgreichen Programm vorangetrie- Stabilisierungsmassnahmen erlassen, um die Zusammenarbeit und das Erreichen einer China Spezial Nr. 39.19 11
Win-win-Situation den einzigen Weg dar- Milliarden Dollar, zahlreiche Investitionspro- einander-Teilens soll die internationale Zu- stellen, der in eine bessere Zukunft führt. jekte wurden genehmigt, die Schweiz liegt auf sammenarbeit intensiviert werden, so dass Im Westen macht man sich Sorgen um das Platz neun der bei chinesischen Touristen be- die sich entlang der Routen befindenden Län- Wachstum der chinesischen Wirtschaft, liebtesten Destinationen in Europa. China en- der sich gut entwickeln und alle davon profi- das momentan besonders niedrig ist. Ist gagiert sich mit ganzem Herzen für die freund- tieren können. Innovation, Öffnung und Zu- eine Rezession zu befürchten? schaftliche Zusammenarbeit und verpflichtet sammenarbeit sollen intensiviert werden. Die Die chinesische Wirtschaft wird nicht in eine sich zu gegenseitigem Respekt und gemeinsa- Öffnung Chinas ist kein Solospiel, sondern Rezession geraten. Wir finden solche Be- mem Gewinn. Bedauerlicherweise zeigt man wir begrüssen alle, die daran teilhaben möch- sorgnisse nachvollziehbar, denn China hat in der Schweiz manchmal ein ganz anderes Ge- ten. Es geht dabei nicht um die Ausweitung eine grosse Bedeutung für die Weltwirt- sicht. Vor allem wenn es um Fragen zu den des geostrategischen Einflusses, wir möchten schaft. Im ersten Halbjahr war die Wirt- Kerninteressen Chinas geht, achtet man in der mit allen Ländern gemeinsam Projekte entwi- schaft trotz schwierigen internationalen Schweiz manchmal das Empfinden der Chine- ckeln.Einige Schweizer Firmen haben sich Umständen um 6,3% gestiegen, und die sen nicht und behandelt sie unfreundlich. der Initiative bereits angeschlossen und da- Wachstumsrate des verfügbaren Pro-Kopf- Können Sie Beispiele nennen? von profitiert. Die Schweizer Regierung, das Einkommens lag damit über der Wachs- Vor kurzem hat die schweizerische Vertretung Parlament und die Medien sollten bessere tumsrate des Bruttoinlandprodukts (BIP). bei der Uno, ungeachtet des Standpunktes Rahmenbedingungen schaffen, damit sich Das Ziel für das reale Wachstum 2019 liegt Chinas und der Tatsache, dass China und die schweizerische Unternehmen noch mehr in zwischen 6 und 6,5 Prozent. Im ersten Halb- Schweiz seit Jahren einen Menschenrechtsdia- die Initiative integrieren können. Manchmal jahr wurde eine solide Grundlage dafür ge- log führen, zusammen mit Vertretungen weite- gehen günstige Chancen schnell vorbei. schaffen, auch eine ökologischere, denn der rer 23 Länder dem Präsidenten des Uno-Men- In der hiesigen Politik und Öffentlichkeit Energieverbrauch pro BIP-Einheit ist um 2,7 schenrechtsrates einen öffentlichen Brief ist gegenüber chinesischen Investoren wei Prozent gesunken. terhin Skepsis spürbar. Werden die Auseinandersetzungen mit den «Es sind immer die Dazu erhielt ich in jüngerer Zeit häufig USA die chinesische Wirtschaft verändern? Fragen. Ich möchte darauf hinweisen, dass In den letzten Jahren wurde die chinesische Vereinigten Staaten, die Chaos die chinesischen Investitionen nur 1 bis 2 Pro- Wirtschaftsstruktur im Rahmen der globa- anrichten.» zent der ausländischen Investitionen in der len Wertschöpfungskette ständig optimiert. Schweiz ausmachen. Es gibt keinen Grund Die Amerikaner haben die negative Handels- übergeben. Darin machten sie China wegen zur Sorge, dass Chinesen übermässig viel in- bilanz als Ausrede benutzt, um den Handels- Xinjiang und Menschenrechten sowie anderen vestierten. Die Schweiz hat gut acht Mil krieg anzuzetteln. Doch sie wollen letztlich innenpolitischen Angelegenheiten et cetera. lionen Einwohner, und etwa 2000 Schweizer nicht das Handelsdefizit verringern, son- bittere Vorwürfe. Solche Handlungen stehen Firmen sind in China aktiv. Dagegen hat Chi- dern die weitere Entwicklung Chinas verhin- aber in unvereinbarem Gegensatz zur guten na fast 1,4 Milliarden Einwohner, aber nur 73 dern. China hat aber einen riesigen Markt Entwicklung der sino-schweizerischen Bezie- chinesische Unternehmen haben in der mit fast 1,4 Milliarden Menschen, von denen hungen. Die Situation in Xinjiang habe ich in Schweiz Investitionen getätigt. Das ist alles etwa 400 Millionen zur kaufkraftstarken meiner Weltwoche-Kolumne vom 11. Juli en dé- problemlos. Im Rahmen der wirtschaftlichen Mittelschicht gehören. Der Binnenmarkt bil- tail erklärt und meinen Wunsch zum Ausdruck Globalisierung und Handelsliberalisierung det nun bereits den Hauptmotor für die gebracht: Klatsch und Gerüchte werden ihr En- kann doch jedes Unternehmen im Sinn der Wirtschaftsentwicklung. Die Transforma de bei den Weisen finden. Wenn China und die Vertragsfreiheit eigenständig handeln. tion vom traditionellen zum modernen Schweiz gute Freunde sind, dann sollten wir Viele sehen hinter den Investoren den Konsum, von den Grundprodukten hin zur uns gegenseitig respektieren und die Interes- chinesischen Staat. Unterhaltung, vom Waren- zum Dienstleis- sen sowie Prinzipien des anderen achten. Inte- Die Schweiz versteht sich als offene Volks- tungskonsum vollzieht sich nun Schritt für ressen und Gefühle des anderen absichtlich zu wirtschaft, schweizerische Unternehmen, Schritt, das Potenzial ist gewaltig. verletzen, gehört nicht zur Freundschaft. insbesondere die grossen Konzerne, machen Und wie steht es um die Beziehungen zwi Die Schweiz ist ein neutrales Land. gerne Geschäfte im Ausland. Unter den schen der Schweiz und China? Haben sich Als ein neutrales Land sollte sich die Schweiz europäischen Investoren in China liegt die diese so entwickelt wie erhofft? ihres Standpunkts bewusst sein. Es ist rat- Schweiz auf dem sechsten Platz. Bis im Mai Die chinesisch-schweizerischen Beziehungen sam, objektiv zu bleiben und sich nicht durch 2019 gab es in China insgesamt 1990 geneh- haben den historischen Höhepunkt erreicht, Ideologien beeinflussen zu lassen. Unter be- migte schweizerische Investitionsprojekte, die Kooperation ist sehr dynamisch. In der Po- freundeten Ländern soll das gegenseitige allein vierzig Vorhaben stammen aus den litik fanden jüngst gegenseitige Besuche zwi- Vertrauen grossgeschrieben werden. Einige ersten fünf Monaten dieses Jahres. Ist es schen den Führungspersonen in hoher Fre- Probleme sind allein auf die Einmischung nicht verständlich, dass chinesische Unter- quenz statt. Im Januar nahm Herr Wang der Vereinigten Staaten in die chinesische nehmen ähnliche Wünsche haben? Etliche Qishan, der Vizepräsident Chinas, am WEF in Innenpolitik zurückzuführen, etwa mit Blick Politiker und Medienvertreter zeigen sich Davos teil und besuchte die Schweiz. Im April auf Taiwan, Tibet, Falun Gong, nun auch sehr besorgt, wenn chinesische Unterneh- kam Bundespräsident Maurer zum zweiten Xinjiang und Hongkong. Es sind immer die men in der Schweiz investieren. Die Landes- «Belt and Road Initiative»-Gipfelforum für Vereinigten Staaten, die Chaos anrichten. regierung, die Kantonsregierungen sowie internationale Kooperation und stattete Chi- Vergibt sich die Schweiz Chancen in der die Städte hingegen betonen immer wieder na einen Staatsbesuch ab. Dabei haben beide Kooperation mit China? Bei der «Belt and nachdrücklich, ihnen seien chinesische In- Länder ein Memorandum of Understanding Road Initiative»? vestoren willkommen. Das ist ein Lichtblick. über die Zusammenarbeit in Drittländern im Die «Belt and Road Initiative» und deren Auf- Und an dieser Stelle möchte ich von meiner Rahmen der BRI unterzeichnet. bau bietet eine grosse Plattform für interna Seite auch nochmals hervorheben, dass Dann läuft es gut zwischen den Ländern? tionale Kooperation. Ausgehend von den China Investitionen von schweizerischen Das Handelsvolumen zwischen der Schweiz Grundprinzipien der gemeinsamen Bera- Unternehmen nach wie vor begrüsst. Je und China stieg 2018 um 18 Prozent auf 42,5 tung, des gemeinsamen Aufbaus und des Mit- mehr, desto besser. 12 China Spezial Nr. 39.19
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Und täglich grüsst Karl Marx Seit der Gründung der Volksrepublik betrachtet Chinas Führung eine chinesische Variante des Marxismus als Richtschnur ihres Handelns. Bis Mitte dieses Jahrhunderts wird die innenpolitische Optimierung im Vordergrund stehen. Von Harro von Senger Laut dem Sinologen und ehemaligen australi- Ebenen, die Beziehung zwischen der «Klassenkampf» einstweilen schlummern zu schen Premierminister Kevin Rudd haben Han-Volksgruppe und den nationalen Min- lassen und eine Koalition mit dem «Klassen- westliche Führer und Analytiker «oft eher ein derheiten, die Beziehung zwischen China und feind» einzugehen. Denn allein gestützt auf Bild ihrer Wunschvorstellungen auf China anderen Ländern und so weiter und so fort – seine damals schwache KPCh, hätte Mao gegen projiziert, anstatt sich Gedanken zu machen all dies sind aus Maos Sicht Widersprüche. Japan nichts ausrichten können. über die tatsächlichen Stellungnahmen von Nun gilt es, in den aufeinanderfolgenden So verbündete er sich im Rahmen einer Chinas eigenen Führern». In der Tat wider- Phasen der Entwicklung Chinas jeweils den «Einheitsfront» mit Tschiang Kai-schek gegen spiegelt sich der siebzigjährige Werdegang der Hauptwiderspruch herauszufinden, dessen Japan und liess in seinem Herrschaftsbereich Volksrepublik China (VRCh) am treffendsten Lösung die Hauptaufgabe des chinesischen die Menschenrechte der Kapitalisten, ja sogar in Stellungnahmen von Chinas Führern sowie Volkes sei. Der Hauptwiderspruch ist also das Bodeneigentum der Grossgrundbesitzer in chinesischen amtlichen Verlautbarungen nicht ein für alle Mal gegeben, sondern wech- schützen. Nach dem so errungenen Sieg über und Dokumenten. Wenn man diese über die selt in den aufeinanderfolgenden Phasen der Japan wurde in den Jahren 1946 bis 1949 wie- Jahrzehnte hinweg studiert und deren Trag- Entwicklung. Das Konzept des Hauptwider- der der Widerspruch zwischen der KPCh und weite immer wieder vor Ort überprüft, stellt spruchs wurde von Mao theoretisch begrün- man eine grosse Kontinuität fest. det und machtvoll in die politische Praxis um- Da ist zunächst das marxistisch-leninisti- gesetzt, ist aber nicht seine Erfindung. Soweit sche Verfassungsverständnis. Es kommt in der bekannt, ist dieses Konzept erstmals in einem provisorischen chinesischen Verfassung von 1931 in Leningrad veröffentlichten «Lehrgang 1949 sowie in den chinesischen Verfassungen des dialektischen Materialismus» von Sirokov von 1954, 1975, 1978 und 1982 zum Ausdruck. und Eisenberg vorgestellt worden. Dieser In diesen Dokumenten präsentiert sich die Lehrgang wurde ins Chinesische übersetzt Volksrepublik China jeweils ganz offen als und von Mao in der Zeit von November 1936 Diktatur. Die Regierung des Landes hat, wie bis September 1941 studiert. Bis auf den heuti- Uli Sigg, der Gründer des ersten chinesisch- gen Tag ist der jeweilige Hauptwiderspruch westlichen Joint Ventures, ehemaliger Schwei- der Angelpunkt, um den sich in der VRCh die zer Botschafter in Beijing und Sammler mo- gesamte Innen- und Aussenpolitik dreht. derner chinesischer Kunst, unlängst sagte, Mao entwickelte das Konzept des je nach «einen enormen Durchgriff» und verteidigt Phase der Entwicklung wechselnden Hauptwi- die Diktatur wenn nötig mit grösster Härte. derspruchs angesichts des seit dem Zwischen- fall an der Beijinger Marco-Polo-Brücke am 7. Konzept des «Hauptwiderspruchs» Die oberste Macht geht in der VRCh von der KPCh aus. «KPCh» bedeutet nicht Konfuziani- Für kurze Zeit liess Mao sogar sche Partei Chinas und auch nicht Kapitalisti- das Bodeneigentum der sche Partei Chinas, sondern Kommunistische Grossgrundbesitzer schützen. Partei Chinas. Sie betrachtet nicht die «Gesprä- che» des Konfuzius oder die Schriften von Juli 1937 flächendeckenden japanischen Krie- Adam Smith, sondern den Sinomarxismus als ges gegen China. Er wollte den Funktionären «Richtschnur ihres Handelns». Der der KPCh einen Schulterschluss mit dem Füh- Sinomarxismus besteht aus dem Produkt rer der «Ausbeuterklassen», Tschiang Kai- zweier Deutscher und eines Russen, nämlich schek schmackhaft machen. Bis 1937 war der dem Marxismus-Leninismus, sowie aus chine- Widerspruch zwischen der KPCh und der von sischen Beiträgen, wobei an erster Stelle die Tschiang Kai-schek geführten Guomindang Ideen Mao Zedongs zu nennen sind. der Hauptwiderspruch gewesen. Laut Mao war Den Mao-Zedong-Ideen entstammt ein angesichts der japanischen Aggression der Wi- Konzept, das sich wie ein roter Faden durch die derspruch mit diesem Todfeind zu einem Geschichte der VRCh zieht. Es ist das Konzept «Nebenwiderspruch» herabgesunken und der des «Hauptwiderspruchs». Um es zu verste- Widerspruch zwischen China und Japan zum hen, muss man zwölf Jahre vor der Gründung neuen Hauptwiderspruch emporgestiegen. der VRCh ansetzen. Im Jahr 1937 verbreitete Nach Maos Doktrin sind Nebenwidersprü- Mao als internes Schulungsmaterial seine Ge- che in einer der Lösung des Hauptwider- danken über den «Widerspruch». Aus seiner spruchs förderlichen Art und Weise zu behan- Sicht besteht Politik aus der Analyse und Lö- deln. Um den nationalen Hauptwiderspruch sung von Widersprüchen. Die Beziehung zwi- «China gegen Japan» zu lösen, war es nach Ma- schen der zentralen Ebene und den lokalen os Meinung notwendig, den innenpolitischen «Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums»: 14 China Spezial Nr. 39.19 Illustration: Rüdiger Trebels für die Weltwoche
der Guomindang zum Hauptwiderspruch. wärtige Wirtschaft und Kultur die Bedürfnisse ateriellen und kulturellen Bedürfnissen des m Tschiang Kai-schek, eben noch Verbündeter, des Volkes nicht zu befriedigen vermögen». Volkes und der rückständigen gesellschaftli- wurde nach Taiwan vertrieben, der Menschen- Für kurze Zeit unterstützte Mao diesen chen Produktion». rechtsschutz für die «Klassenfeinde» wurde Hauptwiderspruch. Aber infolge internatio- abgeschafft und 1949 die VRCh gegründet. naler Ereignisse (der Ungarn-Aufstand 1956 «Verwirklichung des Kommunismus» In den Jahren 1949 bis 1956 galt als Haupt u.a.) und innerchinesischer Entwicklungen In welchem Kontext stand der schon 1956 pro- widerspruch der Widerspruch zwischen dem (die Bewegung «Lasst hundert Blumen blü- klamierte, aber erst in den Jahren 1978 bis 2017 «Proletariat» und der «Bauernklasse» einer- hen» lief aus Maos Sicht aus dem Ruder) k ehrte ins Visier genommene Hauptwiderspruch? seits und den «Ausbeuterklassen» anderseits. Mao zum Hauptwiderspruch «Klassenkampf» Hierauf gibt die Satzung der KPCh Antwort: Die Hauptaufgabe war der «Klassenkampf». zurück, an dem er bis zu seinem Tod (9. Sep- «Das höchste Ziel und das endgültige Ideal der Bis 1956 wurden die «Ausbeuterklassen» ent- tember 1976) festhielt. So kam es zum verhee- Partei ist die Verwirklichung des Kommunis- eignet. Kein Quadratmillimeter Land blieb in renden Grossen Sprung nach vorn 1958 und mus.» Aus westlicher Sicht ist Kommunismus privatem Grundeigentum, und so ist es bis zur katastrophalen Kulturrevolution (1966– heute geblieben. Der 8. Parteitag der KPCh ver- 76). Die ganz im Zeichen des Klassenkampfes Die Beseitigung der «rückständigen kündete 1956 als neuen Hauptwiderspruch stehenden Jahre von 1956 bis 1976 gelten aus den Widerspruch «zwischen dem Verlangen heutiger amtlicher chinesischer Sicht infolge gesellschaftlichen Produktion» des Volkes nach dem Aufbau eines fortschrittli- von Maos falscher Einschätzung des Hauptwi- geschah auf Kosten der Umwelt. chen Industriestaates und der Realität eines derspruchs als zwei verlorene Jahrzehnte. zurückgebliebenen Agrarstaates sowie jenen Im Dezember 1978 besann sich die KPCh auf gleichbedeutend mit Elend und Tod. Aber in zwischen dem Bedürfnis des Volkes nach ra- den 1956 verkündeten Hauptwiderspruch, der VRCh beruft man sich auf diese Aussage scher wirtschaftlicher und kultureller Ent- den sie etwas konziser formulierte als den von Marx: «In einer höheren Phase der kom- wicklung und dem Umstand, dass die gegen- Widerspruch «zwischen den wachsenden munistischen Gesellschaft, nachdem [ . . . ] alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fliessen – erst dann kann [ . . . ] die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: ‹Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen›!» Die «Verwirklichung des Kommunismus» – das endgültige Ziel der KPCh – führt laut Marx nicht in Armut und Elend, sondern zu einer Gesellschaft des materiellen Überflusses, in der jeder nach seinen Bedürfnissen leben kann. Daher erschien nach Maos Tod aus amtlicher chinesischer Sicht die Kulturrevolu- tion als antimarxistischer Holzweg, denn sie hatte China nicht auf den Weg des Wohlstands geführt. Demgegenüber lenkte die KPCh nach Maos Tod das chinesische Volk in Richtung eines wohlhabenden China. Die im Hauptwider- spruch streng marxistisch-materialistisch an erster Stelle stehenden «materiellen Bedürfnisse des Volkes» legte die KPCh freilich jahr zehntelang ungemein eng aus, beschränkt a llein auf das Wachstum des gesamtgesellschaftlichen Bruttoinlandprodukts. Die Beseitigung der «rückständigen gesellschaftlichen Produktion» geschah auf Kosten der Umwelt. Reine Luft, sau- beres Wasser und gesunde Nahrungsmittel ge- hörten für die KPCh jahrzehntelang nicht zu den «materiellen Bedürfnissen des Volkes». Daraus resultierte zwar eine rasante Entwick- lung der chinesischen Wirtschaft. Wenn auch die VRCh zur weltweit zweitgrössten Volkswirt- schaft aufgestiegen ist und wenn auch rund 800 Millionen Chinesen aus der Armut befreit wur- den, so beträgt doch das durchschnittliche jähr- liche BIP pro Kopf nur etwas über 9000 US Dol- lar (in Deutschland ca. 50 000 Dollar, in der Schweiz ca. 61 000 US Dollar). Den chinesischen Individuen geht es, durchschnittlich gesehen, also keineswegs gut. Dies auch wegen des jahr- zehntelang vernachlässigten Umweltschutzes Sinomarxismus als Richtschnur für das Leben der Chinesen. mit verheerenden Folgen. ››› China Spezial Nr. 39.19 15
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