Der Bote - Historischer Verein Herne ...

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Der Bote - Historischer Verein Herne ...
:: Zeitschrift des Historischen Vereins Herne / Wanne-Eickel e. V. ::

       Der Bote
April 2020
                                                    3. Jahrgang - Nummer 9
                                                           April 2020

Das Bahnbetriebswerk Wanne-Eickel Hbf
                 in den 1950er Jahren
          Das Leben in der Kolonie der
         Zeche Friedrich der Große 3/4
                              Der Engel von Sodingen
Der Bote - Historischer Verein Herne ...
Die neunte Ausgabe
                            Editorial

       Nun liebe Leser_innen, vor euch liegt die neunte Ausgabe des Boten.

       Auch in diesem Jahr versuchen wir, die vier Ausgaben in gewohntem
       Umfang herauszubringen.

       Wir haben schon wieder viele neue Ideen und Geschichte rund um
       unsere schöne Stadt und darüber hinaus auf Lager. Lasst euch über-
       raschen.

       Als neue Rubrik haben wir, wie das Titelfoto schon zeigt, die Eisen-
       bahngeschichte von Herne in den Fokus genommen. In den nächs-
       ten Ausgaben möchten wir euch gerne weitere Artikel aus diesem
       Themenbereich präsentieren.

       Schnell ist die Anzahl der Artikel erreicht und wir haben mit Platzpro-
       blemen zu kämpfen, so dass wir, trotz vielfachem Wunsch, immer
       noch keine Kreuzworträtsel veröffentlichen können.

       Bleibt mir nur noch, euch viel Spaß beim Lesen und Blättern zu wün-
       schen und mich schon jetzt für eure Mithilfe zu bedanken.

                                                       Euer Redaktionsteam

Kontakt:
redaktion@hv-her-wan.de
Schillerstraße 18
44623 Herne
Fon: (0 23 23) 1 89 81 87
Fax: (0 23 23) 1 89 31 45

  Heinrich        Andreas     Anna-Maria    Thorsten      Gerd E.          Michael           Friedhelm
   Anton           Janik       Penitzka     Schmidt       Schug           Thomasen            Wessel
  Behrendt

   2                                                                Der Bote im April 2020
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Inhalt
       02 Editorial                                                   23 Termine
          Das Team hinter dieser Ausgabe
                                                                      24 Buchvorstellung
       04 Musik aus und über Herne                                       Von Friedhelm Wessel
          Von Friedhelm Wessel
                                                                      25 Neuigkeiten aus dem Verein
       05 Drehs zwischen Oberhausen
          und Hagen                                                   26 »Reiseführer« die Royal Air Force
          Leidenschaftlicher Aquarellist:                                erläutert Herner Ziele.
          Helmut Manfreda                                                Von Andreas Janik
          Von Friedhelm Wessel
                                                                      31 Brücken
       06 Das Leben in der Kolonie der Zeche
          Friedrich der Große 3/4                                     32 Historische Klassenfotos
          Von Heinrich Anton Behrendt                                    Zusendungen aus unserer
                                                                         Leserschaft
       09 Tausendmal erzählt …
          Von Friedhelm Wessel                                        34 Neuigkeiten aus dem Verein
       10 Das Bahnbetriebswerk Wanne-                                 35 Gedanken zur Zeit – Gedanken zurzeit
          Eickel Hbf in den 1950er Jahren.                               von Anna-Maria Penitzka
          Eine Beschreibung des Titelbildes
          von Michael Thomasen                                        36 Time.Mix
                                                                         Von Marcus Schubert
       13 Einmal Bundesliga …
          Von Friedhelm Wessel
       14 Das Stadtarchiv stellt sich vor:
          ISG - Institut für Stadtgeschichte
          Gelsenkirchen
       16 Der Engel von Sodingen
          Teil 1.
          Von Gerd E. Schug
       19 Aufnahmeantrag zum
          Heraustrennen
       21 Die Vereinsbibliothek
       22 Möchten Sie unsere Arbeit
          unterstützen?

Redaktion: Heinrich Anton Behrendt, Andreas Janik, Anna-Maria         (Etliche Fotos sind oftmals nicht mit dem Namen des Fotografen
Penitzka, Barbara Rohde, Thorsten Schmidt, Gerd E. Schug, Mi-         gekennzeichnet, sodass eine Recherche der Bildrechte in vielen
chael Thomasen, Friedhelm Wessel                                      Fällen nicht möglich war. Grundsätzlich haben wir uns darum be-
                                                                      müht, alle Urheberrechte an den veröffentlichten Fotos und Do-
Lektorat: Anna-Maria Penitzka, Patricia Schubert                      kumenten zu klären. Sollte dies in Einzelfällen nicht gelungen
                                                                      sein, bitten wir, sich mit uns in Verbindung zu setzen.)
Verantwortlich für den Inhalt: Thorsten Schmidt
                                                                      Wir weisen darauf hin, dass das Urheberrecht an den Artikeln bei
Titelbild: Foto von Wolfgang Dembski, Wanne-Eickel Hbf, Bw,           den jeweiligen AutorInnen liegt. Verwendung und Abdruck in an-
11. Mai 1968                                                          deren Medien, auch auszugsweise, ist nur mit deren ausdrückli-
                                                                      cher Zustimmung gestattet. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Fotos: Seite 4 - 5: Friedhelm Wessel - Seite 6 - 8: Miele & Cie.      die Redaktion.
KG | Carl-Miele-Straße 29 | 33332 Gütersloh, Friedhelm Wessel -
Seite 9: Friedhelm Wessel - Seite 10 - 11: Lichtbildstelle der ehe-   Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Mühlbachstraße 7, 71522 Backnang
maligen Bundesbahndirektion Essen - Seite 12 - 13: Friedhelm
Wessel - Seite 15: Foto: ISG - Seite 16: Sammlung Schönstätter
Marienschwestern, Neuseeland - Seite 17: Sammlung Gerd E.
Schug - Seite 24: Wolfgang Viehweger - Seite 25: Barbara Rohde
- Seite 26 - 30: urn:nbn:de:hebis:77-vcol-20056 - Seite 31: Fried-
helm Wessel, Thorsten Schmidt - Seite 32 - 33: Sammlungen:
Gerd E. Schug, Margret Lohre-Schug, Barbara Rohde - Seite 34:
Doris Saisch - Seite 36: Marcus Schubert

              Der Bote im April 2020                                                                                   3
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Musik aus und über Herne

   Erwin Weiß 1977

   Auf die Frage »Musik aus Herne« fällt den         Da wollte »Gottlieb Wendehals« (Polonaise
meisten Einheimischen die Antwort nicht           Blankenese) nicht nachstehen und nahm den
schwer: »Nichts ist so schön, wie der Mond        Song »Im Frühstau zu Herne« auf. Hausmeis-
von Wanne-Eickel«. Klar, aber es wurde ja ex-     ter Anton Klopotek »So sind sie in Herne«,
plizit nach Herne gefragt. Kurt Edelhagen         »Weiße noch die schöne Zeit in Herne« und
(1920 – 1982), Jürgen Marcus (1948 — 2017),       »Zwischen Herne und Ruhr« von Michael Lar-
Andrea Jürgens (1955 — 2017) »Herne               sen folgten.
3« (Immer wieder aufstehn) folgen. Als Band-         Gerd T. (Gerd Tratz), ein aus Herne stam-
leader eroberte Edelhagen damals die Welt,        mender und in Hamburg lebender Medienex-
seine Karriere startete der gebürtige Holthau-    perte, schrieb seiner Heimatstadt nach dem
sener ab 1945 im berühmten »CC« an der            Vorbild von Grönemeiers »Bochum« der Stadt
Bahnhofstraße. Quasi um die Ecke wuchs Jür-       am Kanal einen Song auf den Leib: »Herne«.
gen Beumer auf, der ab den 1970er-Jahren mit      In die Reihe der Songschreiber und Interpreten
»Ein Festival der Liebe« und weiteren Hits aus    reiht sich auch Helmut Sanftenschneider (Co-
dem Hause von Texter/Komponist Jack White,        median/Moderator) mit »Ich wohne so gerne in
von der heutigen Glockenstraße — damals           Herne« ein. In dieser musikalischen Herne-
noch Marienstraße — in die bunte und vielfälti-   Reigen dürfen die Rapper aber nicht fehlen.
ge deutsche Schlagerwelt startete und sich        Erwähnenswert »Alias Titan« mit »Herne, mei-
dort jahrelang behauptete. Seine »Nachfolge-      ne Stadt« und der gelungene »FC Herne-57-
rin« aus Herne: Andrea Jürgens, die sich eben-    Song« von M.I.K.I.
falls mit ihren Liedern in der Szene durchset-       Auch im englischsprachigen Ausland hört
zen konnte.                                       man oft den Namen Herne. So schrieb Alexan-
   »Sing doch endlich mal ain schönet Lied von    der James Adams die »Hymne of Herne«. Von
Herne«, trällert Revierbarde »Ährwin« Weiß        den Promised Childs stammt »Song to Herne«,
(1934 — 2008) aus Castrop-Rauxel, der aber        während Jenna Green ihr Lied schlicht und ein-
noch mit weiteren liebenswerten Songs, den        fach »Herne« nannte, denn Ortsname Herne
Ruhris aufs Maul schaute.                         gibt es in der Welt gleich mehrfach.
                                                                                Friedhelm Wessel

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Drehs zwischen Oberhausen und Hagen
   Nie ohne Kamera. Wenn ich irgendwo im         Aufnahmen vom Oberhausener Gasometer,
Revier unterwegs bin – eine Kamera habe ich      der Haniel-Halde, von den Herner Taubenzüch-
immer dabei. Aus alter Gewohnheit. So kam        tern Borg, der Zeche Teutoburgia, den Weih-
ich aber erst im Frühjahr 2019 auf die Idee,     nachtsmärkten in Herne und Hagen, von einem
eine Art filmisches Reviertage-                                 Bergmannstreffen in Bochum,
buch zu erstellen. Es muss ja                                   einem Auftritt von Dudelsack-
nicht unbedingt eine Filmkame-                                  spielern auf dem Börniger Hof
ra sein. Auch die heutigen Fo-                                  Große Lahr und dem Besuch
toapparate ermöglichen ein gu-                                  eins Bundesligaspiels in Dort-
tes digitales Aufzeichnen von                                   mund. Auf erläuternde Kom-
Bild und Ton. Diese »Neue-                                      mentar müssen die Zuschauer
rung« nutze ich daher oft bei                                   aber verzichten – die Bilder
meinen Revierausflügen und                                      und Szenen sollen für sich
Touren. Entstanden ist so                                       sprechen. Nur das wohl be-
»Ruhrgebiet 2019«. Da ich                                       kanntes Bergmannslied, die
2019 oft in Bottrop und Kirch-                                  Hymne des Revier – unser
hellen unterwegs war, um das                                    »Glückauf der Steiger kommt«
erste Jahr nach Schließung der                                  - habe ich als Musik in ver-
dortigen Schachtanlage Pros-                                    schiedenen Variationen unter-
per-Haniel zu filmisch doku-                                    legt. Im nächsten Jahr werde
mentieren, steht natürlich der                                  ich diese Reihe fortsetzen,
Bergbau mit all seinen Facet-                                   denn im Revier gibt es ja be-
ten im Mittelpunkt. So gibt es                                  kanntlich sehr viel zu sehen.

Leidenschaftlicher Aquarellist: Helmut Manfreda
   Auch an seinem Ehrentag wird Helmut Man-      da künstlerisch weiter. Arbeitete in verschiede-
freda einige Zeit in seinem kleinen Atelier in   nen Techniken und Materialien. So schuf er
Holthausen verbringen. An seinem Geburtstag      unzählige Landschaften, Porträts und Abstrak-
sind es aber vermutlich nur wenige Augenbli-     tes in Öl, Acryl und Aquarell. In den 1970er-
cke, denn die Schar der Gratulanten wird groß    Jahren zeichnete der kreative Feuerwehrmann
sein. Der bekannte und                                              auch tagesaktuelle Karika-
vielseitige Herner Künstler                                         turen für heimische Print-
feierte im Januar nämlich                                           medien. Mittlerweile hat sich
seinen 80. Geburtstag.                                              Helmut Manfreda aber ganz
   Schon früh entdeckte der                                         dem Aquarell verschrieben.
gelernte Bauhandwerker                                              Im Laufe der vergangenen
seine Liebe zur Kunst – er                                          Jahrzehnte beteiligte sich
zeichnete und malte. Kurz-                                          der Holthausener, der auch
zeitig wechselte der Holt-                                          einige Jahre lang den
hausener in die Bauverwal-                                          Kunstverein Schollbrock-
tung der Harpener Bergbau                                           haus als Vorsitzender führ-
AG. »Einmal musste ich so-                                          te, an unzähligen Gruppen-
gar in 1.000 Meter Tiefe in                                         und Einzelausstellungen.
einem Schacht von Mont-                                             Auch dem Historischen
Cenis arbeiten,« erinnert                                           Verein Herne-Wanne-Eickel
sich der Jubilar, der danach                                        gehört der Jubilar an. Hier
zur Herner Berufsfeuerwehr                                          ist unter anderem sein Rat
wechselte. Dort war er auch                                         als Experte für die heimi-
bis zu seiner Pensionierung                                         sche Kunst und Holthausen
tätig. Parallel dazu entwi-                                         sehr gefragt.
ckelte sich Helmut Manfre-                                                     Friedhelm Wessel

        Der Bote im April 2020                                                         5
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Das Leben in der Kolonie der Zeche Friedrich der Große 3/4

                                  von Heinrich Anton Behrendt

   Nach dem 1. Weltkrieg wur-      hier näher beschreiben. Einge-    ten »Mutterklotz«.
den immer mehr Arbeiter im         denk der Tatsache, dass man          An jeder Haushälfte war ein
Bergbau gebraucht, weshalb         den Arbeitern keinen so gro-      Stall angebaut, in dem auch
es große Werbeaktionen vor         ßen Lohn zahlen wollte oder       die Plumpstoilette unterge-
allem in Ostdeutschland und        konnte, sollte Haus, Garten       bracht war. Im Stall hielt man in
Polen gab. So kamen auch vie-      und Stall in der Lage sein auch   der Regel ein Schwein, das im
le Polen nach Herne-Horst-         für die Ernährung zu sorgen.      Herbst geschlachtet wurde.
hausen. Für die erste Zeit wur-    Und man war bei der Planung       Außerdem Kaninchen und oft
den sie im Ledigenheim unter-      sehr sorgfältig, auch die Miete   gab es auch einen selbst ge-
gebracht, das wir »Bullenklos-     war entsprechend niedrig.         bauten Hühnerstall. Im geräu-
ter« nannten. Aber dann ka-           Das Haus bestand aus zwei      migen Dachboden brachten
men die Familien nach oder         Hälften, mit zwei Eingängen       einige Bergleute auch ihre
die Ledigen fanden die richtige    und einem kleinen Hof an jeder    Brieftauben unter. Der Garten
Frau und alle brauchten eine       Seite. Für eine Familie standen   war groß genug für den Anbau
Wohnung. Schon bald reichten       vier Zimmer zur Verfügung, in     von Kartoffeln, vielen Gemüse-
die Wohnungen für die vielen       der Regel als Küche, Wohn-        und Obstsorten.
Bergleute und ihre Familien        zimmer und zwei Schlafzimmer         Zusammen mit Fleisch und
nicht mehr aus. Die Berg-          genutzt. Im Keller befanden       Wurst vom Schwein, dem
werksgesellschaft baute wegen      sich eine Waschküche und ein      Fleisch von den Kaninchen
der Wohnungsnot in den             Kellerraum. Jeder Arbeiter er-    und den Eiern von den Hüh-
1920er und 1930er Jahren           hielt kostenlos ausreichend       nern war man gut versorgt.
eine neue Kolonie nahe der         Kohlen für den Winter, die au-    Margarine, Brot, Zucker, Salz,
Zeche Friedrich der Große. Es      ßer den Kartoffeln im Keller      Mehl usw. holte man sich vom
gab Wohnhäuser verschiede-         eingebunkert wurden. Die Hei-     Kaufmann.
ner Größe. Ein Typ stach dabei     zung war also kostenlos. Zum         Der Obst- und Gemüseh-
besonders hervor.                  Anzünden der Öfen brachte         ändler Neugebauer rief immer
   Diesen Typ, in dem auch ich     der Bergmann seiner Frau          laut: Ȁpfel, Birnen, Tomaten,
groß geworden bin, möchte ich      Brennholz mit; den sogenann-      Erbsen, Wurzeln, Kartoofeln!«,

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Der Bote - Historischer Verein Herne ...
mit einem ganz langen »ooo«           Ein weiteres
zum Schluss. Und wenn dann         großes Treiben gab
der Gaul seine »Äpfel« fallen      es, wenn wir Sau-
ließ, dann musste ich diese für    erkraut machten.
unseren Garten aufsammeln.         Dazu konnte man
   Der Milchmann brachte je-       sich eine große
den Morgen frische Milch und       Reibe ausleihen,
die war nicht, wie heute »pas-     auf der die Kohl-
teurisiert«, oder »länger halt-    köpfe über die
bar«. Auf einem Teller in den      Messer gerieben
Keller gestellt gab es Dickmilch   wurden. Das gab
mit einer gelben Schicht oben      riesige Mengen ge-
drauf. Darauf noch etwas Zu-       schnittenen Kohl.
cker, lecker. Versucht das mal     Der Kohl wurde
heute mit der behandelten          dann mit Salz in
Milch.                             einem Holzfass
   Nicht vergessen wollen wir      eingebracht, bis
den »Klüngelkerl«, der mit sei-    dieses Fass bis
nem Wagen durch die Straßen        oben gefüllt war.
fuhr und auf einer kleinen         Dann machte man
Blechflöte eine Melodie blies,     noch Druck von
                                                         © Miele & Cie. KG
die ich heute noch im Ohr          oben, legte eine
habe. Alles, was man an Abfall     Holzplatte oben drauf und dar-            Blutwurst brauchte man gutes
hatte oder fand: Lumpen, Ei-       auf noch einen Stein. Nach                Wissen über die besten Kräu-
sen, andere Metalle usw. konn-     langer Lagerung war das Sau-              ter. Auch die Mettwurst wurde
te man ihm bringen und bekam       erkraut fertig und wir konnten            i m m e r l e c k e r. B e s t i m m t e
als Kind dafür ein kleines         den ganzen Winter davon le-               Wurst, Schinken und Specksei-
Spielzeug oder ein paar Pfen-      ben.                                      ten mussten geräuchert wer-
nige.                                 Ähnlich ging es zu, wenn wir           den. Sie kamen danach in
   Es gab Lebensmittelge-          Rübenkraut machten. Die Rü-               Stoffsäcke und hingen oben im
schäfte, einen Metzgerladen        ben mussten klein gehäckselt              Flur an der Decke. Ein wun-
und eine Wirtschaft »Kasino        werden und wurden dann in                 derbarer Duft zog durch das
Stegmann«. Eine Bank gab es        einem Kessel gekocht, bis                 Haus.
nicht. War auch nicht nötig,       Rübenkraut daraus entstand.                  Außer kochen und putzen
denn die Bergleute bekamen         Man musste immer wieder die               konnte die Mutter aber auch
eine Lohntüte mit ihrem Geld.      Masse umrühren und wir Kin-               schneidern, stricken, stopfen,
Ein großer oder kleiner Teil       der halfen dabei. Das reichte             häkeln, sticken und Vieles
blieb gleich beim Kasino           dann für ein Jahr.                        mehr. Ein alter Mantel vom
Stegmann, denn die staubigen          Obst wurde oft eingemacht              großen Bruder wurde ausein-
Kehlen mussten angefeuchtet        oder zu Marmelade verarbeitet.            ander getrennt auf die andere
werden.                            Mein Vater stellte auch Obst-             Seite gedreht und daraus ein
   Es war schon erstaunlich        wein selbst her. Dazu stand ein           Mantel für den kleinen Bruder
was unsere Väter und Mütter in     Weinballon Gärbehälter in der             gefertigt.
dieser Zeit geleistet haben.       Küche in dem es immer ge-                    Wenn bei uns Waschtag
Heute ist alles so einfach.        heimnisvoll blubberte. Der so-            war, nahm die Arbeit für Mutter
Wenn man etwas braucht, geht       genannte Beerenwein war be-               immer überhand und wir halfen
man einkaufen. Das konnte          rühmt für den schweren Kopf               auch dabei mit. Die Wäsche
man sich damals nicht leisten.     am nächsten Tag.                          wurde mit der Hand, Seife und
Selbst ist der Mann und selbst        Die meisten Einmachgläser              Bürste gewaschen. Später hat-
ist die Frau war angesagt. Na-     brauchte man für das Fleisch              ten wir eine hochmoderne
türlich mussten die Erzeugnis-     vom Schwein, das wurde fertig             Waschmaschine. Die arbeitete
se des Gartens verarbeitet         gegart eingemacht. Man                    aber nicht mit Strom, sondern
werden und einiges wurde           brauchte gute Kenntnisse, um              mit Wasserdruck. Es war das
auch davon für den Winter in       die verschiedenen Wurstsorten             Modell 40 der Firma Miele. Zu
Gläsern eingemacht.                zu machen. Für die Leber- und             seiner Zeit das Modernste, was

        Der Bote im April 2020                                                                          7
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auf dem Markt war. Die Me-        Natürlich bekamen wir Kinder        (Pneumokoniose), die keine
chanik war erstaunlich. Das       unsere Haare zuhause mit der        lange Lebenserwartung zuließ.
Wasser machte Druck auf den       Haarschere vom Opa geschnit-        Ich habe ein Bild von einem
Kolben oben auf der Wasch-        ten. Wenn die Schuhe abge-          42jährigen, ehemaligen Berg-
maschine, der fuhr also hin       latscht waren, dann wurden sie      mann vor Augen, wie er alle
und her. Das wurde dann in        vom Vater besohlt. Aber Schu-       paar Schritte an unserem Zaun
eine Drehung umgeleitet und       he waren nur für Sonntags.          stehen blieb und erst wieder
die hölzernen Paddel im innern    Ansonsten liefen wir im Winter      Luft holen musste. Und nicht
drehten sich hin und her. So      mit Holzschuhen und im Som-         lange danach ging der Trauer-
wurde die Wäsche hin und her      mer barfuss.                        zug durch unsere Straße.
bewegt und kam ganz sauber            Alle Schreinerarbeiten             Beliebt waren bei uns Kin-
heraus. Dann hatten wir eine      machte unser Vater selbst. So-      dern Spiele mit Knickeln (Mur-
kleine Mangel, die ich meistens   gar die komplizierteste Ecken-      meln). Die aus Ton gebrannten
bediente. Die presste das         verzahnung hatte er drauf.          Kugeln wurden mit der Hand
Wasser aus der Wäsche.            Auch jede Art von Metallarbeit      geschnippt, so dass sie gegen
   Die großen Wäschestücke        kam bei ihm vor. Er konnte          einen anderen Knickel stießen
wie Bettwäsche, Tischtücher       wunderbar löten. Wenn der Va-       und diesen in ein Loch beför-
usw. kamen zur Mangel. Keine      ter etwas zu Hause bastelte,        derten. Für das Spiel mit dem
Heißmangel wie heute. Stellt      brauchte er dazu Material.          Peitschendop (Kreisel) benö-
Euch einen riesigen Kasten        »Das haben wir auf der Zeche        tigte man außer dem Dop noch
vor, der mit großen Steinen be-   zufällig gefunden«, erzählt         eine selbst gefertigte Peitsche.
lastet war. Den konnte man mit    mein Bruder Willi. Wir fuhren       Das Band an der Peitsche
einer großen Kurbel bedienen.     mit dem Leiterwagen (Hand-          wurde um den Dop gewickelt
Unter dem großen Kasten wa-       wagen) zur Zeche und holten         und dann mit Schwung gezo-
ren große Holzrollen mit einem    offiziell Abfallschwarten. Das      gen. Dann kreiselte der Peit-
langen Tuch drum herum. In        war erlaubt, aber unter diesen      schendop auf glatter Fläche.
dieses Tuch legte man die Wä-     Schwarten versteckten wir Holz      Weitere Schläge mit der Peit-
sche und drehte diese auf die     zum Basteln aus der Schreine-       sche hielten ihn in Drehung
Rolle. Die Rollen kamen unter     rei und Eisen aus der Schlos-       und man konnte auch Figuren
den Kasten und durch die Kur-     serei.                              mit dem
bel rollte der riesige Kasten         Viele Väter die Übertage tä-    D o p m a-         Über den Autor:
über die Rollen bis die Wäsche    tig waren, ließen sich ihr Mit-     chen.            Heinrich Anton Beh-
darin völlig geplättet war.       tagessen von der Frau an das           Wir Kin- rendt, 91 Jahre, Kapi-
   Wir Kinder wurden einmal in    Tor der Zeche bringen. Bei uns      der spiel- tänleutnant a. D.,
der Woche in ei-                            war es die Aufgabe        ten oft im ehemaliger Büroleiter
ner Zinkwanne                                der Kinder, dem Va-      Wäldchen, des MA-Stabes bei
gebadet. Das                                 ter das Essen im         oder tob- der Deutschen Bot-
Wasser wurde                                 Henkelmann in das        ten am Ha- schaft in Tokio, Japan.
vorher auf dem                               Kesselhaus bringen,      fen, bauten Geboren im Herner
Herd in der                                  denn er durfte aus       uns wilde F e l d h e r r e n v i e r t e l
Waschküche er-                               Sicherheitsgründen       Flöße und (Horsthausen), auf-
wärmt. Ich als                               das Kesselhaus nicht     s c h i p p e r- gewachsen in der Ko-
letztes Badekind                             verlassen.               ten kreuz lonie Friedrich der
bekam kaltes                                 Die Bergleute vor Ort    und quer G r o ß e 3 / 4 , Vo n -
Wasser. Denn es                              bekamen ja guten         im Hafen B u r g s d o r ff - S t r a ß e .
gab kein frisches                            Lohn und später          h e r u m , Jetzt lebt er in Flens-
Wasser für jedes                             auch eine hohe Ren-      s p r a n g e n burg.
Kind und dann                                te. Aber wiegte das      von der
war das Wasser                               die Nachteile der Ar-    Mauer und
auch schon et-                               beit auf? Wer wirklich   tauchten
was trüber.                                  täglich dem Staub im     so weit es
   Es war schon erstaunlich       Stollen ausgesetzt war, der war     ging.
was unsere Mütter und Väter       oft mit vierzig Jahren schon In-
alles konnten und machten.        valide. Das war die Staublunge

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Der Bote - Historischer Verein Herne ...
»Tausendmal erzählt…«

                                   Auch Hans Tilkowski schrieb           Scherz gemeint war? Seine
                                   wohl damals in mein Auto-             Gesprächspartner waren je-
                                   grammheft. Als das 1966er-            denfalls irritiert, unterschrie-
                                   WM-Endspiel in Wembley                ben. »Aber sie haben doch
                                   angepfiffen wurde, verfolgte          schon          ein       Buch
                                   ich zusammen mit meinem               geschrieben«, warf ich ein.
                                   B r u d e r Wa l t e r, m e i n e m   »Til« grummelte etwas und
                                   Freund und heutigen Schwa-            unterschrieb schließlich die
                                   ger Helmut, das Match auf             Karte.
                                   einem Campingplatz im nie-               2016, es stand der 50.
                                   derländischen Katwijk. Wir            Jahrestag des berühmten
                                   drückten natürlich unserem            Wembleytores an. Ich erin-
                                   Herner »Til« die Daumen.              nerte mich an zwei Bottroper,
                                   Dann das verhängnisvolle              die damals hautnah in Lon-
                                   Tor. »Der war nicht drin«, er-        don im Stadion waren und
                                   zählte Hans Tilkowski danach          nahm nun Kontakt mit Marius
                                   wohl etliche Tausendmal.              Schneider aus Herne auf, der
                                      Erst vor etlichen Jahren           für das 3. WDR-Fernsehpro-
   Hans Tilkowski ist tot. Die-    kreuzten sich dann unsere             gramm arbeitet. Er fand die
se Nachricht machte Anfang         Wege in Herne. Nämlich dort,          Idee gut, lud Tilkowksi und
Januar schnell in Herne und        wo Hans Tilkowski seine ers-          die Bottroper Lipka und Paw-
anschließend in der gesam-         ten großen Erfolge feiern             lenka nach Herne ein. Dort
ten Fußballwelt die Runde.         konnte, im Stadion am                 fand dann im Stadion am
»Til«, wie der aus Dortmund        Schloss. Hier wurde ein Fuß-          Schloss ein Dreh statt. Ich
stammende und in Herne le-         ballbuch vorgestellt. »Til« und       war natürlich dabei, schoss
bende Keeper von Freunden          andere ehemalige bekannte             einige Fotos. »Und wer sind
und Fans gerufen wurde, war        Kicker waren dazu eingela-            sie?«, wollte Hans Tilkowski
84 Jahre alt. In meinem Le-        den. So Siggi Held, Horst             schließlich wissen. »Ein alter
ben bin ich Hans Tilkowski         Bertram (BVB) und Klaus               Fan…« antwortete ich wahr-
mehrfach begegnet. Zwei            Fichtel (S04). Aber »Til« saß         heitsgemäß. Eine Stunde
dieser Treffs liegen erst we-      diesmal nicht in der ersten           lang stand Hans Tilkowski an
nige Jahre zurück. Anpfiff:        Reihe, sondern verfolgte das          diesem Tag vor der WDR-
Ende der 1950er-Jahre pil-         Geschehen, im Türrahmen               Kamera und erzählte zum
gerte ich, wie damals viele        des Westfalia-Vereinshauses           Tausendsten mal die Ge-
H e r n e r, z u m P l a t z a m   stehend. Es war seltsam,              schichte des wohl berühmtes-
Schloss Strünkede. Dort            kaum einer kannte »Til«, oder         ten Fußballtores der Welt.
kämpfte unsere Westfalia um        wagte es, ihn anzusprechen.           Und ohne jeglichen Einwände
den Titel des Deutschen            Danach traf sich das Trio Til-        und Bedenken ließ sich »Til«
Fußballmeisters. Die Mann-         kowski/Held/Fichtel zu einem          abschließend sogar mit mir
schaft, es waren unsere Hel-       fußballerischen Gedanken-             fotografieren - eine versöhnli-
den, stand sogar in dieser         austausch. Ich aber wagte es          che Geste.
Zeit lebensgroß als Foto im        nun, die drei Legenden, um
Schaufenster des damaligen         Autogramme zu bitten. Wäh-
Textilkaufhauses Sinn, auf         rend Held und Fichtel sofort
der Bahnhofstraße. Doch zu-        die Einladungskarte zur
rück zu Tilkowski und Co. Na-      Buchvorstellung unterschrie-
türlich sammelte ich auch Au-      ben, zierte sich der 34malige
togramme, aber irgendwann          Nationaltorhüter. »Wenn ich
verlor ich wohl den Spaß           schreiben könnte, wäre ich
daran, den Stars der damali-       nicht Fußballer geworden«,
gen Kickerelite nachzujagen.       antwortete er. Ob es als

         Der Bote im April 2020                                                               9
Der Bote - Historischer Verein Herne ...
Blick vom Stellwerk Nwt II in Richtung Norden auf den Kohlenbansen. Rechts ist das markante Geäude der Güterabferti-
gung Wanne-Eickel Hbf zu erkennen. Im Hintergrund sieht man einen Teil der Ladestraße mit zeitgenössischen Lastkraft-
wagen. Weiter dahinter erkennt man das Dach des Empfangsgebäudes, mit dem markanten Uhrenturm.

       Das Bahnbetriebswerk Wanne-Eickel Hbf in den 1950er Jahren
                                         Die Geschichte zum Titelbild

        Der Bahnhof Wanne-Eickel Hbf      Bereich der Reichsbahn und spä-        feld Süd, Gelsenkirchen-Bismarck
    (früher: Wanne) liegt an der von      teren Bundesbahn. Was lag da           und Dortmund Rbf beheimateten
    der Köln-Mindener Eisenbahn-Ge-       näher, als auch in Wanne ein so-       Dampflokomotiven, waren sie im
    sellschaft errichteten Eisenbahn-     genanntes Bahnbetriebswerk (ab-        Einsatz vor schweren Zügen zur
    strecke, von Köln-Deutz über          gekürzt: Bw) für die Wartung und       Versorgung der Stahlwerke mit Erz
    Oberhausen, Gelsenkirchen, Her-       Behandlung von Dampflokomoti-          und Hüttenkoks und zur Versor-
    ne, Dortmund und Hamm nach            ven zu errichten. Bis zur Elektrifi-   gung der zahllosen Steinkohle-
    Minden. Mit der Eröffnung der Ei-     zierung der Köln-Mindener-Strecke      kraftwerke mit Kraftwerkskohle.
    senbahnstrecke nach Münster und       im Jahr 1961 (die abzweigende              Werfen wir einen Blick in das
    weiter über Osnabrück und Bre-        Strecke bis Münster folgte im Jahr     Bw Wanne-Eickel Hbf in den
    men nach Hamburg, im Jahr 1870,       1965), waren hier die Dampfloko-       1950er Jahren. Es fällt auf, dass
    wurde der Bahnhof Wanne zum           motiven die vorherrschende Trak-       sich die Anlagen des Bahnbe-
    Eisenbahnknotenpunkt. Er entwi-       tionsart im Güter- sowie im Perso-     triebswerks nicht auf eine Stelle im
    ckelte sich nach dem 1. Weltkrieg     nenverkehr. Die beim Bw Wanne-         Bahnhofsbereich konzentrierten,
    zum größten Rangierbahnhof im         Eickel Hbf stationierten Dampflo-      wie es bei den oben erwähnten
    mittleren Ruhrgebiet. Der Bahnhof     komotiven waren seit Ende des 2.       Nachbar-Bw der Fall war. Vielmehr
    verfügte, neben der Anlage für den    Weltkriegs, bis zur Einstellung des    erstreckte sich das Bw Wanne-Ei-
    Personenverkehr, über einen           Dampfbetriebs im Jahre 1976, fast      ckel Hbf über insgesamt drei Stel-
    »zweiseitigen« Rangierbahnhof mit     ausschließlich im Güterverkehr         len im Bereich der weitläufigen
    Ost-West- und West-Ost-System,        sowie im örtlichen Rangierdienst       Bahnhofsanlagen.
    über eine gesonderte Anlage für       eingesetzt. Zusammen mit den bei           Den größten Bereich nahmen
    Eilgüter und über eine der größten    den Bahnbetriebswerken Duis-           die Anlagen im Bereich der Ul-
    Umladeanlagen für Stückgüter im       burg-Wedau, Oberhausen-Oster-          menstraße ein. Hier befand sich

        10                                                                         Der Bote im April 2020
Blick vom Stellwerk Nwt II in Richtung Osten auf den Besandungsturm vorn und dahinter den Kohlenbansen mit Bela-
dungskränen. Links, im Hintergrund, ist das Dach der großen Stückgut-Umladehalle zu erkennen.

      die Verwaltung des Bw nebst          Durchmesser. Ein Kohlenbansen             Die Anlagen im Bereich des
      Werkskantine. Statt eines üblichen   war auch vorhanden, insgesamt         ehemaligen Lokschuppens II exis-
      Ringlokschuppens mit Drehschei-      jedoch waren die Anlagen deutlich     tieren seit Jahren nicht mehr. Das
      be, bestand hier ein rechteckiger    kleiner dimensioniert als beim Lok-   Gelände hat sich die Natur Zug um
      Lokschuppen mit zwei innenlie-       schuppen I. Der Bereich war zu        Zug zurückerobert. Auf dem Ge-
      genden Schiebebühnen. Östlich        Fuß, über die noch heute vorhan-      lände des ehemaligen Lokschup-
      des Schuppens befanden sich um-      dene Unterführung zwischen Her-       pens II – der Wasserturm wurde
      fangreiche Lokbehandlungsanla-       ner Straße und Ackerstraße, zu        schon in den 1970er Jahren abge-
      gen, wie Kohlenbansen mit Lade-      erreichen.                            brochen, erinnert ebenfalls nichts
      kränen, Besandungsturm, Feuer-            Unmittelbar an der Herner        mehr an das frühere Bahnbe-
      löschgruppe und Wasserkränen,        Straße, im Bereich der Unterfüh-      triebswerk. Hier befinden sich heu-
      sowie eine Drehscheibe mit 23 m      rung zur Ackerstraße befanden         te Anlagen der DB Netz AG. Die
      Durchmesser. Die Anlagen wurden      sich die Anlagen des Lokschuppen      Anlagen im Umfeld des ehemali-
      von einem Wasserturm mit Kugel-      III. Auch hier bestand ein Ringlok-   gen Lokschuppen I wurden, nach
      behälter und der Aufschrift „Wan-    schuppen mit einer Drehscheibe        Auflassung der Dampflokunterhal-
      ne-Eickel Hbf« überragt. Aufgrund    von 23 m Durchmesser. Ferner          tung, umfangreich umgestaltet.
      seiner Dimensionen war der Was-      waren die üblichen Lokbehand-         Hier können heute Diesellokomoti-
      serturm weithin erkennbar und        lungsanlagen wie Kohlenbansen         ven und Diesel-Triebwagen be-
      somit quasi eine Wanner Land-        und Besandungsturm vorhanden.         tankt werden.
      marke.                               Zur Herner Straße befindet sich
          Mitten im großen Bahnhofsge-     eine noch heute vorhandene
      lände, umgeben vom Einfahrbe-        Stützmauer. Unmittelbar an der
      reich des Ost-West-Systems im        Stützmauer befand sich ein Was-
      Norden und dem Ausfahrbereich        serturm mit Kugelbehälter und der
      des West-Ost-Systems im Süden,       Aufschrift „Wanne-Eickel Hbf“, der
      lag der Lokschuppen II. Es handel-   ähnlich markant war wie der Was-
      te sich um einen Ringlokschuppen     serturm im Bereich des Schuppens
      mit einer Drehscheibe von 23 m       I.                                                    Michael Thomasen

            Der Bote im April 2020                                                                       11
Einmal Bundesliga...

   Wenn sich Herner über alte
Fußballzeiten unterhalten, fal-
len oft die Namen Tilkowski,
Benthaus, Cieslarzyk und
Pyka. Für sie ging einst ein
Traum in Erfüllung, denn sie
spielten in der 1. Bundesliga
und hinterließen dort ihre Spu-
ren. Für die ebenfalls aus Her-
ne stammenden Kicker Harry
Bohrmann, Siegfried Grams
und Christian Korek endete
dagegen einst das Abenteuer
»Bundesliga« nach nur einem
Spiel.
   Siegfried Grams (1942 —
2014) stammte aus Sodingen.
Jahrelang schnürte er für die
Grünweißen die Fußballschuhe
u n d s c h a ff t e A n f a n g d e r
1960er-Jahre sogar den
Sprung in die Erstvertretung,
die damals in der Oberliga
West, einer der höchsten
Spielklassen, antrat. Bei der
benachbarten Westfalia führte
in jenen Tagen der »Eiserne
Fritz«, Fritz Langner, das Re-
giment. Als ihm ein Traineran-
gebot aus Mönchengladbach
unterbreitet wurde, nahm er es
an. Auch SVS-Stürmer »Siggi«
Grams folgte dem »Eisernen«
                                           Harry Bohrmann
in den »Fohlenstall«.
   Hier konnte sich Grams aber
nicht durchsetzen. Denn am               ligen Knappenelf stand auch       nem Stammverein RSV 1970
Bökelberg tummelten sich                 eine Herner Fußballlegende:       zu TB Eickel. Hier wurde der
schon damals etliche Talente.            Alfred Pyka, der für Westfalia    damalige VfL Bochum-Coach,
Als Fritz Langner dann in Re-            Herne, 1860 München, Schal-       H e r m a n n E p p e n h o ff , a u f
vier, nach Schalke wechselte,            ke und danach wieder für die      Bohrmann aufmerksam und
ging Grams erneut mit. Am 5.             Strünkeder kickte. Grams setz-    holte ihn an die Castroper
März 1966 stand Siggi Grams              te seine Laufbahn danach in       Straße. Als sich am 25. Sep-
jedoch erstmals in der Knap-             Marl-Hüls und Meinerzhagen        tember 1971 der damalige
penelf. Gegner von S04 war               fort. Seinem Sodingern hielt er   Stammtorhüter Jürgen Bradler
Werder Bremen. Sein Gegner:              aber immer die Treue.             verletzte, musste der 19-jähri-
»Eisenfuß« Horst-Dieter Hött-                                              ge Bohrmann ab der 40. Minu-
ges, den Grams bereits aus                  Der FC Bayern München          te den VfL-Kasten sauber hal-
seiner Mönchengladbacher                 spielte in den Fußballleben von   ten. In der 50. Spielminute
Zeit kannte. Es war ein                  Harry Bohrmann und Christian      konnte sich der Holthausener
schlechter Tag für den damals            Korek entscheidende Rollen.       dann auch bewähren, als er
24-Jährigen Sodinger. S04                Bohrmann, 1952 in Holthausen      einen Elfmeter des Münchener
ging mit 6:1 unter. In der dama-         geboren, wechselte von sei-       Torjägers Gerd Müller parierte.

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Die Bayern gingen trotzdem
als Sieger vom Platz. Sie ge-
wannen mit 2:0. Am nächsten
Spieltag war Jürgen Bradler
wieder fit und Bohrmann ver-
ließ zwei Jahre später den VfL,
um für den RSV Holthausen
und BV Herne-Süd zu spielen.
Danach war der Herne noch
lange als Sportfotograf im Re-
vier unterwegs.

   Ausgerechnet die Bayern.
Es ist die Lieblingsmannschaft
des gebürtigen Herners Chris-     Gerhard, Koslowski, Sigi Grams, Senger und Erlhoff
tian Korek, der seine fußballe-
rische Laufbahn in Horsthau-      kam er wieder nach Verl zu-           ger zur Westfalia, um danach
sen begann und über Westfalia     rück, wo er seit einigen Jahren       über Lüdenscheid, DSC Wan-
Herne zum 1. FC Nürnberg          lebt und arbeitet. Einer seiner       ne-Eickel zu Hannover 96 zu
führte. »Tiger« Hermann Ger-      Arbeitskollegen: Ulf Raschke,         wechseln. In der zweiten Bun-
land, heute in Diensten des       der einst ebenfalls nur ein BL-       desliga kam Kosien, der einst
deutschen Rekordmeisters aus      Spiel für den BVB absolvierte.        in der Schalker Jugend, zu-
München, holte den Herner                                               sammen mit den späteren
damals nach Franken. Am 10.           Zweimal Bundesligaluft            Bundesliga-Akteuren Abramc-
Juni 1989 schickte Trainer Ti-    schnupperte dagegen der aus           zik und Bruns kickte, auf im-
ger Gerland den damals 24-        Sodingen stammende Roland             merhin 100 Einsätze.
Jährigen in der 67. Minute in     Kosien, der 1972/73 für Schal-
der Begegnung gegen den FC        ke 04 kickte. Der damalige S04
Bayern aufs Feld. Sein Gegen-     – und spätere Goldin-Coach,
spieler: Klaus »Auge« Augen-      Irvica Horvath, setzte den 1953
thaler. Nürnberg gewann zwar,     geborenen Kicker bei BL-Be-
aber Korek hatte keine Zukunft    gegnungen gegen den VfL Bo-
mehr in Franken. Über Mep-        chum und den 1. FC Köln ein.
pen, Verl, Beckum und Herne       Danach wechselte der Sodin-                          Friedhelm Wessel

Sigi Grams in Meinerzhagen                          Christian Korek

         Der Bote im April 2020                                                              13
Das Stadtarchiv stellt sich vor:
                   ISG - Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen

   Das Institut für Stadtge-      über einen umfassenden Zei-       den Findmitteln behilflich. Die
schichte (ISG) ist die zentrale   tungsbestand sämtlicher loka-     Einsicht der Archivalien ist
Einrichtung der Stadt Gelsen-     ler Tageszeitungen seit 1903.     ausschließlich im dafür vorge-
kirchen zur Erforschung und       Es befinden sich zudem die        sehenen Benutzerraum im In-
Präsentation der Stadtge-         von 1951 bis 1996 vom Pres-       stitut für Stadtgeschichte er-
schichte. Es besteht seit dem     seamt erstellten Stadtfilme in    laubt. Eine Ausleihe der Archi-
1. September 1989. Ihm ob-        den Archivbeständen. Diese        valien ist nicht möglich. Die
liegt die wissenschaftliche Er-   sind beeindruckende Doku-         Benutzung des Archivs ist
forschung, Aufbereitung und       mente der Zeitgeschichte, die     grundsätzlich entgeltfrei. Be-
Präsentation von Stadtge-         den Alltag, die Freuden und       sondere Leistungen seitens
schichte, insbesondere am         Sorgen der Menschen in Gel-       des Archivs und die Anferti-
Beispiel der Ruhrgebietsstadt     senkirchen zeigen. Auch Fami-     gung von Reproduktionen sind
Gelsenkirchen. Zum Institut für   lienforschern bietet das Stadt-   jedoch kostenpflichtig und
Stadtgeschichte zählen die Be-    archiv wichtige Quellen. Bei      werden entsprechend der der-
reiche Stadtarchiv, historische   schriftlichen Anfragen erhalten   zeit geltenden Gebührenord-
Forschung und Beratung sowie      Genealog_innen Informationen      nung berechnet.
die Dokumentationsstätte          sowohl aus den Adressbüchern
»Gelsenkirchen im Nationalso-     ab 1888 als auch aus den Ein-     Auf der Suche nach den Vor-
zialismus«.                       wohnermeldekarteien der Stadt     fahren
                                  Gelsenkirchen und ihrer Vor-        Im Institut für Stadtgeschich-
Bestände                          läufergemeinden.                  te stehen dem Familienfor-
   Das Archiv verwahrt etwa                                         scher im Wesentlichen zwei
5.000 Regalmeter Akten, Fil-      Benutzung und Service             Quellen zur Verfügung: Zum
me, Karten, Pläne und Zeitun-        Das Stadtarchiv steht allen    Einen sind dies die Adressbü-
gen aus der städtischen Ver-      interessierten Bürgerinnen und    cher der Stadt Gelsenkirchen
waltung seit der frühen Neu-      Bürgern zum Besuch offen. Die     und ihrer Vorläufergemeinden
zeit, schwerpunktmäßig jedoch     Einsichtnahme in das Archivgut    (ab 1888), zum Anderen die
erst seit dem 19. Jahrhundert.    erfolgt im Rahmen der Öff-        Einwohnermeldekarteien der
Die Bestände des Stadtarchivs     nungszeiten des Stadtarchivs      Stadt Gelsenkirchen und ihren
lassen sich in zwei große         (abweichend von den Service-      Vorläufergemeinden.
Gruppen unterteilen. Dem          zeiten des Instituts für Stadt-
Schriftgut und anderen Mate-      geschichte!) bzw. nach vorhe-     Recherche und Quellen
rialien aus der städtischen       riger Terminabsprache. Gerne         Die Benutzung von Archiv-
Verwaltung steht das Samm-        können Sie telefonisch einen      und Bibliotheksgut im Stadtar-
lungsgut gegenüber, das aus       Besuchstermin vereinbaren.        chiv Gelsenkirchen ist grund-
verschiedenen Quellen erwor-      Die Mitarbeiterinnen und Mit-     sätzlich entgeltfrei. Recher-
ben wurde. Eine Bibliothek mit    arbeiter des Stadtarchivs ha-     chen zur Familienforschung
ca. 8.000 Bänden zur Ge-          ben so die Möglichkeiten, Ihren   und Erbenermittlung aus der
schichte Gelsenkirchens, des      Besuch im Stadtarchiv optimal     Einwohnermeldekartei, können
Ruhrgebietes und Westfalens       vorzubereiten und lange War-      nur von Mitarbeitern des Insti-
steht als Präsenzbestand          tezeiten zu vermeiden. Gerne      tuts für Stadtgeschichte durch-
ebenfalls für die Besucher_in-    sind sie Ihnen außerdem bei       geführt werden und sind daher
nen bereit. Es verfügt daneben    der inhaltlichen Recherche in     kostenpflichtig. Es gelten die

     14                                                              Der Bote im April 2020
Sätze der aktuellen Benut-
zungs- und Gebührensatzung
für das Institut für Stadtge-
schichte Gelsenkirchen. Auf-
grund der zahlreichen Anfra-
gen zur Familienforschung und
Erbenermittlung ist mit einer
längeren Bearbeitungszeit zu
rechnen. Die Auskünfte werden
grundsätzlich in deutscher
Sprache erteilt. Vorab wird vom
Institut für Stadtgeschichte
eine Zustimmung zur Kosten-
übernahme nach der aktuell
geltenden Gebührenordnung
eingeholt. Seit dem 1. Januar      Alt trifft Neu: Im modernen Wissenschaftspark Gelsenkirchen befindet sich
2019 gilt ein neues Personen-      das ISG. Foto: ISG
standsgesetz, das die Überga-      fangreichen Zeitungsbestand.         werden. Auf Grund der unzu-
be der Personenstandsregister      Seit 1903 sind sämtliche Aus-        reichenden Qualität des vorlie-
von den Standesämtern an die       gaben von verschiedenen loka-        genden Archivmaterials hat
kommunalen Archive regelt.         len Tageszeitungen vollständig       das Institut für Stadtgeschichte
Dementsprechend hat das            archiviert. Die meisten Zeitun-      die Anfertigung von Zeitungs-
Stadtarchiv die folgenden Per-     gen sind sowohl im Original als      kopien vorübergehend einge-
sonenstandsregister vom            auch als Mikrofilm (oder Mikro-      stellt. Die ausgewiesenen Zei-
Standesamt Gelsenkirchen           fiche) vorhanden.                    tungsbestände können jedoch
übernommen:                           Folgende Zeitungen befin-         auch weiterhin in den Räum-
Geburtsregister von 1874-1909      den sich im Bestand des ISG:         lichkeiten des ISG eingesehen
Heiratsregister von 1874-1939                                           werden. Im Hinblick auf die
Sterberegister von 1874-1989       Vor 1945                             begrenzte Anzahl an Lesegerä-
                                   Emscherzeitung 01.1876 bis           ten vor Ort, wird um telefoni-
   Sammelakten wurden nicht        31.12.1904                           sche Absprache eines Be-
übernommen.                        Die Gelsenkirchener Zeitung:         suchstermins gebeten.
   Eigene Recherchen in den        02.01.1902 bis 30.06.1940;
Registern, durch die Benutze-      Nachfolgezeitung "Westfäli-
rinnen und Benutzer, sind aus      scher Beobachter": 01.07.1940         Übersicht:
konservatorischen Gründen          bis 19.03.1945
nicht möglich. Aus denselben       Die Gelsenkirchener Allgemei-
Gründen können auch keine          ne Zeitung: 01.12.1903 bis
Fotokopien angefertigt werden.     31.08.1944                            ISG - Institut für
Das Institut für Stadtgeschichte   Die Buersche Zeitung:                 Stadtgeschichte
bearbeitet schriftliche Anfragen   19.05.1909 bis 30.06.1945             Wissenschaftspark
bei Vorlage konkreter Geburts-,    Nach 1945                             Munscheidstraße 14
Heirats- oder Todesdaten ent-      Die Westdeutsche Allgemeine           45886 Gelsenkirchen
sprechend der Gebührenord-         Zeitung: seit dem 03.04.1948
nung des Instituts für Stadtge-    Die Buersche Zeitung:                 Telefon +49 (209) 169-8551
schichte Gelsenkirchen und         22.10.1949 bis 31.12.1971             isg@gelsenkirchen.de
erstellt Kopien oder beglaubig-    Emscherbote 10.1980 bis
te Kopien durch digitale Re-       02.1984                               Öffnungszeiten:
produktionen aus den Regis-                                              Montag bis Donnerstag
terbänden.                         Bestellung von Zeitungsko-            08:30 bis 15:30 Uhr
                                   pien
Lokalpresse seit 1903                 Zeitungskopien von verfilm-        Freitag
  Das Stadtarchiv Gelsenkir-       ten Zeitungsbeständen können          08:30 bis 12:30 Uhr
chen verfügt über einen um-        derzeit leider nicht angefordert

        Der Bote im April 2020                                                                 15
Der Engel von Sodingen
          Leben und Wirken der Lehrerin Emilie Engel in Zeiten der Not. (1915 -1926)
                                           von Gerd E. Schug

                                                 Ihre sich schon        Schulschwestern Unserer Lie-
                                                 früh zeigenden         ben Frau in Arnsberg. Ihre Ein-
                                                 Selbstzweifel          satzfreude verwendete sie je-
                                                 mussten in ihr die     doch nicht bloß in eigenen In-
                                                 Frage aufkommen        teressen, sondern mit hohem
                                                 lassen, ob sie sei-    Engagement vertrat sie als
                                                 nen Tod hätte ver-     Klassensprecherin die Belange
                                                 hindern können. In     ihrer Mitschülerinnen vor den
                                                 späterer Zeit,         Lehrautoritäten.
                                                 1917, fiel ihr Bru-       Emilie vertiefte ihre von
                                                 der Josef im Felde;    Haus aus mitgebrachte Reli-
                                                 eine weitere Lei-      giosität zusehends. Mit nach-
                                                 derfahrung in der      lassender Einbindung in die
                                                 Familie.               familiäre Gebetspraxis schloss
                                                 Nachdem sie am         sie sich mehreren Gebetsver-
                                                 30. April 1905 die     einigungen, meist mariani-
                                                 Erste heilige          scher Prägung, an. So bereits
                                                 Kommunion in der       1909 der Marianischen Kon-
                                                 Antoniuskapelle in     gregation, 1911 der Erzbruder-
                                                 Iseringhausen          schaft v. Heiligsten Herzen
                                                 empfangen hatte,       Jesu, 1915 als Mitarbeiterin
                                                 wurde sie am 2.        der Pallotiner und 1918 der
                                                 September 1908 in      Ehrenwache Mariens, dem
                                                 ihrer Taufkirche ge-   ewigen Rosenkranz-Apostolat
                                                 firmt. Dieses Jahr     der göttlichen Liebe. Dieser
                                                 sollte eine Wei-       Zug zur Vereinsbildung mit
                                                 chenstellung in ih-    Mehrfachmitgliedschaften ist
                                                 rem Leben bedeu-       auch im katholischen Bereich
                                                 ten, denn sie wi-      durchaus zeittypisch. So sind
Herkunft, Kindheit und Aus-         dersetzte sich den Eltern, wel-     für unsere Heimatpfarrei Peter
bildung                             che Emilie auf dem Hof halten       und Paul für diese Zeit im Jah-
   Emilie Engel wurde am 6.         wollten und die Vorstellung         re 1913 bspw. 25 Vereine vom
Februar 1893, als viertes von       hatten, ihr Aufgaben in der         Kindheit-Jesu-Verein bis zum
insgesamt 12 Kindern, auf ei-       Hausarbeit zu überantworten.        Immerwährenden Kreuzweg,
nem Bauernhof in Husten, im         Emilie jedoch wollte Lehrerin       mit insgesamt 5666 Mitglie-
Kreis Olpe geboren. Zwei Tage       werden, wohl angeregt durch         dern belegt. Emilie Engel will
später empfing sie die Taufe in     das Beispiel zweier älterer         heilig werden. So schreibt sie
der ehemaligen Zisterziense-        Schwestern, die sich bereits in     1920 in ihr Tagebuch. Auffällig
rinnenklosterkirche St. Cle-        der Lehrerinnenausbildung be-       ist, dass sie sich jeweils an
mens, in Drolshagen. Das El-        fanden. Das mit dem Lehrerin-       Eck- und Wendepunkten ihres
ternhaus war, nicht untypisch       nenberuf damals verbundene          Lebens, jedenfalls in neuen
für das Sauerland, streng reli-     Pflichtzölibat nahm sie dafür       Lebenssituationen, einem
giös, was sich z.B. daran zeigt,    gerne in Kauf, zumal sie sich       neuen Verein eintritt. Man
dass die Familie das gemein-        auch mit der Frage nach einer       sieht, dass Emilie Engel noch
same Gebet pflegte. Als             Klosterberufung beschäftigt         Suchende ist, ihren Platz noch
Frucht wurden in späterer Zeit      hatte. Sie setzte sich mit muti-    nicht gefunden hat.
insgesamt vier Schwestern           gen Geist und ihrer zähen              Doch zurück zum Ausbil-
Schönstätter Marienschwes-          Westfalennatur, wie sie von         dungsgang. An die Höhere
tern.                               sich selbst sagte, gegen ihre       Töchterschule anschließend,
   1904, als Emilie 11 Jahre alt    Eltern durch und kam 1908 für       bereitete sie sich zwei Jahre
war, starb ihr kleiner Bruder       ein Jahr auf die höhere Töcht-      auf der Königlichen Seminar-
Albert, mit nur fünf Monaten.       erschule bei den Armen              Präparandie auf die Lehrerin-

     16                                                                  Der Bote im April 2020
nenausbildung vor. Diese drei
jährige Ausbildung erhielt sie
ebenfalls in Arnsberg im dor-
tigen Königlichen Lehrerin-
nenseminar. Nach dem Ab-
schluss, 1914, war sie bis
1915 Schulamtsbewerberin
bei Neuss, um schließlich im
gleichen Jahr ihre Stelle an
der Marienschule, eine Volks-
schule an der Händelstraße
in Sodingen anzutreten, die
sie über elf Jahre inne hatte.

Die Not der Zeit von 1916                                                        Marienschule, Sodingen
bis 1926
   Bevor wir im Leben Emilie
Engels weitergehen, wollen wir      Streiks, als Protest gegen den     Russland, Polen und Übersee
kurz die Not der Bevölkerung        Hunger. Kriegsküchen lindern       importiert wurden, waren diese
im Ruhrgebiet, im betrachteten      die Not, bis auch dort Le-         ausgefallen. Nun versucht man
Zeitraum, beschreiben. Die          bensmittelmarken abgegeben         im Umland zu tauschen. Das
Entbehrungen in allen Berei-        werden müssen. Die Kirchen         Gold und der Schmuck, der
chen der Lebensführung gin-         frohlocken in dieser Zeit. Die     noch nicht zur Finanzierung
gen über die — arbeitende —         Gottesdienste werden gut be-       des Kriegs abgegeben wurden
Bevölkerung in mehreren Wel-        sucht, wird doch zum Teil ge-      (»Gold gab ich für Eisen«), wird
len hinweg. Vereinfacht lassen      predigt: »Wer die General-         nun den Bauern angeboten.
sich folgende drei Notzeiten        beichte ablegt und zur Ge-         Diese Nutzen die Gunst der
unterscheiden:                      neralkommunion geht, der           Stunde und verlangen für ein
   Zum einen die Not während        kommt sofort in den Himmel,        Pfund Butter 30 Mark, also
des ersten Weltkrieges. Waren       wenn ihn der Heldentod trifft.«     den Lohn dreier Wochen einer
die Lebensmittel beispielswei-         Im Steckrübenwinter 1917        Gleisbauerin (z. B. 1,90 Mark
se bereits ab dem Jahre 1915        ist die Versorgung mit Textilien   für 12 Stunden Arbeit in einer
nur auf Karten erhältlich, reich-   und Brennmaterial völlig zu-       Gleisbaurotte). Außerdem ge-
te der Sold und der Verdienst       sammengebrochen. Die Le-           ben sie die Ernteflächen und
der arbeitenden Frauen, die oft     bensmittelrationen decken nur      Erträge falsch an, um auf dem
nur den halben Lohn ihrer           noch die Hälfte des Energie-       lukrativeren Tauschmarkt mehr
männlichen Kollegen beka-           bedarfs. So bekommen viele         Gewinn aus der Not erzielen
men, nicht aus, so dass bei-        Bergleute nur 25g Margarine        zu können. Gewinne aus dem
spielsweise die Bergleute der       pro Woche, da ihnen der Sta-       Krieg erzielte aber auch Krupp.
Zechen 4% ihres ebenfalls           tus als Schwer- und Schwerst-      Bei 900 Millionen Mark Um-
kargen Lohnes für die betref-       arbeiter verweigert wird. Die      satz mit Kriegsgütern erzielte
fenden Familien spendeten.          Lebensmittel sind häufig un-       er einen Gewinn von 400 Mil-
Den Angestellten der Stadt          genießbar, die notwendige Sei-     lionen Mark, finanziert durch
und des Staates wurden im           fe überteuert: Die Inflation be-   »Gold für Eisen« und Kriegsan-
Vergleich dagegen für die           ginnt bereits. Brot wird mit Sä-   leihen der Bevölkerung. Was
Dauer des Kriegsdienstes 50%        gemehl und Rinde gestreckt,        diese wohl nicht wusste:
des Gehaltes zum Sold hinzu-        die Familien sammeln Buch-         Durch Lizenzabkommen mit
kommend weitergezahlt. Da           eckern und Eicheln, um zu          dem englischen Rüstungsher-
die wegen der Abwesenheit           überleben.                         steller Vickers bekam Krupp
der Familienväter arbeitenden          Wegen des Mangels an            für jeden gefallenen deutschen
Mütter sich nicht mehr um die       Brennstoffen im Kohlenrevier        Soldaten an der englischen
Erziehung der Kinder kümmern        werden für die Bevölkerung         Front 3 Pfd. Sterling Lizenzge-
können, verwahrlosen zahl-          Wärmehallen gebaut. Der            bühr …
reiche Kinder.                      Schwarzmarkt blüht auf. Denn          Die Rezepte ihrer Hinter-
   Ab 1916 gibt es auf einigen      da die Lebensmittel des Ruhr-      bliebenen und der Arbeitsfami-
Zechen im Revier bereits            gebietes hauptsächlich aus         lien dieser Zeit weisen durch

         Der Bote im April 2020                                                            17
den Fleischwolf gedrehte Kar-        tikern eine Abspaltung der so-                gesamten Revier.
toffelschalen, Spinat aus             genannten »Rheinisch-Westfä-                      Nach einer Phase einer ge-
Brennnesseln oder Steck-             lischen Republik« vom Reich                   wissen politischen Ruhe, be-
rübenmarmelade, auch Hin-            betreibt, um den schädlichen                  setzen Belgische und Franzö-
denburgbutter genannt, auf.          Einfluss aus Preußen (Berlin                  sische Truppen 1923 das
Die Moral verfällt in dieser Zeit,   und Hafenstädte) auf die Ar-                  Ruhrgebiet, nachdem die Re-
notbedingt. In Essen wird der        beiterschaft einzugrenzen.                    parationsleistungen nicht im
Schlachthof geplündert, in Bo-           Unter dem Schatten der                    geforderten Umfang erbracht
chum das Bergmannsheil, um           drohenden Revolution, mit der                 worden waren. Mit den Solda-
Lebensmittel zu ergattern.           erstmalig erhobenen Forde-                    ten zogen auch wieder Hunger
   1918 streiken auf 31 Zechen       rung nach Sozialisierung des                  und Not ins Revier ein.
des Ruhrgebietes die Bergleu-        Kohlenbergbaus, gelang es                         Diese resultiert aus der Ab-
te für den Frieden, im August        den Gewerkschaften, die Sie-                  riegelung des besetzten Indus-
sind es 60.000. Viele werden in      ben Stunden Schicht durchzu-                  triegebietes vom agrarischen
der Folge mit 48stündiger Frist      setzen; doch der reale Lohn                   Umland. Die Bauern innerhalb
zum Militärdienst einberufen.        reichte nicht für die Existenz.               der Besatzungszone profitie-
Doch der ersehnte Waffenstill-        Inflation und Hunger blieb,                   ren wiederum vom Schwarz-
stand bringt keine Besserung,        Mangelkrankheiten wie Tuber-                  markt und dem Tauschhandel,
als er endlich eintritt. Die Not     kulose und Ruhr grassierten                   leiden aber auch selber unter
verschärft sich noch, der im         an der Ruhr.                                  Requirierungen und Plünde-
Kriege ausgebliebene Woh-                Die politische Lage bleibt                rungen durch die hungernde
nungsbau bringt Wohnraum-            angespannt. Die Bergleute                     Bevölkerung. Etwas gemildert
mangel und dazu kehren die           kämpfen für gerechten Lohn                    wird die Not durch die Einrich-
Truppen heim, welche dann            und erträgliche Arbeitsbedin-                 tung von Suppenküchen durch
keine Arbeit mehr finden, da         gungen, demonstrieren mit                     französisches Militär.
die Stellen von den halb ent-        120.000 Mann. Doch die de-                        Nebenbei sei bemerkt, dass
lohnten Frauen besetzt sind.         mokratisch gewählte Reichs-                   den Besatzern an einer weite-
Nur in der Montanindustrie           regierung läßt die Reichswehr                 ren Spaltung der Bevölkerung
gibt es noch Arbeitsplätze.          und Freikorps marschieren.                    gelegen ist; so unterstützen sie
   Damit sind wir in der Not         Immerhin gelingt es, 1919 den                 teilweise aktiv die Separatis-
der unmittelbaren Nachkriegs-        e r s t e n Ta r i f v e r t r a g a b z u-   ten, die eine nunmehr nur
zeit und den politischen Wirren      schliessen.                                   »Rheinische Republik« auch
dieser Tage angekommen, die              Als, zur Erfüllung der Repa-              mit Waffengewalt errichten
die zweite Notphase mit sich         rationsforderungen, wieder                    wollen.
brachte, im unmittelbaren An-        Überschichten gefahren wer-                       Der sogenannte passive
schluss an den Krieg. Im An-         den sollten und zeitgleich in                 Widerstand gegen die Beset-
schluss an die Meuterei der          Berlin der antidemokratische                  zung führt zu einem Rückgang
Flotte bildeten sich recht           Kapp-Putsch die Vorkriegs-                    der Produktion, was wiederum
schnell auch im Revier Arbei-        verhältnisse wiederherstellen                 die hohe Inflation in eine ga-
ter- und Soldatenräte, die die       wollte, formierten sich zur                   loppierende verwandelt. Die zu
drängendsten Probleme, näm-          Notwehr gegen die Freikorps                   hohen Preise führen darüber
lich die Sicherstellung der Er-      die Rote Ruhrarmee. Ein Ge-                   hinaus zu weiteren Streiks und
nährung der Bevölkerung, Auf-        neralstreik wurde ausgerufen.                 Massenaussperrungen, welche
rechterhaltung der Ordnung           Der folgende Bürgerkrieg im                   die Lage nur verschärfen. Ers-
und die Demobilisierung lösen        Revier mit zahlreichen Toten                  te unrentable Zechen werden
wollten. Doch wilde Streiks          brachte wiederum Not und                      geschlossen, was die Arbeits-
von revierweit bis zu 80.000         Elend für viele Familien. Ob-                 losigkeit verstärkt. Als 1925
Bergleuten, die eine die Inflati-    wohl im Anschluss die Reichs-                 die Besatzungstruppen wieder
on der Kriegsjahre ausglei-          regierung im Bielefelder Ab-                  abziehen, erhält das Ruhrge-
chende Entlohnung forderten,         kommen auf die Forderungen                    biet nun Zeit, seine Wunden
erschweren eine koordinierte         der Arbeiterarmee eingeht,                    heilen zu lassen. Doch die so-
Politik. Die Verwirrung einiger      lässt sie bei Waffenstillstand                 zialen Verwerfungen haben
Politiker dieser Zeit zeigt sich     sofort die Reichswehr mar-                    sich eher verfestigt, die Lager
am Projekt des Kölner Ober-          schieren, es kommt zu Er-                     radikalisieren sich …
bürgermeisters (Adenauer), der       schießungen von Arbeiterinnen
mit anderen Zentrumspoli-            und Arbeitern; über 2.000 im                    Ende 1. Teil.
      18                                                                            Der Bote im April 2020
Historischen Verein Herne / Wanne-Eickel e. V.
                                        www.hv-her-wan.de
                        Hiermit beantrage ich/beantragen wir die Aufnahme in den
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            Der Bote im April 2020                                                                                  19
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