Der "Spittel" in Großengottern - Ehemaliges Leprosorium einer Landgemeinde in Thüringen - Lepramuseum Münster ...
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Die Klapper 29, 2021 1 Mitteilungen der Gesellschaft für Leprakunde e. V. 29, 2021 Der „Spittel“ in Großengottern Ehemaliges Leprosorium einer Landgemeinde in Thüringen Zehn Kilometer südöstlich von Mühlhausen liegt keinem guten Zustand. Sie wurden deshalb in dieser Großengottern. Den Ort, früher ein befestigter Markt- Zeit neu errichtet. Und nach drei weiteren Jahrhunder- flecken, heute Sitz der Verwaltung der Landgemein- ten waren auch sie wieder vom schleichenden Verfall de Unstrut-Hainich, bevölkern etwa 2.500 Menschen. gekennzeichnet, der bald zum Einsturz der Gebäude Filmaufnahmen über ihren Heimatort führten 2011 geführt hätte. Veronika und Siegfried Klein auch zum „Spittel“. So Dies wollte Veronika Klein nicht erleben. Sie grün- nennt man hier das Ensemble der spätgotischen Ka- dete deshalb in Absprache mit dem damaligen Bür- pelle St. Andreas mit ehemaligem Hospital und Ne- germeister Thomas Karnofka und mit einigen Grün- bengebäuden. Es liegt an der in früheren Zeiten be- dungsmitgliedern 2012 den Förderverein „Spittel e.V. deutenden Landstraße von Erfurt nach Mühlhausen. Großengottern“. Eine Hürde musste noch genommen Das im 14. Jahrhundert aus Bruchsteinen errichtete werden: Das Spittel-Ensemble mit Kapelle, Hospital Kirchlein hat die Zeiten gut überdauert. Die schiefer- und Nebengebäuden gehörte der Milden Hopffgar- gedeckte barocke Haube des Turmdachs ist weithin tenschen Stiftung zu Mülverstedt, die von der Evan- sichtbar. Aber die damaligen Wohn- und Hofgebäude gelischen Kirchengemeinde St. Martini in Mülverstedt, des Hospitals waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts in einem Nachbarort, verwaltet wird. Großengottern, St. Andreas-Kapelle mit Spittel, Straßenseite
2 Die Klapper 29, 2021 Das Rittergeschlecht derer von Hopffgarten war seit Der Orts-Chronistin Ingrid Baumgardt und Veronika dem 12. Jahrhundert in Mülverstedt ansässig. Wie die Klein gelang es, 157 Bürger für die Mitarbeit im Ver- Sage berichtet, bekam die Familie Nachricht, dass ein ein zu gewinnen, eine gute Basis für die Rettung des Sohn während einer Fahrt ins Heilige Land gestorben Ensembles. Anerkennung für die durch den Spittel- sei. Als man jedoch erfuhr, dass der schon Totgeglaub- verein geleistete Arbeit war 2016 die Verleihung des te lebte, dass er sich auf dem Heimweg befand, eilte Denkmalpreises, dotiert mit 30.000 Euro, durch den die Familie ihm entgegen. Sie sollen sich vor Großen- Förderverein Denkmalpflege in Thüringen e.V. Hono- gottern an der Straße – beim heutigen Spittel – getrof- riert wurden auf diese Weise die zahlreichen Arbeits- fen haben. Aus Dankbarkeit über die Heimkehr ließ die einsätze, Benefiz- und Weihnachtskonzerte, Theater- Familie von Hopffgarten die Kapelle und ein Hospital aufführungen, Tanzabende, Sportveranstaltungen für errichten. Kinder, Flohmärkte, Buchlesungen und gemütlichen Beisammensein, die zur beachtlichen Beschaffung der Gesichert ist jedenfalls, dass im Hospital ab dem 14. notwendigen Eigenmittel führten. Das Ziel, die klei- Jahrhundert zunächst Leprakranke wohnten und ver- ne Kostbarkeit zu retten, hat viele Bewohner im Dorf sorgt wurden. Die Wilhelmiten aus Mülverstedt, ein zusammengeschweißt. Aber ohne die Hilfe der Deut- dort seit 1323 ansässiger Mönchskonvent, betreuten schen Stiftung Denkmalschutz hätten wir es nicht ge- die Leprakranken in Großengottern. Als die Lepra im schafft. 16. Jahrhundert zurückging, konnten sich alte allein- stehende Menschen hier einkaufen und im Hospital ih- ren Lebensabend verbringen. Die Raumaufteilung des im 18. Jahrhundert erbauten Spittels mit acht kleinen Wohn- und Schlafstuben dokumentiert bis heute diese Nutzung. 1927 wurde die letzte Hospitalitin auf dem hauseige- nen Friedhof bei der St. Andreas-Kapelle beigesetzt, und erst 1945 wurde das Gebäude wieder als Unter- kunft genutzt, und zwar für Kriegsflüchtlinge. Nach Auszug der letzten Bewohner 1962 öffnete hier ein Der Spittel in der Sanierung, 2018 Heimatmuseum seine Pforten. Ebenfalls 2016 erlangten die „Gotterschen“ den 2. Platz im Finale der Sendung des Mitteldeutschen Rundfunks „Mach dich ran Spezial“ im Wettbewerb gegen andere Denkmal-Teams. Hier erkämpften wir uns ein Preisgeld von 125.000 Euro, das von der Deut- schen Stiftung Denkmalschutz bereitgestellt wurde. Das große Interesse an unserem Denkmal, auch über die Ortsgrenze hinaus, die Unterstützung zahlreicher Spittelfreunde, die Bereitschaft, an der Lösung vie- ler Aufgaben aktiv mitzuwirken, eine große Zahl von Förderern, eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Gemeinde, mit unserer Architektin Cathleen Schott Der Spittel vor der Sanierung und mit Ines Gliemann von der Unteren Denkmal- schutzbehörde sowie die großzügige Unterstützung Mitglieder der Familie von Hopffgarten brachten im der Deutschen Stiftung Denkmalschutz stoppten den 16. Jahrhundert Teile ihres Vermögens wie Ländereien Verfall unseres wertvollen historischen Denkmals und und Waldbesitz in die Milde Hopffgartensche Stiftung machen es für die Nachwelt wieder erlebbar. ein, die bis heute vom Kirchenrat Mülverstedt verwal- tet wird. Ein Teil der Einkünfte sollte laut Satzung für Veronika Klein, Großengottern den Erhalt des Spittels verwendet werden. Da der Kir- chenrat von Mülverstedt nur wenig Interesse zeigte, sich für den Erhalt des Ensembles einzusetzen, erreich- ten wir nach eindringlicher Schilderung des drohen- den Verfalls 2013 den Abschluss eines Erbbauvertrags. Nun konnten endlich die so dringend notwendigen Restaurierungsarbeiten beginnen.
Die Klapper 29, 2021 3 Die Regelungen des sozialen Miteinanders in Leprosorien nach Statuten des 15. Jahrhunderts Wenn man über das soziale Miteinander innerhalb von Schwestern bezeichnet.5 Hingegen benennen die Sta- Leprosorien spricht, dann ist zu berücksichtigen, dass tuten des Trierer Leprosoriums Estrich von 1464 die die Leprösen oder Aussätzigen keine homogene Grup- Leprösen als Kinder,6 also Schutzbefohlene, während pe waren. Es muss unterschieden werden zwischen in den viel älteren Statuten des Soester Leprosoriums den institutionalisierten Leprösen mit einem festen zur Marbeke von 1277 von der Gemeinschaft der Le- Platz in einem Leprosorium einerseits und vagierenden prösen als societas, als Genossenschaft gesprochen Leprösen, die als Wanderbettler umherzogen und hier wurde.7 nicht untersucht werden, andererseits.1 Das Idealbild eines Leprosoriums war im 13. bis 15. Jahrhundert Weil die Leprosorien als geistliche Gemeinschaften gal- von einer bruderschaftlichen Lebensweise geprägt. Es ten, unterstanden sie vielfach dem zuständigen geistli- orientierte sich am Vorbild des klösterlichen Lebens in chen Gericht. Dies wird zum Beispiel in den ersten Sta- Demut, Keuschheit und Enthaltsamkeit.2 tuten von Trier St. Jost von 1448 beschrieben.8 Um ein geordnetes und friedliches Zusammenleben der inho- Die Leprosenbruderschaft war eine Gruppe von Lai- mogenen Gruppe, deren Zustandekommen auf dem en, deren Merkmale unter anderem in mündlich oder Zwang zur Absonderung aufgrund der Erkrankung schriftlich überlieferten Statuten, regelmäßigen ge- beruhte, zu ermöglichen, war es unumgänglich, Vor- meinsam eingenommenen Mahlzeiten und religiösen schriften für die verschiedenen Lebensbereiche eines Verrichtungen in einer speziellen Kirche bestanden.3 Leprosoriums aufzustellen. Sie sind meist in Form von Leprosorien konnten von einer Leprosenbruderschaft Statuten überliefert. In ihnen wurden das Zusammen- verwaltet werden. Den zweiten Statuten des Trierer leben der Bewohner und Bewohnerinnen, ihre Kon- Leprosoriums St. Jost von 1464 zufolge waren Mehr- takte mit der Außenwelt und ihre rechtliche Stellung heitsentscheidungen der Bruderschaft verbindlich.4 festgelegt.9 Viele Statuten wurzelten in mündlichen Auch andere Leprosorien, deren Statuten hier her- Traditionen, bevor sie schriftlich festgehalten wurden. angezogen werden, verstanden sich in einem weiter Es ist insofern davon auszugehen, dass die hier be- gefassten Sinn als Bruderschaften. In den ersten Sta- handelten Statuten bereits lange vor ihrer Datierung tuten des Trierer Leprosoriums St. Jost von 1448 wer- entstanden und mündlich aufgestellt worden sind, den die Bewohner und Bewohnerinnen als Brüder und worauf zum Beispiel in der Einleitung der Statuten des Das ehemalige Trierer Leprosorium St. Jost mit seiner Kapelle, aus: Uhrmacher 2011, S. 338
4 Die Klapper 29, 2021 Leprosoriums von Trier-Estrich von 1464 ausdrücklich sen.12 In Koblenz war der Schellenknecht ein städtisch hingewiesen wird.10 angestellter Verwalter des Leprosoriums, der mit seiner Frau und Gesinde mit im Leprosorium wohnte. Nach Zum sozialen Umgang finden sich in den Statuten wiederholten Beschwerden der Koblenzer Leprösen verschiedene Regeln, die das Verhalten der Leprösen gegen ihn wegen wiederholten Fluchens und unan- untereinander oder das Verhalten zwischen Leprösen gemessenen Umgangs mit ihm anvertrauten Almosen und Nichtkranken im Haus wie Knechte, Mägde, Ver- drohte ihm der Rat schließlich 1613 für den Wieder- walter betreffen. Als besonderes Thema findet sich holungsfall mit Absetzung. Weitere Beschwerden der immer wieder das Verbot sexuellen Umgangs. In den Leprösen vom „Sieggenberg“ (Siechenberg) folg- Statuten werden auch Strafen für Übertretungen ge- ten 1617. Wegen der überaus großen Unzucht und nannt, und aus den Statuten lassen sich typische Kon- Schand mit Fressen und Sauffen sollte nach Beschluss fliktregelungsverläufe nachzeichnen. des Rates die Frau des Schellenknechts bestraft wer- den. Wie die Sache weiterging, ist nicht bekannt.13 In den Ratsprotokollen der Stadt Koblenz finden sich Auch sind Anweisungen überliefert, wie sich die Le- aus dem frühen 17. Jahrhundert anschauliche Beispie- prösen den Autoritäten gegenüber verhalten sollten. le dafür, dass auch die Leprösen ein Recht hatten, von So wird in den Essener Statuten, vermutlich aus dem den Bediensteten des Leprosoriums angemessen und 15. Jahrhundert, ausdrücklich verlangt, dass die Be- freundlich behandelt zu werden. Demnach wandten wohner des Leprosoriums sich friedlich und gehorsam sich 1611 die Leprösen mit Beschwerden über den verhalten sollen, und zwar „auf dem Hof“, also inner- Schellenknecht an den Rat der Stadt.11 Der Schellen- halb der Hausgemeinschaft, und gegenüber Pastor knecht hatte den städtischen Dienstauftrag, für die und husmeister, dem weltlichen Verwalter. Bei Verstoß Bewohner des Leprosoriums von Haus zu Haus zu ge- drohte den Leprösen als Höchststrafe der Entzug ihrer hen, um Spenden der Bürger und Bürgerinnen einzu- Pfründe – des Wohn- und Versorgungsrechts –, was sammeln. Die Schellen kündigten sein Kommen an. den Hausverweis bedeutete.14 In den zweiten Statuten Er war auch Küster und sogar Totengräber der Leprö- des Leprosoriums Trier St. Jost von 1464 ist ähnlich Statuten des Leprosoriums der Stadt Münster von 1558 mit Überarbeitungen, Doppelseite mit Artikeln 16-20, Stadtarchiv Münster, Armenhaus Kinderhaus, Akten 177
Die Klapper 29, 2021 5 festgelegt, dass die Leprösen dem sogenannten Mom- In Artikel 13 ist genau geregelt, wie bei Zwietracht und per (Vormund) – dem Hofmeister in der Doppelfunkti- Streitereien der Leprösen untereinander vorgegangen on, Vertreter der Bewohner und zugleich Verwalter des werden sollte. Da der Momper im Joster Leprosorium Leprosenhofes zu sein15 – gehorsamspflichtig waren. auch eine schlichtende Funktion hatte, sollten Konflik- Bei Verstoß gegen diese Regel waren sechs Weißpfen- te ihm und allen anderen der Leprosengemeinschaft nige an den Momper zu zahlen und als Kirchenbuße von den Beteiligten vorgetragen werden, um gemein- zwei Pfund Wachs an die Kirche. Kam der Ungehor- sam eine Lösung zu finden. Damit sollte vermieden same dieser Zahlungspflicht nicht nach, drohte das werden, dass Beschwerden oder Klagen aus dem Lep- Einbehalten der Pfründe – hier nicht Wohnrecht, son- rosorium nach außen getragen wurden, sei es an die dern Verpflegung – bis zur Zahlung der Strafe. Für je- Abtei, an den Amtmann oder an hochstehende Freun- den einzelnen Verstoß wurden Strafzahlungen fällig, de oder Verwandte der Streitenden. Dies verdeutlicht es gab keine Sammelstrafe oder Veränderung in der zudem die eingeschränkte rechtliche Position eines Höhe bei mehreren Verstößen.16 Leprösen, der bei rechtlichen Angelegenheiten grund- sätzlich einen Vormund benötigte, der ihn vertrat. Erst Zum Umgang der Bewohner und Bewohnerinnen ei- wenn der von Momper und Leprosengemeinschaft nes Leprosoriums untereinander finden sich zahlreiche erfolgte Urteilsspruch einer der streitenden Parteien Regelungen in den Statuten. Die Notwendigkeit sol- nicht ausreichte, konnte der Streitfall in zweiter Ins- cher Regeln wird zum Beispiel nach dem Einleitungs- tanz dem Trierer Abt von St. Maria ad martyres vor- text der Statuten des Leprosoriums Trier St. Jost 1448 getragen werden, dies aber aufgrund seiner minderen damit begründet, dass es immer wieder und über ei- rechtlichen Stellung nicht vom Kläger selbst, sondern nen langen Zeitraum Zwietracht und Auseinanderset- vom Momper und den „Ältesten“ des Leprosoriums zungen unter den Leprösen gegeben habe.17 als Vertreter. Die Entscheidung des Abtes war end- gültig. Weitere Instanzen, insbesondere auswärtige Eine sehr ausführliche Darstellung der Regeln zum Zu- Klagen, waren ausgeschlossen, vor allem, weil die Ein- sammenleben, der Strafen, aber auch des Verfahrens, beziehung weiterer Gerichte die Selbstverwaltung als mit dem Streitigkeiten gelöst werden sollten, findet zentrales Merkmal einer Leprosenbruderschaft und die sich in den zweiten Statuten des Leprosoriums Trier Souveränität des für sie zuständigen Abtes in Frage ge- St. Jost von 1464. Artikel 11 legt fest, dass bei verbalen stellt hätten.20 Auseinandersetzungen ein Insasse, der einen anderen beleidigt oder anders in der Ehre verletzt hat, seine Sollte dennoch etwas über die Klage nach außen drin- Anschuldigungen beweisen können muss. Kann er sie gen, indem die Beteiligten außerhalb darüber spra- nicht belegen, ist er zur öffentlichen Widerrufung und chen, drohte nach Artikel 14 der Statuten ein Entzug zur Entschuldigung auf seinen Knien verpflichtet, und der Pfründe und auch der Verlust allen Besitzes, den zwar vor dem von ihm unrechtmäßig Beschuldigten der so Bestrafte mit in das Leprosorium eingebracht und allen Bewohnern und Bewohnerinnen des Lepro- hatte. Insbesondere galt dies für jemanden, der durch soriums. Die Strafe war die Zahlung je eines Guldens seine Klage den Leprosenhof in Verruf brachte.21 an den Abt und an die Bewohnergemeinschaft, von zwölf Weißpfennigen an den Amtmann von Pfalzel Erweitert wurde diese Vorschrift in Artikel 16, der und von drei Pfund Wachs an die Kapelle. Wenn der festlegte, dass nichts Unwahres außerhalb des Lep- Bestrafte zugleich Mitglied in der Kommission für die rosoriums über das Leben und die dort stattfindende Lepraschau war, wurde er von der Schau ausgeschlos- Lepraschau gesprochen werden durfte. Nach einer Zu- sen. Auch hier drohte bei Nichtzahlung ein Entzug der widerhandlung waren je ein Gulden an den Abt und Pfründe bis zur Begleichung der Strafe.18 an die Gemeinschaft zu bezahlen sowie zwei Pfund Wachs an die Kapelle.22 Ähnlich wurde laut Artikel 12 bei Handgreiflichkeiten und Wunden verursachenden Körperverletzungen ver- Außerdem war es den Bewohnern laut Artikel 21 unter- fahren. In diesen Fällen war der Täter beim Amtmann sagt, die Entscheidungen, die beim oben beschriebe- in Pfalzel statt der Geldstrafe der 12 Weißpfennige zur nen Ablauf getroffen wurden, nach außen zu tragen, sogenannten groysßen buesße verpflichtet, deren Aus- oder sie untereinander heimlich oder verleumderisch gestaltung allerdings nicht genauer definiert wird. Die zu erörtern, sonst drohten ebenfalls Entzug von Pfrün- zu leistenden Zahlungen an Abt, Insassen und Kapel- de und Wohnung. Diese Strafe konnte jedoch abge- le blieben aber unverändert. Neben dem Entzug der wendet werden, wenn der Rat der Insassen dies ent- Pfründe drohte bei Nichtzahlung der Strafe zusätzlich schied. Sie wurde dann abgemildert in die Zahlung das Vorenthalten des Scherers, der vermutlich für die von zwölf Weißpfennigen an die Gemeinschaft und Wundversorgung zuständig war, so dass dem Bestraf- drei Pfund Wachs an die Kapelle. Säumige Zahler soll- ten also der Zugang zur medizinischen Versorgung ten wie auch bei den anderen Strafen von der Lepra- verwehrt wurde.19 schau ausgeschlossen werden.23
6 Die Klapper 29, 2021 Wie die Statuten des Trier Leprosoriums St. Jost gehen Eine ähnliche Regelung ist in den Joster Statuten zu auch die Statuten des Leprosoriums Trier Estrich von finden. Dort ist sie allerdings für beide Geschlechter 1464 auf das Zusammenleben der Leprösen ein und formuliert, indem sie die sexuelle Beziehung sowohl nennen Strafen bei Verstößen. Sprach einer der Be- zu Mägden als auch zu Knechten untersagt. Martin wohner dem anderen seine Ehre ab oder verleumdete Uhrmacher, der die Statuten ausführlich analysiert hat, ihn, dann musste er diese Vorwürfe beweisen können nimmt für die Estricher Statuten einen konkreten Fall oder es drohte ihm im Anschluss an den geforderten an, der zur Aufstellung der dortigen Regel geführt hat. Widerruf der Anschuldigungen die hohe Strafe von Als Strafe wird auch in den Joster Statuten die Zahlung vier Gulden, die an den Abt des Klosters, dem das des Jahresgehalts und auch die Anstellung eines neuen Leprosorium unterstellt war, gezahlt werden muss- Bediensteten festgelegt.29 Eine weitere Regelung findet te.24 Wurde durch einen Bewohner ein Aufruhr oder sich in den im ausgehenden 15. Jahrhundert entstan- handgreiflicher Streit verursacht, betrug die Strafe ei- denen Statuten des Euskirchener Leprosoriums Mari- nen Gulden. Wenn dabei jemand so schwer verletzt enholz. Hier gab es offensichtlich Einzelhäuser für die wurde, dass eine blutende Wunde entstand, gab es Leprösen, und es ist festgelegt, dass in jedem Haus nur noch zusätzliche Strafen. Einerseits musste der Täter ein Lepröser wohnen darf. Zwei Leprösen ist es verbo- alles erstatten, was er vorher im Leprosorium inner- ten, gemeinsam in einem Bett zu liegen.30 halb von einem Jahr und sechs Wochen erhalten hat- Insgesamt zeigt sich, dass die Bestimmungen, die das te, und auch die Geldstrafe von vier Gulden zahlen, Zusammenleben innerhalb eines Leprosoriums in den andererseits konnte ein Richter noch eine zusätzliche, Statuten regelten, meist konfliktorientiert waren. Sie vom internen Strafmaß des Leprosoriums unabhängi- betreffen meist besondere Themen und Situationen ge Strafe verhängen.25 mit hohem Konfliktpotenzial, die, wenn sie nach außen dringen würden, dem Ruf des Leprosoriums und seiner Jeden Streitfall sollten die Beteiligten dem Momper Stellung als einer bruderschaftlich selbstverwalteten und den anderen Bewohnern des Leprosoriums vortra- Gemeinschaft schaden könnten. Zudem ist aufgrund gen, um gemeinsam zu einer Einigung zu finden, wie von Formulierungen wie in den Estricher Statuten, dass auch im Joster Leprosorium. Auch hier sollte die Sache, es ähnliche Regelungen schon vorher gegeben habe, wenn keine Lösung zu finden war, schließlich dem Abt auch wahrscheinlich, dass es in den Leprosorien ältere vorgetragen werden. Im Gegensatz zu St. Jost durften Hausordnungen oder Statuten gab, die entweder nicht in Estrich die Streitparteien ihr Anliegen selbst schil- erhalten sind oder vor der Verschriftlichung nur münd- dern. Zudem war es, obwohl es eigentlich untersagt lich weitergegeben wurden. Die schriftlich überliefer- war, weitere geistliche oder weltliche Gerichte zu be- ten Regelungen machen wahrscheinlich, dass es in den teiligen, über eine Ausnahmegenehmigung auch mög- Leprosorien zu Konflikten und Streit gekommen ist. lich, den Fall an Zuständigkeiten außerhalb des Lep- rosoriums klären zu lassen. Dies dürfte aber nur sehr Julia Lüken, Münster selten vorgekommen sein, da das Bemühen stark war, alle Streitigkeiten im Leprosorium und vom Abt klären 1 Vgl. Uhrmacher, Martin: Lepra und Leprosorien im rheinischen Raum vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (Beiträge zur Landes- und zu lassen. Wenn der vorgeschriebene Weg nicht einge- Kulturgeschichte 8 / Publications du CLUDEM, 36), Trier 2011, S. 56. Uhrmachers Arbeit war die Grundlage für diesen Artikel. halten wurde, waren zwei Pfund Wachs an die Kapelle 2 Vgl. ebd., S. 165. zu bezahlen. Der Fall musste dann doch vor den Mom- 3 Vgl. ebd., S. 123 und 135. 4 Vgl. ebd., S. 123, 126, 135 und 148. per oder in der zweiten Instanz vor den Abt gebracht 5 Vgl. ebd., S. 135. werden.26 Sexuelle Beziehungen waren im Leprosori- 6 Vgl. ebd., S. 153. 7 Vgl. ebd., S. 123. um nicht erlaubt. So legten die Estricher Statuten fest, 8 Vgl. ebd., S. 134. dass kein Bewohner des Leprosoriums sich sexuell mit 9 Vgl. ebd., S. 114, 118 und 160. 10 Vgl. ebd., S. 135 und 153. anderen Personen einlassen durfte. Bei Zuwiderhand- 11 Vgl. ebd., S. 115. 12 Vgl. ebd., S. 114f. lung drohten Hausverweis und Besitzverlust. Die Regel 13 Vgl. ebd., S. 115. der sexuellen Enthaltsamkeit galt auch für gemeinsam 14 Vgl. ebd., S. 129. 15 Vgl. ebd., S. 126. dort lebende Ehepaare, die zu getrennten Schlafstel- 16 Vgl. ebd., S. 144f. len verpflichtet waren, jedoch betrug die Strafe für sie 17 Vgl. ebd., S. 135. 18 Vgl. ebd., S. 145. nur einen Goldgulden, wenn sie dennoch gemeinsam 19 Vgl. ebd. 20 Vgl. ebd., S. 145f. schliefen.27 Ebenfalls festgelegt ist in Artikel 6 dieser 21 Vgl. ebd., S. 146. Statuten, dass kein Lepröser eine sexuelle Beziehung zu 22 Vgl. ebd. 23 Vgl. ebd., S. 58 und 148. einer Dienstmagd eingehen durfte. Falls dies doch ge- 24 Vgl. ebd., S. 146. schah, wurde die Magd vom Leprosenhof verwiesen. 25 Vgl. ebd., S. 154 und 159f. 26 Vgl. ebd., S. 153f. Der Lepröse hatte sodann das Jahreseinkommen einer 27 Vgl. ebd., S. 160. Dienstmagd in die gemeinsame Kasse des Leprosori- 28 Vgl. ebd., S. 156. 29 Vgl. ebd., S. 146 und 156. ums zu zahlen und zudem eine neue Magd zu finden.28 30 Vgl. ebd., S. 165.
Die Klapper 29, 2021 7 Hagioskope in der Basilika des Klosters Knechtsteden In einem kurzen Aufsatz im Mitteilungsblatt des För- Teilweise finden sich mehrere Hagioskope in einer Kir- dervereins für das Missionshaus Knechtsteden berich- che (Jankrift, wie Literaturliste Nr. 11, p 2; Nöldeke, tet Stephan Großsteinbeck über einen Anruf einer Nr. 19, pp 24-25). In ihrer Form sind sie sehr unter- Kirchenhistorikerin, die ihn auf Hagioskope an der Ost- schiedlich. Oft sind sie viereckig. Manchmal scheinen seite der Klosterbasilika hinwies, die sie auf einem Foto nur wenige Steine in der Mauer zu fehlen, so dass das erkannt hatte. Großsteinbeck vergleicht sie mit Schieß- wie ein Schaden in der Kirchenwand wirkt, oder als ob scharten. Seine bisherigen Erklärungen zu diesen klei- man einige Steine herausgebrochen hätte. Viele haben nen Fenstern waren, dass dort gebeichtet wurde und die Form eines schmalen, auf der kurzen Seite stehen- der Beichtende, der draußen stand, nicht das Böse in den Rechtecks, so dass sich der Gedanke an Schieß- die Kirche trug. Auch sollten die Fenster Nebenaltäre scharten aufdrängt. Es gibt fünfeckige Hagioskope mit erhellen. Die Expertin wies ihn darauf hin, dass derarti- einer Spitze oben, manche haben oben einen Rundbo- ge Fenster auch dazu dienten, Exkommunizierten und gen, andere sind rund, und es gibt kreuzförmige Ha- Leprakranken die Möglichkeit zu geben, die heiligen gioskope. Manche sind schmucklos, andere gleichen, Handlungen zu sehen, woher der umgangssprachli- auch wenn sie klein sind, in Form und Gestaltung den che Ausdruck „Lepraspalte“ rührt (Großsteinbeck, wie großen Kirchenfenstern. Viele sind mit einem Fenster Literaturliste Nr. 6). versehen, das oft nachträglich eingebaut wurde. Weil Hagioskope nicht mehr benötigt wurden, mauerte man sie häufig zu, und man kann ihre Lage oft nur noch an den Steinen, die sie umrahmten, erkennen oder an der unterschiedlichen Färbung der verwende- ten Steine. Basilika des Klosters Knechtsteden von Osten Hagioskop, Pönitenziarfenster, Lepraspalte Das Wort Hagioskop ist griechisch und bedeutet das Heilige schauen. Mit diesem Wort wird ein kleines Fenster oder eine Öffnung in der Kirchenmauer be- Hagioskop 2 der Basilika des Klosters Knechtsteden, zeichnet, durch die die Heilige Messe und vor allem Südturm, Ostseite die Eucharistiefeier gesehen und gegebenenfalls auch gehört werden können. Ein Hagioskop musste von Menschen benutzt werden, die die Kirche nicht be- Theologischer Hintergrund treten durften. Dazu gehörten der Ausschluss aus der Anschauen einer Heiligen Messe hat in der katholischen Gemeinschaft der Gläubigen (Exkommunikation) als Theologie eine tiefe Bedeutung. „Für die Teilnahme an Kirchenstrafe – lateinisch poena (Buße, Strafe) – sowie der Eucharistie reicht bereits das visuelle Mitverfolgen das Leiden an einer ansteckenden Erkrankung, zum der Wandlung aus.“ (Ihli, Stefan: Faxantwort auf Mail- Beispiel der Lepra, daher der Ausdruck Lepraspalte. anfrage vom 18.02.2021). Daraus entwickelte sich die Eine Vielzahl von Abbildungen findet sich bei Wikipe- heute noch übliche eucharistische Anbetung bei der dia unter dem Stichwort Hagioskop (Website Hagio- Aussetzung des Allerheiligsten in der Monstranz. Sie skop, wie Literaturliste Nr. 41). Weitere Abbildungen steht in der Tradition der geistlichen oder geistigen zeigen Jankrift (wie Nr. 11), Just (Nr. 12), Nöldeke (Nr. Kommunion, die als außerordentliche Form der Kom- 18–20), Reiff (Nr. 32) und Schmidt (Nr. 35). munion gilt und sich in der Theologie seit Thomas
8 Die Klapper 29, 2021 Südportal, im Hintergrund vermauertes Hagioskop 4, Vermauertes Hagioskop 4, Südliches Querhaus, Westseite Südliches Querhaus, Westseite von Aquin (1225–1274) findet. Zu seiner Zeit wurde ministeriale der Kongregation für die Glaubenslehre von den bekennenden Sündern eine längere Bußzeit 1983, vom Hl. Papst Johannes Paul II. in Ecclesia de eu- verlangt. Wegen strenger Vorschriften für den Zutritt charistia 2003 und vom Päpstlichen Rat zur Förderung zur Kommunion wurde nicht bei jeder Eucharistiefeier der Neuevangelisierung 2015–2016 (ebd.). kommuniziert (ebd.). Thomas von Aquin spricht vom votum sacramenti, dem Verlangen nach dem Sakra- Historischer Hintergrund ment. Wer die tiefe Sehnsucht nach der Kommunion Wenn in der Lepraschau durch den Leprosenmeister, hat, aber eine Heilige Messe nicht besuchen kann, durch Ärzte oder ein Gremium von Leprakranken und auf Grund einer Krankheit, Verfolgung oder Nichtver- Ärzten bei einem Menschen die Erkrankung festge- fügbarkeit, kann diese im Gebet empfangen. In der stellt wurde, erfolgte dessen Aussonderung aus der Augenkommunion findet sich eine weitere Form der Gesellschaft. War der Leprakranke Bürger einer Stadt, kontaktfreien Kommunion. Die Elevation (das Hochhe- erfolgte die Unterbringung im Leprosorium dieser ben durch den Priester) wie die Aussetzung der Hostie Stadt. Wenn es sich um einen kleinen Ort handelte, in der Monstranz ermöglichen die eucharistische An- bei dem es kein Leprosorium gab, wurde manchmal betung. Eine Wiederbelebung erfährt diese Form der gestattet, in Ortsnähe eine Hütte zu errichten, in der Kommunion in unserer Zeit in Folge der Einschränkun- der Kranke leben durfte (leprosi in campis – Feldsie- gen durch die Corona-Pandemie, zum Beispiel in der che). Schlimmstenfalls blieb dem Kranken das Land- Münchner Kapuzinerkirche St. Anton (Hartmann, wie streicherleben (vagierende Leprose). Er durfte dann Literaturliste Nr. 9). maximal zwei Nächte in einem Leprosorium als Gast Im Artikel „Geistliche Kommunion“ in Kathpedia heißt verbringen, meistens war es aber nur eine Nacht, die es: „Die geistliche Kommunion (manchmal auch geis- ihm zugestanden wurde. tige Kommunion oder Begierdekommunion, lat.: com- Leprosorien ähnelten in Architektur, Organisation und munio spiritualis) ist das von lebendigem Glauben an Hierarchie einem Kloster. In vielen Leprosenordnungen Christi Gegenwart im Allerheiligsten Sakrament und wurde die regelmäßige Teilnahme an Heiligen Mes- von Akten der Hoffnung, der Liebe beseelte Verlangen sen, Gottesdiensten und anderen religiösen Übungen nach sakramentaler Vereinigung mit Christus.“ (Kath- genau vorgeschrieben. Teilweise waren Sanktionen bei pedia, wie Literaturliste Nr. 13). Sie wird seit Jahrhun- Nichtbefolgung der Gebote festgelegt, wie Zahlungen derten praktiziert, vor allem, wenn jemand an der sa- von Strafgeldern oder Ausschluss von Mahlzeiten. Ein kramentalen Kommunion verhindert ist, zum Beispiel Leprosorium sollte eine Kapelle haben, um den Le- Alte, Kranke, bei verspäteter Erinnerung an das Gebot prakranken den Gottesdienst zu ermöglichen, ohne der Nüchternheit, von Christen in der Diaspora oder in dass sich Gesunde der Gefahr einer Ansteckung aus- Missionsländern. Alle zur eucharistischen Kommunion setzten. Der Kapelle war auch ein eigener, nur für die gehörenden Akte werden vollzogen, außer dem Sak- Leprakranken zuständiger Priester zugeordnet. Martin ramentsempfang selbst. Sie wird von Heiligen emp- Uhrmacher listet 15 Kriterien auf, die das ideale Lepro- fohlen, so von Teresa von Avila, Alfons von Liguori, sorium ausmachten. Zu diesen Merkmalen zählt eine Johannes Bosco, Franz von Sales, von Papst Pius XII. eigene Kapelle oder Kirche (Uhrmacher, wie Literatur- in seiner Enzyklika Mediator Dei 1947, im Sacerdotium liste Nr. 38, pp 21-26; Gutzke, Nr. 8, pp 15f).
Die Klapper 29, 2021 9 Grundriss der Basilika mit handschriftlicher Eintragung der Positionen der Hagioskope 1–4
10 Die Klapper 29, 2021 Hagioskop 1, Nordturm, Ostseite Gab es keine eigene Kapelle, die nur die Leprakranken besuchten, so wurde den Kranken an manchen Or- ten ein bestimmter Bereich in der öffentlichen Kapel- le oder Kirche zugewiesen, der abgesondert von den Gesunden lag, so zum Beispiel in St. Jost bei Trier auf einer Empore (Frohn, wie Literaturliste Nr. 5, pp 60f). Selten wurde wie in Saarbrücken auch die Teilnahme am Gottesdienst unter den anderen Gläubigen gestat- tet, aber dann wurden die Siechen ermahnt, sofort Hagioskop 1 innen, im Nordturm nach Osten nach der Predigt ihre Wohnungen wieder aufzusuchen (ebd., pp 132f). Die Alternative war das Hagioskop in Hagioskop, wie in Roggenstede, die auch mit einem der Ortskirche (Menn, wie Literaturliste Nr. 17, p 6; geschnitzten Holzdeckel verschlossen sein kann, wie Gutzke, Nr. 7, p 9; Ders., Nr. 8, p 15). in Nesse, beide Ostfriesland (Reiff, wie Literaturliste Manchmal gab es zum Schutz vor der Witterung ein Nr. 32). Oft wurden sie unter Putz verborgen, wie Dach über dem Hagioskop oder einen kleinen Anbau in der Kirche des ehemaligen Benediktinerinnenklos- an der Kirche, wie zum Beispiel in Geldern, Rees, Neu- ters Oesede in Georgsmarienhütte. Als dort Putz brö- erburg und am St.-Victor-Dom zu Xanten, dort als do- ckelte, wurde das Hagioskop wiederentdeckt. In der muncula leprosorum bezeichnet (Frohn, wie Literatur- Forschung erschien zunächst befremdend, dass vom liste Nr. 5, pp 43, 104-106, 109, und Uhrmacher, Nr. Hagioskop keine Sicht auf den Hauptaltar möglich 38, p 22). In einem Visitationsbericht von 1630 des war. Dies wird weiter unten aufgegriffen. In archäo- Leprosoriums Heessen (heute Hamm-Heessen), dessen logischen Untersuchungen fanden sich Reste eines Gebäude, einschließlich der Kapelle, stark verwahrlost früheren Hauptaltars mit Blickachse vom Hagioskop waren, findet sich die Empfehlung, im Fall des Wieder- her (Jankrift, wie Nr. 11, pp 1f). Ähnlich war es in der auftretens der Krankheit an der Seite des Turms der Kapelle des ehemaligen Johanniterklosters in Boke- Kirche einen Raum anzubauen und von dort aus ein lesch, Gemeinde Saterland, Kreis Cloppenburg. Dort Loch in die Kirchenwand zu brechen (ebd.). Uhrma- entdeckte man bei Renovierungsarbeiten der 1250 cher verweist auf Hagioskope und Schutzbauten für erbauten Saalkirche ein verschlossenes Loch in der Leprose in Verbindung mit Hagioskopen in Geldern (p Kirchenwand, das man freilegte und 2004 wiederher- 43), Heessen (p 45), Kalkar (p 46), Kirn (p 46), Moers stellte (Just, wie Nr. 12). (p 50), Recklinghausen (p 52), Rees (p 53), Siegen (p Erinnern wir uns, dass für ein ideales Leprosorium eine 54), Wachtendonk (p 57) und Xanten (p 58). Kapelle gefordert war, so gilt ein Hagioskop eher als Nach dem Verschwinden der Lepra geriet die ur- eine Notlösung. In dünn besiedelten Gegenden mit sprüngliche Funktion der Hagioskope oft in Verges- dörflichen Strukturen, in denen es in großen Landstri- senheit. Teilweise wurden sie verfüllt und zugemauert chen keine Leprosorien gab, zum Teil in Norddeutsch- (Nöldeke, wie Literaturliste Nr. 18, pp 10f). Manchmal land, und wo es wenige Städte und daher wenige Le- erinnert eine Nische im Kirchenraum an das ehemalige prosorien gab und die Leprakranken als Feldsieche in
Die Klapper 29, 2021 11 einer Hütte am Dorfrand leben mussten, finden sich Westapsis, die etwa 1160 als Fresko entstand und den daher auch häufiger Hagioskope. segnenden Christus, die vier Wesen der Apokalyse, die Die aus dem 13. Jahrhundert stammende St.-Cyprian- vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johan- und Corneliuskirche von Ganderkesee hat drei Hagio- nes, sowie Petrus und Paulus zeigt (Maul, wie Litera- skope, von denen zwei erhalten sind. Eines ist zuge- turliste Nr. 16, p 116). mauert, aber im Kircheninneren als Nische erhalten. In dieser Kirche findet sich auch eine schöne Darstel- lung des Heiligen Martin zu Pferde, neben dem ein leprakranker Bettler kniet (Nöldeke, wie Literaturliste Nr. 19). In Ostfriesland in der Krummhörn hat jede zweite Kirche ein Hagioskop, häufig sind sie auch im Harlingerland (Nöldeke, wie Nr. 18). Wichtig ist der Hinweis von Ingeborg Nöldeke auf der dritten Kinder- hauser Tagung 2012, dass durch den zunehmenden Wohlstand in Ostfriesland die Stifter auch Apsiden und Seitenaltäre stifteten. Um diese zu beleuchten, erfolg- ten Mauerdurchbrüche. Manche lagen so hoch, dass man sie nicht als Hagioskop nutzen konnte (Schmidt, wie Nr. 35, p 17), sofern es hier außen keine hölzernen Anbauten gab. Kloster Knechtsteden und Basilika Das Kloster Knechtsteden liegt im Rhein-Kreis Neuss im Stadtgebiet von Dormagen in einem von den Dör- fern Anstel (Gemeinde Rommerskirchen), Delhoven und Straberg (beide Stadt Dormagen) gebildeten Dreieck zwischen Feldern und Wäldern. Schon von weitem ist der wuchtige Turm der Abteikirche zu er- kennen, der durch zwei schlanke Seitentürme beglei- tet wird. Vom Parkplatz neben einem Restaurant geht man auf den Barockbau des Torbogenhauses zu. Der Hagioskop 3 im Südturm nach Süden Weg führt durch eine Allee an der offenen Südseite der Abteikirche vorbei, in der das große Seitenportal Das Kloster und seine Kirche haben eine lange und rei- eingelassen ist. In das Innere der Kirche gelangt man che Geschichte. Ausführliche Darstellungen und Abbil- durch eine Tür an der Westseite. Der Kreuzgang liegt dungen finden sich bei Clemen (wie Literaturliste Nr. an der Nordseite der Kirche, und es schließen sich die 2), Emsbach (Nr. 3), Piller (Nr. 22), Sand (Nr. 33) und Klostergebäude an. Vogt (Nr. 39) sowie der Website Kloster Knechtsteden Um den Namen Knechtsteden rankt sich eine Legen- (Nr. 40). Hier sollen einige Eckdaten genügen. de, die wohl erst im Barock entstanden ist. Vor der Graf Hugo von Sponheim, Domdechant an St. Peter in Gründung des Klosters im Jahre 1130 fand ein Knecht Köln und Propst von St. Marien in Aachen, schenkte im aus Dieplinghoven, heute Delhoven, im Wald eine Sta- Jahr 1130 seinen Fronhof Knechtsteden der Kirche mit tue der Muttergottes aus Stein, die er mit nach Hause der Auflage, diesen dem religiösen Gebrauch zuzufüh- nahm. Am nächsten Tag war sie verschwunden, und ren. Auf Veranlassung von Erzbischof Friedrich I. von er entdeckte sie wieder im Wald an derselben Stelle, Köln zogen die von Norbert von Xanten gegründeten an der er sie tags zuvor gefunden hatte. Er nahm sie Prämonstratenser nach Knechtsteden. Schon 1132 gab wieder zu sich, und dasselbe geschah wieder. Als er es dort eine kleine Kirche, die dann ab 1138 dem Bau die Statue wieder am selben Ort im Wald wiederfand, der jetzigen romanischen Basilika weichen musste. Ost- vertraute er sich seinem Brotherrn an. Beide errichte- chor, Altarraum und Querhaus waren um 1180 fertig, ten dann für die Muttergottes eine Kapelle. Der Name es folgte der Bau des Langhauses mit dem Westchor. Knechtsteden soll sich, folgt man der Legende, von Im Wesentlichen gab es zwei Bauabschnitte, nämlich diesem Knecht und von der „Knechtstätte“ herleiten 1138–1151 und 1151–1181. Im zweiten Bauabschnitt (Reetz, wie Literaturliste Nr. 30, pp 44f, und Ders., wie wurde das Christus-Fresko in der Westapsis vollendet Nr. 31, p 39). (Website Kloster Knechtsteden, wie Literaturliste Nr. 40). Das heutige Spiritanerkloster Knechtsteden ist eines Eine Besonderheit war die Anlage der Kirche mit dem der bedeutendsten Kunstdenkmäler im Niederrhein- Doppelchor. Der Ostchor blieb den Kanonikern vorbe- gebiet. Es ist berühmt für die Wandmalerei in der halten, während der Westchor als Pfarrkirche fungierte.
12 Die Klapper 29, 2021 Hagioskop 2 innen, im Südturm nach Osten Hagioskope 2 und 3, im Südturm nach Osten und Süden In der Kirche findet sich das Gnadenbild von der Der letzte Superior der Prämonstratenser in Knechtste- schmerzhaften Mutter Maria, eine um 1360 aus Lin- den Winand Kayser (1765–1842) pachtete zunächst denholz gefertigte und bemalte Skulptur der Mutter- seine eigene Abtei. 1810 konnte er, von Haus aus ver- gottes, die ihren toten Sohn auf dem Schoß hält. Die mögend, diese dann über seinen ehemaligen Schulka- Christusfigur ist auffallend klein im Vergleich zur trau- meraden Heinrich Joseph Herberz, einem Industriellen ernden Mutter. Maria trägt zwar einen Kaisermantel, aus Uerdingen, kaufen. Die Basilika wurde fortan als ihr Gesicht wirkt jedoch eher wie das einer Bäuerin. Pfarrkirche genutzt. Nach Winand Kaysers Tod 1842 Die Art der Darstellung ermöglichte es den durch Krie- und mehreren Besitzerwechseln fiel die Abtei an die ge, Hungersnöte und Seuchen geplagten Menschen, Kölner Armenverwaltung, die in den Gebäuden eine sich mit ihr in ihrem Leid um den ermordeten Sohn zu Anstalt für 400 Geisteskranke einrichten wollte. Mit identifizieren und sich ihr anzuvertrauen (Reetz, wie Planung und Bau wurde der aus Berlin stammende Literaturliste Nr. 30, pp 45-47). Eine besondere Vereh- Kölner Stadtbaumeister Julius Carl Raschdorff (1823– rung des Marienbildes und Wallfahrten zur „Not Got- 1914) beauftragt (Kohlbecher, wie Literaturliste Nr. tes“ finden sich ab Ende des 13. Jahrhunderts (ebd., 14), der später (1894–1905) den Berliner Dom bau- pp 47ff). te (ebd. pp 58-60). Bereits 1858 hatte er Vermessun- 1474 wurden Kloster und Kirche während der Neusser gen in Knechtsteden im Rahmen eines Gutachtens Fehde durch die Burgunder gebrandschatzt und die über den Umbau der Gebäude zu einem Waisenhaus Mönche mussten fliehen. Als sie 1477 zurückkehrten, für 800 Kinder durchgeführt (ebd. p 60). Raschdorff, war die Ostapsis zerstört. Weitere Plünderungen und der seine Expertise für psychiatrische Anstalten schon Zerstörungen richteten später, 1794, die Franzosen 1857–1860 bei einem Erweiterungsbau der „Anstalt an, als sie das Rheinland eroberten. 1795 konnten die für tobsüchtige Kranke“ in Köln-Lindenberg gezeigt Mönche zurückkehren, mussten aber 1802 das Kloster hatte, fertigte 1868/69 drei verschiedene Entwürfe für endgültig verlassen, als Napoleon viele geistliche Or- eine mögliche psychiatrische Anstalt in Knechtsteden den auflöste, die meisten Klöster beschlagnahmte und (ebd. pp 65, 68). das bewegliche und unbewegliche Vermögen verstei- Schaut man sich die Lage des Klosters Knechtsteden gern ließ. Karl Emsbach bezeichnet dies treffend als an, so wäre man hier der alten Gewohnheit gefolgt, einen mit „als Säkularisation (Verweltlichung) beschö- „Irrenhäuser“ weit ab von Städten und Dörfern zu nigend umschriebenen Raubakt“, von dem im Gebiet bauen, wo sie auch aus dem Blickfeld und dem Be- des heutigen Rhein-Kreises Neuss 18 Klöster betroffen wusstsein der Menschen entfernt wären (ebd. pp 68f), waren. Schaffer kommt auf 17 geistliche Konvente, wie dies auch für Leprosorien gegolten hatte. Diese die zwangsweise aufgelöst wurden. Verschont blieben Pläne wurden zunichte, als das Kloster und das Kir- religiöse Gemeinschaften, die in der Gesundheitsfür- chendach 1869 einem verheerenden Brand zum Op- sorge oder karitativ tätig waren, wie die Alexianer in fer fielen. Böse Zungen behaupteten, dass das Feuer Neuss, die sich der Pflege psychisch kranker Männer von den umliegenden Bauern gelegt worden war, um widmeten. Manche der Gebäude der profanierten den Einzug der Geisteskranken zu verhindern und weil Klöster wurden zu Kasernen oder Lagerhallen (Ems- bereits Pachtverträge gekündigt worden waren, da die bach, wie Literaturliste Nr. 4, pp 52f, 57, und Schaf- geplante Anstalt selbst Landwirtschaft betreiben sollte fer, wie Nr. 34, p 50). Die dramatische Geschichte (Vogt, wie Literaturliste Nr. 39, p 79, und Emsbach, dieser Zeit wird auch von Rath ausführlich dargestellt wie Nr. 4, p 57). (Rath, wie Literaturliste Nr. 28; Ders., wie Nr. 29).
Die Klapper 29, 2021 13 Aber 1871 spendete Kaiser Wilhelm I. 5000 Taler zur aufbauen und führte die deutsche Ordensprovinz Wiederherstellung der Kirche. Der Kölner Gastwirt An- der Spiritaner zur Blüte (Rath, Nr. 27, pp 90-112). Er ton Scheben, ein Neffe von Winand Kayser, gründete gründete eine Schule für Knaben ab 14 Jahre bis zum in Köln einen Bau- und Reparaturverein für Knechtste- Abiturabschluss für die Ausbildung von Missionaren, den. Gleichzeitig entstand in Neuss federführend un- aus der das jetzige Norbert-Gymnasium Knechtsteden ter dem Landrat von Heinsberg ein ebensolcher Ver- hervorgegangen ist. ein. Gemeinsam gelang der Wiederaufbau der Kirche, Von 1903 bis 1967 bestand in Knechtsteden eine der 1890 vollendet war. Das Wandgemälde des Chris- Philosophisch-Theologische Hochschule der Spiri- tus Pantokrator, das während der Barockisierung der taner. Daneben waren Ordensbrüder in zahlreichen Kirche im 18. Jahrhundert übertüncht worden war, Handwerksbetrieben in Knechtsteden beschäftigt und wurde 1882 wiederentdeckt und bis 1887 restauriert konnten vor der zuständigen Handelskammer ihre (Maul, wie Literaturliste Nr. 16). Ausbildung in Knechtsteden mit dem Gesellen- und 1895 kaufte das Erzbistum Köln das Kloster von der Meisterbrief abschließen (Kohlbecher, wie Literatur- Kölner Armenverwaltung und übergab es 1896 dem liste Nr. 15). Der Schwerpunkt der Mission der Spiri- Orden der Spiritaner unter dem Provinzial Pater Aman- taner lag zunächst in Ostafrika, später kam Brasilien dus Acker (1848–1923). Der vollständige Name der dazu. Dem Autor sind Patres persönlich bekannt, die Ordensgemeinschaft lautet „Missionsgesellschaft vom in Brasilien tätig waren und jetzt im hohen Alter in ih- Heiligen Geist und vom Unbefleckten Herzen Mari- rem Mutterhaus Knechtsteden leben. Während ihrer ens“, was daher rührt, dass hier 1848 zwei Kongrega- Missionstätigkeit lernten die Geistlichen die Sprachen tionen miteinander vereint worden waren. und einheimischen Dialekte, sammelten Pflanzen, In- Der junge französische Adlige Claude François Poullart sekten und Artefakte der indigenen Völker. Es entstan- des Places (1679–1709) hatte zunächst Jura studiert, den Wörterbücher und theologische Schriften für die verzichtete aber auf eine vielversprechende Karriere, Missionen in der Landessprache. Manche dieser Arbei- um Theologie zu studieren und Priester zu werden. Er ten wurden zu Standardwerken, so das Swahili-Fran- gründete 1703 die Kongregation vom Heiligen Geist zösisch-Wörterbuch (1939) von Pater Charles Sacleux mit einem Seminar für junge Männer, die über we- (1856–1943). nig Geld verfügten und eine sittliche Einstellung und Die wissenschaftliche Nebentätigkeit der Missionare wissenschaftliche Neigung hatten, mit dem Ziel, diese war nicht nur Hobby. Es gab eine Dienstanweisung des zu Pastoren für Gemeinden und Gebiete auszubilden, Apostolischen Vikars von Ostafrika Franz-Xaver Vogt in denen Priester knapp waren (Rath, wie Literaturliste von 1909, dass die Oberen eines Missionsgebietes ein Nr. 23, pp 79, 91, 98, 127f, 138-140). Konversationslexikon der Sprachen und Dialekte ihres Franz Maria Paul Libermann (1802–1852) war als Gebietes anlegen sollten. Die Patres waren gehalten, Sohn eines Rabbiners zu dessen Nachfolger bestimmt. Aufzeichnungen zu Kultur, Religion, Recht, Krankhei- Während seiner Studien an einer Talmudschule fand ten und Heilmitteln, Geografie, Botanik, Tierwelt und er zum Christentum und ließ sich 1823 taufen, woraus so weiter zu machen, und sie sollten eine Karte ihres für ihn auch die Berufung zum Priestertum folgte. Sei- Missionsgebietes mit einem Beiblatt über die Bevöl- ne 1841 gegründete Gesellschaft vom Heiligen Herzen kerungsstruktur anfertigen. Viele der gesammelten Mariens missionierte vor allem in Westafrika, Mauritius Objekte wurden im Missionsmuseum ausgestellt, das und Haiti. Nach Verhandlungen mit der Kongregation leider nicht mehr existiert. Eine Auswahl der Artefakte vom Heiligen Geist gelang 1848 mit Billigung der zu- war 2017 in einer Ausstellung im Kreuzgang des Klos- ständigen Kardinäle und Bescheid von Papst Pius IX. ters zu sehen (Peters, wie Literaturliste Nr. 21). die Vereinigung mit der Kongregation vom Heiligen Während des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) wur- Geist. Die neue Gemeinschaft erhielt den Namen Kon- den die Ordensleute bis auf die Handwerker vertrie- gregation vom Heiligen Geist unter dem Schutz des ben, und Knechtsteden wurde Lazarett. Nach dem unbefleckten Herzens Mariens. Libermann wurde zum Krieg wurde das Kloster als Ordenshaus wiederbelebt. Generaloberen bestimmt (Rath, wie Literaturliste Nr. 1974 wurde die alte Abteikirche zur Basilica minor er- 24, pp 201f, 204ff, 245ff, 270ff, und Ders., wie Nr. hoben. Der Orden der Spiritaner ist noch in Afrika und 25). Brasilien tätig. Das Kloster ist jetzt das Mutterhaus der 1873 wurden die Spiritaner als ein den Jesuiten ver- Spiritaner in Deutschland. Hier leben die älteren Pat- wandter Orden im Rahmen des Jesuitengesetzes (in res und Fratres. Ein Förderverein unterstützt seit 1987 Kraft bis 1883) aus Deutschland vertrieben, und 1895 das Kloster. Neben dem Gymnasium befindet sich in wurde Pater Amandus Acker zum Superior der zu den Gebäuden eine Meisterschule für Augenoptiker, gründenden deutschen Ordensprovinz der Spiritaner ein Kunstverein für Malerei und Bildhauerei, ein gro- ernannt. Er entschied sich für Knechtsteden als Mut- ßer Eventraum (der Bullenstall), ein Klosterladen, eine terhaus (Rath, wie Literaturliste Nr. 26, pp 64ff, 377, Bücherstube, eine Schmiede und ein Flohmarkt an 388). Amandus Acker ließ die Klostergebäude wieder Wochenenden. Viel beachtet sind auch die Festlichen
14 Die Klapper 29, 2021 Tage alter Musik in der Basilika, die vom Deutschland- Spuren eines Fensters. Es ist als einziges der hier be- funk aufgezeichnet und gesendet werden, verschiede- schriebenen Fenster bei Schulten erwähnt. Er verweist ne Kunsthandwerkermärkte, sowie Vortragsabende in auf die Situation des südlichen Vorplatzes im Mittelal- der historischen Klosterbibliothek. ter, die bei Grabungen im Jahr 1964 erforscht wurde. Man stellte damals fest, dass es an der Südseite der Kir- Die Hagioskope der Basilika che eine gewölbte Vorhalle gab, die man im 12. Jahr- Die im Verdacht eines Hagioskops stehenden Fenster in hundert erneuerte. Schildbogenreste an der Südmauer der Außenmauer der Basilika finden sich im Querhaus. der Kirche legen nahe, dass diese gewölbt war. Wahr- Im Grundriss, der dem Buch von Clemen entnommen scheinlich war die Vorhalle offen. Die gefundenen Fun- wurde, sind sie mit den Ziffern 1 bis 4 eingetragen damente sind im Pflaster des Vorplatzes durch dunkle- (Clemen, wie Literaturliste Nr. 2, p 31). re Steine angedeutet. Das vermauerte Fenster wurde Fenster Nr. 1 befindet sich in der Ostwand der unteren von ihm als mittelalterliche Beichtnische interpretiert Kammer des nördlichen Seitenturms (im Grundriss mit (Schulten, wie Literaturliste Nr. 36, p 13, und Ders., C bezeichnet). Es ist ein auf der kurzen Seite stehendes wie Nr. 37, p 14). Clemen geht sogar davon aus, dass Rechteck. Das eingelassene Glas ist mit kleinen Quad- sich an der Südseite der Kirche ein Kreuzgang befand, raten strukturiert und fast undurchsichtig. Das Fenster und verweist dabei ebenfalls auf die noch sichtbaren ist 27 cm breit und 57 cm hoch. Es hat einen Sockel Schildbögen an der Mauer (Clemen, wie Nr. 2, p 32). aus einem größeren Stein, der über die Grundseite und Gemeinsam ist allen vier Fenstern eine Bodenhöhe, die die Seitensteine hinausragt. Oben befindet sich ein es ermöglicht, bequem in das Innere der Basilika zu dreieckiger Stein, der wie ein Dach über dem Fenster schauen. Nr. 1 bis 3 führen in die unteren Kammern ruht. Die Unterkante des Fensters liegt 133 cm über der schlanken Seitentürme. Die Kammern kann man dem Erdboden. vom Innenraum der Basilika aus über nach unten füh- Nr. 2 in der Ostwand der unteren Kammer des süd- rende Stufen betreten (im Grundriss Treppe 1 und 2). lichen Seitenturms (im Grundriss D) ist ebenfalls Ein Blick auf den Hauptaltar ist hier nicht möglich. Man rechteckig, auch auf der kurzen Seite stehend, oben kann erwägen, dass ihr Hauptzweck die Beleuchtung aber bogenförmig abgeschlossen. Dieses Fenster ist dieser Kammern war. Auch die eingangs zitierte An- ebenfalls mit kleinen Quadraten strukturiert und fast sicht von Großsteinbeck (wie Literaturliste Nr. 6, p 9), undurchsichtig. Auch hier findet sich ein Sockelstein, dass die Fenster als Beichtstühle genutzt wurden, hat der an beiden Seiten über das Fenster und die seitli- vieles für sich, denn der Beichtvater hätte mit der Turm- chen Begrenzungssteine des Fensters hinausragt. Den kammer einen Raum für das Beichtgespräch, in dem er oberen Abschluss des steinernen Rahmens bildet ein weitgehend ungestört wäre und das Beichtgeheimnis rechteckiger Stein, dessen Unterseite bogenförmig geschützt hätte. Über diesen Kammern liegen in den ausgeschnitten ist und den Bogen an der Oberseite Seitentürmen je eine weitere Kammer, in die man über des Fensters umfasst. Dieses Fenster ist kleiner als Nr. die Treppen 3 und 4 gelangt. In den Seitenapsiden des 1. Es ist nur 13 cm breit, bei einer Höhe von 58 cm. Die Querhauses und den Turmkammern findet seit 1955 Höhe vom Erdboden bis zur Unterkante des Fensters die Basilika Expo statt, mit wechselnden Ausstellungen beträgt 135 cm. zeitgenössischer religiöser Werke (Sand, Nr. 33, p 31). Nr. 3 liegt in der Südwand der unteren Kammer des Nr. 4 ist durch Mauerwerk verschlossen. Wäre es noch südlichen Seitenturms (im Grundriss D) und ist rund. offen, so hätte man von außen einen idealen Blick auf Es wird durch Steine umrahmt, die im Kreis angeordnet den Hauptaltar. Die nicht mehr vorhandene Vorhalle sind und einen flachen Trichter bilden. Die Fensteröff- hätte Schutz vor der Witterung geboten. Somit wür- nung am Boden des Trichters hat einen Durchmesser de Nr. 4 am ehesten die Anforderungen an ein Hagio- von 20 cm, der Außendurchmesser des Trichters be- skop erfüllen, nämlich einen freien Blick auf den Altar trägt 38 cm. Es ist mit einer Metallplatte verschlossen. und den Zelebranten, die Möglichkeit, der Messe auch Die Höhe vom Boden bis zur Unterkante des Fensters akustisch folgen zu können, sowie Schutz vor der Wit- beziehungsweise der Metallplatte beträgt 140 cm. Nr. terung unter einem Dach bei gleichzeitiger ausreichen- 4 liegt in der westlichen Wand des Querhauses in einer der Lüftung. Nische, die wie eine Apsis geformt ist, und ähnelt in Form und Bauweise der Nr. 3 als flacher Trichter mit Fazit einem Außendurchmesser von 51 cm, der sich nach Die Zufallsentdeckung der Hagioskope der Basilika innen auf 48 cm verkleinert. Das Fenster ist vermauert des Klosters Knechtsteden, über die Großsteinbeck und seine Unterkante ist 158 cm vom Boden entfernt. im Mitteilungsblatt des Fördervereins für das Missi- Dieses vermauerte Rundfenster ist als einziges nicht in onshaus berichtet, ist ein weiterer Mosaikstein in der eine Turmkammer, sondern in den südlichen Flügel des wechselvollen Geschichte der Kirche und der Abtei. Querhauses gerichtet. Es ist von innen zugemauert und Sie bereichert auch die Geschichte des Umgangs mit verputzt. Im Innenraum der Basilika finden sich keine Leprakranken im Rheinland. Architektonisch sind sie
Die Klapper 29, 2021 15 unauffällig, denn man schaut doch eher auf die impo- Literatur santen Glasfenster und das beeindruckende Gebäude 1. Auler, Jost: Eine Heimstatt für die Aussätzigen – Überlegungen in seiner Gesamtheit. Sie sind verborgen in den un- zum frühneuzeitlichen Dormagener Siechenhaus; in: Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2010, Hrsg.: Kreisheimatbund Neuss, teren Turmkammern (Nr. 1 bis 3), beziehungsweise Neuss 2009, pp 48-63 zugemauert und unter Putz (Nr. 4). Man kann davon 2. Clemen, Paul, Hg.: Kunstdenkmäler der Kreise Neuss und Gre- ausgehen, dass ihre Funktion nach dem Verschwinden venbroich – Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz; Nachdruck der Ausgabe von 1895 und 1897, Pädagogischer Verlag Sch- der Lepra nicht mehr wichtig war und wohl auch in wann – Bagel, Düsseldorf 1984, pp 27-43 Vergessenheit geriet. Dienten die vier beschriebenen 3. Emsbach, Karl; Tauch, Max: Kirchen, Klöster und Kapellen im Kreis Neuss, Hrsg: Oberkreisdirektor des Kreises Neuss, Schrif- Öffnungen tatsächlich als „Lepraspalten“? Leprosorien tenreihe Nr. 13, Rheinland Verlag 1986, pp 22-27 gab es im jetzigen Rhein-Kreis Neuss in Neuss, Dorma- 4. Emsbach, Karl: Das Schicksal der säkularisierten Kloster- und Stiftsgebäude im Kreis Neuss; in: Jahrbuch für den Kreis Neuss gen, Grevenbroich und Büderich (Gutzke, wie Litera- 2003, Hrsg.: Kreisheimatbund Neuss e.V. 2002, pp 52-61 turliste Nr. 8, pp 17-20, und Uhrmacher, wie Nr. 38, 5. Frohn, W.: Der Aussatz im Rheinland – Sein Vorkommen und sei- ne Bekämpfung; Jena, Gustav Fischer Verlag 1933, pp 43, 60f, pp 39f, 44f). Das nächstgelegene wäre in Dormagen 89, 104-106, 132f gewesen, sehr wahrscheinlich in der Nähe der Straße 6. Großsteinbeck, Stephan: Die Hagioskope der Basilika, in: Echo „Am Niederfeld“ gelegen (Gutzke, wie Nr. 8, pp 19f). Knechtsteden, Förderverein für das Missionshaus Knechtsteden e.V., Mitgliederinformation 02/2020 vom 21. Juni 2021, pp Frohn teilt zum Dormagener Siechenhaus mit, dass 9-11 ihm nur eine Notiz bekannt ist, nach der als Taufpa- 7. Gutzke, Joachim: Ausgrenzung von Leprakranken, in: Die Klap- per – Mitteilungen der Gesellschaft für Leprakunde, Münster, ten im Wesselinger Siechenhaus gelegentlich Sieche 26, 2018, pp 7-10 aus Dormagen genommen wurden. Uhrmacher zitiert 8. Gutzke, Joachim: Der Umgang mit Leprakranken – Ehemalige Leprosorien im heutigen Rhein-Kreis Neuss, in: Die Klapper – diesen Hinweis, mehr ist ihm nicht zum Dormagener Mitteilungen der Gesellschaft für Leprakunde, Münster, 27, Leprosorium bekannt (Frohn, wie Nr. 5, p 89, und Uhr- 2019, pp 12-21 9. Hartmann, Christoph Paul: Andacht im Extremfall: Die geistige macher, wie Nr. 38, p 40). Kommunion. https://www.katholisch.de/artikel24941-andacht- Auler nennt als Quellen für diese Information die von im-extremfall-die-geistige-kommunion; Besuch der Website am Lehrer Josef Dietz 1928 verfasste Geschichte der Pfarr- 19.02.2021, 08:45 Uhr 10. Ihli, Stefan: Persönliche Mitteilung per Fax auf Mailanfrage zum kirche St. Germanus in Wesseling. Weiterhin verweist Thema Hagioskop und Kommunion vom 18.02.2021 er auf eine Festschrift des Pfarrers Gottfried Dominikus 11. Jankrift, Kai Peter: Hagioskope – Unbeachtete Zeugnisse der Le- prageschichte, in: Die Klapper – Mitteilungen der Gesellschaft Schmitz aus Dormagen-Horrem von 1963, in der dieser für Leprakunde, Münster, 7, 1999, pp 1-3 ein Siechenhaus in der Dormagener Parzelle im Nieder- 12. Just, Ivo: Das Hagioskop der Johanniterkapelle in Bokelesch, in: Die Klapper – Mitteilungen der Gesellschaft für Leprakunde, feld im Zeitraum 1678–1712 erwähnt. Bei zwei Abbil- Münster, 13, 2005, pp 11-12 dungen des Dormagener Leprosoriums von Matthäus 13. Kathpedia, Geistliche Kommunion. http://kathpedia.com/in- dex.php?title-Geistliche_Kommunion; Besuch der Website am Merian von 1642 und 1683 hat Auler den Hinweis auf 19.02.2021, 08:49 Uhr die Leprosenkapelle mit Fragezeichen versehen (Auler, 14. Kohlbecher, Simon: Von der ehemaligen Prämonstratenserabtei wie Nr. 1, pp 58f, 61). zur „Irrenanstalt“ – Zu Tätigkeiten des Architekten Julius Carl Raschdorff in Knechtsteden 1858–1869; in: Jahrbuch für den Daraus folgt, ein Leprosorium gab es in Dormagen, Rhein-Kreis Neuss 2014, Hrsg.: Kreisheimatbund Neuss, Neuss eine Kapelle wird nicht erwähnt, beziehungsweise ihr 2013, pp 58-73 15. Kohlbecher, Simon: Anmerkungen zu Pater Amandus Acker Vorhandensein wird angezweifelt. Die Strecke von Dor- (1848–1923) – Pionier und Manager der Missionsarbeit und des magen, Im Niederfeld, nach Knechtsteden beträgt je Klosters Knechtsteden; in: Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2016, Hrsg.: Kreisheimatbund Neuss, Neuss 2015, pp 84-101 nach Wahl der benutzten Straßen zwischen 6,7 und 16. Maul, Georg: Die Restaurierung der Malereien in der Westapsis 7,7 km, ein Weg, der auch für Fußgänger zu schaffen von Knechtsteden; in: Jahrbuch für den Kreis Neuss 2003, Hrsg.: Kreisheimatbund Neuss e.V. 2002, pp 116-125 ist. Nimmt man an, dass das Dormagener Leprosorium 17. Menn, R.: Kleine historische Leprakunde, in: Die Klapper – Mit- keine Kapelle hatte, so könnten die Dormagener Le- teilungen der Gesellschaft für Leprakunde, Münster 1/1996 – prakranken die Heilige Messe an den Hagioskopen der 4.Jg., pp 5–6 18. Nöldeke, Ingeborg: Hagioskope mittelalterlicher Dorfkirchen – Knechtstedener Basilika besucht haben. Die Gegend Eine unerwartete Entdeckung, in: Die Klapper – Mitteilungen um Knechtsteden ist auch heute noch ländlich und von der Gesellschaft für Leprakunde, Münster 18, 2010, pp 10-11 19. Nöldeke, Ingeborg: Die Hagioskope der St.Cyprian- und Corne- kleineren Ortschaften geprägt. In dünn besiedelten Be- lius-Kirche in Ganderkesee, in: Die Klapper – Mitteilungen der reichen lebten die Leprakranken als Leprosi in campis Gesellschaft für Leprakunde, Münster 24, 2016, pp 23-25 20. Nöldeke, Ingeborg: Ein mögliches Hagioskop am hohen Dom (Feldsieche) in kleinen Hütten außerhalb der Dörfer zu Paderborn, in: Die Klapper – Mitteilungen der Gesellschaft oder waren als „vagierende Leprose“ (wandernde Sie- für Leprakunde, Münster 24, 2016, p 26 21. Peters, Belinda-Maria: Wo liegt der Berg „Ich weiß es nicht“? che) unterwegs. Auch diesen Menschen könnten die – Das Verhältnis katholischer Missionsarbeit und wissenschaft- Knechtstedener Hagioskope gedient haben. Aber auch licher Forschung bei den Spiritanern in Knechtsteden; in: Jahr- die Vorstellung der Nutzung der Hagioskope durch buch für den Rhein-Kreis Neuss 2018, Hrsg.: Kreisheimatbund Neuss, Neuss 2017, pp 166-179 Menschen, die aus anderen Gründen den Innenraum 22. Piller, P. Klaus-Elmar CSSp (Redaktion): 850 Jahre Klosterkirche einer Kirche nicht betreten durften und hier beichte- Knechtsteden 1138–1988, Hrsg.: Missionsgesellschaft vom Hei- ligen Geist (Spiritaner) und Förderverein für das Missionshaus ten, ist nicht von der Hand zu weisen. Knechtsteden, Neuss 1988 23. Rath, P. Josef Theodor CSSp: Geschichte der Kongregation vom Heiligen Geist I. Das Pariser Seminar für arme Kleriker 1703– Joachim Gutzke, Neuss 1800; Missionsverlag Knechtsteden 1972, pp 79, 91, 98, 127f, 138-140
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