Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan

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Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
75. Jahrgang · Nr. 3 · Weihnachten 2020

   Pfarrblatt

Schwerpunkt       Verwandelnde und heilende Kraft von Worten – das Wort Gottes unter uns
Dompfarre         Feste im Dom ∙ Pfarrklausur ∙ Bibelnacht ∙ Reliquie von Papst Johannes Paul II.
Spirituelles      Die hl. Katharina ∙ Lieblingsgebet: Psalm 23 ∙ Wegzeichen des Glaubens
Lesestoff         Trost – Wege aus der Verlorenheit ∙ Gott finden ∙ Entscheide dich und lebe!
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Inhalt                                       Editorial
◼ Editorial                           2
◼ Wort des Dompfarrers
◼ Et verbum caro factum est
                                      3
                                      4
                                           Mehr als nur ein Wort
◼ Am Anfang war das Wort …            6                                                          Worte, die Menschen einander sa-
◼ Gottes Wohnen unter uns             7                                                      gen, können unglaublich viel bewirken:
◼ Ein gutes Wort                      8                                                      im Positiven wie im Negativen, im Kleinen
                                                                                             wie im Großen, sie können Leben verän-
◼ Du hast Worte ewigen Lebens … 10
                                                                                             dern. Manche Worte begleiten uns nur
◼ Gott ist konkret                   11
                                                                                             eine bestimmte Lebensphase, manche
◼ Habt keine Gottesangst!            12                                                      ein Leben lang.
◼ Hausapotheke gefüllt mit guten,                                                                Der Wirkmächtigkeit menschlicher
  heilsamen Worten                   13                                                      Worte sind natürlich auch Grenzen ge-
◼ Worte, die verwandeln!             14                                                      setzt. Ein afrikanisches Sprichwort bringt
◼ Aber sprich nur ein Wort           15                                                      es auf den Punkt: „Worte sind schön, doch
◼ Worte, die heilen                  16                                                      Hühner legen Eier.“ Worthülsen, die nicht
◼ Das Göttliche Wort unter uns       17                                                      authentisch sind und nicht mit konkre-
                                                                                             ten Taten verbunden werden, bringen
◼ Ohne Worte …                       18
                                           Der Anfang einer Liebesgeschichte                 niemand etwas. Bei Gott jedoch ist es
◼ Das Wort Gottes nicht hören              Erst unlängst habe ich erfahren, wie der          anders. Bei Gott sind Worte Taten. Got-
  können und doch hören              19
                                           weltberühmte Musiker John Lennon die Lie-         tes Wort wirkt. Darin liegt das Geheimnis
◼ Ein Wort, das mein Leben
                                           be seines Lebens kennenlernte: Er besuch-         der Sakramente.
  begleitet …                        20
                                           te eine Kunstgalerie, in der die Künstlerin
◼ Silbernes Amtsjubiläum
                                           Yoko Ono einen Raum gestaltet hatte: ein          Gottes Wort in uns
  unseres Erzbischofs                23
                                           weißes leeres Zimmer mit einer Leiter und         Gottes Wort muss aber zunächst einmal
◼ 130 Register zur höheren Ehre
                                           einer Lupe. Als er auf die Leiter stieg, konnte   wahrgenommen werden. Das ist nicht
  Gottes und Freude der Menschen 24
                                           er mithilfe der Lupe drei kleine Buchstaben       immer leicht. Viele haben nun aufgrund
◼ In der Liebe liegt der Schlüssel … 25
                                           auf einem Papier an der Decke lesen: „Yes“ –      der Einschränkungen des täglichen Lebens
◼ Corona Rose                        25    das englische Wort für „Ja“. – Dieses Ja war      mehr Zeit. Andere hingegen viel weniger.
◼ Pfarr-Klausur                      26    der Beginn einer großen Liebe.                    Für alle aber gilt: Der Advent und die
◼ Gratulation Rosemarie Hofer        27        Steht nicht auch ein Wort am Beginn           Weihnachtszeit laden in besonderer Wei-
◼ Bibelnacht: Mit Psalter und Harfe 27     der Liebesgeschichte Gottes mit den Men-          se zur Besinnung ein, zum Hinhören auf
◼ Firmung 2020                       28    schen? Das Wort im Anfang der Schöp-              die Stimme Gottes in uns.
                                           fung und schließlich ein Menschenwort                 So wünsche ich Ihnen die nötige Zeit,
◼ Erstkommunion 2020                 30
                                           – das Wort einer jungen Frau? Das Einver-         um innerlich still zu werden, um in sich
◼ Blitzlichter aus St. Stephan       32
                                           ständnis Marias, ihr kleines Ja zu einem          hinein zu hören: Welches Wort hat Gott
◼ Chronik                            33    großen Plan, den sie nicht kannte? Sie            für mich bereit? Welches Wort, welchen
◼ Pfarr-Flohmärkte                   34    musste dazu nicht einmal irgendwohin              Satz hat er aus Liebe schon immer zu mir
◼ Mein Lieblingsgebet                36    gehen oder auf eine Leiter steigen und mit        gesprochen? Ist es ein Wort des Trostes,
◼ Die heilige Katharina              37    einer Lupe suchen… Gottes Wort erging             eine Ermutigung oder eine Aufforderung?
◼ Wegzeichen des Glaubens            38    an Maria mitten in ihrem Alltag, an dem           Was hat dieses Wort in mir bewirkt und
                                           Ort, wo sie sich gerade befand, unmittel-         welche Bedeutung hat es für mich heute
◼ Entscheide dich und lebe!          39
                                           bar und direkt. Und Marias Antwort an             in diesem Moment, in dieser Zeit?
◼ Zeit zum Trösten?                  40    den Boten Gottes war überlegt und klar.               Ich bin überzeugt: wenn wir uns von
◼ Gott finden. Wie geht das?         40                                                      diesem Wort berühren und es an uns wir-
◼ Steffl                             41    Wirkmacht von Worten                              ken lassen, dann werden wir zu Gottes
◼ Weihnachtsgottesdienste im Dom 42        In diesem Pfarrblatt betrachten wir aus-          gutem Wort für die Menschen.
◼ Weihnachtsgottesdienste im               führlich, dass Gottes Wort Fleisch gewor-             Viel Freude beim Nachdenken, beim
  Pfarrgebiet von St. Stephan        44    den ist. Dabei dürfen wir Christen stets im       Lesen und Gottes reichen Segen!
◼ Termine                            44    Blick haben, dass Gott Liebe ist und dass                     Herzlich, Ihre Birgit Staudinger
                                           das Wort konkreter Ausdruck dieser Liebe
◼ Mach mit beim Sternsingen!         46
                                           ist. Gottes Wort ergeht an die Menschen,
◼ Spezialführung am Hl. Abend        46
                                                                                                                                            Martin Staudinger

                                           an jeden Einzelnen von uns und Gott war-
◼ Zum Nachdenken                     48    tet auf Ant-Wort von uns – so wie Liebe
◼ Impressum                          48    immer Erwiderung wünscht.

2 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Wort des Dompfarrers

              Liebe Freunde!
              Mit Vollmacht ein Wort sprechen              salben und so im Sakrament der Firmung
              „Herr Pfarrer, jetzt musst du einmal ein     die Kraft und die vielfältigen Gaben des
              Machtwort sprechen!“ Wenn die Schwie-        Heiligen Geistes erbitten.
              rigkeiten mit einem auffälligen und stö-         Es sind immer wunderschöne Anlässe
              renden Gottesdienstbesucher allen über       und Feiern, die in mir große Dankbarkeit
              den Kopf wachsen, muss selten aber           für meinen Dienst als Priester hochsteigen
              manchmal doch ein disziplinäres Macht-       lassen. Gleichzeitig bleiben es oft singulä-
              wort der Grenzziehung gesprochen wer-        re Erfahrungen des gemeinsamen Feierns.
              den, damit das Leben an dieser Grenze        Wie viele Kinder und Jugendliche sind mit
              wieder einen gedeihlichen Verlauf finden     ihren Familien nach der Feier der Taufe,
              kann. Aber ich gestehe, dass ich das nicht   Erstkommunion und Firmung nicht mehr
              gerne mache.                                 zu sehen in der sichtbaren Gemeinschaft
                  Viel lieber spreche ich Worte in gött-   der Kirche? Haben wir nur Höhepunkte
              licher Vollmacht. Ein Kind im Kreis seiner   anzubieten, verlieren aber im normalen
              Familie in die große Gemeinschaft der        Alltagsleben der Menschen immer mehr           der Politik wie im ganzen Leben glauben
              Kirche aufzunehmen, verschafft mir viel      an Wichtigkeit?                                und vertrauen zu können, obwohl mir
              mehr tiefe Freude und Herzensfrieden.                                                       nicht alles klar ist. Aber aus dem vertrau-
              „N. ich taufe dich im Namen des Vaters,      Ein Wort, das mich                             enden Wort wächst die Hoffnung auf die
              des Sohnes und des Heiligen Geistes!“        schon lang begleitet                           Zukunft des Lebens.
              Über 2.600 Kindern konnte ich das schon      Mit dem Wort des sogenannten ungläubi-             Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass
              im Dom in den letzten Jahrzehnten zu-        gen Apostels Thomas finde ich schon seit       wir mit Worten eine neue Realität des Ver-
              sprechen und das entsprechende Doku-         Studententagen zu einer für mich größe-        trauens schaffen können.
              ment mit der Beglaubigung in Form des        ren Form der Gelassenheit. Nachdem er              Im Advent bereiten wir uns auf die
              Taufscheines ausstellen und übergeben.       bei der Erscheinung des Auferstandenen         Begegnung mit dem lebensspendenden
                  Noch viel öfter durfte ich hier schon    nicht dabei war, wollte er unbedingt sel-      Wort Gottes vor, das Fleisch geworden ist.
              im Namen des Herrn bei der Feier der hei-    ber sehen und spüren und begreifen, ob         In der Geburt des Jesuskindes spricht Gott
              ligen Messe in Vollmacht das Wort Gottes     das nicht nur leeres Geschwätz sei. Der        das unwiderrufliche JA zum Menschsein
              vortragen und es in der Verkündigung aus-    Auferstandene kommt wieder und tritt           zu. So darf ich selbst immer mehr Mensch
              legen und die Wandlungsworte sprechen.       als überwältigende Kraft des Sieges über       werden, wenn auch Gott diesen Weg der
                  Fast genau so vielen Kindern konn-       den Tod vor die Augen der Jünger. Thomas       Menschwerdung gewählt hat.
              te ich bei den wunderbaren Feiern der        fällt staunend und stammelnd auf die               Mit den besten Grüßen und Segens-
              Erstkommunion mit dem Wort „Der Leib         Knie und bekennt damit seinen Glauben:         wünschen für ein friedliches Weihnachts-
              Christi!“ dieses Geschenk und Lebensmit-     „Mein Herr und mein Gott!“                     fest und ein gesundes neues Jahr
              tel der göttlichen Gegenwart in der Ge-          Darauf spricht Jesus: „Du glaubst, weil                       Ihr dankbarer Toni Faber
              stalt des Brotes in die Hand legen. Und      du mich gesehen hast. Selig sind vielmehr
              vielen tausenden Jugendlichen durfte         die, die nicht sehen und doch glauben!“
              ich im Auftrag des Bischofs die Hand             Wie wichtig ist es für mich in der Kir-
              auflegen, sie mit dem heiligen Chrisam       che, in der Gesellschaft, natürlich auch in

                                                                                                            Gender-Hinweis
                                                                                                            Wir bitten Autoren und Leser um
                                                                                                            Verständnis, dass wir aus Gründen
                                                                                                            der besseren Lesbarkeit und der Un-
                                                                                                            versehrtheit der Sprache allgemeine
                                                                                                            Bezeichnungen wie zum Beispiel
                                                                                                            „Christ“, „Lehrer“ etc. sowie das
                                                           Titelbild: Harald Schreiber,                     ebenfalls grammatikalisch maskuli-
                                                           IM ANFANG WAR DAS WORT,                          ne Wort „Mensch“ als inklusiv (also
                                                           Mischtechnik auf Papier, 21 × 21 cm              geschlechtsneutral) verstehen und
Suzy Stöckl

                                                           Idee: Mettnitzer/Schreiber                       verwenden. Die Redaktion.
                                                           Fotocredit: Harald Schreiber

                                                                                           Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 3
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Im Anfang war das Wort

     Die Botschaft von Weihnachten: sich täg-
     lich neu bemühen, die Güte Gottes im
     eigenen Leben sichtbar werden zu lassen
     und einander in Liebe zu begegnen

  Et verbum caro factum est
  Und das Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14). Wenn Worte zum Lebensprogramm werden –
  Gedanken von Bischof Alois Schwarz über seinen Wahlspruch und die Botschaft von Weihnachten

  Es war ein Tag vor dem Heiligen Abend         wird, wenn es also Wirklichkeit und Le-        Die Liebenswürdigkeit
  im Jahre 1996, als ich vom Apostolischen      bendigkeit wird. Das war emotional für         Gottes im persönlichen Leben
  Nuntius in Österreich gerufen wurde und       mich zunächst nicht einordenbar. Es war        sichtbar machen
  er mir mitgeteilt hat, dass der Heilige Va-   begleitet von Freude darüber, dass der         Die Botschaft an die Menschen sollte
  ter mich zum Weihbischof in der Erzdi-        Heilige Vater mir das zutraut, Dankbar-        das göttliche Heilsgeheimnis sein, das
  özese Wien ernannt hat und, dass diese        keit darüber, dass ich das erleben darf, Un-   gleichzeitig auch die Grundbotschaft
  Nachricht am Fest des Heiligen Stepha-        sicherheit dabei, ob ich den Erwartungen,      des Weihnachtsfestes ist. Im christlichen
  nus, dem 26. Dezember 1996, im Dom            die die Menschen haben werden, genügen         Glauben geht es letztlich darum, die Lie-
  zu St. Stephan in Wien der Öffentlichkeit     kann und die große Hoffnung, dass Gott         benswürdigkeit unseres Gottes und seine
  verkündet werden wird. Für mich waren         mich auf dem Weg in das Bischofsamt be-        Menschenfreundlichkeit im persönlichen
  das die aufregendsten Weihnachtsfeier-        gleiten möge.                                  Leben sichtbar zu machen. Jede und je-
  tage, die ich bis dahin erlebt hatte. Viel-        Aus diesen Emotionen heraus tief be-      der ist berufen, die Güte Gottes und seine
  leicht kennen Sie diese Situation, wenn       rührt, überlegte ich, wie und was ich als      Barmherzigkeit zum Leuchten zu bringen
  Sie eine Nachricht bekommen, die Sie sich     Erstes den Medien sagen sollte. Eine der       und im vertrauenden Zugehen auf den
  im Leben niemals hätten träumen lassen.       ersten Entscheidungen war die meines           Mitmenschen unserem Gott nachzufol-
  Da bleibt das Gesagte nicht bloß im Ohr,      Wahlspruchs. In den liturgischen Texten        gen, der in der Hingabe seines Sohnes den
  sondern es manifestiert sich im ganzen        des Weihnachtsfestes und in der oben ge-       Weg der äußersten Erniedrigung gegan-
  Körper – und – je nachdem, wie traurig        nannten persönlichen Erfahrung kam mir         gen ist, um uns Menschen und die ganze
  oder erfreulich eine Nachricht eben sein      das Wort aus dem Johannesevangelium            Schöpfung aufzurichten und zu erneuern.
  kann, hat man dann die entsprechenden         entgegen, in dem es heißt: „Und das Wort       Gott ist in Jesus von Nazareth einer von
                                                                                                                                            Krippe: Tobias Bosina

  körperlichen Reaktionen. Das war auch bei     ist Fleisch geworden“ (lateinisch: Et ver-     uns geworden, um uns in die Herrlichkeit
  mir so. Ich erfuhr am eigenen Leib, wie es    bum caro factum est), das ich mir damit        des Himmels zu führen und zwar als je-
  ist, wenn das gesprochene Wort Fleisch        zu meinem Wahlspruch machte.                   ner, der uns bei der Hand nimmt, der die

4 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Die Autoren
                                                                                                                    Univ. Prof. Dr. med. Dr. theol. Mag. pharm.
                                                                                                                        Matthias Beck, Inst. Systematische Theologie/
                                                                                                                        Theologische Ethik, Kath.-Theol. Fakultät Wien
                                                                                                                    Conny Bischofberger, Journalistin, Kolumnistin,
                                                                                                                        Buchautorin, Mediatorin
                                                                                                                    Dr. Maria Hildegard Renate Brem OCist, Äbtissin
                     Sorgen und Nöte mit uns Menschen teilt                                                             von Mariastern-Gwiggen
                                                                                                                    Thomas Brezina, Kinder- und Jugendbuchautor,
                     und der uns nicht hängen oder stecken                                                              Drehbuchautor, Fernsehmoderator, Produzent
                     lässt in unseren Sünden. Da es von Gott                                                        Mag. Karin Domany, Religionspädagogin in Pens.,
                                                                                                                        Pfarrgemeinderätin St. Stephan
                     her die Grundberufung jedes Menschen                                                           Dr. Benno Elbs, Diözesanbischof von Feldkirch
                     ist, in der Ebenbildlichkeit Gottes seinen       Alois Schwarz ist                             Toni Faber, Dompfarrer, St. Stephan
                                                                                                                    P. Mag. Matthias Felber SVD, Pfarrer der Ge­mein­de
                     eigenen Weg zu finden, kann die Bitte um         Diözesanbischof                                   „Zum Göttlichen Wort“, Dechant von Favoriten
                     die Menschwerdung und damit der Satz                von St. Pölten.                            Dr. Annemarie Fenzl, ehem. Diözesanarchivarin,
                                                                                                                        Leiterin des Kardinal-König-Archivs Wien
                     „Und das Wort ist Fleisch geworden“ auch                                                       MMag. Hermann Glettler, Diözesanbischof von
                     zu einem Gebet werden.                             Die Botschaft von Weihnachten wird              Innsbruck
                                                                                                                    Reinhard H. Gruber, Domarchivar von St. Stephan
                                                                    immer dann erfahrbar, wenn jemand als           Mag. Josef Grünwidl, Pfarrmoderator von
                     Mit Jesus Christus den                         Mensch den Menschen begegnet. Des-                  Gießhübl und Perchtoldsdorf, Dechant des
                                                                                                                        Dekanats Perchtoldsdorf
                     Menschen nahe sein                             halb glaube ich, dass Weihnachten nicht         KR Kan. P. Mag. Amadeus Hörschläger OCist,
                     Diese Grundformel habe ich auch in den         auf einige Tage im Jahr reduziert werden            emeritierter Bischofsvikar, Ehrenkanoniker des
                                                                                                                        Metropolitan- und Domkapitels zu St. Stephan
                     langen Jahren meines Bischofsamtes in          kann, sondern jeder Tag von der Heraus-         Prof. Mag. Johannes Jung OSB, Abt der Benedik­ti­
                                                                                                                        ner­abtei „Unserer Lieben Frau zu den Schotten“
                     der Diözese Gurk im dortigen Leitbild „Mit     forderung lebt, den Menschen als Mensch
                                                                                                                    Mag. Rita Kupka-Baier, Leiterin der Kontrollstelle
                     Jesus Christus den Menschen nahe sein“         zu begegnen. Dann wird die Melodie „Und             der Erzdiözese Wien
                                                                                                                    Mag. Tarek Leitner, Moderator ORF, Buchautor
                     verankert. In unzähligen Begegnungen           das Wort ist Fleisch geworden“ ausbuch-
                                                                                                                    Benjamin Raimerth, Angestellter,
                     mit den Menschen und im Ringen um das          stabiert in Lebensschicksale von Men-               Pfarrgemeinderat St. Stephan
                                                                                                                    MMag. Konstantin Reymaier, Domkurat, Leiter des
                     Bewusstmachen, dass unser Gott ein lie-        schen hinein und wir werden tief berührt,
                                                                                                                        erzbischöflichen Referates für Kirchenmusik,
                     bender, ein barmherziger und gütiger Gott      wenn andere uns auch mit ihrem Wort der             Domorganist
                                                                                                                    Julia Schnizlein MA, Pfarrerin der Lutherischen
                     ist, habe ich mich bemüht, dieses Leitbild     Annahme, der Liebenswürdigkeit begeg-
                                                                                                                        Stadtkirche Wien
                     Fleisch werden zu lassen. Wir haben es         nen. Weihnachten – ein Programmwort             P. Mag. Andreas Schöffberger COp,
                                                                                                                        Pfarrmoderator von St. Josef-Reinlgasse
                     gleichsam in lebensspendende Program-          für die Liebe zum Leben.                        Dr. Christoph Kardinal Schönborn OP,
                     me und Aktivitäten umgewandelt, sodass             In der Erfahrung dieser Gemeinsam-              Erzbischof von Wien, Metropolit der Wiener
                                                                                                                        Kirchenprovinz
                     dieser Satz „Mit Jesus Christus den Men-       keit, als von Gott geliebte und von ihm ins     Dr. Alois Schwarz, Diözesanbischof von St. Pölten
                     schen nahe sein“ nicht nur leere Wort-         Leben gerufene Menschen, wünsche ich            Dr. Maria Schwendenwein, Leitung der
                                                                                                                        Gehörlosenseelsorge der Erzdiözese Wien
                     hülsen, sondern lebendig werden kann.          allen Leserinnen und Lesern eine neue Er-       Mag. Birgit Staudinger, Redaktionsleiterin
                     Viel Gutes ist daraus entstanden und es        fahrung des Lebensgeheimnisses, das uns         Ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Stowasser,
                                                                                                                        Vizedekan Kath.-Theol. Fakultät Wien, Inst. f.
                     macht Freude, wenn man das Leben und           zu Weihnachten verkündet und geschenkt              Bibelwissenschaft, Neues Testament
                     die Lebendigkeit zum Programm macht.           wurde und wird.                                 Sandra Szabo BA, ORF Religion - Fernsehen
                                                                                                                    Folke Tegetthoff, Märchendichter, Erzähler,
                                                                                                                        Buchautor
                                                                                                                    Univ.-Prof. Dr. Jan-Heiner Tück, Inst. für Syste­
                       Im Anfang war das Wort …                                                                         matische Theologie und Ethik, Dogmatik und
                                                                                                                        Dogmengeschichte, Kath.-Theol. Fakultät Wien
                       … und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei                  MR. Dr. Hedwig Ücker-Geischläger, Fachärztin für
                                                                                                                        Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapeutin
                       Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden                   und Psychoanalytikerin
                       ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht                Dr. Gudula Walterskirchen,
                                                                                                                        Historikerin, Publizistin, Buchautorin,
                       leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Ein Mensch trat auf,         Zeitungsherausgeberin
                       von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzu-                 Dr. Melanie Wolfers sds, Seelsorgerin,
                                                                                                                        Buchautorin
                       legen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst            KR P. Alfred Zainzinger OSST, Gehörlosenseelsorge
                       das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Das wahre Licht, das jeden               der Erzdiözese Wien
                                                                                                                    emer. O. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner,
                       Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch                  emer. Prof. f. Pastoraltheologie, Universität Wien
                       ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die
                       Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder             Redaktion
                                                                                                                    Redaktionsleitung: Mag. Birgit Staudinger
                       Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut,
                                                                                                                    Lektorat: Mag. Karin ­Domany, Reinhard H. ­Gruber,
                       nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus                Mag. Barbara Masin MA, Daniela ­Tollmann
                                                                                                                    Redaktionsteam: Dompfarrer Toni Faber, Diakon
                       Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt
Schwarz: Foto Kuss

                                                                                                                       Erwin Boff, Mag. Karin Domany, Mag. Heinrich
                       und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes                 ­Foglar-Deinhardstein, ­Reinhard H. Gruber,
                                                                                                                        Anneliese ­Höbart, unter der Mitarbeit von
                       vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Abschnitt aus dem Johannesprolog Joh 1,1-14)
                                                                                                                        Christian Herrlich MA

                                                                                                     Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 5
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Im Anfang war das Wort

 Am Anfang war das Wort…
  Die Einleitung des Johannesevangeliums ist ein fast poetischer, aber schwieriger Text. Der Bibel­
  wissenschaftler Martin Stowasser über den „Logos“, das Wort, das immer schon bei Gott war und in
  Jesus von Nazaret Fleisch geworden ist. Wer dieses Wort aufnimmt, findet das Leben und Gott.

  Der Prolog des Johannesevangeliums (Joh        big durchschreiten. Das Buch kreist um
  1,1-18) bildet ein Portal, durch das man das   das Geheimnis eines sich offenbarenden
  Buch betreten soll. Er wählt eine betont       Gottes, der sich in Jesus zu erkennen gibt.
  christologische Perspektive und bereitet       Seine Geschichte beginnt allerdings nicht
  in beinahe poetischer Sprache auf einen        in einer anschaulichen Erzählung vom           Martin Stowasser
  „johanneischen Jesus“ vor, aber auch           Kind in einer Krippe, sondern mit einem         ist Professor für
  auf dessen konfliktreiche Geschichte           Text voll abstrakter theologischer Begriffe:   Neues Testament
  mit jenen, die dieses Portal nicht gläu-       Wort (griech. „Logos“), Licht, Herrlichkeit.     und Vizedekan
                                                                                                 der Kath.-Theol.
                                                 Das Wort ist mächtig                             Fakultät Wien.
                                                 „Im Anfang erschuf Gott Himmel und
                                                 Erde.“ (Genesis 1,1) So beginnt der Juden      denkt. Den herausragenden Platz intimer
                                                 wie Christen gemeinsame Teil der Bibel.        Nähe und göttlicher Macht von Weisheit
                                                 Gott spricht – so ruft er die Dinge ins Da-    und Logos weist das Johannesevange-
                                                 sein und schafft heilsame Ordnung im           lium in herausfordernder Weise einem
                                                 bedrohlichen Chaos. In späteren Erzähl-        Menschen zu, Jesus von Nazaret. Er ist
                                                 mustern der Bibel agiert Gott nicht mehr       der Logos.
                                                 alleine, vielmehr ist eine personifiziert
                                                 gedachte „Frau Weisheit“ dabei. Sie ist        Das Wort führt zum Leben
                                                 ihm noch vor aller Schöpfung so nahe wie       Der transzendente und verborgene Gott
                                                 sonst niemand. Als Gottes „Spielgefähr-        gibt sich den Menschen exklusiv durch
                                                 tin“ wird sie zur Ordnungsmacht der Welt       den Logos zu erkennen, da dieser der ein-
                                                 (Sprichwörter 8,30), was vielleicht bereits    zige ist, der an der Brust des Vaters ruh-
                                                 die Vorstellung einer Schöpfungsmittler-       te. Der präexistente Logos wird Fleisch,
                                                 schaft beinhaltet. Diesen Gedanken wird        inkarniert sich und wird so zum Licht
                                                 der jüdische Philosoph Philo v. Alexan-        der Welt. Jesu einzigartiges Verhältnis zu
                                                 drien um die Zeitenwende mit dem Be-           Gott entfaltet das Buch in immer neuen
                                                 griff des „Logos“ verbinden, wenn er das       Anläufen: „Ich und der Vater sind eins.“
                                                 Konzept alttestamentlicher Weisheit neu        (Joh 10,30) In Jesu Existenz, in seinem ge-
                                                                                                samten Weg verherrlicht sich der Vater
                                                                                                selbst (Joh 12,28), in der Herrlichkeit des
                                                                                                Logos zeigt sich daher Gottes Herrlich-
                                                                                                keit. Nur so wird der unsichtbare Gott für
                                                                                                die Menschen sichtbar (Joh 17,3-5). Wer
                                                                                                sich diesem Geheimnis öffnet, findet das
                                                                                                Heil: „Das ist aber das ewige Leben, dass
                                                 Im Alten Testament wird Frau                   sie dich, der du allein wahrer Gott bist,
                                                 Weisheit als geliebtes Kind, als               und den du gesandt hast, Jesus Christus,
                                                 Spielgefährtin ­Gottes bezeichnet,             erkennen.“ (Joh 17,3) Der Logos wird somit
                                                                                                                                              Sophia: Domarchiv | Stowasser: Universität Wien

                                                 die noch vor aller Schöpfung Gott              im Johannesevangelium nicht um seiner
                                                 nahe war (Sprichwörter 8).                     selbst willen in seiner göttlichen Majestät
                                                 Sophia wird im Stephansdom mit                 bespiegelt, sondern soll Gemeinschaft mit
                                                 ihren drei Töchtern dargestellt:               Gott ermöglichen. Der Weg des Logos zielt
                                                 Fides, Spes und Caritas. Glaube,               auf den Menschen: „Denn Gott hat seinen
                                                 Hoffnung und Liebe sind Früchte                Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er
                                                 der Göttlichen Weisheit und haben              die Welt richtet, sondern damit die Welt
                                                 ihren Ursprung in Gott.                        durch ihn gerettet wird.“ (Joh 3,17)

6 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
in principio erat verbu(m)... –
                                                                   Im Anfang war das Wort. Ausschnitt
                                                                   aus einem Karolingischen Evangeliar
                                                                         aus dem 9. Jahrhundert, das im
                                                                  Dom Museum Wien aufbewahrt wird.

                                                               Das Wort ist gefährlich
                                                               Der Logos findet in seinem Eigentum
                                                               keine Aufnahme. Das Unfassbare ge-
                                                               schieht, Gottes Wort erfährt ungläubi-
                                                               ge Ablehnung: „Ist das nicht Jesus, der
                                                               Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter
                                                               wir kennen?“ (Joh 6,42) Wer das Portal
                                                               des Prologs nicht durchschreitet, kann

                                                                                                            Gottes Wohnen unter uns
                                                               die Herrlichkeit Gottes in Jesus nicht er-
                                                               kennen. Das Wort führt zur Spaltung; es
                                                               deckt auf, was zum Licht und was zur
                                                               Finsternis gehört. Die johanneischen         Die Vorstellung, dass das                    die Vision vom Menschensohn, der mit
                                                               Gemeinden erleben diese Ablehnung            göttliche Wort Fleisch geworden              den Wolken des Himmels kommt und
                                                               besonders vonseiten Israels massiv. Es       ist, unterscheidet den christlichen          dem Hochbetagten auf seinem Thron
                                                               ist in besonderer Weise „das Seine“, in      vom jüdischen Glauben. Was                   vorgestellt wird. Ihm werden „Herrschaft,
                                                               das der Logos kam. Jesussympathisan-         uns dennoch verbindet ist der                Würde und Königtum gegeben“, seine
                                                               ten werden als Häretiker aus (einigen)       Glaube, dass Gott kein rein                  Herrschaft ist von ewiger Dauer (Daniel
                                                               Synagogen ausgeschlossen (Joh 9,22).         philosophisches Gedankengebilde              7,13f). Auch die Sprüche Salomos lassen die
                                                               Dem schleudert das Buch einen seiner         jenseits von Raum und Zeit ist,              Weisheit verkünden, dass sie beim Schöp-
                                                               düstersten Sätze entgegen: „Ihr habt         sondern dass Gott den Menschen               fungswerk anwesend war und „allezeit“
                                                               den Teufel zum Vater“ (Joh 8,44). In einer   ganz nahe sein möchte. Der                   als „geliebtes Kind“ vor dem Antlitz Gottes
                                                               traumatisiert verengten Weltsicht, die       Dogmatiker Jan-Heiner Tück                   spielte (Sprichwörter 8,22-30). Zugleich ist
                                                               nur noch Licht oder Finsternis als Alter-    über die jüdische Theologie                  es die Freude der Weisheit, bei den Men-
                                                               nativen zulässt, haben diejenigen, die an    der Einwohnung und den                       schen zu wohnen (Jesus Sirach 24,8). Bei
                                                               den johanneischen Jesus glauben, Gott        christlichen Inkarnationsglauben             Philo von Alexandrien rückt der Logos
                                                               zum Vater, Nichtglaubende den Teufel.                                                     schon sehr nahe an Gott heran, wenn er
                                                                                                            „Am Anfang war das Wort und das Wort         als „Erstgeborener“ und „zweiter Gott“ be-
                                                               Das Wort ist und bleibt                      war bei Gott“, beginnt der Johannes-Pro-     zeichnet wird, der die Menschen schafft
                                                               eine Herausforderung                         log und bringt damit die Präexistenz         und sie mit Gott verbindet. Die Nähe zum
                                                               Das Wort ist mächtig, es hebt die Schöp-     des Logos zum Ausdruck, aus dem alles,       Prolog des Johannesevangeliums ist hier
                                                               fung ins Dasein. Das Wort führt zum          was ist, hervorgegangen ist. Wenig spä-      mit Händen zu greifen.
                                                               Leben, es vermittelt den sich offen-         ter folgt die berühmte Spitzenaussage:
                                                               barenden Gott und so Lebensgemein-           „Und das Wort ist Fleisch geworden und       Gott schlägt sein Zelt
                                                               schaft mit ihm. Das Wort ist gefährlich,     hat unter uns gewohnt.“ Gottes Wort ist      unter uns auf
                                                               es bringt Spaltung in die Welt. Dass das     Mensch unter Menschen geworden, um           Der Prolog geht nun einen entscheidenden
                                                               Johannesevangelium den Begriff des           ihnen Gott nahezubringen. Im christ-         Schritt weiter, wenn er von der Fleischwer-
                                                               Wortes an seinen Beginn stellt, ist in       lich-jüdischen Dialog gelten Präexistenz     dung des göttlichen Logos spricht, diese
Evangeliar: Dom Museum Wien / Leni Deinhardstein, Lisa Rastl

                                                               sich bereits Botschaft. „Wort“ zielt auf     und Inkarnation als unüberbrückbare          Aussage aber sofort durch das Motiv der
                                                               Mitteilung, auf Kommunikation, auf           Differenzen. Martin Buber hat von der        Einwohnung ergänzt: „und hat unter uns
                                                               Auseinandersetzung mit dem Wort. Der         „prinzipiellen Inkarnationslosigkeit“ des    gewohnt“ (Joh 1,14). Diese Aussage ist im
                                                               unsichtbare, verborgene Gott wollte sich     Judentums gesprochen.                        Resonanzraum des Alten Testaments zu
                                                               den Menschen zu deren Heil erschließen.          Die Vorstellungen von Präexistenz und    lesen. Denn das Wohnen des Wortes unter
                                                               Dieses johanneische Wort fordert eine        Inkarnation sind dem Judentum allerdings     uns, wörtlich sein Zelt-Aufschlagen unter
                                                               nicht leicht zu gebende persönliche Ant-     nicht ganz so fremd, wie es auf den ersten   uns, spielt auf das Offenbarungszelt am
                                                               wort: Ist der Jude Jesus von Nazaret, hin-   Blick scheint. Dort begegnet uns die Vor-    Sinai an, wo sich die Herrlichkeit Gottes
                                                               gerichtet um 30 n. Chr., dieses Wort, ist    stellung von „zwei Göttern im Himmel“        zeigt. Die rabbinische Theologie hat die
                                                               er der Logos?                                (Peter Schäfer). So gibt es im Buch Daniel   Vorstellung vom Wohnen Gottes ▶

                                                                                                                                          Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 7
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Im Anfang war das Wort

                                                 Ein gutes Wort
  ▶ durch die Lehre von der Schekhina
  weitergeführt. Sowohl der Glaube an die
  Menschwerdung als auch die Lehre von
  der Schekhina sprengen die Kategorien          Nicht nur Bischöfe haben einen Wahlspruch, auch in Ordens­
  der philosophischen Gotteslehre, insofern      gemein­schaften sucht sich der neugewählte Abt oder die
  sie Gott in Verbindung bringen mit der Ge-     Äbtissin ein Wort, einen Leitsatz für sein bzw. ihr Amt aus.
  schichte der Menschen. Anders als Platon       Der Benediktiner Johannes Jung entschied sich bei der Wahl
  und Aristoteles, die das göttliche Eine in     zum Abt des Wiener Schottenstiftes für den Spruch: „Verbum
  Kategorien der Geschichtstranszendenz,         bonum“. Über das „gute Wort“ und wie es dazu kam
  der Unveränderlichkeit und Apathie den-
  ken, beschreiben christliche Theologen und     Im Benediktinergymnasium von Melk           sus Sirach: Ein gutes Wort geht über die
  Rabbinen den Akt der Zuwendung Gottes          hängt an der Türe des Sprechzimmers für     beste Gabe (18, 17).
  zu seinem erwählten Volk in Kategorien der     Schülerinnen und Schüler eine Tafel, auf
  Beziehung und des Bundes. Die Vorstellung      der es sinngemäß heißt: „Niemand soll       Abendliche Gewissens­
  der Schekhina geht von einer geschichtli-      diesen Raum traurig verlassen“. Als ich     erforschung: Waren die Worte
  chen Nähe und Präsenz Gottes bei seinem        Direktor des Schottengymnasiums wurde,      des heutigen Tages „gut“?
  erwählten Volk aus: im brennenden Dorn-        habe ich mir gedacht: Dasselbe wünsche      Nach vielen Jahren mit diesem Leitsatz
  busch, in der Wolken- und in der Feuersäu-     ich mir von meiner Direktionskanzlei. Bei   ist meine Erfahrung zuerst, dass die Men-
  le, auf dem Berg Sinai, im Bundeszelt, im      der Feier zur Übernahme der Schulleitung    schen auf diesen Spruch zurückkommen
  Tempel, aber auch in der bedrängten und        habe ich dann gesagt: Das soll mein Mot-    und mich gelegentlich daran erinnern, ich
  leidenden Gemeinde. Gott bleibt demnach        to sein: Ich möchte wenigstens ein gutes    müsste doch jetzt auch für sie ein gutes
  nicht in sich und für sich, er wendet sich     Wort für alle haben.                        Wort haben, da ich doch eben eher der
  seinem Volk zu, in dem er sich herablässt          Nach der Wahl zum Abt habe ich          strenge Vorgesetzte als der liebende Vater
  und sich ihm zuneigt. Der in Jesaja 7,14 er-   diesen Satz beibehalten und nur in das      für sie war. In manchen Fällen verlangte
  wähnte Name „Immanu-El“ – Gott mit uns         gängige Schema für Prälatendevisen ge-      dies einen massiven Perspektivenwechsel,
  – wurde von den Rabbinen mit Blick auf         bracht und dann auch noch auf Latein for-   in anderen Situationen war es gar nicht
  die Einwohnung Gottes umgeschrieben:           muliert: Verbum bonum. Die Wendung          so schwer, auch Gutes zu sehen und dann
  „Immanu-Schekhina“.                            stammt aus der Benediktsregel (RB) und      auch zu sagen. Es war erstaunlich zu se-
       Ohne die jüdische Lehre von der           ist nicht auf die Tätigkeit des Abtes ge-   hen, dass den Menschen, mit denen ich
  Schekhina christlich zu vereinnahmen,          münzt, sondern auf die des Cellerars, des   zu tun habe, dieses „gute Wort“ wirklich
  lässt sich in ihr doch eine Verwandtschaft     Wirtschaftsführers eines Benediktiner-      wichtig ist und dass es wirklich tröstet,
  zum Glauben an die Inkarnation erken-          klosters, gilt aber, wie unschwer erkannt   aufbaut, vielfach ein Segen ist. Gleichzeitig
  nen, insofern als sie Gott über das Motiv      werden kann, für alle, die Leitungsaufga-   ist der Wahlspruch Gegenstand der abend-
  der Einwohnung mit der Geschichte ver-         ben innehaben. Inspiriert ist der heilige   lichen Gewissenserforschung: Waren die
  bindet. Der christliche Inkarnationsglau-      Benedikt dabei durch die im Regeltext       Worte des heutigen Tages „gut“ oder hätte
  be kann als Steigerung der Lehre von der       auch zitierte Wendung aus dem Buch Je-      es nicht mehr davon gebraucht?
  Einwohnung Gottes in Israel verstanden
  werden. Zu Weihnachten feiern Chris-
  ten, dass der unbegreifliche Gott sich          Aus dem 31. Kapitel der Klosterregel Benedikts
  selbst begreiflich gemacht hat und uns          Als Cellerar des Klosters werde aus der Gemeinschaft ein Bruder ausgewählt,
  im menschgewordenen Wort sein Ange-             der weise ist, reifen Charakters und nüchtern.
  sicht zugewandt hat. Das ist Anlass zu          Er sei nicht maßlos im Essen, nicht überheblich, nicht stürmisch,
  Freude und Dank!                                nicht verletzend, nicht umständlich und nicht verschwenderisch.
                                                  Vielmehr sei er gottesfürchtig und der ganzen
                                                  Gemeinschaft wie ein Vater. […]
                                                  Er mache die Brüder nicht traurig.
                                                                                                                                             Tück: Universität Wien / Institut für Dogmatik

                                                  Falls ein Bruder unvernünftig etwas fordert,
                                                  kränke er ihn nicht durch Verachtung, sondern schlage ihm
    Jan-Heiner Tück
    ist Professor für                             die unangemessene Bitte vernünftig und mit Demut ab.
       Dogmatik an                                Nichts darf er vernachlässigen. Vor allem habe er Demut. Kann er einem
    der Kath.-Theol.                              Bruder nichts geben, dann schenke er ihm wenigstens ein gutes Wort.
   Fakultät der Uni-                              Es steht ja geschrieben:
      versität Wien.                             „Ein gutes Wort geht über die beste Gabe.“ (Sir 18,17)

8 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Das Buch im Wappen von Abt
                                                                                                                  Johannes Jung OSB verweist dar-
                                                                                                                  auf, dass der Dienst des Abtes in der
                                                                                                                  Verkündigung des Wortes Gottes
                                                                                                                  besteht. Durch das tägliche Lesen,
                                                                                                                  Meditieren und Verinnerlichen der
                                                                                                                  Heiligen Schrift kann man selbst zum
                                                                                                                  guten Wort für den anderen werden.

                                                                                                                  wurde, an Jesus Christus selbst, das Wort,
                                                                                                                  das Fleisch geworden ist, um unter uns zu
                                                                                                                  wohnen. Indem er Bild des unsichtbaren
                                                                                                                  Gottes ist (Kol 1, 15), ist es möglich, ihn zu
                                                                                                                  betrachten in seinem Wort und Beispiel
                                                                                                                  und so den Vater zu erkennen: Wer mich
                                                                                                                  gesehen hat, hat den Vater gesehen (Joh
                                                                                                                  14,9). Das wirkliche Verbum bonum ist
                                                                                                                  also der richtige Weg für die „Gottsuche“,
                                                                                                                  in der Rechtfertigung und Sinn des mo-
                                                                                                                  nastischen Ordenslebens besteht: Sorg-
                                                                                                                  fältig achte man darauf, ob der Novize (der
                                                                                                                  sich dem Kloster anschließen will) wirklich
                                                                                                                  Gott sucht, formuliert Benedikt (RB 58, 7).
                                                                                                                  Hinter dieses Kriterium dürfen auch die
                                                                                                                  älteren Mönche nicht zurück, und zwar
                                                                                                                  so, dass sie dabei Christus nicht nur wie
                                                                                                                  etwas Fremdes annehmen, sondern dass
                      Heilige Schrift – das gute                    damit er Bescheid weiß und einen Schatz       sie, gleichsam ein zweiter Christus gewor-
                      Wort Gottes für uns                           hat, aus dem er Neues und Altes hervor-       den, Worte finden, die gleichsam Worte
                      Aber der Wahlspruch ist natürlich auch        holen kann (RB 64, 9). In unserer täglichen   Christi sind, also auch selbst zum guten
                      etwas hintergründig. Auf den ersten Blick     Liturgie werden wir stets von neuem an        Wort werden.
                      nennt er ein Vorhaben, eine Absicht für       diesen Primat des Wortes Gottes erinnert           Wenn dies gelingt, geht nach einer Be-
                      meinen Umgang mit Menschen und ist            und in der täglichen Meditation kann sich     gegnung wirklich niemand traurig weg.
                      auch eine Bitte um die Fähigkeit dazu.        vertiefen, was man gehört und gelesen
                      Doch bezieht er sich auch auf die Heilige     hat. Auch dies ist mit dem Verbum bonum
                      Schrift, das gute Wort Gottes für uns, dem    gemeint: dass die Schrift unser Inneres
                      jeder und jede, die in der Kirche etwas zu    erreicht und es umformt und wandelt;
                      sagen haben, verpflichtet sind. Darauf ver-   so kann man selbst zum guten Wort für
                      weist in meinem Wappen das geöffnete          andere werden.
                      Buch am Kreuzstab des Täufers, der mein                                                         Johannes Jung
                      Namenspatron ist. Dieses Detail sollte        Das Wort Gottes anneh­                                  ist Abt der
                      zeigen, dass der Dienst des Abtes nicht       men und weitergeben                                 Benediktiner-
                      zuletzt in der Verkündigung der Schrift       Schließlich aber und nicht zuletzt sind all        abtei „Unserer
Jung: Michael Sazel

                      besteht, in ihrer Auslegung im Kreis der      die guten Worte, die wir für uns hören                Lieben Frau
                      Brüder und darüber hinaus: Der Abt muss       und die wir für andere finden, geknüpft             zu den Schot-
                      daher das göttliche Gesetz genau kennen,      an das beste Wort, das uns geschenkt                 ten“ in Wien.

                                                                                                   Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 9
Pfarrblatt - Dompfarre St. Stephan
Im Anfang war das Wort

   »Du hast Worte ewigen Lebens…«
   Seit 25 Jahren arbeitet sie als                  ganz konkret wird, wo ist dann die Liebe?
   Ökonomin für die Erzdiözese                      Wo ist die Liebe, wenn ich einen Bettler,
   Wien. Wir haben Rita Kupka-                      der zu nahe kommt, zu sehr drängt, etwas
   Baier gefragt, was sie in                        von Meinem abzubekommen, anfahre?
   der Kirche hält und welche                       Wo ist die Liebe in so vielen alltäglichen
   Bedeutung der Glaube für sie hat.                Situationen – im Supermarkt, in der Stra-              Rita Kupka-
                                                    ßenbahn, weil es nicht schnell genug geht,         Baier ist Leiterin
   Was hält mich in der Kirche? Gemeint             weil jemand umständlich tut …?                        der Kontroll-
   ist wohl die römisch-katholische Kirche               Am besten ist jedoch das Urteil über die        stelle der Erz-
   oder gar die Einheit aller Christen, die         Organisation Kirche. Die Evangelien sind             diözese Wien.
   den Leib Christi bilden? Und tatsächlich         nicht gerade ein Steinbruch, aus dem man
   gehört das Eine zum Anderen. Und die             sich gut bedienen kann, um eine Aufbau-          nicht alles baut auf“ (1 Korinther 10,23).
   Antwort auf die eingangs gestellte Frage         organisation zu schaffen. Am Konkretesten        Dieser Satz atmet die große Freiheit des
   ist einfach, Jesus ist ein Freund, er ist Teil   ist da Paulus. „Und er setzte die einen als      Christseins. Es ist an mir, es ist an uns,
   meines Lebens.                                   Apostel ein, andere als Propheten, ande-         zu entscheiden, wofür ich mich, wofür
                                                    re als Evangelisten, andere als Hirten und       wir uns einsetzen. Ob wir aufbauen oder
   Worte, die in die Tat um­                        Lehrer, …“ (Epheser 4,11). So wirklich konkret   verkommen lassen. Und nichts bringt für
   gesetzt werden müssen                            ist das nicht, würde ich sagen. In 2000 Jah-     mich die Freiheit schöner zum Ausdruck
   Gut, er hat ein paar Herausforderungen           ren hat die Kirche Strukturen entwickelt,        als „Es gibt nicht mehr Juden und Grie-
   mitgegeben auf den Weg, Verhaltensre-            verworfen, wiederentdeckt – und Vieles           chen, nicht Sklaven und Freie, nicht männ-
   geln sozusagen. Wir sollen einander lie-         davon skandalisierte – deshalb haben wir         lich und weiblich; denn ihr alle seid einer
   ben (Johannes 15,17), und wir sollen uns         so eine bunte Vielfalt christlicher Kirchen.     in Christus Jesus. Wenn ihr aber Christus
   aufmachen und Frucht bringen, und die-           Mit Recht, und nicht nur mit dem Recht,          gehört, dann seid ihr Abrahams Nach-
   se Frucht soll von Bestand sein (Joh 15,16).     auch mit der Pflicht zu skandalisieren. Es       kommen, Erben gemäß der Verheißung“
   Und wenn wir das erfüllen, wird uns der          gibt Missstände, die zu benennen, beim           (Galater 3,28-29).
   Vater alles geben, um was wir im Namen           Namen zu nennen, Pflicht ist.                        Auch wenn die Organisation der Kir-
   Jesu bitten (Joh 15,16).                                                                          che hinter diesem Bild der Freiheit her-
       Ganz ehrlich, wer hat den Eindruck,          Atem der Freiheit                                hampelt, keucht und stöhnt bei dem Ge-
   dass dies immer zutrifft? Oder öfter?            Dabei braucht es eines der großen christ-        danken, den Anmutungen, die sich daraus
   Vielleicht manchmal? Alle diese Sätze            lichen Charismen – die Unterscheidung.           ergeben, ist es dieser Atem der Freiheit,
   der Bibel lesen sich einfach, bringen er-        Paulus schreibt „Alles ist erlaubt – aber        der mich fliegen lässt.
   bauliche Predigten hervor. Aber wenn es          nicht alles nützt. Alles ist erlaubt – aber
                                                                                                     Mensch werden
                                                                                                     wie Gott uns gedacht hat

»damit
                                                                                                     Der Name unseres Gottes ist Jesus – „Gott
                                                                                                     rettet“ – die Erinnerungen an alle großen
 Der Herr schenkt dir sein Wort,                                                                     „Rückholaktionen“ des Alten Testamen-
                                                                                                     tes, der Bibel unserer älteren Brüder und
       du es wie einen Liebesbrief                                                                   Schwestern, führen uns zur eigentlichen

   aufnimmst, den er für dich geschrieben
                                                                                                     und wichtigsten Befreiung: dem Heil-Wer-
                                                                                                                                                   Kupka-Baier: ED Wien/Stephan Schönlaub

                                                                                                     den, dem Mensch-Werden, wie Gott uns

   hat, um dich spüren zu lassen,                                                                    gedacht hat. „Zur Freiheit hat Christus

                                                             «
                                                                                                     uns befreit.“ (Gal 5,1) – hat Paulus den

   dass er an deiner Seite ist.                                                                      Galatern – und uns – ins Stammbuch ge-
                                                                                                     schrieben. Freiheit und Verantwortung
                                                                              Papst Franziskus       entstehen so als ein untrennbares Paar im
                                                                                                     Blick auf unsere eigene Geschichte …

10 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
Gott ist ganz konkret zu
                                                                                                                                             uns gekommen – und war-            Liebe ist konkret
                                                                                                                                                tet auf unsere konkrete         Faust gehört zu denen, die lieber nicht zu
                                                                                                                                                 Antwort: unsere Liebe.         konkret werden. Und Gretchen entgegnet
                                                                                                                                                                                etwas naiv: „Ungefähr sagt das der Pfarrer
                                                                                                                                                                                auch, nur mit ein bisschen anderen Wor-
                                                                                                                                                                                ten.“ Auch wir Priester denken oft ähnlich:
                                                                                                                                                                                Nur nicht zu konkret werden! Aber Weih-
                                                                                                                                                                                nachten ist ungeheuer konkret, da geht es
                                                                                                                                                                                um ein geschichtliches Ereignis. Da geht
                                                                                                                                                                                es darum, dass Gott ganz konkret wird.
                                                                                                                                                                                Vom Licht reden, das jeden Menschen er-
                                                                                                                                                                                leuchtet, das können wir alle, das passt
                                                                                                                                                                                gut in ein allgemeines Weltbild. So wie
                                                                                                                                                                                viele sagen: Ich glaube an eine höhere

                                                                                     Gott ist konkret
                                                                                                                                                                                Macht, die uns lenkt; oder noch einfacher:
                                                                                                                                                                                Irgendetwas Höheres muss es geben!
                                                                                                                                                                                Doch das Wort, der logos, bleibt nicht abs-
                                                                                                                                                                                trakt, sondern wird „Fleisch“, wird Mensch.
                                                                                   Der Johannesprolog hat zu allen Zeiten Künstler und Poeten inspiriert,                       Er „hat unter uns gewohnt“, wörtlich heißt
                                                                                   ein klassisches Beispiel aus der Literatur ist Goethes Faust.                                es: „Er hat sein Zelt unter uns aufgeschla-
                                                                                   Kardinal Schönborn hat dies in einer Weihnachtspredigt näher betrachtet.                     gen“ (Joh , ganz konkret ist er da. Im Ersten
                                                                                                                                                                                Johannesbrief steht der wunderbare Satz:
                                                                                   Der Beginn des Johannes-Evangeliums            historischen Ereignissen: „Ein Mann trat      „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8). Auch das mag
                                                                                   ist zweifellos einer der größten Texte der     auf, Johannes war sein Name, von Gott         sehr abstrakt klingen. Aber kann Liebe
                                                                                   Weltliteratur. Der große deutsche Dichter      gesandt, er sollte Zeugnis ablegen.“ Plötz-   abstrakt sein? Kann es abstrakt bleiben,
                                                                                   Johann Wolfgang von Goethe hat den Text        lich ist es nicht mehr dieser Höhenflug,      wenn Gott uns so geliebt hat, dass er
                                                                                   in seinem Theaterstück „Faust“ themati-        sondern es geht konkret um ein Zeugnis,
                                                                                   siert: Faust versucht in seiner Studierstu-    um eine Geschichte, um etwas, das es zu
                                                                                   be das Johannes-Evangelium zu überset-         glauben gilt.
                                                                                   zen. Im Anfang war der „logos“, heißt es im        Licht und Finsternis sind große Sym-
                                                                                   griechischen Text des Neuen Testaments.        bole, über die sich viel spekulieren lässt.
                                                                                   Wie soll er das übersetzen? Im Anfang war      Aber beim Zeugnis stellt sich die Frage:
                                                                                   das „Wort“. Ja, gewiss! Aber „logos“ heißt     Wird es angenommen oder wird es ab-
                                                                                   auch „Sinn“, heißt auch „Kraft“. All das ge-   gelehnt? Dieses ganz Konkrete kommt                     Kardinal
                                                                                   nügt Faust nicht und schließlich übersetzt     in Goethes Faust mit der berühmten             ­Christoph Schön-
                                                                                   er: „Im Anfang war die „Tat“. Und er hat       Frage des Gretchens zum Ausdruck, die              born ist Erzbi-
                                                                                   damit gar nicht so unrecht. Denn in der        sie Faust stellt: „Nun sag, wie hast du’s        schof von Wien.
                                                                                   Sprache des Alten Testaments, im Hebräi-       mit der Religion?“ Zum Weihnachtsfest
                                                                                   schen, steht der Ausdruck „dabar“ sowohl       – mit all den erhabenen Gefühlen, mit         seinen Sohn gesandt hat? Liebe entsteht
Maria mit Jesuskind: Thomas Bosina | Schönborn: Erdiözese Wien/Stephan Schönlaub

                                                                                   für „Wort“ als auch für „Tat“. So lautet der   dem wunderschönen Gottesdienst, der           immer zwischen Personen, sie ist konkret.
                                                                                   erste Satz der Bibel: „Im Anfang schuf         Musik – eine überraschende Frage: Wie         Sie fordert Gegenliebe, sie spricht uns an,
                                                                                   Gott Himmel und Erde.“ Das ist „Wort           hast du’s mit der Religion? Faust weicht      sie ist Anspruch.
                                                                                   und Tat“ zugleich.                             aus und antwortet:                                 Gott hat es uns leicht gemacht zu lie-
                                                                                                                                                                                ben, er ist nicht als der Allmächtige ge-
                                                                                   Licht und Finsternis                              Mein Liebchen, wer darf sagen:             kommen, sondern als Kind. Und was fällt
                                                                                   Der Evangelist Johannes lässt uns einen           Ich glaub’ an Gott?“ […]                   uns leichter, als ein Kind zu lieben? Gott ist
                                                                                   wunderbaren Höhenflug erleben, er                 Wer darf ihn nennen?                       als Kind zu uns gekommen, ganz konkret.
                                                                                   schreibt ein Loblied auf die höchsten gött-       Und wer bekennen […]                       Das Kind wartet darauf, dass wir mit Liebe
                                                                                   lichen Geheimnisse: „Das Licht leuchtete          Nenn’ es dann, wie du willst,              antworten.
                                                                                   in der Finsternis. Und die Finsternis hat         Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!                    Gedanken von Kardinal Christoph
                                                                                   es nicht erfasst.“ Aber dann kehrt er auf         Ich habe keinen Namen                                     Schönborn zum Evangelium
                                                                                   den Boden der Wirklichkeit zurück und un-         Dafür! Gefühl ist alles;                           am Hochfest der Geburt des Herrn,
                                                                                   terbricht das Loblied mit ganz konkreten          Name ist Schall und Rauch …                              25. Dezember 2012 (Joh 1,1-14)

                                                                                                                                                                 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 11
Im Anfang war das Wort

   Habt keine Gottesangst!
                                                                                                   dem Zuviel? Leider haben Kirchenleute
                                                                                                   solche Ängste gegenüber Gott auch noch
                                                                                                   verstärkt. Ich habe in meinem seelsorg-
   Welches Bild von Gott haben die Menschen unserer Gesellschaft                                   lichen Tun Leute getroffen, die eine „Hei-
   heute? Und welches Wort aus der Heiligen Schrift findet sich so oft,                            denangst“ vor Gott hatten. Bitter ist, dass
   dass wir es uns täglich zu Herzen nehmen dürfen?                                                dieses Schüren der Gottesangst den ver-
   Gedanken in unsicheren Zeiten von Paul M. Zulehner                                              ängstigten Menschen nicht geholfen hat,
                                                                                                   wohl aber die Macht der Kirche gestärkt
   Nicht erst in der Zeit der Pandemie treibt                                                      hat. Angst sichert Macht: Eine große Ver-
   immer mehr Zeitgenossinnen und Zeitge-                                                          suchung nicht nur in der Kirche, sondern
   nossen die Frage nach Gott um. Hier sind                                                        auch in der Politik.
   ein paar erhellende Zitate aus den Texten       Paul M. Zulehner
   von Teilnehmenden an der großen Coro-             ist emeritierter                              Jesus hat Angst nicht
   na-Umfrage, an der sich weltweit über                Professor für                              kleingeredet, sondern
   14.200 Menschen beteiligt haben. Einige        Pastoraltheologie,                               „aufgeschultert“
   Studienteilnehmende machen zur Gottes-             Religions- und                               Wenn es stimmt, steht in der Bibel 366
   frage kritische Anmerkungen: „Das Got-              Wertforscher                                Mal „habt keine Angst!“ oder „Fürchtet
   tesbild trägt überhaupt nicht mehr.“ „Die        und Buchautor.                                 euch nicht“. Jener Gott, für den Jesus
   Kirchen verharren immer noch in mittel-                                                         steht, macht nicht Angst, sondern heilt
   alterlichen Gottesbildern.“ Eine Frau mitt-    wahrzunehmen. Das lehrt die Tiefenpsy-           von dieser, indem er in ihr bestehen hilft.
   leren Alters stellte fest, dass „Kirche und    chologin Monika Renz. Es ist die Urangst         Jesus hat die Angst nicht kleingeredet.
   der Glaube an Gott sich nicht mehr be-         davor, dass es „zu viel“ ist, was auf uns ein-   Vielmehr hat er sie bei seinem Sterben in
   dingen“. Eine andere schaute besorgt auf       strömt, und zugleich „zu wenig“, was wir         dramatischer Weise erlitten. Es war, als ob
   unsere Kirche und vermerkte: „Kann sich        zum eigenständigen Überleben brauchen,           es eine Art Weltangst gibt, die Jesus im
   das eine Kirche leisten, die als Institution   sobald die Nabelschnur abgeschnitten ist.        Sterben aufgeschultert worden ist. So hat
   ihre Kraft verloren hat? Aber Spiritualität    Diese Urangst findet immer wieder neue           er uns vorgelebt, dass und wie es möglich
   gibt es doch... der Geist weht, wo er will.    Gesichter. Zum Beispiel in der Flüchtlings-      ist, selbst in der schwersten physischen
   Mir wäre lieber, wenn er in meiner Kirche      zeit: Da kommen zu viele! Und wenn sie           und moralischen Angst in dieser Welt
   spürbarer wäre.“ Nachdenklich macht die        kommen, reicht es nicht mehr für uns!            und vor Gott zu bestehen. Jesus konnte
   Bemerkung eines Befragten, ihm fehle es        Auch in der Coronazeit fühlen sich viele         eine Gegenkraft gegen die andrängende
   an „positiven Begründungen – außer der         ohnmächtig und überfordert zugleich.             Angst mobilisieren: ein tiefes Vertrauen in
   Angst: z.B. ein Gottesverständnis in heu-          Könnte es sein, dass wir diese Ängste        seinen Gott. In dessen Hände ließ er sich
   tigen Denkkategorien und eine Kirche, die      auch auf Gott projizieren? Steckt nicht in       in seiner Todesangst fallen.
   uns zu glauben hilft.“                         uns die Angst, dass Gott zu viel von uns
       Nun haben alle Menschen Angst, seit        verlangt und dass wir es nie schaffen,           Fürchtet euch nicht!
   wir im Schoß der Mutter angefangen ha-         seinen Ansprüchen zu genügen – also              „Fürchtet euch nicht!“ heißt also für Jesus:
   ben, uns gegenüber einer fremden Welt          wieder die Angst vor dem Zuwenig und             „Vertraut auf Gott!“ Ihr könnt euch auf ihn
                                                                                                   verlassen! Dann könnt ihr in jeder Angst
                                   Paul M. Zulehner, Bange Zuversicht.                             bestehen: in der Angst vor der Pandemie,
                                   Was Menschen in der Corona-Krise bewegt,                        vor schutzsuchenden Menschen, mora-
                                   ­erscheint Jänner 2021 im Patmos Verlag:                        lisch vor Gott nicht bestehen zu können,
                                    Die Coronapandemie hat das Lebensgefühl der Men-               zu wenig das gelebt zu haben, worauf es
                                    schen tiefgreifend verändert. Zum Schutz von Risiko-           einzig ankommt, ein liebender Mensch
                                    gruppen wurde vorübergehend das gesellschaftliche              zu werden; in der Angst vor dem Tod und
                                    Leben zum Stillstand gebracht – z. T. mit dramatischen         der Vergänglichkeit, also davor, dass am
                                    Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch für          Ende der Tod stärker ist als die Liebe. Das
                                    die christlichen Kirchen. Grundsätzliche Fragen werden         Einzige, was wir selbst beitragen können
                                    aufgeworfen und diskutiert. Was hat Vorrang: Gesund-           ist, uns mit der Quelle des Urvertrauens
                                    heit und Sicherheit oder Freiheit und Wirtschaft?              zu verbinden, die Gott selbst ist.
                                    Eine internationale Online-Umfrage in zehn Spra-                    Das gelingt mehr Menschen, mit de-
                                                                                                                                                  Zulehner: Franz Reisenhofer

                                    chen hat die Meinungslage in den Bevölkerungen                 nen wir leben, als wir ahnen. Noch einmal
                                    eingeholt und tiefe Spaltungen festgestellt. Die Er-           aus der Corona-Umfrage: „Ich spüre, wie
                                    gebnisse der Studie werden von Paul M. Zulehner                Gott für uns sorgt.“ Es ist das „Gottver-
                                    präsentiert und pastoraltheologisch interpretiert.             trauen, das mir die Angst nimmt“.

12 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
▶ Kummer und Sorgen: „Es wird al-
                                                                                                                                                           les gut“, „Der HERR ist mein Hirte ...“
                                                                                                                                                           (Psalm 23), „Aus der Tiefe rufe ich zu
                                                                                                                                                           Dir“ (Psalm 130)
                                                                                                                                                         ▶ Liebeskummer: „Liebste Gottesmutter,
                                                                                                                                                           ich danke Dir innigst, dass Du meine
                                                                                                                                                           Bitte nicht erfüllt hast!“ (gelesen auf
                                                                                                                                                           Votivtafeln in Einsiedeln)
                                                                                                                                                         ▶ Lieblosigkeit, Kränkung: „Ich liebe dich

                                                              Hausapotheke gefüllt mit
                                                                                                                                                           trotzdem und mich auch“
                                                                                                                                                         ▶ Hoffnungslosigkeit: „Morgen ist ein
                                                                                                                                                           neuer Tag, ich schaffe das, ich bin tüch-

                                                              guten, heilsamen Worten
                                                                                                                                                           tig“, „Der HERR ist mein Hirte“, „Jesus,
                                                                                                                                                           Du bist meine Hoffnung“
                                                                                                                                                         ▶ Traurigkeit: „Es wird alles wieder
                                                              „Sprich nur ein Wort und meine Seele ist gesund“ – Die erfahrene                             gut“, „Morgen wird wieder die Sonne
                                                              Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Hedwig Ücker-Geischläger                           scheinen!“
                                                              bietet einen Einblick in die Erkenntnisse der Hirnforschung und                            ▶ Enttäuschung: „Wirf Deine Sorge auf
                                                              wie man sich diese Ergebnisse zunutze machen kann: indem man                                 den Herrn, ER hält dich aufrecht!“
                                                              sich eine „Hausapotheke“ an guten Worten anlegt                                            ▶ Verzweiflung: sich folgende Segens-
                                                                                                                                                           worte zusagen: „Der Herr segne mich,
                                                              Worte sind wirksam                           wichtigsten Erkenntnisse ist, dass nicht        ER beschütze mich und wandle das
                                                              wie Medikamente                              nur Verhalten zu einer Veränderung der          Leid in Freude“
                                                              Der Neurobiologe und Hirnforscher Joa-       Gehirnstruktur führt, sondern auch um-        ▶ Schlaflosigkeit: „In Frieden lege ich
                                                              chim Bauer, Professor an der Universität     gekehrt die Gehirnstruktur eine Änderung        mich nieder und schlafe ein; denn du
                                                              Freiburg schreibt in seinem Buch „Selbst-    des Verhaltens bewirken kann. Der Schlüs-       allein, Herr, lässt mich sorglos ruhen.“
                                                              steuerung“: „Da unser Gehirn Kommuni-        sel dazu sind unsere Gedanken und die           (vgl. Psalm 4,9)
                                                              kation in Biologie verwandelt, können        damit verbundene mentale Kraft.               ▶ Sehnsucht nach Geborgenheit: Du
                                                              Worte – das lässt sich wissenschaftlich           Schließlich beschrieb schon vor Jah-       Herr, umfängst mich von allen Seiten
                                                              einwandfrei nachweisen – auf die glei-       ren der Hirnforscher Gerald Hüther in           und legst Deine Hand auf mich. (vgl.
                                                              chen biologischen Rezeptoren (Gehirn-        seinem Buch „Bedienungsanleitung für            Psalm 139)
                                                              zellen) einwirken wie Medikamente.“          ein menschliches Gehirn“, dass, wenn wir      ▶ (Innerer) Konflikt: „Komm o Geist der
                                                              Nicht nur die Beobachtung von Taten,         etwas Gutes denken, es sich verwirklichen       Heiligkeit...“ (Risiken und Nebenwir-
                                                              sondern auch das Lesen oder Hören von        wird. Es ist – wie bei einem Weg – zuerst       kungen dazu finden Sie im Liedtext
                                                              Wörtern zeigt konkrete Wirkung, haben        ein Trampelpfad, dann irgendwann eine           im Gotteslob)
                                                              also Macht.                                  schöne Straße und irgendwann kann es          ▶ Innere Dunkelheit: „Der HERR ist mein
                                                                  Interessantes berichtet auch die Trau-   auch zu einer Autobahn werden, auch im          Licht und mein Heil“ (aus Psalm 27)
                                                              matherapeutin Prof. Luise Reddemann,         Gehirn. Und weil es dann immer schwerer       ▶ Streit: „Heiliger Geist, bitte um Hilfe“
                                                              nämlich, dass Vorstellungen unser Ge-        fällt, diese einmal eingefahrenen Bahnen      ▶ Trost: „Zu dir, HERR, erhebe ich meine
                                                              hirn verändern. Daher sind gute Worte        (vor allem, wenn sie Negatives beinhal-         Seele, mein Gott, auf dich vertraue ich“
                                                              wirksam wie Medikamente. Die Erkennt-        ten) später wieder zu verlassen, sollte die     (aus Psalm 25)
                                                              nis der Neuroplastizität zeigt uns, wozu     Entscheidung, wie und wofür man sein
                                                              unser Gehirn in der Lage ist und eine der    Gehirn benutzt, mit viel Umsicht und Be-      Diese Liste ist eine persönliche Auswahl
                                                                                                           dacht gefällt werden.                         und ich empfehle Ihnen, sich selbst so
Ücker-Geischläger: Ferdinand Zott | Tim Reckmann_pixelio.de

                                                                                                                                                         eine Liste nach Ihren eigenen Bedürfnis-
                                                                  Hedwig Ücker-                            Hausapotheke an guten Worten                  sen zusammenzustellen.
                                                                     Geischläger,                          Es empfiehlt sich daher, bei folgenden            Wichtig ist, dass Sie positive, auf-
                                                                   Fachärztin für                          „Beschwerden“ sich nachstehende Sätze         bauende und glücklich machende Worte
                                                                 Neurologie und                            vorzusagen bzw. einzuprägen:                  wählen. Je mehr ein gutes Wort zum Ohr-
                                                              Psychiatrie, ist seit                        ▶ Angst: „Es geht mir gut“, „Ich bin frei     wurm wird – desto wirksamer und heil-
                                                                vielen Jahren als                             von Angst“, „Ich bin mutig und stark“,     samer wird es sein.
                                                               Psychotherapeu-                                „Ich kann, was ich will“, „Es kommt zu-        Paracelsus schrieb bereits vor langer
                                                                 tin und Psycho-                              nehmend Friede“, „Freude und Friede        Zeit und es ist immer noch gültig: „Der
                                                              analytikerin tätig.                             kommen allmählich“                         Urquell aller Arznei ist die Liebe!

                                                                                                                                          Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020 13
Im Anfang war das Wort

   »Worte, die verwandeln!«
   Der Zisterzienserpater Amadeus                an die vielen Berufungsworte Jesu „Fol-       te von uns damaligen Kindern: „O Gott, du
   Hörschläger blickt auf eine                   ge mir nach!“ oder seine Heilungsworte        hassest die Sünde, du strafest sie strenge
   lange und reiche seelsorgliche                „Steh auf und geh!“.                          und ich habe so viel gesündigt…“ Was hat-
   Tätigkeit zurück und weiß: Nur                                                              ten wir doch manchmal furchtbare Angst
   Worte, die authentisch sind,                   Verkündigung muss                            wegen – von heute aus gesehen – jeder
   haben eine verwandelnde Kraft.                ­authentisch sein                             Kleinigkeit gleich in die Hölle zu kommen!
   Damit die Frohe Botschaft                     Dass Worte verwandeln können, dessen          Worte verwandeln nicht nur zum Guten,
   von Gott bei den Menschen                     müssen wir uns, die wir in der Verkündi-      sie können auch viel Schlimmes bewirken,
   ankommt und etwas in ihrem                    gung stehen, stets bewusst sein. Wie oft      dessen müssen wir uns auch bewusst sein.
   Leben verändert, muss sie in                  habe ich in meinem Priesterleben dies         Nicht umsonst wird Papst Franziskus nicht
   einer Sprache vermittelt werden,              schon erfahren dürfen, sei es einfach nach    müde, immer wieder auf die Barmherzig-
   die auch verstanden wird.                     einer Predigt oder im Zusammenhang mit        keit Gottes hinzuweisen.
                                                 einer Spendung von Sakramenten, einem
   „Worte, die verwandeln!“ – Natürlich          Begräbnis oder schlicht und einfach bei       Hört auf die Stimme des Volkes!
   denkt man bei dieser Überschrift als          einem seelsorglichen Gespräch (oft auch       Das Wort Jesu „geht hinaus und verkün-
   frommer Christ sofort an die „Wandlungs-      noch Jahre später, wenn ich längst nicht      det den Menschen die Frohe Botschaft“
   worte“ bei der heiligen Messe, aber das ist   mehr weiß, was ich damals gesagt habe,        ist ein ganz besonderer Auftrag an uns
   hier, trotz seiner Richtigkeit, wohl nicht    aber der Betroffene weiß es bis heute). Für   und dazu gehört es, dass wir die Spra-
   gemeint. „Worte, die verwandeln“ sind         mich ist es ganz wichtig, dass mein Reden     che der Menschen nicht nur sprechen,
   Worte, die uns irgendwann im Innersten        und Verkünden authentisch ist: nicht from-    sondern auch verstehen. „Hört auf die
   so betroffen gemacht haben, dass wir un-      me und salbungsvolle Sprüche verwandeln,      Stimme des Volkes!“ hat vor kurzem
   sere Lebensweise, ja vielleicht sogar unser   sondern wenn der Angesprochene davon          Kardinal Schönborn den neugeweihten
   ganzes Leben in einem anderen Licht se-       überzeugt ist, dass das, was ich sage, auch   Priestern und Diakonen im Stift Heiligen-
   hen und damit abändern bzw. verwan-           in meinem eigenen Leben seinen Platz hat.     kreuz aufgetragen. Auch Martin Luther
   deln. Sehr oft kommt dies ja im Gespräch      „Wasser predigen und Wein trinken“ ver-       hat bereits gesagt: „Man muss dem Volk
   mit einem Arzt zum Tragen – wenn wir im       ursacht ganz zu Recht gehörigen Unmut.        auf’s Maul schauen“. Ich denke, hier gibt
   weltlichen Bereich bleiben – aber gerade      Aber auch heruntergelesene Predigten          es öfters doch noch einiges zu verbes-
   auch im kirchlich-religiösen Bereich hat es   aus dem Internet und inhaltsleere Phra-       sern. Mein Wunsch ist es, immer so zu
   große Bedeutung und Wirkung. „So kenn         sen werden kaum jemanden verwandeln,          verkünden, dass die Menschen etwas für
   ich dich eigentlich nicht, du hast dich to-   sie werden vielleicht Zustimmung finden,      ihr Leben mitnehmen können und es da-
   tal verwandelt“, ist dann meist die Reak-     aber dabei bleibt es. Leider muss ich auch    mit dann vielleicht auch zum Besseren
   tion unserer Umgebung. Die Bedeutung          immer wieder erfahren, gerade in der äl-      verwandeln.
   von „Umkehr“, von der Jesus so oft redet,     teren Generation, dass in früherer Zeit die
   findet ihren Ursprung häufig in Worten,       Worte mancher Priester durchaus Angst
   die uns dann verwandeln. Wenn wir die         und Schrecken verursachten, die sich oft
   Hl. Schrift hernehmen, so finden wir eine     bis heute „festgesetzt“ haben. Man hat          P. Amadeus Hör-
   unendliche Fülle von Beispielen. Es sind      manchmal die Menschen im wahrsten Sinn             schläger OCist
   Gottes Worte an bestimmte Menschen,           des Wortes „abgekanzelt“. Auch viele schu-        ist emeritierter
   die etwas bewirkt haben, wie es bei Je-       lische Aussagen so mancher Katecheten im      Bischofsvikar und
   saja (55,11) heißt: „Mein Wort kehrt nicht    Religionsunterricht sind bis heute noch          Ehrenkanoniker
                                                                                                                                            Hörschläger: privat

   leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was     angstmachend. Da ich ja auch schon dieser     des Metropolitan-
   ich will und das zu erreichen, wozu ich es    Generation angehöre, weiß ich noch immer       und Domkapitels
   ausgesandt habe“. Denken wir aber auch        den Anfang des Reuegebetes vor der Beich-         zu St. Stephan.

14 Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan · Weihnachten 2020
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