RECHT AKTUELL 01 2021 - Lutz Abel

 
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RECHT AKTUELL 01 2021 - Lutz Abel
RECHT A KT U ELL

                    RECH T
                   AKTUELL
                     01 2021

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RECHT AKTUELL

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

mittlerweile freuen wir uns, die kalte Jahreszeit hinter uns zu lassen und blicken positiv in den Frühling. Wie Sie es gewohnt
sind, berichten wir auch in der Ausgabe 01/2021 über fachlich interessante sowie jüngst diskutierte Themen und Fragestellun-
gen.

Zudem haben wir bereits zu Beginn des Jahres ein erfreuliches Ereignis zu vermelden: Die WirtschaftsWoche zeichnete
LUTZ | ABEL in diesem Jahr erneut als „TOP Kanzlei Privates Baurecht“ aus und zählt auch unseren Namenspartner Dr. Wolfgang
Abel wieder als „TOP Anwalt“ zu den renommiertesten Beratern im Privaten Baurecht. Für das Ranking befragte das Handels-
blatt Research Institute (HRI) mehr als 1.900 Juristen und ließ am Ende eine Expertenjury entscheiden. Wir freuen uns über die
äußerst positive Marktwahrnehmung unserer Praxisgruppe Bau- und Immobilienrecht und besonders über die auf Kollegen-
empfehlung beruhende Auszeichnung.

Außerdem haben wir erneut personellen Zuwachs zu verzeichnen und heißen sechs neue Rechtsanwältinnen und Rechtsanwäl-
te ganz herzlich willkommen: In München werden die Praxisgruppe Arbeitsrecht durch Dr. Sophie Steinle, das Vergaberechts-
team durch Juliana Gsellhofer und die Praxisgruppe Öffentliches Recht durch Franziska Thiel verstärkt. Am Standort Hamburg
unterstützen Matthias Schütt das Team im Bau- und Immobilienrecht sowie Constanze Hachmann die Praxisgruppe VC und
M&A. Zudem bereichert Isabelle Hohl das Team IP- und Medienrecht in Berlin.
                                                                                                             Hier klicken
Wir möchten Sie – besonders in diesen weiterhin fordernden Zeiten – durch aktuelle Meldungen,
Online-Seminare sowie praktische Hilfestellungen, etwa Checklisten oder Mustervorlagen, un-
terstützen. Diese Informationen stellen wir kostenlos und hauptsächlich digital zur Verfügung.

Sie möchten auch auf digitalem Weg informiert bleiben oder uns Rückmeldung zu Recht Aktuell
geben? Dann freuen wir uns über Ihr Feedback – am einfachsten per Scan über nebenstehenden
QR-Code, gerne aber auch per E-Mail unter marketing@lutzabel.com oder über unsere Kontakt-               Recht Aktuell Digital?
daten, die Sie am Ende dieser Ausgabe von Recht Aktuell abgedruckt finden.                               QR-Code scannen oder
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                   ARBEITSRECHT UND
                       DATENSCHUTZ

                                               L|A ONLINE SEMINAR: FAQ Arbeitsrecht & Datenschutz | Der Arbeitsvertrag
                                               21. April 2021 - Online
                                               Referenten: Claudia Knuth, Dr. Cornelius Renner

                                               Homeoffice und mobiles Arbeiten
                                               BECK Akademie Seminare
                                               5. Mai 2021 - Hamburg
                                               14. Oktober 2021 - München
                                               24. November 2021 - Online
                                               Referenten: Claudia Knuth, Dr. André Schmidt
                          BAU- UND
                   IMMOBILIENRECHT

                                               4. After-Work-Seminar 2021: Proaktives Risk-Management
                                               Akademie der Ingenieure
                                               12. Mai 2021 - Ostfildern
                                               Referent: Ulrich Eix

                                               Die Rechte und Pflichten des Bauleiters
                                               vhw Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung
                                               20. September 2021 - Nürnberg
                                               Referent: Julian Stahl
                          GESELLSCHAFTSRECHT

                                               Gesellschafterstreit: Typische Konfliktfelder
                                               BECK Akademie Seminare
                                               11. November 2021 - München und Online
                                               Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert

                                               Gesellschafterstreit im Prozess
                                               BECK Akademie Seminare
                                               12. November 2021 - München und Online
                                               Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert
                          VERGABERECHT

                                               L|A ONLINE SEMINARREIHE Vergaberecht auf den Punkt
                                               Neues zum Ausschluss von Unternehmen wegen Unzuverlässigkeit
                                               14. April 2021 - Online
                                               Referent: Dr. Stephen Lampert
                          KONTAKT

                                               Für Fragen zu den Veranstaltungen und zur Anmeldung stehen Ihnen die Referenten sowie Ilona White
                                               (Telefon: +49 89 544 147-0, E-Mail: events@lutzabel.com) gerne zur Verfügung.

                                               www.lutzabel.com/termine

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RECHT AKTUELL 01 2021 - Lutz Abel
INHALTSVERZEICHNIS

01   ARBEITSRECHT

     Neues Arbeitsschutzkontrollgesetz                                                    S7
     Dr. Sophie Steinle

     Impfung und Arbeitsrecht: Risiken und Nebenwirkungen                                 S9
     Xenia Verspohl

02   BAU- UND IMMOBILIENRECHT

     IPA: Erfolgreiche Bauprojekte garantiert?                                            S 12
     Ulrich Eix

     Änderung des WEG zum 01.12.2020 – Ausgewählte und praxisrelevante Probleme mit       S 15
     Fokus auf bereits anhängige Verfahren
     Vera Lederer

     BGH: Architekten müssen Baukostenobergrenzen einhalten                               S 18
     Johannes Stechno

     BGH bestätigt erneut: Keine fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht   S 20
     Anna Oberlack

     Gestärkte Verhandlungsposition für Gewerbemieter in der Corona-Pandemie?             S 22
     Matthias Schütt

03   BEIHILFEN- UND KARTELLRECHT

     Update Fusionskontrolle: Signifikante Anhebung der Anmeldeschwellen                  S 25
     Christoph Richter

     Verschärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht über Digitalkonzerne         S 28
     Christoph Richter

     Quo vadis, Kartellverfolgung?                                                        S 31
     Christoph Richter

04   GEWERBLICHER RECHTSSCHUTZ

     Mündliche Verhandlungen vor dem Patentsenat des Bundesgerichtshofs während der       S 34
     Corona-Pandemie
     Dr. Karsten Brandt

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05   IT-RECHT UND DATENSCHUTZ

     Bußgeldbemessung im Datenschutz: Dänemark als Vorbild?                       S 36
     Niklas Vogt

06   ÖFFENTLICHES RECHT

     Novelle der Bayerischen Bauordnung                                           S 39
     Sebastian Vorwalter

07   VENTURE CAPITAL

     Die wiederholte Einziehung eines GmbH-Geschäftsanteils                       S 44
     Frank Hahn

     Förderung von Mitarbeiterbeteiligungen bei Start-ups durch das neue Fonds-   S 47
     standortgesetz – Reform oder Reförmchen?
     Sebastian Sumalvico
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A RBEI T SRECHT
                          ARBEITSRECHT

NEUES ARBEITSSCHUTZKONTROLLGESETZ

                           RAin Dr. Sophie Steinle | steinle@lutzabel.com

                       Am 1. Januar 2021 ist das Arbeitsschutzkontrollgesetz in
                       Kraft getreten. Es soll für bundeseinheitlich geordnete und
                       sichere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sorgen
                       und die Aufsicht des Arbeitsschutzes verbessern. Darüber
                       hinaus enthält das Artikelgesetz auch branchenübergrei-
                       fende Änderungen, u.a. im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
                       und in der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV).
 DR. SOP HIE STEINLE

                                                                                     7
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                   Neues Arbeitsschutzkontrollgesetz                                 dem Gesetzgeber die Möglichkeit gibt, eine Verlängerung
                                                                                     oder Entfristung der Tariföffnungsklausel vorzunehmen.
                   Die Fleischindustrie steht nicht nur aufgrund ihrer unzurei-
                   chenden Arbeitsbedingungen der oft aus Osteuropa stam-            Das Fleischerhandwerk ist von den Regelungen zum Verbot
                   menden Arbeiter bereits seit längerer Zeit in der Kritik. In      der Fremdbeschäftigung ausgenommen. Hierunter fallen
                   jüngster Zeit geriet sie auch als Hotspot von COVID-19-Aus-       mittelständische Betriebe, die nicht mehr als 49 Personen
                   brüchen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Bundes-         beschäftigen, wobei das Verkaufspersonal bei der Ermitt-
                   regierung hat Handlungsbedarf gesehen und ein Arbeits-            lung des Schwellenwerts nicht mitgezählt wird.
                   schutzprogramm für die Fleischwirtschaft beschlossen. Zur
                   Umsetzung des Programms wurde das Gesetz zur Verbesse-            Arbeitszeiterfassung
                   rung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontroll-
                   gesetz) auf den Weg gebracht. Es ist am 1. Januar 2021 in         Mit Ausnahme des Fleischerhandwerks müssen die Arbeit-
                   Kraft getreten.                                                   geber der Fleischindustrie nach dem neuen GSA Fleisch den
                                                                                     Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit ihrer Beleg-
                   Hintergrund                                                       schaft verpflichtend „elektronisch und manipulationssi-
                                                                                     cher“ aufzeichnen. Diese Aufzeichnungen sind sodann elek-
                   Im Kerngeschäft der Fleischindustrie – Schlachtung, Zer-          tronisch aufzubewahren. Die verschärften Voraussetzungen
                   legung und Fleischverarbeitung – wurde bisher ein über-           sollen den bisherigen gravierenden Arbeitszeitverstößen
                   proportional hoher Anteil von einfach auszutauschendem            Rechnung tragen und eine wirksame Überprüfung gewähr-
                   ausländischem Fremdpersonal eingesetzt. Dies führte zu            leisten, ob die Mindestlohnvorschriften der Beschäftigten
                   einer Sub-Sub-Unternehmerkette, die durch Intransparenz           eingehalten sind. Ausdrücklich wurde ferner geregelt, dass
                   und prekäre Arbeitsbedingungen geprägt ist.                       Rüst-, Umkleide- sowie Waschzeiten, soweit erforderlich
                                                                                     und dienstlich veranlasst, als Arbeitszeit mit zu erfassen
                   Bisher setzte der Gesetzgeber zur Verbesserung der Arbeits-       sind. Zur Sicherung des Arbeitsschutzes wurde letztlich
                   und Gesundheitsbedingungen der Arbeitnehmer neben eige-           auch der Bußgeldrahmen verdoppelt. Verstöße gegen die
                   nen gesetzgeberischen Bemühungen wie dem Gesetz zur Si-           Zeiterfassung können nunmehr mit einer Geldbuße bis zu
                   cherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft          30.000 Euro geahndet werden.
                   (GSA Fleisch) vor allem auf freiwillige Regelungen durch
                   Selbstverpflichtungen der Branche. Dies führte jedoch zu          Bereitstellung angemessener Unterkünfte
                   keinen nennenswerten Verbesserungen. Das Arbeitsschutz-
                   kontrollgesetz soll nun für bundeseinheitlich geordnete und       Die Unterbringung von Beschäftigten in Gemeinschafts-
                   sichere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sorgen         unterkünften muss künftig Mindeststandards genügen. Die-
                   und die Aufsicht des Arbeitsschutzes verbessern. Darüber          se Regelungen gelten branchenübergreifend. Hierzu wurde
                   hinaus enthält das Artikelgesetz auch branchenübergrei-           die ArbStättV ergänzt und vorgeschrieben, wie die Gemein-
                   fende Änderungen, u.a. im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)           schaftsunterkünfte zur Unterbringung von Arbeitnehmern
                   und in der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV).            ausgestattet sein müssen. Den Arbeitgeber trifft fortan
                                                                                     eine umfassende Dokumentationspflicht im Hinblick auf
                   Wesentliche Regelungen                                            die Bereitstellung von Gemeinschaftsunterkünften zur Er-
                                                                                     möglichung effektiverer Kontrollen. Ferner hat er auch die
                   Verbot von Fremdpersonaleinsatz                                   Verpflichtung, angemessene Unterkünfte für Beschäftigte
                                                                                     zur Verfügung zu stellen, gegebenenfalls auch außerhalb
                   Eine der zentralen Änderungen zur Sicherung von Arbeit-           des Betriebsgeländes, wenn es aus Gründen der Sicherheit,
                   nehmerrechten in der Fleischindustrie dürfte das Verbot           zum Schutz der Gesundheit oder zur menschengerechten
                   des Einsatzes von Fremdpersonal in Schlachtung, Zerle-            Gestaltung der Arbeit erforderlich ist. Die Anforderungen an
                   gung und Fleischverarbeitung sein. Nach den Änderungen            die Ausstattung der Unterkünfte richten sich nach der Be-
                   des GSA Fleisch darf der Inhaber eines Unternehmens in            legungszahl und Dauer der Unterbringung.
                   diesem Kernbereich künftig nur noch eigene Arbeitnehmer
                   beschäftigen. Ebenso ist die gemeinsame Führung eines             Mindestbesichtigungsquoten für Arbeitsschutz-
                   Betriebes oder eine übergreifende Organisation durch zwei         behörden
                   oder mehrere Unternehmer jetzt unzulässig. Des Weiteren
                   bestimmen die Änderungen im GSA Fleisch, dass der Einsatz         Die Überwachung des Arbeitsschutzes ist nach dem ArbSchG
                   von Leiharbeitern ab dem 1. April 2021 weitestgehend und ab       staatliche Aufgabe. Branchenübergreifend wird nun der Voll-
                   dem 1. April 2024 vollständig verboten wird. Die auf drei Jahre   zug im Arbeitsschutz verbessert. Getreu der Redewendung
                   befristete Ausnahmeregelung ermöglicht es den Unterneh-           „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ stärkt das ArbSchG
                   men, auf Grundlage eines Tarifvertrags und unter strengen         künftig die Effizienz der Kontrollen. Das Gesetz sieht hier-
                   Auflagen Auftragsspitzen ausschließlich in der Fleischver-        zu eine bundesweit einheitliche Mindestbesichtigungsquote
                   arbeitung durch Leiharbeit aufzufangen. Der Bundestag hat         von 5 % der im jeweiligen Bundesland vorhandenen Betriebe
                   im Gesetz jedoch eine Evaluationsklausel eingebracht, die         vor. Den Ländern wird durch eine schrittweise Steigerung

             8
RECHT AKTUELL 01 2021 - Lutz Abel
A RBEI T SRECHT
der Besichtigungen bis zum Jahr 2026 eine Vorbereitungs-         den Regelungen sind im Wesentlichen große Unternehmen
zeit zur Umsetzung eingeräumt. Die zuständigen Behörden          betroffen, da mittelständische Handwerksbetriebe in der
haben bei der Auswahl der zu überwachenden Betriebe Art          Fleischverarbeitung vom Anwendungsbereich ausgenom-
und Umfang des betrieblichen Gefährdungspotenzials zu            men sind. Ziele des Artikelgesetzes sind angemessene
berücksichtigen. Die in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz      Arbeitsbedingungen und ausreichender Gesundheitsschutz.
und Arbeitsmedizin neu eingerichtete Bundesfachstelle für        Ob das Arbeitsschutzkontrollgesetz die unzureichenden
Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit soll für die Um-        Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie tatsächlich be-
setzung der Mindestbesichtigungsquote sorgen, die Über-          seitigen wird, bleibt abzuwarten. Ebenso offen ist, ob das
wachung der Arbeitsschutzaufsicht durchführen und auf            neue Gesetz im Hauptsacheverfahren vor dem Bundesver-
dieser Grundlage Beiträge zur Berichterstattung erstellen.       fassungsgericht, insbesondere im Hinblick auf das Fremd-
                                                                 personalverbot im Kernbereich der Fleischindustrie und das
Zusammenfassung                                                  Kooperationsverbot der Betriebe, standhalten wird. Inhaber
                                                                 von Betrieben in der Fleischindustrie sehen hierin einen
Durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz wurde ein recht-           rechtswidrigen Eingriff in die berufliche und unternehmeri-
licher Rahmen dafür geschaffen, die in der Fleischindus-         sche Handlungsfreiheit. Anträge im Wege der einstweiligen
trie bisher überwiegend praktizierte Sub-Sub-Unterneh-           Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht bereits durch
merkette zu unterbinden und zu verhindern, dass sich die         Beschluss vom 29. Dezember 2020 abgelehnt.
Unternehmen ihrer Gesamtverantwortung entziehen. Von

                                     ARBEITSRECHT

                                 IMPFUNG UND ARBEITSRECHT:
                                RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN

                                        RAin Xenia Verspohl | verspohl@lutzabel.com
                                                                XENIA V ERSPOHL

Die Corona-Impfung ist auch arbeitsrechtlich von großer
Bedeutung. Können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter zu einer
Impfung verpflichten? Welche freiwilligen Alternativen zur
Impfpflicht gibt es? Und mit welchen Kosten und Haftungs-
risiken muss der Arbeitgeber bei betrieblichen Impfpro-
grammen rechnen?

Viele Arbeitgeber wollen ihre Mitarbeiter aus Gründen des
betrieblichen Gesundheitsschutzes zu einer Impfung ver-
pflichten. Doch die rechtlichen Hürden sind hoch. Denn eine
gesetzliche Impfpflicht gegen das Corona-Virus gibt es bis-
lang in Deutschland nicht.

Eine freiwillige Alternative können betriebliche Anreizsys-
teme bieten, zum Beispiel in Form von Impfungen am Ar-
beitsplatz durch den Betriebsarzt. Hier stellt sich die Frage
nach der Kostentragung und Haftung.

                                                                                                                               9
RECHT AKTUELL 01 2021 - Lutz Abel
RECHT A KT U ELL

                   Keine Impfpflicht im bestehenden Ar-                             dete Bereiche im Gesundheits- und Pflegebereich (Kranken-
                   beitsverhältnis                                                  häuser, Arztpraxen, Pflegedienste etc.) gilt. Danach darf der
                                                                                    Arbeitgeber „personenbezogene Daten eines Beschäftigten
                   Mangels gesetzlicher Impflicht kommt auch eine betrieb-          über dessen Impf- und Serostatus verarbeiten, um über die
                   liche Impflicht zur Zeit nicht in Betracht. Eine entsprechen-    Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder über
                   de Weisung (§ 106 GewO) des Arbeitgebers wäre unzulässig.        die Art und Weise einer Beschäftigung zu entscheiden.“ Die
                   Denn jede Impfung stellt dem Grunde nach eine Körperver-         Maßnahme muss erforderlich sein, was wiederum nur der
                   letzung dar, die nur im Ausnahmefall gerechtfertigt ist. Zu-     Fall ist, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen und
                   dem ist als weiteres Grundrecht die allgemeine Handlungs-        die Infektionsgefahr bei der Arbeit nicht anders kontrolliert
                   freiheit betroffen. Die Entscheidung über eine Impfung ist       werden kann (z.B. durch Schnelltests und die Einhaltung der
                   eine höchst individuelle. Der Arbeitgeber muss sich in der       AHA-Regeln).
                   Regel aus solchen persönlichen, außerdienstlichen Ange-
                   legenheiten heraushalten. Auch eine arbeitsvertragliche          Betriebliche Anreizsysteme
                   Impfpflicht dürfte an dieser Hürde scheitern.
                                                                                    Eine Alternative bieten betriebliche Anreizsysteme, mit
                   Hinzu kommt Folgendes: Die Corona-Impfung schützt zwar           denen freiwillige Impfungen belohnt und damit die Impf-
                   vor der Erkrankung selbst. Ob sie auch verhindert, dass der      bereitschaft in der Belegschaft gesteigert werden kann. In
                   Geimpfte das Virus aufnimmt und weitergibt, ist bislang je-      Betracht kommt zum Beispiel ein freiwilliges betriebliches
                   doch nicht geklärt. Wenn eine Weitergabe durch Geimpfte          Impfprogramm mit kostenfreier Impfung durch einen Be-
                   aber nicht sicher ausgeschlossen ist, erscheint eine Impf-       triebsarzt oder die Gewährung von sogenannten „Impfprä-
                   licht unverhältnismäßig. Sollten sich hier neue Erkenntnisse     mien“.
                   ergeben, wäre auch eine betriebliche Impfpflicht neu zu be-
                   werten. Unter Umständen könnten Ungeimpften strengere            Die Zahlung einer Impfprämie kommt für freiwillig geimpfte
                   Schutzmaßnahmen auferlegt werden oder ihnen der Zugang           Mitarbeiter in Betracht, die dem Arbeitgeber hierüber einen
                   zu bestimmten Gemeinschaftsräumen wie der Kantine ver-           Nachweis erbringen. In den USA gewähren unter anderem
                   wehrt bleiben.                                                   die dortigen Ableger der deutschen Discounter Aldi und Lidl
                                                                                    bereits heute solche Boni. In Bezug auf den Impfnachweis
                   Aktuell darf die Impfverweigerung nicht an arbeitsrechtli-       sind die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beach-
                   che Konsequenzen geknüpft werden. Denn nach § 612a BGB           ten, insbesondere dürfte eine Aufnahme des Impfnachwei-
                   darf ein Arbeitnehmer nicht benachteiligt werden, weil er in     ses in die Personalakte unzulässig sein. Bei der Einführung
                   zulässiger Weise seine Rechte ausübt.                            einer Impfprämie kann zudem ein Mitbestimmungsrecht des
                                                                                    Betriebsrats bestehen. Schließlich ist zu beachten, dass in
                   Etwas anderes kann allenfalls in Bereichen gelten, in denen      Bezug auf die Impfprämie keine Differenzierung nach der
                   Arbeitnehmer Kontakt mit besonders vulnerablen Gruppen           Beschäftigungsart (Voll- sowie Teilzeitbeschäftigte, Mini-
                   haben (Ärzte, Pflegepersonal etc.). Hier kann eine betriebli-    jobber, Werksstudenten etc.) erfolgen sollte: Andersfalls
                   che Impflicht – nach dem Vorbild der Masernimpfung – mög-        dürfte es sich um eine sachgrundlose Benachteiligung han-
                   licherweise bereits jetzt zulässig sein.                         deln. Denn für den Infektionsschutz am Arbeitsplatz spielen
                                                                                    Status und Beschäftigungsgrad keine Rolle.
                   Kein Impfnachweis als Einstellungsvor-
                   aussetzung                                                       Impfung durch den Betriebsarzt

                   Auch bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen kann der        Zur Zeit werden Impfungen gegen COVID-19 ausschließlich
                   Impfnachweis eine Rolle spielen. Hier stellt sich zunächst       in Impfzentren bzw. durch mobile Impfteams angeboten.
                   die Frage, ob der Arbeitgeber im Bewerbungsverfahren nach        Wenn der Impfstoff in Zukunft auch über das Regelver-
                   einer Corona-Impfung fragen darf. Das hängt davon ab, ob die     sorgungssystem erhältlich ist, stünde es aber auch Arbeit-
                   Kenntnis vom Impfstatus für die Durchführung des Arbeits-        gebern frei, eine Impfung am Arbeitsplatz durch den Be-
                   verhältnisses zwingend erforderlich ist oder ob der Schutz       triebsarzt anzubieten. Ein vergleichbares Angebot besteht
                   der Beschäftigten und sonstigen Personen auch anderwei-          in vielen Unternehmen bereits im Hinblick auf die jährlichen
                   tig sichergestellt werden kann (§ 9 Abs. 2 lit. b DSGVO, § 26    Grippeimpfungen.
                   Abs. 1, 3 BDSG). Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen
                   des Einzelfalls ab (Beschäftigungsart, Kontakt zu Personen       Als Maßnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung
                   etc.). Jedenfalls für besonders sensible Bereiche dürfte die     kann das Angebot von Impfungen am Arbeitsplatz nicht nur
                   Kenntnis erforderlich sein. Die Frage wäre damit zulässig,       der Mitarbeiterbindung dienen, sondern auch dazu beitra-
                   und eine Einstellung könnte unter Umständen unter Hinweis        gen, krankheitsbedingte Ausfälle und Quarantänerisiken zu
                   auf den fehlenden Impfschutz abgelehnt werden.                   minimieren. Doch wer trägt die Kosten für solche Impfungen
                                                                                    und birgt das Impfangebot Haftungsrisiken für den Arbeit-
                   Auch im IfSG findet sich mit § 23a IfSG eine passende            geber?
                   Rechtsgrundlage, die aber bislang nur für besonders gefähr-

             10
A RBEI T SRECHT
Kostentragung der Impfung                                        Etwas anderes kann sich allerdings ergeben, wenn das
                                                                 Impfangebot dahingehend auszulegen ist, dass der Arbeit-
Ob für den Arbeitgeber die Pflicht besteht, die Kosten der       geber Vertragspartner werden möchte. Folglich sollte das
im Betrieb angebotenen Impfung zu übernehmen, hängt da-          Impfangebot sorgfältig formuliert und am besten direkt
von ab, ob es sich um eine berufsbedingte Impfung handelt,       durch den zuständigen Arzt ausgesprochen werden.
auf die der Arbeitnehmer einen Anspruch hat. Dies trifft zu,
wenn der Arbeitnehmer durch seine Tätigkeit einem im Ver-        Darüber hinaus stellt ein erlittener Impfschaden im Regel-
gleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Infektionsrisiko        fall auch keinen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall
ausgesetzt ist (§ 6 Abs. 2 S. 3 ArbMedVV), das durch den         dar (§ 8 SGB VII). Eine Bejahung des ursächlichen Zusam-
Betriebsarzt auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung          menhangs wäre lediglich dann möglich, wenn die mit der
festgestellt wurde. Im Hinblick auf COVID-19 dürfte dies         Tätigkeit verbundene Gefährdung eine entsprechende Imp-
aufgrund der allgemeinen Pandemie-Lage regelmäßig nicht          fung über die allgemeine Gesundheitsfürsorge hinaus erfor-
der Fall sein, soweit es sich nicht um eine Tätigkeit in einer   derlich macht. Dies ist aus den bereits genannten Gründen
besonders gefährdeten Berufsgruppe, wie dem Medizin-             regelmäßig weder bei COVID-19 noch bei der Grippe anzu-
oder Pflegesektor, handelt. Gleiches gilt für die „gewöhn-       nehmen.
liche“ Grippe. Im Regelfall wird also keine Kostentragungs-
pflicht des Arbeitgebers bestehen.                               Blick in die Zukunft

Häufig wird eine Impfung am Arbeitsplatz sogar möglich           Da die rechtlichen Hürden für eine Impfpflicht hoch sind,
sein, ohne dass für den Arbeitnehmer oder Arbeitgeber Kos-       sollten Arbeitgeber frühzeitig auf freiwillige Alternativen
ten entstehen. Impfungen gemäß der Schutzimpfungsricht-          setzen. Hier kommen neben Impfprämien vor allem betrieb-
linie zählen nämlich zu den Leistungen der gesetzlichen          liche Impfprogramme in Betracht. Sollte der Corona-Impf-
Krankenkasse (§ 20 i SGB V). Zwar nehmen Betriebsärzte           stoff in Zukunft frei erhältlich sein, kann dies für Arbeit-
und Arbeitsmediziner meist nicht an der vertragsärztlichen       geber eine durchaus reizvolle Alternative sein. Das Angebot
Versorgung teil, sodass durch sie erbrachte Leistungen           stellt nicht nur eine Verbesserung des betrieblichen Ge-
nicht über die Krankenkassen abgerechnet werden können.          sundheitsschutzes dar, sondern trägt auch dem Interesse
Zur Erhöhung der Impfquote ist jedoch gesetzlich fest-           des Arbeitgebers an einer „durchgeimpften“ Belegschaft
gelegt, dass Krankenkassen auch mit ihnen Verträge über          Rechnung. Dennoch gilt auch hier, dass auf eine rechtlich
die Durchführung von Schutzimpfungen abschließen sollen          saubere Kommunikation zu achten ist.
(§ 132 e SGB V). Wurde ein solcher Vertrag abgeschlossen,
trägt die Krankenkasse auch die Kosten für im Betrieb
durchgeführte Impfungen. Der Arbeitgeber kann die Impfung
mithin kostenfrei in seinem Unternehmen anbieten.

Und selbst, wenn ein solcher Vertrag mit dem zuständigen
Betriebsarzt nicht abgeschlossen wurde und sich der Ar-
beitgeber gleichwohl entschließt, die Impfung im Rahmen
der betrieblichen Gesundheitsvorsorge für seine Mitarbei-
ter kostenfrei anzubieten, ist zu beachten, dass ein solches
Angebot steuerlich unterstützt wird. Denn Leistungen der
Gesundheitsvorsorge sind bis zu einem Wert von 500 Euro
pro Mitarbeiter pro Jahr zumindest lohnsteuer- und damit
auch sozialversicherungsfrei.

Haftung für Impfschäden

Eine Haftung für gegebenenfalls auftretende Impfschäden
hat der Arbeitgeber regelmäßig nicht zu befürchten. Der Ar-
beitgeber ist lediglich dazu verpflichtet, den Impfarzt sorg-
fältig auszuwählen (§ 241 Abs. 2 BGB). Ist er dieser Pflicht
nachgekommen, treffen ihn aber weder Überwachungs-
pflichten hinsichtlich der Durchführung der Impfung, noch
muss er sich etwaige Pflichtverletzungen des Impfarztes,
z.B. im Hinblick auf Aufklärungspflichten, zurechnen las-
sen. Der Behandlungsvertrag kommt regelmäßig zwischen
Arbeitnehmer und Impfarzt zustande und nicht zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, selbst wenn die Impfung in
den Räumlichkeiten des Unternehmens durchgeführt wird.

                                                                                                                                11
RECHT A KT U ELL

                   BAU- UND IMMOBILIENRECHT

                   IPA: ERFOLGREICHE BAUPROJEKTE GARANTIERT?

                                          Interview mit RA Ulrich Eix, Experte für BIM, Lean,
                                                Partnering und IPA | eix@lutzabel.com

                                       Integrierte Projektabwicklung durch einen Mehrparteien-
                                       vertrag beschreibt die ergebnisorientierte Durchführung
                                       von Bauprojekten auf Basis eines einzigen Vertrages zwi-
                                       schen allen wesentlichen Beteiligten – mit dem gemeinsa-
                                       men Ziel des erfolgreichen Abschluss des Bauprojektes.

                                       Was IPA außerdem bedeutet und wie dessen Umsetzung ge-
                                       nau funktioniert, beschreiben unsere Experten in der Reihe
                                       „IPA: Erfolgreiche Bauprojekte garantiert?“. Nutzen Sie das
                                       Wissen unserer IPA-Experten für sich.
                         U LRICH EIX

             12
B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT
Herr Eix, Sie sagen, dass der Erfolg in                         lung des Projektes zu regeln. Als jemand, der sich intensiv
Bauprojekten durch Integrierte Projekt-                         mit Lean und seit langem mit BIM beschäftigt, bin ich von
abwicklung oder Alliancing deutlich ge-                         IPA in Form von Mehrparteienverträgen als Krönung der pro-
steigert werden kann. Wäre der Flug-                            zessoptimierten Projektabwicklung überzeugt.
hafen Berlin unter Anwendung von IPA
möglicherweise im Zeitplan geblieben?                           Ist eine solche Allianz von Projektbetei-
                                                                ligten nicht besonders konfliktbehaftet?
Ulrich Eix: Genauso sehe ich das. Integrierte Projektabwick-
lung, sowohl nach dem australischen Alliancing-Modell           Ulrich Eix: Nicht mehr als bei „herkömmlichen“ Projekten.
oder dem anglo-amerikanischen der Integrated Project De-        Im Gegenteil, IPA ist ein Modell, welches in jedem Fall auf
livery beschreibt die ergebnisorientierte Durchführung von      eine Kultur der Zusammenarbeit und im Idealfall auf einen
Bauprojekten, bestenfalls auf Basis eines einzigen Vertrags     Haftungsverzicht zwischen den Projektbeteiligten setzt. Die
zwischen allen wesentlichen Beteiligten. Alle am Projekt        einzelnen Mechanismen sollen den Kollaborationsgedanken
beteiligten Parteien haben dadurch ein gemeinsames Ziel:        einer „no-blame-culture“ fördern. Beispielsweise steigt die
den erfolgreichen Abschluss des Bauprojektes, und zwar          Bemühung, etwaige Zeitverzögerungen im Projektablauf bis
unter Einhaltung zuvor festgelegter Kriterien, wie beispiels-   zum Projektende wieder wett zu machen, um den Projekt-
weise Fertigstellungszeitpunkt, Qualitätsansprüche oder         gewinn nicht zu schmälern. Deshalb sind übrigens im Be-
Kostenhöhe. Eine funktionierende Kooperation von Beginn         sonderen große sowie komplexe Projekte für den IPA-Ansatz
an spielt also eine zentrale Rolle.                             prädestiniert.

    Integrierte Projektabwicklung, sowohl nach                      Die einzelnen Mechanismen sollen den Kolla-
    dem australischen Alliancing-Modell oder                        borationsgedanken einer „no-blame-culture“
    dem anglo-amerikanischen der Integrated                         fördern.“
    Project Delivery beschreibt die ergebnis-
    orientierte Durchführung von Bauprojekten,                  Können Sie das genauer erläutern?
    bestenfalls auf Basis eines einzigen Vertrags
    zwischen allen wesentlichen Beteiligten.“                   Ulrich Eix: Bei IPA in Reinform gibt es keine Einzelverträge,
                                                                sondern wir sprechen von einem Vertragswerk, welches
Das hört sich spannend und herausfor-                           die Zusammenarbeit zwischen Beteiligten regelt. Der In-
dernd zugleich an. Können Sie dies noch                         dividualisierungsbedarf ist dabei um einiges höher als bei
etwas genauer beschreiben?                                      klassischen Verträgen, damit die Prozesse und Strukturen
                                                                im speziellen Projekt funktionieren. Zudem ist neben einem
    Der Projekterfolg hängt maßgeblich von der                  längeren Projektvorlauf auch der Aufwand für die Verwal-
    Zusammenarbeit aller Beteiligten ab ...“                    tung des Projektkonstrukts höher als bei klassischen An-
                                                                sätzen. Kleine Projekte eignen sich also nicht zwangsläufig
Ulrich Eix: Der Projekterfolg hängt maßgeblich von der Zu-      für IPA, da der Aufwand möglicherweise nicht im Verhältnis
sammenarbeit aller Beteiligten ab, und alle Projektbetei-       steht. Bei großen und komplexen Projekten sei aber ganz
ligten tragen auch das Risiko gemeinsam. Die Entlohnung         klar gesagt: IPA bringt wahrscheinlich eine intensivere und
ist schlussendlich an die erfolgreiche Realisierung des         ggf. längere Anlaufphase mit sich, führt aber nach aktuellen
Projektes gekoppelt. Kurz gesagt: Nur wenn das Gesamt-          Erkenntnissen zu einem fristwahrenden sowie kostengüns-
projekt erfolgreich ist, hat auch jeder Einzelne Erfolg. Dies   tigeren Gesamtprojekt.
funktioniert allerdings nur, wenn durch unterschiedliche
Mechanismen und Prozesse das bei den jeweiligen Parteien        Nun ist das Thema IPA nicht neu. In den
angesiedelte Wissen transparent gemacht wird. Die einzel-       USA beispielweise werden Bauprojekte
nen Parteien müssen so früh wie möglich in das Projekt ein-     nach IPA bereits seit den 90ern umge-
bezogen und zum Austausch gebracht werden – und zwar            setzt. Auch in Finnland werden seit Jah-
bereits in der Planungsphase.                                   ren erfolgreich Projekte realisiert. War-
                                                                um dauert das hierzulande so lange?
Von welchen Prozessen und Mechanis-
men sprechen Sie dabei konkret?                                 Ulrich Eix: Generell sind wir Deutschen hinsichtlich innova-
                                                                tiver Management-Ansätze in sämtlichen Industriezweigen
Ulrich Eix: Ich denke dabei an Elemente, wie den Mehrpartei-    eher konservativer aufgestellt. Auch scheint bisher die Er-
envertrag als rechtliche Basis sowie die Lean-Methodik zur      kenntnis zu fehlen, dass Kooperation oder sogar Kollabora-
Maximierung der Wertschöpfung oder Building Information         tion in Bauprojekten zum Erfolg des Einzelnen führt. Inter-
Modeling (BIM) als Werkzeug zur Erhöhung der Planungs-          national sind wir für unsere Qualitätsarbeit bekannt und
transparenz. Einen wesentlichen Bestandteil bilden ohne         verfügen über großartige Baufirmen sowie Planungsbüros.
Frage einheitliche vertragliche Rahmenbedingungen für alle      Die jeweiligen Einzelunternehmen sind in Deutschland sehr
zentralen Projektbeteiligten. Nur dadurch ist die Abwick-       gut aufgestellt. Allerdings funktioniert die Zusammenarbeit

                                                                                                                                13
RECHT A KT U ELL

                   und Abstimmung im Bauablauf meist nicht reibungslos. In       Worin liegen die großen Hemmnisse, IPA
                   komplexen Projekten verfolgen die Beteiligten häufig ihre     tatsächlich einzusetzen?
                   Partikularinteressen statt eines gemeinsamen Ziels.
                                                                                 Ulrich Eix: Neben dem Aufwand und der Zeit, welche in die
                   Woran liegt es dann, dass IPA nun gerade                      Vorbereitung und das Managen eines IPA-Projekts gesteckt
                   jetzt in Deutschland eine bedeutendere                        werden müssen, ist leider auch die rechtliche Unsicherheit
                   Rolle bekommt?                                                ein Thema. Es ist derzeit noch nicht absehbar, wie Gerich-
                                                                                 te Mehrparteienverträge auslegen werden. Die rechtlichen
                   Ulrich Eix: Die Projekte selbst haben sich verändert: Wir     Elemente von IPA sind für das deutsche Gesetzeswerk ein
                   sprechen heute von enormen Großprojekten mit einer            Novum. Ich bin aber überzeugt, dass diese Unsicherheit be-
                   Schnelllebigkeit und extremer Komplexität. Es sind also die   herrschbar bzw. im Verhältnis zu den Vorteilen dieser Pro-
                   Zeichen der Zeit, die es notwendig machen, über neue Pro-     jektabwicklungsform hinnehmbar ist.
                   jektansätze nachzudenken. Individuelle Stärke allein reicht
                   nicht mehr aus, um solch gigantische Projekte erfolgreich     Gerade mit diesem Aspekt im Hinterkopf:
                   zu stemmen – hier ist ein hohes Maß an Kooperation und Ab-    Wie schätzen Sie die weitere Entwick-
                   stimmung gefragt. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es     lung in Deutschland ein?
                   mittlerweile genügend misslungene Projekte gibt, die ein
                   Umdenken und Kollaboration befeuern. Ganz zu schweigen           Es muss unser Ziel sein, die Individualquali-
                   von den Unternehmen und Personen, die das konfliktbehaf-         tät einzelner Unternehmen in der Baubranche
                   tete Gegeneinander satt haben.                                   in kooperativen Projektabwicklungsformen zu
                                                                                    nutzen und Lust auf Projekte außerhalb von
                      Es sind also die Zeichen der Zeit, die es not-                „Schützengräben“ zu machen.“
                      wendig machen, über neue Projektansätze
                      nachzudenken.“                                             Ulrich Eix: IPA wird definitiv auch in Deutschland stärker
                                                                                 ankommen und an Bedeutung gewinnen. Es muss unser Ziel
                   Wo sehen Sie also die größten Herausfor-                      sein, die Individualqualität einzelner Unternehmen in der
                   derungen bei IPA?                                             Baubranche in kooperativen Projektabwicklungsformen
                                                                                 zu nutzen und Lust auf Projekte außerhalb von „Schützen-
                   Ulrich Eix: Auf den Punkt gebracht sind die zentralen Her-    gräben“ zu machen. Die absolute Rechtssicherheit ist mo-
                   ausforderungen, alle Beteiligten zusammenzubringen, ge-       mentan zwar noch Wunschdenken. Wenn sich aber IPA/All-
                   meinsame Interessen zu definieren sowie die Zusammen-         iancing-Projekte etablieren, halte ich es für möglich, dass
                   arbeit zu regeln. Und dann muss diese Kooperation während     der Gesetzgeber reagiert. Der deutsche Baugerichtstag hat
                   des Projekts aufrecht erhalten und gemanagt werden.           bereits seine Empfehlung für die Aufnahme eines entspre-
                                                                                 chenden Vertragstyps in das BGB abgegeben.

                      I N TE GR IER TE P R OJEKTABWI CKLU N G
                      F O KUSSEITE L IN KE DI N
                                                                                                                     IPA Fokusseite LinkedIn:
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             14
B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT
BAU- UND IMMOBILIENRECHT

ÄNDERUNG DES WEG ZUM 01.12.2020 – AUSGEWÄHLTE
UND PRAXISRELEVANTE PROBLEME MIT FOKUS AUF
        BEREITS ANHÄNGIGE VERFAHREN

                                  Vera Lederer | lederer@lutzabel.com

                         Der Gesetzgeber hat die Frage, welche Ansprüche der Ge-
                         meinschaft und welche dem einzelnen Eigentümer zugewie-
                         sen sind, neu geregelt. Das hat Auswirkungen auf anhängige
                         Verfahren: Es droht die Unbegründetheit der Klage mangels
                         Aktivlegitimation.
       VE RA L EDE RER

                                                                                      15
RECHT A KT U ELL

                   Hintergrund der Reform des WEG                                   Neue Rechtslage

                   Der Modernisierung des WEG war eine jahrelange Diskussion        Mit der Neuregelung des WEG verabschiedet sich der Ge-
                   vorausgegangen, die nunmehr in das aktuelle Gesetz münde-        setzgeber ausdrücklich von dem Konzept der sog. „gekore-
                   te. Immer wieder wurde durch die Praxis moniert, dass die Re-    nen“ Ausübungsbefugnis; Vergemeinschaftungsbeschlüsse
                   gelungen des WEG mit der gelebten Wirklichkeit innerhalb der     sind ab dem 01.12.2020 nicht mehr zulässig. Nach § 9a Abs. 2
                   Eigentümergemeinschaften kaum etwas zu tun haben. Auch           WEG nF gibt es nur noch eindeutig der Gemeinschaft zuge-
                   unklare Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Eigen-         ordnete, sog. „geborene Ansprüche“, die zwingend gemeinsam
                   tümern führten immer wieder zu erbitterten Streitigkeiten.       zu verfolgen sind, oder aber individuelle Ansprüche einzelner
                                                                                    Eigentümer. Nach der Gesetzesbegründung widerspricht eine
                   Dem daraus resultierenden Modernisierungsbedürfnis ist der       durch Beschluss begründete, im Außenverhältnis wirkende
                   Gesetzgeber nunmehr nachgekommen. Während die Ände-              Ausübungsbefugnis dem berechtigten Interesse des Rechts-
                   rungen, die der Hausverwaltung mehr Kompetenzen zuweisen         verkehrs an einer klaren Zuordnung von Rechten und Pflich-
                   und das Allstimmigkeitserfordernis bei baulichen Maßnah-         ten. Bereits gefasste Vergemeinschaftungsbeschlüsse, das
                   men aufgeben, begrüßt und vielfach besprochen werden, wird       stellt der Gesetzgeber zudem klar, verlieren nach allgemei-
                   oftmals übersehen, dass der Gesetzgeber auch die zentrale        nen Grundsätzen mit Inkrafttreten der Neuregelung für die
                   Frage, welche Ansprüche der Gemeinschaft und welche dem          Zukunft ihre Wirkung nach § 134 BGB.
                   einzelnen Eigentümer zustehen und wie diese durchzusetzen
                   sind, grundlegend neu geregelt hat. Da der Gesetzgeber sich      Für Eigentümergemeinschaften, die aufgrund eines solchen
                   für eine sofortige Wirksamkeit der materiellen Neuregelun-       Beschlusses gegen den Bauträger wegen Mängeln des Ge-
                   gen entschieden hat, hat das weitreichende Konsequenzen          meinschaftseigentums bereits gerichtlich vorgehen, stellt
                   für bereits anhängige, aber auch für zukünftige Prozesse.        sich damit die Frage, ob die Klage wegen des nichtigen Ver-
                                                                                    gemeinschaftungsbeschlusses als unbegründet abgewiesen
                   Anhand einzelner Beispiele soll dieser Beitrag kurz die Än-      werden muss. Gleichzeitig müssen sich auch Eigentümerge-
                   derungen im Hinblick auf die Aktivlegitimation (d.h. die ma-     meinschaften, die ein einheitliches Vorgehen gegen den Bau-
                   terielle Berechtigung zur Durchsetzung eines Anspruchs)          träger planen, fragen, wie eine Geltendmachung der Ansprü-
                   skizzieren und Handlungsempfehlungen für laufende und zu-        che durch die Gemeinschaft ohne einen solchen Beschluss zu
                   künftige Prozesse aufzeigen.                                     bewerkstelligen ist.

                   Abschied von der sog. „gekorenen“ Aus-                           Hier hat es der Gesetzgeber versäumt, eine eindeutige und be-
                   übungsbefugnis                                                   lastbare Regelung zu treffen und Rechtssicherheit zu schaf-
                                                                                    fen. Zwar verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass die
                   Alte Rechtslage – Der Vergemeinschaftungsbe-                     Rechtsprechung zum Bauträgervertragsrecht unberührt blei-
                   schluss                                                          be. Wie allerdings vor dem Hintergrund der eindeutigen Absa-
                                                                                    ge an die gekorene Ausübungsbefugnis die Geltendmachung
                   Nach der bisherigen Rechtslage spielte die sog. „gekorene“       durch den Verband möglich bleiben soll, verrät sie nicht. Aus
                   Ausübungsbefugnis der Eigentümergemeinschaft, insbeson-          dogmatischer Sicht ist das Zulassen einer Vergemeinschaf-
                   dere im Hinblick auf Bauträgerfälle, eine entscheidende Rolle.   tung allein im Bereich des Bauträgerrechts kaum herzuleiten
                   So war es der Gemeinschaft möglich, Ansprüche, die dem ein-      (vgl. BeckOK WEG/Müller, 43. Ed., Stand: 1.1.2021, § 9a WEG Rn.
                   zelnen Erwerber aus dem Bauträgervertrag hinsichtlich des        146 ff.). Ob die Rechtsprechung dennoch aus Gründen der
                   Gemeinschaftseigentums zustanden, im Wege des Mehrheits-         Praktikabilität diesen Weg gehen wird, bleibt abzuwarten.
                   beschlusses an sich zu ziehen. Mit einem solchen Vergemein-
                   schaftungsbeschluss wurde die Eigentümergemeinschaft zur         Handlungsempfehlung
                   Durchsetzung der ursprünglich den Erwerbern zustehenden
                   Mängelansprüche berechtigt. Der einzelne Eigentümer verlor       Da es zu dieser Frage bislang, soweit ersichtlich, keinerlei
                   die Möglichkeit, seine Ansprüche selbstständig durchzuset-       Rechtsprechung gibt, sind die klagenden Eigentümergemein-
                   zen, sofern er sich hierbei in Widerspruch zur Gemeinschaft      schaften gut beraten, einen Hinweis des Gerichts nach § 139
                   setzte (vgl. BGH, Urteil vom 06.03.2014, Az.: VII ZR 266/13).    ZPO einzufordern. Je nach Inhalt des Hinweises ist prozessual
                                                                                    zu reagieren: Bei einer laufenden Klage ist diese ggf. für erle-
                   Die Vergemeinschaftung erlaubte es den Eigentümern, ein-         digt zu erklären. Im Rahmen dieser Prüfung muss das Gericht
                   heitlich gegen den Bauträger vorzugehen, um Mängelansprü-        dann die Erfolgsaussichten der ursprünglichen Klage bewer-
                   che in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum kosteneffizient       ten. Auch ein Parteiwechsel von dem Verband auf den einzelnen
                   geltend zu machen. Da sowohl Rechtsvertretungs- als auch         Eigentümer, dessen Ansprüche mit Nichtigkeit des Vergemein-
                   Verfahrenskosten über die Gemeinschaft zu erbringen waren,       schaftungsbeschlusses wieder aufleben, kommt in Betracht.
                   konnten hier erhebliche Kosten eingespart und Abläufe ge-        Ob sich allerdings ein einzelner Wohnungseigentümer bereit
                   strafft werden.                                                  erklärt, die Ansprüche mit dem entsprechenden Kostenrisiko
                                                                                    allein geltend zu machen, dürfte zu bezweifeln sein.

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B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT
Eigentümergemeinschaften, die in nächster Zeit aus Män-         spruchs gegen einen Eigentümer etwa die Verjährung, wird
gelrechten gegen den Bauträger vorgehen wollen oder auf-        es kaum möglich sein, die Gemeinschaft, sollte sie sich
grund von drohender Verjährung sogar müssen, stellt die         sträuben, zur Geltendmachung dieses Anspruchs innerhalb
neue Rechtslage vor ein großes Problem. Rechtssicher wäre       der ablaufenden Frist zu zwingen.
es, den Verband zur Prozessführung zu ermächtigen. Für die
gewillkürte Prozessstandschaft bedarf es aber der Ermäch-       Bereits anhängige Klagen einzelner Eigentümer, die etwa
tigung sämtlicher Eigentümer, was dieses Instrument wenig       auf die Beseitigung von unzulässigen baulichen Verände-
praxisrelevant macht. Auch die Klageerhebung durch den ein-     rungen gerichtet sind, drohen aufgrund der weggefallenen
zelnen Eigentümer wird wegen des Kostenrisikos nur selten       Aktivlegitimation als unbegründet abgewiesen zu werden.
umsetzbar sein. Am besten beraten dürften die Eigentümer-
gemeinschaften daher damit sein, einen Vergemeinschaf-          Handlungsempfehlungen
tungsbeschluss zu fassen – sollte dies von den Gerichten
weiterhin als zulässig erachtet werden – und gleichzeitig       Auch hinsichtlich von Beseitigungsansprüchen gibt es bis-
einen Eigentümer zu bestimmen, der für den Fall, dass die Ge-   lang nur vereinzelte Instanzrechtsprechung, die die ver-
richte diesem Weg eine Absage erteilen, den Prozess über-       schiedenen Ansichten allerdings deutlich zu Tage bringt:
nimmt. Hier müsste natürlich gleichzeitig eine Regelung zur     Vorgeprescht ist das AG Heidelberg (Verfügung vom
Kostentragung gefunden werden, deren Vereinbarkeit mit          05.01.2021, Az.: 45 C 108/19) mit der Ansicht, dass bei einer
ordnungsgemäßer Verwaltung aber ebenfalls ungeklärt ist.        bereits anhängigen Klage auch nach dem 01.12.2020 der
Eine rechtliche Beratung ist in Anbetracht der unsicheren Si-   einzelne Wohnungseigentümer aus Gründen des effekti-
tuation jedenfalls unumgänglich.                                ven Rechtsschutzes Ansprüche nach § 1004 BGB geltend
                                                                machen können muss. Dieser Ansicht hat sich die 13. Zivil-
Der Verband als „Wächter“                                       kammer des LG Frankfurt a.M. (Urteil vom 11.02.2021, Az.: 2-13
                                                                S 46/20) entgegengestellt und darauf verwiesen, dass Nach-
Alte Rechtslage – die Beseitigungsansprüche                     teile infolge von Rechtsänderungen hinzunehmen sind.

Vor dem 01.12.2020 stand der Anspruch, bei Störungen im Be-     Als sicherster Weg sollte auch hier zunächst ein richterlicher
reich des Gemeinschaftseigentums, etwa unberechtigten           Hinweis nach § 139 ZPO eingefordert werden. Teilt das Gericht
baulichen Veränderungen, Beseitigung und Unterlassung           die Rechtsmeinung des AG Heidelberg, ist die Klage unver-
nach § 1004 Abs. 1 BGB zu verlangen, dem einzelnen Eigentü-     ändert zu lassen. Weiter besteht bei Klagen, die auf § 1004
mer zu. Dieser konnte daher gegen den störenden Eigentümer      BGB fußen, die Möglichkeit, dass bei gleichzeitigen Verstößen
direkt vorgehen. Gleichermaßen konnte jeder Eigentümer ge-      gegen Sondereigentum eine parallele Zuständigkeit auch des
mäß § 15 Abs. 3 WEG iVm § 1004 Abs. 1 BGB den Anspruch auf      einzelnen Wohnungseigentümers vorliegt. Hierauf kann dann
ordnungsgemäßen Gebrauch durchsetzen und damit verein-          die Klage unverändert gestützt werden.
barte oder beschlossene Gebrauchsregelungen innerhalb der
Gemeinschaft gerichtlich geltend machen. Auch diese An-         Steht das befasste Gericht auf dem Standpunkt – was mit
sprüche der einzelnen Eigentümer konnte die Gemeinschaft        der eindeutigen Wertung des Gesetzgebers zu erwarten ist –,
an sich ziehen und durch Beschluss vergemeinschaften.           durch die Rechtsänderung sei die Aktivlegitimation entfallen,
                                                                ist der Rechtstreit für erledigt zu erklären. Die weiteren Re-
Neue Rechtslage                                                 aktionsmöglichkeiten, die das LG Frankfurt zur Kostenabwen-
                                                                dung benannt hat, nämlich der Parteiwechsel auf den Verband
Mit der Einführung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nF steht nun-      oder aber die Rückermächtigung des klagenden Eigentümers
mehr allein der Gemeinschaft der Anspruch gegen den stö-        zur Geltendmachung des Anspruchs durch den Verband, dürf-
renden Eigentümer zu; nur die Gemeinschaft kann daher von       ten nur in den seltensten Fällen zum Tragen kommen.
dem „Störer“ verlangen, bauliche Maßnahmen zu beseitigen
bzw. Handlungen, die nicht vom ordnungsgemäßen Gebrauch         Fazit
gedeckt sind, zu unterlassen. Der einzelne Eigentümer ist
zur Geltendmachung nicht berechtigt und wird darauf ver-        In Hinblick auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Ge-
wiesen, zunächst gegen die Gemeinschaft vorzugehen und          meinschaft und Eigentümern wirft das neue Gesetz sowohl
diese wiederum nach § 18 Abs. 2 WEG zur Ausübung ihrer          für anhängige als auch für noch anstehende Gerichtsverfah-
Ansprüche gegen den Störer zu zwingen.                          ren eine Reihe von Fragen auf. Insbesondere in Hinblick auf
                                                                Mängelansprüche, die einheitlich gegenüber dem Bauträger
Damit hat sich der Gesetzgeber für ein zweistufiges Sys-        geltend gemacht werden sollen, ist es für Gemeinschaften
tem entschieden, das der „Wächterrolle“ der Gemeinschaft        zurzeit schwierig, eine rechtssichere Lösung zu finden, die
hinsichtlich der Pflichten der Eigentümer gerecht werden        der Gemeinschaft die einheitliche Durchsetzung dieser An-
soll. Ob diese Zweiteilung in der Praxis für eine Entlastung    sprüche ermöglicht. Hier ist es an der Rechtsprechung, Klar-
der einzelnen Eigentümer sorgt, bleibt abzuwarten. Hier-        heit zu schaffen und Licht ins Dunkel zu bringen. Bis das
gegen spricht zunächst die Schwerfälligkeit des Systems         geschehen ist, ist es für Eigentümergemeinschaften ratsam,
„Gemeinschaft“; droht hinsichtlich eines Beseitigungsan-        jedenfalls anwaltliche Beratung hinzuziehen.

                                                                                                                                 17
RECHT A KT U ELL

                   BAU- UND IMMOBILIENRECHT

                          BGH: ARCHITEKTEN MÜSSEN
                      BAUKOSTENOBERGRENZEN EINHALTEN

                                               RA Johannes Stechno | stechno@lutzabel.com

                                          Was schon für die Hamburger Elbphilharmonie und den Flug-
                                          hafen Berlin-Brandenburg galt, wird wohl auch für den ge-
                                          planten Erweiterungsbau des Kanzleramts bittere Realität
                                          werden: Die Kosten werden sich laut einer Prognose des
                                          Bundesinnenministeriums von geplanten 485 Mio. Euro auf
                                          rund 600 Mio. Euro erhöhen. Zumindest auf den Bundesge-
                                          richtshof ist in diesem Zusammenhang jedoch Verlass. Die-
                                          ser bestätigte jüngst (Urteil vom 11.07.2019, Az.: VII ZR 266/17)
                                          die Wirksamkeit solcher Klauseln in Musterverträgen des
                                          Bundes, die für den Architekten verbindliche Baukosten-
                                          obergrenzen beinhalten.
                      JOAHNNES STECH NO

             18
B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT
Hintergrund                                                                 heitsvereinbarung über eines dieser Ziele, mithin eine der
                                                                            AGB-Kontrolle entzogene Beschreibung der (Haupt-) Leis-
Der BGH hatte sich im Rahmen einer Verbandsklage nach                       tung.
dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) mit einer Klausel
zu beschäftigen, die der Bund in seinen Musterverträgen über                Fehlende AGB-Eigenschaft
Bau- und Planungsleistungen wiederkehrend verwendet. Klä-
ger war ein Verein, dessen Satzungszweck darauf gerichtet                   Der BGH lehnte im Anschluss die gem. § 307 Abs. 3 S. 2 BGB
ist, rechtmäßige Vertragskonditionen in Vertragsmustern von                 eigentlich auch für nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB inhaltskont-
Bauherren durchzusetzen. Der Kläger beantragte, dem Bund                    rollfreie Regelungen durchzuführende AGB-rechtliche Trans-
die Verwendung der folgenden ausfüllungsbedürftigen Klau-                   parenzkontrolle der Klausel ab. Dies begründete er damit,
seln und solcher, die dieser ähneln, zu untersagen:                         dass es sich bei der Klausel gar nicht um eine Allgemeine Ge-
                                                                            schäftsbedingung nach § 305 Abs. 1 S. 1 BGB handelt.
„Die Baukosten für die Baumaßnahme dürfen den Betrag von … Euro brutto/…
Euro netto nicht überschreiten. Die genannten Kosten umfassen die Kosten-   Allgemeine Geschäftsbedingungen in diesem Sinne sind alle
gruppen 200 bis 600 nach DIN 276-1:2008-12, soweit diese Kostengruppen in   für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbe-
der ES-Bau/KVM-Bau/HU-Bau/AA-Bau erfasst sind. Der Auftragnehmer hat        dingungen. Vorformuliert sind Vertragsbedingungen bereits
seine Leistungen bezogen auf die von ihm zu bearbeitenden Kostengruppen     dann, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihre min-
so zu erbringend, dass diese Kostenobergrenze eingehalten wird.“            destens dreimalige Verwendung beabsichtigt ist. Diese Vor-
                                                                            aussetzungen sah der BGH nicht erfüllt. Zwar sei die Klausel
Der Kläger ist der Auffassung, Klauseln dieser Art würden den               grundsätzlich vorformuliert. Jedoch liege der für die AGB-
Auftragnehmer, d.h. den Architekten, unangemessen benach-                   Eigenschaft erforderliche Bezug zu einer Vielzahl von Verträ-
teiligen und seien deshalb gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirk-               gen sowie die Mehrfachverwendungsabsicht des Verwenders
sam.                                                                        nicht vor.

Entscheidung des BGH                                                        Dies begründete der BGH damit, dass die Klausel erst durch
                                                                            das Einsetzen des jeweiligen Betrags für die maximalen Bau-
Der BGH schloss sich der Ansicht der Vorinstanzen an und                    kosten sowie das Ankreuzen der Variante „brutto“ bzw. „netto“
wies die Revision aus verschiedenen Gründen zurück.                         ihren eigentlichen Regelungsgehalt erhält. Vorher, d.h. ohne
                                                                            Ausfüllen der Klausel, kommt eine Vereinbarung über die
Freistellung von der Inhaltskontrolle                                       Baukosten – und damit eine Regelung – nicht zustande. Die
                                                                            unausgefüllte Klausel enthält auch nicht die Verpflichtung,
Er lehnte zunächst die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle der                  zu einem späteren Zeitpunkt eine Baukostenobergrenze zu
Klausel gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB ab. Dieser unterliegen nur              vereinbaren bzw. den Verzicht hierauf. Erst durch das Einset-
solche Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder                  zen der Baukostensumme, die jedoch für das jeweilige Bau-
diese ergänzen. Klauseln, die im Rahmen der Vertragsfreiheit                vorhaben individuell bestimmt ist, enthalte die Klausel eine
zwischen den Parteien den unmittelbaren Gegenstand der                      eigene Regelung. Diese Vertragsbestimmung bezieht sich je-
Hauptleistung nach Art, Umfang und Güte bestimmen (Leis-                    doch nur auf den einzelnen und keine Vielzahl von Verträgen.
tungsbestimmungen) sind dieser Nachprüfung dagegen ent-
zogen.                                                                      Außerdem liege die erforderliche Mehrfachverwendungsab-
                                                                            sicht des Verwenders der Klausel nicht vor, da die ausgefüllte
Zu diesen Leistungsbestimmungen gehören nach der Ein-                       Klausel stets nur für einen individuellen Vertrag bestimmt
schätzung des BGH sämtliche Vereinbarungen zur Beschaf-                     sei. Die Baukostenobergrenze wird entsprechend den Gege-
fenheit der vom Architekten zu erreichenden Planungs- und                   benheiten des jeweiligen Bauvorhabens und den dafür verfüg-
Überwachungsziele – und damit auch die Baukostenober-                       baren finanziellen Mitteln festgesetzt. Baukostensumme und
grenze. Dies begründet der BGH mit dem überzeugenden Ar-                    Bauvorhaben bilden jedoch eine ausschließlich das konkrete
gument, dass der Architekt nach § 650p Abs. 1 S. 1 BGB zu der               Bauvorhaben betreffende, individuelle Einheit. Eine mehr-
Leistung verpflichtet ist, die erforderlich ist, um die zwischen            fache Verwendung der ausgefüllten Klausel für ein anderes
den Parteien vereinbarten Planungs- und Leistungsziele zu                   Bauvorhaben ist demnach nicht vorgesehen. Dies unterschei-
erreichen. Das Gesetz definiert beim Architektenvertrag                     de die Vereinbarung einer Baukostenobergrenze in einem Ar-
also – anders als etwa beim Kauf- oder beim Mietvertrag –                   chitektenvertrag von Leistungsbeschreibungen in Vertrags-
den Inhalt der Hauptleistungspflicht des Unternehmers nicht                 mustern, die Rechte und Pflichten des Vertragspartners ohne
selbst. Vielmehr ist die vertragliche Vereinbarung über die                 individualisierenden Bezug zum konkreten Vertragsschluss
Planungs- und Überwachungsziele entscheidend dafür, wel-                    allgemein regeln und deshalb als AGB angesehen werden.
che Hauptleistungspflicht der Architekt zu erfüllen hat.
                                                                            Fazit
Die Hauptleistung des Planers besteht also darin, sich an die
vertraglich vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele                    Mit der Argumentation, die Vereinbarung einer Kostenober-
zu halten. Die Baukostenobergrenze ist eine Beschaffen-                     grenze stelle eine Vereinbarung der Beschaffenheit der vom

                                                                                                                                             19
RECHT A KT U ELL

                   Architekten zu erreichenden Planungs- und Überwachungs-           sprechung im Falle ergänzungsbedürftiger Klauseln bisher
                   ziele dar, führt der BGH seine Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil   zwischen selbstständigen und unselbstständigen Ergänzun-
                   vom 06.10.2016, Az.: VII ZR 185/13) fort.                         gen unterschied. Letztere sollten die Einordnung einer er-
                                                                                     gänzungsbedürftigen Klausel als AGB nicht beeinflussen (vgl.
                   Die Entscheidung ist dogmatisch überzeugend und auch inso-        BGH, Urteil vom 28.5.2014, Az.: VIII ZR 179/13). Mit dieser Frage
                   weit nachvollziehbar, als nicht nur im öffentlichen Auftrags-     beschäftigte sich der BGH jedoch im vorliegenden Urteil nicht.
                   wesen die Kostensicherheit für den Bauherrn naturgemäß im
                   Vordergrund steht. Die Baukostenobergrenze birgt jedoch           Darüber hinaus ist die Entscheidung des BGH für die all-
                   nicht unerhebliche Risiken für den Planer. Da der Architekt       gemeine Vertragspraxis interessant. Denn der BGH schafft
                   im Fall der Nichteinhaltung der Kostengrenze gem. § 633 Abs.      für den Verwender die Möglichkeit der Umgehung der AGB-
                   2 S. 1 BGB mangelhaft leistet, ist er dem Auftraggeber gem.       Eigenschaft für vorformulierte Klauseln. Die Argumentation
                   §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.     des BGH, dass aufgrund des individuell für das jeweilige Bau-
                   Dies erscheint aus praktischer Sicht insofern zumindest be-       vorhaben bestimmten und eingetragenen Baukostenbetrags
                   denklich, als der Architekt dabei auch für Leistungen Dritter,    die für die AGB-Eigenschaft erforderliche Mehrfachverwen-
                   nämlich der bauausführenden Unternehmen, haftet und diese         dungsabsicht fehlt, lässt sich nämlich etwa auch auf vorfor-
                   Haftung nicht nur das aufgrund der Kostenüberschreitung er-       mulierte, summenmäßige Haftungsbeschränkungen übertra-
                   höhte Architektenhonorar, sondern auch die erhöhten Kosten        gen, wenn der Verwender in seiner Musterklausel eine Lücke
                   des Auftraggebers umfasst.                                        zur wahlweisen Ausfüllung mit einem Höchstbetrag lässt.

                   Der BGH überrascht außerdem mit seiner Einordnung der
                   Klausel als individualvertragliche Vereinbarung, da die Recht-

                               BAU- UND IMMOBILIENRECHT

                                 BGH BESTÄTIGT ERNEUT: KEINE FIKTIVEN MÄNGEL-
                                  BESEITIGUNGSKOSTEN IM WERKVERTRAGSRECHT

                                                           RAin Anna Oberlack | oberlack@lutzabel.com
                                                                                     ANNA OBERL ACK

                   Nachdem der VII. Zivilsenat des BGH am 22.02.2018 in einer
                   Grundsatzentscheidung seine bisherige Rechtsprechung
                   dahingehend geändert hatte, dass Unternehmer im Werk-
                   vertragsrecht ihre Schäden künftig nicht mehr nach fiktiven
                   Mängelbeseitigungskosten berechnen können, ist das viel
                   diskutierte Thema noch lange nicht vom Tisch. Erst kürz-
                   lich musste der VII. Zivilsenat auf Anfrage des V. Zivilsenats
                   erneut über die Problematik entscheiden. Der angefragte
                   Senat hielt an seiner Rechtsauffassung fest, sodass nun im
                   Raum steht, dass sich der Große Zivilsenat mit der Sache
                   befassen wird.

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