RECHT AKTUELL 01 2021 - Lutz Abel
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
RECHT AKTUELL Sehr geehrte Leserinnen und Leser, mittlerweile freuen wir uns, die kalte Jahreszeit hinter uns zu lassen und blicken positiv in den Frühling. Wie Sie es gewohnt sind, berichten wir auch in der Ausgabe 01/2021 über fachlich interessante sowie jüngst diskutierte Themen und Fragestellun- gen. Zudem haben wir bereits zu Beginn des Jahres ein erfreuliches Ereignis zu vermelden: Die WirtschaftsWoche zeichnete LUTZ | ABEL in diesem Jahr erneut als „TOP Kanzlei Privates Baurecht“ aus und zählt auch unseren Namenspartner Dr. Wolfgang Abel wieder als „TOP Anwalt“ zu den renommiertesten Beratern im Privaten Baurecht. Für das Ranking befragte das Handels- blatt Research Institute (HRI) mehr als 1.900 Juristen und ließ am Ende eine Expertenjury entscheiden. Wir freuen uns über die äußerst positive Marktwahrnehmung unserer Praxisgruppe Bau- und Immobilienrecht und besonders über die auf Kollegen- empfehlung beruhende Auszeichnung. Außerdem haben wir erneut personellen Zuwachs zu verzeichnen und heißen sechs neue Rechtsanwältinnen und Rechtsanwäl- te ganz herzlich willkommen: In München werden die Praxisgruppe Arbeitsrecht durch Dr. Sophie Steinle, das Vergaberechts- team durch Juliana Gsellhofer und die Praxisgruppe Öffentliches Recht durch Franziska Thiel verstärkt. Am Standort Hamburg unterstützen Matthias Schütt das Team im Bau- und Immobilienrecht sowie Constanze Hachmann die Praxisgruppe VC und M&A. Zudem bereichert Isabelle Hohl das Team IP- und Medienrecht in Berlin. Hier klicken Wir möchten Sie – besonders in diesen weiterhin fordernden Zeiten – durch aktuelle Meldungen, Online-Seminare sowie praktische Hilfestellungen, etwa Checklisten oder Mustervorlagen, un- terstützen. Diese Informationen stellen wir kostenlos und hauptsächlich digital zur Verfügung. Sie möchten auch auf digitalem Weg informiert bleiben oder uns Rückmeldung zu Recht Aktuell geben? Dann freuen wir uns über Ihr Feedback – am einfachsten per Scan über nebenstehenden QR-Code, gerne aber auch per E-Mail unter marketing@lutzabel.com oder über unsere Kontakt- Recht Aktuell Digital? daten, die Sie am Ende dieser Ausgabe von Recht Aktuell abgedruckt finden. QR-Code scannen oder anklicken und Feed- Ihre LUTZ | ABEL Rechtsanwalts PartG mbB back geben 3
RECHT A KT U ELL VERANSTALTUNGEN ARBEITSRECHT UND DATENSCHUTZ L|A ONLINE SEMINAR: FAQ Arbeitsrecht & Datenschutz | Der Arbeitsvertrag 21. April 2021 - Online Referenten: Claudia Knuth, Dr. Cornelius Renner Homeoffice und mobiles Arbeiten BECK Akademie Seminare 5. Mai 2021 - Hamburg 14. Oktober 2021 - München 24. November 2021 - Online Referenten: Claudia Knuth, Dr. André Schmidt BAU- UND IMMOBILIENRECHT 4. After-Work-Seminar 2021: Proaktives Risk-Management Akademie der Ingenieure 12. Mai 2021 - Ostfildern Referent: Ulrich Eix Die Rechte und Pflichten des Bauleiters vhw Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung 20. September 2021 - Nürnberg Referent: Julian Stahl GESELLSCHAFTSRECHT Gesellschafterstreit: Typische Konfliktfelder BECK Akademie Seminare 11. November 2021 - München und Online Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert Gesellschafterstreit im Prozess BECK Akademie Seminare 12. November 2021 - München und Online Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert VERGABERECHT L|A ONLINE SEMINARREIHE Vergaberecht auf den Punkt Neues zum Ausschluss von Unternehmen wegen Unzuverlässigkeit 14. April 2021 - Online Referent: Dr. Stephen Lampert KONTAKT Für Fragen zu den Veranstaltungen und zur Anmeldung stehen Ihnen die Referenten sowie Ilona White (Telefon: +49 89 544 147-0, E-Mail: events@lutzabel.com) gerne zur Verfügung. www.lutzabel.com/termine 4
INHALTSVERZEICHNIS 01 ARBEITSRECHT Neues Arbeitsschutzkontrollgesetz S7 Dr. Sophie Steinle Impfung und Arbeitsrecht: Risiken und Nebenwirkungen S9 Xenia Verspohl 02 BAU- UND IMMOBILIENRECHT IPA: Erfolgreiche Bauprojekte garantiert? S 12 Ulrich Eix Änderung des WEG zum 01.12.2020 – Ausgewählte und praxisrelevante Probleme mit S 15 Fokus auf bereits anhängige Verfahren Vera Lederer BGH: Architekten müssen Baukostenobergrenzen einhalten S 18 Johannes Stechno BGH bestätigt erneut: Keine fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht S 20 Anna Oberlack Gestärkte Verhandlungsposition für Gewerbemieter in der Corona-Pandemie? S 22 Matthias Schütt 03 BEIHILFEN- UND KARTELLRECHT Update Fusionskontrolle: Signifikante Anhebung der Anmeldeschwellen S 25 Christoph Richter Verschärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht über Digitalkonzerne S 28 Christoph Richter Quo vadis, Kartellverfolgung? S 31 Christoph Richter 04 GEWERBLICHER RECHTSSCHUTZ Mündliche Verhandlungen vor dem Patentsenat des Bundesgerichtshofs während der S 34 Corona-Pandemie Dr. Karsten Brandt 5
05 IT-RECHT UND DATENSCHUTZ Bußgeldbemessung im Datenschutz: Dänemark als Vorbild? S 36 Niklas Vogt 06 ÖFFENTLICHES RECHT Novelle der Bayerischen Bauordnung S 39 Sebastian Vorwalter 07 VENTURE CAPITAL Die wiederholte Einziehung eines GmbH-Geschäftsanteils S 44 Frank Hahn Förderung von Mitarbeiterbeteiligungen bei Start-ups durch das neue Fonds- S 47 standortgesetz – Reform oder Reförmchen? Sebastian Sumalvico
A RBEI T SRECHT ARBEITSRECHT NEUES ARBEITSSCHUTZKONTROLLGESETZ RAin Dr. Sophie Steinle | steinle@lutzabel.com Am 1. Januar 2021 ist das Arbeitsschutzkontrollgesetz in Kraft getreten. Es soll für bundeseinheitlich geordnete und sichere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sorgen und die Aufsicht des Arbeitsschutzes verbessern. Darüber hinaus enthält das Artikelgesetz auch branchenübergrei- fende Änderungen, u.a. im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und in der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV). DR. SOP HIE STEINLE 7
RECHT A KT U ELL Neues Arbeitsschutzkontrollgesetz dem Gesetzgeber die Möglichkeit gibt, eine Verlängerung oder Entfristung der Tariföffnungsklausel vorzunehmen. Die Fleischindustrie steht nicht nur aufgrund ihrer unzurei- chenden Arbeitsbedingungen der oft aus Osteuropa stam- Das Fleischerhandwerk ist von den Regelungen zum Verbot menden Arbeiter bereits seit längerer Zeit in der Kritik. In der Fremdbeschäftigung ausgenommen. Hierunter fallen jüngster Zeit geriet sie auch als Hotspot von COVID-19-Aus- mittelständische Betriebe, die nicht mehr als 49 Personen brüchen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Bundes- beschäftigen, wobei das Verkaufspersonal bei der Ermitt- regierung hat Handlungsbedarf gesehen und ein Arbeits- lung des Schwellenwerts nicht mitgezählt wird. schutzprogramm für die Fleischwirtschaft beschlossen. Zur Umsetzung des Programms wurde das Gesetz zur Verbesse- Arbeitszeiterfassung rung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontroll- gesetz) auf den Weg gebracht. Es ist am 1. Januar 2021 in Mit Ausnahme des Fleischerhandwerks müssen die Arbeit- Kraft getreten. geber der Fleischindustrie nach dem neuen GSA Fleisch den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit ihrer Beleg- Hintergrund schaft verpflichtend „elektronisch und manipulationssi- cher“ aufzeichnen. Diese Aufzeichnungen sind sodann elek- Im Kerngeschäft der Fleischindustrie – Schlachtung, Zer- tronisch aufzubewahren. Die verschärften Voraussetzungen legung und Fleischverarbeitung – wurde bisher ein über- sollen den bisherigen gravierenden Arbeitszeitverstößen proportional hoher Anteil von einfach auszutauschendem Rechnung tragen und eine wirksame Überprüfung gewähr- ausländischem Fremdpersonal eingesetzt. Dies führte zu leisten, ob die Mindestlohnvorschriften der Beschäftigten einer Sub-Sub-Unternehmerkette, die durch Intransparenz eingehalten sind. Ausdrücklich wurde ferner geregelt, dass und prekäre Arbeitsbedingungen geprägt ist. Rüst-, Umkleide- sowie Waschzeiten, soweit erforderlich und dienstlich veranlasst, als Arbeitszeit mit zu erfassen Bisher setzte der Gesetzgeber zur Verbesserung der Arbeits- sind. Zur Sicherung des Arbeitsschutzes wurde letztlich und Gesundheitsbedingungen der Arbeitnehmer neben eige- auch der Bußgeldrahmen verdoppelt. Verstöße gegen die nen gesetzgeberischen Bemühungen wie dem Gesetz zur Si- Zeiterfassung können nunmehr mit einer Geldbuße bis zu cherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft 30.000 Euro geahndet werden. (GSA Fleisch) vor allem auf freiwillige Regelungen durch Selbstverpflichtungen der Branche. Dies führte jedoch zu Bereitstellung angemessener Unterkünfte keinen nennenswerten Verbesserungen. Das Arbeitsschutz- kontrollgesetz soll nun für bundeseinheitlich geordnete und Die Unterbringung von Beschäftigten in Gemeinschafts- sichere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sorgen unterkünften muss künftig Mindeststandards genügen. Die- und die Aufsicht des Arbeitsschutzes verbessern. Darüber se Regelungen gelten branchenübergreifend. Hierzu wurde hinaus enthält das Artikelgesetz auch branchenübergrei- die ArbStättV ergänzt und vorgeschrieben, wie die Gemein- fende Änderungen, u.a. im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) schaftsunterkünfte zur Unterbringung von Arbeitnehmern und in der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV). ausgestattet sein müssen. Den Arbeitgeber trifft fortan eine umfassende Dokumentationspflicht im Hinblick auf Wesentliche Regelungen die Bereitstellung von Gemeinschaftsunterkünften zur Er- möglichung effektiverer Kontrollen. Ferner hat er auch die Verbot von Fremdpersonaleinsatz Verpflichtung, angemessene Unterkünfte für Beschäftigte zur Verfügung zu stellen, gegebenenfalls auch außerhalb Eine der zentralen Änderungen zur Sicherung von Arbeit- des Betriebsgeländes, wenn es aus Gründen der Sicherheit, nehmerrechten in der Fleischindustrie dürfte das Verbot zum Schutz der Gesundheit oder zur menschengerechten des Einsatzes von Fremdpersonal in Schlachtung, Zerle- Gestaltung der Arbeit erforderlich ist. Die Anforderungen an gung und Fleischverarbeitung sein. Nach den Änderungen die Ausstattung der Unterkünfte richten sich nach der Be- des GSA Fleisch darf der Inhaber eines Unternehmens in legungszahl und Dauer der Unterbringung. diesem Kernbereich künftig nur noch eigene Arbeitnehmer beschäftigen. Ebenso ist die gemeinsame Führung eines Mindestbesichtigungsquoten für Arbeitsschutz- Betriebes oder eine übergreifende Organisation durch zwei behörden oder mehrere Unternehmer jetzt unzulässig. Des Weiteren bestimmen die Änderungen im GSA Fleisch, dass der Einsatz Die Überwachung des Arbeitsschutzes ist nach dem ArbSchG von Leiharbeitern ab dem 1. April 2021 weitestgehend und ab staatliche Aufgabe. Branchenübergreifend wird nun der Voll- dem 1. April 2024 vollständig verboten wird. Die auf drei Jahre zug im Arbeitsschutz verbessert. Getreu der Redewendung befristete Ausnahmeregelung ermöglicht es den Unterneh- „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ stärkt das ArbSchG men, auf Grundlage eines Tarifvertrags und unter strengen künftig die Effizienz der Kontrollen. Das Gesetz sieht hier- Auflagen Auftragsspitzen ausschließlich in der Fleischver- zu eine bundesweit einheitliche Mindestbesichtigungsquote arbeitung durch Leiharbeit aufzufangen. Der Bundestag hat von 5 % der im jeweiligen Bundesland vorhandenen Betriebe im Gesetz jedoch eine Evaluationsklausel eingebracht, die vor. Den Ländern wird durch eine schrittweise Steigerung 8
A RBEI T SRECHT der Besichtigungen bis zum Jahr 2026 eine Vorbereitungs- den Regelungen sind im Wesentlichen große Unternehmen zeit zur Umsetzung eingeräumt. Die zuständigen Behörden betroffen, da mittelständische Handwerksbetriebe in der haben bei der Auswahl der zu überwachenden Betriebe Art Fleischverarbeitung vom Anwendungsbereich ausgenom- und Umfang des betrieblichen Gefährdungspotenzials zu men sind. Ziele des Artikelgesetzes sind angemessene berücksichtigen. Die in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz Arbeitsbedingungen und ausreichender Gesundheitsschutz. und Arbeitsmedizin neu eingerichtete Bundesfachstelle für Ob das Arbeitsschutzkontrollgesetz die unzureichenden Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit soll für die Um- Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie tatsächlich be- setzung der Mindestbesichtigungsquote sorgen, die Über- seitigen wird, bleibt abzuwarten. Ebenso offen ist, ob das wachung der Arbeitsschutzaufsicht durchführen und auf neue Gesetz im Hauptsacheverfahren vor dem Bundesver- dieser Grundlage Beiträge zur Berichterstattung erstellen. fassungsgericht, insbesondere im Hinblick auf das Fremd- personalverbot im Kernbereich der Fleischindustrie und das Zusammenfassung Kooperationsverbot der Betriebe, standhalten wird. Inhaber von Betrieben in der Fleischindustrie sehen hierin einen Durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz wurde ein recht- rechtswidrigen Eingriff in die berufliche und unternehmeri- licher Rahmen dafür geschaffen, die in der Fleischindus- sche Handlungsfreiheit. Anträge im Wege der einstweiligen trie bisher überwiegend praktizierte Sub-Sub-Unterneh- Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht bereits durch merkette zu unterbinden und zu verhindern, dass sich die Beschluss vom 29. Dezember 2020 abgelehnt. Unternehmen ihrer Gesamtverantwortung entziehen. Von ARBEITSRECHT IMPFUNG UND ARBEITSRECHT: RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN RAin Xenia Verspohl | verspohl@lutzabel.com XENIA V ERSPOHL Die Corona-Impfung ist auch arbeitsrechtlich von großer Bedeutung. Können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter zu einer Impfung verpflichten? Welche freiwilligen Alternativen zur Impfpflicht gibt es? Und mit welchen Kosten und Haftungs- risiken muss der Arbeitgeber bei betrieblichen Impfpro- grammen rechnen? Viele Arbeitgeber wollen ihre Mitarbeiter aus Gründen des betrieblichen Gesundheitsschutzes zu einer Impfung ver- pflichten. Doch die rechtlichen Hürden sind hoch. Denn eine gesetzliche Impfpflicht gegen das Corona-Virus gibt es bis- lang in Deutschland nicht. Eine freiwillige Alternative können betriebliche Anreizsys- teme bieten, zum Beispiel in Form von Impfungen am Ar- beitsplatz durch den Betriebsarzt. Hier stellt sich die Frage nach der Kostentragung und Haftung. 9
RECHT A KT U ELL Keine Impfpflicht im bestehenden Ar- dete Bereiche im Gesundheits- und Pflegebereich (Kranken- beitsverhältnis häuser, Arztpraxen, Pflegedienste etc.) gilt. Danach darf der Arbeitgeber „personenbezogene Daten eines Beschäftigten Mangels gesetzlicher Impflicht kommt auch eine betrieb- über dessen Impf- und Serostatus verarbeiten, um über die liche Impflicht zur Zeit nicht in Betracht. Eine entsprechen- Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder über de Weisung (§ 106 GewO) des Arbeitgebers wäre unzulässig. die Art und Weise einer Beschäftigung zu entscheiden.“ Die Denn jede Impfung stellt dem Grunde nach eine Körperver- Maßnahme muss erforderlich sein, was wiederum nur der letzung dar, die nur im Ausnahmefall gerechtfertigt ist. Zu- Fall ist, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen und dem ist als weiteres Grundrecht die allgemeine Handlungs- die Infektionsgefahr bei der Arbeit nicht anders kontrolliert freiheit betroffen. Die Entscheidung über eine Impfung ist werden kann (z.B. durch Schnelltests und die Einhaltung der eine höchst individuelle. Der Arbeitgeber muss sich in der AHA-Regeln). Regel aus solchen persönlichen, außerdienstlichen Ange- legenheiten heraushalten. Auch eine arbeitsvertragliche Betriebliche Anreizsysteme Impfpflicht dürfte an dieser Hürde scheitern. Eine Alternative bieten betriebliche Anreizsysteme, mit Hinzu kommt Folgendes: Die Corona-Impfung schützt zwar denen freiwillige Impfungen belohnt und damit die Impf- vor der Erkrankung selbst. Ob sie auch verhindert, dass der bereitschaft in der Belegschaft gesteigert werden kann. In Geimpfte das Virus aufnimmt und weitergibt, ist bislang je- Betracht kommt zum Beispiel ein freiwilliges betriebliches doch nicht geklärt. Wenn eine Weitergabe durch Geimpfte Impfprogramm mit kostenfreier Impfung durch einen Be- aber nicht sicher ausgeschlossen ist, erscheint eine Impf- triebsarzt oder die Gewährung von sogenannten „Impfprä- licht unverhältnismäßig. Sollten sich hier neue Erkenntnisse mien“. ergeben, wäre auch eine betriebliche Impfpflicht neu zu be- werten. Unter Umständen könnten Ungeimpften strengere Die Zahlung einer Impfprämie kommt für freiwillig geimpfte Schutzmaßnahmen auferlegt werden oder ihnen der Zugang Mitarbeiter in Betracht, die dem Arbeitgeber hierüber einen zu bestimmten Gemeinschaftsräumen wie der Kantine ver- Nachweis erbringen. In den USA gewähren unter anderem wehrt bleiben. die dortigen Ableger der deutschen Discounter Aldi und Lidl bereits heute solche Boni. In Bezug auf den Impfnachweis Aktuell darf die Impfverweigerung nicht an arbeitsrechtli- sind die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beach- che Konsequenzen geknüpft werden. Denn nach § 612a BGB ten, insbesondere dürfte eine Aufnahme des Impfnachwei- darf ein Arbeitnehmer nicht benachteiligt werden, weil er in ses in die Personalakte unzulässig sein. Bei der Einführung zulässiger Weise seine Rechte ausübt. einer Impfprämie kann zudem ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehen. Schließlich ist zu beachten, dass in Etwas anderes kann allenfalls in Bereichen gelten, in denen Bezug auf die Impfprämie keine Differenzierung nach der Arbeitnehmer Kontakt mit besonders vulnerablen Gruppen Beschäftigungsart (Voll- sowie Teilzeitbeschäftigte, Mini- haben (Ärzte, Pflegepersonal etc.). Hier kann eine betriebli- jobber, Werksstudenten etc.) erfolgen sollte: Andersfalls che Impflicht – nach dem Vorbild der Masernimpfung – mög- dürfte es sich um eine sachgrundlose Benachteiligung han- licherweise bereits jetzt zulässig sein. deln. Denn für den Infektionsschutz am Arbeitsplatz spielen Status und Beschäftigungsgrad keine Rolle. Kein Impfnachweis als Einstellungsvor- aussetzung Impfung durch den Betriebsarzt Auch bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen kann der Zur Zeit werden Impfungen gegen COVID-19 ausschließlich Impfnachweis eine Rolle spielen. Hier stellt sich zunächst in Impfzentren bzw. durch mobile Impfteams angeboten. die Frage, ob der Arbeitgeber im Bewerbungsverfahren nach Wenn der Impfstoff in Zukunft auch über das Regelver- einer Corona-Impfung fragen darf. Das hängt davon ab, ob die sorgungssystem erhältlich ist, stünde es aber auch Arbeit- Kenntnis vom Impfstatus für die Durchführung des Arbeits- gebern frei, eine Impfung am Arbeitsplatz durch den Be- verhältnisses zwingend erforderlich ist oder ob der Schutz triebsarzt anzubieten. Ein vergleichbares Angebot besteht der Beschäftigten und sonstigen Personen auch anderwei- in vielen Unternehmen bereits im Hinblick auf die jährlichen tig sichergestellt werden kann (§ 9 Abs. 2 lit. b DSGVO, § 26 Grippeimpfungen. Abs. 1, 3 BDSG). Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (Beschäftigungsart, Kontakt zu Personen Als Maßnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung etc.). Jedenfalls für besonders sensible Bereiche dürfte die kann das Angebot von Impfungen am Arbeitsplatz nicht nur Kenntnis erforderlich sein. Die Frage wäre damit zulässig, der Mitarbeiterbindung dienen, sondern auch dazu beitra- und eine Einstellung könnte unter Umständen unter Hinweis gen, krankheitsbedingte Ausfälle und Quarantänerisiken zu auf den fehlenden Impfschutz abgelehnt werden. minimieren. Doch wer trägt die Kosten für solche Impfungen und birgt das Impfangebot Haftungsrisiken für den Arbeit- Auch im IfSG findet sich mit § 23a IfSG eine passende geber? Rechtsgrundlage, die aber bislang nur für besonders gefähr- 10
A RBEI T SRECHT Kostentragung der Impfung Etwas anderes kann sich allerdings ergeben, wenn das Impfangebot dahingehend auszulegen ist, dass der Arbeit- Ob für den Arbeitgeber die Pflicht besteht, die Kosten der geber Vertragspartner werden möchte. Folglich sollte das im Betrieb angebotenen Impfung zu übernehmen, hängt da- Impfangebot sorgfältig formuliert und am besten direkt von ab, ob es sich um eine berufsbedingte Impfung handelt, durch den zuständigen Arzt ausgesprochen werden. auf die der Arbeitnehmer einen Anspruch hat. Dies trifft zu, wenn der Arbeitnehmer durch seine Tätigkeit einem im Ver- Darüber hinaus stellt ein erlittener Impfschaden im Regel- gleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Infektionsrisiko fall auch keinen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall ausgesetzt ist (§ 6 Abs. 2 S. 3 ArbMedVV), das durch den dar (§ 8 SGB VII). Eine Bejahung des ursächlichen Zusam- Betriebsarzt auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung menhangs wäre lediglich dann möglich, wenn die mit der festgestellt wurde. Im Hinblick auf COVID-19 dürfte dies Tätigkeit verbundene Gefährdung eine entsprechende Imp- aufgrund der allgemeinen Pandemie-Lage regelmäßig nicht fung über die allgemeine Gesundheitsfürsorge hinaus erfor- der Fall sein, soweit es sich nicht um eine Tätigkeit in einer derlich macht. Dies ist aus den bereits genannten Gründen besonders gefährdeten Berufsgruppe, wie dem Medizin- regelmäßig weder bei COVID-19 noch bei der Grippe anzu- oder Pflegesektor, handelt. Gleiches gilt für die „gewöhn- nehmen. liche“ Grippe. Im Regelfall wird also keine Kostentragungs- pflicht des Arbeitgebers bestehen. Blick in die Zukunft Häufig wird eine Impfung am Arbeitsplatz sogar möglich Da die rechtlichen Hürden für eine Impfpflicht hoch sind, sein, ohne dass für den Arbeitnehmer oder Arbeitgeber Kos- sollten Arbeitgeber frühzeitig auf freiwillige Alternativen ten entstehen. Impfungen gemäß der Schutzimpfungsricht- setzen. Hier kommen neben Impfprämien vor allem betrieb- linie zählen nämlich zu den Leistungen der gesetzlichen liche Impfprogramme in Betracht. Sollte der Corona-Impf- Krankenkasse (§ 20 i SGB V). Zwar nehmen Betriebsärzte stoff in Zukunft frei erhältlich sein, kann dies für Arbeit- und Arbeitsmediziner meist nicht an der vertragsärztlichen geber eine durchaus reizvolle Alternative sein. Das Angebot Versorgung teil, sodass durch sie erbrachte Leistungen stellt nicht nur eine Verbesserung des betrieblichen Ge- nicht über die Krankenkassen abgerechnet werden können. sundheitsschutzes dar, sondern trägt auch dem Interesse Zur Erhöhung der Impfquote ist jedoch gesetzlich fest- des Arbeitgebers an einer „durchgeimpften“ Belegschaft gelegt, dass Krankenkassen auch mit ihnen Verträge über Rechnung. Dennoch gilt auch hier, dass auf eine rechtlich die Durchführung von Schutzimpfungen abschließen sollen saubere Kommunikation zu achten ist. (§ 132 e SGB V). Wurde ein solcher Vertrag abgeschlossen, trägt die Krankenkasse auch die Kosten für im Betrieb durchgeführte Impfungen. Der Arbeitgeber kann die Impfung mithin kostenfrei in seinem Unternehmen anbieten. Und selbst, wenn ein solcher Vertrag mit dem zuständigen Betriebsarzt nicht abgeschlossen wurde und sich der Ar- beitgeber gleichwohl entschließt, die Impfung im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge für seine Mitarbei- ter kostenfrei anzubieten, ist zu beachten, dass ein solches Angebot steuerlich unterstützt wird. Denn Leistungen der Gesundheitsvorsorge sind bis zu einem Wert von 500 Euro pro Mitarbeiter pro Jahr zumindest lohnsteuer- und damit auch sozialversicherungsfrei. Haftung für Impfschäden Eine Haftung für gegebenenfalls auftretende Impfschäden hat der Arbeitgeber regelmäßig nicht zu befürchten. Der Ar- beitgeber ist lediglich dazu verpflichtet, den Impfarzt sorg- fältig auszuwählen (§ 241 Abs. 2 BGB). Ist er dieser Pflicht nachgekommen, treffen ihn aber weder Überwachungs- pflichten hinsichtlich der Durchführung der Impfung, noch muss er sich etwaige Pflichtverletzungen des Impfarztes, z.B. im Hinblick auf Aufklärungspflichten, zurechnen las- sen. Der Behandlungsvertrag kommt regelmäßig zwischen Arbeitnehmer und Impfarzt zustande und nicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, selbst wenn die Impfung in den Räumlichkeiten des Unternehmens durchgeführt wird. 11
RECHT A KT U ELL BAU- UND IMMOBILIENRECHT IPA: ERFOLGREICHE BAUPROJEKTE GARANTIERT? Interview mit RA Ulrich Eix, Experte für BIM, Lean, Partnering und IPA | eix@lutzabel.com Integrierte Projektabwicklung durch einen Mehrparteien- vertrag beschreibt die ergebnisorientierte Durchführung von Bauprojekten auf Basis eines einzigen Vertrages zwi- schen allen wesentlichen Beteiligten – mit dem gemeinsa- men Ziel des erfolgreichen Abschluss des Bauprojektes. Was IPA außerdem bedeutet und wie dessen Umsetzung ge- nau funktioniert, beschreiben unsere Experten in der Reihe „IPA: Erfolgreiche Bauprojekte garantiert?“. Nutzen Sie das Wissen unserer IPA-Experten für sich. U LRICH EIX 12
B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT Herr Eix, Sie sagen, dass der Erfolg in lung des Projektes zu regeln. Als jemand, der sich intensiv Bauprojekten durch Integrierte Projekt- mit Lean und seit langem mit BIM beschäftigt, bin ich von abwicklung oder Alliancing deutlich ge- IPA in Form von Mehrparteienverträgen als Krönung der pro- steigert werden kann. Wäre der Flug- zessoptimierten Projektabwicklung überzeugt. hafen Berlin unter Anwendung von IPA möglicherweise im Zeitplan geblieben? Ist eine solche Allianz von Projektbetei- ligten nicht besonders konfliktbehaftet? Ulrich Eix: Genauso sehe ich das. Integrierte Projektabwick- lung, sowohl nach dem australischen Alliancing-Modell Ulrich Eix: Nicht mehr als bei „herkömmlichen“ Projekten. oder dem anglo-amerikanischen der Integrated Project De- Im Gegenteil, IPA ist ein Modell, welches in jedem Fall auf livery beschreibt die ergebnisorientierte Durchführung von eine Kultur der Zusammenarbeit und im Idealfall auf einen Bauprojekten, bestenfalls auf Basis eines einzigen Vertrags Haftungsverzicht zwischen den Projektbeteiligten setzt. Die zwischen allen wesentlichen Beteiligten. Alle am Projekt einzelnen Mechanismen sollen den Kollaborationsgedanken beteiligten Parteien haben dadurch ein gemeinsames Ziel: einer „no-blame-culture“ fördern. Beispielsweise steigt die den erfolgreichen Abschluss des Bauprojektes, und zwar Bemühung, etwaige Zeitverzögerungen im Projektablauf bis unter Einhaltung zuvor festgelegter Kriterien, wie beispiels- zum Projektende wieder wett zu machen, um den Projekt- weise Fertigstellungszeitpunkt, Qualitätsansprüche oder gewinn nicht zu schmälern. Deshalb sind übrigens im Be- Kostenhöhe. Eine funktionierende Kooperation von Beginn sonderen große sowie komplexe Projekte für den IPA-Ansatz an spielt also eine zentrale Rolle. prädestiniert. Integrierte Projektabwicklung, sowohl nach Die einzelnen Mechanismen sollen den Kolla- dem australischen Alliancing-Modell oder borationsgedanken einer „no-blame-culture“ dem anglo-amerikanischen der Integrated fördern.“ Project Delivery beschreibt die ergebnis- orientierte Durchführung von Bauprojekten, Können Sie das genauer erläutern? bestenfalls auf Basis eines einzigen Vertrags zwischen allen wesentlichen Beteiligten.“ Ulrich Eix: Bei IPA in Reinform gibt es keine Einzelverträge, sondern wir sprechen von einem Vertragswerk, welches Das hört sich spannend und herausfor- die Zusammenarbeit zwischen Beteiligten regelt. Der In- dernd zugleich an. Können Sie dies noch dividualisierungsbedarf ist dabei um einiges höher als bei etwas genauer beschreiben? klassischen Verträgen, damit die Prozesse und Strukturen im speziellen Projekt funktionieren. Zudem ist neben einem Der Projekterfolg hängt maßgeblich von der längeren Projektvorlauf auch der Aufwand für die Verwal- Zusammenarbeit aller Beteiligten ab ...“ tung des Projektkonstrukts höher als bei klassischen An- sätzen. Kleine Projekte eignen sich also nicht zwangsläufig Ulrich Eix: Der Projekterfolg hängt maßgeblich von der Zu- für IPA, da der Aufwand möglicherweise nicht im Verhältnis sammenarbeit aller Beteiligten ab, und alle Projektbetei- steht. Bei großen und komplexen Projekten sei aber ganz ligten tragen auch das Risiko gemeinsam. Die Entlohnung klar gesagt: IPA bringt wahrscheinlich eine intensivere und ist schlussendlich an die erfolgreiche Realisierung des ggf. längere Anlaufphase mit sich, führt aber nach aktuellen Projektes gekoppelt. Kurz gesagt: Nur wenn das Gesamt- Erkenntnissen zu einem fristwahrenden sowie kostengüns- projekt erfolgreich ist, hat auch jeder Einzelne Erfolg. Dies tigeren Gesamtprojekt. funktioniert allerdings nur, wenn durch unterschiedliche Mechanismen und Prozesse das bei den jeweiligen Parteien Nun ist das Thema IPA nicht neu. In den angesiedelte Wissen transparent gemacht wird. Die einzel- USA beispielweise werden Bauprojekte nen Parteien müssen so früh wie möglich in das Projekt ein- nach IPA bereits seit den 90ern umge- bezogen und zum Austausch gebracht werden – und zwar setzt. Auch in Finnland werden seit Jah- bereits in der Planungsphase. ren erfolgreich Projekte realisiert. War- um dauert das hierzulande so lange? Von welchen Prozessen und Mechanis- men sprechen Sie dabei konkret? Ulrich Eix: Generell sind wir Deutschen hinsichtlich innova- tiver Management-Ansätze in sämtlichen Industriezweigen Ulrich Eix: Ich denke dabei an Elemente, wie den Mehrpartei- eher konservativer aufgestellt. Auch scheint bisher die Er- envertrag als rechtliche Basis sowie die Lean-Methodik zur kenntnis zu fehlen, dass Kooperation oder sogar Kollabora- Maximierung der Wertschöpfung oder Building Information tion in Bauprojekten zum Erfolg des Einzelnen führt. Inter- Modeling (BIM) als Werkzeug zur Erhöhung der Planungs- national sind wir für unsere Qualitätsarbeit bekannt und transparenz. Einen wesentlichen Bestandteil bilden ohne verfügen über großartige Baufirmen sowie Planungsbüros. Frage einheitliche vertragliche Rahmenbedingungen für alle Die jeweiligen Einzelunternehmen sind in Deutschland sehr zentralen Projektbeteiligten. Nur dadurch ist die Abwick- gut aufgestellt. Allerdings funktioniert die Zusammenarbeit 13
RECHT A KT U ELL und Abstimmung im Bauablauf meist nicht reibungslos. In Worin liegen die großen Hemmnisse, IPA komplexen Projekten verfolgen die Beteiligten häufig ihre tatsächlich einzusetzen? Partikularinteressen statt eines gemeinsamen Ziels. Ulrich Eix: Neben dem Aufwand und der Zeit, welche in die Woran liegt es dann, dass IPA nun gerade Vorbereitung und das Managen eines IPA-Projekts gesteckt jetzt in Deutschland eine bedeutendere werden müssen, ist leider auch die rechtliche Unsicherheit Rolle bekommt? ein Thema. Es ist derzeit noch nicht absehbar, wie Gerich- te Mehrparteienverträge auslegen werden. Die rechtlichen Ulrich Eix: Die Projekte selbst haben sich verändert: Wir Elemente von IPA sind für das deutsche Gesetzeswerk ein sprechen heute von enormen Großprojekten mit einer Novum. Ich bin aber überzeugt, dass diese Unsicherheit be- Schnelllebigkeit und extremer Komplexität. Es sind also die herrschbar bzw. im Verhältnis zu den Vorteilen dieser Pro- Zeichen der Zeit, die es notwendig machen, über neue Pro- jektabwicklungsform hinnehmbar ist. jektansätze nachzudenken. Individuelle Stärke allein reicht nicht mehr aus, um solch gigantische Projekte erfolgreich Gerade mit diesem Aspekt im Hinterkopf: zu stemmen – hier ist ein hohes Maß an Kooperation und Ab- Wie schätzen Sie die weitere Entwick- stimmung gefragt. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es lung in Deutschland ein? mittlerweile genügend misslungene Projekte gibt, die ein Umdenken und Kollaboration befeuern. Ganz zu schweigen Es muss unser Ziel sein, die Individualquali- von den Unternehmen und Personen, die das konfliktbehaf- tät einzelner Unternehmen in der Baubranche tete Gegeneinander satt haben. in kooperativen Projektabwicklungsformen zu nutzen und Lust auf Projekte außerhalb von Es sind also die Zeichen der Zeit, die es not- „Schützengräben“ zu machen.“ wendig machen, über neue Projektansätze nachzudenken.“ Ulrich Eix: IPA wird definitiv auch in Deutschland stärker ankommen und an Bedeutung gewinnen. Es muss unser Ziel Wo sehen Sie also die größten Herausfor- sein, die Individualqualität einzelner Unternehmen in der derungen bei IPA? Baubranche in kooperativen Projektabwicklungsformen zu nutzen und Lust auf Projekte außerhalb von „Schützen- Ulrich Eix: Auf den Punkt gebracht sind die zentralen Her- gräben“ zu machen. Die absolute Rechtssicherheit ist mo- ausforderungen, alle Beteiligten zusammenzubringen, ge- mentan zwar noch Wunschdenken. Wenn sich aber IPA/All- meinsame Interessen zu definieren sowie die Zusammen- iancing-Projekte etablieren, halte ich es für möglich, dass arbeit zu regeln. Und dann muss diese Kooperation während der Gesetzgeber reagiert. Der deutsche Baugerichtstag hat des Projekts aufrecht erhalten und gemanagt werden. bereits seine Empfehlung für die Aufnahme eines entspre- chenden Vertragstyps in das BGB abgegeben. I N TE GR IER TE P R OJEKTABWI CKLU N G F O KUSSEITE L IN KE DI N IPA Fokusseite LinkedIn: Bleiben Sie up-to-date QR-Code scannen oder anklicken 14
B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT BAU- UND IMMOBILIENRECHT ÄNDERUNG DES WEG ZUM 01.12.2020 – AUSGEWÄHLTE UND PRAXISRELEVANTE PROBLEME MIT FOKUS AUF BEREITS ANHÄNGIGE VERFAHREN Vera Lederer | lederer@lutzabel.com Der Gesetzgeber hat die Frage, welche Ansprüche der Ge- meinschaft und welche dem einzelnen Eigentümer zugewie- sen sind, neu geregelt. Das hat Auswirkungen auf anhängige Verfahren: Es droht die Unbegründetheit der Klage mangels Aktivlegitimation. VE RA L EDE RER 15
RECHT A KT U ELL Hintergrund der Reform des WEG Neue Rechtslage Der Modernisierung des WEG war eine jahrelange Diskussion Mit der Neuregelung des WEG verabschiedet sich der Ge- vorausgegangen, die nunmehr in das aktuelle Gesetz münde- setzgeber ausdrücklich von dem Konzept der sog. „gekore- te. Immer wieder wurde durch die Praxis moniert, dass die Re- nen“ Ausübungsbefugnis; Vergemeinschaftungsbeschlüsse gelungen des WEG mit der gelebten Wirklichkeit innerhalb der sind ab dem 01.12.2020 nicht mehr zulässig. Nach § 9a Abs. 2 Eigentümergemeinschaften kaum etwas zu tun haben. Auch WEG nF gibt es nur noch eindeutig der Gemeinschaft zuge- unklare Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Eigen- ordnete, sog. „geborene Ansprüche“, die zwingend gemeinsam tümern führten immer wieder zu erbitterten Streitigkeiten. zu verfolgen sind, oder aber individuelle Ansprüche einzelner Eigentümer. Nach der Gesetzesbegründung widerspricht eine Dem daraus resultierenden Modernisierungsbedürfnis ist der durch Beschluss begründete, im Außenverhältnis wirkende Gesetzgeber nunmehr nachgekommen. Während die Ände- Ausübungsbefugnis dem berechtigten Interesse des Rechts- rungen, die der Hausverwaltung mehr Kompetenzen zuweisen verkehrs an einer klaren Zuordnung von Rechten und Pflich- und das Allstimmigkeitserfordernis bei baulichen Maßnah- ten. Bereits gefasste Vergemeinschaftungsbeschlüsse, das men aufgeben, begrüßt und vielfach besprochen werden, wird stellt der Gesetzgeber zudem klar, verlieren nach allgemei- oftmals übersehen, dass der Gesetzgeber auch die zentrale nen Grundsätzen mit Inkrafttreten der Neuregelung für die Frage, welche Ansprüche der Gemeinschaft und welche dem Zukunft ihre Wirkung nach § 134 BGB. einzelnen Eigentümer zustehen und wie diese durchzusetzen sind, grundlegend neu geregelt hat. Da der Gesetzgeber sich Für Eigentümergemeinschaften, die aufgrund eines solchen für eine sofortige Wirksamkeit der materiellen Neuregelun- Beschlusses gegen den Bauträger wegen Mängeln des Ge- gen entschieden hat, hat das weitreichende Konsequenzen meinschaftseigentums bereits gerichtlich vorgehen, stellt für bereits anhängige, aber auch für zukünftige Prozesse. sich damit die Frage, ob die Klage wegen des nichtigen Ver- gemeinschaftungsbeschlusses als unbegründet abgewiesen Anhand einzelner Beispiele soll dieser Beitrag kurz die Än- werden muss. Gleichzeitig müssen sich auch Eigentümerge- derungen im Hinblick auf die Aktivlegitimation (d.h. die ma- meinschaften, die ein einheitliches Vorgehen gegen den Bau- terielle Berechtigung zur Durchsetzung eines Anspruchs) träger planen, fragen, wie eine Geltendmachung der Ansprü- skizzieren und Handlungsempfehlungen für laufende und zu- che durch die Gemeinschaft ohne einen solchen Beschluss zu künftige Prozesse aufzeigen. bewerkstelligen ist. Abschied von der sog. „gekorenen“ Aus- Hier hat es der Gesetzgeber versäumt, eine eindeutige und be- übungsbefugnis lastbare Regelung zu treffen und Rechtssicherheit zu schaf- fen. Zwar verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass die Alte Rechtslage – Der Vergemeinschaftungsbe- Rechtsprechung zum Bauträgervertragsrecht unberührt blei- schluss be. Wie allerdings vor dem Hintergrund der eindeutigen Absa- ge an die gekorene Ausübungsbefugnis die Geltendmachung Nach der bisherigen Rechtslage spielte die sog. „gekorene“ durch den Verband möglich bleiben soll, verrät sie nicht. Aus Ausübungsbefugnis der Eigentümergemeinschaft, insbeson- dogmatischer Sicht ist das Zulassen einer Vergemeinschaf- dere im Hinblick auf Bauträgerfälle, eine entscheidende Rolle. tung allein im Bereich des Bauträgerrechts kaum herzuleiten So war es der Gemeinschaft möglich, Ansprüche, die dem ein- (vgl. BeckOK WEG/Müller, 43. Ed., Stand: 1.1.2021, § 9a WEG Rn. zelnen Erwerber aus dem Bauträgervertrag hinsichtlich des 146 ff.). Ob die Rechtsprechung dennoch aus Gründen der Gemeinschaftseigentums zustanden, im Wege des Mehrheits- Praktikabilität diesen Weg gehen wird, bleibt abzuwarten. beschlusses an sich zu ziehen. Mit einem solchen Vergemein- schaftungsbeschluss wurde die Eigentümergemeinschaft zur Handlungsempfehlung Durchsetzung der ursprünglich den Erwerbern zustehenden Mängelansprüche berechtigt. Der einzelne Eigentümer verlor Da es zu dieser Frage bislang, soweit ersichtlich, keinerlei die Möglichkeit, seine Ansprüche selbstständig durchzuset- Rechtsprechung gibt, sind die klagenden Eigentümergemein- zen, sofern er sich hierbei in Widerspruch zur Gemeinschaft schaften gut beraten, einen Hinweis des Gerichts nach § 139 setzte (vgl. BGH, Urteil vom 06.03.2014, Az.: VII ZR 266/13). ZPO einzufordern. Je nach Inhalt des Hinweises ist prozessual zu reagieren: Bei einer laufenden Klage ist diese ggf. für erle- Die Vergemeinschaftung erlaubte es den Eigentümern, ein- digt zu erklären. Im Rahmen dieser Prüfung muss das Gericht heitlich gegen den Bauträger vorzugehen, um Mängelansprü- dann die Erfolgsaussichten der ursprünglichen Klage bewer- che in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum kosteneffizient ten. Auch ein Parteiwechsel von dem Verband auf den einzelnen geltend zu machen. Da sowohl Rechtsvertretungs- als auch Eigentümer, dessen Ansprüche mit Nichtigkeit des Vergemein- Verfahrenskosten über die Gemeinschaft zu erbringen waren, schaftungsbeschlusses wieder aufleben, kommt in Betracht. konnten hier erhebliche Kosten eingespart und Abläufe ge- Ob sich allerdings ein einzelner Wohnungseigentümer bereit strafft werden. erklärt, die Ansprüche mit dem entsprechenden Kostenrisiko allein geltend zu machen, dürfte zu bezweifeln sein. 16
B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT Eigentümergemeinschaften, die in nächster Zeit aus Män- spruchs gegen einen Eigentümer etwa die Verjährung, wird gelrechten gegen den Bauträger vorgehen wollen oder auf- es kaum möglich sein, die Gemeinschaft, sollte sie sich grund von drohender Verjährung sogar müssen, stellt die sträuben, zur Geltendmachung dieses Anspruchs innerhalb neue Rechtslage vor ein großes Problem. Rechtssicher wäre der ablaufenden Frist zu zwingen. es, den Verband zur Prozessführung zu ermächtigen. Für die gewillkürte Prozessstandschaft bedarf es aber der Ermäch- Bereits anhängige Klagen einzelner Eigentümer, die etwa tigung sämtlicher Eigentümer, was dieses Instrument wenig auf die Beseitigung von unzulässigen baulichen Verände- praxisrelevant macht. Auch die Klageerhebung durch den ein- rungen gerichtet sind, drohen aufgrund der weggefallenen zelnen Eigentümer wird wegen des Kostenrisikos nur selten Aktivlegitimation als unbegründet abgewiesen zu werden. umsetzbar sein. Am besten beraten dürften die Eigentümer- gemeinschaften daher damit sein, einen Vergemeinschaf- Handlungsempfehlungen tungsbeschluss zu fassen – sollte dies von den Gerichten weiterhin als zulässig erachtet werden – und gleichzeitig Auch hinsichtlich von Beseitigungsansprüchen gibt es bis- einen Eigentümer zu bestimmen, der für den Fall, dass die Ge- lang nur vereinzelte Instanzrechtsprechung, die die ver- richte diesem Weg eine Absage erteilen, den Prozess über- schiedenen Ansichten allerdings deutlich zu Tage bringt: nimmt. Hier müsste natürlich gleichzeitig eine Regelung zur Vorgeprescht ist das AG Heidelberg (Verfügung vom Kostentragung gefunden werden, deren Vereinbarkeit mit 05.01.2021, Az.: 45 C 108/19) mit der Ansicht, dass bei einer ordnungsgemäßer Verwaltung aber ebenfalls ungeklärt ist. bereits anhängigen Klage auch nach dem 01.12.2020 der Eine rechtliche Beratung ist in Anbetracht der unsicheren Si- einzelne Wohnungseigentümer aus Gründen des effekti- tuation jedenfalls unumgänglich. ven Rechtsschutzes Ansprüche nach § 1004 BGB geltend machen können muss. Dieser Ansicht hat sich die 13. Zivil- Der Verband als „Wächter“ kammer des LG Frankfurt a.M. (Urteil vom 11.02.2021, Az.: 2-13 S 46/20) entgegengestellt und darauf verwiesen, dass Nach- Alte Rechtslage – die Beseitigungsansprüche teile infolge von Rechtsänderungen hinzunehmen sind. Vor dem 01.12.2020 stand der Anspruch, bei Störungen im Be- Als sicherster Weg sollte auch hier zunächst ein richterlicher reich des Gemeinschaftseigentums, etwa unberechtigten Hinweis nach § 139 ZPO eingefordert werden. Teilt das Gericht baulichen Veränderungen, Beseitigung und Unterlassung die Rechtsmeinung des AG Heidelberg, ist die Klage unver- nach § 1004 Abs. 1 BGB zu verlangen, dem einzelnen Eigentü- ändert zu lassen. Weiter besteht bei Klagen, die auf § 1004 mer zu. Dieser konnte daher gegen den störenden Eigentümer BGB fußen, die Möglichkeit, dass bei gleichzeitigen Verstößen direkt vorgehen. Gleichermaßen konnte jeder Eigentümer ge- gegen Sondereigentum eine parallele Zuständigkeit auch des mäß § 15 Abs. 3 WEG iVm § 1004 Abs. 1 BGB den Anspruch auf einzelnen Wohnungseigentümers vorliegt. Hierauf kann dann ordnungsgemäßen Gebrauch durchsetzen und damit verein- die Klage unverändert gestützt werden. barte oder beschlossene Gebrauchsregelungen innerhalb der Gemeinschaft gerichtlich geltend machen. Auch diese An- Steht das befasste Gericht auf dem Standpunkt – was mit sprüche der einzelnen Eigentümer konnte die Gemeinschaft der eindeutigen Wertung des Gesetzgebers zu erwarten ist –, an sich ziehen und durch Beschluss vergemeinschaften. durch die Rechtsänderung sei die Aktivlegitimation entfallen, ist der Rechtstreit für erledigt zu erklären. Die weiteren Re- Neue Rechtslage aktionsmöglichkeiten, die das LG Frankfurt zur Kostenabwen- dung benannt hat, nämlich der Parteiwechsel auf den Verband Mit der Einführung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nF steht nun- oder aber die Rückermächtigung des klagenden Eigentümers mehr allein der Gemeinschaft der Anspruch gegen den stö- zur Geltendmachung des Anspruchs durch den Verband, dürf- renden Eigentümer zu; nur die Gemeinschaft kann daher von ten nur in den seltensten Fällen zum Tragen kommen. dem „Störer“ verlangen, bauliche Maßnahmen zu beseitigen bzw. Handlungen, die nicht vom ordnungsgemäßen Gebrauch Fazit gedeckt sind, zu unterlassen. Der einzelne Eigentümer ist zur Geltendmachung nicht berechtigt und wird darauf ver- In Hinblick auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Ge- wiesen, zunächst gegen die Gemeinschaft vorzugehen und meinschaft und Eigentümern wirft das neue Gesetz sowohl diese wiederum nach § 18 Abs. 2 WEG zur Ausübung ihrer für anhängige als auch für noch anstehende Gerichtsverfah- Ansprüche gegen den Störer zu zwingen. ren eine Reihe von Fragen auf. Insbesondere in Hinblick auf Mängelansprüche, die einheitlich gegenüber dem Bauträger Damit hat sich der Gesetzgeber für ein zweistufiges Sys- geltend gemacht werden sollen, ist es für Gemeinschaften tem entschieden, das der „Wächterrolle“ der Gemeinschaft zurzeit schwierig, eine rechtssichere Lösung zu finden, die hinsichtlich der Pflichten der Eigentümer gerecht werden der Gemeinschaft die einheitliche Durchsetzung dieser An- soll. Ob diese Zweiteilung in der Praxis für eine Entlastung sprüche ermöglicht. Hier ist es an der Rechtsprechung, Klar- der einzelnen Eigentümer sorgt, bleibt abzuwarten. Hier- heit zu schaffen und Licht ins Dunkel zu bringen. Bis das gegen spricht zunächst die Schwerfälligkeit des Systems geschehen ist, ist es für Eigentümergemeinschaften ratsam, „Gemeinschaft“; droht hinsichtlich eines Beseitigungsan- jedenfalls anwaltliche Beratung hinzuziehen. 17
RECHT A KT U ELL BAU- UND IMMOBILIENRECHT BGH: ARCHITEKTEN MÜSSEN BAUKOSTENOBERGRENZEN EINHALTEN RA Johannes Stechno | stechno@lutzabel.com Was schon für die Hamburger Elbphilharmonie und den Flug- hafen Berlin-Brandenburg galt, wird wohl auch für den ge- planten Erweiterungsbau des Kanzleramts bittere Realität werden: Die Kosten werden sich laut einer Prognose des Bundesinnenministeriums von geplanten 485 Mio. Euro auf rund 600 Mio. Euro erhöhen. Zumindest auf den Bundesge- richtshof ist in diesem Zusammenhang jedoch Verlass. Die- ser bestätigte jüngst (Urteil vom 11.07.2019, Az.: VII ZR 266/17) die Wirksamkeit solcher Klauseln in Musterverträgen des Bundes, die für den Architekten verbindliche Baukosten- obergrenzen beinhalten. JOAHNNES STECH NO 18
B AU - U N D I MM OBI LI ENRECHT Hintergrund heitsvereinbarung über eines dieser Ziele, mithin eine der AGB-Kontrolle entzogene Beschreibung der (Haupt-) Leis- Der BGH hatte sich im Rahmen einer Verbandsklage nach tung. dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) mit einer Klausel zu beschäftigen, die der Bund in seinen Musterverträgen über Fehlende AGB-Eigenschaft Bau- und Planungsleistungen wiederkehrend verwendet. Klä- ger war ein Verein, dessen Satzungszweck darauf gerichtet Der BGH lehnte im Anschluss die gem. § 307 Abs. 3 S. 2 BGB ist, rechtmäßige Vertragskonditionen in Vertragsmustern von eigentlich auch für nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB inhaltskont- Bauherren durchzusetzen. Der Kläger beantragte, dem Bund rollfreie Regelungen durchzuführende AGB-rechtliche Trans- die Verwendung der folgenden ausfüllungsbedürftigen Klau- parenzkontrolle der Klausel ab. Dies begründete er damit, seln und solcher, die dieser ähneln, zu untersagen: dass es sich bei der Klausel gar nicht um eine Allgemeine Ge- schäftsbedingung nach § 305 Abs. 1 S. 1 BGB handelt. „Die Baukosten für die Baumaßnahme dürfen den Betrag von … Euro brutto/… Euro netto nicht überschreiten. Die genannten Kosten umfassen die Kosten- Allgemeine Geschäftsbedingungen in diesem Sinne sind alle gruppen 200 bis 600 nach DIN 276-1:2008-12, soweit diese Kostengruppen in für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbe- der ES-Bau/KVM-Bau/HU-Bau/AA-Bau erfasst sind. Der Auftragnehmer hat dingungen. Vorformuliert sind Vertragsbedingungen bereits seine Leistungen bezogen auf die von ihm zu bearbeitenden Kostengruppen dann, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihre min- so zu erbringend, dass diese Kostenobergrenze eingehalten wird.“ destens dreimalige Verwendung beabsichtigt ist. Diese Vor- aussetzungen sah der BGH nicht erfüllt. Zwar sei die Klausel Der Kläger ist der Auffassung, Klauseln dieser Art würden den grundsätzlich vorformuliert. Jedoch liege der für die AGB- Auftragnehmer, d.h. den Architekten, unangemessen benach- Eigenschaft erforderliche Bezug zu einer Vielzahl von Verträ- teiligen und seien deshalb gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirk- gen sowie die Mehrfachverwendungsabsicht des Verwenders sam. nicht vor. Entscheidung des BGH Dies begründete der BGH damit, dass die Klausel erst durch das Einsetzen des jeweiligen Betrags für die maximalen Bau- Der BGH schloss sich der Ansicht der Vorinstanzen an und kosten sowie das Ankreuzen der Variante „brutto“ bzw. „netto“ wies die Revision aus verschiedenen Gründen zurück. ihren eigentlichen Regelungsgehalt erhält. Vorher, d.h. ohne Ausfüllen der Klausel, kommt eine Vereinbarung über die Freistellung von der Inhaltskontrolle Baukosten – und damit eine Regelung – nicht zustande. Die unausgefüllte Klausel enthält auch nicht die Verpflichtung, Er lehnte zunächst die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle der zu einem späteren Zeitpunkt eine Baukostenobergrenze zu Klausel gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB ab. Dieser unterliegen nur vereinbaren bzw. den Verzicht hierauf. Erst durch das Einset- solche Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder zen der Baukostensumme, die jedoch für das jeweilige Bau- diese ergänzen. Klauseln, die im Rahmen der Vertragsfreiheit vorhaben individuell bestimmt ist, enthalte die Klausel eine zwischen den Parteien den unmittelbaren Gegenstand der eigene Regelung. Diese Vertragsbestimmung bezieht sich je- Hauptleistung nach Art, Umfang und Güte bestimmen (Leis- doch nur auf den einzelnen und keine Vielzahl von Verträgen. tungsbestimmungen) sind dieser Nachprüfung dagegen ent- zogen. Außerdem liege die erforderliche Mehrfachverwendungsab- sicht des Verwenders der Klausel nicht vor, da die ausgefüllte Zu diesen Leistungsbestimmungen gehören nach der Ein- Klausel stets nur für einen individuellen Vertrag bestimmt schätzung des BGH sämtliche Vereinbarungen zur Beschaf- sei. Die Baukostenobergrenze wird entsprechend den Gege- fenheit der vom Architekten zu erreichenden Planungs- und benheiten des jeweiligen Bauvorhabens und den dafür verfüg- Überwachungsziele – und damit auch die Baukostenober- baren finanziellen Mitteln festgesetzt. Baukostensumme und grenze. Dies begründet der BGH mit dem überzeugenden Ar- Bauvorhaben bilden jedoch eine ausschließlich das konkrete gument, dass der Architekt nach § 650p Abs. 1 S. 1 BGB zu der Bauvorhaben betreffende, individuelle Einheit. Eine mehr- Leistung verpflichtet ist, die erforderlich ist, um die zwischen fache Verwendung der ausgefüllten Klausel für ein anderes den Parteien vereinbarten Planungs- und Leistungsziele zu Bauvorhaben ist demnach nicht vorgesehen. Dies unterschei- erreichen. Das Gesetz definiert beim Architektenvertrag de die Vereinbarung einer Baukostenobergrenze in einem Ar- also – anders als etwa beim Kauf- oder beim Mietvertrag – chitektenvertrag von Leistungsbeschreibungen in Vertrags- den Inhalt der Hauptleistungspflicht des Unternehmers nicht mustern, die Rechte und Pflichten des Vertragspartners ohne selbst. Vielmehr ist die vertragliche Vereinbarung über die individualisierenden Bezug zum konkreten Vertragsschluss Planungs- und Überwachungsziele entscheidend dafür, wel- allgemein regeln und deshalb als AGB angesehen werden. che Hauptleistungspflicht der Architekt zu erfüllen hat. Fazit Die Hauptleistung des Planers besteht also darin, sich an die vertraglich vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele Mit der Argumentation, die Vereinbarung einer Kostenober- zu halten. Die Baukostenobergrenze ist eine Beschaffen- grenze stelle eine Vereinbarung der Beschaffenheit der vom 19
RECHT A KT U ELL Architekten zu erreichenden Planungs- und Überwachungs- sprechung im Falle ergänzungsbedürftiger Klauseln bisher ziele dar, führt der BGH seine Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil zwischen selbstständigen und unselbstständigen Ergänzun- vom 06.10.2016, Az.: VII ZR 185/13) fort. gen unterschied. Letztere sollten die Einordnung einer er- gänzungsbedürftigen Klausel als AGB nicht beeinflussen (vgl. Die Entscheidung ist dogmatisch überzeugend und auch inso- BGH, Urteil vom 28.5.2014, Az.: VIII ZR 179/13). Mit dieser Frage weit nachvollziehbar, als nicht nur im öffentlichen Auftrags- beschäftigte sich der BGH jedoch im vorliegenden Urteil nicht. wesen die Kostensicherheit für den Bauherrn naturgemäß im Vordergrund steht. Die Baukostenobergrenze birgt jedoch Darüber hinaus ist die Entscheidung des BGH für die all- nicht unerhebliche Risiken für den Planer. Da der Architekt gemeine Vertragspraxis interessant. Denn der BGH schafft im Fall der Nichteinhaltung der Kostengrenze gem. § 633 Abs. für den Verwender die Möglichkeit der Umgehung der AGB- 2 S. 1 BGB mangelhaft leistet, ist er dem Auftraggeber gem. Eigenschaft für vorformulierte Klauseln. Die Argumentation §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. des BGH, dass aufgrund des individuell für das jeweilige Bau- Dies erscheint aus praktischer Sicht insofern zumindest be- vorhaben bestimmten und eingetragenen Baukostenbetrags denklich, als der Architekt dabei auch für Leistungen Dritter, die für die AGB-Eigenschaft erforderliche Mehrfachverwen- nämlich der bauausführenden Unternehmen, haftet und diese dungsabsicht fehlt, lässt sich nämlich etwa auch auf vorfor- Haftung nicht nur das aufgrund der Kostenüberschreitung er- mulierte, summenmäßige Haftungsbeschränkungen übertra- höhte Architektenhonorar, sondern auch die erhöhten Kosten gen, wenn der Verwender in seiner Musterklausel eine Lücke des Auftraggebers umfasst. zur wahlweisen Ausfüllung mit einem Höchstbetrag lässt. Der BGH überrascht außerdem mit seiner Einordnung der Klausel als individualvertragliche Vereinbarung, da die Recht- BAU- UND IMMOBILIENRECHT BGH BESTÄTIGT ERNEUT: KEINE FIKTIVEN MÄNGEL- BESEITIGUNGSKOSTEN IM WERKVERTRAGSRECHT RAin Anna Oberlack | oberlack@lutzabel.com ANNA OBERL ACK Nachdem der VII. Zivilsenat des BGH am 22.02.2018 in einer Grundsatzentscheidung seine bisherige Rechtsprechung dahingehend geändert hatte, dass Unternehmer im Werk- vertragsrecht ihre Schäden künftig nicht mehr nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten berechnen können, ist das viel diskutierte Thema noch lange nicht vom Tisch. Erst kürz- lich musste der VII. Zivilsenat auf Anfrage des V. Zivilsenats erneut über die Problematik entscheiden. Der angefragte Senat hielt an seiner Rechtsauffassung fest, sodass nun im Raum steht, dass sich der Große Zivilsenat mit der Sache befassen wird. 20
Sie können auch lesen