Diabetes mellitus Typ 2 - Österreichische Ärztezeitung
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S TAT E O F T H E A R T Diabetes mellitus Typ 2 Im Gegensatz zum europäischen Trend wird in Österreich eine starke Zunahme an Diabetes-bedingten Todesfällen registriert. Bei der Therapie hat es in den vergangenen Jahren einen Innovationsschub gegeben: So ist in näherer Zukunft mit der Einführung von dualen Rezeptoragonisten zu rechnen. Die punktuelle Blutzucker-Selbstmessung wird durch die kontinuierliche Gewebszucker-Messung abgelöst werden. Bernhard Ludvik*
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T A Aktuelle Entwicklungen Aus Mangel an validen Daten und wegen des Fehlens eines Diabetes-Registers kann die Zahl von Diabetes-Betroffenen nur geschätzt werden. In Österreich leben circa 600.000 bis 700.000 Menschen mit Diabetes mellitus, davon 90 Prozent mit einem Typ 2-Diabetes. Bis zum Jahr 2030 werden es Schätzungen zufolge 800.000 sein. Diese Entwicklung erklärt sich einer- seits durch den Anstieg der Adipositas-Prävalenz infolge eines sedentären Lebensstils verbunden mit hoher Energiezufuhr, anderseits durch die Zunahme an älteren und damit suszep- tiblen Menschen. In den letzten Jahren ist es vor allem in Europa Blutdruck über 130/85 mmHg – auf. Ist ein Elternteil Diabetiker, beträgt das Risiko, selbst zu erkranken, 40 Prozent, sind beide Elternteile an Diabetes mellitus erkrankt, acht Prozent. Somit ist die Erhebung der Familienanamnese neben der Frage nach einem stattgehabten Gestationsdiabetes oder dem Vorliegen eines Polyzystischen Ovarsyndroms ein wichtiges Instrument zur frühzeitigen Identifikation gefährdeter Personen. Wichtigste Symptome Gerade wegen seines zumeist schleichenden, schmerzlosen und symptomarmen Verlaufs wird der Typ 2-Diabetes immer durch die konsequentere Therapie des Diabetes mellitus und noch zu spät erkannt. Treten Symptome wie Gewichtsverlust, der assoziierten Risikofaktoren wie Hyperlipidämie und Hyper- Polyurie, Polydipsie und gehäufte Infektionen auf, findet sich tonie zur Senkung der Diabetes-Mortalität gekommen. bereits eine dekompensierte Stoffwechsellage mit nachhaltiger Schädigung der Betazellsekretion. Es gilt daher, diesen Zeitver- Für Österreich führt die EU-Kommission in ihrem Bericht aus lust von der Manifestation bis zur Diagnose so weit wie möglich dem Jahr 2019 allerdings eine starke Zunahme an Diabetes- zu verkürzen, um die Betazellfunktion längerfristig zu erhalten bedingten Todesfällen an. Dies wird nicht nur auf die steigende und die Diabetes-Progression zu verlangsamen. Zahl an übergewichtigen und körperlich inaktiven Menschen zurückgeführt, sondern stellt der Diabetes-Versorgung insgesamt Diagnose ein schlechtes Zeugnis aus. Allerdings ist unklar, wie diese Daten erhoben wurden. Die resultierenden Kosten durch Diabetes-asso- Bereits vor der Manifestation des Typ 2-Diabetes findet sich ein ziierte Folgeerkrankungen, frühzeitigen Tod und Medikamente Anstieg der Glukosewerte noch innerhalb des Normbereichs. übersteigen die finanziellen Kapazitäten aller Länder. Die weitere Übersteigt der Nüchternglukose-Wert im venösen Plasma 100 Alterung der Gesellschaft und die dadurch steigende Diabetes- mg/dl, spricht man von erhöhter Nüchternglukose. Die ver- Prävalenz verschärfen die Problematik. Dass eine initial ambiti- schiedenen Kriterien für eine Diabetes-Diagnose sind in Tab. 1 onierte Diabetes-Einstellung langfristig zu einer Verminderung dargestellt. Bei Personen ohne Risikofaktoren sollen ab dem der Mortalität führt, konnte bereits in der Follow-up Studie der Lebensalter von 45 Jahren in dreijährigem Abstand die Nüch- UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) eindrucksvoll gezeigt ternplasmaglukose beziehungsweise alternativ der HbA1c- werden. Nun liegen Erkenntnisse aus Interventionsstudien mit Wert gemessen oder ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) » neuen Medikamenten vor, die nicht nur eine Verminderung von kardiovaskulären Endpunkten, sondern auch eine Verringerung der Mortalität beschreiben. In dieser Übersichtsarbeit werden Tab. 1: Diabetes mellitus: Diagnosekriterien neueste Entwicklungen in der Diabetologie und ein Pfad für die Manifester Erhöhtes Leitlinien-gerechte Diabetestherapie aufgezeigt. Diabetes mellitus Diabetesrisiko Nicht-Nüchtern ≥ 200 mg/dl + – Krankheitsbilder („random- klassische Symp- glucose“) tome ODER ≥ 200 mg/dl an Diabetes mellitus Typ 2 ist zumindest anfangs durch einen symp- 2 Tagen tomlosen beziehungsweise symptomarmen Verlauf gekenn- Nüchternglukose ≥ 126 mg/dl ≥ 100 mg/dl, aber ≤ 125 zeichnet, sodass die Erkrankung zufällig oder erst dann diagnos- (venöses Plasma) an 2 Tagen mg/dl (abnormale Nüch- tiziert wird, wenn bereits Beschwerden wie Visusveränderungen, ternglukose, „impaired unwillkürlicher Gewichtsverlust, Polyurie, Polydipsie und gehäuf- fasting glucose“, IFG) te – oft genitale – Infektionen auftreten. Im Extremfall kann es zur 2-h-Glukose ≥ 200 mg/dl Glukose ≥ 140 mg/dl, aber nach 75-g-OGTT ≤ 199 mg/dl (gestörte Glu- Ausbildung eines hyperosmolaren diabetischen Komas kom- (venöses Plasma) kosetoleranz, „impaired men, das nicht selten letal endet. Phänotypisch weisen klassische glucose tolerance“; IGT) Typ 2-Diabetiker die Merkmale des Metabolischen Syndroms – HbA1c ≥ 6,5 % ≥ 5,7 % (39 mmol/mol), © SPL, picturedesk.com erhöhter Bauchumfang über 102 cm bei Männern, über 88 cm bei (48 mmol/mol) aber ≤ 6,4 % Frauen, erhöhter Nüchternblutzucker über 100 mg/dl, erhöhte (46 mmol/mol) Triglyzeride über 150 mg/dl, erniedrigtes HDL-Cholesterin Aus: Leitlinien für die Praxis, www.oedg.org unter 40 mg/dl bei Männern, 50 mg/dl bei Frauen und erhöhter 17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 29
Diabetes mellitus Typ 2 » durchgeführt werden. Bei Vorliegen von Risikofaktoren für die wicklung der Insulinresistenz, der erhöhten hepatischen Gluko- Entwicklung eines Typ 2-Diabetes wie einer positiven Famili- seproduktion und beim Sekretionsdefekt. Im Vordergrund steht enanamnese, einem stattgehabten Gestationsdiabetes, einem die Vermehrung viszeralen Fettgewebes, die u.a. in Zusammen- Metabolischen Syndrom oder eines Polyzystischen Ovarsyn- hang mit einer stimulierten Hypophysen-Nebennieren-Achse droms muss das Screening früher stattfinden. steht, da viszerale Adipozyten vermehrt Kortisolrezeptoren exprimieren, welche bei entsprechender Stimulation zur Expan- Differentialdiagnose sion des Fettgewebes beitragen. Dies führt zur lokalen Hypo- xämie, verminderter Freisetzung von Insulin-sensitivierenden Die Differentialdiagnose des Typ 2-Diabetes umfasst vor allem Adipokinen (Adiponektin) und vermehrter Sekretion von pro- andere Diabetesformen, allen voran Typ 1-Diabetes. Patienten inflammatorischen Zytokinen wie TNF-alpha und Interleukin 6. mit Typ 2-Diabetes haben sehr oft eine positive Familienana- Letztere haben einen ungünstigen Einfluss auf Insulinsensitivi- mnese, sind übergewichtig beziehungsweise adipös mit visze- tät und Insulinsekretion. Dieser Mechanismus sowie die erhöh- raler Fettverteilung, weisen Merkmale des Metabolischen Syn- ten freien Fettsäuren erklären den „cross-talk“ zwischen Fettge- droms auf und sind bei Manifestation bereits etwas älter. Ein webe und Muskulatur. besonderer Risikofaktor ist ein stattgehabter Gestationsdia- betes. Obwohl der Typ 1-Diabetes in jedem Alter auftreten kann, Therapeutische Ziele sind die Patienten meist jung, schlank und weisen sonst keine kardiovaskulären Risikofaktoren auf. Eine späte Manifestation Entsprechend den Leitlinien der Österreichischen Diabetes des Typ 1-Diabetes stellt der LADA (Late onset Autoimmu- Gesellschaft (ÖDG) orientiert sich die Qualität der Diabetes- nity Diabetes in the Adult) dar, der im Gegensatz zum Typ 2- Einstellung am HbA1c. Die Zielwerte sind individuell im Hin- Diabetes oft rasch eine Insulintherapie notwendig macht. Die blick auf Komplikationen, Lebensstil und Compliance festzule- Patienten sind meist über 30 Jahre alt und weisen zumindest gen. Bei kurzer Diabetes-Dauer, langer Lebenserwartung ohne einen der für den Typ 1-Diabetes spezifischen Antikörper (ICA, Vorliegen von relevanten kardiovaskulären Komorbiditäten ist anti GAD 65, anti IA-2) auf. Seltenere monogenetische Formen, ein HbA1c-Wert von sechs bis 6,5 Prozent zu empfehlen, wobei die sich in der Jugend manifestieren, werden unter dem Begriff hier Medikamente ohne Hypoglykämie-Gefährdung eingesetzt MODY (Maturity Onset Diabetes in the Young) zusammenge- werden. Prinzipiell sollte ein HbA1c-Wert unter sieben Prozent fasst. Sie haben einen autosomal dominanten Erbgang, treten in angestrebt werden, um mikrovaskuläre Komplikationen zu ver- der Kindheit beziehungsweise Jugend auf und benötigen sehr meiden. Bei Patienten mit mehreren schweren Hypoglykämien, lange keine Insulintherapie. eingeschränkter Lebenserwartung, multiplen Spätkomplikati- onen oder anderen Komorbiditäten sind HbA1c-Zielwerte bis Neuheiten in der Therapie acht Prozent – mitunter auch etwas höher – tolerabel. In den letzten Jahren hat die Diabetologie hinsichtlich neuer Neben der eigentlichen antidiabetischen Therapie ist aufgrund therapeutischer Möglichkeiten einen Innovationsschub erfahren, der vorhandenen Evidenz den Lipiden und dem Blutdruck der Hoffnung zu besseren und vor allem nebenwirkungsärmeren besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Prinzipiell sollte der Therapieformen gibt. Diese Medikamente greifen an verschie- Blutdruck bei Diabetikern unter 130-140 zu 70-85 mmHg liegen; denen für Diabetes mellitus relevanten pathogenetischen Mecha- bei Niereninsuffizienz mit Mikroalbuminurie unter 130 zu 80 nismen an, sodass eine Kenntnis der Pathogenese des Typ 2- mmHg. Von niedrigeren Zielwerten als 130-135 zu 80 mmHg ist Diabetes für eine rationale Therapie unabdingbar ist. prinzipiell abzuraten. Insulinresistenz, gestörte Insulinsekretion und erhöhte Glukose- Das LDL-Cholesterin sollte unter 70 mg/dl gesenkt werden, produktion der Leber sind die wesentlichen pathogenetischen was in den meisten Fällen mit potenten Statinen erreicht wer- Merkmale des Typ 2-Diabetes. In letzter Zeit konnten ebenfalls den kann. Liegt ein kardiovaskuläres Ereignis vor, ist ein LDL- eine erhöhte Rückresorption von Glukose in der Niere und eine Cholesterin von unter 55 mg/dl anzustreben. Es gibt keinen verminderte Wirkung von Inkretinen bei Menschen mit Diabe- schädlichen unteren Grenzwert für LDL-Cholesterin, sodass ein tes mellitus gefunden werden, welche aber eher als Folge denn möglichst niedriger Spiegel angestrebt werden sollte. Bei Trigly- als Ursache der Hyperglykämie anzusehen sind. Neben der zeriden über 200 mg/dl stellt das Non-HDL-Cholesterin einen genetischen Prädisposition, die besonders bei der gestörten wichtigen Zielwert dar: Er sollte unter 100 mg/dl liegen. Auf Insulinsekretion zum Tragen kommt (nicht jedes Insulin-resi- Grund der Evidenz stellen Statine die erste Wahl der Therapie stente Individuum entwickelt einen Diabetes mellitus), spielt dar. Thrombozytenaggregationshemmer werden in der kardio- die viszerale Fettakkumulation eine wichtige Rolle bei der Ent- vaskulären Sekundärprävention verordnet. 30 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T Schulung dauertraining. Die Umsetzung dieser Ratschläge ist bei den meist übergewichtigen beziehungsweise adipösen Diabetikern Nur der geschulte Diabetiker kann als Partner der behandeln- in Anbetracht lang gewohnter Usancen relativ schwierig. Daher den Ärzte, Diätologen und Diabetesberater fungieren. Die Schu- gilt es, einfach zu befolgende Maßnahmen zu empfehlen. Hierzu lung bedingt daher ein Zusammenspiel dieser Berufe – entwe- eignet sich zum Beispiel Nordic-Walking als gute Methode zum der individuell oder in Gruppen – und ist daher zeitaufwendig Einstieg in einen körperlich aktiven Lebensstil. Prinzipiell wird sowie personalintensiv. Strukturierte Behandlungsformen wie in den ÖDG-Leitlinien ein Umfang mit mittlerer Intensität von Disease Mangement Programme (Therapie Aktiv) sind eine ≥ 150 min pro Woche beziehungsweise mit höherer Intensität/ wirksame Hilfe bei der Betreuung von Patienten mit Diabetes Regelmäßigkeit von ≥ 75 min pro Woche ≥ dreimal pro Woche mellitus. Dieses Modell umfasst drei Ebenen – den Hausarzt, empfohlen. Zusätzlich sollte mehr als zweimal wöchentlich ein die Diabetes-Ambulanz beziehungsweise niedergelassene Krafttraining erfolgen. Ein Rauchstopp ist unbedingt anzustre- Endokrinologen und den stationären Bereich. Die Betreuung ben, da inhalatives Rauchen nicht nur die Entwicklung eines von Menschen, die an Typ 2-Diabetes leiden, obliegt prinzipiell Diabetes mellitus, sondern auch das Auftreten und die Progres- Allgemeinmedizinern, die in spezifischen Situationen (Thera- sion von makro- und mikrovaskulären Erkrankungen fördert. pieversagen, Spätschäden, Schwangerschaft) auf Ressourcen im ambulanten beziehungsweise stationären Bereich zurückgrei- Medikamentöse Therapie fen können. Dieses Modell kann aber nur dann funktionieren, wenn entsprechende fachliche und zeitliche Ressourcen vor- In letzte Zeit konnte das Spektrum der zur Verfügung stehen- handen sind. Es gilt, neue Modelle der Diabetesversorgung zu den Medikamente zur Behandlung des Typ 2-Diabetes wesent- entwickeln, um die hohe Morbidität und Mortalität von Diabe- lich erweitert werden; zudem erfolgte eine Neubewertung von tes mellitus-Patienten in Österreich zu vermindern. etablierten Substanzen. Tab. 2 gibt einen Überblick über die zusätzlich zur medikamentösen Basistherapie mit Metformin Lebensstilintervention verwendeten Antidiabetika (ohne Insulin). Die Empfehlungen beziehen sich auf die ÖDG-Leitlinien, aus denen teilweise wort- Die Basis der Diabetes-Therapie umfasst ernährungsmedizi- wörtlich zitiert wird. nische Ansätze sowie eine gesteigerte körperlichen Aktivität. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft hat die Leitlinien Metformin senkt das HbA1c um etwa 1,5 Prozent und stellt zur Ernährung 2019 aktualisiert (www.oedg.org). Es han- aufgrund von positiven Daten bezüglich der Reduktion kar- delt sich dabei um die Implementierung einer mediterranen diovaskulärer Erkrankungen seit der Publikation der UKPD- Ernährung, die man sowohl in der Prävention als auch in der Studie die medikamentöse Ersttherapie in der Behandlung Therapie des Typ 2-Diabetes als effektiv bezeichnet kann. Die des Typ 2-Diabetes dar. Obwohl diese Daten nur bei adipösen mediterrane Ernährung ist reich an Ballaststoffen, Gemüse, Patienten erhoben wurden, bezieht sich die Empfehlung der fettarmen Eiweißquellen (Fisch) und einfach- beziehungs- diabetologischen Fachgesellschaften zum first-line Einsatz fak- weise mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Lediglich bezüg- tisch auf alle Typ 2-Diabetiker. Dies erscheint auch in Anbe- lich der Kohlenhydratzufuhr ist auf den glykämischen Index tracht der Auswertung von Kohortenstudien, die außerdem zu achten, der den Blutzucker- und schließlich Insulinanstieg eine geringere Krebsinzidenz unter Metformin zeigen, gerecht- berücksichtigt. Hier fällt vor allem ein übermäßiger Konsum fertigt. Gelegentlich kommt es zu Magenbeschwerden und von Obst beziehungsweise Fruchtsäften und Weißmehlpro- Durchfall; dann muss der Wirkstoff reduziert oder abgesetzt dukten ins Gewicht, die eine oft übersehene Quelle an hyper- werden. Es empfiehlt sich auf jeden Fall eine einschleichende glykämisch wirksamen Nahrungsbestandteilen darstellen. Ziel Dosierung. Metformin darf bei Patienten mit geschätzter glo- ist außerdem die Normalisierung des Körpergewichts, wobei merulärer Filtrationsrate (eGFR) zwischen 30-45ml/min/1,73 man sich realistischer Weise mit dem Erreichen eines BMI m2 bei Fehlen von anderen Risikofaktoren für Laktat-Azidosen von unter 27 kg/m2 zufriedengeben wird. Obwohl der günstige in einer Dosierung von 1.000 mg täglich – in zwei Dosen auf- Effekt einer strukturierten Lebensstil-Intervention in Bezug geteilt – angewandt werden. Die glomeruläre Filtrationsrate auf die Diabeteseinstellung erwiesen ist, zeigen allerdings sollte zumindest alle drei bis sechs Monate kontrolliert wer- Langzeitdaten einen wenig nachhaltigen Effekt. Daher ist bei den. Bei interkurrierenden schweren Erkrankungen (schwe- der medikamentösen Diabetestherapie gewichtsreduzierenden re Infektionen) sowie bei Diarrhoe und Exsikkose sowie der Antidiabetika der Vorzug zu geben. Applikation von jodhaltigen Kontrastmitteln soll Metformin vorübergehend pausiert werden. Die Metformin-Therapie Die Steigerung der körperlichen Aktivität umfasst nicht nur die wird üblicherweise bei der Zugabe von weiteren oralen Anti- Alltagsbewegung, sondern auch ein gezieltes Kraft- und Aus- diabetika im Sinne einer Kombinationstherapie beibehalten. » 17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 31
Diabetes mellitus Typ 2 » Der Insulinsensitizer Pioglitazon verbessert die Empfindlich- nämie bedingte Gewichtszunahme. Das gehäufte Auftreten von keit von Muskel- und Fettgewebe gegenüber Insulin und somit Hypoglykämien steht mit einem erhöhten Risiko für den plötz- den Blutzucker über die Aktivierung des nukleären Faktors lichen Herztod in Verbindung. Außerdem mehren sich Hinweise, PPARγ. Neben einer guten Wirkung auf den Blutzucker (Senkung dass Sulfonylharnstoffe im Vergleich zu anderen Substanzen mit des HbA1c um 1,5 Prozent) und einem fehlenden Hypoglykämie- einer erhöhten Krebsinzidenz assoziiert sind. Dies lässt sich am Potential findet sich auch ein günstiger Effekt auf die nicht-alko- ehesten durch die Hyperinsulinämie erklären, die zwar nicht die holische Steatohepatitis (NASH). Von den bisher untersuchten Krebsentstehung, jedoch das Tumorwachstum fördert. Aus die- Substanzen dürfte Pioglitazon – eventuell auch Metformin – als sen Gründen gibt es zunehmend Bedenken über den Einsatz von einzige Substanz die Progression eines Diabetes mellitus verzö- Sulfonylharnstoffen in der Diabetes-Therapie. Allerdings erwie- gern. Dazu passen auch die positiven Daten in der Diabetes-Prä- sen sich Gliclazid in der ADVANCE-Studie und Glimepirid im vention. In der PROACTIVE-Studie wurde außerdem eine Ver- Vergleich zu Linagliptin in der CAROLINA-Studie als sicher. Die minderung des Auftretens von kardiovaskulären Erkrankungen Sulfonylharnstoffe dürften sich auch in ihrem Nebenwirkungs- beobachtet. Dies mag durch eine Erhöhung des HDL-Choleste- profil unterscheiden, da in der GUIDE-Studie unter Gliclazid im rins oder durch spezifische pleiotrope Effekte bedingt sein. Die Vergleich zu Glimepirid seltener Hypoglykämien auftraten. IRIS-Studie (Insuline Resistance Intervention after Stroke) zeigte eine Reduktion des Risikos für das neuerliche Auftreten eines Sitagliptin, Vildagliptin, Saxagliptin, Linagliptin und Alogliptin Schlaganfalls bei einer nicht-diabetischen Patientenkohorte; zählen zur Substanzklasse der DPP-4 (Dipeptidyl-Peptidase) außerdem wurde das Diabetesrisiko verringert. Pioglitazon, der Hemmer oder Gliptine und vermindern das HbA1c um 0,5 bis einzige Vertreter dieser Klasse, führt gelegentlich zur Flüssigkeits- 1 Prozent. Ihre Wirkung besteht in der Hemmung des Abbaus retention mit dem Auftreten von Beinödemen und bei bestehen- von Inkretinen (vor allem Glukagon-like peptide 1, GLP-1), Dies der Herzinsuffizienz gegebenenfalls zum Lungenödem. Ebenso führt nach der Nahrungszufuhr in Abhängigkeit vom Glukose- wurde über ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Makula- spiegel zur Stimulierung der Insulinsekretion und Supprimierung ödems berichtet. Außerdem gibt es Hinweise für eine erhöhte Kno- der Glukagonsekretion mit konsekutiv verminderter hepatischer chenfrakturrate, sodass dieses Medikament besonders bei post- Glukoseproduktion. In Vergleichsstudien mit Sulfonylharnstoffen menopausalen Frauen nur mit Vorsicht eingesetzt werden soll. sind sie bezüglich der glykämischen Wirksamkeit gleichwertig; führen jedoch zu keinen Hypoglykämien. Außerdem haben sie Sulfonylharnstoffe und Glinide fördern die Glukose-unabhän- keinen Einfluss auf das Körpergewicht. Bezüglich der Wirksam- gige Freisetzung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse und keit besteht zwischen den einzelnen Vertretern dieser Substanz- vermindern das HbA1c um ein bis zwei Prozent. Es besteht die gruppe kein Unterschied. Bis auf Linagliptin werden sie vorwie- Gefahr für Hypoglykämien sowie für eine durch die Hyperinsuli- gend renal ausgeschieden, sodass die Dosis außer bei Linagliptin Tab. 2: Kombinationstherapie mit Metformin* Substanzklasse Pioglitazon DPP-4 Hemmer GLP-1 Agonist SGLT-2 Hemmer Patientenphänotyp Insulinresistenz im Sekretionsdefekt im Adipositas, Sekretions- Übergewicht bzw. Adipositas, Vordergrund (Viszerale Vordergrund defekt im Vordergrund, Hypertonie, kardiovaskuläres Vor- Fettverteilung, NASH) kardiovaskuläres ereignis, Herz-/Niereninsuffizienz Vorereignis Kein Einsatz bei Osteoporose-Gefähr- St.p. Pankreatitis, Herz- St.p. Pankreatitis, Rezidivierenden Harnwegsin- dung, Gefahr der Herzin- insuffizienz (Saxagliptin) Gastroparese fekten bzw. genitalen Candida- suffizienz, Makulaödem Infektionen, Vorsicht bei Kombi- nation mit Insulintherapie (eugly- kämische Ketoazidose) Vorteile Betazell-Protektion, Nebenwirkungsarm Gewichtsreduktion, Gewichtsreduktion, Blutdruck- kardiovaskulär protektiv Verminderung von senkung, gute Wirksamkeit in bei St.p. Myokardinfarkt Blutdruck und Lipiden, Kombination mit Insulin bzw. Insult, günstige kardiovaskulär protektiv Beeinflussung der NASH Unerwünschte Gewichtszunahme, Ev. erhöhtes Risiko Übelkeit, Erbrechen Harnwegsinfekte, genitale Wirkungen Ödeme, Herzinsuffizienz, bei Herzinsuffizienz Candida-Infektionen Frakturen, Makulaödem (Saxagliptin) * Hauptcharakteristika von Medikamenten beziehungsweise zum Einsatz als First-line Therapie bei Metformin-Unverträglichkeit beziehungsweise Metformin-Kontraindikation 32 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T bei Niereninsuffizienz reduziert werden muss. Nebenwirkungen bei Frauen gehäuft Pilzerkrankungen im Genitalbereich, sel- treten faktisch nicht auf. Vorsicht ist geboten beim Einsatz von tener Harnwegsinfekte auf. Vorsicht ist bei der Kombination mit Saxagliptin bei Patienten mit Herzschwäche. In Endpunktstudien Insulin geboten, da es bei einer Senkung der Insulindosis zum konnten die Vertreter dieser Substanzklasse zwar die kardiovas- Auftreten einer euglykämischen Ketoazidose kommen kann. kuläre Sicherheit belegen; allerdings konnten keine diesbezüg- Diese kann auch bei schweren Erkrankungen auftreten, sodass lichen Vorteile gezeigt werden. diese Medikamente – ebenso wie übrigens RAAS-Hemmer und Metformin – pausiert werden müssen. Sämtliche untersuchte Inkretin-Mimetika oder GLP-1 Agonisten (Exenatid, Lira- Substanzen belegen eine Verminderung der Hospitalisierung glutid, Lixisenatid, Dulaglutid, Semaglutid) sind durch Modi- infolge einer Herzinsuffizienz. Für Empagliflozin und Canagli- fikation der Struktur resistent gegen den Abbau durch DPP-4 flozin liegen positive Daten hinsichtlich einer Verminderung und entfalten durch ihre Homologie mit natürlichem GLP-1 des kombinierten kardiovaskulären Endpunkts (MACE) vor; für ihre Wirkung durch Bindung an den GLP-Rezeptor. Sie müssen Empagliflozin und Dapagliflozin (hier bei Personen mit Herz- einmal (Liraglutid, Lixisenatid) bis zweimal täglich (Exenatid) insuffizienz) auch hinsichtlich der kardiovaskulären Mortalität beziehungsweise einmal wöchentlich (Dulaglutid, Semaglutid, sowie der Gesamtmortalität. Alle SGLT2-Hemmer sind renopro- Exenatid LAR) subkutan injiziert werden. Semaglutid kann auch tektiv im Sinne der Progression der diabetischen Nephropathie. oral einmal täglich appliziert werden. Neben einer stärkeren Die ÖDG empfiehlt die frühzeitige Kombination von SGLT2- Blutzucker-senkenden Wirksamkeit im Vergleich zu DPP-4 Hemmern mit Metformin für Patienten mit einer Herzinsuffizi- Hemmern (HbA1c-Senkung um ein bis zwei Prozent) führen sie enz beziehungsweise einer Niereninsuffizienz sowie nach kardi- zu einem moderaten Gewichtsverlust und einer Verbesserung ovaskulären Ereignissen. des Blutdrucks und der Lipide, ohne Hypoglykämien zu verur- sachen. An Nebenwirkungen finden sich gelegentlich Übelkeit Rationale Kombinationsstrategien und Erbrechen, die jedoch mit der Zeit an Intensität und Auftre- ten geringer werden. Sowohl für die Verabreichung von GLP-1 Die Basis der medikamentösen Diabetes-Therapie bei Verträg- Rezeptoragonisten als auch von DPP-4 Hemmern wurde – teil- lichkeit und normaler Nierenfunktion stelllt Metformin dar. Ist weise im Tierversuch – ein möglicher Zusammenhang mit dem die Erweiterung des antidiabetischen Spektrums in Kombina- Auftreten von Pankreatitiden suspiziert. Diese Nebenwirkung tion mit anderen Medikamenten notwendig, wird Metformin konnte jedoch in den bisherigen Studienprogrammen und im beibehalten. In Abb. 1 sind die Möglichkeiten der Leitlinien-kon- Rahmen der Pharmakovigilanz nicht bestätigt werden. Für die formen Kombination dargestellt. Liegen kardiovaskuläre Erkran- meisten GLP-1 Rezeptoragonisten liegen positive kardiovas- kungen beziehungsweise Risikokonstellationen und nephrolo- kuläre Endpunktstudien bei Patienten mit kardiovaskulären gische Erkrankungen vor, ist gemäß den Ergebnissen der neuen Erkrankungen vor; unter Liraglutid und Semaglutid kam es zu Endpunktstudien eine entsprechende Priorisierung der Subs- einer Senkung der Gesamtmortalität. Unter Dulaglutid konnte tanzen vorzunehmen. Die Blutzucker-senkende Wirksamkeit der kardiovaskuläre Endpunkt auch in einer Population ohne ist bei allen Kombinationspartnern mit Ausnahme der GLP-1 Vorereignisse, sondern lediglich mit einem hohen Risiko für Analoga, die etwas stärker wirken, annähernd gleich. Die Wahl atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen vermindert des zweiten Antidiabetikums wird durch phänotypische Merk- werden. Daher empfiehlt die ÖDG die frühzeitige Kombination male wie Adipositas oder Überlegungen bezüglich zusätzlicher dieser Substanzgruppe mit Metformin bei Patienten mit vorbe- Vorteile wie kardiovaskulär günstiger oder nephroprotektiver stehenden kardiovaskulären Erkrankungen beziehungsweise Effekte oder dem Vorliegen von Endpunktstudien beeinflusst. bei solchen mit einem hohen diesbezüglichen Risikoprofil. Entsprechend der komplementären Wirkweise können diese Medikamente auch in Triple-Kombinationen angewandt wer- Die SGLT-2 (sodium-glucose co-transporter-2) Inhibitoren den, wobei SGLT-2 Inhibitoren in allen Kombinationsstrategien oder Gliflozine (Empagliflozin, Dapagliflozin, Canagliflozin additiv wirksam sind. und Ertugliflozin) hemmen die Rückresorption von Glukose im proximalen Tubulus und führen zur Glukosurie im Ausmaß von Insulintherapie 70 g. Dies entspricht einem Verlust von zirka 280 kcal pro Tag. Neben der antihyperglykämischen Wirksamkeit (HbA1c-Sen- Kann durch eine Kombination von oralen Medikamenten kung von 0,5 bis 1 Prozent) wird das Körpergewicht um circa drei beziehungsweise GLP-1 Analoga das individuell vereinbarte Kilogramm und der Blutdruck um 2-4 zu 1-2 mmHg gesenkt. Ein glykämische Ziel nicht erreicht werden, ist die Einleitung einer wesentlicher Vorteil dieser Substanzgruppe besteht darin, dass Insulintherapie indiziert, welche das HbA1c im Schnitt um zwei sie mit allen bereits verfügbaren Diabetes-Medikamenten kom- Prozent reduziert. Die häufigsten Hindernisse für die zeitgerechte biniert werden können. An Nebenwirkungen treten vor allem Einleitung einer Insulintherapie sind Gewichtszunahme, Hypo- » 17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 33
Diabetes mellitus Typ 2 Abb. 1: Leitlinien-gerechte Stufentherapie des Diabetes mellitus Typ 2 Lebensstilmodifizierende Therapie – Gewichtsmanagement, körperliche Aktivität + Metformin als Basistherapie (wenn keine Kontraindikationen) Keine bekannte kardiovaskuläre Erkrankung Anamnestisch bekannte kardiovaskuläre Erkrankungen oder chronische Niereninsuffizienz oder chronische Niereninsuffizienz Kardiovaskuläre Erkrankung im Vordergrund Herzinsuffizienz oder chro- Minimierung des Risikos für Hypoglykämien – Nachgewiesene atherosklerotische kardiovaskuläre nische Niereninsuffizienz Erkrankung im Vordergrund DPP-4 GLP1- SGLT2- – Hohes Risiko für eine atherosklerotische kardiovaskuläre Pioglitazon Hemmer Analoga Hemmer Erkrankung (Alter >= 55 Jahre und eines der folgenden Kriterien SGLT2-Hemmer mit Evidenz zur • linksventrikuläre Hypertrophie Reduktion von Herzinsuffizienz • > 50 % Stenose der Koronarien, Karotiden oder Beinarterien HbA1c über dem Zielbereich und/oder Progression einer • eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 chronischen Niereninsuffizienz • Albuminurie GLP-1 RA SGLT2-H Wenn eine SLGT-2 Hemmer- SGLT2-H SGLT2-H oder oder GLP-1 Analogon mit SGLT2-Hemmer mit kardio- therapie nicht möglich ist oder oder DPP-4 Hem- DPP-4 Hem- kardiovaskulärem Benefit vaskulärem Benefit solange (Kontraindikation, Unverträg- Pioglitazon Pioglitazon mer oder mer oder die eGFR die Verschreibung lichkeit, eGFR), dann GLP-1 Pioglitazon GLP-1 RA zulässt. Rezeptoragonist mit kardio- vaskulärem Benefit HbA1c über dem Zielbereich HbA1c über dem Zielbereich HbA1c über dem Zielbereich Therapieeskalation mit einem weiteren Wirkmechanismus Medikament mit dokumentierter kardiovaskulärer Sicherheit Medikament mit dokumentierter GLP-1 Analogon, SGLT-2 Hemmer kardiovaskulärer Sicherheit HbA1c über dem Zielbereich DPP-4 Hemmer falls kein GLP-1 Analogon Basalinsulin GLP-1 Analogon Pioglitazon DPP-4 Hemmer (nicht Therapieeskalation mit Basalinsulin oder Sulfonylharnstoff Saxagliptin) falls kein GLP-1 moderner Sulfonylharnstoff Analogon Basalinsulin Sulfonylharnstoff Bei Neudiagnose sollte bei einem HbA1c > 9,0 Prozent (75 mmol/mol) eine Kombinationstherapie begonnen werden Transfer in ein Krankenhaus bzw. zu einem Spezialisten bei symptomatischer Hyperglykämie/metabolischer Dekompensation Aus: Leitlinien für die Praxis (www.oedg.org) » glykämien und ein vermutlich erhöhtes Tumorrisiko beziehungs- blutzuckers und somit auch des HbA1c führt. Bei allen Nach- weise die Ablehnung subkutaner Injektionen. Es stehen jedoch teilen einer Insulintherapie sollte jedoch bedacht werden, verschiedene Schemata der Insulintherapie zur Verfügung, die dass der Einsatz von Insulin meist dann erfolgt, wenn die individuell an die Bedürfnisse des Patienten, seine Komorbidi- Diagnose zu spät gestellt wird. täten und nicht zuletzt die Prognose angepasst werden müssen. Prinzipiell gilt, dass die Möglichkeit der Zielwerterreichung vor Bariatrische/Metabolische Chirurgie allem in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung mit der Kom- plexität des Insulintherapieschemas zunimmt: Patienten mit morbider Adipositas (BMI über 40 kg/m2) wei- • BOT (Basalinsulin unterstützte Orale Therapie) sen eine hohe Zahl an Begleiterkrankungen und eine vermin- • Konventionelle Insulintherapie (zwei bis dreimal täglich derte Lebenserwartung auf. Die Gewichtsreduktion durch Mischinsulin(analogon) bariatrische Eingriffe vermag nicht nur das Körpergewicht • Konventionell-intensivierte Insulintherapie (getrennte Verab- stark zu senken, sondern vermindert auch Komorbiditäten reichung von Basal- und Prandialinsulin) und vor allem bei Diabetikern die Mortalität. Die am häu- • Funktionelle oder Basis-Bolus-Insulintherapie figsten verwendeten Eingriffe sind der Magenbypass und die Sleeve-Gastrektomie. Erstere kombiniert restriktive und mal- Bei der Wahl des Präparats wird aufgrund der physiologi- absorptive Mechanismen. Beide Methoden verändern die scheren Pharmakokinetik vorwiegend auf Insulin-Analoga Konzentration und das Sekretionsmuster von Hunger- und zurückgegriffen. Die ÖDG-Leitlinien empfehlen als Einstieg Sättigungsfaktoren, sodass sich ein von der Gewichtsredukti- in die Insulintherapie die BOT, die von den Betroffenen eher on unabhängiger Effekt auf den Glukosestoffwechsel findet. akzeptiert wird und zu einer guten Senkung des Nüchtern- In einem Kollektiv der Klinik Landstraße führte die Magen- ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T bypass-Operation bei 73 Prozent der Betroffenen nach fünf daher bei Verschlechterung der Nierenfunktion abgesetzt wer- Jahren zur Diabetes-Remission. Daher empfehlen die entspre- den; außerdem muss es vor Operationen und Untersuchungen chenden Fachgesellschaften bei Patienten mit Diabetes mel- mit Kontrastmittel wegen der Gefahr einer Niereninsuffizienz litus ab einem BMI von über 35 kg/m2 die bariatrische Ope- pausiert werden. Sulfonylharnstoffe, Glinide und alle DPP-4 ration als therapeutische Option. Besonders wichtig sind die Inhibitoren mit Ausnahme von Linagliptin müssen in ihrer präoperative Evaluation und die ernährungsmedizinische und Dosis reduziert werden. GLP-1 Analoga können teilweise bis internistische Nachsorge, da diese Operationen einer lebens- zu einer GFR von 15 ml/min eingesetzt werden. Pioglitazon langen Substitution von Vitaminen, Mikronährstoffen und und Linagliptin können bei Niereninsuffizienz ohne Dosis- gegebenenfalls Eisen und Eiweiß bedürfen. In diesem Sinne Adaptierung weitergegeben werden. Die SGLT-2 Hemmer sollten Patienten nur in Zentren mit ausreichender Erfahrung verlieren ihre antihyperglykämische Wirksamkeit bei zuneh- und entsprechender Infrastruktur behandelt werden. mender Niereninsuffizienz. Neue Entwicklungen Herzinsuffizienz: Pioglitazon kann – vor allem in Kombination mit Insulin – zur Flüssigkeitsretention und Ausbildung von Öde- In näherer Zukunft ist mit der Einführung von dualen men führen. Daher ist sein Einsatz bei Patienten mit Herzinsuf- Rezeptoragonisten zu rechnen, die zusätzlich zum GLP1- fizienz kontraindiziert. In der SAVOR-TIMI 53-Studie fand sich Rezeptor auch den Glucagon- beziehungsweise GIP (glucose für Saxagliptin eine 27-prozentige Erhöhung der stationären dependent insulinotropic polypeptide) Rezeptor stimulieren. Aufenthalte wegen Herzinsuffizienz. Dieser Befund kann durch Die vorliegenden Daten belegen eine hervorragende anti- den Wirkmechanismus nicht erklärt werden. Ebenso kann die- hyperglykämische Wirksamkeit sowie eine eindrucksvolle ses Phänomen in Studien mit anderen DPP-4 Hemmern nicht Senkung des Körpergewichts. Die Pipeline für neue antidia- bestätigt werden. betische Medikamente ist äußerst umfassend; es wäre höchst spekulativ, hier weitere besonders hoffnungsvolle Produkte Zusammenfassend konnte in den letzten Jahren durch die herauszugreifen. In nächster Zukunft ist auch zu erwarten, Ergebnisse von relevanten Studien und der Verfügbarkeit inno- dass die punktuelle Blutzucker-Selbstmessung durch die vativer Medikamente beziehungsweise Therapieschemata eine kontinuierliche Gewebszucker-Messung abgelöst wird. Die- deutliche Verbesserung der Behandlung von Menschen, die an se bietet mehr Informationen wie die „time-in-range“ für die Diabetes mellitus leiden, und deren Lebenserwartung erzielt glykämische Einstellung sowie Möglichkeit zur Alarmierung werden. Auf Grund der Vielzahl der antidiabetischen Medika- bei Glukosespiegeln außerhalb eines definierten Bereichs. mente ist eine individuelle Therapie, die auf den pathophysio- Außerdem ist damit zu rechnen, dass bei komplexen Insulin- logischen Phänotyp der Patienten sowie auf ihre Lebensqualität therapien die Pumpentechnologie auch bei Menschen mit Rücksicht nimmt, möglich. Dieser Umstand bedingt allerdings Typ 2-Diabetes Einzug hält. eine zunehmende Komplexität der Diabetes-Therapie mit der Notwendigkeit einer intensiven Weiterbildung beziehungsweise Fallgruben bei Diagnose und Therapie Spezialisierung. ◉ Die Diagnose eines des Typ 2-Diabetes bereitet in der Regel keine wesentlichen Schwierigkeiten. Es sind lediglich die Differentialdi- Literatur beim Verfasser agnosen bezüglich des Diabetes-Typs hinsichtlich der Therapie und des Verlaufs der Erkrankung zu bedenken. Auf jeden Fall *) Univ. Prof. Dr. Bernhard Ludvik, sollte bei auch nur einem typischen Symptom eine Abklärung 1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie im Hinblick auf Diabetes mellitus mit Blutzuckermessung und und Nephrologie, Klinik Landstraße, Juchgasse 25, 1030 Wien; HbA1c-Bestimmung erfolgen. Eine Risikoeinschätzung bezie- E-Mail: bernhard.ludvik@gesundheitsverbund.at hungsweise ein zusätzliches Instrument zur Diagnostik bietet der orale Glukosetoleranztest mit 75 g, bei dem der Blutzucker unbe- Lecture Board dingt aus dem venösen Plasma bestimmt werden muss. Univ. Prof. Dr. Peter Fasching 5. Medizinische Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Die wegen der Komorbiditäten notwendige Polypharma- Akutgeriatrie, Wiener Gesundheitsverbund, Klinik Ottakring, Wien zie der Menschen, die an Diabetes mellitus leiden, erfordert Univ. Prof. Dr. Rudolf Prager neben der Kenntnis der Kontraindikationen auch ein umfas- 3. Medizinische Abteilung für Stoffwechselmedizin und Nephrologie, sendes Wissen um Medikamenteninteraktionen. Besondere Krankenhaus Hietzing, Wien Vorsicht ist geboten bei: Ärztlicher Fortbildungsanbieter Niereninsuffizienz: Metformin ist unter einer glomerulären 1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Filtrationsrate (GFR) von 30 ml/min kontraindiziert und muss Nephrologie/Wiener Gesundheitsverbund Klinik Landstraße 17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG
DFP-Literaturstudium: Diabetes mellitus Typ 2 Im Rahmen des Diplom-Fortbildungs- Programms der Österreichischen Ärztekammer 1) Folgende Aussagen zu SGLT-2 Inhibitoren sind zutreffend: (zwei Antworten richtig) ist es möglich, durch das Literaturstudium in a) Sie sind nephroprotektiv. der ÖÄZ zwei Punkte für das DFP zu erwerben. b) Sie erhöhen die Gefahr einer Herzinsuffizienz. Insgesamt müssen vier von sechs Fragen richtig c) Sie sind nach einem Herzinfarkt beantwortet sein. Eine Frage gilt als korrekt kontraindiziert. beantwortet, wenn alle möglichen richtigen d) Sie sollen bei interkurrenten Erkrankungen Antworten markiert sind. pausiert werden. 2) Folgende Aussagen zu GLP-1 Rezeptor- Schicken Sie diese Seite bis 9. November 2020 an: agonisten sind zutreffend: (zwei Antworten richtig) Verlagshaus der Ärzte GmbH, z. Hd. Claudia Chromy a) Sie können die Mortalität vermindern. Nibelungengasse 13, 1010 Wien, b) Sie sind nur in der Sekundärprävention Faxnummer: 01/376 44 86 indiziert. E-Mail: c.chromy@aerzteverlagshaus.at c) Sie senken das Körpergewicht. d) Sie führen zu genitalen Candida-Infektionen. www.aerztezeitung.at/DFP-Literaturstudium 3) Folgende Medikamente sind bei Herz- insuffizienz kontraindiziert: (zwei Antworten richtig) a) Pioglitazon Bitte deutlich ausfüllen, da sonst die Einsendung nicht berücksichtigt werden kann! b) Saxagliptin c) SGLT2-Inhibitoren Name: d) Sulfonylharnstoffe 4) Bei Vorliegen eines atherosklerotischen Ereig- nisses sind für folgende Medikamente nach der ÖÄK-Arztnummer: Erstlinien-Therapie mit Metformin kardiovasku- läre Vorteile zu erwarten: (drei Antworten richtig) Adresse: a) SGLT2-Hemmer b) Sulfonylharnstoffe c) GLP1-Rezeptoragonisten d) Pioglitazon E-Mail-Adresse: 5) Bei Patienten mit Typ 2-Diabetes mit einer GFR zwischen 15 und 30 ml/min sollen folgende Medikamente nicht verordnet werden: (zwei Antworten richtig) Zutreffendes bitte ankreuzen: a) Pioglitazon Turnusarzt/Turnusärztin b) Metformin Zwei Drittel der Fragen richtig beantwortet: Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin c) SGLT2-Inhibitoren Facharzt/Fachärztin für d) GLP1-Rezeptoragonisten 6) Bei folgenden Medikamenten kann eine Gewichtsreduktion erwartet werden: Ich besitze ein gültiges DFP-Diplom. (zwei Antworten richtig) Ich nutze mein DFP-Fortbildungskonto. a) SGLT-2 Hemmer Bitte die DFP-Punkte automatisch buchen. b) Pioglitazon c) GLP1-Rezeptoragonisten Altersgruppe: < 30 31–40 41–50 51–60 > 60 d) Insulin 36 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
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