Diabetes mellitus Typ 2 - Österreichische Ärztezeitung

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Diabetes mellitus Typ 2 - Österreichische Ärztezeitung
S TAT E O F T H E A R T

    Diabetes mellitus Typ 2
    Im Gegensatz zum europäischen Trend wird in Österreich eine starke Zunahme an
    Diabetes-bedingten Todesfällen registriert. Bei der Therapie hat es in den vergangenen
    Jahren einen Innovationsschub gegeben: So ist in näherer Zukunft mit der Einführung von
    dualen Rezeptoragonisten zu rechnen. Die punktuelle Blutzucker-Selbstmessung wird
    durch die kontinuierliche Gewebszucker-Messung abgelöst werden.

    Bernhard Ludvik*
Diabetes mellitus Typ 2 - Österreichische Ärztezeitung
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T

A                        Aktuelle Entwicklungen

                         Aus Mangel an validen Daten und wegen des Fehlens eines
                         Diabetes-Registers kann die Zahl von Diabetes-Betroffenen nur
                         geschätzt werden. In Österreich leben circa 600.000 bis 700.000
                         Menschen mit Diabetes mellitus, davon 90 Prozent mit einem
                         Typ 2-Diabetes. Bis zum Jahr 2030 werden es Schätzungen
                         zufolge 800.000 sein. Diese Entwicklung erklärt sich einer-
                         seits durch den Anstieg der Adipositas-Prävalenz infolge eines
                         sedentären Lebensstils verbunden mit hoher Energiezufuhr,
                         anderseits durch die Zunahme an älteren und damit suszep-
                         tiblen Menschen. In den letzten Jahren ist es vor allem in Europa
                                                                                                Blutdruck über 130/85 mmHg – auf. Ist ein Elternteil Diabetiker,
                                                                                                beträgt das Risiko, selbst zu erkranken, 40 Prozent, sind beide
                                                                                                Elternteile an Diabetes mellitus erkrankt, acht Prozent. Somit
                                                                                                ist die Erhebung der Familienanamnese neben der Frage nach
                                                                                                einem stattgehabten Gestationsdiabetes oder dem Vorliegen
                                                                                                eines Polyzystischen Ovarsyndroms ein wichtiges Instrument zur
                                                                                                frühzeitigen Identifikation gefährdeter Personen.

                                                                                                Wichtigste Symptome

                                                                                                Gerade wegen seines zumeist schleichenden, schmerzlosen
                                                                                                und symptomarmen Verlaufs wird der Typ 2-Diabetes immer
                         durch die konsequentere Therapie des Diabetes mellitus und             noch zu spät erkannt. Treten Symptome wie Gewichtsverlust,
                         der assoziierten Risikofaktoren wie Hyperlipidämie und Hyper-          Polyurie, Polydipsie und gehäufte Infektionen auf, findet sich
                         tonie zur Senkung der Diabetes-Mortalität gekommen.                    bereits eine dekompensierte Stoffwechsellage mit nachhaltiger
                                                                                                Schädigung der Betazellsekretion. Es gilt daher, diesen Zeitver-
                         Für Österreich führt die EU-Kommission in ihrem Bericht aus            lust von der Manifestation bis zur Diagnose so weit wie möglich
                         dem Jahr 2019 allerdings eine starke Zunahme an Diabetes-              zu verkürzen, um die Betazellfunktion längerfristig zu erhalten
                         bedingten Todesfällen an. Dies wird nicht nur auf die steigende        und die Diabetes-Progression zu verlangsamen.
                         Zahl an übergewichtigen und körperlich inaktiven Menschen
                         zurückgeführt, sondern stellt der Diabetes-Versorgung insgesamt        Diagnose
                         ein schlechtes Zeugnis aus. Allerdings ist unklar, wie diese Daten
                         erhoben wurden. Die resultierenden Kosten durch Diabetes-asso-         Bereits vor der Manifestation des Typ 2-Diabetes findet sich ein
                         ziierte Folgeerkrankungen, frühzeitigen Tod und Medikamente            Anstieg der Glukosewerte noch innerhalb des Normbereichs.
                         übersteigen die finanziellen Kapazitäten aller Länder. Die weitere     Übersteigt der Nüchternglukose-Wert im venösen Plasma 100
                         Alterung der Gesellschaft und die dadurch steigende Diabetes-          mg/dl, spricht man von erhöhter Nüchternglukose. Die ver-
                         Prävalenz verschärfen die Problematik. Dass eine initial ambiti-       schiedenen Kriterien für eine Diabetes-Diagnose sind in Tab. 1
                         onierte Diabetes-Einstellung langfristig zu einer Verminderung         dargestellt. Bei Personen ohne Risikofaktoren sollen ab dem
                         der Mortalität führt, konnte bereits in der Follow-up Studie der       Lebensalter von 45 Jahren in dreijährigem Abstand die Nüch-
                         UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) eindrucksvoll gezeigt            ternplasmaglukose beziehungsweise alternativ der HbA1c-
                         werden. Nun liegen Erkenntnisse aus Interventionsstudien mit           Wert gemessen oder ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT)                           »
                         neuen Medikamenten vor, die nicht nur eine Verminderung von
                         kardiovaskulären Endpunkten, sondern auch eine Verringerung
                         der Mortalität beschreiben. In dieser Übersichtsarbeit werden            Tab. 1: Diabetes mellitus: Diagnosekriterien
                         neueste Entwicklungen in der Diabetologie und ein Pfad für die
                                                                                                                              Manifester                Erhöhtes
                         Leitlinien-gerechte Diabetestherapie aufgezeigt.                                                  Diabetes mellitus         Diabetesrisiko
                                                                                                   Nicht-Nüchtern          ≥ 200 mg/dl +         –
                         Krankheitsbilder                                                          („random-               klassische Symp-
                                                                                                   glucose“)               tome ODER
                                                                                                                           ≥ 200 mg/dl an
                         Diabetes mellitus Typ 2 ist zumindest anfangs durch einen symp-                                   2 Tagen
                         tomlosen beziehungsweise symptomarmen Verlauf gekenn-
                                                                                                   Nüchternglukose         ≥ 126 mg/dl           ≥ 100 mg/dl, aber ≤ 125
                         zeichnet, sodass die Erkrankung zufällig oder erst dann diagnos-          (venöses Plasma)        an 2 Tagen            mg/dl (abnormale Nüch-
                         tiziert wird, wenn bereits Beschwerden wie Visusveränderungen,                                                          ternglukose, „impaired
                         unwillkürlicher Gewichtsverlust, Polyurie, Polydipsie und gehäuf-                                                       fasting glucose“, IFG)
                         te – oft genitale – Infektionen auftreten. Im Extremfall kann es zur      2-h-Glukose             ≥ 200 mg/dl           Glukose ≥ 140 mg/dl, aber
                                                                                                   nach 75-g-OGTT                                ≤ 199 mg/dl (gestörte Glu-
                         Ausbildung eines hyperosmolaren diabetischen Komas kom-
                                                                                                   (venöses Plasma)                              kosetoleranz, „impaired
                         men, das nicht selten letal endet. Phänotypisch weisen klassische                                                       glucose tolerance“; IGT)
                         Typ 2-Diabetiker die Merkmale des Metabolischen Syndroms –                HbA1c                   ≥ 6,5 %               ≥ 5,7 % (39 mmol/mol),
© SPL, picturedesk.com

                         erhöhter Bauchumfang über 102 cm bei Männern, über 88 cm bei                                      (48 mmol/mol)         aber ≤ 6,4 %
                         Frauen, erhöhter Nüchternblutzucker über 100 mg/dl, erhöhte                                                             (46 mmol/mol)
                         Triglyzeride über 150 mg/dl, erniedrigtes HDL-Cholesterin                Aus: Leitlinien für die Praxis, www.oedg.org
                         unter 40 mg/dl bei Männern, 50 mg/dl bei Frauen und erhöhter

                         17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG                                                                                                 29
Diabetes mellitus Typ 2

»   durchgeführt werden. Bei Vorliegen von Risikofaktoren für die      wicklung der Insulinresistenz, der erhöhten hepatischen Gluko-
    Entwicklung eines Typ 2-Diabetes wie einer positiven Famili-       seproduktion und beim Sekretionsdefekt. Im Vordergrund steht
    enanamnese, einem stattgehabten Gestationsdiabetes, einem          die Vermehrung viszeralen Fettgewebes, die u.a. in Zusammen-
    Metabolischen Syndrom oder eines Polyzystischen Ovarsyn-           hang mit einer stimulierten Hypophysen-Nebennieren-Achse
    droms muss das Screening früher stattfinden.                       steht, da viszerale Adipozyten vermehrt Kortisolrezeptoren
                                                                       exprimieren, welche bei entsprechender Stimulation zur Expan-
    Differentialdiagnose                                               sion des Fettgewebes beitragen. Dies führt zur lokalen Hypo-
                                                                       xämie, verminderter Freisetzung von Insulin-sensitivierenden
    Die Differentialdiagnose des Typ 2-Diabetes umfasst vor allem      Adipokinen (Adiponektin) und vermehrter Sekretion von pro-
    andere Diabetesformen, allen voran Typ 1-Diabetes. Patienten       inflammatorischen Zytokinen wie TNF-alpha und Interleukin 6.
    mit Typ 2-Diabetes haben sehr oft eine positive Familienana-       Letztere haben einen ungünstigen Einfluss auf Insulinsensitivi-
    mnese, sind übergewichtig beziehungsweise adipös mit visze-        tät und Insulinsekretion. Dieser Mechanismus sowie die erhöh-
    raler Fettverteilung, weisen Merkmale des Metabolischen Syn-       ten freien Fettsäuren erklären den „cross-talk“ zwischen Fettge-
    droms auf und sind bei Manifestation bereits etwas älter. Ein      webe und Muskulatur.
    besonderer Risikofaktor ist ein stattgehabter Gestationsdia-
    betes. Obwohl der Typ 1-Diabetes in jedem Alter auftreten kann,    Therapeutische Ziele
    sind die Patienten meist jung, schlank und weisen sonst keine
    kardiovaskulären Risikofaktoren auf. Eine späte Manifestation      Entsprechend den Leitlinien der Österreichischen Diabetes
    des Typ 1-Diabetes stellt der LADA (Late onset Autoimmu-           Gesellschaft (ÖDG) orientiert sich die Qualität der Diabetes-
    nity Diabetes in the Adult) dar, der im Gegensatz zum Typ 2-       Einstellung am HbA1c. Die Zielwerte sind individuell im Hin-
    Diabetes oft rasch eine Insulintherapie notwendig macht. Die       blick auf Komplikationen, Lebensstil und Compliance festzule-
    Patienten sind meist über 30 Jahre alt und weisen zumindest        gen. Bei kurzer Diabetes-Dauer, langer Lebenserwartung ohne
    einen der für den Typ 1-Diabetes spezifischen Antikörper (ICA,     Vorliegen von relevanten kardiovaskulären Komorbiditäten ist
    anti GAD 65, anti IA-2) auf. Seltenere monogenetische Formen,      ein HbA1c-Wert von sechs bis 6,5 Prozent zu empfehlen, wobei
    die sich in der Jugend manifestieren, werden unter dem Begriff     hier Medikamente ohne Hypoglykämie-Gefährdung eingesetzt
    MODY (Maturity Onset Diabetes in the Young) zusammenge-            werden. Prinzipiell sollte ein HbA1c-Wert unter sieben Prozent
    fasst. Sie haben einen autosomal dominanten Erbgang, treten in     angestrebt werden, um mikrovaskuläre Komplikationen zu ver-
    der Kindheit beziehungsweise Jugend auf und benötigen sehr         meiden. Bei Patienten mit mehreren schweren Hypoglykämien,
    lange keine Insulintherapie.                                       eingeschränkter Lebenserwartung, multiplen Spätkomplikati-
                                                                       onen oder anderen Komorbiditäten sind HbA1c-Zielwerte bis
    Neuheiten in der Therapie                                          acht Prozent – mitunter auch etwas höher – tolerabel.

    In den letzten Jahren hat die Diabetologie hinsichtlich neuer      Neben der eigentlichen antidiabetischen Therapie ist aufgrund
    therapeutischer Möglichkeiten einen Innovationsschub erfahren,     der vorhandenen Evidenz den Lipiden und dem Blutdruck
    der Hoffnung zu besseren und vor allem nebenwirkungsärmeren        besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Prinzipiell sollte der
    Therapieformen gibt. Diese Medikamente greifen an verschie-        Blutdruck bei Diabetikern unter 130-140 zu 70-85 mmHg liegen;
    denen für Diabetes mellitus relevanten pathogenetischen Mecha-     bei Niereninsuffizienz mit Mikroalbuminurie unter 130 zu 80
    nismen an, sodass eine Kenntnis der Pathogenese des Typ 2-         mmHg. Von niedrigeren Zielwerten als 130-135 zu 80 mmHg ist
    Diabetes für eine rationale Therapie unabdingbar ist.              prinzipiell abzuraten.

    Insulinresistenz, gestörte Insulinsekretion und erhöhte Glukose-   Das LDL-Cholesterin sollte unter 70 mg/dl gesenkt werden,
    produktion der Leber sind die wesentlichen pathogenetischen        was in den meisten Fällen mit potenten Statinen erreicht wer-
    Merkmale des Typ 2-Diabetes. In letzter Zeit konnten ebenfalls     den kann. Liegt ein kardiovaskuläres Ereignis vor, ist ein LDL-
    eine erhöhte Rückresorption von Glukose in der Niere und eine      Cholesterin von unter 55 mg/dl anzustreben. Es gibt keinen
    verminderte Wirkung von Inkretinen bei Menschen mit Diabe-         schädlichen unteren Grenzwert für LDL-Cholesterin, sodass ein
    tes mellitus gefunden werden, welche aber eher als Folge denn      möglichst niedriger Spiegel angestrebt werden sollte. Bei Trigly-
    als Ursache der Hyperglykämie anzusehen sind. Neben der            zeriden über 200 mg/dl stellt das Non-HDL-Cholesterin einen
    genetischen Prädisposition, die besonders bei der gestörten        wichtigen Zielwert dar: Er sollte unter 100 mg/dl liegen. Auf
    Insulinsekretion zum Tragen kommt (nicht jedes Insulin-resi-       Grund der Evidenz stellen Statine die erste Wahl der Therapie
    stente Individuum entwickelt einen Diabetes mellitus), spielt      dar. Thrombozytenaggregationshemmer werden in der kardio-
    die viszerale Fettakkumulation eine wichtige Rolle bei der Ent-    vaskulären Sekundärprävention verordnet.

    30                                                                                 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T

Schulung                                                          dauertraining. Die Umsetzung dieser Ratschläge ist bei den
                                                                  meist übergewichtigen beziehungsweise adipösen Diabetikern
Nur der geschulte Diabetiker kann als Partner der behandeln-      in Anbetracht lang gewohnter Usancen relativ schwierig. Daher
den Ärzte, Diätologen und Diabetesberater fungieren. Die Schu-    gilt es, einfach zu befolgende Maßnahmen zu empfehlen. Hierzu
lung bedingt daher ein Zusammenspiel dieser Berufe – entwe-       eignet sich zum Beispiel Nordic-Walking als gute Methode zum
der individuell oder in Gruppen – und ist daher zeitaufwendig     Einstieg in einen körperlich aktiven Lebensstil. Prinzipiell wird
sowie personalintensiv. Strukturierte Behandlungsformen wie       in den ÖDG-Leitlinien ein Umfang mit mittlerer Intensität von
Disease Mangement Programme (Therapie Aktiv) sind eine            ≥ 150 min pro Woche beziehungsweise mit höherer Intensität/
wirksame Hilfe bei der Betreuung von Patienten mit Diabetes       Regelmäßigkeit von ≥ 75 min pro Woche ≥ dreimal pro Woche
mellitus. Dieses Modell umfasst drei Ebenen – den Hausarzt,       empfohlen. Zusätzlich sollte mehr als zweimal wöchentlich ein
die Diabetes-Ambulanz beziehungsweise niedergelassene             Krafttraining erfolgen. Ein Rauchstopp ist unbedingt anzustre-
Endokrinologen und den stationären Bereich. Die Betreuung         ben, da inhalatives Rauchen nicht nur die Entwicklung eines
von Menschen, die an Typ 2-Diabetes leiden, obliegt prinzipiell   Diabetes mellitus, sondern auch das Auftreten und die Progres-
Allgemeinmedizinern, die in spezifischen Situationen (Thera-      sion von makro- und mikrovaskulären Erkrankungen fördert.
pieversagen, Spätschäden, Schwangerschaft) auf Ressourcen im
ambulanten beziehungsweise stationären Bereich zurückgrei-        Medikamentöse Therapie
fen können. Dieses Modell kann aber nur dann funktionieren,
wenn entsprechende fachliche und zeitliche Ressourcen vor-        In letzte Zeit konnte das Spektrum der zur Verfügung stehen-
handen sind. Es gilt, neue Modelle der Diabetesversorgung zu      den Medikamente zur Behandlung des Typ 2-Diabetes wesent-
entwickeln, um die hohe Morbidität und Mortalität von Diabe-      lich erweitert werden; zudem erfolgte eine Neubewertung von
tes mellitus-Patienten in Österreich zu vermindern.               etablierten Substanzen. Tab. 2 gibt einen Überblick über die
                                                                  zusätzlich zur medikamentösen Basistherapie mit Metformin
Lebensstilintervention                                            verwendeten Antidiabetika (ohne Insulin). Die Empfehlungen
                                                                  beziehen sich auf die ÖDG-Leitlinien, aus denen teilweise wort-
Die Basis der Diabetes-Therapie umfasst ernährungsmedizi-         wörtlich zitiert wird.
nische Ansätze sowie eine gesteigerte körperlichen Aktivität.
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft hat die Leitlinien      Metformin senkt das HbA1c um etwa 1,5 Prozent und stellt
zur Ernährung 2019 aktualisiert (www.oedg.org). Es han-           aufgrund von positiven Daten bezüglich der Reduktion kar-
delt sich dabei um die Implementierung einer mediterranen         diovaskulärer Erkrankungen seit der Publikation der UKPD-
Ernährung, die man sowohl in der Prävention als auch in der       Studie die medikamentöse Ersttherapie in der Behandlung
Therapie des Typ 2-Diabetes als effektiv bezeichnet kann. Die     des Typ 2-Diabetes dar. Obwohl diese Daten nur bei adipösen
mediterrane Ernährung ist reich an Ballaststoffen, Gemüse,        Patienten erhoben wurden, bezieht sich die Empfehlung der
fettarmen Eiweißquellen (Fisch) und einfach- beziehungs-          diabetologischen Fachgesellschaften zum first-line Einsatz fak-
weise mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Lediglich bezüg-         tisch auf alle Typ 2-Diabetiker. Dies erscheint auch in Anbe-
lich der Kohlenhydratzufuhr ist auf den glykämischen Index        tracht der Auswertung von Kohortenstudien, die außerdem
zu achten, der den Blutzucker- und schließlich Insulinanstieg     eine geringere Krebsinzidenz unter Metformin zeigen, gerecht-
berücksichtigt. Hier fällt vor allem ein übermäßiger Konsum       fertigt. Gelegentlich kommt es zu Magenbeschwerden und
von Obst beziehungsweise Fruchtsäften und Weißmehlpro-            Durchfall; dann muss der Wirkstoff reduziert oder abgesetzt
dukten ins Gewicht, die eine oft übersehene Quelle an hyper-      werden. Es empfiehlt sich auf jeden Fall eine einschleichende
glykämisch wirksamen Nahrungsbestandteilen darstellen. Ziel       Dosierung. Metformin darf bei Patienten mit geschätzter glo-
ist außerdem die Normalisierung des Körpergewichts, wobei         merulärer Filtrationsrate (eGFR) zwischen 30-45ml/min/1,73
man sich realistischer Weise mit dem Erreichen eines BMI          m2 bei Fehlen von anderen Risikofaktoren für Laktat-Azidosen
von unter 27 kg/m2 zufriedengeben wird. Obwohl der günstige       in einer Dosierung von 1.000 mg täglich – in zwei Dosen auf-
Effekt einer strukturierten Lebensstil-Intervention in Bezug      geteilt – angewandt werden. Die glomeruläre Filtrationsrate
auf die Diabeteseinstellung erwiesen ist, zeigen allerdings       sollte zumindest alle drei bis sechs Monate kontrolliert wer-
Langzeitdaten einen wenig nachhaltigen Effekt. Daher ist bei      den. Bei interkurrierenden schweren Erkrankungen (schwe-
der medikamentösen Diabetestherapie gewichtsreduzierenden         re Infektionen) sowie bei Diarrhoe und Exsikkose sowie der
Antidiabetika der Vorzug zu geben.                                Applikation von jodhaltigen Kontrastmitteln soll Metformin
                                                                  vorübergehend pausiert werden. Die Metformin-Therapie
Die Steigerung der körperlichen Aktivität umfasst nicht nur die   wird üblicherweise bei der Zugabe von weiteren oralen Anti-
Alltagsbewegung, sondern auch ein gezieltes Kraft- und Aus-       diabetika im Sinne einer Kombinationstherapie beibehalten.          »

17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG                                                                           31
Diabetes mellitus Typ 2

»   Der Insulinsensitizer Pioglitazon verbessert die Empfindlich-                               nämie bedingte Gewichtszunahme. Das gehäufte Auftreten von
    keit von Muskel- und Fettgewebe gegenüber Insulin und somit                                 Hypoglykämien steht mit einem erhöhten Risiko für den plötz-
    den Blutzucker über die Aktivierung des nukleären Faktors                                   lichen Herztod in Verbindung. Außerdem mehren sich Hinweise,
    PPARγ. Neben einer guten Wirkung auf den Blutzucker (Senkung                                dass Sulfonylharnstoffe im Vergleich zu anderen Substanzen mit
    des HbA1c um 1,5 Prozent) und einem fehlenden Hypoglykämie-                                 einer erhöhten Krebsinzidenz assoziiert sind. Dies lässt sich am
    Potential findet sich auch ein günstiger Effekt auf die nicht-alko-                         ehesten durch die Hyperinsulinämie erklären, die zwar nicht die
    holische Steatohepatitis (NASH). Von den bisher untersuchten                                Krebsentstehung, jedoch das Tumorwachstum fördert. Aus die-
    Substanzen dürfte Pioglitazon – eventuell auch Metformin – als                              sen Gründen gibt es zunehmend Bedenken über den Einsatz von
    einzige Substanz die Progression eines Diabetes mellitus verzö-                             Sulfonylharnstoffen in der Diabetes-Therapie. Allerdings erwie-
    gern. Dazu passen auch die positiven Daten in der Diabetes-Prä-                             sen sich Gliclazid in der ADVANCE-Studie und Glimepirid im
    vention. In der PROACTIVE-Studie wurde außerdem eine Ver-                                   Vergleich zu Linagliptin in der CAROLINA-Studie als sicher. Die
    minderung des Auftretens von kardiovaskulären Erkrankungen                                  Sulfonylharnstoffe dürften sich auch in ihrem Nebenwirkungs-
    beobachtet. Dies mag durch eine Erhöhung des HDL-Choleste-                                  profil unterscheiden, da in der GUIDE-Studie unter Gliclazid im
    rins oder durch spezifische pleiotrope Effekte bedingt sein. Die                            Vergleich zu Glimepirid seltener Hypoglykämien auftraten.
    IRIS-Studie (Insuline Resistance Intervention after Stroke) zeigte
    eine Reduktion des Risikos für das neuerliche Auftreten eines                               Sitagliptin, Vildagliptin, Saxagliptin, Linagliptin und Alogliptin
    Schlaganfalls bei einer nicht-diabetischen Patientenkohorte;                                zählen zur Substanzklasse der DPP-4 (Dipeptidyl-Peptidase)
    außerdem wurde das Diabetesrisiko verringert. Pioglitazon, der                              Hemmer oder Gliptine und vermindern das HbA1c um 0,5 bis
    einzige Vertreter dieser Klasse, führt gelegentlich zur Flüssigkeits-                       1 Prozent. Ihre Wirkung besteht in der Hemmung des Abbaus
    retention mit dem Auftreten von Beinödemen und bei bestehen-                                von Inkretinen (vor allem Glukagon-like peptide 1, GLP-1), Dies
    der Herzinsuffizienz gegebenenfalls zum Lungenödem. Ebenso                                  führt nach der Nahrungszufuhr in Abhängigkeit vom Glukose-
    wurde über ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Makula-                              spiegel zur Stimulierung der Insulinsekretion und Supprimierung
    ödems berichtet. Außerdem gibt es Hinweise für eine erhöhte Kno-                            der Glukagonsekretion mit konsekutiv verminderter hepatischer
    chenfrakturrate, sodass dieses Medikament besonders bei post-                               Glukoseproduktion. In Vergleichsstudien mit Sulfonylharnstoffen
    menopausalen Frauen nur mit Vorsicht eingesetzt werden soll.                                sind sie bezüglich der glykämischen Wirksamkeit gleichwertig;
                                                                                                führen jedoch zu keinen Hypoglykämien. Außerdem haben sie
    Sulfonylharnstoffe und Glinide fördern die Glukose-unabhän-                                 keinen Einfluss auf das Körpergewicht. Bezüglich der Wirksam-
    gige Freisetzung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse und                                 keit besteht zwischen den einzelnen Vertretern dieser Substanz-
    vermindern das HbA1c um ein bis zwei Prozent. Es besteht die                                gruppe kein Unterschied. Bis auf Linagliptin werden sie vorwie-
    Gefahr für Hypoglykämien sowie für eine durch die Hyperinsuli-                              gend renal ausgeschieden, sodass die Dosis außer bei Linagliptin

      Tab. 2: Kombinationstherapie mit Metformin*

          Substanzklasse                   Pioglitazon                   DPP-4 Hemmer                      GLP-1 Agonist                         SGLT-2 Hemmer
         Patientenphänotyp         Insulinresistenz im               Sekretionsdefekt im              Adipositas, Sekretions-         Übergewicht bzw. Adipositas,
                                   Vordergrund (Viszerale            Vordergrund                      defekt im Vordergrund,          Hypertonie, kardiovaskuläres Vor-
                                   Fettverteilung, NASH)                                              kardiovaskuläres                ereignis, Herz-/Niereninsuffizienz
                                                                                                      Vorereignis
         Kein Einsatz bei          Osteoporose-Gefähr-      St.p. Pankreatitis, Herz-                 St.p. Pankreatitis,             Rezidivierenden Harnwegsin-
                                   dung, Gefahr der Herzin- insuffizienz (Saxagliptin)                Gastroparese                    fekten bzw. genitalen Candida-
                                   suffizienz, Makulaödem                                                                             Infektionen, Vorsicht bei Kombi-
                                                                                                                                      nation mit Insulintherapie (eugly-
                                                                                                                                      kämische Ketoazidose)
         Vorteile                  Betazell-Protektion,              Nebenwirkungsarm                 Gewichtsreduktion,              Gewichtsreduktion, Blutdruck-
                                   kardiovaskulär protektiv                                           Verminderung von                senkung, gute Wirksamkeit in
                                   bei St.p. Myokardinfarkt                                           Blutdruck und Lipiden,          Kombination mit Insulin
                                   bzw. Insult, günstige                                              kardiovaskulär protektiv
                                   Beeinflussung der NASH
         Unerwünschte              Gewichtszunahme,         Ev. erhöhtes Risiko                       Übelkeit, Erbrechen             Harnwegsinfekte, genitale
         Wirkungen                 Ödeme, Herzinsuffizienz, bei Herzinsuffizienz                                                      Candida-Infektionen
                                   Frakturen, Makulaödem (Saxagliptin)
      * Hauptcharakteristika von Medikamenten beziehungsweise zum Einsatz als First-line Therapie bei Metformin-Unverträglichkeit beziehungsweise Metformin-Kontraindikation

    32                                                                                                                ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T

bei Niereninsuffizienz reduziert werden muss. Nebenwirkungen       bei Frauen gehäuft Pilzerkrankungen im Genitalbereich, sel-
treten faktisch nicht auf. Vorsicht ist geboten beim Einsatz von   tener Harnwegsinfekte auf. Vorsicht ist bei der Kombination mit
Saxagliptin bei Patienten mit Herzschwäche. In Endpunktstudien     Insulin geboten, da es bei einer Senkung der Insulindosis zum
konnten die Vertreter dieser Substanzklasse zwar die kardiovas-    Auftreten einer euglykämischen Ketoazidose kommen kann.
kuläre Sicherheit belegen; allerdings konnten keine diesbezüg-     Diese kann auch bei schweren Erkrankungen auftreten, sodass
lichen Vorteile gezeigt werden.                                    diese Medikamente – ebenso wie übrigens RAAS-Hemmer und
                                                                   Metformin – pausiert werden müssen. Sämtliche untersuchte
Inkretin-Mimetika oder GLP-1 Agonisten (Exenatid, Lira-            Substanzen belegen eine Verminderung der Hospitalisierung
glutid, Lixisenatid, Dulaglutid, Semaglutid) sind durch Modi-      infolge einer Herzinsuffizienz. Für Empagliflozin und Canagli-
fikation der Struktur resistent gegen den Abbau durch DPP-4        flozin liegen positive Daten hinsichtlich einer Verminderung
und entfalten durch ihre Homologie mit natürlichem GLP-1           des kombinierten kardiovaskulären Endpunkts (MACE) vor; für
ihre Wirkung durch Bindung an den GLP-Rezeptor. Sie müssen         Empagliflozin und Dapagliflozin (hier bei Personen mit Herz-
einmal (Liraglutid, Lixisenatid) bis zweimal täglich (Exenatid)    insuffizienz) auch hinsichtlich der kardiovaskulären Mortalität
beziehungsweise einmal wöchentlich (Dulaglutid, Semaglutid,        sowie der Gesamtmortalität. Alle SGLT2-Hemmer sind renopro-
Exenatid LAR) subkutan injiziert werden. Semaglutid kann auch      tektiv im Sinne der Progression der diabetischen Nephropathie.
oral einmal täglich appliziert werden. Neben einer stärkeren       Die ÖDG empfiehlt die frühzeitige Kombination von SGLT2-
Blutzucker-senkenden Wirksamkeit im Vergleich zu DPP-4             Hemmern mit Metformin für Patienten mit einer Herzinsuffizi-
Hemmern (HbA1c-Senkung um ein bis zwei Prozent) führen sie         enz beziehungsweise einer Niereninsuffizienz sowie nach kardi-
zu einem moderaten Gewichtsverlust und einer Verbesserung          ovaskulären Ereignissen.
des Blutdrucks und der Lipide, ohne Hypoglykämien zu verur-
sachen. An Nebenwirkungen finden sich gelegentlich Übelkeit        Rationale Kombinationsstrategien
und Erbrechen, die jedoch mit der Zeit an Intensität und Auftre-
ten geringer werden. Sowohl für die Verabreichung von GLP-1        Die Basis der medikamentösen Diabetes-Therapie bei Verträg-
Rezeptoragonisten als auch von DPP-4 Hemmern wurde – teil-         lichkeit und normaler Nierenfunktion stelllt Metformin dar. Ist
weise im Tierversuch – ein möglicher Zusammenhang mit dem          die Erweiterung des antidiabetischen Spektrums in Kombina-
Auftreten von Pankreatitiden suspiziert. Diese Nebenwirkung        tion mit anderen Medikamenten notwendig, wird Metformin
konnte jedoch in den bisherigen Studienprogrammen und im           beibehalten. In Abb. 1 sind die Möglichkeiten der Leitlinien-kon-
Rahmen der Pharmakovigilanz nicht bestätigt werden. Für die        formen Kombination dargestellt. Liegen kardiovaskuläre Erkran-
meisten GLP-1 Rezeptoragonisten liegen positive kardiovas-         kungen beziehungsweise Risikokonstellationen und nephrolo-
kuläre Endpunktstudien bei Patienten mit kardiovaskulären          gische Erkrankungen vor, ist gemäß den Ergebnissen der neuen
Erkrankungen vor; unter Liraglutid und Semaglutid kam es zu        Endpunktstudien eine entsprechende Priorisierung der Subs-
einer Senkung der Gesamtmortalität. Unter Dulaglutid konnte        tanzen vorzunehmen. Die Blutzucker-senkende Wirksamkeit
der kardiovaskuläre Endpunkt auch in einer Population ohne         ist bei allen Kombinationspartnern mit Ausnahme der GLP-1
Vorereignisse, sondern lediglich mit einem hohen Risiko für        Analoga, die etwas stärker wirken, annähernd gleich. Die Wahl
atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen vermindert         des zweiten Antidiabetikums wird durch phänotypische Merk-
werden. Daher empfiehlt die ÖDG die frühzeitige Kombination        male wie Adipositas oder Überlegungen bezüglich zusätzlicher
dieser Substanzgruppe mit Metformin bei Patienten mit vorbe-       Vorteile wie kardiovaskulär günstiger oder nephroprotektiver
stehenden kardiovaskulären Erkrankungen beziehungsweise            Effekte oder dem Vorliegen von Endpunktstudien beeinflusst.
bei solchen mit einem hohen diesbezüglichen Risikoprofil.          Entsprechend der komplementären Wirkweise können diese
                                                                   Medikamente auch in Triple-Kombinationen angewandt wer-
Die SGLT-2 (sodium-glucose co-transporter-2) Inhibitoren           den, wobei SGLT-2 Inhibitoren in allen Kombinationsstrategien
oder Gliflozine (Empagliflozin, Dapagliflozin, Canagliflozin       additiv wirksam sind.
und Ertugliflozin) hemmen die Rückresorption von Glukose im
proximalen Tubulus und führen zur Glukosurie im Ausmaß von         Insulintherapie
70 g. Dies entspricht einem Verlust von zirka 280 kcal pro Tag.
Neben der antihyperglykämischen Wirksamkeit (HbA1c-Sen-            Kann durch eine Kombination von oralen Medikamenten
kung von 0,5 bis 1 Prozent) wird das Körpergewicht um circa drei   beziehungsweise GLP-1 Analoga das individuell vereinbarte
Kilogramm und der Blutdruck um 2-4 zu 1-2 mmHg gesenkt. Ein        glykämische Ziel nicht erreicht werden, ist die Einleitung einer
wesentlicher Vorteil dieser Substanzgruppe besteht darin, dass     Insulintherapie indiziert, welche das HbA1c im Schnitt um zwei
sie mit allen bereits verfügbaren Diabetes-Medikamenten kom-       Prozent reduziert. Die häufigsten Hindernisse für die zeitgerechte
biniert werden können. An Nebenwirkungen treten vor allem          Einleitung einer Insulintherapie sind Gewichtszunahme, Hypo-         »

17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG                                                                             33
Diabetes mellitus Typ 2

    Abb. 1: Leitlinien-gerechte Stufentherapie des Diabetes mellitus Typ 2

                                                    Lebensstilmodifizierende Therapie – Gewichtsmanagement, körperliche Aktivität
                                                                                             +
                                                              Metformin als Basistherapie (wenn keine Kontraindikationen)

                                                                                                                        Keine bekannte kardiovaskuläre Erkrankung
         Anamnestisch bekannte kardiovaskuläre Erkrankungen oder chronische Niereninsuffizienz
                                                                                                                            oder chronische Niereninsuffizienz

         Kardiovaskuläre Erkrankung im Vordergrund                             Herzinsuffizienz oder chro-         Minimierung des Risikos für Hypoglykämien
         – Nachgewiesene atherosklerotische kardiovaskuläre                    nische Niereninsuffizienz
           Erkrankung                                                          im Vordergrund
                                                                                                                     DPP-4           GLP1-           SGLT2-
         – Hohes Risiko für eine atherosklerotische kardiovaskuläre                                                                                                 Pioglitazon
                                                                                                                    Hemmer          Analoga         Hemmer
           Erkrankung (Alter >= 55 Jahre und eines der folgenden Kriterien
                                                                               SGLT2-Hemmer mit Evidenz zur
           • linksventrikuläre Hypertrophie
                                                                               Reduktion von Herzinsuffizienz
           • > 50 % Stenose der Koronarien, Karotiden oder Beinarterien                                                           HbA1c über dem Zielbereich
                                                                               und/oder Progression einer
           • eGFR < 60 ml/min/1,73 m2
                                                                               chronischen Niereninsuffizienz
           • Albuminurie
                                                                                                                                                    GLP-1 RA        SGLT2-H
                                                                               Wenn eine SLGT-2 Hemmer-             SGLT2-H         SGLT2-H           oder            oder
         GLP-1 Analogon mit                 SGLT2-Hemmer mit kardio-           therapie nicht möglich ist             oder            oder         DPP-4 Hem-      DPP-4 Hem-
         kardiovaskulärem Benefit           vaskulärem Benefit solange         (Kontraindikation, Unverträg-       Pioglitazon     Pioglitazon      mer oder        mer oder
                                            die eGFR die Verschreibung         lichkeit, eGFR), dann GLP-1                                         Pioglitazon      GLP-1 RA
                                            zulässt.                           Rezeptoragonist mit kardio-
                                                                               vaskulärem Benefit
                                                                                                                                  HbA1c über dem Zielbereich
                           HbA1c über dem Zielbereich
                                                                                HbA1c über dem Zielbereich
                                                                                                                    Therapieeskalation mit einem weiteren Wirkmechanismus
         Medikament mit dokumentierter kardiovaskulärer Sicherheit
                                                                               Medikament mit dokumentierter
         GLP-1 Analogon, SGLT-2 Hemmer
                                                                               kardiovaskulärer Sicherheit                        HbA1c über dem Zielbereich
         DPP-4 Hemmer falls kein GLP-1 Analogon
         Basalinsulin                                                          GLP-1 Analogon
         Pioglitazon                                                           DPP-4 Hemmer (nicht                           Therapieeskalation mit Basalinsulin oder
         Sulfonylharnstoff                                                     Saxagliptin) falls kein GLP-1                       moderner Sulfonylharnstoff
                                                                               Analogon
                                                                               Basalinsulin
                                                                               Sulfonylharnstoff

      Bei Neudiagnose sollte bei einem HbA1c > 9,0 Prozent (75 mmol/mol) eine Kombinationstherapie begonnen werden
      Transfer in ein Krankenhaus bzw. zu einem Spezialisten bei symptomatischer Hyperglykämie/metabolischer Dekompensation

    Aus: Leitlinien für die Praxis (www.oedg.org)

» glykämien und ein vermutlich erhöhtes Tumorrisiko beziehungs-                                   blutzuckers und somit auch des HbA1c führt. Bei allen Nach-
  weise die Ablehnung subkutaner Injektionen. Es stehen jedoch                                    teilen einer Insulintherapie sollte jedoch bedacht werden,
  verschiedene Schemata der Insulintherapie zur Verfügung, die                                    dass der Einsatz von Insulin meist dann erfolgt, wenn die
  individuell an die Bedürfnisse des Patienten, seine Komorbidi-                                  Diagnose zu spät gestellt wird.
  täten und nicht zuletzt die Prognose angepasst werden müssen.
  Prinzipiell gilt, dass die Möglichkeit der Zielwerterreichung vor                               Bariatrische/Metabolische Chirurgie
  allem in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung mit der Kom-
  plexität des Insulintherapieschemas zunimmt:                                                    Patienten mit morbider Adipositas (BMI über 40 kg/m2) wei-
  • BOT (Basalinsulin unterstützte Orale Therapie)                                                sen eine hohe Zahl an Begleiterkrankungen und eine vermin-
  • Konventionelle Insulintherapie (zwei bis dreimal täglich                                      derte Lebenserwartung auf. Die Gewichtsreduktion durch
     Mischinsulin(analogon)                                                                       bariatrische Eingriffe vermag nicht nur das Körpergewicht
  • Konventionell-intensivierte Insulintherapie (getrennte Verab-                                 stark zu senken, sondern vermindert auch Komorbiditäten
     reichung von Basal- und Prandialinsulin)                                                     und vor allem bei Diabetikern die Mortalität. Die am häu-
  • Funktionelle oder Basis-Bolus-Insulintherapie                                                 figsten verwendeten Eingriffe sind der Magenbypass und die
                                                                                                  Sleeve-Gastrektomie. Erstere kombiniert restriktive und mal-
  Bei der Wahl des Präparats wird aufgrund der physiologi-                                        absorptive Mechanismen. Beide Methoden verändern die
  scheren Pharmakokinetik vorwiegend auf Insulin-Analoga                                          Konzentration und das Sekretionsmuster von Hunger- und
  zurückgegriffen. Die ÖDG-Leitlinien empfehlen als Einstieg                                      Sättigungsfaktoren, sodass sich ein von der Gewichtsredukti-
  in die Insulintherapie die BOT, die von den Betroffenen eher                                    on unabhängiger Effekt auf den Glukosestoffwechsel findet.
  akzeptiert wird und zu einer guten Senkung des Nüchtern-                                        In einem Kollektiv der Klinik Landstraße führte die Magen-

                                                                                                                   ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T

bypass-Operation bei 73 Prozent der Betroffenen nach fünf             daher bei Verschlechterung der Nierenfunktion abgesetzt wer-
Jahren zur Diabetes-Remission. Daher empfehlen die entspre-           den; außerdem muss es vor Operationen und Untersuchungen
chenden Fachgesellschaften bei Patienten mit Diabetes mel-            mit Kontrastmittel wegen der Gefahr einer Niereninsuffizienz
litus ab einem BMI von über 35 kg/m2 die bariatrische Ope-            pausiert werden. Sulfonylharnstoffe, Glinide und alle DPP-4
ration als therapeutische Option. Besonders wichtig sind die          Inhibitoren mit Ausnahme von Linagliptin müssen in ihrer
präoperative Evaluation und die ernährungsmedizinische und            Dosis reduziert werden. GLP-1 Analoga können teilweise bis
internistische Nachsorge, da diese Operationen einer lebens-          zu einer GFR von 15 ml/min eingesetzt werden. Pioglitazon
langen Substitution von Vitaminen, Mikronährstoffen und               und Linagliptin können bei Niereninsuffizienz ohne Dosis-
gegebenenfalls Eisen und Eiweiß bedürfen. In diesem Sinne             Adaptierung weitergegeben werden. Die SGLT-2 Hemmer
sollten Patienten nur in Zentren mit ausreichender Erfahrung          verlieren ihre antihyperglykämische Wirksamkeit bei zuneh-
und entsprechender Infrastruktur behandelt werden.                    mender Niereninsuffizienz.

Neue Entwicklungen                                                    Herzinsuffizienz: Pioglitazon kann – vor allem in Kombination
                                                                      mit Insulin – zur Flüssigkeitsretention und Ausbildung von Öde-
In näherer Zukunft ist mit der Einführung von dualen                  men führen. Daher ist sein Einsatz bei Patienten mit Herzinsuf-
Rezeptoragonisten zu rechnen, die zusätzlich zum GLP1-                fizienz kontraindiziert. In der SAVOR-TIMI 53-Studie fand sich
Rezeptor auch den Glucagon- beziehungsweise GIP (glucose              für Saxagliptin eine 27-prozentige Erhöhung der stationären
dependent insulinotropic polypeptide) Rezeptor stimulieren.           Aufenthalte wegen Herzinsuffizienz. Dieser Befund kann durch
Die vorliegenden Daten belegen eine hervorragende anti-               den Wirkmechanismus nicht erklärt werden. Ebenso kann die-
hyperglykämische Wirksamkeit sowie eine eindrucksvolle                ses Phänomen in Studien mit anderen DPP-4 Hemmern nicht
Senkung des Körpergewichts. Die Pipeline für neue antidia-            bestätigt werden.
betische Medikamente ist äußerst umfassend; es wäre höchst
spekulativ, hier weitere besonders hoffnungsvolle Produkte            Zusammenfassend konnte in den letzten Jahren durch die
herauszugreifen. In nächster Zukunft ist auch zu erwarten,            Ergebnisse von relevanten Studien und der Verfügbarkeit inno-
dass die punktuelle Blutzucker-Selbstmessung durch die                vativer Medikamente beziehungsweise Therapieschemata eine
kontinuierliche Gewebszucker-Messung abgelöst wird. Die-              deutliche Verbesserung der Behandlung von Menschen, die an
se bietet mehr Informationen wie die „time-in-range“ für die          Diabetes mellitus leiden, und deren Lebenserwartung erzielt
glykämische Einstellung sowie Möglichkeit zur Alarmierung             werden. Auf Grund der Vielzahl der antidiabetischen Medika-
bei Glukosespiegeln außerhalb eines definierten Bereichs.             mente ist eine individuelle Therapie, die auf den pathophysio-
Außerdem ist damit zu rechnen, dass bei komplexen Insulin-            logischen Phänotyp der Patienten sowie auf ihre Lebensqualität
therapien die Pumpentechnologie auch bei Menschen mit                 Rücksicht nimmt, möglich. Dieser Umstand bedingt allerdings
Typ 2-Diabetes Einzug hält.                                           eine zunehmende Komplexität der Diabetes-Therapie mit der
                                                                      Notwendigkeit einer intensiven Weiterbildung beziehungsweise
Fallgruben bei Diagnose und Therapie                                  Spezialisierung. ◉
Die Diagnose eines des Typ 2-Diabetes bereitet in der Regel keine
wesentlichen Schwierigkeiten. Es sind lediglich die Differentialdi-   Literatur beim Verfasser
agnosen bezüglich des Diabetes-Typs hinsichtlich der Therapie
und des Verlaufs der Erkrankung zu bedenken. Auf jeden Fall           *) Univ. Prof. Dr. Bernhard Ludvik,
sollte bei auch nur einem typischen Symptom eine Abklärung            1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie
im Hinblick auf Diabetes mellitus mit Blutzuckermessung und           und Nephrologie, Klinik Landstraße, Juchgasse 25, 1030 Wien;
HbA1c-Bestimmung erfolgen. Eine Risikoeinschätzung bezie-             E-Mail: bernhard.ludvik@gesundheitsverbund.at
hungsweise ein zusätzliches Instrument zur Diagnostik bietet der
orale Glukosetoleranztest mit 75 g, bei dem der Blutzucker unbe-      Lecture Board
dingt aus dem venösen Plasma bestimmt werden muss.                    Univ. Prof. Dr. Peter Fasching
                                                                      5. Medizinische Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und
Die wegen der Komorbiditäten notwendige Polypharma-                   Akutgeriatrie, Wiener Gesundheitsverbund, Klinik Ottakring, Wien
zie der Menschen, die an Diabetes mellitus leiden, erfordert          Univ. Prof. Dr. Rudolf Prager
neben der Kenntnis der Kontraindikationen auch ein umfas-             3. Medizinische Abteilung für Stoffwechselmedizin und Nephrologie,
sendes Wissen um Medikamenteninteraktionen. Besondere                 Krankenhaus Hietzing, Wien
Vorsicht ist geboten bei:
                                                                      Ärztlicher Fortbildungsanbieter
Niereninsuffizienz: Metformin ist unter einer glomerulären            1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und
Filtrationsrate (GFR) von 30 ml/min kontraindiziert und muss          Nephrologie/Wiener Gesundheitsverbund Klinik Landstraße

17 | 10. September 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG
DFP-Literaturstudium:
                    Diabetes mellitus Typ 2

Im Rahmen des Diplom-Fortbildungs-
Programms der Österreichischen Ärztekammer                                                         1) Folgende Aussagen zu SGLT-2 Inhibitoren sind
                                                                                                   zutreffend: (zwei Antworten richtig)
ist es möglich, durch das Literaturstudium in
                                                                                                       a) Sie sind nephroprotektiv.
der ÖÄZ zwei Punkte für das DFP zu erwerben.
                                                                                                       b) Sie erhöhen die Gefahr einer Herzinsuffizienz.
Insgesamt müssen vier von sechs Fragen richtig                                                         c) Sie sind nach einem Herzinfarkt
beantwortet sein. Eine Frage gilt als korrekt                                                             kontraindiziert.
beantwortet, wenn alle möglichen richtigen                                                             d) Sie sollen bei interkurrenten Erkrankungen
Antworten markiert sind.                                                                                  pausiert werden.
                                                                                                   2) Folgende Aussagen zu GLP-1 Rezeptor-
Schicken Sie diese Seite bis 9. November 2020 an:                                                  agonisten sind zutreffend: (zwei Antworten richtig)
Verlagshaus der Ärzte GmbH, z. Hd. Claudia Chromy
                                                                                                       a) Sie können die Mortalität vermindern.
Nibelungengasse 13, 1010 Wien,
                                                                                                       b) Sie sind nur in der Sekundärprävention
Faxnummer: 01/376 44 86                                                                                   indiziert.
E-Mail: c.chromy@aerzteverlagshaus.at                                                                  c) Sie senken das Körpergewicht.
                                                                                                       d) Sie führen zu genitalen Candida-Infektionen.
        www.aerztezeitung.at/DFP-Literaturstudium                                                  3) Folgende Medikamente sind bei Herz-
                                                                                                   insuffizienz kontraindiziert: (zwei Antworten richtig)
                                                                                                       a) Pioglitazon
Bitte deutlich ausfüllen, da sonst die Einsendung
nicht berücksichtigt werden kann!                                                                      b) Saxagliptin
                                                                                                       c) SGLT2-Inhibitoren
Name:                                                                                                  d) Sulfonylharnstoffe
                                                                                                   4) Bei Vorliegen eines atherosklerotischen Ereig-
                                                                                                   nisses sind für folgende Medikamente nach der
ÖÄK-Arztnummer:                                                                                    Erstlinien-Therapie mit Metformin kardiovasku-
                                                                                                   läre Vorteile zu erwarten: (drei Antworten richtig)
Adresse:
                                                                                                       a) SGLT2-Hemmer
                                                                                                       b) Sulfonylharnstoffe
                                                                                                       c) GLP1-Rezeptoragonisten
                                                                                                       d) Pioglitazon
E-Mail-Adresse:
                                                                                                   5) Bei Patienten mit Typ 2-Diabetes mit einer
                                                                                                   GFR zwischen 15 und 30 ml/min sollen folgende
                                                                                                   Medikamente nicht verordnet werden:
                                                                                                   (zwei Antworten richtig)

Zutreffendes bitte ankreuzen:                                                                          a) Pioglitazon
  Turnusarzt/Turnusärztin                                                                              b) Metformin
                                                    Zwei Drittel der Fragen richtig beantwortet:

  Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin                                                                     c) SGLT2-Inhibitoren
  Facharzt/Fachärztin für                                                                              d) GLP1-Rezeptoragonisten
                                                                                                   6) Bei folgenden Medikamenten kann eine
                                                                                                   Gewichtsreduktion erwartet werden:
  Ich besitze ein gültiges DFP-Diplom.                                                             (zwei Antworten richtig)
  Ich nutze mein DFP-Fortbildungskonto.                                                                a) SGLT-2 Hemmer
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                                                                                                       b) Pioglitazon
                                                                                                       c) GLP1-Rezeptoragonisten
Altersgruppe:
 < 30      31–40     41–50       51–60    > 60                                                         d) Insulin

36                                                                                                          ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 17 | 10. September 2020
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