Diagnose der digitalen Gesellschaft Diagnosis of the digital society - Zukunft menschlich gestalten Shaping a Humane Future - Uni Siegen
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Das Forschungsmagazin der Universität Siegen 01 / 19 University of Siegen Research Magazine Medien der Kooperation / Media of Cooperation Diagnose der digitalen Gesellschaft Diagnosis of the digital society Zukunft menschlich gestalten Shaping a Humane Future
Editorial »Veniet tempus quo ista quae nunc latent in lucem Ein wissbegieriger Geist liegt in dies extrahat et longioris der Natur des Menschen, das zeigt uns das Zitat von Seneca. Wissbegier ist der Motor für die gewissen hafte Suche nach Neuem. Forscherinnen und Forscher aeui diligentia.« der Universität Siegen stellen mit ihren vielfältigen Kompetenzen und ihrer intrinsischen Motivation ein außerordentlich reichhaltiges und kreatives Poten Prof. Dr. Peter Haring Bolívar tial dar. Gemäß dem Leitmotiv unserer Universität »Zukunft menschlich gestalten« setzen sie sich für eine verantwortbare und verantwortungsvolle, nach haltige Zukunft ein. An inquisitive mind lies in the Die Universität Siegen hat sich in den vergangenen human nature, as Seneca’s quote shows us. Jahren beeindruckend entwickelt. Wir können mit Curiosity is the motor for the conscientious Stolz auf Erreichtes zurückblicken und mit positiver search for the new. Researchers at the Uni Erwartung in die Zukunft schauen. Diese kreative versity of Siegen, with their wide-ranging Wirkungskraft, diese Begeisterung für die Suche nach skills and intrinsic motivation, represent an Neuem, möchten wir mit Ihnen teilen. Unser neues extraordinarily diverse and creative p otential. Forschungsmagazin future nimmt Sie deshalb mit According to the leitmotif of our univer »Die Zeit wird kommen, wenn durch in die Welt der Forschung hier in Siegen, mit zu den sity »Shaping a Humane Future«, they are Lucius Annaeus Seneca lange Zeit der Gewissenhaftigkeit, (4 a.C. – 65 d.C.), Menschen an unserer Universität. committed to a responsible and sustainable Naturales quaestiones VII future. das, was sich nun verbirgt, an das Licht wikimedia / Peter Paul Rubens Ich freue mich, Ihnen die erste Ausgabe von future präsentieren zu dürfen. Sie widmet sich schwer The University of Siegen has developed impres des Tages hervorgebracht wird.« punktmäßig dem tradierten Exzellenzbereich der sively in recent years. We can look back with Medienwissenschaft an unserer Universität, der seit pride on what we have achieved and into the der 1980er Jahre eine Inspiration für medienwis future with confident anticipation. We would »The time will come when diligent research senschaftliche Forschung auf internationaler Ebene like to share this energy, this enthusiasm for darstellt. research, with you. Our new research maga over long periods of time will bring to light zine future takes you into the world of research things which now lie hidden.« here in Siegen, to the people at our u niversity. I am delighted to be able to present the first issue of future to you. It focuses on the tradi Ihr / Yours tional field of excellence of media science at Prof. Dr. Peter Haring Bolívar our university, which has been an inspiration Prorektor Forschung und wiss. Nachwuchs for media science research on an international Vicerector for Research and Young Scientists level since the 1980s. 03
Inhalt / Contents Inhalt / Contents Medien der Kooperation / Media of Cooperation 32 Und sie wissen doch, was sie tun They do indeed know what 04 Diagnose der digitalen Gesellschaft they are doing Sind junge Menschen wirklich Digital Natives? Wie gut sind ihnen die Gefahren der digitalen Welt bekannt? Are young people really digital natives? Diagnosis of the digital society What is their degree of awareness of the dangers of Wie hat sich unsere Gesellschaft durch the digital world? digital vernetzte Medien verändert? Foto / Photo unsplash / Jay Wennington How has our society changed through digitally networked media? 12 »Medien waren schon immer sozial« 38 »Media have always Nach Facebook – was jetzt? been social« After Facebook – what’s next? Gastkommentator Geert Lovink sammelt an seinem Institut Erfahrungen mit alternativen Wenn die Oma gleichzeitig 18 sozialen Medien. Guest author Geert Lovink gathers experiences with alternative social media at his institute. da und nicht da ist Foto / Photo unsplash / Chien Nguyen Minh When grandma is here and not here at the same time ForscherInnen untersuchen, welche Rolle Smartphones in Familien mit kleinen Kindern spielen. Researchers are investigating the role Aus den Fakultäten / From the Schools of smartphones in families with small children. 40 Meine Doktorarbeit in einem Tweet 54 3 Fragen an … 68 Unsere Start-Ups Our Start-Ups Foto / Photo Dr. Bina Mohn My PhD in a Tweet Prof. Dr. Torsten Leutbecher 3 questions for … Gestern Uni, heute Yes we scan? Wer kontrolliert Prof. Dr. Torsten Leutbecher Weltmarktführer die Wächter der Daten? 24 Wie sicher sind unsere Brücken Yesterday uni, today world Yes we scan? Who watches the market leader in Deutschland? Die App zeigt, wo es kneift data watchmen? How safe are our bridges 74 Faktencheck Fact Check An app which shows 42 Universität und Gesellschaft University and Society in Germany? Stimmt es wirklich, dass …? where it hurts Der Wundverband wird digital 56 Streitgespräch Pro and Contra Is it really true, that …? WissenschaftlerInnen und ÄrztInnen entwickeln Wound dressings go digital Wenn Maschinen helfen sollen eine App, um Arbeitsabläufe im K rankenhaus When machines are supposed 48 Universität und Gesellschaft to help 76 Zahlen und Fakten zu erleichtern. Scientists and doctors are University and Society Facts and Figures developing an app to facilitate hospital workflows. 62 Universität und Wirtschaft Neue Schule, neuer Anfang! – 79 Media Mentions University and Business neue Enttäuschung? New school, new beginning! – Ein Stuhl zum Anziehen 80 AutorInnen A chair to wear Authors new disappointment? 81 Impressum Imprint 04 future 05
Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation Diagnose der digitalen Gesellschaft Diagnosis of the digital society R Page 09 AutorInnen / Authors Tanja Hoffmann & Tobias Treude Fotos / Photos Dirk Manderbach Foto / Photo iStock.com / PaulPaladin 06 future 07
Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation DE EN »Es gibt im Internet keine Hierarchiefreiheit.« »There is no freedom from hierarchies on the Internet.« Prof. Dr. Tristan Thielmann Wie hat sich unsere Gesellschaft durch digital vernetzte Medien verändert? Und wie lassen sich aktuelle Phänomene der digi talen Gesellschaft medientheoretisch erklären? Das untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Siegener Sonderforschungsbereich »Medien der Kooperation«. Sie gehen Weg von großen Einzelmedien, dabei davon aus, dass viele Praktiken unserer digitalen Zeit hin zu sozialen Medien gar nicht so neu sind, wie sie zunächst scheinen. Hintergrund zum SFB Die Medienpraktiken – also unseren alltäglichen Umgang mit Medien – möglichst detailliert zu erfor »Medien der Kooperation« schen, darum geht es den WissenschaftlerInnen am SFB • Sonderforschungsbereich 1187 der Deutschen »Medien der Kooperation«. Sie gehen dabei von einem Forschungsgemeinschaft infrastrukturell gefassten Medienbegriff aus, erklärt • Laufzeit der ersten Phase von 2016 bis 2019, Als Forschende der Universität Siegen Nachwuchsgruppenleiter Dr. Sebastian Gießmann: »Was Medien sind, hat sich in den letzten 15 bis Gesamtdauer bis zu zwölf Jahre • 14 Projekte in drei Projektbereichen: erstmals im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches 20 Jahren radikal verändert. Wir sprechen eigentlich Infrastrukturen, Öffentlichkeit, Praxistheorie (SFB) das Thema »Bildschirmmedien« erörterten, nicht mehr von Massenmedien, weil es die klassische • Mehr als 60 WissenschaftlerInnen feierte der spätere Facebook-Gründer Mark Zucker Adressierung einer massenmedialen Instanz an ein • Interdisziplinär: Medienwissenschaft, Ethnologie, berg gerade seinen zweiten Geburtstag. In der Alten großes, nationales Publikum so nicht mehr gibt.« Die Soziologie, Philosophie, Germanistik, Informatik Oper in Frankfurt stellte Frank Elstner den Amiga Nutzungsgewohnheiten hätten sich mit der Verbrei und Medizin sowie Geschichts-, Erziehungs-, 1000 vor – inklusive »Rollkugel-Eingabegerät«, heu tung des Internets massiv geändert. Die Entwicklung Rechts- und Ingenieurswissenschaften kommen tigen PC-NutzerInnen als »Maus« bekannt. Gefühlt weg von großen Einzelmedien wie dem Fernsehen hin zusammen hat sich die Welt der Medien seit damals – 1986 – auf zu den sogenannten »sozialen Medien« werfe auch • Vorstand: M.A. Kathrin Englert, Prof. Dr. Carolin Gerlitz den Kopf gestellt. War man einst zur Kommunikation für die Wissenschaft neue Fragen auf, sagt Gießmann: (stellv. Sprecherin), Dr. Sebastian Gießmann, an ein Telefon mit Kabel und zur Abendunterhaltung »Wir möchten herausfinden: Was sind denn eigentlich Prof. Dr. Tristan Thielmann (Sprecher), an den Fernseher gebunden, so läuft beides längst die viel grundlegenderen Vermittlungsprozesse und Prof. Dr. Jutta Wiesemann selbstverständlich über das Smartphone. Über den Praktiken, die unsere heutigen Mediengesellschaften neuesten Serienhit wird parallel zum Stream auf Twit erzeugen?« Background to the CRC Dr. Sebastian Gießmann ter diskutiert, während in einer Foto-App noch schnell Kontinuitäten auf. Haben wir unsere »Media of Cooperation« das Bild für Instagram aufgehübscht wird. Doch ist Urlaubsfotos früher noch entwickeln Die Siegener MedienwissenschaftlerInnen richten den ist Akademischer Rat am Medien • Collaborative Research Center 1187 of the diese Art mit Medien umzugehen, sind die digital ver lassen und anschließend mit Fotoecken Blick dabei insbesondere auch auf Medien, die ihre wissenschaftlichen Seminar der netzten Medien tatsächlich eine Besonderheit des in ein Album geklebt, so archivieren wir Disziplin lange Zeit eher vernachlässigt hat: Die so German Research Foundation (DFG) Universität Siegen und Leiter der Werkstatt Praxistheorie am Sonder 21. Jahrhunderts? Oder gab es Vergleichbares nicht Bilder inzwischen meist digital auf dem genannten »Arbeitsmedien«. Sie wurden und werden • First phase of funding from 2016 to 2019, forschungsbereich »Medien der schon viel früher, weit über den Amiga 1000 hinaus? Rechner. »Die Technik hat sich verän im professionellen Bereich zunächst für den Eigen total duration up to twelve years Kooperation«. Als wissenschaftlicher • 14 projects in three project sections: Solche und ähnliche Fragen ergründet an der Univer dert, aber die Idee dahinter ist immer bedarf und meist für sehr spezielle Zwecke entwickelt. Mitarbeiter beschäftigt er sich sität Siegen der 2016 gestartete Sonderforschungsbe noch dieselbe. Es geht darum, Bilder So hat beispielsweise das World Wide Web als wich Infrastructures, Publics, Practice Theory in einem der SFB-Forschungsprojekte mit digital vernetzten Medien reich »Medien der Kooperation«. zu sortieren und als Erinnerung aufzu tigste Anwendung des Internets ihren Ursprung am • More than 60 researchers systemen, speziell mit der Medien bewahren«, erklärt Thielmann. Häufig Kernforschungszentrum CERN: Die beteiligten inter • Interdisciplinary: Uniting media studies, geschichte des digitalen Bezahlens. Was wir mit Medien tun, hat sich nicht werde die Praktik, ein Fotoalbum zu nationalen WissenschaftlerInnen benötigten ein welt anthropology, sociology, philosophy, German is Senior Lecturer in the Media so sehr verändert erstellen, sogar mit digitalen Mitteln weit verbundenes Informationssystem, um zusammen language and literature studies, computer Studies Department at the University »rückübersetzt«: »Mit wenigen Klicks zuarbeiten und sich untereinander auszutauschen – in science and medicine, as well as history, of Siegen and Research Group Leader SFB-Sprecher Prof. Dr. Tristan Thielmann ist über lassen sich aus digitalen Bildern Alben diesem Zusammenhang wurde die erste Website pro education, jurisprudence and engineering within the Collaborative Research zeugt: So groß wie er zunächst scheint, ist der Unter erstellen, die dann als gebundene Foto grammiert. Auch viele andere, heute weit verbreitete • Executive board: Kathrin Englert M.A., Centre »Media of Cooperation«. As scientific researcher, he contri schied zwischen den analogen und unseren heutigen bücher gedruckt werden. Der Wunsch digitale Medienpraktiken wurden ursprünglich von Prof. Dr. Carolin Gerlitz (deputy speaker), butes to one of the CRC research Dr. Sebastian Gießmann, Prof. Dr. Tristan Thielmann digitalen Medien eigentlich gar nicht. Und auch die nach einem »klassischen« Fotoalbum, ProgrammiererInnen für den eigenen Austausch ent projects dealing with digitally (speaker), Prof. Dr. Jutta Wiesemann networked media systems, looking Art und Weise, wie wir mit diesen Medien umgehen in dem man blättern und das man ande wickelt – die E-Mail, das »Computer-Aided Design« specifically at the media history oder was wir mit ihnen tun – in der Wissenschaft als ren zeigen kann, ist nach wie vor da«, (CAD) oder das Weitergeben von Dateien via Filesha www.mediacoop.uni-siegen.de of digital payment methods. »Medienpraktik« bezeichnet – weist erstaunliche sagt Thielmann. ring sind nur einige Beispiele. p 08 future 09
Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation Main Topic / Media of Cooperation DE EN How has our society been changed by digitally networked media? And how can media theory help to explain current phenomena of the digital society? Those are questions to which researchers Medien moderieren unser tägliches Miteinander are seeking answers through the Siegen Collaborative Research When researchers at the University of Siegen first Die mit solchen Entwicklungen bis heute verbun discussed the topic of »screen-based media« within the framework of denen Helden-Narrative, denen zufolge das WWW Center »Media of Cooperation«. a Collaborative Research Center (CRC), Facebook founder Mark Zuck oder auch die E-Mail auf die geniale Idee eines ein erberg was just celebrating his second birthday. And at an event in the zelnen Erfinders zurückzuführen sind, seien falsch, Their assumption is that many Alte Oper in Frankfurt, TV presenter Frank Elstner had just unveiled the erklärt SFB-Sprecher Thielmann: »Medien entstehen practices typical for the d igital Amiga 1000 – together with a »rolling-ball input device«, better known immer gemeinschaftlich, eine Gruppe von Akteuren to today’s PC users as a »mouse«. It seems that the world of media has entwickelt sie und richtet sie für ihre Interessen und age are not actually as new been turned upside-down since those days in 1986. Where communica Zwecke ein.« MedienwissenschaftlerInnen sprechen as they may seem at first sight. tion was once bound to a telephone with a cable, and evening entertain daher davon, dass Medien »kooperativ verfertigt« ment to a television set, both have long since become standard functions sind. Gleichzeitig seien Medien ihrerseits Werkzeuge, of a smartphone. The latest hit series is discussed in real time in a parallel die zwischenmenschliche Kooperation ermöglichen, Twitter stream, while at the same time a screenshot is being touched up betont Thielmann: »Medien sind Kooperationsbedin for Instagram in a photo app. But is the way we handle media, and by gungen: Sie moderieren und organisieren unser täg extension the nature of digitally networked media, really specific to the liches Miteinander. Wenn es darum geht, dass unter 21st century? Or is there evidence that comparable phenomena have schiedliche Akteure mit unterschiedlichen Hinter already existed for much longer, even well before the Amiga 1000? These gründen miteinander kooperieren müssen, dann rückt and similar questions are being addressed by the Collaborative Research ganz häufig ein Medium in den Mittelpunkt, um diese Center »Media of Cooperation«, which was established at the University Kooperation zu ermöglichen.« of Siegen in 2016. Digitale Medien und die Art und Weise, wie sie öffent Auch das heutige Milliarden-Netzwerk Facebook lich wahrgenommen werden, entwickeln sich generell The things we do with media entstand zunächst kooperativ: Es wurde in Harvard ebenso dynamisch wie widersprüchlich – Facebook ist have not really changed als webbasierte Version der offiziellen, gedruckten dafür nur ein Beispiel. Ein bewegliches Forschungs Jahrbücher entwickelt und basierte auf dem Commu design zu entwickeln, um aktuelle Phänomene aller CRC speaker Prof. Dr. Tristan Thielmann is convinced: The differences nity-Charakter amerikanischer Eliteuniversitäten. Für Unwägbarkeiten zum Trotz untersuchen und erklä between our modern digital media and their analog predecessors are not Medienforscher Sebastian Gießmann ist Facebook ren zu können, ist Ziel des Sonderforschungsbereichs actually as great as they first appear. And the way in which we approach mit seiner Entwicklung hin zu einem »Big Data Bro »Medien der Kooperation«. Die Untersuchung von these media or what we do with them – referred to in academic research ker« ein Beispiel für die Entzauberung des »Web 2.0«: Medienpraktiken unter besonderer Berücksichtigung as »media practices« – displays astounding continuities. Where we once »Facebook schlingert heute in der Kommerzialisierung ihres kooperativen Charakters hat sich dazu als viel sent our vacation photographs to be developed and then used adhesive dessen, was zunächst sehr kooperativ begonnen hat«, versprechender Ansatz erwiesen. »Zahlreiche Medien corners to arrange them in an album, we today usually archive them in stellt Gießmann fest. »Wenn neue digitale Medien praktiken weisen eine deutlich längere Kontinuität auf, digital form on a computer. »The technology has changed, but the under sehr groß werden, müssen sie Geschäftsmodelle ent als die von ihnen bespielten Einzelmedien«, erklärt lying idea has remained the same. The purpose is to sort images and to wickeln, wie jede andere Firma auch. Die Kommer Prof. Thielmann. Die Arbeit am SFB beschreibt er als preserve them as memories,« says Thielmann. In many cases, the former zialisierung von Nutzerdaten, die viele als Missbrauch interdisziplinär ausgerichtete digitale Grundlagenfor custom of creating a photo album is even revisited with digital means: empfinden, ist aus Sicht von Facebook eine ganz schung; als kulturwissenschaftliches Projekt, das die »A few clicks is all it takes to group digital photos into albums which can normale Vorgehensweise.« Die Aufgabe der Medien digitalen Praktiken des 21. Jahrhunderts erfassen und subsequently be printed as bound photo-books,« Thielmann goes on. wissenschaft sei es, solche Praktiken transparent und beschreiben möchte. Daraus ergebe sich auch ein neuer »The desire to possess a ›traditional‹ photo album, which we can then sichtbar zu machen, betont Tristan Thielmann: »Der Blick auf die Digitalisierung, sagt sein Kollege Sebastian leaf through and show to friends, is still present as before.« p kooperative Charakter digitaler Medien führt häufig Gießmann: »Ich wundere mich immer, wie in Deutsch zu idealistischen Vorstellungen. Aber soziale Medien land über Digitalisierung gesprochen wird. Als hätte sind nicht hierarchiefrei, die Kooperation ist in vielen sie gerade erst angefangen. Tatsächlich basiert sie auf Fällen eine Kooperation ohne Konsens.« Entwicklungen, die viele Jahrzehnte zurückreichen.« 10 future 11
Main Topic / Media of Cooperation Main Topic / Media of Cooperation DE EN »Ich wundere mich immer, wie in Deutschland über Digitalisierung gesprochen wird. Als hätte sie gerade erst angefangen.« »I am continually surprised at how we speak about digitization in Germany. As if it had only just begun.« Dr. Sebastian Gießmann The Siegen media researchers are also same time, Thielmann emphasizes, media are themselves placing a special focus on media which tools which enable inter-personal cooperation: »Media their discipline has tended to neglect in the represent conditions for cooperation: They moderate past: The so-called »media of work«. These media and organize our daily interactions. Whenever it is nec were – and still are – developed initially in professional essary for different players from different backgrounds environments and mostly for very specific own purposes. to cooperate with each other, then attention is very fre The World Wide Web, as the most important application quently turned to a medium as a means to enable this of the Internet, for example, originates from the CERN cooperation.« Developments in the digital media and the way in which nuclear research laboratory: The international scientists they are perceived in public spheres are generally both Away from large individual media, involved in research there needed a globally linked infor Even the billion-user network Facebook was initially dynamic and contradictory – Facebook is just one exam towards social media mation system to facilitate cooperation and the sharing formed as a cooperative project: It was developed in ple of that. The elaboration of a flexible research design of their results – it was in this context that the first web Harvard as a web-based version of the official, printed with which current phenomena can be explored and One goal of the CRC »Media of Cooperation« is to explore site was programmed. Many of today’s other widespread yearbooks and built upon the community character explained, despite all the uncertainties, is an important media practices – in other words our daily interactions digital media practices were similarly programmed to of American elite universities. For media researcher objective of the Collaborative Research Center »Media of with media – in the greatest possible detail. The start simplify internal exchanges – e-mail, computer-aided Sebastian Gießmann, the evolution of Facebook into a Cooperation«. An exploration of media practices which ing point is an infrastructure-driven concept of media, design (CAD) and file sharing are just three examples »big data broker« is an example for the demystification pays particular attention to their cooperative character as the head of the junior research group, Dr. Sebastian which immediately spring to mind. of Web 2.0: »Facebook is floundering in the commercial has proved to be a very promising approach. »Numerous Gießmann, explains: »The concept of what constitutes ization of something which began very cooperatively,« media practices display significantly longer continuity media has changed radically over the past 15 to 20 years. Media moderate our Gießmann says. »When new digital media grow very than the individual media which they employ,« says We can no longer speak about ›mass media‹, because daily interactions large in scale, they must develop business models just Prof. Thielmann. He describes the work of the CRC as the classic form of targeting a mass-media instance to a like any other company. The commercialization of user interdisciplinary digital basic research, as a cultural broad national audience no longer exists as such.« User The hero narratives which are still often associated with data, which many view as abuse, is a perfectly normal studies project which seeks to identify and describe habits have been transformed by the spread of the Inter such developments, the notions that the WWW or e-mail course of action from the perspective of Facebook.« The the digital practices of the 21st century. It follows net. The development away from large »mass media« can be attributed to the brilliant idea of a single inventor, task for media studies is to make such practices trans that this will place digitization in a new light, adds such as television towards the so-called »social media« are actually false, as CRC speaker Thielmann explains: parent and visible, says Tristan Thielmann: »The cooper his colleague Sebastian Gießmann: »I am con also throws up new questions for academic research, says »Media are always the product of a community. A group ative character of digital media often leads to idealistic tinually surprised at how we speak about digiti Gießmann: »Our aim is to better understand the actually of interested players develops them and shapes them to perceptions. But the social media are not free of hierar zation in Germany. As if it had only just begun, much more fundamental mediation processes and prac suit their own needs and purposes.« In media studies, chies; cooperation is in many cases cooperation without when, in fact, it is based on developments which tices which are triggered by today’s media.« media are said to be »cooperatively produced«. At the consensus.« reach back over many decades.« 12 future 13
Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation DE EN »Medien waren »Unsere Daten werden eingespeist und ausgewertet. Wir müssen wegkommen vom Gedanken, dass das Interesse des Nutzers schon immer im Vordergrund steht.« Prof. Dr. Tristan Thielmann sozial« R English version on page 15 Sie verfolgen damit einen anderen Ansatz als die traditionelle Medienwissenschaft. Was bedeutet das stellbar, wie die Praxis des Surfens in den Anfangszeiten des Internets aussah, wie lange man warten musste, bis eine Seite für Ihre Forschung? geladen war. Ob Digitalisierung der Medizin oder Überwachung in sozialen Thielmann Entscheidend für uns sind die Medienpraktiken. Was erhoffen Sie sich von diesem Kompendium Netzwerken: Die Projekte des SFB »Medien der Kooperation« Man muss stark unterscheiden zwischen den Idealvorstel der digitalen Praktiken? könnten vielfältiger nicht sein. Im Interview erklärt SFB- lungen, die sich Ingenieure ausdenken oder die man aus der allgemeinen Kulturgeschichte zu kennen glaubt, und der tat Thielmann Es soll dazu dienen, rückblickend sagen zu können, Sprecher Prof. Dr. Tristan Thielmann, warum sich sein Team sächlichen Nutzung. Dieses tradierte Wissen muss hinterfragt was die digitale Gesellschaft war oder ist, in der wir leben – mit solch unterschiedlichen Medienpraktiken beschäftigt werden, in dem wir uns anschauen, wie die Mediennutzung eine Art Gesellschaftsdiagnose. Was ist digitale Gesundheit tatsächlich in der Praxis aussieht oder früher aussah. Das ist oder digitales Lesen überhaupt? Wir betreiben in dieser Hin und wie daraus eine Diagnose der digitalen Gesellschaft natürlich nicht ganz so einfach. Es geht auch um die Frage, sicht Grundlagenforschung und haben den Anspruch, für entstehen soll. wie man historische Medienpraktiken rekonstruieren kann. diese Epoche eine fundamentale Aussage zu treffen. Darauf aufbauend lassen sich weitergehende Analysen erstellen, Interview Tobias Treude Wo liegen darin die Schwierigkeiten? etwa zu Themen wie Crowdsourcing oder digitalen politi schen Bewegungen bis hin zu der Frage, wie die postdigitale Thielmann Im SFB werfen wir den Blick ganz bewusst auf Gesellschaft aussehen könnte. Medientechnologien, die weniger im Fokus stehen. In meinem Die WissenschaftlerInnen des SFB haben einen sehr Forschungsprojekt geht es beispielsweise um Fotofahrten Warum gehen Sie dafür bis ins 19. Jahrhundert zurück? weit gefassten Begriff von Medien, wie die Forschungen bücher aus der Zeit um 1900, die Autofahrern in den USA mit etwa zu Kreditkarten oder Foto-Fahrtenbüchern aus Bildern und Karten beim Navigieren helfen sollten. Solche Thielmann Unser Ansatz und die gegenwärtigen Medien Prof. Dr. Tristan Thielmann dem 19. Jahrhundert zeigen. Was verstehen Sie vor diesem Alltagsgegenstände waren es aber nicht wert, aufbewahrt zu schaffen ein Bewusstsein dafür, dass in der historischen Kons ist Professor für Science, Tech- Hintergrund unter sozialen Medien? werden. Den Shell-Straßenatlas aus den 1950er Jahren haben truktion bislang Dinge übersehen worden sind. Ein Beispiel ist nology and Media Studies an ja auch die wenigsten aufgehoben. Deswegen ist es wichtig, ENIAC, der erste digitale Großrechner. Dieser verfügte bereits der Universität Siegen und Sprecher Prof. Dr. Tristan Thielmann Wir gehen von dem Standpunkt auf frühe journalistische Dokumente oder Filmaufnahmen über ein digitales Display um den Rechenprozess anzuzeigen. des DFG-Sonderforschungsbereichs »Medien der Kooperation« sowie aus, dass Medien schon immer auch soziale Medien waren. Wir zurückzugreifen. Das wurde aber nur als Nebenbeimedium betrachtet, die Co-Sprecher des DFG-Graduier- bezweifeln, dass es eine starke Differenz zwischen analogen Bedeutung des Displays wurde damals noch nicht erkannt. tenkollegs »Locating Media«. und digitalen Medien gibt. Warum ist es entscheidend, sich mit diesen »kleinen« Heute verstecken sich die Computer hinter Displays. Gerade Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Medienpraktiken auseinanderzusetzen? weil sich Medien scheinbar so schnell entwickeln, ist es wich Mediengeographien, Ethno- und Techno Foto Bleistift / Photo pencil unsplash / Kelly Sikkema methodologien, Medien-, Sozial- und Tech- Wie begründen Sie diesen Standpunkt? tig, ein historisches Bewusstsein zu schaffen. nikgeschichte, Navigation Studies sowie Thielmann Weil die Mediennutzung sehr vielschichtig ist. kulturelle Kartographien. Thielmann Medien sind kooperativ verfertigt. Sie dienen Häufig wird eine einzelne App analysiert. Aber in der Praxis Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Medien würden sich is Professor of Science, Technology and Media nicht nur zur gemeinsamen Nutzung, sondern werden auch switchen die Menschen zwischen verschiedenen Apps, nutzen scheinbar schnell entwickeln? Studies at the University of Siegen, speaker in einem gemeinsamen Prozess erstellt und konfiguriert. In sie gleichzeitig oder telefonieren noch nebenher. Unser Ziel of the DFG Collaborative Research Centre die Gestaltung eines solchen Mediums laufen zum Beispiel ist es, solche Situationen vollumfänglich zu erfassen und zu Thielmann Es gibt universelle Praktiken und sehr bestän »Media of Cooperation« and co-speaker of the DFG Research Training Group »Locating unterschiedliche soziale Erwartungen ein. Wir lösen uns von beschreiben, um Medienpraktiken zu verstehen und daraus dige Kulturtechniken. Die traditionelle, analoge Praktik des Media«. His research priorities include der avantgardistischen Idee aus dem Kunstkontext, dass es Erkenntnisse für zukünftige Entwicklungen ableiten zu kön Blätterns und Suchens ist in gewisser Weise digital transfor media geographies, ethno- and technometho ein Genie gibt, das etwas Unikes erfindet. Es gibt nicht einen nen. Wir erstellen ein Kompendium der digitalen Praktiken miert worden zum Wischen auf Touchscreen-Geräten. Es gibt dologies, media, social and technical history, Erfinder des Buchdrucks, als der Gutenberg gilt. Der Buch des 21. Jahrhunderts. Dieses Wissen droht ansonsten verlo in Medienpraktiken zum Beispiel auch starke Verbindungen navigation studies and cultural cartographies. druck ist in Werkstätten kooperativ verfertigt worden. ren zu gehen. Schon heute ist es ja zum Beispiel schwer vor zur Buchführung. Sebastian Gießmann bezeichnet die p 14 future 15
Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation Main Topic / Media of Cooperation DE EN »Media have always Fotofahrtenbücher aus der Zeit um 1900, die AutofahrerInnen in den USA mit Bildern und Karten beim Navigieren helfen sollten. been social« Road books from the time around 1900, whose illustrations and maps were intended to assist navigation for drivers in the USA. From the digitization of medicine to monitoring in social networks: The projects of the CRC »Media of Cooperation« could hardly be more diverse. In an interview, CRC speaker Prof. Dr. Tristan Thielmann Der Sonderforschungsbereich trägt den Titel »Medien der Kooperation«. Wo liegt letztlich der Unterschied zwischen explains why his team is looking at all these different media kooperativen und sozialen Medien? practices, and how their results could be formed into a diagnosis Thielmann Es gibt eine idealistische Vorstellung vom Begriff of the digital society. der sozialen Medien. Man soll sich einem Gemeinzweck ver bunden fühlen, das sind moralische Kategorien. Der Blick auf Interview Tobias Treude das Internet war am Anfang von viel Idealismus geprägt, dem Glauben an die Demokratisierung von Strukturen. Wir nutzen statt soziale Medien den Begriff der Kooperation. Denn wir Kreditkarte als erste App, weil dort erstmals digital Daten gehen davon aus, dass es diese Hierarchiefreiheit nicht gibt, gespeichert und mit einem Konto verknüpft worden sind. dass unterschiedliche Interessen zusammenkommen. Diese The CRC has defined a very broad concept of media, You are thus taking a different approach to that Ähnlich sieht es aus, wenn ich einen Account bei Twitter oder unterschiedlichen Interessen muss man sich anschauen. as is shown by its research addressing topics such as credit of traditional media studies. What does that mean Facebook eröffne, wo man Listen und Protokolle führt. Man cards or illustrated road books from the 19th century. for your research? hat es also auch in digitalen Medien mit Listenpraktiken zu Zu welcher Erkenntnissen hat das bereits geführt? What, against this background, do you understand by tun, ein permanentes Controlling unseres eigenen Lebens, social media? Thielmann Media practices are for us the decisive elements. eine Buchführung, die öffentlich gemacht wird. Jeder wird Thielmann Wäre das früher geschehen, hätte man vielleicht A clear distinction must be made between perceptions of an zum Buchhalter seiner selbst. Ein weiterer Schritt sind Likes von Anfang an festgestellt, dass Facebook eben nicht nur ein Prof. Dr. Tristan Thielmann Our standpoint is that media ideal, which are elaborated by engineers or which we purport als eigene Währung. Das alles steht für eine Kontinuität von Freundschaftsnetzwerk ist, sondern auch ein Datenhändler. have always also been social media. We doubt that there is to know from general cultural history, and actual use. This Medienpraktiken, die heute in digitaler Art nur funktionieren, Die Interessen des Unternehmens und die des Kunden sind actually a strong difference between analog and digital media. traditional knowledge must be challenged by considering the weil wir das kulturelle Bewusstsein dafür haben. unterschiedlich. Für uns ist interessant, wie sich im öffent actual manifestations of present-day or earlier media use. lichen Bewusstsein etwas verändert, wenn diese Prozesse How do you explain this standpoint? That is by no means easy, of course. There is also the question Worin besteht dieses kulturelle Bewusstsein? transparent werden. Mittlerweile wird Facebook weniger mit of how historical media practices can be reconstructed. einer Medienpraktik als vielmehr mit einer Datenpraktik ver Thielmann Media are cooperatively produced. They not only Thielmann Es ist eine anthropologische Konstante. Medien bunden. Diese Dinge sichtbar zu machen, ist eine wesentliche serve a joint purpose, but are also created and configured in Where do the difficulties lie? praktiken unterscheiden sich nicht unbedingt von sehr archa Aufgabe des SFB. Das gilt nicht nur für Facebook, sondern a joint process. Various social expectations contribute to the ischen Praktiken, wenn man etwa an die Kultur der Gabe auch für viele andere Medien, die meist unhinterfragt genutzt design of such media, for example. We are moving away from Thielmann Within the CRC, we are deliberately addressing denkt. Dort gibt es immer das Bedürfnis, etwas zurückzugeben, werden – etwa Apps, Wikipedia oder Navigationssoftware. the avantgardistic idea taken from the context of art, namely media technologies which are otherwise seldom at the focus es ist nie eindirektional. Dieser wechselseitige Prozess lässt Unsere Daten werden eingespeist und ausgewertet. Wir that a genius comes along and invents something unique. of attention. In my research project, for example, I look at sich übertragen. Jeder, der ein Like verteilt, hat das Bewusst müssen wegkommen vom Gedanken, dass das Interesse des There is no single inventor of book printing, as Gutenberg illustrated road books from the time around 1900, whose sein, dass er im Gegenzug Likes empfangen könnte, wie zum Nutzers im Vordergrund steht. Dieses hierarchische Gefälle is held to be. Book printing was developed cooperatively in illustrations and maps were intended to assist navigation for Beispiel Kollege Johannes Paßmann in seiner Twitter-Ethno unterscheidet sich womöglich gar nicht so sehr von dem der workshops. drivers in the USA. In most cases, however, no-one considered grafie aufgezeigt hat. traditionellen Medien. it worthwhile to save such items designed for daily use. p 16 future 17
Main Topic / Media of Cooperation Main Topic / Media of Cooperation DE EN »Our data are collected and evaluated. We must get away from the idea that the user’s interests stand in the What constitutes this cultural awareness? foreground.« Prof. Dr. Tristan Thielmann Thielmann It is an anthropological constant. Media practices are not necessarily different from other very ancient practices, for example the culture of exchanging gifts. That always entails the desire to give something back; it is never unidirectional. This mutual process can be transferred. A person who posts a like does so in the awareness that he could receive likes in return, as my colleague Johannes Paßmann demon strated in his Twitter ethnography. The Collaborative Research Center bears the title Very few of us will still have their old Shell Road Atlas from Why go back to the 19th century? »Media of Cooperation«. What, in the end, is the the 1950s. For that reason, it is important to fall back on early difference between cooperative and social media? journalistic documents or film footage. Thielmann Our approach and the nature of current media have created an awareness that certain aspects have been Thielmann There is an idealistic perception of the Why is it so important to analyze these »small« overlooked in the historical construct to date. One example concept of social media. Users are supposed to feel media practices? is ENIAC, the first digital mainframe computer, which already affinity to a common purpose, which is a reference incorporated a digital display for output from the computing to moral categories. The Internet was initially viewed Thielmann Because media use is extremely multi-faceted. process. But that was only treated as an auxiliary medium; with a great deal of idealism, belief in the democra Analyses often target a single app. But in practice, people the significance of the display had not yet been recognized at tization of structures. Instead of social media, we use are constantly switching between different apps, using them that time. Today, computers are concealed behind displays. the concept of cooperation, because we believe that simultaneously or making phone calls at the same time. Our Precisely because media development is apparently so fast, the supposed freedom from hierarchies does not exist, goal is to capture and describe the full extent of such situ it is important to establish historical awareness. that different interests come together. These different ations, in order to understand media practices and to derive interests have to be studied. knowledge which will benefit future developments. We are What do you mean when you say that media development creating a compendium of the digital practices of the 21st is apparently so fast? Can you already point to findings? century. There is otherwise a risk that this knowledge will be lost. For example, it is today already difficult to imagine how Thielmann There are universal practices and highly durable Thielmann If we had conducted these studies earlier, web browsing was in the early years of the Internet, how long cultural techniques. The traditional analog practice of search it might have been clear from the beginning that Face we had to wait for a page to be displayed. ing by leafing through pages has to a certain extent been book is not just a friendship network, but precisely digitized in the swipe function of touchscreen devices. There also a data trader. The interests of the company differ What do you hope to gain from this compendium are also strong ties between media practices and account from those of the customer. The interesting point for of digital practices? ing, for example. Sebastian Gießmann describes the credit us is how public awareness changes when these pro card as the first-ever app, because this was the first time that cesses become transparent. In the meantime, Face Thielmann It is to enable us to determine – retrospectively – digital data were saved and associated with an account. The book is viewed more often as a data practice than as what the digital society in which we live once was or still is – situation is similar if I open an account with Twitter or Face a media practice. It is a central objective of the CRC a kind of diagnosis of society. What does digital health or digital book, where lists and reports are also maintained. Our use of to bring these things to light. That applies not just to reading really mean? In this respect, we are conducting basic digital media is thus likewise an implementation of list prac Facebook, but also to many other media which most Foto / Photo @ unsplash / element5 Digital research, with the ambition of being able to reach fundamen tices – permanent management of our own life in the sense people simply use without questioning, whether apps, tal statements for our epoch. On this basis, further-reaching of publicly accessible accounting. Everyone becomes their Wikipedia or navigation software. Our data are col analyses could be drawn up on topics such as crowdsourcing or own accountant. Another step is that of likes as a personal lected and evaluated. We must get away from the idea digital political movements, right up to questions regarding the currency. All of this stands for a continuity in media practices, that the user’s interests stand in the foreground. This appearance of a post-digital society. which today only function in digital form because we possess hierarchical gradient is perhaps not so different from the necessary cultural awareness. that in traditional media after all. 18 future 19
Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation EN Wenn die Oma gleichzeitig da und nicht da ist When grandma is here and Foto / Photo Dr. Bina Mohn Autorin / Author Nora Frei Wenn Max über das Smart not here at the phone mit seiner Oma skypt, weiß er ganz genau, was er tut. Er hält das Handy so, dass seine Oma ihn und er Durch die virtuelle Anwesenheit eines Familienmitglieds können die klaren Grenzen verschwimmen. The distinction between presence and absence is blurred same time by the virtual presence of a family member. seine Oma sieht. Dabei ist Max erst zwei R Page 21 Foto / Photo Dr. Bina Mohn Jahre alt. Wie Kinder zwischen null und sechs Jahren mit Smartphones umgehen und welche Rolle die digitalen Geräte in Familien rund um die Welt spielen – das erforschen Professorin Dr. Jutta Wiese »Wir stellen wie-Fragen und filmen ganz manchmal gar nicht getraut, das Handy mann, Dr. Bina Mohn und ihr Team im bewusst in Situationen, die uns bei der überhaupt rauszuholen. Das hat sich Forschungsprojekt »Frühe Kindheit und Beantwortung der Fragen helfen: Wie aber sehr schnell gegeben, und dann Smartphone«. machen sich Familienmitglieder an- und ist wieder der normale Alltag einge abwesend? Wie positioniert sich das kehrt.« Mittlerweile ist die gesamt Die WissenschaftlerInnen filmen in rund Kind selbst innerhalb der Familie? Wie Familie Baum mit der Filmerin sehr gut 20 Familien, teils über mehrere Jahre. wird gelacht und geweint, gespürt und befreundet. Sie sei fast Teil der Familie Sie wohnen in Deutschland, Indien, gehört, gesehen und gegriffen?« Dabei geworden. Marokko, Österreich und der Schweiz. geht es den ForscherInnen vor allem Bewusst wurden für das Projekt Eltern darum, wie digitale Medienpraktiken in Vertrauen sei bei diesem Projekt die und Kinder mit unterschiedlichen sozia der frühen Kindheit die Selbstbezüge, wichtigste Voraussetzung, meint auch len Hintergründen ausgewählt, man den Bezug auf Andere, die Sachbezüge Dr. Mohn. »Wir gehen in private Räume. che leben in Großstädten, andere auf und das Familie-Sein mit konstituieren. Da ist es ganz wichtig, dass die Fami dem Dorf. Bei ihren Besuchen haben lien entscheiden, was sie uns zeigen Die Erziehungswissenschaft- lerin Prof. Dr. Jutta Wiesemann die WissenschaftlerInnen fast immer »Wir wurden gefilmt, möchten und was nicht.« Interessant forscht an der Universität Siegen auch eine Kamera dabei. Das Ziel: an so wie wir sind« wird es für Dr. Mohn vor allem dann, unter anderem zu den Themen ganz alltäglichen und realen Szenen aus wenn etwas Unerwartetes passiert. Sie Unterrichts- und Lernforschung, dem Familienalltag zu forschen. Ethno Familie Baum* gehört zu den Protago erinnert sich an eine Situation, als ein Ethnografie, Digitalisierung grafische Forschung nennt sich diese nisten der Langzeitstudie. Max Baum kleines Kind mit seiner Oma skypte. Das und Mediengebrauch in Kindheit und Schule. Methode. war zu Beginn des Projekts knapp ein Kind wollte die Oma beim Spielen mit Jahr, Tochter Maya drei Jahre alt. »Wir einbinden und schob einen Anhänger Key areas of education studies Das Projekt profitiert dabei von den konnten uns am Anfang noch nicht voller Bauklötze zum Tablet, auf dem research conducted by Prof. Dr. Jutta Wiesemann at the langjährigen Erfahrungen der Kamera genau vorstellen, worauf wir uns ein die Oma zu sehen war. Daraufhin konnte Foto / Photo Dr. Bina Mohn University of Siegen include ethnografin Dr. Bina Mohn. »Wir stellen lassen«, erzählt Mutter Bettina Baum. die Oma nichts mehr sehen, weil die teaching and learning, ethno die Kamera nicht bloß auf und lassen Heute weiß sie: »Es gab keine erzwun Kamera verdeckt war. Die Mutter griff graphy, digitalization and media sie dann laufen«, erklärt sie. genen oder gestellten Situationen. Wir korrigierend ein und stellte das Tablet use during childhood and in wurden gefilmt, so wie wir sind. Am mit der Oma woanders hin, woraufhin schools. * Die Namen der Familie sind Anfang fanden die Kinder die Kamera das Kind zu weinen begann. Die Oma auf Wunsch anonymisiert. noch aufregend und ich habe mich schaffte es aber recht schnell, die p 20 future 21
Themenschwerpunkt / Medien der Kooperation Main Topic / Media of Cooperation DE EN »Kinder lernen Situationen kennen, in denen Geben, Nehmen und Berühren nicht funktionieren, wo aber das g egenseitige Zeigen und gemeinsame Töne erzeugen durchaus erfreulich sein kann.« »Children learn to recognize situations in which giving, taking and touching no longer function physically, but where showing each other and verbal Egal ob in Indien, Deutschland oder Marokko: Medienpraktiken interaction are certainly sources of pleasure.« ähneln sich sehr, ganz egal, wo auf der Welt man sich befindet. Whether in India, Germany or Morocco: Media practices are very similar all over the world. Dr. Bina Mohn Foto / Photo Pip Hare kann und das Zeigen, Gezeigt-Werden sich befindet. »Erstaunt hat uns, wie »Wir befinden uns mitten in Foto / Photo Astrid Vogelpohl und Etwas-zu-Zeigen-Haben bedeutsam ähnlich der Umgang mit einem Smart einem sozialen Großexperiment« Foto / Photo Dr. Bina Mohn werden lässt«, erklärt Dr. Mohn. phone in einer deutschen Großstadt Dass vor allem kleine Kinder oft keinen oder im marokkanischen Atlasgebirge sein kann: Das Smartphone eröffnet in »Der Alltag in den Familien hat sich bereits grundlegend geändert. Das When Max picks up the smartphone to speak to his Unterschied zwischen digitalen und beiden Fällen einen »Nah-Raum«, in können wir global beobachten«, sagt grandmother via Skype, he knows exactly what to do. He holds the nicht digitalen Dingen machen, ist den dem zu zweit Bedienen, Berühren und Prof. Wiesemann. Als Erziehungswis phone in just the right position so that she can see him and he can ForscherInnen schnell klar geworden. Teilen stattfinden kann«, erklärt Pro senschaftlerin ist sie diesen Verände see her. And that despite the fact that Max is only two years old. Krise durch Gesang zu beheben. »Kin Teilweise nutzen Kinder ein Smartphone jektleiterin Prof. Wiesemann. rungen auf der Spur. »Wir befinden uns The ways in which children between the ages of 0 and 6 approach der lernen Situationen kennen, in denen genauso wie einen Bauklotz oder einen mitten in einem sozialen Großexperi smartphones, and the role which digital devices play in families Geben, Nehmen und Berühren nicht Ball. Sie stecken das Handy in den Mund Die ForscherInnen arbeiten mit unter ment, dessen weiteren Verlauf wir aktiv around the world, are topics that Prof. Dr. Jutta Wiesemann, Dr. Bina funktionieren, wo aber das gegenseitige oder lassen es herunterfallen, um damit schiedlichen methodischen Ansätzen. Im erforschen.« MedizinerInnen interessie Mohn and their team are exploring in the research project »Early Zeigen und gemeinsame Töne erzeugen zu experimentieren und die Folgen zu Falle der Kamera-Ethnographie nutzen ren sich zum Beispiel für die Gefahren Childhood and Smartphone«. durchaus erfreulich sein kann«, erklärt beobachten. Oft kämpfen Geschwister sie filmische Mittel zur Analyse: Dazu dieses Experiments. Dazu gehört unter Dr. Mohn. Kinder lernen heutzutage neu, um das Smartphone, um die Position gehören das Hinschauen und die Wahl anderem der Suchtdiskurs – also die The researchers have been visiting and observing around 20 families was An- und Abwesenheit bedeutet. innerhalb der Familie auszuhandeln und von Kameraeinstellungen beim Filmen. potentielle Abhängigkeit junger Men in Germany, India, Morocco, Austria and Switzerland, in some cases Denn durch die virtuelle Anwesenheit zu bestimmen, wer größer und stärker Dazu gehört aber auch das Zerlegen schen von digitalen Geräten. Wiese over several years. The project has deliberately chosen parents and eines Familienmitglieds können die kla ist. Dabei komme es nicht unbedingt der gefilmten Beobachtungen am digi manns Projekt hingegen konzentriert children from different social backgrounds; some live in large cities, ren Grenzen verschwimmen: Die Oma darauf an, dass das Smartphone digital talen Schnittplatz und das analytische sich auf die sozialen Konsequenzen, die others in villages. The researchers almost always take a video camera kann gleichzeitig da und nicht da sein. ist, sondern, dass es als ein wertvoller Zusammensetzen und Anordnen von diese Veränderungen im Verhältnis der when they visit the families. The aim is to capture real, ordinary scenes Gegenstand angesehen wird, der kein Filmfragmenten zu Forschungsfilmen Generationen haben. »Die Realität der from everyday life. This method is called ethnographic research. Ein Smartphone ist für klassisches Spielzeug ist, sagt Dr. Mohn. oder Videoinstallationen. Die Wissen heranwachsenden Generation unter Kleinkinder oft nichts anderes schaftlerInnen stellen Videoausschnitte scheidet nicht mehr eine Wirklichkeit, in The project benefits from the longstanding experience of camera als ein Bauklotz oder Ball Wo kulturelle Differenzen liegen, möch oder Standbilder zum Beispiel neben der sie sich körperlich befindet und die ethnographer Dr. Bina Mohn. »It is not just a matter of setting up ten die WissenschaftlerInnen in der einander, hintereinander oder verbinden medial-digitalen Wirklichkeiten außer the camera and switching it on,« she explains. We ask pertinent Genauso faszinierend sei es Kinder Zukunft noch genauer erforschen. Ist sie miteinander. »Diese Vorgehensweise halb«, erklärt die Erziehungswissen questions and film in consciously chosen situations which help us dabei zu beobachten, wie sie Videos von der Umgang mit dem Smartphone ein setzt nicht die Ergebnisse von Analy schaftlerin. »Dies beginnt quasi mit der to answer specific questions: What determines whether a family sich selbst sehen. Die Mutter sagt dann anderer, je nachdem, wo ein Kind auf sen um, sondern hierbei entsteht Ana Geburt. In der Familie erfährt das Kind, member is present or absent? How do children position themselves »Guck mal, das bist du«, zeigt aber wächst? Gehen indische Kinder anders lyse: Wir lernen zu unterscheiden und dass das Smartphone eines der natür within the family? How do they laugh and cry, feel and hear, see and nicht auf das Kind selbst, sondern auf mit der Technik um als deutsche oder Zusammenhänge zu erkennen«, erklärt lichen Mittel ist, ein vielfältiges Verhält touch? The central aspect for the researchers is to understand how das Video. »In Zeiten von Selfies und marokkanische? Bisher haben die Wis Dr. Mohn. Selbst das Publikum kamera- nis zur Welt zu entwickeln.« digital media practices in early childhood contribute to the develop Videos löst sich Identität zunehmend senschaftlerInnen bereits festgestellt, ethnographischer Ausstellungen wird in ment of a child’s sense of identity and family, interpersonal relation vom Körper und nimmt Formen einer dass sich einige Medienpraktiken sehr einen solchen analytischen Prozess des ships, and ways of engaging with the world and the things in it.« p Sozialität an, die medial geteilt werden ähneln, ganz egal, wo auf der Welt man »Sehen Lernens« einbezogen. 22 future 23
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