Dichtezentren zum Schutz von als windkraftsensibel eingestuften Vogelarten? - BWE - Position nach fachlicher und rechtlicher Bewertung
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Positionspapier Dichtezentren zum Schutz von als windkraftsensibel eingestuften Vogelarten? BWE – Position nach fachlicher und rechtlicher Bewertung September 2021
Impressum Bundesverband WindEnergie e.V. EUREF-Campus 16 10829 Berlin 030 21234121 0 info@wind-energie.de www.wind-energie.de V.i.S.d.P. Wolfram Axthelm Foto iStock/Andrew_Howe Haftungsausschluss Die in diesem Papier enthaltenen Angaben und Informationen sind nach bestem Wissen erhoben, geprüft und zusammengestellt. Eine Haftung für unvollständige oder unrichtige Angaben, Informationen und Empfehlungen ist ausgeschlossen, sofern diese nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich verbreitet wurden. Ansprechpartnerinnen Anne Lepinski Petra Wirsich Fachreferentin Fachgremien Umwelt Referentin Naturschutz Bundesländer a.lepinski@wind-energie.de p.wirsich@wind-energie.de Sonja Hemke Leiterin Abteilung Fachgremien und Energierecht s.hemke@wind-energie.de Datum September 2021 2
Inhaltsverzeichnis Einleitung ......................................................................................................................... 4 1 Zusammenfassung der zentralen BWE-Positionen ...................................................... 5 2 Fachliche und rechtliche Betrachtung und Bewertung ................................................ 5 2.1 Fehlende einheitliche Definition und Anwendung ......................................................... 6 2.2 Raumplanung: Sondierung von Räumen erschwert ....................................................... 8 2.3 Genehmigungsplanung: Individuenbezug nach § 44 BNatSchG maßgeblich .................... 8 2.4 Keine Schutzgebietskategorie / Bund und Land für den Arterhalt zuständig ................... 9 3
Einleitung Immer mehr setzt sich die Erkenntnis in Staat und Gesellschaft durch, dass der Einsatz der Windenergie ein bedeutender Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt ist und damit unter anderem dem Auftrag des § 1 Abs. 3 Ziff. 4 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) entspricht. Die durch den Klimaschutzfaktor erzeugte positive Wirkung der Windenergie auf den Artenschutz basiert auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit. Dennoch lassen sich im Einzelfall Problemlagen im Hinblick auf die Regelungen des § 44 Abs. 1 Ziff. 1 BNatSchG, dem Schutz des einzelnen Individuums, nicht völlig ausschließen. Auf der Suche nach geeigneten Lösungsansätzen rückt das Konzept sogenannter Dichtezentren (synonym „Schwerpunktvorkommen“) bestimmter Vogelarten, die bei der Windenergieplanung speziell berücksichtigt werden sollen, gegenwärtig in den Fokus. Entsprechend findet sich dieser Ansatz in veröffentlichten oder im Entwurf befindlichen Regelungen einiger Bundesländer. Der Anwendungsbereich ist allerdings unterschiedlich beschrieben und bezieht sich teils auf die Planungs-, teils auf die Genehmigungsebene. Darüber hinaus wurde in letzter Zeit in Erwägung gezogen, mit dem Dichtezentrum-Konzept die Nichtverschlechterung des Erhaltungszustands für bestimmte Arten zu unterstützen und somit eine Voraussetzung für die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 BNatSchG zu erfüllen. In der aktuellen Diskussion1 werden Dichtezentren als ein möglicherweise rechtlich wie fachlich geeignetes Instrument eingeordnet, das den Artenschutz gewährleisten und dabei gleichzeitig die Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) erleichtern könnte. Diese Einschätzung wird nachstehend kritisch beleuchtet. 1 Siehe z.B. Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) (2020/2021): Digitale Fachgespräche Dichtezentren, LINK (abgerufen am 07.07.2021). 4
1 Zusammenfassung der zentralen BWE-Positionen Konzepte zur Berücksichtigung der Artenschutzbelange auf Planungsebene bereits vorhanden In zahlreichen Bundesländern werden Belange des Artenschutzes bereits auf Planungsebene bei der Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung berücksichtigt (Brutvorkommen bestimmter Vogelarten). Flächendeckende Raumkartierungen können dies unterstützen. Daher ist es fachlich nicht erforderlich, eine neue Kategorie „Dichtezentrum“ zum Schutz windenergiesensibler Arten einzuführen, welche aktuell zudem keine rechtliche Verankerung hat. Individuenbezug des § 44 BNatSchG unabhängig von Planungsebene in Verfahren aktuell maßgeblich Völlig unabhängig von der Planungsebene bleibt der Individuenbezug des § 44 BNatSchG in den Genehmigungsverfahren weiterhin bestehen. Für jedes Verfahren sind die Anforderungen des besonderen Artenschutzes zu erfüllen. Um die Prüfung und Bewertung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos sinnvoll durchführen zu können, bedarf es Signifikanzschwellenwerte als klare Bewertungsmaßstäbe. Pauschale Abstände mit Tabuwirkung um Brutplätze werden der erforderlichen Ermittlung der vorhabenbezogenen Risikoerhöhung für ein Individuum durch die WEA nicht gerecht. 2 Fachliche und rechtliche Betrachtung und Bewertung Der Begriff des Dichtezentrums erschien zunächst im Zusammenhang mit der Windenergieplanung in Veröffentlichungen der Vogelschutzwarten und hat so Eingang in die regionalplanerischen Prozesse sowie in Länderhandreichungen zum Umgang mit naturschutzfachlichen Anforderungen im Rahmen der Windenergieplanung gefunden. Für keinen anderen Vorhabentyp (z. B. Straßenbau, Freileitungen, etc.) kommt dieser Ansatz zur Anwendung oder wird als Lösungsansatz diskutiert. Eine klare Definition aus der Naturschutzgesetzgebung (wie z. B. für den Umgang mit Vogelschutzgebieten) oder eine wissenschaftlich begründete Argumentation zur Herleitung von Auswahlkriterien und deren Nutzen in Bezug auf die zu betrachtenden Arten fehlen bisher vollständig. In aktuellen Veröffentlichungen2 werden Dichtezentren als Gebiete beschrieben, in denen windenergieempfindliche und reviertreue Arten eine hohe Siedlungsdichte aufweisen. Ab einer bestimmten Anzahl von Brutpaaren einer besonders geschützten Art pro Flächeneinheit in einem definierten Raum werden dann Dichtezentren begründet. Dabei soll mit dem Konzept ein stabiler/günstiger Erhaltungszustand aufrechterhalten oder erreicht werden, um auf diese Weise die Verluste einzelner Individuen außerhalb der Dichtezentren als zulässig zu vertreten. Es wird dabei angenommen, dass mit Hilfe der Dichtezentren-Konzepte die für den Schutz und die Reproduktion von Arten wichtigen Gebiete („Quell“-Populationen, „source“) ermittelt und geschützt werden können. Dieser raumbezogene Ansatz soll eine Differenzierung der Bedeutung bestimmter Räume für den Erhalt von Arten bereits auf der Planungsebene vornehmen und so bei der planerischen Steuerung von WEA- 2 Für eine Übersicht siehe: Bosch & Partner GmbH (2021): Dichtezentrumkonzepte – Fachliche Herleitung sowie Umsetzung in den Ländern, S. 2, LINK (abgerufen am 07.07.2021). 5
Vorhaben Berücksichtigung finden.3 Ein weiterer Ansatz sieht die Berücksichtigung von Dichtezentren im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vor.4 2.1 Fehlende einheitliche Definition und Anwendung Bei näherer Betrachtung der Kriterien des Konzeptes „Dichtezentrum“ ergeben sich zahlreiche offene und ungeklärte Fragen: Auswahl der Arten ist nicht nachvollziehbar Hintergrund für die Überlegungen zur Anwendung der Dichtezentrum-Konzepte scheint die Annahme zu sein, dass mögliche kumulative Effekte bei fortschreitendem Ausbau der Windenergie den Erhaltungszustand einiger Arten langfristig verschlechtern könnten, obwohl diesbezüglich bereits alle naturschutzrechtlichen Vorgaben in jedem einzelnen Genehmigungsverfahren eingehalten werden. Diese Effekte sollen insbesondere langlebige Vögel mit geringer Reproduktionsrate, spätem Eintritt in die Geschlechtsreife (sog. K-Strategen) und großer Reviertreue betreffen.5 Aktuell fehlen einheitliche Kriterien für die Bestimmung der Arten, für welche ein Dichtezentrum- Konzept fachlich überhaupt umgesetzt werden könnte. Beim Rotmilan scheint beispielsweise die für das Konzept sinnvollerweise notwendige Reviertreue nicht in ausreichendem Maße gegeben. Der Eintritt in die Geschlechtsreife ist zudem z. B. abhängig von der innerartlichen Siedlungsdichte,6 während die Reproduktionsrate maßgeblich von den lokalen Standortfaktoren, wie der Habitatqualität, insbesondere der Verfügbarkeit von Brutplätzen, der Sicherheit am Brutplatz (Nesträuber) und der Verfügbarkeit von Nahrung bestimmt wird. Aufgrund dieser fehlenden einheitlichen Kriterien für die Artenauswahl werden Dichtezentren- Konzepte in den Bundesländern für unterschiedliche Arten bei gleichzeitig dürftigen wissenschaftlichen und fachlichen Grundlagen angewendet. So wird das Konzept in Baden-Württemberg und Sachsen- Anhalt ausschließlich auf den Rotmilan bezogen. In Hessen, Thüringen oder Nordrhein-Westfalen hingegen sind freizuhaltende „Schwerpunktvorkommen“ auch für andere Vogelarten bzw. das gemeinsame Auftreten verschiedener Arten definiert. Grundsätzlich sind für die Benennung eines windenergiesensiblen Artenspektrums konkretisierende Kriterien und ein übergeordneter Bewertungsrahmen zu definieren. Wissenschaftlich fundierte 3 Vgl. z.B. entsprechende Veröffentlichungen in Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen: Gemeinsamer Runderlass des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen (2020): Verwaltungsvorschrift „Naturschutz/Windenergie“, LINK (abgerufen 14.06.2021); Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie des Landes Sachsen-Anhalt (2018): Leitfaden Artenschutz an Windenergieanlagen in Sachsen-Anhalt, LINK (abgerufen 14.06.2021); Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz (2015): Avifaunistischer Fachbeitrag zur Fortschreibung der Regionalplanung. Empfehlungen zur Berücksichtigung des Vogelschutzes bei der Abgrenzung von Vorranggebieten für die Windenergienutzung, LINK (abgerufen 14.06.2021). 4 Vgl. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (2021): Hinweise zur Erfassung und Bewertung von Vogelvorkommen bei der Genehmigung von Windenergieanlagen, LINK (abgerufen am 04.08.2021). 5 Vgl. LAG VSW (2015): Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsames Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten, S. 19f, LINK (abgerufen am 7.7.2021). 6 Bei geringer Siedlungsdichte ist das Alter bei der Erstbrut niedriger. Freie Brutreviere können bereits von jüngeren Vögeln besetzt werden. 6
Forschungs- und Studienergebnisse sowie aktuelle Bestandszahlen und -entwicklungen sind der Bewertung zu Grunde zu legen. Einheitliche Begriffsdefinitionen zu Siedlungsdichte und räumlichem Bezug fehlen (Schwellenwert) Die bisherigen Definitionen und Festlegungen von Dichtezentren berücksichtigen nicht nur ein unterschiedliches Artenspektrum, sondern basieren auch auf sehr unterschiedlichen Werten zur Häufigkeit der jeweiligen Arten (= Siedlungsdichte).7 Zum Teil erfolgt eine Schwellenwertsetzung, die sich auf die mittlere Dichte des Brutbestandes in Relation zur Landesfläche oder eines anderen Bezugsraums bezieht. Eine andere Herangehensweise orientiert sich an einer Repräsentanz von mindestens 20 % der landesweit bekannten Brutvorkommen einer Art.8 Teilweise basiert die Festlegung der Dichtezentren auf einer flächendeckenden Kartierung, wobei die Abgrenzung anhand verschiedener Kriterien erfolgt (z.B. Hessen).9 Bei unvollständiger Datenlage über Brutvorkommen wird in einigen Fällen auch auf die Habitateignung abgestellt. Um einen Überblick über die Verbreitung der zu betrachtenden Arten zu erhalten, wäre ein übergeordnetes Monitoring nötig, welches dann zur Ausweisung von Vorrangflächen herangezogen werden könnte. Hierzu wäre die sachliche Herleitung von Schwellenwerten sowie der Nachweis einer tatsächlichen Wirksamkeit von WEA-Ausschlussflächen für „Quell“-Populationen, letzteres zumindest mittelfristig, zwingende Voraussetzung. Artenschutz durch Ausweisung von Dichtezentren nicht gegeben Es bleibt unklar, welche Stellung Dichtezentren im Rechtsregime des gesetzlich geregelten Naturschutzes einnehmen könnten, welche klaren Vorgaben für deren Ausweisung aus naturschutzrechtlichen und -fachlich Erfordernissen abzuleiten und welche Konsequenzen für diverse Flächennutzungen verbunden wären. Der Ausschluss von Gebieten für WEA wird mit der regionalplanerischen Abgrenzung von Dichtezentren zwar sicher erreicht, aber ob und wenn ja in welchem Umfang sie zu einer positiven Entwicklung von („Quell“-) Populationen beitragen und somit den Erhaltungszustand der Arten stabilisieren oder gar verbessern können, bleibt gegenwärtig vollkommen unklar. In Sachsen-Anhalt wurden z. B. Dichtezentren zur Sicherung der („Quell“-) Population des Rotmilans im Zusammenhang mit Artenhilfskonzepten ausgewiesen. Auf diesen Flächen ist der Verzicht auf Windenergienutzung vorgegeben. Dies allein stellt jedoch keine Aufwertung der Lebensräume oder gar eine populationsstärkende Maßnahme dar. Dichtezentren-Konzepte zum Schutz von Quellpopulationen unterstellen, dass die nachweislich seltenen Verluste einzelner Individuen an WEA negative Auswirkungen auf die Populationsentwicklungen bestimmter Arten haben können. Dies entspricht nicht dem beobachteten Trend der als windenergiesensibel eingestuften Vogelarten, deren Populationen, parallel zum Ausbau der Windenergie, langjährig stabil (z.B. Rotmilan) oder gar ansteigend (z.B. Seeadler) sind. Das 7 Vgl. Bosch & Partner GmbH (2021). 8 In Anlehnung an die Vorgaben der EU-Kommission zur Flächenauswahl für die Vogelschutzgebiete (SPA = Special protection area) wurde für die Abgrenzung von Dichtezentren eine Repräsentanz von mindestens 20 % des Brutvorkommens des Landesbestands einer Art angestrebt (Wiesner 2006). Siehe Fachbeitrag Thüringen, S. 5, LINK (abgerufen 14.06.2021). 9 HMUKLV/HMWEVW (2020): Verwaltungsvorschrift „Naturschutz/Windenergie“, S. 17. 7
verdeutlicht, dass für den Fortbestand und die Entwicklung dieser Arten ganz andere Faktoren maßgeblich sind. Etwa in Bezug auf den Rotmilan zeigt sich konkret, dass der Bestandstrend auch in der Nähe einer hohen WEA-Dichte, also völlig unabhängig von deren Existenz, positiv sein kann.10 Negative Auswirkungen durch WEA oder ggf. kumulative Effekte auf Bestände sind bisher nicht belegt. Pauschale Ausschlussbereiche für WEA werden der dynamischen Bestandsentwicklung der Arten und der tatsächlichen Gefährdungssituation für das Individuum vor Ort nicht gerecht. Darüber hinaus lenken sie weiter davon ab, wahrlich maßgebliche Faktoren für die Populationsentwicklung der zu beachtenden Arten zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ein langfristiger Ausschluss von Flächen für die Windenergienutzung ist daher nicht verhältnismäßig. Weder ein konkreter Schutz noch eine positive Bestandsentwicklung der jeweiligen Arten werden dadurch erreicht. Eine regelmäßige „Neufindung“ von Dichtezentren durch projektbezogene Kartierungen im Rahmen des Genehmigungsprozesses, wie sie etwa in den Planungshinweisen des Landes Baden-Württemberg gefordert wird, adressiert zwar das Problem dynamischer Populationsentwicklung, führt jedoch in der Praxis regelmäßig zu Schwierigkeiten für die Rechts- und Planungssicherheit der Projekte. 2.2 Raumplanung: Sondierung von Räumen erschwert Auf Planungsebene kann die Kennzeichnung bzw. Abgrenzung von Dichtezentren für die Sondierung von Flächen, die prinzipiell für Windenergienutzung geeignet sind, Anhaltspunkte liefern. Hierfür wäre jedoch eine einheitliche Definition inkl. klarer Kriterien anhand wissenschaftlich belastbarer artspezifischer Erkenntnisse für Dichtezentren erforderlich. Problematisch erscheint der Ansatz für Repowering-Standorte. Regelmäßig führen Greifvogelvorkommen in Landschaftsräumen, die bereits lange durch Windenergienutzung geprägt sind, zur Verhinderung eines planerisch sinnvollen Repowerings. Dabei sind bei Repowering-Vorhaben durch eine Verringerung der Anlagenanzahl und größeren Anlagenhöhen die Eingriffe in den Artenschutz in sehr vielen Fällen geringer.11 Angesichts der bereits bestehenden Probleme, die Ausweisungsziele von mindestens 2 % Fläche für die Windenergienutzung zu erreichen, sind weiter einschränkend wirkende Kriterien besonders zu prüfen und zu hinterfragen. Der dauerhafte Entzug von Flächen für die Windenergienutzung konterkariert den Klimaschutzauftrag und ist angesichts unzureichender wissenschaftlicher Belege zu Auswirkungen des WEA-Betriebs auf Bestände und Erhaltungszustände von Arten unverhältnismäßig und nicht akzeptabel. 2.3 Genehmigungsplanung: Individuenbezug nach § 44 BNatSchG maßgeblich Völlig unabhängig von Dichtezentren besteht der Individuenbezug im § 44 BNatSchG. Für die individuenbezogene Betrachtung im Genehmigungsverfahren ist die Existenz von Dichtezentren nicht ausschlaggebend, sondern für jedes Verfahren sind weiterhin die Anforderungen des besonderen Artenschutzes zu erfüllen. Insofern können Dichtezentren für die aktuellen Herausforderungen in den 10 Vgl. Reichenbach, Marc/Aussieker, Tim (2021): Windenergie und der Erhalt der Vogelbestände. Regelungsvorschläge im Kontext einer gesetzlichen Pauschalausnahme. Im Auftrag erstellt von: Stiftung Klimaneutralität. S. 66, Abbildung 19: Entwicklung des Brutbestands im Kreis Paderborn im Zeitraum 2010-2019, LINK (abgerufen am 05.08.2021). 11 So der am 24./25.06.2021 von Bundestag und-rat beschlossene § 16b BImschG, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode, Drucksache 19/30954, LINK (abgerufen am 05.08.2021). 8
Genehmigungsverfahren keinen Lösungsansatz bieten. Um die Prüfung und Bewertung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos gemäß § 44 BNatSchG sinnvoll durchführen zu können, bedarf es Signifikanzschwellenwerte als klare Bewertungsmaßstäbe. Pauschale Abstände mit Tabuwirkung um Brutplätze werden der erforderlichen Ermittlung der vorhabenbezogenen Risikoerhöhung für ein Individuum durch die WEA nicht gerecht. Im Zusammenhang mit der Ausnahme vom Tötungsverbot gemäß § 45 BNatSchG wird davon ausgegangen, dass Dichtezentren zur „Nichtverschlechterung des Erhaltungszustandes“ (§ 45 Abs. 7 BNatSchG) beitragen könnten. Insofern könnten Dichtezentren zur Erfüllung dieser Ausnahmevoraussetzung und damit zur Verfahrensvereinfachung für Ausnahmegenehmigungen beitragen. Allerdings bleibt dies insgesamt zweifelhaft, denn rechtsnormativ ist eben die Nichtverschlechterung des Erhaltungszustands, nicht aber die Lage innerhalb oder außerhalb eines Dichtezentrums de lege lata relevant. 2.4 Keine Schutzgebietskategorie / Bund und Land für den Arterhalt zuständig Ein Dichtezentrum ist keine eigene Schutzgebietskategorie und hat somit keine rechtsnormative Verankerung. Die EU-Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 4 Absatz 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie verpflichtet, die für die „Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten“12 zu erklären. Dabei sind die Schutzerfordernisse in den geografischen Gebieten der EU-Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Zur Erfüllung dieser Pflicht ist es nicht notwendig alle Gebiete unter Schutz zu stellen, in denen bedrohte Vogelarten vorkommen. Ausreichend ist es vielmehr, diejenigen Landschaftsräume auszuwählen, die am besten die Gewähr für die Verwirklichung der Richtlinienziele bieten. Die Auswahl hat allein anhand naturschutzfachlicher Kriterien zu erfolgen.13 Durch die Ausweisung Europäischer Vogelschutzgebiete (gegenwärtig ca. 11,3 % der deutschen Landesfläche14) erfahren wertvolle Lebensräume für Vögel bereits eine spezielle Wertung als solche. Insofern existiert bereits ein rechtlich verankertes Schutzregime für die europäischen Vogelarten. Vorhandene Schutzgebiete wären zunächst so auszurüsten und zu pflegen, dass sie ihren Schutzzweck nachweislich erfüllen. Dafür sind Artenhilfsprogramme der Länder gezielt auszurichten. 12 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten. 13 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urteil vom 2.8.1993, Rs. C-355/90 – Santoña, Slg. 1993, I-4221; Michael Heugel, in Lütke/Ewer, BNatSchG, 2. Auflage 2018, § 32 Rn. 3. 14 BfN (2019): Vogelschutzgebiete in Deutschland gemäß Art. 4 Vogelschutz-Richtlinie, LINK (abgerufen am 07.07.2021). 9
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