Die "Jenaer Erklärung gegen Rassismus" und ihre Anwendung im Unterricht
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IMPRESSUM Porges, Karl & Hoßfeld, Uwe: Die Jenaer Erklärung gegen Rassismus und ihre Anwendung im Unterricht, herausgegeben vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Erfurt 2023 ISBN: 978-3-9821193-7-3 Autoren Dr. Karl Porges & apl. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld Friedrich-Schiller-Universität Jena Fakultät für Biowissenschaften Institut für Zoologie und Evolutionsforschung AG Biologiedidaktik Am Steiger 3 (Bienenhaus) 07743 Jena Herausgeber Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Postfach 900463 99107 Erfurt Tel.: +49 361 57 341 1100 Fax: +49 361 57-34411690 poststelle@tmbjs.thueringen.de https://bildung.thueringen.de Fotos Titelbild, S. 2: Bildagentur PantherMedia | shtefanyelizaveta@gmail.com S. 4: Jacob Schröter S. 14: Bildagentur PantherMedia | Arne Trautmann Diese Publikation darf nicht als Parteienwerbung oder für Wahlkampfzwecke verwendet werden. Die Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung; sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Stand: März 2023
Inhalt Vorwort 4 1 Einleitung: Den Begriff „Rasse“ überwinden 7 2 Positionen der Kultusministerkonferenz (KMK) 9 3 Die „Jenaer Erklärung“ von 2019 11 4 Grundaussagen der „Jenaer Erklärung“ 15 5 Ausgewählte Sachinformationen und Hinweise für den Unterricht 17 5.1 Ernst Haeckel und die Menschenarten 17 5.2 Zur Hautfarbe des Menschen 21 5.3 „Rasse“ bei Haustieren und Menschen: ein Missverständnis 23 6 Ausblick 25 Anhang: Text der „Jenaer Erklärung“ 26 Literatur 30 3
Vorwort Rassismus in unserem Land ist ein tagtägliches Natürlich kommt auch da dem Bildungssektor Alltagsproblem. Es steht einer weltoffenen, tole- eine besondere Bedeutung zu, denn schon bei ranten und vielfältigen, modernen Gesellschaft der Bildung und Erziehung unserer Jüngsten fundamental entgegen, in der wir leben wollen müssen wir ansetzen. Deshalb begrüße ich die und die die Grundlage für eine freie Entwicklung „Jenaer Erklärung“ gegen Rassismus und auch der Persönlichkeit ist. Die Gleichwertigkeit aller ihre Anwendung im Schulunterricht. Mit dieser Menschen und ihre gleichberechtigte Teilnahme Publikation werfen wir ein besonderes Schlag- an der Gesellschaft sind ein hohes Gut und ei- licht auf den Begriff der Rasse selbst, seine gentlich selbstverständlich. Die Realität ist aber äußerst belastete Geschichte in Wissenschaft leider immer noch viel zu häufig eine andere. und Schule und auf den Wandel insbesondere Menschen werden ausgegrenzt, abschätzig be- im Biologieunterricht, der in den letzten Jahren handelt, rassistisch beleidigt oder diskriminiert. nicht zuletzt durch die biologiedidaktische Wis- Rassismus gibt es offen und versteckt. Gerade senschaft und die Jenaer Erklärung angestoßen Letzteres zieht sich quer durch die Gesellschaft. worden ist. Dieser Wandel war überfällig, denn Manchmal ist es gar nicht so einfach, ihn als sol- noch bis in das beginnende 21. Jahrhundert hi- chen zu erkennen und zu entlarven. Häufig ist es nein fanden sich – auch in Thüringen und trotz eine Frage der Wortwahl oder des nonverbalen eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse – Agierens beispielsweise durch abschätzige oder Reste dieses Begriffs in der schulischen Praxis. hämische Blicke. Und es gibt den strukturellen Auch in den unmittelbar vergangenen Jahren gab Rassismus. Hier sind wirksame Kommunika- es Einzelfälle, die zeigen, dass die Verdrängung tions- und Handlungsstrategien gefragt, denn des Begriffs aus Köpfen und manchen Lehrkon- Rassismus ist in allen seinen Ausprägungen zepten noch nicht vollständig gelungen ist. Die inakzeptabel. Ein zielstrebiges Vorgehen gegen Jenaer Erklärung, so selbstverständlich und da- rassistische Vorurteile und Stereotype muss flä- mit womöglich redundant sie manchem erschei- chendeckend in unserer Gesellschaft verwurzelt nen mag, ist nach wie vor relevant und hochak- sein, wenn vorhandene Ungleichheitsstrukturen tuell. immer mehr der Vergangenheit angehören sol- len. Aktiv gegen jegliche Form des Rassismus und Diskriminierung in den Schulen zu wirken, ist eine Verpflichtung für alle Lehrkräfte, für alle Pä- dagoginnen und Pädagogen in Thüringen. In einer Welt, die von wirtschaftlichen Globalisie- rungsprozessen, einer Vielzahl von politischen Polarisierungs- und Radikalisierungsformen, von wieder mehr um sich greifender gruppenbe- zogener Menschenfeindlichkeit, dem Erstarken wissenschaftsfeindlicher Auffassungen, dem Auftreten verschiedenster Verschwörungstheori- 4
en sowie deren Verbreitung im Internet geprägt Vieles entwickelt sich in Thüringen Schuljahr für ist, sind alle Lehrkräfte sowie Lehramtsanwärte- Schuljahr, und diese schlaglichtartige Moment- rinnen und Lehramtsanwärter ganz besonders aufnahme zeigt, dass besonders durch aktives gefordert, den Bildungs- und Erziehungsauftrag, Lernen und Handeln im Miteinander Schülerin- den das Thüringer Schulgesetz vorgibt, mit ei- nen und Schüler Erfahrung machen können, die ner eigenen Haltung konkret auszugestalten. sie für ihr weiteres Leben prägen. Die vielfälti- Ich denke an das eigene Rollenverständnis und gen Aktivitäten: schulisch, außerschulisch, wie an eine Vorbildwirkung, so dass ihr fundiertes auch in der Lehrerfortbildung beziehungsweise Wissen im Schulalltag auch zur Stärkung der Lehrerbildung tragen also wirkungsvoll zu einer Vermittlung der demokratischen Werte unse- Stärkung der Demokratiebildung in den Schulen res Grundgesetzes beiträgt. Dabei kommt der bei. Für die Zukunft unseres Landes ist es daher Auseinandersetzung mit den Themen Rassis- von großer Bedeutung das Verständnis für die mus und Diskriminierung fächerübergreifend demokratischen Säulen fest im Bewusstsein zu eine Schlüsselstellung bei Prozessen der poli- verankern, denn die heutigen Schülerinnen und tischen Bildung, der Förderung rassismuskriti- Schüler sind die Verteidigerinnen und Verteidi- scher Urteilsbildung und der Weiterentwicklung ger der Demokratie von morgen. Alle Lernenden der demokratischen Schulentwicklung zu. Be- in den Thüringer Schulen sollen Kompetenzen reits heute gibt es ganz vielfältige schulische erwerben, die sie stark machen gegen antide- Ansätze und Möglichkeiten zur Stärkung der mokratische, antisemitische, extremistische politischen Bildung sowie der Förderung des und populistische Positionen. Die Aneignung rassismuskritischen Lehrens und Lernens, die demokratischer Wissenskompetenzen und die in verschiedenen Thüringer Schulen umgesetzt Stärkung des Urteils-, Handlungs- und Vermitt- werden. Lassen Sie mich das an einigen Bei- lungsvermögens ist ein fester Bestandteil der spielen darstellen: Da wäre zum Beispiel die partizipativen und demokratischen Schulent- „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. wicklung. Aktuell gibt es 65 allgemein bildende Thüringer Schulen, die im entsprechenden bundesweiten Alle Menschen haben das Recht auf ein Leben Netzwerk eingebunden sind. Als weiteres gibt es frei von Diskriminierung. Die Würde eines Jeden die „Service-Learning-Schulen“, die dem Prinzip und einer Jeden ist unantastbar. Von klein auf Lernen durch Engagement folgen. Auch freue ich müssen Kinder und Jugendliche entsprechend mich, dass es zahlreiche Schulklassen gibt, die sensibilisiert werden. Dafür haben die Familien regelmäßig Thüringer Lernorte und die Gedenk- eine große Verantwortung, aber auch die Bil- stätte in Ausschwitz besuchen. Bis zu Beginn dungseinrichtungen in unserem Land. In Schu- der Corona-Pandemie waren das jährlich etwa len als Orten der Demokratiebildung fördern wir 180 Schulen, die zu außerschulischen Lernor- die Anerkennungskultur von Schülerinnen und ten in Thüringen gefahren sind und bis zu 15 Schülern und unterstützen ihre Möglichkeiten Schulen, die zur internationalen Gedenkstätte der Mitbestimmung. Und wir treten vehement in Ausschwitz und weiteren Orten früherer natio- dafür ein, dass auch im Unterricht Diskriminie- nalsozialistischer Vernichtungslager im heutigen rung jeglicher Art entgegengewirkt wird. Polen gereist sind. Daran knüpfen wir nun wieder an. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch den Landeswettbewerb „Jugend debattiert“ und das Landesprogramm beziehungsweise den Landes- wettbewerb „Demokratisch Handeln“, bei denen zahlreiche Schülerinnen und Schüler aus Thürin- Helmut Holter gen mitmachen. Thüringer Minister für Bildung Jugend und Sport 5
1 Einleitung: Den Begriff „Rasse“ überwinden Das Konzept der „Rasse“, auf den Menschen vermehrt auseinanderzusetzen. Orientierung für übertragen, gilt seit langem als wissenschaftlich die politische Bildung liefern zwar der Beutels- überholt. Zentrale Appelle für diese Lesart sind bacher Konsens von 1976 (vgl. Wehling 1977) etwa das „Statement on Race“ (1950) sowie die sowie das Magdeburger Manifest von 2005, die „Erklärung über ‚Rassen‘ und rassistische Vorur- Auseinandersetzung mit dem Begriff „Rasse“ als teile“ von 1978 (beides UNESCO), die „UNESCO- etablierter Fachsprache muss jedoch auch (bio-) Erklärung gegen den ‚Rasse‘-Begriff“ von 1995, wissenschaftlich geführt werden. die „Erklärung des Vorstandes der American An- thropological Association“ (AAA) aus dem Jahr Unsicherheiten im Umgang mit dem Begriff re- 1998 sowie im Jahr 2019 das „AABA Statement sultieren zum Teil daher, dass Rassentheorien, on Race & Racism“ und die „Jenaer Erklärung“. wenn auch nicht als rassistische Segregation intendiert, noch bis Anfang des 21. Jahrhunderts Die kontroversen Reaktionen bspw. auf die im Biologieunterricht verpflichtend behandelt „Jenaer Erklärung“ (vgl. Abb. 1) sowie die Er- wurden. Dies zeigt eine Analyse historischer gebnisse des Thüringen-Monitors (Reiser et al. Schulmaterialien (Porges 2022). Zwar sind die 2021) und des Nationalen Diskriminierungs- & aktuellen Lehrpläne frei von derartigen Annah- Rassismusmonitors (Foroutan et al. 2022) ver- men, doch kritisiert Fereidooni (2016) zurecht, deutlichen dabei die Notwendigkeit, naturwis- dass das Bildungssystem Rassismus dann be- senschaftlich fundierte Rassismuskritik auch im günstigt, wenn Rassismuskritik kein Thema ist Schulunterricht zu implementieren. Schließlich (Sprung 2021). Zwar ist unstrittig, dass admi- kommen Lehrkräfte nicht umhin, sich mit anti- nistrative Vorgaben wie die Thüringer Lehrpläne demokratischen und menschenverachtenden und der Thüringer Bildungsplan von demokrati- Ansichten in der analogen sowie digitalen Welt schen Werten geprägt sind und somit ein anti- Abb. 1: Facebook-Einträge zur „Jenaer Erklärung“ prozentual gestapelt (Erhe- bung vom 18. Dezember 2019; Porges et al. 2021b). 7
rassistisches Weltbild postulieren, ihnen fehlen der Gedenkstätte Buchenwald, dem Lebenshilfe- jedoch zumeist konkrete inhaltliche Angebote Werk Weimar/Apolda e. V. sowie dem ThILLM. für die Umsetzung im Unterricht. Ein vielfältiges Finanziert wird das Vorhaben durch Fördergelder Angebot für die Beschäftigung mit Rassismus des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), – in diesem Kontext auch ein Baustein der De- verwaltet durch die Stiftung Erinnerung, Verant- mokratiebildung – liefern eher außerschulische wortung und Zukunft (EVZ) aus Berlin. Auf der Initiativen, die Landes- und Bundeszentrale für Basis von Biographiearbeit und in Zusammenar- politische Bildung, Gewerkschaften, vereinzelt beit mit Wissenschaftler*innen, Kunstschaffen- auch (fach-)didaktische Zeitschriften etc. sowie den und Fachdidaktiker*innen/ Pädagog*innen ausgewählte Publikationen und Fortbildungs- entstehen eine Graphic Novel, Fassadenprojek- angebote des Thüringer Institutes für Lehrer- tionen, Bildungsmedien für das (außer-)schu- fortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien lische Lernen und ein Theaterstück. Relevante (ThILLM). Materialien für den Unterricht sollen dann auch im Thüringer Schulportal hinterlegt werden. Exemplarisch für eine institutsübergreifende Arbeit steht ein Projekt der Bildungsagenda Hier schließt die vorliegende Handreichung an NS-Unrecht mit dem Titel „Beredtes Schwei- und bietet mit der schulischen Aufarbeitung der gen – NS-Eugenikverbrechen und ihre Folgen“ „Jenaer Erklärung“ (2019) einen weiteren An- (Förderzeitraum: 2023 bis 2024). Hier arbeiten satz für rassismuskritische Bildungsarbeit. Die zahlreiche Akteure mit, um die Täterorte der im folgenden abgedruckten Hinweise und Texte „Rassenhygiene“ in Thüringen und exempla- entstammen dabei zum Teil aus vorausgegange- risch Lebens- und Leidenswege ins öffentliche nen fachdidaktischen bzw. wissenschaftlichen Bewusstsein zu rücken. Zu den Projektpartnern Veröffentlichungen der Autoren und dienen, so gehören die Arbeitsgruppe Biologiedidaktik der die Intention, als Anregung für ein weiteres, ver- Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Lernort tiefendes Studium für alle Thüringer Lehrkräfte, Weimar e. V. sowie das Jugendtheater Stellwerk Pädagog*innen und Interessierten (vgl. das Lite- Weimar. Unterstützung erhalten sie dabei von raturverzeichnis). Anmerkung: Aus heutiger Sicht ist die Rechtsprechung „einer der wenigen Orte, in denen Rasse als personale Kategorie noch Verwendung findet“ (Liebscher 2021). Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lautet: „Niemand darf wegen […] seiner Rasse […] benachteiligt oder bevorzugt werden“ (BMJV, 2020, S. 2). Doch steht dabei die Verwendung des Begriffes wiederholt im politischen und öffentlichen Raum zur Diskussion. Die Debatte behandelt dabei das allgemeine Problem, dass Recht gegen Rassismus den Begriff „Rasse“ mit rassistischen Konzepten teilt (Lieb- scher 2012). Unter Bezugnahme auf den Bedeutungsgehalt des Begriffs „Rasse“ stellen Kutting und Amin (2020) aus rechtswissenschaftlicher Sicht die Frage, ob die Begriffsverwendung im Grundge- setz trotz der naturwissenschaftlichen Widerlegung sachdienlich ist und weiterhin gerechtfertigt werden kann. Sie kommen dabei zu dem Schluss: „Der Terminus ‚Rasse‘ bleibt trotz verschiedener Umdeutungsversuche einem biologistischen Deutungsmuster verhaftet und ist somit im Grundge- setz nicht mehr tragfähig. Die neuerliche naturwissenschaftliche Thematisierung des Rassebegriffs muss als Anstoß genommen werden, den bisher unternommenen Änderungsanläufen auch auf Ver- fassungsebene zur Umsetzung zu verhelfen. In der Gesamtschau hat sich die Formulierung ‚auf- grund rassistischer Kriterien‘ als beste Formulierungsoption für Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erwiesen“ (Kutting und Amin 2020, S. 617). 8
2 Positionen der Kultusministerkonferenz (KMK) In einigen Beschlüssen und Veröffentlichungen liegen (vgl. u. a. Beelmann 2018; Beelmann und der KMK finden sich Elemente einer rassismus- Sterba 2021). kritischen Bildungsarbeit. Dazu gehören bei- spielsweise die Empfehlungen zur Auseinander- Mit Blick auf Bildungsmedien (Schullehrbücher setzung mit dem Holocaust in der Schule (1997), etc.) sind Bildungsverwaltungen und Schulen die Empfehlungen zur Interkulturellen Bildung bereits seit einiger Zeit angehalten, diese „auf und Erziehung in der Schule (2013) und zur Erin- eine angemessene, diskriminierungsfreie und nerungskultur (2014) sowie zur Lehrerbildung für rassismuskritische Berücksichtigung der viel- eine Schule der Vielfalt (2015a). Auch nahm die schichtigen, auch herkunftsbezogenen Hetero- KMK im Jahr 2018 das siebzigjährige Jubiläum genität von Schülerinnen und Schülern [zu prü- der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrech- fen]“ (KMK 2015b, S. 4). te“ zum Anlass, Hinweise zur Menschenrechts- bildung in der Schule zu veröffentlichen. Darüber Neben diesen allgemeinen Vorgaben ist eine kri- hinaus empfiehlt die KMK (2021, S. 9), sich mit tische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Ras- der Wirkung von Vorurteilen, Stigmatisierung, se“ in relevanten Fächern wie Biologie, Ethik etc. Rassismus und Antisemitismus proaktiv ausein- bisher jedoch nicht vorgesehen, sondern bleibt anderzusetzen und verweist hier auf „zahlreiche primär im Schulfach Geschichte verortet (KMK, Angebote außerschulischer Bildungsinitiativen“ 1997). Zwar heißt es im KMK-Beschluss von wie beispielsweise „Schule ohne Rassismus – 2018, dass „Fächer wie Geschichte, Politik/Wirt- Schule mit Courage“ (KMK 2018, S. 5). schaft/Sozialkunde/Sachkunde, Sprachen, Bio- logie, Religion und Ethik/Philosophie“ über „ein Dass dieses Projekt und somit politische Bildung besonderes Potenzial für eine an den Menschen- erfolgreich bereits in der Grundschule gelebt rechten orientierte Wertebildung verfügen“, werden können, zeigt bisher einmalig in Thürin- doch bleibt eine naturwissenschaftlich fundierte gen die Freie Ganztagsgrundschule Anna Amalia Rassismuskritik, die aktuelle wissenschaftli- in Weimar . Sie kommt damit nicht nur den Fra- che Erkenntnisse mit einbezieht, an deutschen gen der Kinder nach, sondern handelt entspre- Schulen ein Desiderat (vgl. Porges & Stewart chend dem Forschungsstand. Dieser besagt, 2022). Die Einbindung der „Jenaer Erklärung“ im dass die sensiblen Phasen der Vorurteils-, Mo- Unterricht könnte diese Lücke schließen helfen. ral- und Werteentwicklung in der Grundschulzeit 9
3 Die „Jenaer Erklärung“ von 2019 Die „Jenaer Erklärung“ ist eine wissenschaftliche wie bspw. der Hautfarbe oder Haarstruktur Stellungnahme, die das „Konzept der Rasse“ so- und deren Umsetzung in eine stammesge- wie den Rassismus in den Wissenschaften und schichtliche Sichtweise. Daraus wurden eine der Öffentlichkeit kritisch und aktuell hinterfragt. soziale Leserichtung und Visualisierung mit Sie wurde am 10. September 2019 anlässlich angeblich biologisch höher und tiefer ste- der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologi- henden Menschenarten. schen Gesellschaft (DZG) in Jena vom Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Friedrich- 2. Mit diesem Haeckel-Bezug war eine mehr Schiller-Universität in einer öffentlichen Abend- als 80jährige Kontinuität im Rassedenken veranstaltung zum Thema „Jena, Haeckel und die (1863 bis 1945) an der Universität Jena ge- Frage nach den Menschenrassen: wie Rassismus geben, die in diese aktuellen Diskussionen Rassen macht“ erstmals vorgestellt. Die Autoren mit einbezogen werden musste und der Erklärung sind der Zoologe und Evolutions- biologe Martin S. Fischer (Jena), der Biologie- 3. wollte man den sonst üblichen wissen- historiker und Biologiedidaktiker Uwe Hoßfeld schaftshistorischen Einführungsvortrag zur (Jena), der Genetiker Johannes Krause (Leipzig) „Geschichte der Zoologie in Jena“ zu Beginn sowie der Zoologe Stefan Richter (Rostock). der DZG-Tagung durch ein anderes Format Prominente Unterstützer sind der Präsident der einmal ersetzen – zumal die DZG im Jahr Friedrich-Schiller-Universität, Walter Rosenthal, 2019 bereits zum dritten Mal in Jena tagte. der Vorstand der DZG, Haeckels Urenkel Wolf- gang Benn, der ehemalige Kantonsratspräsident Mit Blick auf eine „rassistische“ (Thüringer des Kantons Zürich, Helmuth Attenhofer sowie bzw. auch Jenaer) Geschichte, die vom „Rasse- der Kriminalbiologe Mark Benecke. Die Intenti- Günther“ (gemeint ist der Philologe und Rassen- onen für das Verfassen einer „Jenaer Erklärung“ kundler Hans F. K. Günther mit seinem 1930 er- waren dreierlei: richteten Lehrstuhl für Sozialanthropologie) bis hin zum NSU-Komplex reicht und „Traditionslini- 1. Am 9. August 2019 jährte sich der 100. To- en“ aufweist, ist diese Stellungnahme nunmehr destag des Jenaer Professors Ernst Haeckel, ein weiterer Beleg für eine neue, wissenschaft- des „deutschen Darwins” und wohl bekann- lich fundierte Denkweise. Unmittelbar nach ihrer testen deutschen Zoologen und Evolutions- ersten Präsentation am 10. September 2019 biologen (Hoßfeld et al. 2019). Haeckel, wurde daher versucht, die „Jenaer Erklärung“ der Begründer der Stammesgeschichts- nicht nur den Fachwissenschaftler*innen, son- forschung, hat u. a. durch seine hypothe- dern auch einer breiten Öffentlichkeit vorzustel- tische wissenschaftliche Anordnung von len. Unter Einbeziehung der Biologiedidaktik an Menschenarten (nicht „Rassen“) in einem der Universität Jena liegen nunmehr erste Ange- „Stammbaum“ in fataler Weise zu einem bote für eine politische und rassismuskritische angeblich wissenschaftlich begründeten Bildungsarbeit für den Biologieunterricht in Thü- Rassismus beigetragen. Die Stellung der ringen und bundesweit vor (Porges et al. 2020, einzelnen Menschenarten basierte hier auf 2021 a-c). willkürlich herausgegriffenen Merkmalen 10
Eine Tagung der Universität Jena in Kooperation Da die Urfassung der „Jenaer Erklärung“ zu- mit dem ThILLM zum Thema „Die ‚Jenaer Erklä- nächst ohne wissenschaftliche Querverweise rung‘ in der (Hoch-)Schulbildung. Den Begriff und Zitierungen auskommen musste (Fischer et ‚Rasse‘ überwinden“ am 23. September 2021 al. 2019), wurde in den nachfolgenden Publika- fand ebenso großen Anklang und wurde von tionen besonders Wert auf die Wissenschaftsevi- prominenten Persönlichkeiten aus Kultur, Poli- denz gelegt, um eine Einheit von Aussage(n) und tik und den Wissenschaften unterstützt. Darun- wissenschaftlicher Überprüfbarkeit für die Leser- ter waren u. a. Andreas Beelmann (Direktor des schaft aufzuzeigen (Fischer et al. 2020, 2021; KomRex der Universität Jena), Johannes Krause Levit und Hoßfeld 2020). Für einen rassismuskri- (Direktor am Max-Planck-Institut in Leipzig; Abb. tischen Unterricht eignen sich in Ergänzung auch 2), Stephan J. Kramer (Präsident des Amtes für Publikationen der Landeszentrale für politische Verfassungsschutz Thüringen) sowie Dota (Lie- Bildung Erfurt wie über Institute, Geld, Intrigen. dermacherin aus Berlin) und Ezé Wendtoin (Lie- Rassenwahn in Thüringen (Hoßfeld 2014) oder dermacher aus Burkina Faso, Dresden). Infolge Biologie und Politik. Die Herkunft des Menschen dieser Tagung entstand eine Publikation, die das (Hoßfeld 2021) bzw. einige Blätter zur Landes- Ziel verfolgt, vor dem Hintergrund der Geschichte kunde (Hoßfeld 2004, 2006; Hoßfeld & Breid- des „Rasse“-Begriffs vielfältige Ideen und Kon- bach 2008). Diese können kostenlos im Versand zepte zu seiner Überwindung anzubieten, die oder teilweise als E-Book online erhältlich, bei (Hoch-)Schulbildung bundesweit neu zu den- der Landeszentrale für politische Bildung in Er- ken. Dabei geht es sowohl um wissenschaftshis- furt bestellt werden. Zu empfehlen ist ebenso torische Aspekte und deren zentrale Akteure als der Beitrag von Georgy S. Levit und Uwe Hoßfeld auch um aktuelle Perspektiven moderner, rassis- (2020) über Ernst Haeckel und dessen Schüler, muskritischer Bildungsarbeit (vgl. Porges 2023). den russischen Forschungsreisenden Nikolai N. Mickloucho-Maclay. Letzterer gilt als Begründer des wissenschaftlichen Antirassismus (Abb. 3). Abb. 2: Graphik zum Vortrag „Gibt es eine genetische Grundlage für menschliche Rassen?“ von Prof. Dr. Johannes Krause, gehalten auf der Tagung „Die ‚Jenaer Erklärung‘ in der (Hoch-)Schulbildung. Den Begriff ‚Rasse‘ überwinden“ vom 23. September 2021 (Quelle: Salea Rackwitz). 11
Abb. 3: Postkarte s/w aus dem Ernst-Haeckel-Haus. Motiv: Ernst Haeckel und Nikolai Nikola- jewitsch Miklucho-Maklay (Archiv Porges, privat). 12
4 Grundaussagen der „Jenaer Erklärung“ Die Kernaussage der Autoren um Fischer et al. und andere daran, dass es der Rassismus ist, (2019, 2020, 2021) ist, dass es für die Verwen- der Rassen geschaffen hat und die Zoologie/ dung des Begriffs der „Rasse“ im Zusammen- Anthropologie sich unrühmlich an vermeintlich hang mit menschlichen Gruppen keine biologi- biologischen Begründungen beteiligt hat. Der sche Begründung gibt und tatsächlich es diese Nichtgebrauch des Begriffes Rasse sollte heute auch nie gegeben hat: „Das Konzept der Rasse und zukünftig zur wissenschaftlichen Redlich- ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen keit gehören“ (Fischer et al. 2019, S. 401−402). Voraussetzung“ (Fischer et al. 2019, S. 399). Nachdem zunächst in der Urfassung der „Jenaer Erklärung“ von 2019 in einer wissenschaftshis- Fazit: torischen Hinführung zum Themenkontext, die Frage „Warum Jena?“ beantwortet wird, schlie- Der Rassebegriff ist nichts anderes als ein ge- ßen sich ein zoologischer und (archäo)geneti- dankliches Konstrukt und entbehrt jeder Reali- scher Teil in der Argumentation an. Die Erklärung tät. Er sollte nicht mehr im Zusammenhang mit wurde mit Absicht kurz und übersichtlich gehal- Wissenschaft benutzt werden. Hier haben eben ten und verzichtete daher zunächst auf wissen- die Biologie, Anthropologie und teilweise auch schaftliche Zitierungen. Am Ende der „Jenaer die Medizin (vgl. Hoßfeld 2016), auch aufgrund Erklärung“ resümieren die Verfasser: „Eine blo- ihrer teilweise verhängnisvollen Geschichte, ße Streichung des Wortes ‚Rasse‘ aus unserem eine besondere Verantwortung, sich nunmehr Sprachgebrauch wird Intoleranz und Rassismus offensiver, objektiver und deutlicher mit den nicht verhindern. Ein Kennzeichen heutiger For- neuen Forschungsergebnissen in der Öffentlich- men des Rassismus ist bereits die Vermeidung keit zu positionieren, um eben zu verhindern, des Begriffes ‚Rasse‘ gerade in rechtsradikalen dass biologische Argumente missbräuchlich in und fremdenfeindlichen Milieus. Rassistisches sozialen oder sozialpsychologischen Kontext Denken wird mit Begriffen wie Selektion, Rein- verwendet werden. Man kann irgendein Merk- haltung oder Ethnopluralismus aufrechterhal- mal nehmen, egal welches man zu Rate zieht: ten. Bei dem Begriff des Ethnopluralismus han- Körpergröße, Haarfarbe usw., die fehlende ge- delt es sich aber um nichts weiter als um eine naue Abgrenzbarkeit widerlegt stets das Prinzip Neuformulierung der Ideen der Apartheid.“ Die der Kategorisierung. Scharfe Grenzen existieren Autoren fahren fort: „Auch die Kennzeichnung schlichtweg nicht, sondern sind reine menschli- ‚des Afrikaners‘ als vermeintliche Bedrohung che Konstrukte. Das ist auch der Grund, warum Europas und die Zuordnung bestimmter, bio- man sich für Populationen mit dem Begriff der logischer Eigenschaften stehen in direkter Tra- Metapopulation behilft. In letzter Konsequenz dition des übelsten Rassismus vergangener bedeutet das aber auch, dass nicht nur „Ras- Zeiten. Sorgen wir also dafür, dass nie wieder sen“, sondern auch Gruppen, Populationen, Völ- mit scheinbar biologischen Begründungen Men- ker nicht real sind. Real sind Gradienten! (Porges schen diskriminiert werden und erinnern wir uns et al. 2020). 13
Tafelbild: Grundaussagen der „Jenaer Erklärung“ 1. Aus genetischer Sicht sind wir alle Afrikaner! 2. Es gibt keine genetischen Grenzen, nur Gradienten! 3. Die genetischen Unterschiede innerhalb einer Population sind viel größer als zwischen den Populationen. 4. Die genetischen Unterschiede, die den Phänotyp beeinflussen, sind meist Teil der Anpassung an die Umwelt. 5. Die helle Haut der Europäer ist als Anpassung an den Ackerbau erst wenige tausend Jahre alt und aus Anatolien und Zentralasien eingewandert. Fazit: Es gibt keine genetische Basis für menschliche „Rassen“! 14
5 Ausgewählte Sachinformationen und Hinweise für den Unterricht 5.1 Ernst Haeckel und die Menschenarten Die Beschäftigung mit humanphylogenetischen Im zweiten seiner beiden 1865 gehaltenen Vor- Fragestellungen reicht beim Jenaer Zoologen trägn Ueber die Entstehung und den Stamm- Ernst Haeckel über einen Zeitraum von 45 Jah- baum des Menschengeschlechts (gedruckt ren. Sie beginnt mit dem Jahr 1863 (Stettiner 1868) unterteilte er dann die Menschenaffen Vortrag) und endet 1908 mit der Schrift über Un- (Anthropoides) in „Asiatische Waldmenschen sere Ahnenreihe (Progonotaxis Hominis). (Kleiner Orang, Großer Orang)“ und „Afrikani- sche Waldmenschen (Schimpanse, Gorilla)“. Die Im Vortrag auf der 38. Versammlung der deut- zuvor u. a. von Johann Friedrich Blumenbach un- schen Naturforscher und Ärzte in Stettin am 19. terschiedenen Menschen-Rassen fasste Haeckel September 1863 „Ueber die Entwickelungsthe- als Menschen-Arten auf und erweiterte diese auf orie Darwin‘s“ formulierte er bereits allgemein: zehn (Haeckel 1868b). „Was uns Menschen selbst betrifft, so hätten wir also consequenter Weise, als die höchst orga- Im 27. Kapitel seines Hauptwerkes Generelle nisirten Wirbelthiere, unsere uralten gemeinsa- Morphologie der Organismen mit dem Unter- men Vorfahren in affenähnlichen Säugethieren, titel „Allgemeine Grundzüge der organischen weiterhin in känguruhartigen Beutelthieren, Formen-Wissenschaft, mechanisch begrün- noch weiter hinauf in der sogenannten Secun- det durch die von Charles Darwin reformierte därperiode in eidechsenartigen Reptilien, und Descendenz-Theorie“ (1866) thematisierte endlich in noch früherer Zeit, in der Primärperi- Haeckel schließlich die Stellung des Menschen ode, in niedrig organisirten Fischen zu suchen“ in der Natur. Die somatischen und psychischen (Haeckel 1864, S. 17). Der Mensch sei weder Differenzen zwischen dem Menschen und den „als eine gewappnete Minerva aus dem Haupte übrigen Tieren seien nur quantitativer, nicht des Jupiter“ noch „als ein erwachsener sünden- qualitativer Natur. Anthropologie sei nichts an- freier Adam aus der Hand des Schöpfers“ (ebd., deres als ein spezieller Zweig der Zoologie. Als S. 26) hervorgegangen. hypothetisches Verbindungsglied zwischen den Menschenaffen (Anthropoiden) und den echten (sprechenden) Menschen sah er den Affenmen- schen, den Pithecanthropus. 15
Abb. 4: Stammbaum der 12 Menschen-Arten (Natürliche Schöpfungsgeschichte, 9. Auflage, Berlin 1898, S. 743). 16
Seine populäre Natürliche Schöpfungsgeschich- trages stellte eine Kompilation seiner Ansichten te (Haeckel 1868a) erbrachte im Hinblick auf die zur biologischen Anthropologie, Entwicklungs- früheren Arbeiten dann nichts wesentlich Neues. geschichte und Zoologie dar. So diskutierte er Er unterschied „zehn verschiedene Species der bspw. den Pithecanthropus-Fund und polemi- Gattung Homo“, unterteilt in die Abteilungen: sierte gegen die Fehldeutung des Pithecanthro- Wollhaarige Menschen (Homines ulotriches) pus durch Virchow. sowie Schlichthaarige Menschen (Homines lis- sotriches). An der Spitze des Schemas findet In späteren Schriften wie Der Kampf um den sich: „X. Kaukasischer Mensch, 20. Indoger- Entwickelungsgedanken (Berliner Vorträge von manischer (nördlicher) Zweig, 40. Germanen 1905), Das Menschen-Problem und die Herren- und als Territorium Nordwesteuropa“. Von der tiere von Linné (1907) schloss Haeckel dann an zweiten Auflage (1870) an, werden nicht mehr seine Ausführungen aus den Jahren 1866 bis zehn sondern zwölf Menschen-Arten (mit 36 1895 unmittelbar ohne nennenswerte Ergänzun- Rassen) unterschieden (Abb. 4). Man findet nun gen an. Die Schrift Unsere Ahnenreihe (Progo- auch erste rassenkundliche Bemerkungen und notaxis Hominis) von 1908 bildet den publizis- Abbildungen, die eine Wertung als „niedere“ tischen Abschluss der Beschäftigung mit diesem und „höhere“ Menschen erkennen lassen. „Die Themengebiet (Hoßfeld 2010, 2016). niedersten Menschen [Australneger, Afroneger, Tasmanier] stehen offenbar den höchsten Affen Auch in seinen „philosophischen“ Schriften [Gorilla, Schimpanse, Orang] viel näher, als dem wie Die Welträthsel (1899), Die Lebenswunder höchsten Menschen“ (ebd., S. 555). (1904), Sandalion (1910) oder den „Kriegs- schriften“ wie bspw. Ewigkeit (1915) finden sich In der Anthropogenie oder Entwickelungsge- vereinzelt Aussagen zur Herkunftsgeschichte schichte des Menschen (1874) kehrt diesel- der Menschen nunmehr mit einem stärkeren be Humanphylogenie wieder (Haeckel 1874, Bezug auf Politik und Gesellschaft. In Ewigkeit. S. 481–496; Abb. 5). Sein Stammbaumentwurf Weltkriegsgedanken über Leben und Tod/Reli- blieb bis zur sechsten und letzten Ausgabe gion und Entwicklungslehre (1915) sah Haeckel (1910, 2 Bde.) unverändert. nach wie vor in der Anthropologie einen „Teil der Zoologie“, benutzte aber wie schon in den Le- Im Werk Systematische Phylogenie (1895) dis- benswundern nun ausschließlich den Terminus kutierte Haeckel dann im achten Kapitel des „monistische Anthropologie“, die die „richtige dritten Teiles „Systematische Phylogenie der Wertschätzung des Menschenwesens“ zum Ziel Wirbelthiere (Vertebrata)“ nochmals ausführlich hat (Haeckel 1915, S. 65). Die biologische Anth- die „Systematische Phylogenie des Menschen“ ropologie sollte nunmehr in einer mehr philoso- unter stärkerer Berücksichtigung der Paläontolo- phisch orientierten Anthropologie aufgehen und gie. Von den gefundenen Fossilien sprach er ei- politische Bemerkungen enthalten. So wirft er an nigen wie dem Pithecanthropus erectus von Java einer Stelle dem „Todfeind England“ vor, „alle (1894) einen gewissen „hohen Werthe“ zu. verschiedenen Menschenrassen zur Vernichtung des deutschen Brudervolkes [nächstverwandten Im Frühjahr 1898 erhielt er die Einladung, auf Germanen] mobil gemacht“ zu haben: „[…] ruft dem vierten internationalen Zoologenkongress es [England] als Verbündete die niederen farbi- in Cambridge einen Vortrag zu halten. Von vie- gen Menschenrassen aus allen Erdteilen zusam- len Seiten war der Wunsch an ihn herangetragen men: vorab die gelben, schlitzäugigen Japaner, worden, dort eine der großen allgemeinen Fra- die perfiden Seeräuber des Ostens!, dann die gen, wenn nicht gar die „Frage aller Fragen“ (T. Mongolen aus Hinterindien und die braunen H. Huxley), zu thematisieren. Der Inhalt des Vor- Malayen aus dem benachbarten Malakka und 17
Abb. 5: Entwickelungsgeschichte des Menschen (1. Schimpanse; 2. Gorilla; 3. Orang; 4. Ne- ger). In E. Haeckel: Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des Menschen. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Grundzüge der menschli- chen Keimes- und Stammesgeschichte. Leipzig 1874, Tafel XI. 18
Hinweise für den Unterricht Ernst Haeckels Leben und Werk können im Unterricht in vielfältiger Art und Wei- se eingebunden werden (vgl. Porges und Hoßfeld 2019; Porges et al. 2021d). Vor dem Hintergrund der „Jenaer Erklärung“ lässt sich als Resümee formulieren: „Das Denken von Haeckel ist grundsätzlich von der Idee der Vervollkommnung geprägt, die Ausdruck seiner monistischen Weltanschauung war (Haeckel 1866). Wenn er, wie beim Stammbaum des Menschen, von vornherein festlegt, wer am Ende oder besser an der Spitze stehen wird, stellt sich die Frage, woher er diese Gewissheit nimmt? Schließt man Selbstliebe oder die Zugehörigkeit eines Autors zu einer bestimmten Gruppe als Motiv aus, stößt man auf einen wesentlichen As- pekt der anthropogenetischen Forschung, ihren Eurozentrismus, dessen Kehrsei- te der vermeintliche Primitivismus von ‚Afrikanern‘ ist“ (Fischer et al. 2020, S. 9). Singapore; die schwarzbraunen Australneger ein Meuchelmord der höheren menschlichen und Papuas aus Ozeanien, die Kaffern aus Südaf- Kultur gebrandmarkt“ werden (ebd., S. 86). Es rika und die Senegalneger aus den nordafrikani- sei sichtbar, dass der kulturelle und psychologi- schen Kolonien – und damit kein Farbton der tief sche Abstand zwischen den „höchstentwickelten verachteten ‚Niederen Menschenrassen‘ fehlt, europäischen Völkern und den niedrigst stehen- und das buntscheckige Heer des stolzen Albion den Wilden größer ist, als derjenige zwischen auch in ethnographischer Zusammensetzung diesen letzteren und den Menschenaffen“; d. h. die ‚ewige Weltherrschaft‘ des anglosächsischen Haeckel deutete und übertrug hier sein Schema Inselvolks demonstriert, werden auch noch die „Die Familiengruppe der Katarrhinen“ von 1868 Reste der Rothäute aus Amerika auf die blut- (Natürliche Schöpfungsgeschichte) auf die zivili- dampfenden Schlachtfelder von Europa herü- satorischen Entwicklungen (Pithecometra-Satz). bergeschleppt!“ (Haeckel 1915, S. 86, Hervorhe- Er missachtete ferner den „brutalen National- bungen im Orig.). Aus seiner Sicht stellte sich der Egoismus“ Englands, der nur der Aufrechterhal- gesamte Erste Weltkrieg als ein „niederträchtiger tung der „pambritischen Weltherrschaft (‚für alle Verrat an der weißen Rasse“ dar und musste „als Ewigkeit!’)“ diene (Haeckel 1915, S. 86). 5.2 Zur Hautfarbe des Menschen Dass man Menschen nach Hautfarbe klassifiziert Ackerbauern aus Anatolien nach Europa. Zuvor macht wenig Sinn, denn stark pigmentierte Men- waren Europäer stärker pigmentiert. Sie haben schen gibt es nicht nur in Afrika, sondern auch ihre Pigmentierung erst in den letzten 5000 Jah- in Asien, Australien und Amerika. Nur in Europa ren wahrscheinlich als direkte Folge der Sess- gibt es diese scheinbar nicht. Allerdings haben haftigkeit und Ausbreitung des Ackerbaus verlo- genetische Analysen gezeigt, dass dies vor weni- ren. Wurde der Vitamin-D-Bedarf bei Jägern und gen Jahrtausenden noch anders war. Die europäi- Sammlern hauptsächlich über Fisch und Fleisch schen Ureinwohner, die bis vor 5000 Jahren noch gedeckt, so entstand in der Ernährung der frühen in Mitteleuropa als Jäger und Sammler lebten, Ackerbauern ein Mangel, der durch zunehmen- besaßen noch nicht die Gene, die heutigen Eu- des „Ausbleichen” kompensiert werden musste. ropäern ihre Hellhäutigkeit verleihen. Diese ka- Vitamin D kann bekanntermaßen aus einem Cho- men vor 7-8000 Jahren erstmals mit den frühen lesterinderivat in der Haut durch UV-Strahlen des 19
Sonnenlichtes gebildet werden. Umso schwä- beim Menschen somit nicht existent. Es handelt cher die Pigmentierung, umso mehr UV-Licht sich hier um Gradienten, die beweisen, dass es dringt durch die Haut. Die frühen Ackerbauern keine scharfen Grenzen/Abgrenzungen inner- aus Anatolien mussten also ihre Pigmentierung halb der menschlichen Entwicklung zwischen allmählich verlieren, um sich im dunklen Winter benachbarten Weltregionen gibt (Abb. 6). Sie Mittel- und Nordeuropas dauerhaft auszubreiten. existieren nicht, sondern sind nur Konstrukte. Folglich sind die Menschen Skandinaviens am Ferner deuten aktuelle Befunde der Genetik, An- wenigsten pigmentiert. Der Norden Europas ist thropologie, Ethnologie und Molekularbiologie mit Abstand der nördlichste Punkt auf der Welt, darauf hin, dass der moderne Mensch erst vor ca. an dem Ackerbau betrieben werden kann. Durch 200 000 Jahren in Afrika entstand und sich vor den Golfstrom gibt es dort wesentlich mildere relativ kurzer Zeit in die bewohnbaren Gebiete Winter als auf dem gleichen Breitengrad in Sibi- der Erde ausbreitete und sich während dieses rien, Alaska oder Kanada, wo in diesen Breiten Prozesses an die unterschiedlichen Umweltbe- Permafrost herrscht und die Ureinwohner dieser dingungen (Klima etc.) anpassen musste. Als der Regionen meist auch stärker pigmentiert sind, moderne Mensch (Homo sapiens) vor ca. 50 000 z. B. die Inuit, die ihren Vitamin-D-Bedarf durch bis 60 000 Jahren Afrika verließ, traf er in Eura- ihre Nahrung wie Fisch und Fleisch decken (Fi- sien nach heutigem Erkenntnisstand mindestens scher et al. 2020, 2021). drei seiner unmittelbaren Verwandten – Homo floresiensis, den Neandertaler (Homo neandert- Die Genforschung hat nun mit Analysen an altem halensis) und wohl auch den jüngst entdeckten Skelettmaterial (auch als Archäogenetik bezeich- Denisovaner aus dem russischen Altai-Gebirge net) den Schwachpunkt solcher Überzeugungen (Krause et al. 2010, Green et al. 2010, Reich et aufgedeckt und gezeigt, dass zwischen mensch- al. 2010). Diese Notwendigkeit der Anpassung lichen „Gruppen“ im Laufe der Zeit ein immer- an die jeweils unterschiedlichen Umweltbedin- währender Genaustausch stattgefunden hat. So gungen hat aber eben nur in einer kleinen Un- zeigen die heutigen Einwohner Westeurasiens tergruppe von Genen, die die Empfindlichkeit bspw. nur halb so viele genetische Unterschiede gegenüber Umweltbedingungen betrifft, z. B. wie die Menschen, die dort noch vor 10 000 Jah- Sonneneinstrahlung, Veränderungen bewirkt (Fi- ren lebten. Gruppen, Völker oder „Rassen“ sind scher et al. 2020, 2021). Hinweise für den Unterricht Für den Unterricht kann ein Gedankenexperiment hilfreich sein (vgl. Porges et al. 2020). Die Schülerinnen und Schüler sollen sich dabei folgendes Szenarium vorstellen: Alle Menschen unserer Erde stellen sich in einer Reihe nebeneinander auf und erhalten die Aufgabe, sich nach der Farbe ihrer Haut zu ordnen. Zuge- geben, das wird ein wenig dauern und auch nicht wirklich umsetzbar sein. Aber wir befinden uns in einem Gedankenexperiment und da ist alles möglich. Ganz links soll der Mensch mit der dunkelsten Hautfarbe und ganz rechts der mit der hellsten stehen. Nun erhalten die Lernenden die Aufgabe, eine klare Trennung zwischen dunkelhäutig und hellhäutig festzulegen. Schnell wird klar, dass das nicht möglich ist. Jede Trennung, die man vornimmt, wird willkürlich sein, da der Übergang fließend ist. Nur schwarz und weiß gibt es eben nicht. Ferner kann hier angesprochen werden, dass die Hautfarbe ebenso im Jahresverlauf und auch in der Individualentwicklung selbst stets in Veränderung begriffen ist (Anpassungs- erscheinungen, Alterungsprozesse etc.). 20
5.3 „Rasse“ bei Haustieren und Menschen: ein Missverständnis Es zeigt sich bis heute in den aktuellen Dis- schnelle Veränderung der Art beim Menschen gar kussionen, dass anscheinend ein merkwürdi- nicht möglich. Die meisten Hunderassen sind/ ges Bedürfnis vorhanden ist, das Konzept der wurden von Menschen durch Inzuchtverpaarung „Menschenrassen“ zu retten, da phänotypische gezüchtet, um eben bestimmte Eigenschaften zu (äußere) Unterschiede und genetische Differen- erzeugen. Sie sind auf eine etwas andere Art und zierung doch nun „offensichtlich” im Alltag etc. Weise damit auch „Konstrukte des menschlichen seien („Man sieht doch sofort die Unterschie- Geistes“. Das englische Wort „breed“ beschreibt de!“). Statisches, typologisches Denken scheint dies viel besser als das deutsche Wort „Rasse“ dem Menschen eigen zu sein. Typologie zeichnet und der Begriff Hundezüchtung wäre geeigneter sich aber nun gerade durch das Fehlen von Über- als Rassezucht und warum nicht Hunde„sorte“, gängen und von statischen Eigenschaften aus wie es in der Botanik oder bspw. Pflanzenzucht und widerspricht allen Befunden zur Diversität Verwendung findet?: „Die Analogie zwischen des Menschen. Oder es wird bspw. behauptet, Haustierrassen insbesondere Hunderassen und bei Tieren spricht man immer noch von „Ras- vermeintlichen Menschenrassen ist häufig ein sen“, also gelte dies auch für den Menschen. Die rechtfertigendes Argument für die Existenz letz- meisten Hunderassen gibt es überhaupt erst seit terer in der Gleichsetzung von phänotypischer 150 Jahren oder jünger. Ohne das ständige Ein- Variabilität und deren Kategorisierung. Man sähe greifen des Menschen würde es diese gar nicht doch hier wie dort die Unterschiede. Die dieser geben. Hunde sind also domestizierte Wölfe. So- Analogie zugrunde liegende Annahme ist eigent- mit sind die Unterscheidungen, die uns so offen- lich simpel, dass die Verschiedenheit zwischen sichtlich erscheinen, das reine Ergebnis dieses unterschiedlichen Gruppen höher ist als inner- Züchtungsprozesses. Evolutionär gesehen (lang halb einer Gruppe […] Ein Airedale Terrier ist ein andauernde Zeiträume), wäre so eine rasante, Airedale Terrier und kein Boxer!“ (Fischer et al. Abb. 6: Schematische Darstellung der genetischen Verwandtschaftsgradienten der heutigen Menschen. Der Farbverlauf verdeutlicht, dass es keine Stufen in der genetischen (und ebenso in der phänotypischen) Variation der menschlichen Populationen gibt. Die größeren genetischen Unterschiede innerhalb Afrikas sind hier nicht abgebildet. (Bild von: Michelle O‘Reilly, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte; Porges et al 2021a). 21
2020, S. 19). Weiter heißt es: „Beim Menschen nen erlaubt, nicht jedoch zu einer ‚Rasse‘. [...] ist es genau umgekehrt wie bei den Hunderas- Das heißt, natürlich gibt es eine genetische Dif- sen, und die Schimpansen stehen dazwischen. ferenzierung des Menschen, die auch eine klein- Die Variabilität innerhalb einer menschlichen räumige, geographische Gliederung aufweist; Population ist außergewöhnlich hoch [... und] nichts anderes wäre zu erwarten gewesen, da die Unterschiede zwischen menschlichen Popu- Fortpflanzungspartner nicht zufällig, sondern na- lationen sehr gering [...]. Es ist übrigens genau türlich eher in der Nähe als in der Ferne gefunden diese hohe Variabilität in jeder menschlichen Po- werden“ (ebd. S. 20). pulation, welche – genügend genetische Daten vorausgesetzt – in der Kombinatorik eine relativ gute Zuordnung zu geographischen Populatio- Hinweise für den Unterricht Bei der Frage, ob „Rassen“ im Generellen und „Menschenrassen“ im Besonderen, eine biologische Realität sind, können Textbausteine der „Jenaer Erklärung“ für die Phasen der inhaltlichen Erarbeitung hilfreich sein (vgl. Porges et al. 2021b). Als Vorgehensweise bietet sich die Methode Think-Pair-Share an (vgl. u. a. Bönsch 2002, S. 80–83), das heißt, nach der Einzelarbeit am Text tauschen sich die Lernenden paarweise aus. Anschließend werden die Ergebnisse im Plenum zusammengetragen. In allen drei Phasen können die Lernenden ihre Gedanken in Form einer durch die Lehrkraft vorgegebenen Vergleichstabelle festhalten, die danach als Tafelbild gemeinsam entwickelt wird und als Übergabe für den Hefter dient (Tab. 1). Der Vergleich von Haustieren und Menschen zeigt daran deutlich, dass der Begriff „Rasse“ (besser: Zuchtformen) bei Haustieren passend, auf den Menschen jedoch nicht übertragbar, ergo das Konstrukt bzw. der vermeintliche Analogieschluss „Menschenrassen“ ein Trugschluss ist. Methodische Möglichkeiten, um bspw. in einer Festigungsphase Argumente und Gegenargumente – also das Nachempfinden gesellschaftlicher Diskurse – ziel- führend auszutauschen und dabei ein Verständnis für die Argumentationsstra- tegie des Gegenübers zu erhalten, gibt es viele. Bei der Diskussionsmethode Fishbowl (vgl. u. a. Mattes 2011) diskutiert eine kleine Anzahl der Lernenden in einem Innenkreis mit der Lehrkraft als Moderator, während der Großteil der Klas- se in einem Außenkreis die Diskussion beobachtet. Die Gesprächsrunde bleibt dadurch überschaubar und die Lernenden sind auf das Thema fokussiert. Damit der Meinungsaustausch aktiv und lebendig bleibt, sollte im Innenkreis ein Gast- Stuhl vorhanden sein, auf dem Lernende aus dem Außenkreis Platz nehmen und mitdiskutieren können. Zulässig ist es auch, dass Diskutanten aus dem Innen- in den Außenkreis wechseln können. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass alle am Gespräch teilnehmen und die Debatte gruppendynamische Prozesse zeigt. 22
Tabelle 1: Vergleich von Haustier und Mensch anhand vorgegebener Kriterien (Tafelbild aus Porges et al. 2021b). Haustier, z. B. Haushund Mensch (Canis lupus familiaris) (Homo sapiens) phänotypische Vielfalt variantenreich variantenreich durch Zuchtformen innerhalb der Art genetische Vielfalt zwischen Zuchtformen hoch, zwischen Populationen gering, innerhalb einer Zuchtform gering innerhalb einer Population hoch Verbreitung weltweit mit fehlender weltweit, dabei genetische geografischer Gliederung Differenzierung entlang eines geografischen Gradienten möglich Evolution (Selektion) künstliche, menschliche natürlich, biologischer Prozess Züchtung Tabelle 2: Auszug aus der Verlaufsordnung zum Thema „Haustierrassen – Menschenrassen?“ (vgl. Porges et al. 2021b). Didaktische Funktion Teilziele Unterrichtsmittel Die Lernenden können … Motivation ihre Gedanken zu den Abbild eines Kommentars bzw. Kommentaren aus den sozialen einer Frage aus den sozialen Medien äußern. Medien Zielangabe das Stundenthema erfassen: Tafel (Überschrift) Sind „Menschenrassen“ eine biologische Realität? Vermittlung den Begriff geografische Textbaustein der „Jenaer „Rassen“ (oder Unterarten) Erklärung“ zum Begriff „Rasse“ kritisch prüfen. Haustiere und Menschen anhand Textbaustein der „Jenaer der Kriterien: phänotypische Erklärung“ zum Vergleich Vielfalt, genotypische Vielfalt, „Haustierrassen – Verbreitung und Evolution Menschenrassen“, Arbeitsblatt (Selektion) vergleichen. mit Vergleichstabelle Übergabe ihre Ergebnisse auf dem Arbeitsblatt, Tafelbild mit der Arbeitsblatt korrigieren und Vergleichstabelle vervollständigen. Festigung das Thema im Innenkreis Sitzordnung (Stühle) diskutieren, während die übrigen entsprechend der Lernenden in einem Außenkreis Diskussionsmethode Fishbowl die Diskussion beobachten. 23
6 Ausblick Die besondere Herausforderung besteht bei die- solches ein unverzichtbares Element der Allge- ser Thematik darin, dass die Frage nach der Exis- meinbildung sein. Den „Rasse“-Begriff nur aus tenz menschlicher „Rassen“ emotional aufgela- Lehrplänen und Lehrbüchern zu streichen, ist den ist, da es neben individuellen Erfahrungen nicht zweckdienlich. Vielmehr muss er historisch und Erlebnissen auch das menschliche Selbst- eingeordnet, diskutiert und thematisiert werden verständnis betrifft. Die sachliche Ebene zu er- − zumindest solange er im Alltag als soziales reichen, erfordert daher einen verschärften Blick Konstrukt existiert. Nur dadurch kann gewähr- auf die notwendige Kompetenzentwicklung: die leistet werden, dass sich die heranwachsenden Schulung der Reflexionsfähigkeit – und zwar die Generationen im persönlichen und gesellschaft- der Lernenden sowie die der eigenen. Im Sinn lichen Leben sachlich richtig, selbstbestimmt der Transparenz sollte dabei nicht vergessen und aktiv an der gesellschaftlichen Kommunika- werden, dies mit den Lernenden zu besprechen. tion und Meinungsbildung beteiligen − schließ- Voraussetzung für ein Gelingen des Unterrichts lich ist Sachkompetenz durch Fachwissen ge- ist es, einen sicheren Umgang mit dem (histori- prägt. Es geht also um nichts Geringeres, als um schen) Begriff „Rasse“ zu gewährleisten und da- die bewusste Nutzung naturwissenschaftlicher durch ein mögliches „aneinander vorbeireden“ sowie fachspezifischer Kenntnisse der „Jenaer einzuschränken. Erklärung“, um das eigene Weltbild weiter zu entwickeln sowie naturwissenschaftliche Sach- Aber warum gibt es Rassismus, wenn das Kons- verhalte in fachlichen und gesellschaftlichen trukt „Rasse“ aus genetischer Sicht (längst) wi- Kontexten zu reflektieren und zu bewerten. Da- derlegt und überholt ist? bei sollte nicht vergessen werden, dass Emoti- onen das Ausmaß des Involviertseins anzeigen Wissenschaftliche Erklärungen sind gut und und eine entscheidende Rolle bei der Entwick- notwendig, reichen aber allein nicht aus. Der lung von Bildungsinteressen spielen. Will man tatsächliche Verzicht auf die Verwendung des also ein tatsächliches Umdenken, ein „Umfüh- „Rasse“-Begriffs im Alltag setzt voraus, dass len“, ein sich Lösen von rassistischer Sozialisa- dies aus Überzeugung und Einsicht geschieht. tion erreichen, ist der Aufbau von Beziehungen, Dies wiederum macht unterrichtliches Handeln Teilhabe und Teil werden lassen unumgänglich. mit jungen Menschen notwendig. Folglich muss Hier sind dann auch alle an Bildung Beteiligte die Antwort auf die Frage nach der Existenz von in der Verantwortung (vgl. Porges et al. 2021a, „Menschenrassen“ Teil der naturwissenschaftli- c; Abb. 7). chen Grundbildung (Scientific Literacy) und als 24
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