Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt - Das rohstoffwirtschaftliche und ...
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Z. Dt. Ges. Geowiss. (J. Appl. Reg. Geol.) Open Access Article Published online June 2021 Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt – Das rohstoffwirtschaftliche und intellektuelle Umfeld Ein Beitrag zum 125. Todestag von Heinrich Ernst Beyrich (1815–1896), des Mitbegründers der Preußischen Geologischen Landesanstalt und der Deutschen Geologischen Gesellschaft Friedrich-W. Wellmer1 & Heinz-Gerd Röhling2,3* Wellmer, F.-W. & Röhling, H.-G. (2021): Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geolo- gischen Landesanstalt – Das rohstoffwirtschaftliche und intellektuelle Umfeld. Ein Beitrag zum 125. Todestag von Heinrich Ernst Beyrich (1815–1896), des Mitbegründers der Preußischen Geolo- gischen Landesanstalt und der Deutschen Geologischen Gesellschaft. [The institutionalisation of geological mapping in the Prussian Geological Survey – The raw material and intellectual environment. A contribution to the 125th anniversary of the death of Heinrich Ernst Beyrich (1815–1896), co-founder of the Prussian Geological Survey and the German Geological Society.] – Z. Dt. Ges. Geowiss. Kurzfassung: Heinrich Ernst Beyrich, der Mitbegründer der Preußischen Geologischen Landesanstalt (PGLA) und der Deutschen Geologischen Gesellschaft (DGG), starb am 9. Juli 1896. Das offizielle Gründungsdatum der PGLA ist der 1.1.1873. Sie wurde etabliert als Abteilung – aber als gleichwertiger Zweig – der 1860 neu gegründeten Bergakademie in Berlin. In diesem Aufsatz wird das wirtschaftliche und intellektuelle Umfeld für die Gründungsjahre der Bergakademie und der PGLA untersucht. Der gestiegene Bedarf an Rohstoffen für den Ausbau der Infrastruktur und die Industrialisierung erforderten eine tech- nisch-ökonomische Infrastruktur durch den Staat, um Grundlagen für die Entdeckung und den Abbau von Rohstoffen zu liefern, in diesem Fall die systematische geologische Kartierung des Landes. Die Jahre von etwa 1860 bis 1870 waren ent- scheidende Jahre für die Rohstoffentwicklung in Preußen: Ein neues Berggesetz befreite die Bergwerksgesellschaften von der Fessel des Direktionsprinzips, Kali wurde erstmalig in Staßfurt abgebaut, integrierte Schachtanlagen und Hüttenwerke entstanden an der Ruhr. Zwischen 1860 und 1873 stieg die Kohlen- und Metallerzproduktion meist um den Faktor Zwei bis Vier. Das Eisenbahnnetz wuchs zwischen 1860 und 1875 um das 2,4fache und befreite durch die Möglichkeiten des kosten- günstigen Bezugs von Kohle und Stahl den Bergbau von der limitierenden Fessel der Holzwirtschaft. Intellektuell war es eine Zeit der fruchtbringenden transdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Praktikern aus der Indus- trie. Die Zusammenarbeit des Bergmanns Hauchecorne, der als der eigentliche Gründer der PGLA gilt, und dem Wissen- schaftler Beyrich sowie weiteren Bergleuten im Hintergrund, die zur Gründung der PGLA führte, ist ein gutes Beispiel. Beyrich bereitete die Etablierung der PGLA vor durch ein breites Netzwerk mit Hochschullehrern und anderen an der Geo- logie Interessierten, die Kartieraufgaben übernahmen. Um zu verdeutlichen, welche Bedeutung die Kartierung für Rohstoffentdeckungen hat, wird auf Daten aus Kanada und Australien zurückgegriffen. Im Zyklus der Entwicklung eines Landes mit Ausbau der Bergbauindustrie und beginnender Industrialisierung bis hin zum Stadium der völligen Importabhängigkeit, wo Deutschland jetzt bei primären Metallroh- stoffen steht, sind Kanada und Australien heute mit dem Deutschland von 1860/73 gut vergleichbar. Eine besondere Bedeu- tung für Preußen als stark agrarisch orientiertes Land hatte von Anfang an auch die Quartär- und Bodenkartierung. Abstract: Heinrich Ernst Beyrich, the co-founder of the Prussian Geological Survey (PGLA) and the German Geological Society (DGG), died on July 9th, 1896. The official founding date of the PGLA was January 1st 1873. The PGLA was estab- lished as a branch of, but on par with, the mining academy in Berlin, newly founded in 1860. In this paper, the economic and intellectual environment of the founding years of the mining academy and the PGLA are examined. *Anschriften der Autoren: 1Neue Sachlichkeit 32, 30655 Hannover, Germany (fwellmer@t-online.de) 2Erich-Baron-Weg 100, 12623 Berlin, Germany (roehling-geologie@gmx.de) 3Deutsche Geologische Gesellschaft, Rhinstraße 84, 12623 Berlin (schatzmeister@dggv.de) © 2021 The authors DOI: 10.1127/zdgg/2021/0294 E. Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, Germany, www.schweizerbart.de
2 Friedrich-W. Wellmer & Heinz-Gerd Röhling The increasing requirements of raw materials for building of the infrastructure and the industrialisation required a gov- ernmental technical-economic structure to lay the foundation for the discovery and the exploitation of raw materials, in this case the systematic geological mapping of the state’s territory. The period from around 1860 to 1870 was very decisive years for the development of raw materials in Prussia. A new mining law freed the mining companies from state direction, for the first time potash was mined in Staßfurt, new integrated mining and smelting complexes were constructed in the Ruhr Valley. Between 1860 and 1873, the coal and metal production increased in general by factors between two and four. The railway net increased by a factor of 2.4, liberating the mining industry from the shackle of the wood economy, making available more abundant coal and steel. Intellectually, it was a time of a very fruitful transdisciplinary cooperation between scientists and practitioners from industry. The cooperation between the miner Hauchecorne, who is considered the real founder of the PGLA, the scientist Beyrich, and additional miners in the background, which led to the establishment of the PGLA, is a good example. Beyrich prepared the establishment of the PGLA through a broad network with university professors and other educated men interested in geology to carry out mapping tasks. To clarify the importance of mapping for the discovery of ore deposits, we fall back on data from Canada and Australia. Considering the cycle of development from a country with increasing mining industry activities and starting industrialisation to a highly industrialised country, which is totally dependent on import, a position Germany has now for primary metal needs, Canada and Australia of today can well be compared with Germany of 1860/73. Of special importance for the Prussia of 1860/73, as still strongly oriented state towards agriculture, was the mapping of Quaternary geology and soil from the beginning on. Schlüsselwörter: Heinrich Ernst Beyrich, Gründung Preußische Geologische Landesanstalt, Bergakademie Berlin, Wil- helm Hauchecorne, geologische Kartierung, technisch- ökonomische Infrastruktur, transdisziplinäre Kooperation, Netzwerk mit Universitäten, Bodenkartierung Keywords: Heinrich Ernst Beyrich, foundation of Prussian Geological Survey, Mining Academy Berlin, Wilhelm Hau- checorne, geological mapping, technical-economic infrastructure, transdisciplinary cooperation, network with universities, soil mapping 1. Einführung ler Geologischen Dienste in den preußischen Nachfolgestaa- ten in der Bundesrepublik Deutschland, also denen von Am 9. Juli 1896 starb in Berlin Heinrich Ernst Beyrich. Er Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sach- war Mitbegründer der Preußischen Geologischen Landesan- sen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Bei den Ländern, die stalt sowie der Deutschen Geologischen Gesellschaft (DGG), z. T. aus früherem preußischem Territorium bestehen – dies der heutigen Deutschen Geologischen Gesellschaft – Geo- sind Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Rheinland-Pfalz logische Vereinigung e. V. (DGGV), deren langjähriger Vor- und das Saarland – kann man eine „Teil-Ahnschaft“ sehen. sitzender er von 1874 bis zu seinem Tode war (Abb. 1; in der Mit Ausnahme der Bundesanstalt für Geowissenschaften Zusatzinformation 1 in Kapitel 8 sein Lebensbild). und Rohstoffe und der Geologischen Dienste von Nord- Als Gründer der Preußischen Geologischen Landesan- rhein-Westfalen und Bremen sind alle Geologischen Dienste stalt mit offiziellem Gründungsdatum 1.1.1873 gilt gemein- in Deutschland mittlerweile mit Berg- oder Umweltbehör- hin der Bergingenieur Wilhelm Hauchecorne, der als Direk- den zusammengelegt worden. Zum Teil tritt sogar das Wort tor der 1860 neu gegründeten Königlich-Preußischen Berg- „Geologie“ nicht mehr im Behördennamen auf. In der Zu- akademie die Weichen stellen konnte, der Bergakademie satzinformation 2 in Kapitel 8 sind die heutigen Namen der eine Preußische Geologische Landesanstalt als Abteilung Behörden der Länder aufgeführt, deren geologischer Teil auf anzugliedern. Dies wäre ihm jedoch nicht ohne die Unter- die Preußische Geologische Landesanstalt ganz oder anteilig stützung des Geologen Beyrich gelungen, der als Verant- zurückgeht. wortlicher für die bis dahin der Bergbehörde unterstehenden Die offizielle Gründung der Preußischen Geologischen geologischen Kartierung in Preußen, offiziell seit 1866, in- Landesanstalt war das Ende eines längeren Werdeprozesses. offiziell schon seit 1863, die intellektuellen Grundlagen ge- Die Rolle Beyrichs hierbei ist von Kürsten (1997) dargestellt legt hatte (Guntau & Wirth 1985). Heute würde man von worden. Neben Hauchecorne und Beyrich waren zwei an- einer Doppelspitze sprechen, die beamtenrechtlich nicht dere Bergingenieure im Hintergrund essentiell, der visionäre möglich war. Hauchecorne und Beyrich bildeten jedoch ge- Oberberghauptmann in Berlin Otto Krug von Nidda und Ru- meinsam den Vorstand der „Vereinigten Königlichen geolo- dolph von Carnall, ehemals Berghauptmann in Breslau und gischen Landesanstalt und Bergakademie“ (Meinhold 2003: später Abgeordneter des Preußischen Landtages. Sie konn- 81); formal wurde Hauchecorne der Direktor der vereinigten ten entscheidenden Einfluss ausüben, sodass es zur erfolg- Institutionen, Beyrich der 1. wissenschaftliche Direktor und reichen Einrichtung der Geologischen Landesanstalt kam Stellvertreter (Kürsten 1997). (Meinhold 2003; Wellmer & Röhling 2021). Die Preußische Geologische Landesanstalt ist die Vor- Geologische Dienste sind Teil der technisch-ökono- gängerorganisation der Bundesanstalt für Geowissenschaf- misch-ökologischen Infrastruktur, die der Staat der Industrie ten und Rohstoffe (BGR) in Hannover und Berlin, sowie al- (und der Landwirtschaft) zur Verfügung stellt. In diesem Fall
Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt 3 In diesem Aufsatz soll an den Anfang der geologischen Kartierung zurückgegangen und das rohstoffwirtschaftliche und auch das intellektuelle Umfeld, das zur Institutionalisie- rung der Kartierung führte, dargestellt werden. Aber auch die Vorbereitungen Beyrichs, von vornherein ein enges Netz- werk mit Geologieprofessoren oder geologisch Interessier- ten an Hochschulen und Universitäten zu knüpfen, um bei der Kartierung möglichst schnell Fortschritte zu erzielen, sind ein wesentlicher Teil der Institutionalisierung. 2. Das Umfeld für die Schaffung eines geologischen Dienstes in Preußen 2.1 Rohstoffwirtschaftliches Umfeld Mit der sich beschleunigenden Industrialisierung Preußens und in den anderen Teilen Deutschlands im späten 18. und im 19. Jahrhundert ergab sich die Notwendigkeit einer tech- nisch-ökonomischen Infrastruktur durch den Staat, um die industrielle Entwicklung zu unterstützen (Wellmer & Röh- ling 2021). Die ersten Schritte waren Hochschulen für eine Abb. 1: Büste von Heinrich Ernst Beyrich (1811–1896) im Foyer adäquate Ingenieursausbildung, wobei die ersten praktisch der Außenstelle der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh- orientierten technischen Hochschulen Bergakademien waren stoffe (BGR) in Berlin-Spandau, Wilhelmstr. 25–30 (Foto: Simone (Wächtler 1995; Habashi 2003; Fettweis 2004). So wurde Röhling). die École des Mines in Paris 1783, 11 Jahre vor der klassi- Fig. 1: Bust of Heinrich Ernst Beyrich (1811–1896) in the foyer of schen Technischen Hochschule École Polytechnique, ge- the branch office of the Federal Institute for Geosciences and Natu- gründet. Die erste Bergakademie in Preußen war die in Ber- ral Resources (BGR) in Berlin-Spandau, Wilhelmstr. 25–30 (photo: lin, gegründet 1770 von Friedrich dem Großen. Sie war je- Simone Röhling). doch zuerst mehr eine Bergschule, dann seit 1779 eine Haupt-Bergelevenanstalt. Mit der Gründung der Universität zu Berlin (1810) und der Auslagerung von Vorlesungen und Übungen verlor die Bergakademie an Bedeutung; auch an war es die Notwendigkeit, genauere Kenntnis über den Un- den Universitäten Breslau, Halle und Bonn wurden Bergbau- tergrund zu erhalten, um Rohstoffe zu finden und Infrastruk- vorlesungen gehalten (Krusch 1904; Meinhold 2003). Nach turmaßnahmen, wie den Bau von Straßen, Eisenbahnen und der Reformation des Preußischen Bergrechtes, mit der unter Kanälen, kostenoptimal realisieren zu können. Bessere der Ägide des Oberberghauptmannes Otto Krug von Nidda Kenntnisse über den Boden spielten für Preußen als große das Direktionsprinzip abgeschafft wurde, war ein neuer Typ Landwirtschaftsnation ebenfalls eine bedeutende Rolle. Das von Bergbauingenieur gefordert. Auch sah man ein, dass die heißt, in der Preußischen Geologischen Landesanstalt sollte Zersplitterung der Bergbauvorlesungen und -übungen wenig die geologische Kartierung, die für die Erfordernisse des zielführend war. Dies führte 1860 zur Neugründung der Kö- Bergbaus schon 1822/23 in den preußischen Rheinlanden niglichen Bergakademie in Berlin. Beim Direktionsprinzip und 1841 u. a. in Schlesien unter der Oberberghauptmann- (siehe hierzu Nebel 1965; Röhling et al. 2019) beschränkt schaft Berlin begonnen worden war (Wiegel 1973; Meinhold sich der Staat nicht nur auf die bergpolizeilichen Aspekte, 2003; Wellmer & Röhling 2021), als „die Hauptaufgabe“ in- d. h. auf die Sicherheit im Bergbau wie heute (Inspektions- stitutionalisiert werden. Diese Aufgabe ist heute eine von prinzip), sondern er hatte das Recht, auch in die wirtschaft- vielen anderen und mancherorts z. T. (zu) stark zurückge- lichen Belange einzugreifen. Die Zeit um 1860 war auch in drängt geworden, wobei nicht genug betont werden kann, technischer Hinsicht eine Umbruchszeit. 1859 wurde in dass möglichst gute geowissenschaftliche Grundlagen auch Wietze bei Celle und gleichzeitig in Titusville (Pennsylva- heute noch die wesentlichen Voraussetzungen für alle kos- nia, USA) das erste Erdöl erbohrt (Lütgert 2020). 1861 tenoptimalen Entscheidungen sind, die einen Geobezug ha- wurde bei Staßfurt das erste Kalibergwerk eröffnet. Die ers- ben (z. B. Schmid 1995; Wrede 2005). In Kapitel 8, Zusatz- ten großen Tagebaue in der Braunkohle entstanden. Die information 3, ist für Nordrhein-Westfalen als Positivbei- Stahlindustrie begann mit dem Bau integrierter Hüttenwerke. spiel im Detail beispielhaft dargestellt, wie weit Deutschland Zur Koksversorgung der Hütten wurden große Kokskohlen- immer noch von einer optimalen Geoinformationsbasis, die bergwerke im Ruhrgebiet entwickelt, wie z. B. das Bergwerk mit der Kartierung in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr- Prosper-Haniel in Bottrop, für dessen ersten Schacht die Ab- hunderts begann, entfernt ist und welchen Einfluss die Digi- teufarbeiten 1856 begannen. Die Montanstatistik zeigt den talisierung auf die Geologische Landesaufnahme hat. rapiden Anstieg der Bergbauproduktion auf dem Territorium
4 Friedrich-W. Wellmer & Heinz-Gerd Röhling Tab. 1: Steigerungsraten der deutschen Montanproduktion von 1860 (Gründung der Bergakademie Berlin) bis 1873 (Gründung der Preu- ßischen Geologischen Landesanstalt) (Flegel 1914). Table 1: Rates of increase in German coal and steel production from 1860 (establishment of the Bergakademie Berlin) to 1873 (establish- ment of the Prussian Geological State Institute) (Flegel 1914). Rohstoff Produktion 1860 Produktion 1873 Steigerungsfaktor Steinkohle 12,3 Mio t 36,4 Mio t 2,95 Braunkohle 4,4 Mio t 9,9 Mio t 2,25 Blei 25,000 t 66,000 2,64 Zink 55,000 t 63,000 1,15 Kupfer 93,000 t 292,000 t 3,14 Eisenerz 1,4 mio t 6,8 Mio t 4,86 Roheisen 500.000 t 2,2 Mio t 4.4 Kalisalz 0 t (1. Förderung 1861) 450,000 t ∞ des späteren Deutschen Reiches, wie es ab 1871 entstand schließen (z. B. Bartels 1992 für den Harz). Mit dem Bau der (Flegel 1914; Tab. 1). Eisenbahnen setzte die verstärkte Substitution von Holz Die Steigerung der Montanproduktion war durch den durch Stahl, Eisen und Koks ein; die Förderungen und Pro- starken Ausbau der Infrastruktur möglich geworden, was duktionen konnten ausgeweitet werden. Zwei Beispiele aus insbesondere im Zuwachs beim Eisenbahnnetz deutlich wird dem Harz, im 19. Jahrhundert ein wichtiger Metallprodu- (Abb. 2). In der Abb. 2 ist der Sprung von 1860 bis 1875 er- zent. Goslar erhielt 1866 Anschluss an das Streckennetz der kennbar. In diesen 15 Jahren wuchs das Streckennetz auf Hannoverschen Staatsbahnen. Die Hütten in Oker konnten dem Territorium, das 1871 das Deutsche Reich wurde, um nun mit Steinkohlenkoks aus den Steinkohlengruben des das 2,4fache. Dies hatte auch große Auswirkungen auf die Deisters versorgt werden. Ab 1870 wird von einer ausrei- Rohstoffproduktion, denn es half dem Bergbau und Hütten- chenden Versorgung mit Koks gesprochen, die auch zu Tech- wesen, die Fessel des „hölzernen Zeitalters“ (nach Sombart nologieumstellungen in den Hütten führten (Hanusch 2009). 1902) abzuwerfen (Wellmer et al. 2021). Immer wieder Ein weiteres Beispiel: Der westlich von Clausthal in der mussten Berg- und Hüttenwerke davor wegen Holzmangels Nachbarschaft der zentralen Erzaufbereitung abgeteufte Ot- Abb. 2: Wachstum des Eisenbahnstreckennetzes auf dem Territorium zuerst des Deutschen Zollvereines, ab 1871 des Deutschen Reiches (nach Kunz & Röss 2002a, b). Fig. 2: Growth of the railway network on the territory of the German Customs Association, from 1871 of the German Empire (according to Kunz & Röss 2002a, b).
Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt 5 tiliae-Schacht erhielt als neuer senkrechter Hauptförder- stimmung mit Beyrich, dem die Kartierungen betreuenden schacht ein stählernes Fördergerüst. Die heute zum Geologen, verfasste – also auch hier wieder eine transdiszi- UNESCO-Weltkulturerbe zählende Anlage gilt als älteste plinäre Zusammenarbeit: Beyrich der Wissenschaftler, Hau- noch vorhandene ihrer Art in Deutschland und eine der ältes- checorne der Bergmann. Hauchecorne war vor seinen admi- ten überhaupt (Schröpfer 2000). nistrativen Aufgaben in der Bergbehörde und den Lehrauf- gaben in der 1860 wiedergegründeten Bergakademie auch praktisch im Bergbau tätig gewesen (im Kupferbergbau bei 2.2 Intellektuelles Umfeld Rheinbreitbach im Landkreis Neuwied; Wellmer 2004). Man kann in dieser transdisziplinären Zusammenarbeit Die äußerst dynamische industrielle Entwicklung im eine Fortsetzung derer von 1848 mit der erfolgreichen Grün- 19. Jahrhundert schuf ein geistiges Umfeld, in dem Wissen- dung der Deutschen Geologischen Gesellschaft sehen. Fünf schaft und Industrie sehr erfolgreich kooperierten. Man der 13 Gründungsväter waren bedeutende Berg- oder Hüt- könnte diese Art der Kooperation mit dem heutigen Begriff tenleute (Röhling et al. 2019). der Transdisziplinarität beschreiben (Scholz 2011, 2017). Transdisziplinär arbeitet z. B. „acatech“, die 2002 gegrün- dete Deutschen Akademie der Technikwissenschaften: Ge- 3. Die Bedeutung der Kartierung genseitiges Lernen – Wissenschaft lernt von der Praxis, die für die Rohstoffwirtschaft Praxis von der Wissenschaft. Dies ist ein Konzept der gegen- seitigen Befruchtung, das man auf den Universalgelehrten Hauptanliegen für die Schaffung einer Geologischen Lan- Gottfried Wilhelm Leibniz zurückführen kann. Leibniz desanstalt war es, wie oben ausgeführt, für die Aufgabe der wollte im Harz aktiv werden, um das Problem des limitieren- Kartierung, die zwar in Preußen schon ab 1841 organisato- den Faktors Aufschlagwasser zum Antrieb der Pumpen für risch unter der Bergbehörde durchgeführt wurde, eine eigen- das Trockenhalten der Gruben mit Hilfe der Windkraft zu verantwortliche, öffentliche Institution auf Dauer zu schaf- lösen und um gleichzeitig die Erzförderung energieeffizien- fen. Die Kartierung und damit der Wunsch, systematisch ter zu machen. So schrieb er 1679 an den Hannoveraner Wel- geologische Daten eines Landes zu dokumentieren, standen fenherzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg, immer am Anfang der Gründung von geologischen Diensten. dass er glaubte, mit fünf oder sechs Praktikern im Harz mehr Beginnen wir mit dem britischen Geologischen Dienst, dem bewirken zu können als mit 20 der größten Gelehrten Euro- ältesten der Welt. Er wurde 1835 aufgrund einer Initiative pas (Wellmer & Gottschalk 2010). Ein gutes Beispiel für den der 1807 gegründeten Geological Society of London err- Geist, der im 19. Jahrhundert in Preußen bzw. dem Deut- ichtet, die in einem Memorandum schrieb: “The great ad- schen Reich herrschte, ist die Gründung der Physika- vantages which must accrue from such undertaking, not only lisch-Technischen Reichsanstalt PTR (heute Physika- as calculated to promote geological science which alone lisch-Technische Bundesanstalt PTB) im Jahre 1887 – eine would be a sufficient objective, but also as a work of great Schwesterinstitution der Bundesanstalt für Geowissenschaf- practical utility, bearing on agriculture, mining, road-mak- ten und Rohstoffe (BGR) unter dem Bundesministerium für ing, the formation of canals and railroads and other branches Wirtschaft und Energie. Die beiden Gründerväter der PTB of national industry” (zitiert aus Bailey 1952). Derselben sind der Industrielle Werner Siemens (später Werner von Diktion folgen die Memoranden in Preußen von Dechens Siemens) und der Wissenschaftler Hermann von Helmholtz, von 1841 und die weiteren von Hauchecorne 1864 und 1866 der als erster Präsident von 1888 bis 1894 den Aufbau leitete in Preußen (Meinhold 2003). Hierbei wird in dem Memoran- (PTB 2021). Die vielen Neuerungen in der Präzisions- und dum von 1864 auch auf die Bedeutung von Bohrungen zur Elektrotechnik bedurften neuer Messtechniken, in der Elekt- Erforschung der dritten Dimension und die bisherigen wirt- rotechnik überhaupt neuer Einheiten. schaftlichen Erfolge durch die Entdeckungen z. B. der Salz- Die erste Denkschrift zur Errichtung der späteren PTR lagerstätten von Staßfurt, Stetten und Erfurt und der Heil- wurde 1872 von einer Gruppe von Wissenschaftlern und quellen in Bad Oeynhausen eingegangen. Auch heute sind dem Industriellen Werner Siemens verfasst, die Schell- geologische Dienste immer noch die Kuratoren für den geo- bach-Denkschrift (Huebener & Lübbig 2008), die erste wissenschaftlichen Datenschatz eines Landes, „das geowis- Denkschrift zur Errichtung einer geologischen Landesanstalt senschaftliche Gewissen eines Landes“, wenn auch die Kar- in Preußen schon 1841 durch den Berghauptmann in Bonn tierung heutzutage nur eine Aufgabe neben vielen anderen ist Ernst Heinrich Carl von Dechen, die zweite 1864 von einer (Wellmer & Röhling 2021). Quantitative Daten über die nicht dokumentierten Autorenschaft, die dritte wurde 1866 wirtschaftlichen Erfolge der Kartierarbeiten in Preußen lie- von Wilhelm Hauchecorne, Direktor der Bergakademie in gen uns nicht vor. Da in Deutschland seit der Bronzezeit und, Berlin (Meinhold 2003: 139, 147 und 163), verfasst – ty- historisch dokumentiert, seit über 1000 Jahren (erstmalige pisch, dass in der industriellen Entwicklung eines Landes die urkundliche Erwähnung des Rammelsberges 968) Bergbau Rohstoffentwicklung der industriellen Wertschöpfung auf betrieben wurde, dürfte der Wert einer systematischen Kar- den nächsten Stufen vorauseilt. Der Autor bzw. die Autoren tierung weniger in Neuentdeckungen gelegen haben, son- der zweiten Denkschrift sind nicht dokumentiert, aber man dern in der Unterstützung bei der weiteren Erkundung im darf davon ausgehen, dass auch sie von Hauchecorne stammt, Umfeld bekannter Lagerstätten. Ein gutes Beispiel sind die der beide Denkschriften 1864 und 1866 sicherlich in Ab- Kartierarbeiten des Beyrich-Freundes Julius Wilhelm Ewald
6 Friedrich-W. Wellmer & Heinz-Gerd Röhling (1811–1891; Röhling et al. 2019), der zwischen Magdeburg Um die Bedeutung der Kartierung zu quantifizieren, sei wei- und dem Harz kartierte (Ewald 1866–1869) und dessen Ar- ter auf Informationen aus Kanada, einem großen Bergbau- beiten zur Entstehung zahlreicher Braunkohlengruben führ- land, zurückgegriffen, von dem es gutes statistisches Daten- ten und die Basis zur Entdeckung von weiteren Salz- und material gibt. Von Skinner (1979) stammt ein Diagramm, das Erzlagerstätten bei Staßfurt lieferten (Dames 1892; Eichner die Entwicklung der Länder von einem Bergbau- und Roh- & Knoth 2001). stoffexportland zu einem importabhängigen Industrieland Wie sehr aber auch heute noch die geologische Karte die wie Deutschland schematisch darstellt. Dieses Diagramm ist Grundlage jeglicher Lagerstättenentdeckung ist, mögen zwei auf die heutige Situation mit Deutschland angepasst worden jüngere Beispiele verdeutlichen: (Abb. 3). Das Deutschland von 1860/73 ist mit dem Stadium – Die bedeutende Wolframlagerstätte Mittersill in Öster- der Bergbauentwicklung in Kanada heute vergleichbar. Das reich in den Tauern wurde 1967 von den Münchner Geo- gilt selbst für die Exportfähigkeit. So wurden 50–65 % der logen Albert Maucher und Rudolf Höll mithilfe der geo- Zinkproduktion und 45–50 % der Bleiproduktion im Zeit- chemischen Flusssedimentprospektion entdeckt (Höll raum 1860 bis 1873 aus Deutschland ausgeführt; immerhin 1977). Von dem Mittersiller Scheelitbergbau werden auch bei der Steinkohlenproduktion waren es in diesem Zeit- heute ca. 6 % des außerhalb von China produzierten raum 10–15 % (Flegel 1914). Selbst 1929, rund 60 bis Wolframs gefördert (BGR 2021). Die Entdeckung be- 70 Jahre später, war Deutschland noch die drittwichtigste ruhte aber auf dem Konzept der horizontgebundenen (im Bergbaunation der Welt hinter den USA und dann allerdings Sinne des englischen Begriffes „stratabound“) Anti- mit großen Abstand Großbritannien (Friedensburg 1936). mon-Wolfram-Quecksilber Formation (Maucher 1965). Betrachtet man eine Darstellung aus dem bekannten berg- Ohne genaue geologische Karten mit einer guten strati- wirtschaftlichen Lehrbuch von Friedensburg (Abb. 4), so hat graphischen Kontrolle wäre die stratigraphische Einord- das damalige Deutsche Reich 1929 hinsichtlich Rohstoff- nung von bekannten Vorkommen und damit die Entwick- mangels eine bessere Position als Frankreich, Großbritan- lung dieses Konzeptes nicht möglich gewesen. nien, Italien und Japan und ist durchaus vergleichbar mit den – Eine der größten Buntmetalllagerstätten der Welt, die USA und Russland, auch heute noch bedeutende Bergbau- Kupfer-Zink-Blei-Silber-Lagerstätte Kidd Creek im länder (Friedensburg 1936). nördlichen Ontario /Kanada (Hannington & Barrie 1999) Die geologischen Arbeiten, die bewertet werden sollen, ist zweifelsohne eine geophysikalische Entdeckung. Sie sind die des Geological Survey of Canada (GSC), des zweit- wurde mithilfe einer aeroelektromagnetischen Helikop- ältesten geologischen Dienstes, 1842 gegründet, zuerst als ter-Befliegung durch die Bergbaufirma Texas Gulf Sul- Tochterorganisation des 1835 gegründeten britischen geo- phur Company1963 entdeckt. Die Gebietsauswahl für logischen Dienstes (Wellmer 1995). Für den Zeitraum von die Überfliegung geschah aber auf der Basis einer geo- der Gründung des GSC 1842 bis 1968 analysierte Lang logischen Karte des Ontario Geological Survey (Duke (1969) die Bedeutung des GSC für die Entdeckung von La- 2010). gerstätten. Direkt oder indirekt führte er 37 Entdeckungen, Abb. 3: Entwicklung vom Rohstoffproduzenten zum importabhängigen Industrieland. Beispielhaft sind hier den verschiedenen Stadien Länder zugeordnet (Status 2020). Nach einem Konzept von Skinner 1979, aus Wellmer et al. 2018. Fig. 3: Development from raw material producer to import-dependent industrial country. As an example, countries (status 2020) are as- signed to the various stadiums. Based on a concept by Skinner 1979, from Wellmer et al. 2018.
Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt 7 Abb. 4: Vergleich wichtiger Industrieländer hinsichtlich ihrer Bergbauproduktionen (Friedensburg 1936: 70). Fig. 4: Comparison of important industrialised countries with regard to their mining production (Friedensburg 1936: 70). die einen Bruttomineralwert von 37 Mrd. Can-$ (in Dienste ausmachten, für Queensland über einen längeren 1968-Geldwerten) hatten, auf Arbeiten des GSC zurück. In- Zeitraum das 4,7fache. dem er den Beitrag des GSC wichtete (in der Regel sehr konservativ), kam er zu dem Ergebnis, dass sich das Ver- hältnis Kosten : Nutzen in diesem Zeitraum wie 1:7 verhal- 4. Die bodenkundlichen Kartierungen ten habe. Später kam Hamilton (1989), Geologe der großen zum Nutzen der Landwirtschaft kanadischen Bergbau- und Explorationsfirma Cominco (heute Teil von Teck Resources, der größten kanadischen In den Memoranden zur Gründung von Geologischen Diens- Bergbaufirma) und Nutzer der GSC-Arbeiten, aber auch der ten wird die Landwirtschaft immer mit aufgeführt, teilweise der geologischen Dienste der USA und Australiens, zum Er- steht sie sogar an erster Stelle wie im oben erwähnten Me- gebnis, dass die grundlegenden regionalen Arbeiten der morandum der Geological Society of London. In England Geologischen Dienste wesentliche Basisdaten lieferten und wurden die ersten Karten mit geologischen Informationen bei mehr als der Hälfte von Comincos Lagerstättenentde- 1794 vom Board of Agriculture angefertigt (Duke 2010), ckungen in Kanada, den USA und Australien entscheidend während in Deutschland die erste farbige geologische Karte, zur Entdeckung beigetragen hatten. Quantitative Daten lie- die von von Charpentier 1778 für das „Churfürstentum Sach- gen auch aus Australien und dem australischen Bundesstaat sen“, von einem Lehrer der Bergakademie Freiberg erstellt Queensland vor, von der bedeutenden Bauxitförderung ab- wurde (Asch 2003). Allerdings lassen sich auch hier die ers- gesehen, sonst gut vergleichbar mit dem Bergbauspektrum ten Kartierideen nicht direkt auf die Landwirtschaft, aber Kanadas. Hier wurden die Förderzinszahlungen als Krite- auch auf die Kartierung von Bodeneigenschaften zurückfüh- rium benutzt, also nur ein Bruchteil des Nutzens für den ren, die für die Forstwirtschaft von Bedeutung waren. Da die Staat neben Beschäftigung, Wertschöpfung, Steuerzahlun- Holzwirtschaft für Bergbau und Hüttenwesen von besonde- gen etc. (Scott et al. 2002; Hogan 2003). Für Australien rer Bedeutung war, unterstand im 17. Jahrhundert die Forst- wurde errechnet, dass die Förderzinszahlungen im Jahre wirtschaft in der Regel wie im Harz oder im Erzgebirge dem 2000 das Zwölffache der Aufwendungen für Geologische obersten Bergmann, dem Berghauptmann. Der Universalge-
8 Friedrich-W. Wellmer & Heinz-Gerd Röhling lehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), der mit vie- wird (NN 1897; Lippstreu 2000). Es kann nicht überraschen, len technischen Ideen seiner Zeit voraus war (Wellmer & dass wesentliche Vorarbeiten durch einen holländischen Gottschalk 2015) schlug in seinen Verbesserungsvorschlä- Geologen und Bodenkundler in den Niederlanden, W. C. H. gen für den Oberharzer Silberbergbau auch eine Bodenkar- Staring (1808–1877), in diesem landwirtschaftlich orientier- tierung für die Forstwirtschaft vor: „Über dieß so müste man ten, fast ausschließlich von quartären Ablagerungen gepräg- die gelegenheit des gund und boden eines jeden orths ver- ten Lande geleistet wurden (Lippstreu 2000). zeichnen, ob er sandig, steinig, schieferigt, kalck, laim, etc.“ Gute bodenkundliche Raumdaten spielen heute eine im- (Leibniz 1682: 157, Zeilen 23–24). mer bedeutendere Rolle, um über das „Precision farming“, Auch in den USA begannen die geologischen Untersu- d. h. den Computer-gesteuerten Eintrag von Pestiziden und chungen, um die Landwirtschaft zu unterstützen (Rabitt Dünger in Abhängigkeit von den Bodeneigenschaften, die 1989). Sie begannen im Staate New York 1820, in North Ca- landwirtschaftlichen Erträge zu steigern (z. B. Busse et al. rolina 1823 (Socolow & Fakundiny 1994). Schnell konzent- 2014). rierten sich die Arbeiten aber auf die Festgesteinsgeologie, getrieben von der Suche nach Rohstoffen für den industriel- len Aufbau. So wurde der US Geological Survey 1879 ge- 5. Beyrichs Netzwerk zur Beschleunigung gründet, ein Soil Survey begann erst 1899 (Arnold 1999). Im der Kartierung Vereinigten Königreich begann ebenfalls ein systematischer Soil Survey erst 1925, also lange nach Beginn der geologi- Als 1841 die systematische geologische Landesaufnahme schen Kartierung (Hollis & Avery 1997). Auch entwickelte durch die Bergbehörde aufgrund einer Denkschrift Heinrich sich die Bodenkartierung in den westlichen Ländern anders von Dechens, des damaligen Berghauptmanns in Bonn und als in Deutschland. Sie ressortiert dort in der Regel bei den Autor der Geologischen Karte von Deutschland im Maßstab Landwirtschaftsministerien: zum Beispiel in Frankreich das 1: 1,4 Mio. erfolgte, begann die Landesaufnahme mit weni- Institut National de la Recherche Agronomique (INRA; seit gen Wissenschaftlern, die aus der Universität kamen (Mein- dem 1.1.2020 Institut national de recherche pour l’agricul- hold 2003). Gustav Rose, seit 1839 ordentlicher Professor ture, l’alimentation et l’environnement [INRAE]) oder das für Mineralogie an der Universität, erhielt in diesem Jahr den National Soil Survey Center des US Department of Agricul- Auftrag zur Kartierung Niederschlesiens im Maßstab ture – Natural Resources Conservation Service in den USA. 1: 100.000. Der fachliche Schwerpunkt des Mineralogen Bei der Preußischen Geologischen Landesanstalt wurde Rose lag im Kristallin (Kürsten 1997). Ernst Beyrich erhielt die Bodenkartierung jedoch sofort nach der Gründung in An- 1842 den ergänzenden Auftrag für das niederschlesische griff genommen. Das mag darin begründet sein, dass in „Flözgebirge“; die Karte erschien von 1860–63 in neun Blät- Preußen – insbesondere nachdem Friedrich der Großen den tern (acht Kartenblätter und ein Deckblatt; Abb. 5). „Landesausbau“ angeordnet hatte – die Landwirtschaft eine Am 18. März 1868 wurde Beyrich dann zum Leiter der große Bedeutung hatte und die „Nicht-Festgesteins“-Gebiete preußischen geologischen Landesaufnahme ernannt (Mein- und glazialen Areale in Norddeutschland einen großen Teil hold 2003). Da es für die Landesaufnahme keinen festen des preußischen Staatsgebietes ausmachten (1866 als Stab gab, musste er ein Netzwerk aufbauen, das zunächst aus „Schwemmland der preußischen Monarchie“ bezeichnet; Geologiedozenten oder geologische Interessierten von Koken 1901: 22). Auch mag von Einfluss gewesen sein, dass Hochschulen oder der Berliner Bergakademie bestand (auf die Freigabe der Messtischblätter 1: 25.000 durch den Gene- Zeit verpflichtete „freie Geologen“ [Carlé 1988]). So fand ralstab und dann durch das Ministerium mit dem Wunsch am 9. und 10. März 1867 in Berlin eine Konferenz norddeut- verknüpft war, diese auch als Bodenkarten zu nutzen (Lipps- scher Geologen statt, in der über die künftige Gestaltung der treu 2000). Hier spielte vermutlich eine Rolle, dass die Offi- Landesuntersuchung verhandelt wurde. An der Konferenz ziere des Generalstabes und die hohen Beamten in den Mi- nahmen alle wichtigen mit der geologischen Landesauf- nisterien oft aus Adelsfamilien mit landwirtschaftlichen Be- nahme in Preußen (Provinzen Sachsen, Hannover, Kurhes- sitzungen stammten. So kam es bereits am 10.4.1873, also sen und Schlesien) und Thüringen beschäftigten Geologen dreieinhalb Monate nach offizieller Gründung der Landes- teil. Sie kamen außer von der Bergakademie Berlin von den anstalt, zu einer Besprechung mit betroffenen Geologen und Universitäten Berlin, Breslau, Göttingen, Jena, Halle und einem Vertreter der Landwirtschaft, auf der festgelegt wurde, Marburg (Meinhold 2003: 69/70). In der ersten offiziellen dass im Hinblick auf die Belange der Land- und Forstwirt- Publikation, in der der Name „Preußische Geologische Lan- schaft eine kombinierte geologisch-agronomische Spezial- desanstalt“ zum ersten Mal auftritt, nämlich in der Personal- karte im Maßstab 1: 25.000 zu erarbeiten sei (Hauchecorne liste der Königlich Preußischen Bergverwaltung in der Zeit- 1881; Lippstreu 2000). Da Boden und geologischer Aufbau schrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen vom 15. Mai in engem genetischem Zusammenhang stehen, betrachtete 1873, wurden unter der Preußischen Geologischen Landes- man zu jener Zeit den Boden immer zusammen mit den anstalt neben Beyrich vier Landesgeologen aufgeführt sowie quartären Einheiten. Der Kopf der Flachlandkartierung war fünf Lehrer und Professoren, davon zwei von auswärtigen Gottlieb Michael Behrendt (1836–1920), seit 1874 Mitarbei- Hochschulen (NN 1873; s. a. Abb. 6). Ähnlich sah es noch ter der Landesanstalt, der in den späteren jährlichen Perso- sieben Jahre später (1880/81) aus. Der Personalkörper wuchs nalaufstellungen der Landesanstalt explizit „mit der speciel- dann aber stark. Im Todesjahr von Beyrich 1896 gehörten len Leitung der Flachlandsaufnahme beauftragt“ aufgeführt der geologischen Landesanstalt acht Landesgeologen an,
Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt 9 Abb. 5: Ausschnitt aus der „Section Strehlen“ mit dem vorwiegend aus Gabbro bestehenden Inselberg-Massiv des Zobten im Mittelpunkt (links) und Titelblatt (rechts) der 1865 in neun Blättern erschienenen „Geologischen Karte von dem Niederschlesischen Gebirge und den angrenzenden Gegenden“ von Ernst Beyrich. Fig. 5: Excerpt from the “Section Strehlen” with the Inselberg Massif of the Zobten, consisting predominantly of gabbro, in the centre (left) and title page (right) of the “Geological Map of the Lower Silesian Mountains and the Adjacent Areas” published in 1865 by Ernst Beyrich. Abb. 6: Das erstmalige Erscheinen des Namens der Preußischen Geologischen Landesanstalt mit den Namen der Mitarbeiter 1873 (NN 1873). Fig. 6: The first appearance of the name of the Prussian Geological State Institute with the names of the employees in 1873 (NN 1873).
10 Friedrich-W. Wellmer & Heinz-Gerd Röhling
Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt 11 Karte von Europa“. Der Kommissionsvorsitz blieb bis heute Abb. 7: Ausschnitt aus der GK25 Blatt 4430 Nordhausen. Diese bei der Preußischen Geologischen Landesanstalt und ihren Karte wurde von Ernst Beyrich und dem „kooperierenden“ Geolo- Nachfolgeinstitutionen. Es spricht zehn Jahre nach Ende gen Heinrich Adolf von Eck (1837–1925), ab 1871 Professor für Mineralogie und Geologie in Stuttgart, erstellt. Sie gehörte zu den des deutsch-französischen Krieges für die gute deutsch-fran- sechs Karten der 1. Lieferung der „Geologischen Specialkarte von zösische sachliche Zusammenarbeit, aber auch für die fach- Preußen und den Thüringer Staaten“ im Maßstab 1: 25.000. liche Wertschätzung Beyrichs, wenn Hauchecorne 1881 be- Fig. 7: Excerpt from GK25 sheet 4430 Nordhausen. This map was richtet, dass die Übertragung dieses Auftrages an Beyrich created by Ernst Beyrich and the “cooperating” geologist Heinrich und Hauchecorne auf Vorschlag des Vertreters Frankreichs Adolf von Eck (1837–1925), from 1871 professor of mineralogy geschah (Hauchecorne 1881). Von diesem internationalen and geology in Stuttgart. It was one of the six maps of the 1st deliv- Kartenwerk konnten die ersten Blätter ab 1894 veröffent- ery of the “Geological Special Map of Prussia and the Thuringian licht werden. Es wurde dann in erster Auflage von Hauche- States” on a scale of 1: 25,000. cornes Nachfolger, Franz Beyschlag als Direktor der Preu- ßischen Geologischen Landesanstalt, fertiggestellt (Hau- checorne 1897; Meinhold & Wellmer 1994, 1999; Asch 2003). sechs Bezirksgeologen, 13 Hilfsgeologen und acht freie Mit- Während die Mitarbeit an dem Kartenwerk der geologi- arbeiter, bis auf einen alle Hochschulprofessoren in Halle, schen Messtischblätter 1: 25.000 zwar auf freiwilliger, aber Göttingen, Marburg, Straßburg, Aachen und Clausthal (NN doch vertraglich geregelter Kooperation beruhte, war und ist 1897). 1907 gab es 15 Landesgeologen, 14 Bezirksgeologen auch heute noch die Zusammenarbeit bei den internationalen und 24 weitere kooperierende Geologen (Abb. 7; Kürsten Kartenwerken völlig freiwillig, also ein Netzwerker mit Takt 1997). Das Netzwerk war also stark gewachsen. und Fingerspitzengefühl ist an dieser Stelle immer noch von Da Beyrich auch auf geologische Expertise außerhalb besonderer Bedeutung. Preußens zurückgriff, sei an dieser Stelle ebenfalls kurz auf Abschließend soll noch erwähnt werden, dass offensicht- die Anfänge der systematischen geologischen Landesauf- lich beim Werdegang zur Institutionalisierung der Preußi- nahme in anderen deutschen Ländern eingegangen. Sie be- schen Geologischen Landesanstalt auch ein Netzwerk gehol- gann auch dort meist vor dem Hintergrund rohstoffwirt- fen hat, dem Ernst Beyrich angehörte, nämlich das der Grün- schaftlicher Fragestellungen. So wurde die Kartierung im derväter der Deutschen Geologischen Gesellschaft. Obwohl angrenzenden Sachsen 1872 aufgenommen. Im Gegensatz kein offizielles Memorandum der Deutschen Geologischen zur „Geologischen Specialkarte von Preußen und den thürin- Gesellschaft bekannt ist, kann man davon ausgehen, dass gischen Staaten“, für die als Maßeinheit noch Elle und Fuß diese „pluripotente“ Gruppe (Röhling et al. 2019) im Hinter- verwendet wurde, nutzte man hier bereits das Meter (Steiner grund wirkte, um geologische Dienste in den deutschen Län- 1957). Bei der Farbgebung orientierte man sich jedoch an dern zu etablieren. So gehörte neben Beyrich auch Rudolph den bereits einige Jahre früher in Preußen begonnenen Kar- von Carnall, der als späterer Abgeordneter des Preußischen tenveröffentlichungen. Bereits 1895 schloss die am 6. April Landtages Weichen für die Finanzierung stellen konnte, zur 1872 gegründete „Sächsische Geologische Landesuntersu- Kerngruppe der 13 Gründer der Deutschen Geologischen chung“ ihre unter der Leitung von Hermann Credner (1841– Gesellschaft. 1913; Röhling 2013) begonnene geologische Landesauf- nahme im Maßstab 1: 25.000 ab. Die Karte bestand aus ins- gesamt 123 Sektionen. In Hessen begann man 1881 mit der 6. Bedeutung der geologischen Kartierung im Maßstab 1: 25.000, seit 1903 arbeitete man in Kartierung heute Württemberg an der Schaffung geologische Spezialkarten, ab 1909 dann auch in Bayern (Steiner 1957). Die Bedeutung der geologischen Kartierung hat sich heute Seine Strategie der Vernetzung suchte Beyrich auch auf stark gewandelt. Sie ist eine von vielen anderen Aufgaben internationaler Ebene. Hierzu bot sich der Internationale geologischer Dienste. Jedoch liefert die geologische Karte Geologenkongress an; der erste fand 1878 in Paris statt, der immer noch die Grundinformationen für jegliche Entschei- zweite 1881 in Bologna, der dritte –wegen der 1884 in Ber- dung mit Geobezug, bzw. sie sollte sie für gute sachgerechte lin grassierenden Cholera-Epidemie um ein Jahr verschoben Entscheidungen liefern. Gehen wir zurück zur Lagerstätten- – dann 1885 in Berlin, mit Beyrich als Präsident und Hau- suche, bei der heute eine Fülle von hochentwickelten geo- checorne als Generalsekretär (IUGS 2021). Auf dem 2. In- physikalischen und geochemischen Methoden eingesetzt ternationalen Geologenkongress in Bologna 1881 wurde die wird. Auch wenn weltweite Explorationsstatistiken für den Erstellung und Herausgabe des ersten in internationaler Zu- letzten verfügbaren Zeitraum bis 2017 zeigen, dass für die sammenarbeit erstellten geologischen Kartenwerkes, der Entscheidungen, auf welcher Grundlage in einer Explorati- Internationalen Geologischen Karte von Europa 1: 1,5 Mio, onskampagne die erste Bohrung abgeteuft wird, die Kartie- beschlossen, eine internationale Kommission dafür gegrün- rung allein nur der Grund für etwa 5 % der ersten Bohrung det und die Preußische Geologische Landesanstalt mit der war, jedoch etwa 40 % auf geophysikalische und geochemi- Redaktion und Drucklegung des Kartenwerkes betraut. sche Anomalien zurückgehen und etwa 15 % auf konzeptio- Hauchecorne und Beyrich wurden Mitglieder, Beyrich ab nelle Geologie, so beruhen diese 55 % der Bohrentscheidun- 1885 auch Präsident der „Kommission für die Geologische gen doch alle schließlich auf gute Basiskartierungen
12 Friedrich-W. Wellmer & Heinz-Gerd Röhling Abb. 8: Von geowissenschaftlichen Basisdaten zu Landnutzungsentscheidungen (aus Hoppe et al. 2006: Fig. 4). Fig. 8: From geodata to planning maps (from Hoppe et al. 2006: Fig. 4). (Schodde 2019). Gerade die tief eindringenden geophysika- oberflächennahen Rohstoffe der Bundesrepublik Deutsch- lischen – als Beispiel sei hier das DESMEX-Verfahren ge- land; BGR 2021) genannt, für Österreich seien als Beispiel nannt, mit dem eine Eindringtiefe von 1000 m angestrebt die Arbeiten innerhalb des österreichischen Rohstoffplanes wird (Steuer et al. 2020) – und aufwendigen geochemischen erwähnt (Heinrich et al. 2006). Auch für das Verständnis um Multielementmethoden, die alle sehr teuer sind, verlangen die Grundwassernutzung und -bewirtschaftung ist die geo- für eine Kostenoptimierung eine gute geologische Vorklä- logische Kartierung eine unabdingbare Voraussetzung, nicht rung und optimierte Gebietsauswahl durch eine geologische nur für den Nachweis, sondern auch für die Raumplanung, Kartierung. um konkurrierende Nutzungsansprüche optimal lösen zu Für Länder wie Deutschland, die am Ende des in Abb. 3 können (Kips et al. 2012; GD NRW 2020; Hoppe et al. 2006; dargestellten Rohstoffzyklus angekommen sind, stehen nicht Martini et al. 2012). Hierzu gehört z. B. die Nutzung des mehr die klassischen Metallrohstoffe im Vordergrund, son- unterirdischen Raumes für unsere immer enger werdende dern die Sicherung der heimischen Massenrohstoffe, wie Besiedlung, für die Deponierung von Abfällen, Speicherung Sand und Kies für die Bauwirtschaft, Erstellung unserer Inf- von Flüssigkeiten und Gasen oder die Gewinnung von geo- rastruktur und Bauwerke für private und industrielle Nut- thermischer Energie. Neben geologischen Karten mit Ober- zung. In allen geologischen Diensten gibt es daher den flächeninformationen stehen oft auch Bohrungen und andere Schwerpunkt, Karten oberflächennaher Rohstoffe bereitzu- – z. B. geophysikalische – Informationen zur Verfügung, zustellen zur Rohstoffsicherung und zur Lösung konkurrie- aus denen sich Planungskarten erstellen lassen, wie dies in render Nutzungsansprüche. Für Deutschland sei das gemein- Abb. 8 schematisch dargestellt ist. schaftlich von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Aus den USA stammt eine Kosten-Nutzen-Analyse für Rohstoffe und den staatlichen geologischen Diensten der den Einsatz von geologischen Karten bei der Raumplanung. Länder herausgegebene Kartenwerk KOR 200 (Karte der Bei nur zwei Maßnahmen (Anlage einer Deponie und Pla-
Die Institutionalisierung der geologischen Kartierung in der Preußischen Geologischen Landesanstalt 13 nung eines Verkehrskorridors in einem Kreis [County] west- wurden. Keines der Ziele spricht direkt allein eine Aufgabe lich von Washington D. C.) wurde je nach konservativer Be- Geologischer Dienste an, aber keines ist ohne die Arbeit wertung und Annahmen ein zwei- bis vierfacher Nutzen er- Geologischer Dienste erreichbar: Jeder braucht reines Was- rechnet (Bernkopf et al. 1993). ser; sichere Ernährung braucht den Boden (Wrede 2020). Digitalisierung spielt praktisch in jedem SDG eine Rolle, daher sind Chips für IT-Ausrüstung unabdingbar. Heute ent- 7. Schlussbetrachtung hält ein Chip mehr als 60 Elemente, die alle aus der Geo- sphäre kommen (NRC 2008), d. h. von Rohstoffen stammen, Heute ist die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes auch die in Explorationskampagnen entdeckt wurden, die wiede- über Informationstechnologie möglich, die nur wenig mine- rum auf die geologische Basisinformation, die Kartierung, ralische Rohstoffe und im Verhältnis zu anderen Industrie- zurückgehen. Diese Notwendigkeit, auf primäre Rohstoffe zweigen geringeren Energieeinsatz benötigt. Von der Inter- zurückgreifen zu müssen, wird noch lange bestehen, trotz nationalen Energieagentur (IEA) wird geschätzt, dass z. Z. aller Anstrengungen für eine immer vollständigere Kreis- etwa 1 % des weltweiten Energieverbrauches für Datenzent- laufwirtschaft. Nur von Sekundärrohstoffen zu leben, ist aus ren mit ihrem hohen Kühlbedarf, den Hauptenergieverbrau- verschiedenen Gründen noch lange nicht möglich (Wellmer chern der IT, benötigt wird (IEA 2021). D. h., der wichtigste et al. 2018), der entscheidende Grund ist, dass ein 100-pro- Rohstoff ist die menschliche Kreativität („soft science“). Da- zentiges Recycling thermodynamisch unmöglich ist. gegen beruhte die industrielle Entwicklung, wie der Ausbau des Eisenbahnnetzes oder der Aufbau der Stahl- oder Che- mieindustrie im 19. Jahrhundert, auf den mineralischen und 8. Zusatzinformationen Energierohstoffen eines Landes. Alle heutigen Industrieländer, auch die, die heute nur be- Zusatzinformation 1: Zur Person Heinrich Ernst Bey grenzten oder gar keinen klassischen Bergbau wie Kohle- rich (1815–1896) oder Metallerzbergbau mehr besitzen, wie z. B. Italien oder Frankreich, haben diesen Zyklus durchlaufen. So ergab sich Über Heinrich Ernst Beyrich ist seit 1897 verschiedentlich in die Notwendigkeit im 19. Jahrhundert, die Industrie mit ei- der ZDGG berichtet worden, sodass hier nur eine Zusam- ner staatlichen technisch-ökonomischen Infrastrukturleis- menfassung gegeben wird. Hingewiesen sei auf den Nekro- tung zu unterstützen, im Falle der Rohstoffe mit der Erstel- log durch Wilhelm Hauchecorne (Hauchecorne 1897), den lung von geologischen Karten als Hinweise für die Industrie Lebensabriss von Koken (1901) und die Gesamtwürdigung für eine zielgerechte Suche. Naturgemäß wurden existie- durch Carlé (Carlé 1988), den Beitrag zu Beyrich und die rende Strukturen genutzt. In England mit dem ersten Geolo- Preußische Geologische Landesanstalt von Kürsten (1997), gischen Dienst, gegründet 1835, entwickelte er sich aus dem über Beyrich und die Deutsche Geologische Gesellschaft Vermessungsdient. Da in England die Mineralrechte beim (Koken 1901; Andree 1950; Kaemmel 1998; Röhling et al. Grundeigentümer lagen, gab es keine starken Bergbehörden 2019), Beyrich und die Paläontologie (Helms 1997), Beyrich wie in den deutschen Ländern. Hier gehörten die Mineral- und die Internationale Geologische Karte von Europa rechte dem Souverän, der sie verlieh und den Abbau durch 1: 1 500 000 (Meinhold & Wellmer 1999; Asch 2003). Bergbehörden kontrollierte. So entstanden aus den Bergbe- Heinrich Ernst Beyrich wurde am 31. August 1815 in hörden die ersten geologischen Dienste in Deutschland in Berlin geboren. Von 1831 bis 1835 studierte er in Berlin und Ländern mit einer großen Bergbaubedeutung: 1850 im Kö- Bonn – zuerst ein breites Spektrum von Naturwissenschaf- nigreich Bayern, 1872 im Königreiche Sachsen (Wellmer ten, um dann in Bonn den Schwerpunkt auf die Paläontolo- 1995). Nur im Großherzogtum Hessen entstand der Geologi- gie zu legen. Danach begann er eine intensive Reisetätigkeit sche Dienst aus einem geologischen Universitätsinstitut, zusammen mit seinem langjährigen Freund und Kollegen dem der Universität Marburg 1853 (Hoppe 1996). Auch in Julius Ewald. Dabei durchwanderten sie in den Jahren 1835 Preußen entwickelte sich der Geologische Dienst aus der und 1836 fast ganz Deutschland sowie große Teile Frank- Bergbehörde, allerdings von Anfang an transdisziplinär in reichs. In dieser Zeit arbeitete er sich u. a. auch in das enger Kooperation von Praxis und Wissenschaft. Typischer- „Übergangsgebirge“, d. h. das variszisch gefaltete Devon weise wurde er dann auch eine Abteilung – als gleichwerti- und Karbon des Rheinischen Schiefergebirges, ein und spe- ger Zweig – einer dem Bergbau nahestehenden wissen- zialisierte sich auf Goniatiten. Im Herbst 1836 kehrte er schaftlichen Institution, der 1860 in Berlin neugegründeten nach Berlin zurück, um seine Forschungsergebnisse auszu- Bergakademie. werten. Gleichzeitig dazu entstand eine Arbeit über die Go- Wenn sich auch die Aufgaben geologischer Dienste in niatiten des Rheinischen Schiefergebirges, mit der er am den letzten 150 Jahren, besonders stark in den letzten 50 Jah- 12. April 1837 promoviert wurde. 1838 führte ihn eine Stu- ren, gewandelt haben, so ist eine Daseinsvorsorge ohne geo- dienreise zunächst in den Schweizer Jura, dann weiter 1839 logische Grundlagen, die bei der Kartierung beginnt, nicht ins südliche Frankreich und nach Oberitalien. Da Beyrich möglich. Alle Aktivitäten geologischer Dienste tragen direkt beabsichtigte, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, oder indirekt dazu bei, die Ziele der nachhaltigen Entwick- habilitierte er sich im Mai 1841 mit dem auf der zweiein- lung zu erreichen, die 17 „Sustainable Development Goals“ halbjährigen Reise gesammelten Material. Am 26. Juli 1846 (SDG), die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde er dann zum außerordentlichen Professor an der Ber-
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