Out! - Thema: Community - Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. Ausgabe 54 / Winter 2020
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Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. Ausgabe 54 / Winter 2020 out! out! Zeitschrift des Jugendnetzwerks Lambda e.V. Ausgabe 54 / Winter 2020 Thema: Community
Not Just A „Western Ideology“ „Sie versuchen euch zu überzeugen, dass sie Menschen sind. Aber das ist einfach Ideologie“ und „eine neue Ideologie, die noch destruktiver für die Menschheit ist [als der Kommunismus]“. Dies sind die Worte des polnischen Präsidenten Andrzej Duda im vergangenen Präsi- dentschaftswahlkampf, der so seine anti-queere Rhetorik verschärfte. “Im Iran gibt es keine Homosexuellen“ ist ein Statement des ehemaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Ähnliche Aussagen hört man auf der ganzen Welt, Aussagen, die LSBTIQ als eine westliche Ideologie oder als vergänglichen Trend abstempeln. Mein Gemälde richtet sich ganz klar gegen diese Annahmen und soll mit Stolz und Freude die Wahrheit beweisen: Über die gesamte Geschichte der Menschheit war und ist die LSBTIQ-Community in Kulturen vertreten – und zwar weltweit. Von altägyptischen Reliefs, über homo- und bisexuelle Poesie im alten Griechenland und „Two Spirits“ als eine Geschlechtsidentität unter der indigenen Bevölkerung Nordamerikas, bis hin zu homoerotischen orientalischen Gemälden und Hinweisen auf ein drittes Geschlecht im Edo-zeitlichen Japan. All das sind Beispiele, die mein Gemälde veranschaulicht. Sie machen deutlich: LSBTIQ ist keine westliche Ideologie, sondern ein tief verwurzelter natürlicher Teil unserer gesamten Menschheit. Stop Limiting The Limitless Das Gemälde zeigt einen Konflikt innerhalb der Gesellschaft. In jeder Gesellschaft un- serer Welt haben Minderheiten, darunter die queere Community, mit Unterdrückung zu kämpfen – in der einen Gesellschaft mehr, in der anderen weniger. Die Bedeutung und der Wert von wahrem Frieden unter den Menschen gehen dabei verloren. Aus welchem Grund auch immer sperrt man Minderheiten in verschiedenen Formen in Käfige, achtet darauf, dass sie ja nicht entkommen und versperrt sich damit den eigenen Weg zum Frieden. Denn es sind die Eingesperrten, die den Schlüssel zum Zustand des wahren Friedens mit sich tragen. Nur wenn Menschen aufrichtig lernen, niemanden aufgrund bestimmter persönlicher Merkmale auszuschließen oder zu unterdrücken, kann man als Gesellschaft den Weg zum wahren Frieden einschlagen. Doch es bleibt offen: Werden wir diesen Zustand jemals vollkommen erreichen? Atash Heil
Liebe Leser*innen, Inhalt in dieser out! beschäftigen wir uns mit uns selbst. Nicht ein- 02 Not Just A “Western Ideology” zeln, sondern uns allen gemeinsam: Mit der Community. Oder Von Atash Heil den Communitys? Da fängt es schon an. Denn obwohl wir den Begriff ständig benutzen, ist es gar nicht so leicht zu definie- 03 Inhalt / Editorial ren, was Community überhaupt ist. Und wer alles dazugehört. Und wie wir Teil davon werden. 04 Que(e)rgeblickt Gibt es überhaupt eine queere Community? Und gehören wir da automatisch dazu, sobald wir uns als queer definieren? Thema: Community Könnten wir dagegen etwas machen, wenn wir nicht mit- machen wollen? Gerade in schwulen Dating-Apps ist immer 06 „Als Rückhalt, als Heimat, einfach Zuhause“ wieder die Rede davon, dass sich jemand als „szenefremd“ Von Lis Walter beschreibt und/oder so jemanden sucht. Das klingt doch, als wäre die schwule/queere Szene etwas Schlechtes, etwas, wo- 07 Digital in die Community-Geschichte eintauchen mit manche gar nichts zu tun haben wollen. Von Noah Kretzschel Die da repräsentieren mich nicht, sagen schließlich auch Kritiker*innen über den Christopher Street Day. Die 08 Wo queer drauf steht, ist meist schwul drin Kritiker*innen kommen dabei aus den verschiedensten Ecken: Kommentar von Noah Kretzschel Das können cis und trans* Frauen sein und/oder BIPoC (Black, Indigenous and People of Color), die auf den meisten CSDs 09 „Die Grundannahme vieler ist, dass Kirche tatsächlich wenig präsent sind. Oder aber schwule Männer, homophob ist“ denen das alles zu bunt ist, die es komisch finden, dass da Drag Von Julia Zimmermann Queens rumlaufen, dass manche ihre Fetische präsentieren. Mit denen wolle man nicht in einen Topf geworfen werden, 10 Community ohne Grenzen heißt es dann, wie solle man denn von der Gesellschaft akzep- Von Minx tiert werden, und so weiter. Es gibt also von queeren Menschen selbst Kritik an der Com- 12 Rezension: Ich bin Linus munity – ganz grundsätzliche oder auch etwas differenzierte- Von Sara Schreiner re. Das ist ja auch gut so, denn jede Gemeinschaft muss an sich selbst den Anspruch haben, Kritik anzunehmen und besser 13 Queere Kolumne werden zu wollen. Und wer gar nicht erst mitmachen will, muss ja nicht. Aber dann bitte dem Rest den Spaß nicht verderben. 14 Coming-out-Story Und es geht ja nicht nur um Spaß. Community ist so viel mehr: Community kann Ersatz-Familie sein – die Familie, die wir uns 15 Lambda intern: Was mal SCHLAU wäre: mit uns aussuchen können, wenn uns die biologische Familie nicht reden statt über uns so akzeptiert, wie wir sind – oder die unsere Familie ergänzt. Von Tristan Community ist Unterstützung, wenn wir Menschen brauchen, die unsere Fragen, Sorgen und Probleme nachvollziehen kön- 16 Lambda intern: „Je mehr Follower*innen wir nen. Community kann unheimlich viel bewirken, im Kleinen haben, desto mehr Menschen können wir mit wie im Großen. Es gab und gibt Pionier*innen, die für uns ge- Bildungsarbeit, Tipps und einem Gefühl für die kämpft haben, und die viel erreicht haben. Community erreichen“ - Interview mit Charlie Ich verstehe Community als ein Gefühl. Das Gefühl, nicht al- leine zu sein. Und ich weiß noch genau, wie wichtig dieses Ge- 17 Lambda intern: Que(e)r durch Ländle mit Lambda fühl, diese Erkenntnis für mich war: Nicht nur ich denke so, Baden-Würtemberg fühle so, fürchte mich so. Da sind Menschen, sogar ganz nah bei mir, denen es ähnlich geht. Mit denen ich mich austau- 18 Platzhalter*in: schen kann, die einiges schon hinter sich oder auch noch vor Eine Mitgliedschaft in der Community, bitte sich hatten. Und das Gefühl, dass ich, wie ein*e Seiltänzer*in, Von Aaron Auchter auf meinem Weg, der mir manchmal ähnlich waghalsig vor- kam, ein Sicherheitsnetz habe. Ich kann fallen, aber ich falle weich und sicher. Das macht unfassbar viel Mut, egal wie lang und dünn das Seil vor dir ist. Und das Beste: Anders als im Zirkus können wir Seiltänzer*in und gleichzeitig Teil eines Netzes für andere sein. Wir geben und nehmen. Wir sind Community. Schön, dass du dabei bist! Ich wünsche euch ruhige, besinnliche, aufregende, stressfreie und gesunde Feiertage, einen grandiosen Start ins nächste Jahr und natürlich viel Spaß bei dieser out! Für die gesamte out!-Redaktion und den Bundesverband Lambda Fabian Editorial / Inhalt 3 out!54 / Winter
Q U E (E) R G Argentinien führt Quote für trans* Menschen im öffentlichen Dienst ein Die argentinische Regierung hat eine Quote für trans* Menschen für den öffentlichen Dienst eingeführt. Demnach müsse ein Prozent der Positionen mit trans* Menschen besetzt wer- den – konkret ist in der Verordnung von „trans- vestitischen, transsexuellen und trangender Personen“ (las personas travestis, transexuales y transgénero) die Rede. In Südamerika hat bislang nur das kleine Uruguay 2018 eine Ein- Prozent-Quote für trans* Menschen im öffentli- chen Dienst eingeführt. In keinem europäischen Bilder: Benjamin Rascoe / Unsplash, Arielle Keil Instagram, New Zealand Tertiary Education Union - flickr , Mikita Karasiou / Unsplash, European People‘s Party, Human Rights Campain, Land gibt es ähnliche Quoten. Trans* Frau ist schönste Neuseeländerin Erstmals konnte eine trans* Frau einen Titel im einer deutschstämmigen Mutter auf, die nach Miss-Intercontinental-Schönheitswettbewerb Neuseeland auswanderte. Sie habe 2012 mit ih- gewinnen: Die 26-jährige Modedesignerin Ari- rer Geschlechtsangleichung begonnen und jah- elle Keil ist zur „Miss Intercontinental New Ze- relang versucht, an Schönheitswettbewerben aland 2020“ gekrönt worden. Jasmine Huang, für Frauen teilzunehmen. Dabei habe sie wegen ihre Vorgängerin im Amt, überreichte ihr die ihrer Transgeschlechtlichkeit viel Ablehnung er- Krone. Sie hat im nächsten Jahr die Chance, als fahren. Anderen queeren Menschen sprach Keil Miss Intercontinental gekrönt zu werden. Noch Mut zu: „Kämpft weiter. Manchmal fühlen wir ist allerdings wegen der Corona-Krise unklar, ob, uns in dieser Welt wie Freaks. Aber ich weiß, wer wann und wo das Event stattfinden kann. Keil ich bin. 100 Leute können mir sagen, dass ich ein wurde im philippinischen Davao-City geboren Mann bin. Wenn ich in den Spiegel gucke, sehe und wuchs in einer konservativen Familie mit ich aber eine Frau.“ Neuseeland hat die vielfältigste Regierung Noch mehr gute Nachrichten aus Neuseeland: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern (Labour Party) hat ihr neues „unglaublich viel- fältiges“ Kabinett vorgestellt. Die Regierungs- chefin machte die Maori Nanaia Mahuta, die eine traditionelle weibliche Maori-Tätowierung am Kinn trägt, zur ersten Außenministerin ihres Landes. Mit Grant Robertson wurde der erste offen schwule Politiker in der Regierung zum stellvertretenden Premier ernannt. Neuseeland ist die Nation mit dem weltweit höchsten Anteil offen queerer Parlamentsabgeordneter. Zwölf der insgesamt 120 Mitglieder des Repräsentan- tenhauses in Wellington sind nicht heterosexu- ell. Guillaume Perigois / Unsplash, Paul2 wikimedia Norwegen verbietet bi- und trans*feindliche Hassrede Norwegen hat sein Strafgesetz verändert, das drei Jahren Gefängnis für öffentliche Äußerun- bislang nur Lesben und Schwule vor Hassrede gen. „Ich bin wirklich sehr erleichtert, weil der schützte. Jetzt umfasst der Paragraf die Ge- Mangel an rechtlichem Schutz für trans* Men- schlechtsidentität und allgemeiner alle Formen schen seit vielen, vielen Jahren ein Schandfleck der sexuellen Orientierung. Damit sind auch ist“, sagte Birna Rorslett, Vizepräsidentin der trans* und nicht-binäre sowie bi- und pansexu- Vereinigung der trans* Menschen in Norwegen. elle Menschen geschützt. Bestraft wird Hassre- Norwegen gilt bei queeren Rechten als eines de mit einer Geldstrafe oder bis zu einem Jahr der fortschrittlichsten Länder der Welt. Gefängnis für private Kommentare und maximal Que(e)rgeblickt 4 out!54 / Winter
E B L I C K T Ungarn will Verfassung queerfeindlicher machen Die ungarische Regierung unter Premiermi- Singles oder gleichgeschlechtliche Paare wären nister Viktor Orbán will in die Verfassung des dann ausgeschlossen. Bereits seit 2012 definiert Landes Definitionen von Elternschaft und Ge- die ungarische Verfassung eine Ehe als Verbin- schlecht hineinschreiben lassen, die sich gegen dung von Mann und Frau. Erst im Frühjahr war queere Menschen richten. Nach einem ins Par- in Ungarn ein Gesetz in Kraft getreten, das die lament eingebrachten Entwurf von Justizminis- rechtliche Anerkennung von trans* Personen terin Judit Varga soll es künftig in der Verfas- in ihrem Geschlecht künftig ausschließt, da der sung heißen, dass „die Mutter eine Frau ist und Personenstandseintrag beim Standesamt künf- der Vater ein Mann“. Adoptionen sollen zudem tig nicht mehr das „Geschlecht“, sondern das nur noch verheirateten Paaren möglich sein – „Geschlecht zur Geburt“ umfasst. Viele queere Erfolge bei US-Wahl Bei den US-Wahlen hat das Land nicht nur den Politikerin in den Senat eines Bundesstaates Präsidenten, sondern auch Bundes-, Landes- gewählt worden. Die Demokratin Sarah McBri- und Kommunalparlamente gewählt. Hier gab es de gewann in Delaware gegen den republikani- viele Erfolge für queere Politiker*innen, fast alle schen Herausforderer. Im nördlichen Bundes- von ihnen sind Mitglieder der Demokratischen staat Vermont schaffte es die 26-jährige trans* Partei. Mehrere schwule Abgeordnete der De- Frau Taylor Small für die Demokraten in das dor- mokraten haben etwa den Wiedereinzug ins US- tige Parlament. In Houston gab es eine weitere Repräsentantenhaus geschafft. Mondaire Jones Premiere: Dort diente erstmals eine queere Bar und Ritchie Torres schreiben Geschichte, weil als Wahllokal. Laut US-Wahltagsbefragung ha- sie als erste offen schwule schwarze Männer der ben 28 Prozent der queeren Wählerschaft Do- US-Geschichte ins Repräsentantenhaus gewählt nald Trump gewählt. worden sind. Außerdem ist erstmal eine trans* Die Europäische Union will queere Menschen besser schützen Die Europäische Kommission hat erstmals eine EU-Strategie zur Gleichstellung von queeren Menschen vorgestellt. Vize-Präsidentin Věra Jourová und Gleichstellungskommissarin He- lena Dalli erklärten, mit dieser „Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ“ wolle die Staa- tengemeinschaft Diskriminierungen abbauen. Zu den Maßnahmen gehört der Vorschlag, die Liste der „EU-Straftaten“ um Hassstraftaten, einschließlich homo- und trans*phober Hetze und Hassdelikte, zu erweitern und neue Rechts- vorschriften über die gegenseitige grenzüber- schreitende Anerkennung von Regenbogenfa- milien zu schaffen. Außerdem will sich die EU vermehrt weltweit für queere Rechte engagie- ren. Diskriminierung von intergeschlechtlichen Personen weit verbreitet Diskriminierung im Job ist für intergeschlecht- liche Menschen Alltag. Gleichzeitig gibt es bei öffentlichen und privaten Arbeitgebenden auch drei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts zur Einführung eines Personen- stands „divers“ Nachholbedarf im Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt. Das zeigen eine Befragung unter inter* Personen und zwei ak- tuelle Gutachten, die anlässlich der Fachtagung „Männlich, weiblich, divers – Neue Perspektiven geschlechtlicher Vielfalt in der Arbeitswelt“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorge- stellt wurden. Que(e)rgeblickt 5 out!54 / Winter
Bernd beim Protest gegen LSBTIQ-freie Zonen in Polen im März vor einer polnischen Kultur- einrichtung am Hackeschen Markt in Berlin. „Als Rückhalt, als Heimat, einfach Zuhause“ Queere Community früher und heute. Ein kleiner Blick in die Geschichte der queeren Aktivist*innen Bernd Gaiser und Anke. Von Lis Walter Community ist für Bernd bracht, sagt Bernd. Selbstbewusstsein nicht nur, Den Begriff nicht-binär findet Anke erst spä- um sich gemeinsam nach außen darzustellen, ter und merkt: Das passt! Das Coming-out als dort, wo er lebt. Denn der sondern auch um innerhalb der Gruppe Dinge nicht-binäre Person in ihrer Generation war gar Aktivist und Autor wohnt an- und auszusprechen, die nicht in Ordnung nicht mal so leicht. Da war viel Erklärung nötig. waren. Wie toxische Bilder von Männlichkeiten Anke erklärt sich das damit, dass ihre „Genera- seit 2012 mit einer Hand- und Geschlechterrollen. tion nicht damit aufgewachsen ist, dass es mehr voll queerer Menschen „Dass sich die Männer wichtiger nahmen als die „Da sind Menschen, die Frauen“ kritisiert Bernd heute, wenn er auf die zwischen Ende 20 und 85 Zeit zurückschaut. Anders als die queere Com- zeigen sich solidarisch mit Jahren im ersten queeren munity heute, unter der sich regenschirmartig den Struggles queerer alles wiederfindet, was nicht der gesellschaftlich generationenübergreifen- verankerten Cis-Heteronormativität entspricht, Menschen. Das fühlt sich den Wohnprojekt - dem gab es zwischen der Bewegung der schwulen für mich unwahrscheinlich Männer und der lesbischen Frauen so gut wie „Lebensort Vielfalt“ - in keine Überschneidungen. Das lag auch daran, erleichternd und warm an.“ Berlin. dass sich die Lesbenbewegung aufgrund allge- mein feministischer Gesellschaftskritik von der als zwei Geschlechter gibt“. Doch heute, erzählt Das Projekt, das von der Berliner Schwulenbe- Schwulenbewegung ablöste. sie, sind die Wege da, werden bereitet und be- ratung erkämpft und gegründet wurde, bietet Daran erinnert sich auch Anke, die ein paar Jahre schritten. Es gibt keinen Zwang nach einem eine Struktur, die es queeren Bewohner*innen später – in den 80ern – ihr (erstes) Coming-out Entweder-Oder, dies oder das. jeden Alters, mit und ohne Pflegebedarf, er- hatte. In Hamburg, nachdem sie ihre konserva- Die jüngere Generation in der Szene nimmt möglicht, gemeinsam möglichst frei und sicher tive Kleinstadt verlassen hatte und im Frauen- Anke offener und bunter wahr. Die Community zu leben. musikzentrum zwischen queeren und lesbischen bietet mehr Räume und Möglichkeiten, Begriffe Seinen Lebensmittelpunkt verlagerte Bernd Frauen einen Raum fand, der ihr Rückhalt gab. und Vorbilder. Auch heute ist die queere Com- 1967 für seine Ausbildung zum Buchhandels- Anke erzählt, dass es in der Frauenbewegung munity für Anke noch Teil ihres Lebens und ihrer gehilfen von Glückstadt nach West-Berlin. Da- der 80er und 90er besonders wichtig war, sich Geschichte. Mensch hat so viel Zeit geteilt und hin, wo 1971 mit der Aufführung von Rosa von dem binären Geschlechtersystem zuzuordnen Entwicklung voneinander mitbekommen: „Auf Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist und sich als Frau zu identifizieren – um sich poli- die kann ich mich auf eine ganz unverbindliche pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ tisch klar abzugrenzen, sich zu benennen. Dabei Art und Weise verlassen.“ die Entstehung der Schwulen- und Lesbenbe- Unser Gespräch endet und mir schweben Ankes wegung angestoßen wurde. In eine der im Kino Arsenal ausliegenden Adressenlisten trug auch „Das Gefühl der Erleich- Worte weiterhin im Kopf herum. Auch heute bil- det die queere Community keine Gegengesell- Bernd seinen Namen ein. Noch im selben Jahr terung. Gemeinsam an die schaft zu dem unterdrückendem System, in dem gründete sich, mit Bernd als Mitglied, die Ho- mosexuelle Aktion Westberlins (HAW). Das Öffentlichkeit zu treten, wir leben – auch hier findet Sexismus, Rassismus und Ableismus seinen Weg hinein. Deshalb ist war für Bernd der Auftakt, aktiv zu werden und sich zu outen – privat und es auch heute immer noch von riesengroßer sein Schwulsein öffentlich und sichtbar zu ma- chen. Konkret gelungen ist das Pfingsten 1973 öffentlich. Sein eigenes Bedeutung, sich in der Community tagtäglich damit auseinanderzusetzen, Räume des Aus- mit der ersten größeren Aktion der HAW: 450 Schwulsein und Tuntensein tauschs und der Aufklärung zu geben, Fehler Queers, die sich damals noch nicht so nannten, demonstrierten lautstark über den Ku’damm. nicht mehr zu verstecken, zuzulassen und gemeinsam miteinander und übereinander zu lernen. Aber Ankes letzter Ge- sondern zu zelebrieren.“ Foto: privat Bernd erinnert sich an das Gefühl der Erleich- danke spricht mir trotz dieser Schwierigkeiten terung. Gemeinsam an die Öffentlichkeit zu tre- aus dem Herzen: Da sind Menschen, die zeigen ten, sich zu outen – privat und öffentlich. Sein fühlte sich Anke, heute 56, damals nicht anders sich solidarisch mit den Struggles queerer Men- eigenes Schwulsein und, wie er es selbst nennt, als heute: „Das war für mich ganz klar, okay, ich schen. Das fühlt sich für mich unwahrscheinlich Tuntensein nicht mehr zu verstecken, sondern bezeichne mich als Frau, auch wenn mein Gefühl erleichternd und warm an. Mit diesem Gedan- zu zelebrieren. Selbstbewusstsein hat das ge- sagt: Das ist aber jetzt eine kleine Lüge.“ ken gehe ich gern durch die Welt. Thema: Community 6 out!54 / Winter
Digital in die Community-Geschichte eintauchen Fotos: queerexhibition.org Wer nicht in Berlin lebt – oder möglichst wenig vor die Wohnungstür treten kann oder möchte – und aber trotzdem gerne mal das Schwule* Museum in Berlin besuchen mag, der*dem bietet sich jetzt eine digitale Gelegenheit. Von Noah Kretzschel Unter queerexhibition.org lässt sich eine Aus- wort heterosexuelle Kleinfamilie und Paragraf deutschen Staaten beleuchtet, ebenso werden stellung zur Geschichte der queeren Commu- 175. Auf der rechten Seite lese ich zusätzliche die Initiativen und Kämpfe von Schwarzen, Peo- nity besichtigen. Die Ausstellung mit dem Titel Informationen über vier queere Aktivist*innen, ple of Colour sowie inter*, trans* und nichtbinä- „Queer as German Folk“ entstand anlässlich des zum Beispiel Gertrude Sandmann, die den Nati- ren Personen dargestellt. Häufig liegt der Fokus 50. Stonewall-Jubiläums als Gemeinschaftspro- onalsozialismus im Untergrund überlebte und in auf Berlin. jekt von Schwulem* Museum, Goethe-Institut den 70ern die westdeutsche Lesbenbewegung Eine insgesamt sehr informative Ausstellung. und der Bundeszentrale für politische Bildung mit aufbaute. Später erfahre ich über berühmte Die Vorteile und Nachteile der Digitalisierung und tourt weltweit. queere Kneipen und Zeitschriften. Anfang der liegen auf der Hand – ich muss nicht aus dem Mich begrüßt das Bild einer Demonstration, das 70er tritt die Community allmählich aus dem Haus und nutze die Zugänglichkeit des Internets nach wenigen Sekunden von einer Fotosamm- Verborgenen, es entstehen Homosexuelle Ak- - aber dafür werden meine Augen viereckig. lung abgelöst wird. Klicke ich auf eins der Bilder, tionsgruppen und mit einer Aktion gegen dis- erscheint auf der linken Seite ein erklärender kriminierende Prozessführung und lesbenfeind- Text zum vom Bild dargestellten Thema, und auf liche Berichterstattung des „Hexenprozesses in Direkt zur Ausstellung: der rechten Seite werden weitere Fotografien Itzehoe“ macht die Lesbenbewegung auf sich angezeigt. Wenn ich dort klicke, kann ich mich aufmerksam. in das Thema vertiefen. Auf diese Weise klicke ich mich durch die letzten Statt assoziativ ist es über den Knopf „Themen sechs Jahrzehnte deutsche queere Community. anzeigen“ auch möglich, die Beiträge in der his- Die zahlreichen Fotografien und Dokumente torischen Reihenfolge betrachten. machen mich neugierig, die Hintergrundinfor- So erfahre ich über die rechtlichen Bedingungen mationen sind prägnant und schlüssig formu- für queere Personen in BRD und DDR. Stich- liert. Zuverlässig wird die Situation in beiden Thema: Community 7 out!54 / Winter
Neue ARD-Serie „All You Need“: Soll das die LSBTIQ-Community repräsentieren? v.l.n.r.: Arash Marandi als Levo, Mads Hjulmand als Tom, Christin Nichols als Sarina, Frédéric Brossier als Robbie, Benito Bause als Vince sowie Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Gutsche. Wo queer drauf steht, ist meist schwul drin Die ARD dreht gerade eine neue Serie. Es geht um vier schwule Männer in Berlin. Re- gisseur und Autor Benjamin Gutsche erklärt: „Wir haben das Jahr 2020, und noch im- mer werden im deutschen Fernsehen Charaktere aus der LGBTQI-Community haupt- sächlich als Nebenfiguren erzählt.“ Kommentar von Noah Kretzschel „Ich freue mich, dies mit ‚All You Need‘ ändern zu können“, ergänzt Na- über schwule Männer und Sex dominiert, auch wenn sich in den letzten taly Kudiabor, Produzentin bei UFA Fiction: „Wir fangen endlich an, auf Jahren sehr viel getan hat. Und wenn ich überlege, die Namen wie vieler den Bildschirmen abzubilden, wie unsere Gesell- schwuler Politiker ich im Gegensatz zu allen an- schaft wirklich aussieht. So rückt Diversität ganz deren queeren Politiker*innen aufzählen könnte selbstverständlich in die Mitte unserer Arbeit.“ „Dass die queere Com- – da hängt einiges schief. Schwule Männer sind Ganz richtig haben die beiden gemerkt, dass das Fernsehen nicht die Welt abbildet. Aber dass die munity ausschließlich offensichtlich gesellschaftlich sichtbarer und etablierter als die anderen Mitglieder der Com- queere Community ausschließlich aus (jungen) aus (jungen) schwulen munity. schwulen Männern besteht, „die in Zeiten von Grindr nach Liebe und Geborgenheit suchen“, Männern besteht, „die in Einige radikale Aktivist*innen fordern, Schwulen den Mund zu verbieten. Doch das halte ich für ist mir neu. Was ist denn mit den ganzen Lesben, Zeiten von Grindr nach Unfug. Denn die Identität der Sprechenden sagt trans* Personen, Pansexuellen, Nichtbinären, Liebe und Geborgenheit nichts über die Qualität des Gesagten aus. Foto: ARD DEGETO / ANDREA HANSEN inter* Personen, Asexuellen, Bisexuellen, Gen- Die Qualität hängt von der inhaltlichen Tiefe derqueeren passiert? Sind deren Geschichten suchen“, ist mir neu.“ der gewählten Themen ab. Es gibt in der queren nicht interessant genug für die ARD oder weiß Community viele relevante und spannende The- Benjamin Gutsche nicht, wofür das von ihm ver- men. Stichwort: medizinische Versorgung, Ab- wendete Akronym LSBTQI steht? schiebung, Stiefkindadoption, geschlechtszuweisende Behandlungen an Dieses Phänomen ist kein Einzelfall. Wenn irgendwo queer draufsteht, ist inter* Kindern, selbstbestimme Eintragung von #Name und Geschlecht, meist schwul drin. Ausschlüsse innerhalb der Community und und und. Es ist gut, wenn es schwule Sichtbarkeit gibt und wenn schwules Leben Viele engagierte schwule Männer begreifen ihr Queersein als solidarisch gezeigt wird. Doch ist es nicht mehr als merkwürdig, Artikel über Re- und setzen sich für diese und weitere Themen ein. Trotzdem kommt es genbogenfamilien mit Männerpaaren mit Kind zu illustrieren, wenn die immer wieder zu dem oben beschriebenen Phänomen: Dass queer oft meisten Eltern in Regenbogenfamilien lesbische Frauen sind? Auch in- eigentlich schwul bedeutet. Es gibt natürlich Gründe, sich mit anderen nerhalb der queeren Community haben schwule Männer viele Schlüssel- Themen nicht zu befassen und sie nicht darzustellen – dann wäre jedoch positionen inne, zum Beispiel in Verbänden und Vereinen. Auch queer.de die Ehrlichkeit angebracht, „schwul“ statt „LGBTIQ-Community“ und (ein queeres Internetnachrichtenportal) wird immer noch von Inhalten „Diversität“ auf seinen Inhalt zu schreiben. Thema: Community 8 out!54 / Winter
Fotos: Eva, Angela Compagnone / Unsplash „Die Grundannahme vieler ist, dass Kirche homophob ist“ Julia Zimmermann spricht mit Eva, Mitglied der evangelischen Kirche und ehrenamt- lich in der katholischen Kirche aktiv, über Queer-sein im Kontext Kirche. Eva ist 23 Jahre alt, lebt im südlichen Bayern und identifiziert sich selbst als queer. Was bedeutet für dich Kirchencommunity im Vergleich zu Was hat sich für dich in der Kirche seit der „Ehe für alle“ queerer Community? verändert? Eva: Kirchencommunity basiert für mich auf geteilten gemeinsamen Auch das ist in der katholischen und evangelischen Kirche sehr unter- christlichen Werten, queere Community bedeutet dagegen nicht schiedlich. Ein katholischer Pfarrer hat illegalerweise gleichgeschlecht- zwangsweise ein geteiltes Werteverständnis. Dafür empfinde ich die liche Paare getraut und dafür seinen Job verloren. Die evangelische queere Community als vielfältiger, auch wenn inzwischen auch in der Kir- Landeskirche Berlin-Brandenburg hat dagegen sogar schon vor der staat- che beispielsweise ein vielfältigerer Umgang mit Bibelstellen und deren lichen Öffnung die gleichgeschlechtliche Ehe als gleichgestellt angese- Auslegung entsteht. Die Kirchengemeinde als Community ist für mich hen. In der evangelischen Kirche trifft jede Landeskirche ihre individuelle stark an den Ort Kirche als einen Ort der Gemeinschaft geknüpft. „Lösung“, daher ziehen da natürlich leider auch nicht alle mit. Wie erlebst du selbst Queerness innerhalb deiner Was könnte Kirche deiner Meinung nach verbessern, um Kirchencommunity? queere Menschen mehr in Kirchencommunitys willkommen Ich bin katholisch aufgewachsen und sozialisiert, vor kurzem aber zum zu heißen? evangelischen Glauben konvertiert. Mein subjektives Erleben zeigt die Die Grundannahme vieler ist, dass Kirche homophob ist. Kirche muss evangelische Gemeinde als sehr offen. Ich finde, dass Queerness nicht dafür arbeiten, Menschen diese Grundangst zu nehmen. Beispielsweise wirklich ein Thema in dieser Kirche ist, aber wenn man darüber sprechen sollte das Thema Queersein in der pastoralen Ausbildung sichtbar ge- will, ist Raum dafür da. Ich war dort auch nie die einzige queere Person. macht werden. Meiner Ansicht nach ist es häufig so, dass durch fehlende Das war in der katholischen Kirche anders, da habe ich meine Queerness Berührungspunkte und Unwissen negative Bilder über queere Menschen nie offen geäußert. Die Unterschiedlichkeit ist dabei aber auch strukturell erzeugt werden. Ein gutes Beispiel für Aufklärungsarbeit ist dabei der bedingt, da in der evangelischen Kirche die*der Pfarrer*in keinem Papst Youtube-Kanal „Anders Amen“, der von zwei lesbischen Pfarrerinnen für oder einer Lehrmeinung Rechenschaft schuldig ist, sondern nur vor sich den Kirchenfunk produziert und auch auf Instagram veröffentlicht wird. selbst und Gott. Durch meine berufliche Tätigkeit in der katholischen Ju- Das System kann sich nur von innen verändern. Kirche ist auch keine coo- gendarbeit merke ich aber, dass auch dort nach und nach durch die Eta- le Utopie, sondern Teil und Spiegel der Gesellschaft. Solange in der Ge- blierung des synodalen Wegs (ein Gesprächsformat für eine strukturierte sellschaft Queerphobie existiert, existiert sie auch in der Kirche. Debatte innerhalb der römisch-katholischen Kirche, Anm. d. Red.) sowie Arbeitskreise queere Themen Einzug halten, jedoch schnell auf Wider- Was ist dein Liebstes „queeres“ Bibelzitat? stand stoßen, wenn/da sie von der Lehrmeinung abweichen. Aber gerade Eine Stelle im Galaterbrief: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, Jugendliche bringen immer mehr queere Themen in der Kirche ein. nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich: Denn ihr alle seid eins in Jesus Christus.“ (Gal 3, 28). Thema: Community 9 out!54 / Winter
Community ohne Grenzen Heute würde ich sagen, dass ich eigentlich schon immer queer war. Das Wort „queer“ ist aber erst in meinem Leben aufgeploppt, als ich 18 war. Auf meinem ersten CSD war ich mit 20. Von seinem geschichtlichen Hintergrund habe ich davor aber noch nichts gewusst. Das meiste queere Wissen habe ich mir erst dieses Jahr durch para- soziale „Beziehungen“ auf YouTube und Instagram einverleibt. Es hat also eine ganze Weile, inklusive Umzug in eine größere Stadt, gebraucht, bis ich ein Bewusstsein dafür hatte, dass es queere Communitys, Support-Netzwerke, Gruppen und Projekte gibt. Von Minx Unter anderem bin ich auf die intersektionale Arbeit des Ich möchte von Caspar wissen, ob er sich denn gleich als Teil Peer-to-Peer Projekts „Trans*Sexworks“ gestoßen. Eine einer oder „der“ queeren Community gefühlt hat. Mischung aus Faszination, Achtung und Interesse hat mich „Es gibt ja nicht wirklich ‚die Community‘. Das merke ich gerade auch dazu gebracht, Caspar selbst mal anzuschreiben, um mit ihm jetzt bei ‚Trans*Sexworks‘. über sein Engagement zu sprechen. Ich glaube, die meisten entstehen einfach durch verbindende Elemen- Ich wollte wissen, wie er zu seinem Aktivismus gekommen te wie ähnliche Lebenssituationen oder Gefühlslagen, also Gemein- Fotos: KAy Garnellen, Caspar Schumacher ist, mit ihm darüber reden, was ihn antreibt, und vor allem samkeiten, die einfach da sind, wie zum Beispiel queer sein, trans* sein, den Community-Aspekt dabei etwas genauer beleuchten. vielleicht dieselbe Sprache sprechen. Caspar lebt in Berlin und ist auch dort aufgewachsen. Schon mit 14 Neulich habe ich mit Sexarbeitsaktivist*innen aus Lateinamerika eine fing er an, sich politisch zu engagieren. Angefangen hat er bei der Soli-Veranstaltung organisiert und ich habe mich kurz echt ein biss- Grünen Jugend. Mit 16 besuchte er eine Jugendgruppe von Lambda chen albern gefühlt, weil ich gar nicht wusste, dass es so eine große Berlin-Brandenburg, wo er kurze Zeit später in den Bundesvorstand queere lateinamerikanische Community in Berlin gibt.“ gewählt wurde. Politisch aktiv war Caspar bereits, bevor er wusste, dass er trans* ist. Seit über einem Jahr ist er nun im Projekt „Trans*Sexworks“ aktiv, Dass er queer ist, habe er zwar schon gewusst, es sei aber nicht die ein Projekt des Vereins TrIQ. Hier kümmert er sich um die Organi- Queerpolitik gewesen, die ihn zum Aktivismus gebracht hat, sondern sation und die Öffentlichkeitsarbeit. Im Gegensatz zu den meisten das Thema Menschenrechte allgemein. Sozialarbeiter*innen können Caspar und seine Kollegin Isabelle, die Im Projekt selbst sieht er sich zwar als Peer, nicht aber als Teil der seit vier Jahren im Projekt ist, auf Augenhöhe und als Teil der Commu- Community, da er durch die Arbeit verdeutlicht bekommt, wie viel nity mit trans* Menschen aus der Sexarbeitscommunity arbeiten. Das privilegierter er ist. Genau das sei aber auch seine Motivation. Verhältnis sei eher freundschaftlich. Thema: Community 10 out!54 / Winter
sollte, sich immer wieder neu kritisch zu reflektieren und die eigene Stimme zu nutzen. Er würde sich wünschen, dass sich mehr Menschen auch mit Themen befassen, die sie nicht persönlich betreffen, etwa mit Antirassismusarbeit oder dem Abbau der Diskriminierung, die durch Gesetze wie das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ ent- steht oder sogar verstärkt wird. Er erzählt mir, dass er zum Beispiel seinen Personenstand nicht än- dern ließ, was meistens auch kein Problem sei; aber eben auch nicht immer. Verglichen mit der krassen Mehrfachdiskriminierung anderer Menschen bei „Trans*Sexworks“ sei das jedoch trotzdem gar nichts. „Natürlich ist jede Art von Diskriminierung schlimm, aber ich finde, wir sollten als Community auch andere Themen ansprechen. Ich habe eine Wohnung und schaffe es, auch ohne Uni-Abschluss einen Job zu haben. Ich habe weder mit Armut noch mit Sprachbarrieren zu kämp- fen. Durch meine Arbeit kriege ich mit, dass trans* Menschen in Not- unterkünften abgelehnt werden oder in Beratungseinrichtungen. Es darf einfach nicht sein, dass Menschen in diesem krassen Ausmaß die Hilfe verweigert wird.“. Ich habe mir bereits vor unserem Gespräch gedacht, dass ich in Aktivismus das große Potential sehe, dass er Zugehö- rigkeit schafft. Wenn Menschen gemeinsam für eine Sache kämpfen, bildet sich ja auch eine Community, die einem Kraft geben kann. Ich habe aber auch das Gefühl, dass viele Menschen ihren Aktivismus nur auf die eigene Betroffenheit stützen beziehungsweise nicht über die Grenzen eigener Be- troffenheit hinausdenken. Caspar meint sofort, dass er dieses Problem auch sieht: „Menschen schweigen meist, weil sie keinen Bezug zu Themen haben oder zumindest denken, dass sie gewisse Themen, wie etwa Armut, Obdachlosigkeit, Migration oder häusliche Gewalt nie betreffen wer- den. Wir können aber nicht immer darauf warten oder davon ausge- hen, dass eine betroffene Person sich selbst Gehör verschafft.“ Er meint, dass er schon öfters versucht habe, Leute aus dem Projekt zu vermitteln, etwa bei Interviewanfragen. Das sei jedoch gar nicht so einfach, weil die Menschen das aus Angst vor Stigmatisierung nicht wollen: „Viele Menschen glauben ja, dass sie gar keine trans* Personen kennen. Das ist bei der Sexarbeit ähnlich. Also dass die Leute denken, Casper erzählt mir, dass er für seine Arbeit jeden Tag um sie würden keine Sexarbeiter*innen kennen, nur weil diese nicht un- acht Uhr aufsteht und bis 22 oder 23 Uhr pausenlos be- bedingt sichtbar sind. Dass nicht wirklich in der Öffentlichkeit darüber schäftigt ist, obwohl er fast alles ehrenamtlich macht. Das gesprochen wird, liegt aber an der Stigmatisierung“ liegt daran, dass „Trans*Sexworks“ keine festen Öffnungs- Caspar meint, dass er nicht aus eigener Betroffenheit über diese The- oder Schließzeiten hat und somit jederzeit angerufen wer- men redet. „Ich arbeite weder auf dem Straßenstrich noch bin ich den kann. trans* weiblich, ich komme aus einer Akademikerfamilie, habe die „Das ist natürlich auch ein bisschen stressig, aber so funktioniert es deutsche Staatsbürgerschaft und viele weitere Privilegien. Mich mit einfach gut. Wenn um 23 Uhr jemand das Bedürfnis hat zu reden, dann den Problemen und Krisen anderer zu befassen und Menschen wirk- kann die Person auch anrufen. Wir sind nicht einfach mal nicht er- lich zuzuhören; das sind Dinge, die ich aus Solidarität tue.“ reichbar. Wenn wir Zeit und Energie haben, Leute bei irgendwas zu un- terstützen, dann wird das auch gemacht. Wir haben da keine Regeln.“ Im Bezug zu dem von mir erwähnten oder infrage gestellten Betroffenheits-Aktivismus erzählt Caspar mir auch von der Für mich klingt das so, als sei ihm diese Arbeit so wichtig, Enttäuschung, die er der queeren Community gegenüber dass er vielleicht sogar über die eigenen Belastungsgrenzen fühlt hinaus für andere da sein will. Ich frage, woher er die Ener- Er finde es ziemlich schrecklich, dass viele Menschen nur ihre eigenen gie dazu nimmt und was ihn antreibt. Interessen vertreten und nur Aktivismus betreiben, wenn es darum „Ich sehe diese Ungerechtigkeit einfach tagtäglich und wirklich über- geht, die eigene Lebenssituation zu verbessern. all. Das ist für mich einfach so unaushaltbar, dass es für mich einfach „Die Trans*Community redet meistens nur über rechtliche Themen viel schlimmer ist, nichts zu tun, als etwas zu tun.“ wie das Selbstbestimmungsgesetz oder Personenstandsänderungen In den letzten Jahren sei das schlimmer geworden. Wegschauen könne und gar nicht über Themen wie trans* und Haft, trans* und HIV, trans* er einfach nicht mehr. Das Gefühl kenne ich sehr gut. und Drogensucht, Obdachlosigkeit, Sexarbeit. Für den Aktivismus hat Caspar auch sein Studium abgebrochen. Zwei Neulich sind die Zwischenergebnisse der Trans-Covid-Studie des Jahre lang habe er es versucht und viel überlegt, um am Ende zu dem Uniklinikums Hamburg rausgekommen, in der 6,1 Prozent der trans* Schluss zu kommen, dass er einfach keine Zeit zum Studieren hat und Personen angeben, in der Sexarbeit tätig zu sein. Aber darüber wird ihm der Aktivismus wichtiger ist. einfach nicht gesprochen.“ „Mich an diesem Punkt wirklich dafür zu entscheiden, dass ich Aktivis- Sich mit Trans*-Rechten auseinanderzusetzen, sei ein guter Einstieg, mus für den Rest meines Lebens machen möchte; das war ein krasser der einem verständlich macht, wie systematisch Trans*-Feindlichkeit Moment. Klar bin ich jetzt erst 21.” Er lacht. „Es kann noch viel passie- allein schon gesetzlich ist. Caspar meint jedoch, dass es dazu gehören ren. Aber das ist mein jetziger Stand.“ Thema: Community 11 out!54 / Winter
„Mich selbst zu entdecken und mir meinen Kör- per anzueignen, um meine Selbst- wahrnehmung von einer Fremd- wahrnehmung zu trennen, fühlt sich an wie eine Ermächtigung“ Von Sara Schreiner Alles beginnt mit einem dert, habe ich als cis Person natürlich noch nie Linus Giese alltägliche Themen mit Sinnfragen Fotos: Annette Ettges / Rowohlt Verlag Kaffeebecher, auf dem selbst gemacht. Trotzdem empfinde ich durch und sehr schmerzhafte Themen aneinander- reiht, ist Zeugnis seines Schreibtalents. Bei kei- den nahbaren und authentischen Schreibstil sei- zum ersten Mal sein Name ne Wut und Enttäuschung. Im Kern des Buchs ner der Kapitel kommt der Wunsch auf, das Buch steht: Linus. dreht sich auch viel um Selbstliebe, Liebe, Un- sicherheiten – Themen, die uns alle sicherlich beiseite zu legen, um die Schwere zu verdauen, und doch bleiben nach Beenden des Buchs viele Kein Wunder, dass die ei- vereinen. Es geht um Privilegien, Gewalterfah- Emotionen und Fragen hängen. gene Biographie den Titel rungen und Stalking, um Liebe und queere Vor- bilder. Dabei ist Linus so mutig und offen, dass Die Autobiographie ist für alle zu empfehlen, die gern lesen. Selbst cis Menschen, die noch nicht „Ich bin Linus“ trägt. Au- die größten Gefühle, die beim Lesen zurückblei- viel mit trans* Themen in Berührung gekommen genscheinlich mag es wie ben, Bewunderung und der Wunsch sind, Linus als besten Freund zu haben. sind, erlangen einen niedrigschwelligen Zugang zu trans* Themen. Dabei wirkt Linus niemals nichts Besonderes klingen, Er selbst notiert treffend: „Zwischen mir und belehrend oder erhebt Anspruch auf Vollstän- digkeit oder Allgemeingültigkeit. Schließlich ist den eigenen Namen auszu- diesem Buch ist erschreckend wenig Distanz. Manchmal bin ich zu offen, manchmal mute ich er sich bewusst, dass er aus einer recht privile- sprechen. Menschen zu viel zu. Ich versuche noch, heraus- gierten Sicht schreibt, als weißer, able-bodied zufinden, wie viel Verletzlichkeit erlaubt ist.“ trans* Mann. Die Hoffnung auf ein nächstes Aber für den trans* Mann Linus Giese ist genau Aber wie im Zitat zeigt sich in „Ich bin Linus“ auf Buch des Bestseller-Autors kauft man gleich mit das damals ein großer Schritt. Und mit jedem 218 Seiten, dass Linus vorsichtiger geworden dem Erwerb von „Ich bin Linus“ mit, gemeinsam der 32 kurzweiligen Kapitel wird immer klarer, ist durch die schrecklichen Erfahrungen, aber mit dem Wunsch, noch mehr von seinem Leben warum dieser Satz so wichtig für den heute dass er nicht still geblieben ist. „Warum kannst zu hören. 34-Jährigen ist. Diskriminierung, das Annehmen du nicht leiser sein? Unauffälliger? Angepass- der eigenen Identität und Gewalterfahrungen ter? Freundlicher? Ich finde solche Reaktionen begleiten Linus auf dem Weg zu seinem wahren seltsam. Würde man auch, wenn ich überfallen Ich. Der Germanist und Journalist spricht The- werde, auch fragen, warum ich ausgerechnet „Ich bin Linus“ men an, die man erwarten würde, wie zum Bei- dorthin gegangen bin?“, so wertet er die Kom- Verlag: Rowohlt Taschenbuch spiel sein Coming-out, Dysphorie, den Weg der mentare von Leuten, die ihm vorwerfen, er sei 224 Seiten Transition und die Gesetzgebung in Deutsch- schuld daran, dass Fremde ihm vor seiner Woh- 15 Euro land. Manche Erfahrungen, wie Linus sie schil- nung aufgelauert haben. Die Art und Weise, wie Erschienen im August Rezension 12 out!54 / Winter
Hallo liebes Team von der Queeren Kolumne, seit einiger Zeit stelle ich meine sexuelle Ori- entierung mehr und mehr in Frage. Manchmal fühle ich mich zu Leuten mit dem gleichen Ge- schlecht hingezogen, bin bis jetzt aber immer davon ausgegangen, hetero zu sein. Ich hinter- frage nun, ob ich vielleicht bi oder pan bin… Im Internet bin ich aber auch auf den Begriff hete- ro-flexibel gestoßen. Gibt es diese sexuelle Ori- entierung überhaupt? Und was wäre dabei dann der Unterschied zur Bisexualität? Ich freue mich auf eure Antwort! Liebe Grüße Yaelle Zur Autorin: Liebe Yaelle, Julia labelt sich selbst momentan bi. danke für deine Anfrage und dein Vertrauen. Ein bisschen ist das auch der Punkt: ‚Bisexuell‘ ist für vie- Es stimmt, dass Label ganz schön kompliziert sein kön- le ein Überbegriff für zahlreiche Nuancen. Das ist man- Glossar: nen. Das liegt daran, dass es so viele gibt. Das ist aber chen Menschen zu unspezifisch und sie labeln sich mit Heteroflexibel sein wiederum hilfreich für viele Menschen auf der indivi- Begriffen, die genauer auf einen bestimmten Fall ausge- bedeutet, in den aller- duellen Suche nach einem genau passenden Label. Ich richtet, dafür aber weniger bekannt sind. Zum Beispiel meisten Fällen auf die möchte dir vorneweg empfehlen: Lass dich nicht davon ordnen manche Menschen Pansexualität, Omnisexua- Personen zu stehen, stressen, vielleicht erst nach einiger Zeit das richtige lität, Multisexualität und Polysexualität alles irgendwie die man auch inter- Wort für deine sexuelle Orientierung zu finden. Es ist Bisexualität zu. essant finden würde, okay, wenn das Zeit braucht. Es ist genauso okay, wenn Der Unterschied ist also, dass ‚bisexuell‘ vielleicht eher wenn man heterosexu- du es ablehnst, dich überhaupt zu labeln, und wenn sich ein übergreifender Begriff ist. ell wäre – aber dass es Bezeichnungen ändern. Wenn du dich mit dem Label ‚hetero-flexibel‘ wohlfühlst, eben auch Ausnahmen Nun aber zu deiner konkreten Frage: Ist Heteroflexibi- kannst du darüber nachdenken, dich so zu identifizieren. gibt. Der Begriff „hete- lität eine sexuelle Orientierung? Klären wir erstmal den Schau dir dazu vielleicht noch einmal den Infokasten an. roflexibel“ polarisiert, Begriff. Er bezeichnet, dass man sich generell zu Perso- Letztlich gilt aber bezüglich Label: Es gibt keine Kriteri- da manche Menschen nen des (oder eines) anderen Geschlechts hingezogen en zu erfüllen! Man darf sich nicht erst dann irgendwie dem Begriff vorwer- fühlt, es aber gelegentlich auch Ausnahmen gibt – man bezeichnen, wenn man eine Art Checkliste abgearbeitet fen, Bi-Erasure zu im- also flexibel ist. Du fragst zurecht: Was ist da denn jetzt hat. So funktioniert das nicht. Label sind hochgradig indi- plizieren, Bisexualität der Unterschied zur Bisexualität? Denn immerhin be- viduell, teilweise fluide und können sich im Laufe des Le- also in Frage zu stellen QUEERE KOLUMNE deutet Bisexualität nicht (immer), dass man in einer Art bens verändern. Ebenso haben Menschen manchmal das oder zumindest zu ver- 50-50-Verteilung auf Männer und Frauen steht. Bedürfnis neue Label-Nuancen zu benennen, wodurch schweigen und unsicht- Sondern: Bisexuell sein heißt, sich sowohl zu Menschen immer wieder neue Begriffe entstehen, was verwirrend bar zu machen. mit dem gleichen Geschlecht hingezogen zu fühlen als sein kann. Manche Personen präferieren vielleicht trotz- auch zu anderen Menschen. Das unterscheidet sich üb- dem ein „altes“ Label oder einen Überbegriff, da dieser rigens dadurch von Pansexualität, dass bei Pansexualität sich für sie bewährt hat und sich richtig anfühlt. Es soll- nicht das Geschlecht aussagekräftig darüber ist, ob die te keinen Zwang geben, ein perfektes „Passing“ für ein pansexuelle Person einen Menschen attraktiv findet, Label zu finden. Das gleiche Label kann für unterschied- sondern sozusagen eher zum Beispiel die Ausstrahlung, liche Personen unterschiedliche Bedeutungen haben. ganz unabhängig vom Geschlecht. Mach das, womit du dich wohlfühlst! Und wie anfangs Aber zurück zur Bisexualität: Du kannst zum Beispiel in gesagt: Es ist absolut okay, wenn die Suche Zeit braucht. den allermeisten Fällen Männer interessant finden und nur manchmal Frauen. Auch dann kannst du dich ‚bise- Ich wünsche dir alles Gute! xuell‘ labeln. Und das klingt doch verdächtig wie Hete- Julia roflexibilität. Queere Kolumne 13 out!54 / Winter
C O M I N G - O U T - S T O R Y Identitätsfindung: für mich eine neverending story Du möchtest an dieser Stelle Vorweg: Erstens: Dieser Text dreht sich eher um innere auch von deinem Coming-out Coming-outs, also dass ich mir etwas bewusst wurde, und erzählen? meine Gedanken dazu. Zweitens: Meine Coming-outs, Wir veröffentlichen jedes Mal auch die inneren, sind noch nicht am Ende. Identitätsfin- eine Coming-out-Story, die jun- dung is a never ending story! gen, queeren Menschen Mut machen soll. Für ihr eigenes Coming-out oder auch für die selbstbestimmte Entscheidung, sich nicht zu outen – zumindest nicht jetzt, nicht überall oder nicht bei allen. Deine Geschichte hat uns da ge- rade noch gefehlt – denn jede Geschichte ist einzigartig, kann zum Nachdenken anregen, zum Schmunzeln bringen oder tief In der Schulzeit kannte ich hetero, lesbisch, gefragt hatte. Sie sagte, dass es für sie okay schlucken lassen. schwul, bi und binäre Trans-Identität. Ich wäre. Ich antwortete also: „Ich bin asexuell. fragte mich hin und wieder, was meine se- Das heißt, dass ich keine sexuelle Anziehung xuelle Orientierung ist. Mein Gedanke war, fühle. Ich kann euch Texte zum Lesen zeigen.“ Du möchtest deine Geschichte dass ich, wenn ich mich in niemanden so (Texte von @Mandelbroetchen auf Twitter) - erzählen und im gedruckten richtig verliebe, wohl Menschen unabhängig Mein Vater sagte dann: „Ach, deshalb magst Magazin sehen? vom Geschlecht gleich gern mochte. Also du keine romantischen Filme sehen.“ Aktu- war ich vielleicht auf eine unromantische Art ell denke ich, dass ich auf dem asexuellen Dann melde dich einfach per bisexuell? und aromantischen Spektrum bin. Ich muss Mail: outredaktion@lambda- Mein erstes inneres Coming-out hatte ich jemanden gut kennen und mich verbunden online.de mit 18, als ich zufällig einen Zeitungsartikel fühlen, um die Person zu lieben, weil ich mich über Asexualität las und mich direkt darin nicht verliebe. – auch anonym, falls du das wiederfand. Ich dachte damals, asexuell zu Neues Thema: Irgendwie bin ich auf Videos möchtest. sein heißt gleichzeitig auch, aromantisch zu von Alex Bertie gekommen. Daraufhin sah sein und habe es auch auf Verliebtheit be- ich mir YouTube-Videos von Alex Bertie, Jake zogen. In der asexuellen und aromantischen Edwards, Ash Hardell und Jackson Bird an rie (also das Gefühl eines Unwohlseins, Anm. und suchte nach einer Genderidentität für d. Red.). Dann gab es einen Moment, in dem mich. Trans(*) hatte ich definiert als „sich ich mir gesagt habe: Andere Menschen neh- einem anderen Geschlecht als dem zugewie- men mir meine Identität nicht weg! Seit die- Mein Vater sagte dann: senen zugehörig fühlen“. Ich habe aber ein sem Moment habe ich nur noch manchmal „Ach, deshalb magst du keine unklares Gendergefühl, ich sehe mich kei- soziale Dysphorie. Ich beachte es nicht mehr Foto: Mukul Kumar / Unsplash, privat nem bestimmten anderen Gender zugehörig weiter, wenn Leute mich mit „Frau …“ an- romantischen Filme sehen.“ (wie fühlt sich denn bitte ein Mann oder eine sprechen (ich bin also assigned female, ande- Frau?). Als eine*r von ihnen einmal so etwas re weisen mir das weibliche Geschlecht zu). sagte wie „Trans/Nonbinary sein heißt, sich Ich weiß, dass das nicht üblich für Menschen Community wird zwischen romantischer und nicht mit dem zugewiesenen Geschlecht zu mit Dysphorie ist! Keine*r kann einfach ent- sexueller Orientierung unterschieden. Mein identifizieren“, war ich begeistert – also hat- scheiden, keine Dysphorie mehr zu haben. erstes Coming-out gegenüber anderen war te ich dann die Identität nonbinary/gender- Wenn ich mein Gender stark fühle, fühle bei einem Theaterkollegen. Wir waren nach queer. Ich habe in den letzten Jahren viel mit ich mich ein bisschen wie in Double Drag. einem Auftritt in einer Kneipe und es passte Namen experimentiert, mittlerweile bin ich Ich fühle mich ohne Gender, aber feminin, gerade zum Gesprächsthema. Mein zweites wieder bei meinem Geburtsnamen (und an- darunter etwas maskulin und darunter eben Coming-out war gegenüber meinen Eltern, deren). Es war aber wichtig, dass ich andere kein Gender. Ich mag es, mich aufzufummeln nachdem ich auf meinem ersten CSD war Namen ausprobiert habe. – enby (also nicht-binär, Anm. d. Red.) und und meine Mutter mich daraufhin danach Ich hatte bis vor einem Jahr soziale Dyspho- feminin. Glitzer und so. Coming-out-Story 14 out!54 / Winter
Was mal SCHLAU wäre: mit uns reden statt über uns Ausgeschlossen sein, sich selbst nicht in Filmen, Büchern, Songs oder Games zu finden – das kenne ich gut. In der Schule hatte ich ein ähnliches Gefühl. Von Tristan Im Unterricht wurde nicht über mich geredet. Mit „nicht über mich ge- Heute bin ich Teil des SCHLAU-Teams Lübeck. redet“ meine ich, dass queere Menschen und nicht-heteronormative Wir sind ein Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekt, bei dem es nicht Lebensmodelle weder von Lehrkräften angesprochen noch in Schulbü- um Sexualaufklärung, sondern um das Wissen rund um sexuelle Orientie- chern erwähnt wurden. Gleichzeitig wurde auf dem Schulhof sehr wohl rung und geschlechtliche Identität geht. Wir wollen vermitteln und für über mich geredet. Und das kennst du auch. Jede*r kennt die unwürdigen den Themenkomplex Diskriminierung sensibel machen. Pädagogische Bezeichnungen, die Sprüche auf dem Bolzplatz und im Sportverein, die Arbeit bezieht sich nicht nur auf Arbeit mit jungen Menschen, weswegen voreingenommenen Dozent*innen an der Uni, die blöde Person aus der unsere Workshops zwar in erster Linie an Schulen, durchaus aber auch Firma, sexistische Witze, die ganz normaler Smalltalk zu sein scheinen in Sportvereinen, Jugendgruppen oder vielen anderen Orten stattfinden und vieles mehr. Mit mir geredet haben nur wenige. Dass können. Vorhin schrieb ich noch von diesen Orten, an de- das in der Schule nicht der Fall war, tut mir beson- nen ich mich allein gefühlt habe. Vielleicht ging es ders weh. dir auch so? Wir können daran etwas ändern, Die Schule sollte ein Schutzraum für alle wir können an der Erzählung über queere sein. Statistisch gesehen gibt es in je- Menschen teilhaben – das ist das Schö- der Klasse zwei queere Menschen. ne an Demokratie. Schutzraum für alle heißt, dass das Wie mir eine SCHLAU-Kollegin auch für diese beiden gilt. Ich verriet, war es für sie eine der ging auf eine Schule, die „Schu- bereicherndsten Erfahrungen, le ohne Rassismus, Schule mit die eigene Coming-out-Ge- Courage“ im Foyer stehen schichte mit Schüler*innen hatte – davon habe ich lei- zu teilen, auch wenn diese der nichts gemerkt. nicht nur schön ist. Es ver- Demokratie und Teilhabe bindet und hilft, es stößt Foto: SCHLAU Lübeck sollten nicht nach Augen- zum Nachdenken an. maß zusammengeschus- Aktuell sind wir sechs tert werden, „bisschen Ab- Ehrenamtliche und eine weichung“ darf nicht drin hauptamtliche Koordinati- sein. Auch die sogenannten „Bunten Vögel“ wollen nicht vergessen werden. Wenn Wir leisten wichtige aber viele überhaupt nicht von der Existenz von inter*, trans* politische Arbeit, oder nichtbinären Menschen wis- bilden Demokratie sen, dann wird es sogar mit dem Ver- gessen noch schwierig. und leben Vielfalt. on. Um noch besser und an mehreren Orten ar- Die Schule sollte ein beiten zu können, dürften wir gerne 15 bis 20 Per- Schutzraum für alle sein. sonen sein. Wir wünschen uns mehr Anerkennung für die Relevanz unseres Bildungsprojekts. Wir leisten wichtige politische Arbeit, bilden Demokratie und leben Vielfalt und wir freuen uns darauf, dass hof- Damals hätte ich gerne mit meinen Mitschüler*innen geredet, aber ganz fentlich noch viele andere wunderbare Menschen ein Teil der SCHLAU- allein und mit zarten fünfzehn Jahren fehlte mir der Mut. Ich saß still da Familie werden wollen. und hoffte, dass irgendwer kommt und den anderen erzählt, dass es quee- Wenn du Lust auf das wichtige, abwechslungsreiche und anspruchsvolle re Menschen gibt, damit irgendwann auch ich mal sagen kann, wer ich bin, Ehrenamt bei SCHLAU Lübeck bekommen hast, melde dich gern bei uns! ohne sofort wirklich alles zu dem Thema erklären zu müssen. Ich wollte Wir bieten immer wieder Infoabende an, zu denen wir Interessierte ein- nicht das Foto neben dem Wikipediaartikel sein. laden. Hier stellen die Teamer*innen von der AG Infoabend vor, was dich Also: Heute mache ich das. Heute gehe ich in Klassen und erzähle von bei einem Ehrenamt bei SCHLAU erwartet, wie viel Zeit nötig ist, wie queeren Menschen. Ich spreche nur für mich und nur über mich. Faszi- Schulworkshops ablaufen, wie die wichtigsten Methoden von SCHLAU nierenderweise spreche ich dabei gleichzeitig für viele und hoffentlich aussehen, wann und wie sich das Team trifft, etc. Auch wird erklärt, wie auch für die beiden queeren Personen im Klassenraum, die noch immer der weitere Weg aussieht, um zur*m SCHLAU-Teamer*in ausgebildet und oft vergessen werden. ins Team aufgenommen zu werden. Mehr über uns und Kont aktmöglichkeiten findest du unter luebeck.sc hlau-sh.de Lambda intern 15 out!54 / Winter
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