Home Treatment - GEMEINSAM HANDELN - Der Paritätische ...

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Home Treatment - GEMEINSAM HANDELN - Der Paritätische ...
Home Treatment –
GEMEINSAM HANDELN
DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Home Treatment - GEMEINSAM HANDELN - Der Paritätische ...
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................................................    1
1. Einleitung ....................................................................................................................................      3
2. Home Treatment – eine Begriffsbestimmung ...............................................................                                            5
3. Chancen und Vorteile des Home Treatment ..................................................................                                         10
4. Ausgangsbasis – rechtliche Rahmenbedingungen .....................................................                                                 12
    4.1 Behandlung ........................................................................................................................            12
    4.2 Eingliederung und Rehabilitation ..............................................................................                                16
5. Struktur der Versorgung ........................................................................................................                    19
6. Formen und Entwicklungsstand regionaler Kooperationen ...................................                                                          22
7. Erfolgsfaktoren teambasierter, aufsuchender Behandlung und Unterstützung ...                                                                       25
8. Empfehlungen zur praktischen Umsetzung ..................................................................                                          28
9. Forderungen ..............................................................................................................................          31
    a) An die Leistungserbringer ...............................................................................................                       31
    b) An die Leistungsträger .....................................................................................................                    32
    c) An den Bundesgesetzgeber ............................................................................................                           33
10. Home Treatment – Bausteine der Umsetzung und weitere Angebote .............                                                                       34
11. Weiterführende Informationen und Links ....................................................................                                       47
Impressum ......................................................................................................................................       49

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Home Treatment - GEMEINSAM HANDELN - Der Paritätische ...
Vorwort

Neuerungen und Entwicklungen in der             Dann sind die Leistungen
Versorgung psychisch kranker Men-
schen hat es viele gegeben und wird es          • mit dem Menschen selbst abge-
weiter geben. Ob sie tatsächlich Verbes-            stimmt,
serungen darstellen, kann man danach
beurteilen, ob sie uns den großen Zielen        • setzen an der Lebenswelt der Men-
näher bringen, die die Psychiatrie-En-              schen mit psychischer Erkrankung an,
quete von 1975 so formuliert hat:
                                                • zielen auf Ressourcenstärkung,
1.   Stärkere Orientierung der Versorgung
     am Bedarf der Patientinnen und Pati-       • werden von multidisziplinären Teams
     enten/Klientinnen und Klienten                 im regionalen Netzwerk geplant und

2.   „Normalisierung“ und Integration           • in der eigenen Häuslichkeit erbracht.
     der psychiatrischen Versorgung in
     die Gemeinde                               Eine koordinierte und kooperative Leis-
                                                tungserbringung für Menschen mit psy-
3.   Gleichstellung psychisch und soma-         chischer Erkrankung ist jedoch in der Pra-
     tisch Kranker                              xis oft nicht möglich, weil die Hürden für
                                                eine sektorenübergreifende und team-
4.   Ent-Hospitalisierung und De-Institu-       basierte Leistungserbringung fast immer
     tionalisierung                             zu hoch sind. Dennoch haben sich bereits
                                                viele Organisationen im Paritätischen auf
5.   Koordinierung der Versorgung zwi-          den Weg gemacht. Sie nutzen die mini-
     schen den Professionen und Institu-        malen Ansätze im gegliederten System
     tionen                                     und versuchen das Beste daraus zu ma-
                                                chen. Der Paritätische unterstützt sie bei
Beim Home Treatment erhalten Menschen           diesen Bemühungen soweit es geht.
mit einer psychischen Erkrankung ambu-
lante Unterstützungsleistungen. Das kann        Andererseits scheitert eine umfassende
zu Verbesserungen führen, wenn es em-           und kombinierte Leistungserbringung
pathisch und fachgerecht durchgeführt           in den Bereichen Behandlung, Rehabili-
wird und wenn die Rahmenbedingungen             tation, Pflege und Teilhabe in der Praxis
es zulassen, dass es seinen eigenen An-         allzu häufig an massiven rechtlichen und
sprüchen gerecht wird.                          strukturellen Hindernissen. Daher ist es
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längst überfällig, durch entsprechende            Wir danken besonders dem Dachver-
Regelungen und Finanzierungen in den              band Gemeindepsychiatrie e.V. und der
diversen Gesetzen den Aufbau multipro-            Deutschen Gesellschaft für Soziale Psy-
fessioneller, ambulant-aufsuchend ar-             chiatrie e.V., die uns ermutigt und un-
beitender Teams zu fördern, so dass ins-          terstützt haben, diese Broschüre auf den
besondere für Personen mit schweren               Weg zu bringen. Der Paritätische ist vom
psychischen Erkrankungen komplexe                 Nutzen des Home Treatment überzeugt
Leistungen „wie aus einer Hand“ er-               und möchte mit dieser Broschüre den
bracht werden können. Der Paritätische            weiteren Umsetzungsprozess befördern.
sieht hier seine Aufgabe in beständiger
Information der Politik und der Öffent-
lichkeit sowie in kontinuierlicher Lobby-
Arbeit gegenüber Kostenträgern und
Politik. Das Ziel muss es sein, innovative,
ambulante Modelle, die in anderen                 Prof. Dr. Rolf Rosenbrock
europäischen Ländern längst etabliert
sind, endlich auch in Deutschland um-             Vorsitzender des
zusetzen.                                         Paritätischen Gesamtverbandes

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1. Einleitung

In den letzten zehn Jahren ist der Arbeits-       Leistung im Lebensumfeld bei Bedarf und
ausfall durch psychische Erkrankungen             Wunsch der Leistungsberechtigten als
um fast 80 Prozent gestiegen. Dabei               Komplexleistung – rechtskreisübergrei-
wuchs sowohl die Zahl der Erkrankten als          fend – und auch in aufsuchender Form er-
auch die Ausfallzeit je Patient/-in. Rund         bracht werden kann. Die Anbieter wollen
jeder dritte Bundesbürger geht im Laufe           den Bedürfnissen der Menschen entspre-
eines Jahres wegen einer psychischen Er-          chen, was auch Auswirkungen auf Ange-
krankung zur Fachärztin oder zum Fach-            hörige und Bezugspersonen hat.
arzt. (Fehlzeiten-Repoert 2017: Krise und
Gesundheit, AOK Bundesverband). Wohl              In fast allen Sozialgesetzen werden die
jeder kennt Familienmitglieder, Nachba-           Leistungsträger verpflichtet, den ambu-
rinnen und Nachbarn, Kolleginnen und              lanten Hilfen den Vorrang vor stationären
Kollegen, die von heute auf morgen aus            Leistungen zu geben, denn sie führen
ihrem üblichen Lebensumfeld herausge-             i.d.R. zu besseren Ergebnissen bei ver-
fallen sind. Oft ist für die Betroffenen in       gleichbaren Kosten und einer höheren
dieser verletzlichen Phase der Weg zur            Zufriedenheit bei Menschen mit psychi-
Fachärztin oder zum Facharzt, in die Kli-         scher Erkrankung, deren Angehörigen
nik oder zu anderen Hilfen eine kaum zu           und Freunden. Dazu müssen je nach
überwindende Hürde auf dem Weg zur                Situation viele verschiedene Leistungen
Genesung.                                         der Krankenversicherung, Eingliede-
                                                  rungshilfe, Agentur für Arbeit, Rentenver-
Psychisch erkrankte Menschen geraten              sicherung und Jugendhilfe abgestimmt
oftmals in die „Mühlen“ der Institutionen.        und koordiniert werden.
Verzögerungen, isolierte Einzelmaßnah-
men, Verschlimmerung der Krankheit                Der Sachverständigenrat zur Begut-
oder gar Chronifizierung drohen. Viele            achtung der Entwicklung im Gesund-
werden aus ihrem persönlichen Umfeld              heitswesen führt in dem Gutachten
und den stützenden Netzwerken geris-              Bedarfsgerechte Steuerung der Gesund-
sen. Psychisch kranke Menschen wollen             heitsversorgung 2018 u. a. aus, dass mul-
selbstbestimmt entscheiden, von wem               timodale Behandlungen im stationären
und in welchem persönlichen Lebensum-             Sektor inzwischen Standard, im ambu-
feld sie bei Bedarf notwendige Behand-            lanten Sektor jedoch mangels Strukturen
lungs- und Unterstützungsleis-tungen              und Vergütungsmöglichkeiten kaum an-
in Anspruch nehmen können. Der Pari-              bietbar sind (S. 745, Ziff. 1282). Dies gilt
tätische ist der Auffassung, dass jegliche        es zu ändern.
                                              3
ÂÂWie kann diese komplexe Aufgabe gelingen?
 ÂÂWelche guten Ansätze gibt es?
 ÂÂWelche Veränderungen sind einzuleiten?

Die notwendige Änderung kann durch            Der Paritätische möchte mit dieser Bro-
Home Treatment – eine aufsuchende             schüre den Blick in eine Zukunft wer-
und multiprofessionelle Unterstützung         fen, in der Menschen mit psychischer
im Lebensfeld der Betroffenen – erfol-        Erkrankung Hilfen „wie aus einer Hand“
gen. Diese geht, wenn gewünscht, über         bekommen. Er will Denkanstöße für Än-
die medizinische Behandlung hinaus und        derungen, aber auch Anregungen und
nimmt auch Arbeit, Familie und Freizeit       Umsetzungsmöglichkeiten für die Praxis
in den Blick. Die umfassende rechtliche       aufzeigen. Die Broschüre enthält auch
und finanzielle Absicherung dieser kom-       einen Überblick über die aktuelle und
plexen Leistungen im Sinne von Home           äußerst heterogene Situation durch die
Treatment ist für psychisch erkrankte         Darstellung von Angeboten, deren we-
Menschen jedoch längst überfällig!            sentlichen Zielstellungen, Leistungen
                                              und grundlegenden Rechtsnormen. Es
                                              werden aber auch Vorschläge für not-
                                              wendige Änderungen aufgezeigt und
                                              Forderungen gestellt.

Die Broschüre gibt einen Einblick und leistet eine Positionsbestimmung – aus Sicht
des Paritätischen und seiner Fachverbände – des Dachverbands Gemeindepsychiatrie
e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V..

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2. Home Treatment –
    eine Begriffsbestimmung
Home Treatment ist eine Unterstüt-              erbracht werden (vergl. dazu Seite 47,
zungsform für Menschen mit psychischer          S3 Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei
Erkrankung bzw. Menschen mit Behin-             schweren psychischen Erkrankungen“,
derung, die überwiegend aufsuchend              DGPPN 2018, Empfehlungen Nr. 10 bis 14
erfolgt und im Haushalt – „Home“ – bzw.         zu gemeindepsychiatrischen „Systemin-
im Lebensumfeld des betroffenen Men-            terventionen“).
schen stattfindet. Das schließt auch Un-
terstützungsleistungen im Bereich des           Neben der aufsuchenden Behandlung
Arbeitslebens ein.                              geht es gleichzeitig um die Berücksich-
                                                tigung der damit meistens verbundenen
Der Begriff „Treatment“ meint im inter-         Komplexität der Behandlungs- und Un-
nationalen Sprachgebrauch – anders als          terstützungsleistungen. Deswegen darf
das deutsche Wort „Behandlung“ – die            der Begriff des Home Treatment in der
Gesamtheit der Therapie, Rehabilitation         bundesdeutschen Fachdebatte nicht auf
und Unterstützung in verschiedenen Lei-         einzelne Hilfeformen eingeengt werden,
stungsbereichen. Das entspricht der Situ-       wie etwa die neue „stationsäquivalente
ation von Menschen mit auch schweren,           Behandlung“ gemäß § 115d Sozialge-
psychischen Erkrankungen, die in der Re-        setzbuch (SGB V).
gel eine Kombination mehrerer Hilfear-
ten benötigen, um erfolgreich ihr Leben         Home Treatment bezieht sich immer auf
zu meistern und mit ihrer Erkrankung            die „Lebenssituation“ des/der Erkrank-
umgehen zu können.                              ten, d.h. auf die Person mit psychischer
                                                Erkrankung und/oder Behinderung in ih-
Wir verwenden in dieser Broschüre den           rem gesamten Lebensumfeld. Angehöri-
Begriff „Home Treatment“ nicht in der           ge einschließlich der Kinder und weitere
Einengung auf das britische Modell ei-          Personen aus dem sozialen Umfeld sind
ner aufsuchenden Akutbehandlung von             daher bei einer Hilfeplanung ebenso ein-
zwei bis maximal sechs Wochen, sondern          zubeziehen wie die Erbringer psychiat-
übergreifend als Gesamtheit der aufsu-          rischer und nicht-psychiatrischer Unter-
chenden, lebensweltorientierten Hilfen          stützungsleistungen.
für Menschen mit schweren psychischen
Erkrankungen. Nur so können die er-             Home Treatment ist insbesondere ange-
forderlichen Leistungen in personeller          zeigt, wenn Menschen mit psychischer
Kontinuität ggf. über lange Zeiträume           Erkrankung es wünschen und brauchen
und ganzheitlich „wie aus einer Hand“           oder ansonsten die für sie notwendigen
                                            5
Leistungen nicht von sich aus in Anspruch        und Unterstützungsleistung, die aus
nehmen können, sowohl in Krisensituati-          Einzelleistungen auf unterschiedlichen
onen als auch über längere Zeiträume             Rechtsgrundlagen besteht, wichtige Ele-
hinweg. Versorgungslücken, besonders             mente von Koordination, Absprachen,
in ländlichen Bereichen mit großen Ent-          Diagnostik, Bedarfsfeststellung und Pla-
fernungen zu Leistungsanbietern, kön-            nung notwendig sind. Diese Leistungen
nen ebenfalls durch aufsuchende Ange-            müssen Bestandteil einer jeden Einzel-
bote geschlossen werden. Ohnehin sind            leistung sein und sind von allen Beteilig-
vor allem in ländlichen Regionen längst          ten von Anfang an und im Prozess der
nicht alle Angebote verfügbar bzw. gar           Leistungserbringung als Teamleistung
nicht vorhanden, z. B. Soziotherapie, am-        umzusetzen. Diese Koordinierungs- oder
bulante psychiatrische Pflege oder die           Teamleistungen sind von jedem Sozial-
medizinische Rehabilitation. Andere Leis-        versicherungs- und Sozialleistungsträger
tungen wie etwa fachärztliche oder psy-          zu tragen.
chotherapeutische Behandlung werden
selten oder nie aufsuchend erbracht.

Aufgrund der komplexen Problemla-
gen bei psychischer Erkrankung bzw.
Behinderung sind am Home Treatment
multidisziplinäre    Teams      beteiligt,
bestehend aus Sozialarbeiter/-innen
und Sozialpädagogen/-pädagoginnen,
Psychiater/-innen, psychiatrische Fach-
pfleger/-innen, Psychotherapeuten/-the-
rapeutinnen, Ergotherapeuten/-thera-
peutinnen sowie weiteren Professionen.
Ebenso sind Genesungsbegleiter/-innen
bzw. Peer-Berater/-innen einzubeziehen.
Die Teams tragen die Verantwortung für
eine gemeinsame Umsetzung der Hil-
fen – auch dann, wenn diese von unter-
schiedlichen Leistungsträgern finanziert
werden. Dies bedeutet vor allem, dass im
Verlauf einer komplexen Behandlungs-
                                             6
Home Treatment: Eine Einschätzung aus Betroffenen-Sicht
Die aufsuchende Behandlung psychisch kranker Menschen, in der Regel in deren
eigener Wohnung, bietet viele Chancen: Die Patientinnen/Patienten können in
ihrem vertrauten Umfeld bleiben; belastende Klinikaufenthalte werden vermieden.
Die alltäglichen Bezugspersonen (z.B. Angehörige, Freunde, Nachbarn) können
leichter in die Behandlung mit einbezogen werden. Und die kranken Menschen
erleben sich nicht mehr nur in der Patienten-Rolle, sondern als Gastgeber/-in mit
Hausrecht. In einem solchen Setting ist es einfacher, auf Augenhöhe mit den Pro-
fessionellen zu kommunizieren.

Dass das Home Treatment dennoch nicht die allein selig machende Behandlungs-
form der Zukunft ist, hat zwei Gründe: Zum einen kann es für den Patienten/die
Patientin im Einzelfall durchaus hilfreich sein, einen Ortswechsel vorzunehmen,
um mit dem räumlichen Abstand auch neue Perspektiven auf das eigene Leben
zu gewinnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das persönliche Umfeld zur Ent-
stehung oder Aufrechterhaltung der Erkrankung beiträgt. Zum anderen bedeutet
Home Treatment ein Eindringen in die Privatsphäre der Patientin/des Patienten,
das auch zu Kontrollzwecken und zur Dokumentation vermeintlicher Dysfunkti-
onalitäten genutzt werden kann. Hier ist von den Professionellen Fingerspitzen-
gefühl und Respekt vor der autonomen Lebensgestaltung des kranken Menschen
gefragt.

Fazit: Das flächendeckende Angebot aufsuchender Behandlungsformen ist un-
bedingt zu befürworten. Allerdings muss auch hier die Personenorientierung im
Mittelpunkt stehen: Ob Home Treatment für den jeweiligen Menschen geeignet
ist und wie die konkrete Ausgestaltung erfolgen soll, muss in Abstimmung mit der
Patientin/dem Patienten geklärt werden.
                                                                        Elke Prestin

                                       7
Unter Berücksichtigung unterschiedlicher Sozialrechtsbereiche kann Home Treat-
ment beispielsweise folgende Zielsetzungen haben:

ÂÂdie Selbständigkeit der Lebensfüh-         ÂÂeine psychische Krankheit zu behan-
   rung und die sozialen Bezüge zu er-          deln und die Symptomatik zu ver-
   halten,                                      bessern bzw. Verschlimmerung zu
                                                vermeiden,
ÂÂdie gesellschaftliche Teilhabe des
   Menschen zu sichern,                      ÂÂden Umgang mit sich selbst und
                                                anderen im Sinne einer therapeu-
ÂÂKrisensituationen im gewohnten Le-            tischen Aufarbeitung von Konflikten
   bensumfeld mit ambulant-aufsuchen-           zu unterstützen,
   der Unterstützung zu bewältigen,
                                             ÂÂdie pflegerische Versorgung für den
ÂÂdie Destabilisierung von familiären           betroffenen Menschen zu sichern,
   Strukturen zu verhindern,
                                             ÂÂdie Teilhabe am Arbeitsleben zu si-
ÂÂdie Angehörigen mit ihren Ressour-            chern bzw. zu begleiten,
   cen und Unterstützungsbedarfen
   einzubeziehen,                            ÂÂdie Entwicklung von Aktivitäten in
                                                unterschiedlichen Lebensbereichen
                                                zu fördern.

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Bestandteile einer ambulanten Komplexleistung im Sinne von Home Treatment kön-
nen u.a. sein:

ÂÂLeistungen zur Unterstützung der                 ÂÂUnterstützungsleistungen für Kinder
   sozialen und kulturellen Teilhabe,                  bei einer elterlichen Erkrankung,

ÂÂfachärztliche und psychotherapeu-                ÂÂBeratungsleistungen, insbesondere
   tische Behandlung,                                  durch Sozialpsychiatrische Dienste
                                                       und Ergänzende unabhängige Teil-
ÂÂhäusliche Pflege und ambulante                       habeberatung (EUTB),
   psychiatrische Krankenpflege, Sozi-
   otherapie, Ergotherapie und andere              ÂÂUnterstützung zur Teilhabe am Ar-
   therapeutische Angebote,                            beitsleben,

ÂÂstationsäquivalente Krankenhausbe-               ÂÂKoordinationsleistungen, die als ei-
   handlung,                                           genständige Leistungen bisher nicht
                                                       abgesichert sind.
ÂÂIntegrierte Versorgung,

ÂÂLeistungen in Notsituationen durch
   Krisendienste,

 Die Sektorengrenzen machen sich im Bereich der Versorgung von Menschen mit psy-
 chischen Erkrankungen besonders bemerkbar. (…) Eine zügige Behandlung zur Ver-
 meidung einer Chronifizierung oder eine nahtlose ambulante Anschlussbehandlung
 nach einem stationären Aufenthalt sind somit keine Selbstverständlichkeit. Die Tat-
 sache, dass viele Menschen mit psychischen Erkrankungen neben medizinischen und
 pflegerischen Leistungen, die im SGB V geregelt sind, auch Leistungen anderer Sozial-
 rechtsgebiete (z.B. Eingliederungshilfe nach SGB XII, berufliche Rehabilitation nach SGB
 IX etc.) benötigen, verstärkt die erhebliche Fragmentierung des Versorgungssystems.
           Gutachten Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung 2018, S. 683 Ziff. 1182

                                               9
3. Chancen und Vorteile
    des Home Treatment
Kooperationsbeziehungen ausbauen und Erfahrungen nutzen
Seit 2011 begleiten wir als Abteilung Integrierte Versorgung – Home Treatment der
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Campus Mitte in Kooperation
mit Pinel Netzwerk Menschen aus Berlin Mitte.

Schwerpunkt dabei ist die Krisenintervention. Zu Beginn erarbeiten wir mit unseren
Klienten/Klientinnen einen Krisenplan, in dem frühere Krisen reflektiert werden,
um mit diesen Erfahrungen zukünftige zu vermeiden. Durch unsere systemische
Arbeitsweise vernetzen wir die Menschen, die wichtig für unsere Klienten/Klien-
tinnen sind. Also Menschen aus dem privaten, aber auch professionellen Bereich,
die sie in Krisen und wenn sinnvoll bei der Vermeidung von Krankenhausaufenthal-
ten unterstützen. Unsere Begleitung zielt auf die Stärkung der Selbstwirksamkeit
der Klienten/Klientinnen und richtet sich nach deren individuellen Bedürfnissen,
auch was Frequenz und Ort unserer Kontakte angeht. So treffen wir uns in Krisensi-
tuationen auch kurzfristig im häuslichen Umfeld. Eine Besonderheit unserer Arbeit
ist die Einbeziehung von Erfahrungsexperten/-expertinnen in die Begleitung. Als
ehemalige Nutzer/-innen der psychosozialen Versorgung, die eine Ex-In-Fortbil-
dung absolviert haben, stellen diese ihr Erfahrungswissen, als weitere Perspekti-
ve, in der Begleitung zur Verfügung. Menschen in seelischen Krisen gelingt es so,
selbständig ihren persönlichen Alltag zu leben und ihre Genesung voranzutreiben.
Basierend auf diesen Erfahrungen aus dem Home Treatment, sehen wir die Not-
wendigkeit, die Behandlung im häuslichen Umfeld weiter auszubauen. Derzeit pla-
nen wir daher die Umsetzung der Stationsäquivalenten Behandlung als regelhafte
Unterstützung von Menschen, die von einer Behandlung zuhause in ihrem sozialen
Umfeld mehr profitieren als von stationärer und sehen die Notwendigkeit, auch
weiterhin mit den gemeindepsychiatrischen Anbietern zu kooperieren.
                                     Prof. Andreas Heinz und Wiebke Kaptein, Charite, Berlin

                                       10
Home Treatment im Sinne einer bei Be-        ÂÂdie besonderen Belange von Kin-
darf langfristigen und aufsuchenden              dern psychisch erkrankter Eltern
Komplexleistung ermöglicht eine ver-             berücksichtigt und notwendige Un-
besserte Versorgung für Menschen mit             terstützungsleistungen vermittelt
schweren psychischen Erkrankungen                werden können.
und daraus resultierendem mehrdimen-
sionalem Hilfebedarf, weil:                  ÂÂLücken zwischen den unterschied-
                                                 lichen Hilfesystemen geschlossen, nied-
ÂÂinsgesamt eine bessere psychische              rigschwellige Zugänge ermöglicht und
   und soziale Stabilität erreicht, nach-        Menschen erreicht werden können, die
   haltig gesichert und eine chronische          sich außerhalb der medizinischen und
   Entwicklung der Erkrankung und                sozialen Regelversorgung befinden,
   der damit verbundenen Einschrän-              z. B. wohnungslose Menschen mit einer
   kungen der Lebensführung in vielen            psychischen Erkrankung.
   Fällen verhindert oder zumindest
   aufgefangen werden kann.                  ÂÂTransferverluste durch die enge Ver-
                                                 netzung aller Angebote vermieden
ÂÂdie jeweils erforderlichen Hilfen              werden können, wie sie vor allem
   modular und passgenau geplant                 bei Entlassungen aus Klinikbehand-
   und koordiniert umgesetzt werden              lungen und der Rückkehr in die An-
   können. Psychiatrie-Erfahrene und             forderungen des Lebens in der ge-
   Angehörige berichten über eine                wohnten Umgebung auftreten.
   höhere Zufriedenheit – „Endlich
   weiß ich, wer jederzeit für mich da       ÂÂDoppelstrukturen der regionalen
   ist, wenn ich Hilfe brauche.“                 Versorgung durch abgestimmte An-
                                                 gebote aller Leistungserbringer im
ÂÂdie Hilfe zu den Patientinnen/Pati-            Gemeindepsychiatrischen Verbund
   enten kommt, ohne den vorüber-                vermieden werden können.
   gehenden Verlust der Lebenswelt
   bei Aufnahme in stationäre Einrich-       Internationale Erfahrungen zeigen, dass
   tungen. Familienangehörige und            ein konsequenter Ausbau des ambu-
   weitere Personen des sozialen Um-         lanten Hilfesystems für Menschen mit
   felds können selbstverständlich ein-      schweren psychischen Erkrankungen
   bezogen werden.                           nicht zu höheren Kosten gegenüber einer
                                             klinikbasierten Versorgungsstruktur führt.
                                            11
4. Ausgangsbasis –
    rechtliche Rahmenbedingungen
 Bei der Koordination der psychiatrisch‐psychosomatisch‐psychotherapeutischen Ver-
 sorgung besteht Optimierungspotenzial, insbesondere wegen der unübersichtlichen
 Leistungsanbieterstruktur, der oft komplexen Behandlungsverläufe und der nicht im-
 mer klaren Verantwortung für die Koordination vor allem im ambulanten Sektor.
           Gutachten Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung 2018, S. 769, Ziff. 1330

Das gegliederte Sozialleistungssystem            4.1 Behandlung
kennt die Komplexleistung bisher nur in
der Frühförderung für Kinder mit Behin-          Eine gemeinsame und koordinierte Lei-
derung und in Form des Persönlichen              stungserbringung wurde im Bereich der
Budgets für Menschen mit Behinderung             Behandlung erstmals mit den Selektiv-
(vgl. Seite 48). Eine Komplexleistung,           verträgen der Integrierten Versorgung
wie für Home Treatment notwendig, ist            (§ 140a SGB V) im Jahr 2004 eingeführt.
bislang rechtlich nicht normiert. Alle für       Allerdings ist dieses komplexe Leistungs-
Home Treatment notwendigen einzelnen             angebot auf Leistungen der Kranken-
Leistungen – Behandlung, Eingliederung           behandlung und Pflege beschränkt. Er-
und Rehabilitation – werden auf der Ba-          schwerend kommt hinzu, dass der Erhalt
sis unterschiedlicher rechtlicher Vorga-         dieser Leistung von der Mitgliedschaft
ben und Rahmenbedingungen erbracht.              des Versicherten in der entsprechenden
Im Wesentlichen handelt es sich hierbei          Krankenkasse abhängt, da dies eine frei-
um Versicherungsleistungen der Kran-             willige und keine gesetzlich verpflichte-
ken-, Pflege- und Rentenversicherung,            te Leistung der Krankenkassen ist. An-
steuerfinanzierte Leistungen der Sozial-         dere Leistungen der Sozialhilfe, wie die
und Jugendhilfeträger sowie anderer              Eingliederungshilfe für Menschen mit
Rehabilitationsträger gem. Sozialgesetz-         Behinderung, zu integrieren, war vom
buch Neun – Rehabilitation und Teilha-           Gesetzgeber im SGB V nicht vorgesehen
be von Menschen mit Behinderungen                und hängt vom Kooperationswillen der
(SGB IX). Weitere Möglichkeiten sind vom         handelnden Akteure vor Ort ab. Gleiches
Gesetzgeber nicht vorgesehen. (Vergl.            gilt für die Modellvorhaben zur Versor-
Punkt 10 „Bausteine der Umsetzung und            gung von Menschen mit psychischer Er-
weitere Angebote“)                               krankung (§ 64b SGB V).

                                              12
„Zwischen ambulanten-psychiatrischen und (teil-) stationären Angeboten besteht
 eine große Lücke bezüglich der Intensität der Behandlung. Der Sprung von einer kurz-
 zeitigen Behandlung einmal pro Quartal (als Abrechnungsstandard, bei Bedarf auch
 häufiger) hin zu einer Fünf-Tage-die-Woche-Behandlung oder Rund-um-die-Uhr-
 Behandlung erscheint den fließenden Übergängen in den Versorgungserfordernissen
 wenig angemessen. Obwohl der Gesetzgeber jüngst reagiert hat mit der Einrichtung
 der stationsäquivalenten Behandlungen und diese Entwicklung auch positiv von den
 Leistungserbringern bewertet wird (…) so betrifft sie doch (nur) eine gewisse Patienten-
 gruppe (…). Außerdem erfolgt sie aus dem Krankenhaus heraus, was eher für bereits
 stationäre Patienten als für sich schrittweise aus dem ambulanten Sektor verschlech-
 ternden Krankheitsverlauf geeignet erscheint. Dabei sieht eine große Mehrheit sowohl
 stationärer als auch ambulanter Leistungserbringer klar weitere Ambulantisierungs-
 potenziale. (….) Zudem sind im stationären Sektor multimodale Behandlungen in-
 zwischen Standard, solche sind jedoch im ambulanten Sektor mangels Strukturen
 und Vergütungsmöglichkeiten kaum anbietbar.“
            Gutachten Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung 2018, S. 745, Ziff1282

Weitere richtige Schritte zur Sicherung          die Einführung der ambulanten stati-
von lebensweltorientierten Hilfen bei ei-        onsäquivalenten Behandlung (§ 115d
ner psychischen Erkrankung sind in die-          SGB V). Es handelt sich um Leistungen
sem Zusammenhang die Verpflichtung               des Krankenhauses, beschränkt auf die
für stationäre Rehabilitationseinrich-           Dauer stationärer Behandlungsbedürf-
tungen und Krankenhäuser, ein Entlass-           tigkeit. Diese Leistung ist zwar aufsu-
management (§ 39 Abs. 1a SGB V) umzu-            chend, aber keine rechtskreisübergrei-
setzen und die Möglichkeit, im Anschluss         fende Komplexleistung, da sie sich auf
an einen Krankenhausaufenthalt z.B. Psy-         das SGB V beschränkt. Offen ist derzeit,
chotherapie, Soziotherapie, ambulante            ob und wenn ja, welche ambulanten
Behandlungspflege oder Medikamente               Anbieter in die Erbringung der stations-
zu verordnen.                                    äquivalenten Krankenhausleistung ein-
                                                 bezogen werden. Die ambulante stati-
Eine weitere Möglichkeit intensiver am-          onsäquivalente Behandlung hängt also
bulanter Behandlung ergibt sich durch            in erster Linie vom Gestaltungswillen
                                              13
der Krankenhäuser und der Bereitschaft       ben müssen, wie z. B. Pflege- oder Ein-
ambulanter Leistungsanbieter ab und          gliederungshilfeleistungen. Sie sind in
ist regional umzusetzen. Der Paritätische    gemeinsamer Absprache mit der Klinik
und seine Fachverbände vertreten im          umzusetzen. In einem „Gemeinsamen
Interesse der Betroffenen mit Blick auf      Eckpunktepapier zur Stationsäquiva-
Kontinuität und Normalisierung die Auf-      lenten Behandlung (StäB)“ haben sich
fassung, dass bereits laufende Leistun-      22 Fachverbände für eine gemeinsame
gen aus weiteren Sozialgesetzbüchern         Umsetzung ausgesprochen, um regi-
während einer stationsäquivalenten           onale Doppelstrukturen zu vermeiden
Behandlung grundsätzlich erhalten blei-      (vgl. Seite 47).

                                            14
Home Treatment braucht Rahmenbedingungen für Innovation
Schwer und chronisch psychisch kranke Menschen benötigen ein komplexes
Angebot an Behandlungs-, Rehabilitations- und Teilhabeleistungen. Für die un-
terschiedlichen Leistungen sind unterschiedliche Kostenträger und Leistungser-
bringer zuständig. Die Angebote sind zwar bis auf einige Ausnahmen – wie z. B.
Psychotherapie, aber auch Soziotherapie oder ambulante psychiatrische Kranken-
pflege – verfügbar. Sie sind aber in aller Regel nicht ausreichend im Sinne eines
Gesamtbehandlungsplans koordiniert. In der Folge erhalten Patientinnen und
Patienten Leistungen häufig zu spät oder gar nicht, was beträchtliche gesundheit-
liche und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen hat: Immer mehr psychisch
kranke Menschen werden deshalb erwerbsunfähig und müssen vorzeitig in Rente,
verbunden mit einem hohen Armutsrisiko.

Hinzu kommt, dass für Patientinnen und Patienten mit komplexem Leistungsbe-
darf der Grundsatz ambulant vor stationär nicht konsequent umgesetzt wird. Nach
wie vor werden diese Patienten zu häufig und zu lange stationär behandelt. Dies
führt zu steigenden Patientenzahlen in den psychiatrischen Krankenhäusern. Da-
bei gibt es genügend Modelle für eine ambulante Komplexversorgung, deren Nut-
zen und Mehrwert für die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten längst
belegt sind.

Was aber fehlt sind gesetzliche Rahmenbedingungen und finanzielle Ressour-
cen, um solche Modelle flächendeckend in der gebotenen Qualität zu realisieren.
Auf Krankenkassen im Wettbewerb darf man sich hier nicht verlassen. Auch die
Initiative einzelner Leistungserbringer wie zum Beispiel Krankenhäuser ist nicht
ausreichend. Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, der Innovation auch ko-
stenträgerübergreifend erlaubt und die notwendigen finanziellen Ressourcen, die
für den Ausbau einer sektorenübergreifenden Versorgung erforderlich sind, zur
Verfügung stellt.
                           Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer

                                        15
4.2 Eingliederung und Rehabilitation

Im Bereich der Eingliederungshilfe sind        Leistungen „wie aus einer Hand“ zu er-
mit der Einführung der individuellen           möglichen. Hierfür wurden Regelungen
Hilfeplanung bereits vor Jahren Instru-        für die Koordination des Antragsverfah-
mente zur Planung komplexer Unter-             rens, Bedarfsfeststellungs- und Bewilli-
stützungsleistungen geschaffen worden          gungsverfahrens für die Leistungsträger
(IBRP – Integrierter Behandlungs- und          festgelegt. Bestandteile dessen sind das
Rehabilitationsplan und Variationen).          Teilhabe- und das Gesamtplanverfahren,
Diese beschränken sich allerdings über-        an denen die Leistungserbringer nur be-
wiegend auf die unterschiedlichen Be-          dingt beteiligt sind. Ihnen obliegt aber
reiche der Teilhabeförderung (z. B. Arbeit,    die Umsetzung der Leistungen, die sie
Wohnen und soziale Kontakte) und wer-          entsprechend den jeweiligen Vorgaben
den nicht flächendeckend eingesetzt.           der Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX) zu
Die übrigen Leistungen, insbesondere           erbringen haben.
der Behandlung, werden mit diesen Ma-
nualen und den darauf basierenden Hil-         Grundsätzlich werden die Stärkung der
feplanungsverfahren kaum realisiert.           Koordinierung und die Durchführung
                                               von Teilhabe- und Gesamtplanung gem.
Für Leistungen, auf die ein Rechtsan-          SGB IX unterstützt. Das SGB IX gilt je-
spruch besteht (i. d. R. Verordnungs- oder     doch nur für Menschen mit Behinderung
Antragsleistungen), hat der Gesetzgeber        bzw. für Menschen, die von Behinderung
mit dem Bundesteilhabegesetz im SGB            bedroht sind. Für Menschen mit psy-
IX ab dem 01.01.2018 die Verpflichtung         chischer Erkrankung, die erstmals Be-
für die Koordinierung der Leistung (§§         handlung und Unterstützung brauchen
14ff. SGB IX) und für die Durchführung         und für die Definition von Behinderung
von Teilhabe- und Gesamtplanverfahren          gemäß § 2 SGB IX noch nicht gilt, greifen
(§§ 19ff. und 117ff. SGB IX) für die Leis-     diese Regelungen nicht. Aus Sicht des
tungsträger eingeführt. Allerdings sind        Paritätischen und seiner Fachverbände
Behandlungsleistungen nach dem SGB V           braucht es zukünftig dringend vergleich-
davon teilweise ausgenommen.                   bare Verfahren, um Krankheitsverläufe zu
                                               vermeiden, die zu einer chronischen Er-
Ziel dieser Neuregelungen im Rahmen            krankung und/oder Behinderung führen
des Bundesteilhabegesetzes ist es, die         können.
                                              16
Auch die vom Bundesministerium für          chenden Diensten, die sich dieser Auf-
Arbeit und Soziales geförderten Modell-     gabe stellen und mit diesem Portfolio
vorhaben „rehapro“ zur Stärkung der         arbeiten, brauchen Mut und Kraft, um
Rehabilitation (§ 11 SGB IX) im Bereich     diese innovative Aufgabe zu lösen. Allein
der Teilhabe am Arbeitsleben bieten         die Qualitätsanforderungen an das Per-
eine Chance. Die Zielgruppe umfasst         sonal (wer darf welche Leistungen nach
Menschen mit zu erwartenden oder            welchem Recht erbringen?) stellen eine
beginnenden        Rehabilitationsbedar-    tägliche Herausforderung für die ganz-
fen, Menschen mit psychischen Beein-        heitliche Erbringung von Behandlungs-
trächtigungen, Menschen mit Abhän-          und Unterstützungsleistungen „wie aus
gigkeitserkrankungen und Menschen           einer Hand“ und im Sinne von Home
mit komplexen gesundheitlichen Un-          Treatment für die Anbieter dar.
terstützungsbedarfen. Ziele der Mo-
dellvorhaben sind u. a. die Grundsätze      Andere Möglichkeiten für eine komplexe
„Prävention vor Rehabilitation“ und „Re-    Leistungserbringung sind vom Gesetz-
habilitation vor Rente“ zu stärken und      geber bislang noch nicht vorgesehen.
die Erwerbsfähigkeit zu erhalten bzw.       Damit bleibt die Etablierung und Be-
wiederherzustellen sowie den Zugang         reitstellung von Home Treatment, wie
in die Erwerbsminderungsrente und           bereits ausgeführt, vom Gestaltungs-
die Eingliederungshilfe bzw. Sozialhilfe    und Kooperationswillen der Beteiligten
nachhaltig zu senken.                       abhängig. Seit Jahren bemühen sich
                                            die sozial- und gemeindepsychiatrisch
Wie bereits ausgeführt, sind bei der Er-    orientierten Träger – nicht nur im Paritä-
bringung von Rehabilitations- und Teil-     tischen – hier entsprechende bedarfsge-
habeleistungen die differenzierten und      rechte Angebote zu schaffen und Home
unterschiedlichen Qualitätsvorgaben der     Treatment unter den Vorgaben des ge-
jeweiligen Leistungsgesetze, deren Ver-     gliederten Systems umzusetzen. Das ist
ordnungen oder Richtlinien zu erfüllen,     keine leichte Aufgabe, da Leistungen für
in denen Leistungen für Koordination        Koordination und Abstimmungen zwi-
oder rechtskreisübergreifende Abspra-       schen den Anbietern in den jeweiligen
chen der Anbieter bislang nicht vorge-      Leistungskatalogen kaum vorgesehen
sehen sind. Unter diesen Bedingungen        sind bzw. unzureichend vergütet werden.
wird eine bedarfsgerechte komplexe Lei-     Deshalb ist die Qualität bewährter und
stungserbringung erheblich erschwert.       erprobter Modelle von ambulanter Be-
Allen ambulanten Anbietern und aufsu-       handlung und Begleitung zu sichern und
                                           17
regelhaft zu finanzieren, damit psychisch    Psychisch erkrankte Menschen und die
erkrankte Menschen in ihrer Gesundung        Leistungsanbieter brauchen Rechts-
durch die Bereitstellung fachlich notwen-    sicherheit und eine zuverlässige Finan-
diger Hilfen unterstützt werden können.      zierung.

 Koordination als Voraussetzung für Home Treatment
 Das in dieser Broschüre vorgestellte Verständnis von Home Treatment basiert
 auf einer koordinierten Form von Leistungserbringung in allen Bereichen von
 Behandlung, Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe. Das Bundesteilhabege-
 setz (BTHG) formuliert die Ansprüche an die Leistungsträger. Denn Menschen mit
 Behinderungen haben nun einen Rechtsanspruch auf abgestimmte Teilhabepla-
 nung. Auch für die Anbieter von Leistungen zur Sozialen Teilhabe ergeben sich da-
 raus die Anforderungen, sich aktiv an der Koordinierung von Hilfen zu beteiligen.
 Dabei geht es im Wesentlichen um die Abstimmung im Verlauf von Maßnahmen
 und Leistungen in jeweils konkreten Lebenssituationen, auch über die Rechts-
 kreise hinaus. In den aus dem BTHG heraus neu einsetzenden Verhandlungen zu
 Rahmenverträgen auf Landesebene muss nun dieser Anspruch umgesetzt werden.
 Dass dies möglich ist, zeigen die schon seit 2004 bestehenden Leistungsbeschrei-
 bungen für Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit seelischen Be-
 hinderungen in Berlin: Dort sind „Koordination und Behandlungsplanung“ bisher
 Bestandteil der Leistungen. Sie werden bei der individuellen Behandlungs- und
 Rehabilitationsplanung auch in Zeitwerten berücksichtigt und damit finanziert. Es
 wird dort auch eine koordinierende Bezugsperson namentlich benannt. Sowohl
 die Planung wie auch die Umsetzung finden in Abstimmung und Einbeziehung mit
 den leistungsberechtigten Bürgerinnen und Bürgern statt. Das kann vielleicht als
 Beispiel dienen – und muss für die Zukunft gesichert werden.
                                                                      Matthias Rosemann,
                                                        Träger gGmbH, Berlin-Reinickendorf
                                                 BAG Gemeindepsychiatrischer Verbünde e.V.

                                            18
5. Struktur der Versorgung

 Die Koordination von Patientenwegen ist in der psychiatrisch-psychosomatisch-psy-
 chotherapeutischen Versorgung ein wichtiges Thema, zumal das Versorgungssystem
 selbst für Fachleute nicht in allen Aspekten übersichtlich ist.
                    Gutachten Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung 2018, S.683

Der Aufteilung der Leistungen auf di-          Bei der ambulanten Behandlung ist
verse Sozialgesetzbücher folgend, ist          eine Struktur der Vereinzelung vorherr-
die Landschaft der Leistungserbringer          schend: Niedergelassene Ärztinnen
ebenfalls fragmentiert. Dadurch wird ein       und Ärzte und Psychotherapeut/-innen,
gemeinsames Handeln erschwert, zumal           Soziotherapeuten/-therapeutinnen, er-
Koordination und Vernetzung in den             gotherapeutische Praxen und Pflege-
meisten Sparten keine eigene Leistungs-        dienste arbeiten in der Regel in sepa-
art darstellen (s. o.).                        raten Strukturen. Allenfalls schriftliche
                                               Koordination in Form von Verordnungen
Im Bereich der Behandlung kommt die            und Behandlungsberichten ist als Regel-
Trennung zwischen stationären (Kran-           leistung erfasst und finanziert. Medizi-
kenhausbereich) und ambulanten Ange-           nische Versorgungszentren (MVZ) kön-
boten hinzu, zwischen denen es nur we-         nen diese Vereinzelung nur ansatzweise
nige Überschneidungen und Übergänge            überwinden.
gibt (Institutsambulanzen, stationsäqui-
valente Behandlung, Belegärzte). Diese
Bausteine stehen überwiegend in der
Trägerschaft der Krankenhäuser. Auch
die bisherigen Modellvorhaben gemäß
§ 64b SGB V sind – entgegen der Absicht
des Gesetzgebers – bisher ausschließlich
Sache der Kliniken. Sie haben zwar zur
Flexibilisierung der Krankenhausbehand-
lung, aber nicht zur Integration der Leis-
tungen zwischen ambulanten und statio-
nären Sektoren beigetragen.

                                             19
Verbindliche Kooperation kommunal organisieren
Ich plädiere dafür, den Begriff „Home Treatment“ in Übereinstimmung mit den
S3-Leitlinien „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“
zu reservieren für die primär aufsuchende multidisziplinäre intensive Akutbehand-
lung für die Dauer einer psychischen Krise (ca. 2-6 Wochen).

Dieses spezielle Angebot sollte in das umfänglichere Leistungsspektrum eines
Gemeindepsychiatrischen Zentrums (GPZ) integriert sein, das für ein Gebiet von
50.000-150.000 Einwohnern eine regionale Versorgungsverpflichtung übernimmt.
Damit wird eine bessere Kooperation „unter einem Dach“ zwischen verschiedenen
Angeboten wohnortnaher und auch aufsuchender Hilfen angestrebt mit gemein-
samer Leistungserbringung bei komplexem Hilfebedarf und Erzielung von Syner-
gieeffekten.

Die Kooperationspartner eines GPZ sollten ihre jeweiligen Hilfsangebote einbrin-
gen und gemeinsam eine Anlaufstelle für die Erstberatung (Front Office) betrei-
ben, möglichst 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche. Bei Bedarf muss im GPZ
eine sofortige aufsuchende Krisenintervention verfügbar sein, auch im Sinne eines
Home Treatment oder einer stationsäquivalenten Behandlung (StäB).

Kooperationspartner sollten sein: der Sozialpsychiatrische Dienst der betreffenden
Kommune (die auch die Federführung übernimmt und für eine reibungslose Zu-
sammenarbeit mit den psychosozialen Anlaufstellen im Sozialraum sorgt), eine de-
zentrale Institutsambulanz mit Akuttagesklinik der für das Einzugsgebiet zuständi-
gen psychiatrischen Klinik und weitere Leistungserbringer, – so z.B. Peer-Beratung
und Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB), ergo- und soziothera-
peutische, psychiatrische und psychotherapeutische Praxen der Kassenärztlichen
Versorgung, Angebote der psychiatrischen Pflege und der Eingliederungshilfe für
Menschen mit einer seelischen Behinderung – soll einrichtungs-unabhängig sein.
                                                                            Dr. Hermann Elgeti
                        Koordinator des Netzwerks Sozialpsychiatrischer Dienste in Deutschland

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Der dritte Bereich – Rehabilitation und      geschaffen. In vielen Regionen haben
Eingliederungshilfe – folgt in seinen        sich aber immerhin Institutionen heraus-
Strukturen zunächst ebenfalls der Logik      gebildet, die eine größere Zahl von An-
der Zersplitterung, meist wird für jede      geboten in einer Einrichtung vereinen,
Leistungsart eine eigene Institution oder    beispielsweise die Sozialpsychiatrischen
wenigstens ein eigener Arbeitsbereich        Zentren im Rheinland.

             Die drei Bereiche der psychosozialen Versorgung
       Fachkrankenhäuser und
       Fachabteilungen an                        Niedergelassene Praxen
       Allgemeinkrankenhäusern                   • Haus- und Fachärzte/-ärztinnen
       • Stationen                               • Medizinische Versorgungszentren
       • Tageskliniken                           • Psychotherapeuten/-therapeutinnen
       • Institutsamulanzen                      • Ergo-, Sozio-, Physiotherapeuten/
       • Stationsäquivalente Behandlung              -therapeutinnen

                             Gemeindepsychiatrische
                             Anbieter und Dienste
                             • Med. und berufl. Rehabilitation
                             • Wohn- und Unterstützungsangebote
                             • Sozialpsychiatrische Dienste
                             • Behandlungs- und Pflegedienste

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6. Formen und Entwicklungsstand
    regionaler Kooperationen
An vielen Orten werden Formen und            Es bleibt daher den Leistungserbringern
Modelle der Kooperation bereits er-          vorbehalten, in ihren Einrichtungen und
probt. Allerdings entsprechen diese          einrichtungsübergreifend für Vernetzung
i.d.R. nicht dem umfassenden Verständ-       und Integration zu sorgen. Neben den
nis von Home Treatment. Zahlreiche           schon erwähnten Gemeinde- oder Sozial-
Versuche, die fehlende Kooperation an        psychiatrischen Zentren, die etliche Ange-
den Schnittstellen zu überwinden, ha-        bote bündeln, existieren diverse Formen
ben mehr oder weniger deutliche Fort-        Gemeindepsychiatrischer         Verbünde,
schritte hervorgebracht, konnten aber        die in ihren Regionen eine Koordination
bislang keinen Durchbruch zu ganzheit-       der wesentlichen Anbieter betreiben und
licher Planung und Erbringung aller Leis-    eine gemeinsame, integrierte Hilfepla-
tungen „wie aus einer Hand“ bewirken.        nung unterstützen. Allerdings beteiligen
Mit wenigen Ausnahmen blieb insbe-           sich in der Regel lediglich die Anbieter
sondere der institutionelle Graben zwi-      und Träger der Eingliederungshilfe an
schen der Behandlung und den übrigen         solchen integrierten Hilfeplanungen. Für
Hilfearten unverändert.                      diesen Bereich gelten die Teilhabe- und
                                             Gesamtplanung, die immerhin auch die
Die Leistungsträger der diversen Rehabi-     Pflegeversicherung und weitere angren-
litations- und Teilhabeleistungen haben      zende Bereiche, wie z.B. die Jugendhilfe
separate Vereinbarungen mit Anbietern        einbeziehen sollen. Behandlungsmaß-
abgeschlossen, sind aber miteinander         nahmen werden mit diesen Prozessen
nicht verbunden. „Trägerübergreifende        jedoch kaum erfasst.
Budgets“ existieren in geringer Zahl auf
der Ebene des Einzelfalls im Rahmen des      Im SGB V hat der Gesetzgeber mehrere
Persönlichen Budgets, aber nicht auf der     Anläufe für eine Zusammenführung der
Ebene der regionalen Versorgungssy-          Behandlungsmodule       unternommen.
steme. Der bisher einzige Versuch eines      Bereits erwähnt wurden die Schritte zur
trägerübergreifenden regionalen Ge-          Öffnung der Krankenhausleistungen im
samtbudgets im Bereich des SGB V und         ambulanten Bereich (PIA, MVZ, StäB)
SGB XII in Bremerhaven kam letztlich         und die ebenfalls bisher rein kranken-
nicht zustande.                              hauszentrierten Modellvorhaben ge-

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mäß § 64b SGB V. Übergänge zwischen            Es bleibt aber insgesamt eine noch un-
einer Krankenhausbehandlung und der            gelöste Aufgabe, durch entsprechende
nachfolgenden ambulanten Versorgung            Regelungen und Finanzierungen in den
sollen durch das Entlassmanagement (§          diversen Gesetzen den Aufbau multi-
39 Abs. 1a SGB V) gewährleistet werden,        professioneller, ambulant-aufsuchend
das allerdings lediglich das Krankenhaus       arbeitender Teams zu fördern, die insbe-
selbst verpflichtet, eine Beteiligung der      sondere für Personen mit schweren psy-
nachfolgenden ambulanten Leistungs-            chischen Erkrankungen komplexe Leis-
erbringer aber nicht vorsieht und auch         tungen „wie aus einer Hand“ erbringen,
nicht honoriert.                               etwa nach dem Vorbild der britischen
                                               Community Mental Health Teams oder
Eine ambulante Koordinationsleistung           der niederländischen FACT-Teams.
soll durch Soziotherapeuten/-therapeu-
tinnen erbracht werden (§ 37a SGB V).          Daher setzen sich die Verbände für eine
Wegen der noch unzureichenden Vergü-           Orientierung an den erfolgreichen und
tung fehlt diese Pflichtleistung allerdings    evaluierten britischen und niederlän-
in den meisten Regionen, außerdem              dischen Home Treatment Modellen bei
bleibt sie auf die Hinführung und Moti-        der Implementierung von Home Treat-
vierung zu kassenfinanzierten Behand-          ment in Deutschland ein.
lungsleistungen beschränkt.

Über Selektivverträge der Integrier-
ten Versorgung und vom Innovations-
fonds geförderte Projekte haben diverse
Akteure – vorrangig aus dem Bereich
gemeindepsychiatrischer Träger – mo-
dellhaft stärker integrierte Leistungen
aufgebaut, wobei in einzelnen Regionen
auch verbindliche Kooperationen zwi-
schen Krankenhaus und ambulanter Be-
handlung sowie die Einbeziehung von
Leistungen mehrerer Kostenträger ge-
lungen sind.

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Multiprofessionelle Versorgung im Lebensumfeld des Patienten
Die fachärztliche ambulante Behandlung findet aktuell primär in den Räumen der
Vertragsärztin oder des Vertragsarztes statt. In der psychiatrischen ambulanten Ver-
sorgung ist es häufig notwendig Patient/-innen in ihrem Lebensumfeld zu sehen,
zu begutachten, zu explorieren und zu behandeln! Das wird vor allem bei suizida-
len Krisen, eingeschränkter Wegefähigkeit auf Grund schwerer Angsterkrankungen,
Zwangserkrankungen oder zunehmend im geriatrischen Bereich erforderlich. In der
aktuell bestehenden Regelversorgung, die von den kassenärztlichen Vereinigungen
geleistet wird, fehlen für ein Home Treatment die Ressourcen. Diese werden von den
Kostenträgern z.Z. nicht in die ambulante Versorgung eingestellt.

Im Rahmen von integrierten Versorgungsverträgen § 140a SGB V ist es möglich mit
einer multiprofessionellen Vernetzung „Teil-Home-Treatment“ umzusetzen.

Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer hohen symptomen Belastung vo-
rübergehend nicht in die Praxis kommen können, können durch eine Verordnung
für ambulante psychiatrische Pflege, Ergotherapie oder Soziotherapie in ihrem Le-
bensumfeld unterstützt werden. Besonders geeignet für eine hochfrequente Kri-
senintervention ist die ambulante psychiatrische Pflege, die ein konstantes Feed-
back und Kommunikation mit der Facharztpraxis umsetzt und eine bestmögliche
ambulante Versorgung ermöglicht. Behandlungsmaßnahmen wie Ergotherapie,
Soziotherapie oder ambulante psychiatrische Pflege können über längere Zeiträu-
me verordnet werden und helfen der Patientin/dem Patienten, den Angehörigen
und Freunden bei der Überwindung schwerer Krisen.

Daneben sind jedoch oftmals auch Unterstützungsleistungen notwendig, die sich auf
die gesamte Lebenssituation einschl. der beruflichen und sozialen Teilhabe der Pati-
entin/des Patienten beziehen. Die jahrelangen Erfahrungen in der integrierten Versor-
gung zeigen, dass eine abgestimmte Behandlung von den Versicherten gut angenom-
men, das psychische Befinden stabilisiert und Krankenhausbehandlung vermieden
werden kann. Diese positiven Erfahrungen sind sektorenübergreifend zu nutzen!
                                                                            Alicia Navarro Ureña
                                          Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Berlin
                                     vpsg - Verein für Psychiatrie und seelische Gesundheit e.V.

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7. Erfolgsfaktoren teambasierter,
    aufsuchender Behandlung und
    Unterstützung
Home Treatment versteht sich außer-              sätze und professionelles Selbstverständ-
halb Deutschlands als eine intensive             nis entwickelt werden. Dies kann durch
aufsuchende Behandlung, Begleitung               Workshops, Hospitationen oder Fortbil-
und Krisenintervention rund um die Uhr.          dungen unterstützt werden.
Die vorhandenen Dienste in unserem
Land werden dieser Anforderung nur in            Um die versäulte Landschaft deutscher Hil-
Teilen gerecht. Es bedarf besonders in           fesysteme in ein Hilfenetz weiterzuentwi-
der aufsuchenden Tätigkeit und in der            ckeln, müssen bestehende Kontaktplatt-
Kooperation einer Weiterentwicklung,             formen (wie z.B. Gemeindepsychiatrische
unabhängig davon, ob es sich dabei um            Verbünde, Psychiatrische Arbeitsgemein-
eine kurzfristige Krisenintervention (über       schaften, Hilfe- und Teilhabeplankonfe-
mehrere Wochen) oder um eine oftmals             renzen) neu geschaffen und ausgebaut
auf Jahre angelegte Behandlung und Be-           werden. Es gilt eine regelhaft verfasste
gleitung handelt.                                und tragfähige Kommunikationsstruktur
                                                 sowie eine gemeinsame Vorgehensweise
Zum Aufbau multiprofessioneller Teams            zu schaffen. Diese müssen sowohl auf eine
und gemeindepsychiatrischer Arbeits-             gesetzliche als auch auf eine finanzielle
gemeinschaften ist zunächst einmal die           Basis gestellt werden, denn Zusammenar-
Bereitschaft aller regional Beteiligten          beit muss mit den Betroffenen und unter
notwendig. Dazu muss eine gemeinsame             den verschiedenen Diensten abgestimmt
Haltung in Bezug auf Krankheitsverständ-         werden. Dazu sind personelle, strukturelle
nis, Psychopathologie, Behandlungsan-            und finanzielle Ressourcen nötig.

 Zur bedarfsgerechten Steuerung der Versorgung von Menschen mit psychischen Er-
 krankungen empfiehlt der Rat, (...) f. die Koordinationsverantwortung für die Versor-
 gung von Menschen mit psychischen Erkrankungen klar zu verorten, möglicherweise
 bei einem bestimmten Leistungserbringer je Patient. (...) Ein damit einhergehender hö-
 herer Koordinationsaufwand könnte durch eine angemessene Koordinationspauscha-
 le vergütet werden;
               Gutachten Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung 2018, S.779, Ziff.7f

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Mitarbeitende unterschiedlicher Institu-      atrische Verbünde denkbar, in denen die
tionen und mit unterschiedlichen Profes-      beteiligten Institutionen eine verbind-
sionen müssen in die Lage versetzt wer-       liche Kooperation in Form von Leitlinien
den, sich fallbezogen auszutauschen und       oder Verträgen vereinbaren.
im Einvernehmen mit der betroffenen
Person einen gemeinsamen Unterstüt-           Als weiteres müssen Vorhaltezeiten für
zungs- und Behandlungsplan zu entwi-          kurzfristige schnelle flexible Einsätze so-
ckeln und zu begleiten. Multiprofessio-       wie langfristige Koordination und Kom-
nelle Teams tragen in diesem Prozess mit      munikation eingeplant und finanziert
den Leistungsberechtigten und deren           werden. Es müssen Zuständigkeiten und
persönlichem Umfeld die gemeinsame            Verantwortlichkeiten abgesprochen und
Verantwortung. Die Behandlung und             vereinbart werden. Daher sind perso-
Versorgung muss mit allen Beteiligten         nenbezogene Budget-Anteile aus unter-
gemeinsam koordiniert und strukturiert        schiedlichen Töpfen zu finanzieren (SGB
werden. Daher sollten regionale Abspra-       V, SGB VI, SGB VIII, SGB IX), wenn die Leis-
chegremien mit Entscheidungskompe-            tungen von multiprofessionellen Teams
tenzen und Ressourcen zur Umsetzung           erbracht werden. Denkbar wäre eine Ori-
der Maßnahmen ausgestattet werden.            entierung an der Komplexleistung in der
Als Ausgangsbasis sind Gemeindepsychi-        Frühförderung.

 Home Treatment: Eine Einschätzung aus Angehörigen-Sicht
 Seit einiger Zeit wird das Thema Home Treatment sehr stark in der Fachwelt dis-
 kutiert. Es ist ein innovatives Angebot von psychiatrischen Kliniken oder Gemein-
 depsychiatrischen Verbünden, bei dem das Behandlungsteam psychisch erkrankte
 Menschen in ihrer gewohnten Umgebung versorgt. Psychiatrische Kliniken spre-
 chen hierbei von einem innovativen Angebot, welches die stationäre Behandlung
 ersetzen und/oder die Behandlung verkürzen soll. Die Idee Home Treatment als Be-
 standteil der integrierten Versorgung anzusehen ist ein Fortschritt. Allerdings muss
 der Fokus des Home Treatments sich auf die besonderen Anliegen der Angehörigen
 und ihrer erkrankten oder seelisch behinderten Familienmitglieder konzentrieren.
 Allerdings muss man die Möglichkeiten des Home Treatments differenziert be-
 trachten. Es ist zweifelsfrei eine gute Möglichkeit, Betroffene zu erreichen, die allein

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