Die neue SteiriSche Suchtpolitik - Fachstelle für ...

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Die neue SteiriSche Suchtpolitik - Fachstelle für ...
Die neue
Steirische
Suchtpolitik
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Die neue
                           Steirische Suchtpolitik

      inhalt

01    vorwort
04    sounding board

05    QUO VADIS, SUCHTPOLITIK?

06    ZEHN LEITLINIEN STEIRISCHER SUCHTPOLITIK
07    LEITLINIE 1: ORientierung am Schadenspotenzial und An der tatsächlichen
      Problemlast von Substanzen oder Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial
09    LEITLINIE 2: Prävention durch strukturelle MaSSnahmen in allen Politikfeldern
11    LEITLINIE 3: differenzierte zielgruppenorientierung
13LEITLINIE 4: Inhaltliche Ausweitung der Suchtpolitik auf psychoaktive
	Medikamente, substanzungebundene Süchte und Verhaltensweisen sowie
  Produkte zur Optimierung der Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit
15    LEITLINIE 5: Angebotssteuerung
17    LEITLINIE 6: Sicherstellung eines differenzierten und integrierten Hilfsangebots
19    LEITLINIE 7: Öffnung der medizinischen und psychosozialen Regelversorgung
      für die Betroffenen
21    LEITLINIE 8: Regionalisierung und wohnortnaher Ausbau der Suchthilfe
23    LEITLINIE 9: Evidenzbasierte Suchtpolitik
25    LEITLINIE 10: Aktive Suchtpolitik

26    ZIELE UND MASSNAHMEN FÜR DIE UMSETZUNG DER NEUEN STEIRISCHEN SUCHTPOLITIK
26    Ziel 1: Suchtprävention
28    Ziel 2: Suchthilfe
31    Ziel 3: steuerung

32    impressum
32    Quellenverzeichnis
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v o r w o r t

                                                                  Mag.a Kristina Edlinger-Ploder
                                                                  Landesrätin für Wissenschaft & Forschung,
                                                                  Gesundheit und Pflegemanagement

                                                                                                                        01

S t a r k f ü r d a s L e b e n m a che n

Gesellschaftliche Veränderungen, neue Gegebenhei-           feld erheblich belastet. Die Betroffenen haben wie
ten und ein sich stetig änderndes Umfeld machen             alle anderen Patienten und Patientinnen ein Recht
eine auf modernsten Erkenntnissen basierende An-            auf qualitative Behandlung, Begleitung, Beratung,
passung der Suchtpolitik notwendig. In zeitlich und         Betreuung und Rehabilitation, die dem gegenwär-
inhaltlich intensiver Beschäftigung mit dem Thema           tigen Wissen entsprechen. Die neue Suchtpolitik
haben Politik und ausgewiesene Fachleute ein um-            zielt darauf ab, die speziellen Angebote der Sucht-
fassendes Konzept mit dem Titel „Die neue Steirische        hilfe regional auszubauen und durch eine stärkere
Suchtpolitik“ erarbeitet.                                   Einbeziehung von niedergelassenen Ärztinnen und
                                                            Ärzten sowie stationären Einrichtungen zielgenau zu
Von der neuen Steirischen Suchtpolitik profitieren          ergänzen.
alle Steirerinnen und Steirer, denn sie zielt zuallererst
auf den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung           Die Maßnahmen, die im Rahmen der neuen Steiri-
ab. Schutz und Sicherheit können erhöht werden,             schen Suchtpolitik gesetzt werden, stehen im Ein-
wenn die Anzahl jener Menschen sinkt, die in einer          klang mit den Problemlagen vor Ort und unseren
problematischen Art und Weise konsumieren oder              gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Sie rechtfer-
bereits abhängig sind.                                      tigen ihren Mitteleinsatz und sollen infolge eines
                                                            gut abgestimmten Vorgehens der Akteure zu einer
Zur vordringlichen Aufgabe wird dabei die Prävention,       nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit in der
die darauf abzielt, Kinder und Jugendliche stark fürs       Steiermark beitragen.
Leben zu machen. Den Herausforderungen der dyna-
mischen Suchtproblematik muss auch in vielfältigen          In keinem anderen Bereich ist die Arbeit mit Betrof-
politischen Entscheidungen entsprochen werden. Als          fenen so diffizil und komplex, sind auch kleine und
Gesundheitslandesrätin möchte ich konsequent auf            kleinste Erfolge und Fortschritte so schwer erarbeitet
das große Schadenspotenzial der legalen Substan-            und erkämpft. Daher gilt mein ganz ausdrücklicher
zen und Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial einge-          Dank all jenen Menschen und Einrichtungen, die sich
hen: Das sind in erster Linie Alkohol, Tabak und Me-        aufopfernd und mit großer Ernsthaftigkeit der Be-
dikamente, dazu gehören aber auch Spielsucht und            handlung und Heilung von Suchtkranken oder der
Internetsucht. Eine stärkere Verpflichtung von Her-         Prävention widmen.
stellern, Vertriebsorganisationen und Verkäufern von
Produkten mit Schadens- und Suchtpotenzial kann             Ich wünsche mir, dass alle, die sich nur von Fall zu Fall
erreicht werden, wenn die Politik neue Spielräume           und anlassbezogen zu diesem Thema zu Wort melden,
der Marktregulierung erschließt und Organisationen          der Mühe unterziehen, sich sorgfältig und seriös zu
der Zivilgesellschaft stärker als bisher beteiligt wer-     informieren, bevor sie in diesem schwierigen Bereich
den.                                                        allzu schnell Urteile fällen, vordergründig einfache Lö-
                                                            sungen offerieren oder populistische Forderungen er-
Sucht ist eine chronische Erkrankung, die Abhängig-         heben. Denn nur gemeinsam und miteinander können
keitserkrankte selbst sowie Angehörige und das Um-          wir in der Suchtpolitik Erfolge erzielen.
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v o r w o r t

      HR Dr. med. Odo Feenstra
      Landessanitätsdirektor

02

      Ve r a n t w o r t u n g f ü r d i e Ge s u n d he i t

      Ob es in Zukunft gelingen kann, die suchtbezogene         Bevölkerung in Dialog getreten werden, um zu er-
      Gesundheit der Steirerinnen und Steirer zu verbes-        reichen, dass Gesundheit und Lebensqualität positiv
      sern, hängt nicht nur mit unserem Alkohol- und Ta-        beeinflusst werden.
      bakkonsum zusammen, sondern auch damit, welche
      gesellschaftlichen Möglichkeiten und Beschränkun-         Im Auftrag des Gesundheitsressorts der Steirischen
      gen für legales und illegales Konsum- und Suchtver-       Landesregierung hat eine Gruppe von ExpertInnen
      halten bestehen. An dieser Stelle setzt die öffentliche   die nun vorliegende „neue Steirische Suchtpolitik“
      Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung          erarbeitet.
      an; dazu gehört es selbstverständlich auch, auf den
      Konsum und das Angebot gleichermaßen einzuwirken.         In Abstimmung mit der neuen Gesundheitsförde-
                                                                rungsstrategie entwickelt dabei die steirische Ge-
      Die bewährten Instrumente der Suchthilfe können           sundheitspolitik konsequent den innovativen Ansatz
      weiterhin Krankheitsfolgen verringern, wenn es ge-        weiter, Gesundheit in erster Linie durch ressortüber-
      lingt, die Kapazitäten weiter auszubauen und auf die      greifende Zusammenarbeit zu fördern.
      Dynamik im Suchtbereich zeitnah zu reagieren, so-
      wohl was neue Substanzen wie z. B. Mephedron als          Gesundheit heißt letztlich, das Leben selbst ernst zu
      auch was die Herangehensweisen an Klient/innen-           nehmen. Für das öffentliche Gesundheitswesen be-
      gruppen betrifft, die derzeit noch unzureichend           deutet das nicht nur, Bürgerinnen und Bürger über
      gut versorgt sind. Sucht bedarf darüber hinaus ei-        die Folgen von Suchtverhalten zu informieren und
      ner echten Prävention; Suchtberichterstattung             zu mehr Verantwortungsbewusstsein zu ermahnen,
      kann und soll dabei kritische Themen beleuchten           sondern auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen,
      und ein erweitertes Handlungsrepertoire anregen.          dass eine wirkungsvolle Unterstützung möglich wird.
      Wo genügend Daten für ein verantwortungsvolles
      Agieren der Verantwortlichen vorliegen (Alkoholab-        Erst dann kann sinnvollerweise an der Umsetzung
      hängigkeit, Spielsucht), kann mit der Wirtschaft, den     der dafür vorgeschlagenen Maßnahmen gemeinsam
      Organisationen des zivilen Zusammenlebens und der         gearbeitet werden.
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                                                              DSA Klaus Peter Ederer
                                                              Suchtkoordinator des Landes Steiermark

                                                                                                                 03

Ein Blick auf die epidemiologische Verteilung von       Neu an der vorliegenden Steirischen Suchtpolitik ist
Suchterkrankungen und den damit einhergehenden          unter anderem, dass konkrete Maßnahmen gesetzt
sozialen Folgen macht die Ausgangslage für Sucht-       werden, um die gesellschaftliche Verantwortung
politik deutlich: ca. 177.000 Steirer/innen legen ein   für Sucht und ihre Folgeprobleme mit verschiede-
problematisches oder abhängiges Alkoholkonsum-          nen Gruppen auszuhandeln: Welche Rolle spielt
verhalten an den Tag, geschätzte 20.000 Steirer/innen   die Gesetzgebung im Bereich kleines Glücksspiel?
sind medikamentenabhängig, mindestens 4.000             In welchen Gruppen kann verantwortungsbewus-
Steirer/innen sind spielsüchtig. Eine Suchtpolitik,     ster als bisher Alkohol konsumiert werden, wenn die
die wie bisher auf die sogenannten illegalen Drogen     Produzenten und Vertreiber in die Entwicklung von
fokussiert, führt an großen Teilen der Suchtproble-     Präventionsmaßnahmen miteingebunden werden?
matik vorbei. Und dennoch benötigt die vergleichs-      Welche Rolle spielt das Medizinsystem bei der Abga-
weise kleine, aber hochvulnerable Konsumgruppe          be und Kontrolle von psychoaktiven Medikamenten?
die Einführung neuer Konzepte der Suchthilfe mit
dem Ziel, die Finanzierung der benötigten Angebote      Maßgebliche Steirische Expert/innen haben dazu
sicherzustellen, die hohe Qualität kontinuierlich zu    beigetragen, dass die neue Steirische Suchtpolitik als
verbessern und dabei darauf zu achten, dass die         mutiges Arbeitsprogramm verstanden werden kann
Chancen auf eine angemessene Therapie auch in den       und als Leitlinie Prioritäten zur Verbesserung der Ge-
ländlichen Regionen der Steiermark steigen.             sundheit der Steirer/innen und Steirer festhält. Bei
                                                        der Umsetzung dieser Schritte wünsche ich uns Kon-
Dennoch nützt eine Suchtpolitik, die überwiegend        sequenz, Durchhaltevermögen und offensichtliche
auf Repression und die Beratung, Betreuung und          Erfolge.
Therapie von Abhängigkeitserkrankten setzt, die Ge-
sundheitspotenziale nicht zur Gänze aus, die durch
Prävention erschlossen werden können.
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s o u n d i n g        b o a r d

04

             Manfred H. Geishofer
             Organisation: b.a.s. Steirische Gesellschaft für Suchtfragen
             Funktion: Leitung

             DSA Renate Hutter, MSc
             Organisation: Drogenberatung des Landes Steiermark
             Funktion: Leitung

             DSA Claudia Kahr
             Organisation: VIVID – Fachstelle für Suchtprävention
             Funktion: Geschäftsführung

             Prim. ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Kurz
             Organisation: Landesnervenklinik Sigmund Freud, Zentrum für Suchtmedizin (ZSM)
             Funktion: Leitung

             DSA Roland Urban, MAS
             Organisation: Caritas Steiermark, Streetwork im Drogenbereich und Kontaktladen
             Funktion: Leitung

             Dr. Ulf Zeder
             Organisation: Stadt Graz Gesundheitsamt – Referat für Sozialmedizin
             Funktion: Leitung
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QUO VADIS,
Die neue
 SUCHTPOLITIK?
Steirische Suchtpolitik
                                                                                                                    05

Suchtpolitik ist seit jeher stark von unterschiedlichen   stimmungen verhandelt und erlässt, die das Poten-
Normvorstellungen und Werteorientierungen ge-             zial haben, Sucht in der Bevölkerung zu reduzieren.
prägt. Heutzutage verfolgen mit Ausnahme Schwe-
dens keine westlichen Industrienationen das Ideal         Dabei wird die Bedeutung der jeweils mit einzelnen
einer suchtfreien Gesellschaft, welches zu einer Null-    Substanzen und Suchtverhalten einhergehenden
toleranzpolitik auch gegenüber Konsument/innen            Krankheitslast für die steirische Bevölkerung zu ei-
führt. Mittlerweile wird Substanzkonsum- und              nem Ausgangspunkt aller weiteren suchtpolitischen
Suchtverhalten auch politisch als gesellschaftliches      Entscheidungen: Tabak-, Alkohol- und Medikamen-
Phänomen toleriert, weil dadurch vernunftbegabte          tenabhängigkeit sowie Spiel- und Internetsucht
Problemlösungskapazitäten gesteigert werden kön-          erhalten künftig größere Relevanz als bisher und
nen. Die Komplexität von Sucht selbst sowie von           dies hat vor allem damit zu tun, dass die gesund-
verschiedenen Sachzwängen und Interessenslagen            heitlichen Folgen, die von ihnen für die Gesellschaft
fordert fortwährend suchtpolitische Entscheidun-          insgesamt ausgehen, größer sind als die negativen
gen, die durch die vorliegende Leitlinie zur neuen        Konsequenzen des Konsums illegaler Drogen.
Steirischen Suchtpolitik unterstützt werden können.
                                                          Umfassende suchtpolitische Maßnahmen müssen
Das von wesentlichen Expert/innen aus den Berei-          immer auf das Umfeld und das Angebot sowie auf
chen Suchtprävention sowie Suchthilfe und Scha-           den Konsum und die Nachfrage von Substanzkonsum
densminimierung mitgetragene politische Konzept           und Suchtverhalten ausgerichtet sein. Dies bedeutet,
möchte dabei vermeiden, dass die Sichtweisen auf          auch in der Suchtpolitik nach der gesamtgesell-
Suchtpolitik mit dem Legalstatus einzelner Substan-       schaftlichen Verantwortung für Substanzkonsum-
zen und Verhaltensweisen begrenzt sind oder sich          und Suchtverhalten zu fragen und dabei die Rolle
Suchtpolitik auf Suchthilfepolitik und in weite-          politischer Entscheidungen in verschiedenen Poli-
rer Folge auf Suchthilfe-Finanzierungspolitik be-         tikfeldern sowie die Rolle marktwirtschaftlicher Ak-
schränkt. In der Steirischen Suchtpolitik geht es um      teur/innen zu durchleuchten. In der Zukunft sollen
jenen gesellschaftlichen und individuellen Umgang         die verschiedensten Anspruchsgruppen anerkennen,
mit psychoaktiven Substanzen sowie Verhaltens-            dass Suchthilfe zwar einen wichtigen Beitrag leistet,
weisen mit Suchtpotenzial, der gesundheitspolitisch       dass aber entscheidende Fortschritte zur Verbesse-
relevant ist. Diese Definition beinhaltet, dass nicht     rung der suchtbezogenen Gesundheit der Bevölke-
nur Abhängigkeit oder die Folgen von Abhängigkeit,        rung durch Maßnahmen erzielt werden können, die
sondern bereits schädliche Gebrauchsformen sowie          überwiegend außerhalb des derzeitigen Einflussbe-
Gewohnheitskonsum und -verhalten in ihrem ge-             reiches des für Suchtfragen zuständigen Gesund-
sellschaftlichen Kontext gesehen werden.                  heitsressorts liegen.

Vielmehr tritt die neue Steirische Suchtpolitik für       Bei der Umsetzung der im Folgenden vorgestellten
eine Erweiterung der inhaltlichen Orientierung und        zehn Leitsätze der neuen Steirischen Suchtpolitik und
strategischen Ausrichtung ein. Suchtpolitik darf sich     der dazugehörenden Maßnahmen werden Zahlen,
nicht auf seine traditionelle Funktion beschränken,       Daten und Fakten sowie gesichertes Wissen über die
durch die Finanzierung von Suchthilfeangeboten            Wirksamkeit der von der Steirischen Suchtpolitik finan-
eine bessere Versorgung von Betroffenen zu ermög-         zierten Maßnahmen zu einer wichtigen Steuerungs-
lichen. Sie erreicht ihre Bestimmung dann, wenn eine      grundlage.
aktive Suchtpolitik legislative und regulatorische Be-
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ZEHN LEITLINIEN
     STEIRISCHER
     SUCHTPOLITIK
06
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l e i t l i n i e

                 ORientierung
                 am Schadens-
                 potenzial
                 und an der tatsächlichen Problemlast von Substanzen
                 oder Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial
                                                                                                 1                                               07

                 Dieser Leitsatz beinhaltet, Suchtpolitik an der epidemiologischen Krankheitslast
                 zu orientieren und nicht länger an der Unterscheidung von legalen und illegalen
                 Substanzen auszurichten. Insbesondere werden Alkohol und Nikotin als Substanzen
                 mit dem größten Schadenspotenzial für die Bevölkerung anerkannt.

                        problematisches
                                                    Abhängigkeits-
                          Konsum- oder
                                                                                QUELLEN

                                                       erkrankte
                        Suchtverhalten
                                                    (absolute Anzahl)
                         (absolute Anzahl)

                             ca. 125.000                 ca. 52.000
                           (Männer 60–120 g            (Männer >120 g
      Alkohol
                                                                                2/1

                              Alkohol/Tag;               Alkohol/Tag;
                            Frauen 40–80 g              Frauen >80 g
                              Alkohol/Tag)               Alkohol/Tag)

                              ca. 50.000                ca. 175.000
                                                                                4/3

       Tabak                 (gelegentliche
                                                                                          Die dargestellten Zahlen sind konservativ geschätzte
                                                   (tägliche Raucher/innen)
                             Raucher/innen)
                                                                                          absolute Zahlen auf der Basis von Befragungsdaten
                                                                                          und Expert/innenschätzungen. Verschiedene Proble-
  Medikamente                 unbekannt                  ca. 21.000
                                                                                5

                                                                                          me führen dazu, dass die Informationen nur unzu-
                                                                                          reichend vorliegen. Zum Beispiel sind die Befragten
      Opioide                 unbekannt                   ca. 4.000                       nicht immer willens oder in der Lage, wahrheitsge-
                                                                                6

                                                                                          treue Angaben über ihren Substanzkonsum und ihr
                                                                                          Suchtverhalten zu machen, noch mehr, wenn es sich
     Cannabis                 ca. 24.000                   unbek.                         um Angaben über illegales und strafbares Verhalten
                                                                                7

                                                                                          handelt.
                            mind. 4.000–
   Glücksspiel                                            ca. 3.900                       Auch andere Datenquellen wie etwa das bundes-
                                                                                9/8

                            max. 35.000
                                                                                          einheitliche Dokumentationssystem im Rahmen des
                                                                                          EU-Meldewesens „DOKLI“, die Statistik der Kran-
     Internet                 ca. 31.000                                                  kenhausentlassungen oder die Aufzeichnungen der
                                                                                10

                                                                                          Leistungserbringer/innen in der Suchthilfe sind mit
 essstörungen                                                                             erheblichen Schwächen in Bezug auf die Verwert-
                                                                                11 / 12

 (Anorexie, Bulimie)          unbekannt                   ca. 4.300                       barkeit der Daten für die Steuerung der Suchthilfe
    12-28 Jahre                                                                           behaftet.
Prävalenzschätzungen von Substanzkonsum und Suchtverhalten in der Steiermark.
Die neue SteiriSche Suchtpolitik - Fachstelle für ...
Z EHN LEITLINIEN S TEIRI S CHER S UCHTPOLITIK

08
l e i t l i n i e

Prävention durch
strukturelle MaSSnahmen
in allen
Politikfeldern
Suchtpolitik ist in erster Linie Präventionspolitik. Dabei setzt die Steiermark auf
Verbesserungen durch strukturelle Maßnahmen, die auf die Sachlage bezüglich
                                                                                   2                                          09

einzelner Substanzen und Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial abgestimmt sind.
Die Gesundheitspotenziale können ausgeschöpft werden, wenn verschiedene rele-
vante Politikfelder konsequent in das suchtpolitische Handeln einbezogen werden.

                                                                  politische
                                                                  Strategien

                                                 Landwirtschaft
                                                 & Lebensmittel                Kultur &
                                                                               Freizeit
                                       Bildung
                                                               Liebe &                           soziale
                             Verkehr                        Partnerschaft                      Sicherheit
                                                                                  Ernährung
                   Wohn-                   ill.
                                         Drogen                                                            soziale
                  umgebung                                                                                 Dienste
                                                      Sozial-
                                                      kapital                 soziale
                Arbeits-       Alkohol                                      Ungleichheit
                                                                                                      Schlaf
                losigkeit                 soziales
                                         Netzwerk                                                              Gesundheits-
                                                                                           soziale                system
             Arbeits-       Tabak                             Alter                       Inklusion
               welt                                         Geschlecht
                                                            Vererbung
    Modell der Gesundheitsdeterminanten, in Anlehnung an Dahlgreen & Whitehead, 1991

Das „Regenbogenmodell“ der Gesundheitsdetermi-                         Dahingegen beeinflussen physische und soziale
nanten13 hat in verschiedenen Prozessen dazu bei-                      Umweltbedingungen, die als Folge von Regeln
getragen, den Fokus und das Handeln der Akteur/                        und Entscheidungen in verschiedenen politischen
innen zu erweitern. Persönliche Eigenschaften wie                      Feldern betrachtetet werden können (dritter und
Alter, Geschlecht und Vererbung (zentraler Kreis)                      vierter Bogen), die Gesundheit maßgeblich und
sind weitgehend unveränderlich. Gesundheit ent-                        unabhängig vom (Konsum-)Verhalten Einzelner.
steht sozialepidemiologischen Kenntnissen zufolge                      Suchtphänomene werden innerhalb dieses Modells
überwiegend in psychosozialen Lebensbedingungen,                       als bedeutsame, aber nicht allein bestimmende Ge-
die als soziale Gesundheitsressourcen und stärker in                   sundheitsprobleme der Gesellschaft wahrgenom-
sozial ausgewogenen Gesellschaften zur Verfügung                       men, auf welche sowohl strukturelle Bedingungen
stehen (erster Bogen). Gesundheit manifestiert sich                    als auch individuelle Faktoren Einfluss nehmen
und entsteht auch in Folge eines zu- bzw. abträgli-                    und die durch politische Entscheidungen verändert
chen Gesundheitsverhaltens (zweiter Bogen), für des-                   werden können.
sen Aufrechterhaltung Einzelne irrtümlicherweise oft
ausschließlich selbst verantwortlich gemacht werden.
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10
l e i t l i n i e

differenzierte
zielgruppen-
orientierung

Während Jugendschutz ein bedeutsamer Bereich
der Suchtpolitik bleibt und konsequent verfolgt wird,
                                                                3                                               11

müssen suchtpolitische Maßnahmen auf alle Alters-
und Zielgruppen ausgerichtet und abgestimmt sein und
deren soziale und ökonomische Situation berücksichtigen.

Zu Recht fokussieren die Präventionsaktivitäten in       Als weitere Kriterien sollten besondere Lebenslagen
der Steiermark auf die Zielgruppe der Kinder und         bzw. Zielgruppen herausgearbeitet werden, wenn
Jugendlichen. Die Ursachen für Substanzkonsum-           bekannt ist, dass diese ein Risiko für die Suchtent-
und Suchtverhalten sind in der (frühen) Kindheit         wicklung darstellen bzw. diese Personen suchtge-
verwurzelt, frühzeitige Interventionen stellen somit     fährdet sind. Solche eingrenzbaren Zielgruppen sind
die Basis der Präventionsaktivitäten dar.                z. B. arbeitslose Jugendliche, Väter nach der Geburt
                                                         des ersten Kindes, Mütter nach dem Auszug der Kin-
Die sozialepidemiologische Forschung zeigt, dass         der aus dem gemeinsamen Haushalt, Arbeitnehmer/
sich die Konsummuster mit dem Alter verändern            innen am Übergang zum Ruhestand, Personen nach
und sowohl abnehmen (Rauschtrinken, Rauchen,             Trennungs- und Scheidungssituationen oder nach
Konsum illegaler Substanzen, Kaufsucht) als auch         Todesfällen.
zunehmen (problematischer Alkoholkonsum, Medi-
kamentensucht). Eine Zielgruppenerweiterung bzw.         Migrant/innen sind beispielsweise eine sehr hetero-
eine Ausdehnung der Interventionen auf spätere Le-       gene Bevölkerungsgruppe. Die Suchtproblematiken
bensphasen ist notwendig.                                treten in verschiedenen ethnischen Gruppen nicht
                                                         nur unterschiedlich auf, sondern hängen auch mit
Präventionsprogramme sind in der Lage, spezifische       dem Zeitpunkt und den Ursachen der Migration,
Interventionen für verschiedene Gruppen von Be-          den Lebensbedingungen in der Steiermark und der
troffenen zu initiieren und zu koordinieren. Die Aus-    Integrationsleistung zusammen. So können mehre-
wahl und Eingrenzung von Zielgruppen sollte dabei        re Subgruppen mit unterschiedlicher Belastung er-
an der epidemiologischen Verteilung der Krankheits-      kannt werden, zudem sind diese sehr unterschiedlich
last orientiert sein und sich auf eingegrenzte Alters-   zugänglich. Die Suchthilfeeinrichtungen weisen auf
gruppen beziehen.                                        einen Anstieg von süchtigen Jugendlichen mit Mi-
                                                         grationshintergrund hin.
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12
l e i t l i n i e

Inhaltliche
Ausweitung
der Suchtpolitik                                  4
auf psychoaktive Medikamente, substanzungebundene Süchte
und Verhaltensweisen sowie Produkte zur Optimierung der
Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit
                                                                                                 13

Als Problemfelder etablieren sich
zunehmend der Konsum legaler
Substanzen (Alkohol, Medikamente, Tabak)
sowie Verhaltenssüchte (Spielsucht,
Essstörungen, Internetsucht).
Wichtig ist, dass eine Ausweitung der      Zu den bedeutendsten Medikamenten mit Miss-
                                           brauchspotenzial gehören Schmerz-, Schlaf- oder
Suchtpolitik gezielt erfolgt und wissen-   Beruhigungsmittel (z. B. Benzodiazepine), Antide-
                                           pressiva, Appetitzügler, Parkinson-Mittel, Migräne-
schaftlich fundierte Situationsanalysen    Medikamente, anregende Substanzen (z. B. Ritalin)
eine gemeinschaftliche Planung von         und Potenzmittel. Die von Medikamentenabhängig-
                                           keit Betroffenen, es sind überwiegend Frauen14, er-
Aktivitäten mit neuen Akteur/innen         kennen ihren problemhaften Konsum erst spät, ge-
                                           hen mit dem Suchtproblem lange Zeit zurückhaltend
ermöglichen und die Umsetzung              um und suchen kaum Beratungsstellen auf, weshalb
vielfältiger Maßnahmen und deren           diese quantitativ große Gruppe relativ unauffällig
                                           bleibt, aber hohe Folgekosten für die soziale Kran-
Evaluation beinhalten.                     kenversicherung verursacht.

                                           Die treibenden Faktoren für die neuen Konsum- und
                                           Verhaltenssüchte sind stimulierte Konsummotive wie
                                           zum Beispiel die Optimierung der körperlichen, psy-
                                           chischen, sozialen und sexuellen Leistungsfähigkeit
                                           oder Selbstmedikation zur Vorbeugung subjektiver
                                           Gesundheitsgefahren. Diese Motive bestimmen das
                                           Konsumverhalten immer größerer Bevölkerungs-
                                           gruppen, unterstützt durch eine hoch entwickelte
                                           Pharmakologie und industrielle Vermarktung der
                                           Produkte. Abgesehen davon, dass der Versandmarkt
                                           via Internet bezüglich dieser Substanzen wächst,
                                           entstehen auch beträchtliche Folgekosten. Sucht-
                                           kranke modifizieren ihren Konsum und optimieren
                                           die Wirkung anderer Substanzen durch die Einnah-
                                           me von Medikamenten.
D i e   n e u e   S t e i r i s c h e   S u c h t p o l i t i k

14
l e i t l i n i e

Angebots-
steuerung

Eine stärkere Verpflichtung
von Herstellern, Vertreibern und
                                                  5
                                           Zur Prävention von Glücksspielsucht etwa wurde
                                           durch eine Marktregulierung in Form der Erhöhung
                                           der Lustbarkeitsabgabe auf ein bundesweit ver-
                                                                                                  15

                                           gleichbares Niveau bereits ein wesentlicher Akzent
Verkäufern von Produkten mit
                                           gesetzt, um das Angebot zu dezimieren. Zudem soll-
Schadens- und Suchtpotenzial               ten jene Mechanismen, die das Verspielen von hohen
                                           Summen in relativ kurzer Zeit ermöglichen („kleines
kann erreicht werden, wenn die             Glücksspiel“) einer gesetzlichen Überprüfung unter-
                                           zogen werden und der Zugang zu Bereichen, in de-
Politik neue Spielräume der
                                           nen Jugendschutz wenig Beachtung findet, stärker
Marktregulierung erschließt.               kontrolliert und beschränkt werden.

Dabei müssen gesetzliche Regelungen        Es gibt auch eindeutige Belege dafür, dass die ne-
                                           gativen Auswirkungen des Alkoholkonsums durch
und kooperativ erarbeitete                 Maßnahmen zur Regulierung des Alkoholmarktes
Selbstbeschränkungen eingesetzt            besonders wirksam verringert werden können. Alko-
                                           holsteuern sind vor allem dann maßgeblich, wenn es
und Organisationen der Zivilgesellschaft   um junge Menschen geht. Sie spielen aber auch eine
                                           wichtige Rolle bei der Reduzierung von alkoholver-
stärker als bisher beteiligt werden.       ursachten Krankheiten und Leid insgesamt.

                                           Wenn mittels Alkoholsteuern der Preis von alkoho-
                                           lischen Getränken in den EU-15-Ländern um 10 %
                                           erhöht würde, könnten bereits im darauf folgenden
                                           Jahr mehr als 9.000 Todesfälle vermieden und schät-
                                           zungsweise 13 Mrd. € Verbrauchssteuern zusätzlich
                                           eingenommen werden. In der Schweiz fungiert der
                                           Alkoholzehntel als wichtiger Eckpfeiler der Alkohol-
                                           politik: Der vom Bund eingehobene zehnte Teil der
                                           Steuer auf Spirituosen kann von den Kantonen für
                                           Suchtprävention und Suchthilfe eingesetzt werden.

                                           Studien belegen zudem, dass eine Ausweitung der
                                           Öffnungszeiten von jenen Geschäften und gastro-
                                           nomischen Betrieben, die Alkohol anbieten, zu ei-
                                           ner Zunahme der alkoholbedingten Gewalttätigkei-
                                           ten führt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
                                           schätzt, dass eine Verkürzung der wöchentlichen
                                           Öffnungszeiten um 24 Stunden für Einzelhandels-
                                           betriebe, die Alkohol anbieten, pro Jahr weltweit
                                           123.000 Lebensjahre an Behinderung und vorzeiti-
                                           gem Tod vermeiden könnte, was Einsparungen in der
                                           Höhe von 98 Mrd. € jährlich entspricht.15�
Z EHN LEITLINIEN S TEIRI S CHER S UCHTPOLITIK

16
l e i t l i n i e

Sicherstellung eines
differenzierten
und integrierten
Hilfsangebots                                                   6                                               17

Sucht ist eine Erkrankung, allerdings werden Menschen mit Abhängigkeit oder
einem problembehafteten Konsum und Verhalten noch immer stigmatisiert und
marginalisiert. Gesundheitliche und soziale Versorgungseinrichtungen dürfen dieser
Dynamik keinen Vorschub leisten. Dazu gehören auch Maßnahmen der Wohnver-
sorgung und der sozialen und beruflichen Integration. Das individuelle Recht auf
die bestmögliche, wissenschaftlichen Standards entsprechende medizinische und
psychosoziale Hilfe für Abhängigkeitserkrankte steht außer Streit.

Die Suchthilfe lässt sich nach ihrer inhaltlichen        für Menschen in Substitutionsbehandlung, für Ju-
Konzeption grob in niederschwellige (aufsuchende/        gendliche unter 16 Jahren sowie Abhängigkeits-
nachgehende) und höherschwellige Angebote sowie          erkrankte, die über 45 Jahre alt sind und aufgrund
in akzeptanzorientierte („Schadensminimierung“)          der fortgeschrittenen Erkrankung bereits multiple
und abstinenzorientierte („Therapie“) Angebote dif-      Problemlagen aufweisen. Ebenso sind Migrant/innen
ferenzieren. Hinsichtlich ihrer Organisationsform        stark von der unzureichenden psychosozialen Ver-
werden die Angebote entweder im ambulanten oder          sorgung betroffen.
im stationären Sektor ausgeführt. Die Leistungen
werden zum einen von Einrichtungen erbracht, die         Die Beratung, Begleitung und Betreuung Abhän-
auf die Arbeit mit Abhängigkeitserkrankten speziali-     gigkeitserkrankter ist aufgrund des Krankheitsbildes
siert sind, zum anderen von Einrichtungen der allge-     mit seinen typischen Verlaufsformen (z. B. psychia-
meinen Krankenversorgung und von Beratungs- und          trische Komorbidität) aufwändig und erfordert spe-
Therapieeinrichtungen, die einen Teil ihrer Leistungen   zielle Qualifikation und Erfahrung. Klient/innen der
ergänzend auch für Abhängigkeitserkrankte anbieten.      Suchthilfe haben deshalb erschwerten Zugang zu
                                                         den bestehenden, nicht auf Suchtfragen spezialisier-
Zu einer Unterversorgung kommt es in den Berei-          ten Hilfseinrichtungen. Das Angebot in den psycho-
chen medizinische Grundversorgung, soziale Arbeit,       sozialen Bereichen ist allerdings auch für nicht
bei psychosozialer Betreuung und Psychotherapie          suchterkrankte Klient/innen beschränkt.
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l e i t l i n i e

                                                   7
Öffnung der
medizinischen und
psychosozialen
Regelversorgung
für die Betroffenen
                                                                                                      19

Verschiedene Probleme der medizinischen    Eine mögliche Problemlösungsstrategie für die Ver-
                                           besserung der Behandlungs- und Betreuungsqualität
und psychosozialen Unterversorgung         in der Suchthilfe besteht darin, bestehende Einrich-
                                           tungen der medizinischen, psychotherapeutischen
können mittel- und langfristig vermieden
                                           und sozialen Regelversorgung für die Bedürfnisse
werden, wenn die Regelversorgung           von Abhängigkeitserkrankten zu sensibilisieren und
                                           den Zugang zu ihren Angeboten für Klient/innen
ihre Angebote für Abhängigkeitserkrankte   der Suchthilfe stärker als bisher zu öffnen und be-
                                           darfskompatibel auszurichten. Eine parallele Be-
öffnet. Dafür sind eine stärkere
                                           handlung von Sucht und anderen Erkrankungen gilt
Verzahnung von Gesundheits- und            in Fachkreisen als „state of the art“ – das heißt, sie
                                           entspricht dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand
Sozialwesen nötig und Konzepte der         und Behandlungsstandard. Eine solche Strategie bie-
                                           tet einerseits vielfältige Vorteile, stellt die Suchtpo-
strukturellen, organisatorischen und
                                           litik andererseits vor große Herausforderungen. Für
professionellen Versorgungsintegration     gewöhnlich muss in einen verbesserten regionalen
                                           Zugang und eine stärkere Integration der Versor-
hilfreich. Auf Suchthilfe spezialisierte   gung vor Ort investiert werden, wobei der dadurch
                                           erzeugte Nutzen erst nach einer mitunter schwieri-
Einrichtungen erfüllen die Funktion von
                                           gen Übergangsphase offensichtlich wird.
Kompetenzzentren für die Öffnung
                                           Welche Gesundheitsbedürfnisse von Abhängigkeits-
der Regelversorgung.                       erkrankten einer auf Fragen der Suchthilfe spezia-
                                           lisierten Versorgung und welche einer Integration
                                           in die Regelversorgung bedürfen, kann nicht nur
                                           fachlich-objektiv beurteilt werden. Selbst bei klarer
                                           Zuteilung der Aufgabengebiete müssen professio-
                                           nelle Vorurteile sowie organisatorische und struktu-
                                           relle Zugangsbarrieren an den Nahtstellen der Ver-
                                           sorgungseinrichtungen und -systeme überwunden
                                           werden.

                                           Adäquate Instrumente dafür sind Bewusstseinsar-
                                           beit, gemeinsame Aus-, Fort- und Weiterbildungs-
                                           aktivitäten, gemeinsame Supervision und Intervision
                                           sowie konkrete Kooperationsprojekte von Einrich-
                                           tungen der spezialisierten und der Regelversorgung,
                                           welche auch Sektoren übergreifend (niederschwellig,
                                           ambulant, teilstationär, stationär) integriert werden
                                           sollen und dadurch an allgemeine gesundheitspoliti-
                                           sche Zielsetzungen anschlussfähig sind.
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20

     Suchthilfeeinrichtungen in der steiermark
l e i t l i n i e

Regionalisierung
und wohnortnaher
Ausbau der
Suchthilfe

Das Angebot der Suchthilfe ist regional
                                                 8                                                21

unterschiedlich ausgebaut, was zur
Folge hat, dass vorwiegend Suchthilfe-
Klient/innen und Patient/innen aus der
Süd-, Südost und Weststeiermark
geringere Chancen auf eine angemessene
                                          Ausgehend von der Beobachtung, dass das Behand-
ambulante Beratung, Behandlung und        lungs-, Beratungs- und Betreuungsangebot an ver-
                                          schiedenen Stellen ausgebaut werden muss, um eine
Betreuung vorfinden oder bestehende
                                          bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen, kann
Angebote in Graz überlasten.              mit entsprechenden politischen Planungen erreicht
                                          werden, dass dies qualitätssteigernd und effizient
                                          erfolgt. Zwei positive strategische Möglichkeiten
                                          sind, den wohnortnahen Ausbau ambulanter Sucht-
                                          hilfe zu forcieren und dabei wesentlich zur Öffnung
                                          der medizinischen und psychosozialen Regelversor-
                                          gung beizutragen.

                                          Eine solche strategische Ausrichtung erfordert einen
                                          substanziellen Ausbau der Steuerungsmechanismen.
                                          Operativ bedarf es einer Verbesserung der systema-
                                          tischen Informationsgrundlagen, des Einsatzes von
                                          Managementstrategien der integrierten Versorgung
                                          (Case Management, Care Management) samt der
                                          dazugehörigen Begleitmaßnahmen in der Aus- und
                                          Weiterbildung der Gesundheitsberufe.

                                          Um eine Öffnung der medizinischen und psychoso-
                                          zialen Regelversorgung (inklusive des Zugangs zu
                                          Wohnversorgung und zu Maßnahmen der sozialen
                                          und beruflichen Integration) zu fördern, bedarf es
                                          intersektoraler Zusammenarbeit (insbesondere des
                                          Gesundheits- und Sozialwesens), organisatorischer
                                          und interdisziplinärer Zusammenarbeit (verschie-
                                          dene Leistungsträger/innen und Leistungserbringer/
                                          innen) und dadurch auch größerer politischer (partei-
                                          übergreifender) Anstrengung als bisher.
Z EHN LEITLINIEN S TEIRI S CHER S UCHTPOLITIK

22
l e i t l i n i e

Evidenzbasierte
Suchtpolitik                                                  9
Systematische Information über die epidemiologische Dynamik von Suchtproblemen
und die Effektivität von Prävention und Suchthilfe sind nur unzureichend vorhanden.
                                                                                                               23

Neue Förderungsmodelle für Suchtprävention, eine einheitliche Leistungsbeschreibung
für Suchthilfeangebote und eine Basisdokumentation der Inanspruchnahme verbessern
die Steuerungsgrundlagen der Suchtpolitik. Die Dynamik von Suchtproblemen und das
Auftreten neuer gefährlicher Substanzen machen es notwendig, neue Situationen
gesundheitswissenschaftlich zu analysieren.

Von verschiedenen Maßnahmen, die im Rahmen             Auch die Angebote der Suchthilfe sind für die Eva-
der Suchtprävention und Suchthilfe gesetzt werden      luation zugänglich. Um die Effektivität der Bera-
können, wird heute zu Recht verlangt, dass ausrei-     tungs-, Behandlungs- und Betreuungsangebote in
chend Wissen und Erfahrung in ihre Entwicklung         der Suchthilfe zu bewerten, bedarf es der wiederhol-
einfließen und sie effektiv durchgeführt werden, um    ten Messung des Gesundheitszustands von Klient/
die Gesundheit und die Lebensqualität der Betrof-      innen und Patient/innen und seiner Bewertung in
fenen nachhaltig zu verbessern. Da die öffentlichen    Abhängigkeit von den eingesetzten Methoden, von
Haushalte unter starkem Finanzierungsdruck stehen,     der Intensität der Behandlung und vom Schwere-
legitimieren Regelungen für einen sorgfältigen Um-     grad der Erkrankung. Bei einer differenzierten Be-
gang mit Wissen und Evidenz sowohl das Handeln         trachtung der Wirksamkeit der Interventionen nach
der in der Suchtarbeit tätigen Akteur/innen als auch   Alter, Geschlecht und sozialer Lage ergeben sich An-
das politische Handeln und ermöglichen die strate-     haltspunkte darüber, weshalb die Angebote im Ver-
gische Planung von Suchtprävention, Suchthilfe so-     sorgungssystem bei Subgruppen der Patient/innen
wie die politische Steuerung.                          bessere Erfolge erzielen als bei anderen.

Die Steirische Suchtpolitik möchte einen sinnvollen    Von ebenso großer Bedeutung sind allerdings Quali-
und zweckmäßigen Umgang mit den in Studien und         tätsindikatoren der Suchthilfe, die über die Qualität
durch Evaluation gewonnenen Erkenntnissen unter-       der individuellen Leistung hinaus auch die Qualität
stützen und dies durch differenzierte Ansprüche an     des Gesamtsystems Suchthilfe ins Blickfeld nehmen.
verschiedene Maßnahmen der Gesundheitsförde-           Dabei ist Suchtpolitik optimalerweise am epidemio-
rung, Prävention und Versorgung erreichen. Ziel ist,   logisch festgestellten Behandlungsbedarf orientiert
sowohl die kontinuierliche Qualitätsverbesserung       und schafft einen bedürfnisgerechten Zugang zu
bestehender Maßnahmen zu ermöglichen als auch          einem differenzierten Suchthilfesystem für alle Be-
die Maßnahmen daran zu beurteilen, welche Effekte      troffenen. Die Frage aus der suchtpolitischen Per-
sie erzielen.                                          spektive lautet: Wer ist von Sucht betroffen? Erst
                                                       anschließend steht im Mittelpunkt, wie die Betroffe-
                                                       nen versorgt werden können.
Z EHN LEITLINIEN S TEIRI S CHER S UCHTPOLITIK

24

     Institutionalisierte Netzwerke der Steirischen Suchtpolitik

                                       Politische                          Suchtbeirat bzw.
          Landesregierung
                                        Parteien                          Forum Suchtpolitik

        Gesundheitsressort            Sozialressort
         Land Steiermark            Land Steiermark

              FA 8B                                     Stabstelle                           Suchtkoordination
         Gesundheitswesen                           Suchtkoordination                         Magistrat Graz

                                                                                            AG
                                     Arbeitsgruppe
                                                              Drogenfachgremium             AG
                                         SAG
                                                                                            AG

                     · Suchtkoordination Land Stmk.                               · Aloisianum
                  · Suchtkoordination Magistrat Graz             · B.A.S. Steirische Ges. für Suchtfragen
                · Fachstelle für Suchtprävention Vivid            · Suchtberatungsstelle BIZ Oberstmk.
                    · Sicherheitsdirektion Steiermark               · Drogenberatung des Landes Stmk.
                     · Landeskriminalamt Steiermark                      · Verein für psychische und
                  · Bundespolizeidirektion Steiermark
                                                                           soziale Lebensberatung
                    · Büros der Regierungsmitglieder
                                                                            · Gesundheitsamt Graz
                             · Fachabteilungen
                                                                                 · Grüner Kreis
              · Kinder- und Jugendanwaltschaft Stmk.
                              · Landesschulrat                     · Landesnervenklinik Sigmund Freud
                    · Landesjugendreferat Steiermark           · Sozialmedizinisches Zentrum Liebenau
                   · Landesverband der Elternvereine            · Hilfswerk Stmk. Psychosozialer Dienst
                  · Drogenberatung des Landes Stmk.             · Kontaktladen und Streetwork, Caritas
                          · Drogenfachgremium                                     · Walkabout
l e i t l i n i e

 Aktive
 Suchtpolitik                                        10
Die neue inhaltliche Erweiterung und die veränderte strategische Ausrichtung der
Steirischen Suchtpolitik führen zu einer Weiterentwicklung und Konkretisierung der
                                                                                                                25

Steuerungsstrukturen. Inhaltlich ist aktive Suchtpolitik darauf ausgerichtet, durch
Aktionspläne der Suchtprävention sowie durch Integration und Management der
Suchthilfe die Gesundheit der steirischen Bevölkerung nachhaltig zu verbessern.

 Während Suchtpolitik vielschichtige Aushandlungs-         - die in der Praxis der Suchtprävention und
 prozesse zwischen Individuum, Gesellschaft, Staat           Suchthilfe tätigen Expert/innen darin zu
 und Markt erfordert, setzt sich die Steirische Sucht-       unterstützen, ihre Konzepte den verschie-
 politik besonders mit der öffentlichen Verantwortung        denen Entwicklungsdynamiken (verändertes
 auseinander. Steuerung (Governance) beinhaltet die          Suchterkrankungsspektrum, veränderte Be-
 strategische, Sektoren übergreifende Planung für            dürfnisse der Klient/innen und Patient/innen,
 Suchtprävention und Suchthilfe. Die Verantwortung           politische Umwelt) anzupassen;
 in der Suchtpolitik wird in vielfältigen öffentlichen     - die Qualität der in den Einrichtungen der
 Handlungen sichtbar, und zwar durch Information             Suchtprävention und Suchthilfe geleisteten
 und Präventionsmaßnahmen, Aufgabenübertragun-               Arbeit sicherzustellen und kontinuierlich zu
 gen, Anreize, gesetzliche Regelungen, Marktregulie-         verbessern (inkl. der Förderung der Gesund-
 rungen (und deren Durchsetzung) und Maßnahmen               heit der Mitarbeiter/innen) und
 der Schadensminimierung. Diese Vielfalt wird in
 der medialen Diskussion um Verbote und repressive         - die Kompetenzen und Verantwortung für
 Maßnahmen gelegentlich vernachlässigt.                      gemeinsame strategische Ausrichtungen
                                                             transparent darzustellen.

 Ziele von Steuerung in der Steirischen Suchtpolitik
 sind:                                                   Differenzierte Steuerungsstrategien sind gerade
                                                         wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten und
    - Vernetzung aller für Suchtpolitik relevanten       Rechtsgrundlagen zwischen den Verwaltungsebenen
      Akteur/innen in unterschiedlichen Politikbe-       und in Verzahnung mit den Leistungsträger/innen
      reichen und                                        und Sozialversicherungsanstalten sowie aufgrund
                                                         der Vielfalt an privaten und öffentlichen Leistungs-
    - Klärung von Verantwortung und Verbindlich-         erbringer/innen vonnöten. Dabei ist bedeutsam, dass
      keit;                                              sowohl für die großen Bereiche der Prävention und
    - interdisziplinäres Wissen für Prävention zu        Suchthilfe als auch für eine „Gesamtsteuerung“ klare
      managen bzw. in den Kontext individueller          Strategien formuliert werden, damit die Potenziale
      Beratung, Betreuung und Behandlung zu              zur Verbesserung der suchtbezogenen Gesundheit
      übertragen;                                        ausgeschöpft werden können.
ZIELE UND
                                          MASSNAHMEN
                                          FÜR DIE UMSETZUNG DER NEUEN STEIRISCHEN SUCHTPOLITIK

26
            ZIEL 1
            Suchtprävention
            Durch die Entwicklung einer suchtpräventiven Gesamtpolitik und die Erschließung neuer
            Zielgruppen und Angebote sollen die Suchtpräventionspotenziale ausgeschöpft werden.

                                                                                                       1
                      Etablierung gemeinschaftlicher, Politikfelder übergreifender
                         Anstrengungen durch Entwicklung und Umsetzung von
                            Aktionsplänen zur Alkohol- und Spielsuchtprävention                                 aktivität
     Thematische Aktionspläne sind eine Methode zur Vor-      wendbar ist. Indikatorensysteme ermöglichen, den
     bereitung und Durchführung wirksamer Präventions-        Gegenstandsbereich des jeweiligen Aktionsplanes
     maßnahmen unter Beteiligung aller maßgeblichen           partizipativ einzugrenzen, eine Politikfelder über-
     Akteur/innen. Angesichts des Ausmaßes, mit dem vor       greifende Situationsanalyse, strategische Planung
     allem Alkohol und Spielsucht auf der Gesundheit der      und politische, organisatorische und inhaltliche
     Bevölkerung lasten, können bei diesen Themen große       Steuerung von Interventionen in der Umsetzungs-
     Präventionspotenziale erschlossen werden, weshalb        phase. Die Öffentlichkeit wird aktiv am Entwick-
     sie sich für eine neue Ausrichtung der Suchtpolitik in   lungsprozess beteiligt.
     der Steiermark besonders eignen.
                                                              Als Folge von Aktionsplänen kann eine stärkere
     Als notwendige Begleitmaßnahmen für die Entwick-         Verpflichtung von Herstellern, Vertreibern und
     lung der Aktionspläne wird ein Indikatorensystem         Verkäufern von Alkohol sowie von Glücksspielan-
     für ein gesundheitspolitisches Monitoring von Alko-      bietern zu einer aktiven Rolle in der Suchtprä-
     hol und Spielsucht eingesetzt, welches flexibel ver-     vention erreicht werden.

                                        Erschließung neuer Zielgruppen und Angebote

     Die bestehenden Präventionsprojekte in steirischen
                                                                                                       2
                                                              liche mit Migrationshintergrund, um arbeitssuchen-
                                                                                                                aktivität

     Schulen zielen unter anderem darauf ab, die Wider-       de Jugendliche und um Kinder aus Suchtfamilien.
     standsressourcen von Kindern und Jugendlichen zu         Die epidemiologische und demografische Bedeutung
     stärken und so ihre Lebenskompetenz zu erhöhen.          anderer wichtiger Zielgruppen kann im Rahmen von
     Dennoch können Teile der Jugendlichen, und zwar          Präventionsprojekten und -programmen berück-
     jene mit einem höheren Suchtrisiko, durch die Akti-      sichtigt werden, die andere Kriterien als das Le-
     vitäten nicht ausreichend gut erreicht werden. Dabei     bensalter zum Ausgangspunkt der Aktivitäten neh-
     handelt es sich in erster Linie um Kinder und Jugend-    men. So zählen etwa kritische Lebensereignisse, die
z i e l

goal

                                                                                                                1
                                                        ziel 1
Verrin gerung der
infolge von Sucht
beeinträchtigten und                                    ziel 2
verlorenen Lebensjahre
in der Steirischen
Bevölkerung                                             ziel 3      Sucht-
                                                                    p r äv e n t i o n
                                                                                                                           27

            Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen Gruppen         eine Stärkung der Evaluationskultur die Qualität der
            mit erhöhtem Suchtrisiko oder auch die Früherken-       bestehenden und neuen Angebote sicherzustellen,
            nung eines problematischen Konsum- oder Sucht-          um in weiterer Folge ein thematisch und inhaltlich
            verhaltens bei Kontakten mit dem Medizinsystem zu       abgestimmtes Vorgehen aller Akteur/innen zu er-
            vielversprechenden Auswahlkriterien.                    möglichen.
            Im Rahmen seiner Möglichkeiten kann das Land
            Steiermark eine Stärkung der Wissensbasis für           Als Folge der Erschließung neuer Zielgruppen
            Suchtprävention initiieren und eine stärkere Ver-       und Angebote können mehr Menschen als bisher
            netzung der Bereiche Suchtprävention und Gesund-        sowie die stärker von Sucht betroffenen sozialen
            heitsförderung anregen. Darüber hinaus können           Gruppen von Maßnahmen der Suchtprävention
            Förderungskriterien für neue Projekte zielgerichtet     profitieren.
            eingesetzt werden. Für den Bereich der Suchtprä-
            vention besteht die Steuerungsaufgabe darin, durch

aktivität    3            Stärkung der Wissensbasis für Suchtprävention

            In vielen Aspekten der Suchtpolitik liegen zu wenige    Ziel handlungsorientierter Suchtberichterstattung
            oder nur ungenaue Daten und Fakten zur Beurtei-         ist, vorhandene Daten zu analysieren und das vor-
            lung der tatsächlichen Lebenssituation der Betrof-      handene Wissen zu verständlichen Informationen
            fenen vor. Je besser der epidemiologische Kennt-        aufzubereiten, anhand derer unterschiedliche Ak-
            nisstand über Konsum- und Suchtverhalten mit            teur/innen motiviert werden, wissensbasiert zu ent-
            sozialen Merkmalen wie Geschlecht, Zugehörigkeit        scheiden und zu handeln.
            zu ethnischen Minderheiten sowie Einkommen und
            Berufsstatus verknüpft werden kann, desto gezielter     Die künftigen Themen handlungsorientierter Sucht-
            lässt sich die Bedeutung einzelner Themen und Risi-     berichterstattung sind:
            kogruppen abgrenzen.                                       --Spezialbericht: Sucht und Migration
                                                                       --Spezialbericht: Medikamentenmissbrauch
            Suchtberichterstattung ist eine wichtige Schnittstel-         und -abhängigkeit
            le zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft.        --Spezialbericht: Sucht und Alter
            Alle Entscheidungen, die Gesundheit beeinflussen,          --Allgemeine Suchtberichterstattung in fünf-
            sollten auf einer angemessenen Wissensbasis ge-               jährigen Intervallen
            troffen werden. Handlungsorientierte Suchtbericht-
            erstattung bildet die rationale Grundlage für eine      Handlungsorientierte Suchtberichterstattung bil-
            gemeinsame Problemsicht und die Planung von ge-         det die rationale Grundlage für eine gemeinsame
            meinsamen Problemlösungsstrategien.                     Problemsicht und die Planung von gemeinsamen
                                                                    Problemlösungsstrategien.
z i e l

Sucht-
hilfe
28

          ZIEL 2
                                     2
          Suchthilfe
          Durch einen gezielten Abbau der Unterversorgung sowie wohnortnahe und
          bedarfsorientierte Integration der Angebote soll die Versorgungsqualität
          gesteigert, die medizinische und psychosoziale Grundversorgung geöffnet
          und die Lebensqualität der Betroffenen erhöht werden.

                                                   Case Management und Care Management
                                                         in regionalen Suchthilfenetzwerken
                                                                                                              4        aktivität
          Im Vergleich zur Versorgung anderer Erkrankungen          Bei Case Management handelt es sich um ein struk-
          sind die Anforderungen an die Organisation einer          turiertes Vorgehen, bei dem der individuelle Ver-
          differenzierten Suchthilfe komplex. Für Suchtkranke       sorgungsbedarf dem Versorgungsplan der Sucht-
          und deren Angehörige ist der Einstieg in das vielglied-   hilfeeinrichtungen gegenübergestellt wird. Case
          rige Suchthilfesystem mitunter schwierig. Der Be-         Management kann seine Wirksamkeit nur dann
          ginn von Hilfsmaßnahmen kann sich durch fehlende          unter Beweis stellen, wenn die Erkenntnisse aus der
          Ressourcen sowie durch nicht optimierte Koopera-          Einzelfallbetreuung – vor allem was Versorgungs-
          tionsstrukturen verzögern. Trotz bestehender Kom-         lücken und Kooperationsbedarf betrifft – in die Ver-
          munikationsstrukturen der Trägereinrichtungen der         änderung des Suchthilfesystems eingebracht wer-
          Suchthilfe bedarf es verbindlicher Vereinbarungen         den können. Aus diesem Grund ist eine Verzahnung
          aller an Suchthilfe Beteiligten, um die Versorgungs-      mit Care Management hilfreich und notwendig.
          lage zu verbessern.

          Unter Case Management versteht man die Be-                Care Management bezeichnet einen organisatori-
          gleitung eines individuellen „Falles“ (Patient/in und     schen Ansatz gegen Desintegration und Diskontinui-
          Angehörige) mit dem Ziel, Leistungen des Gesund-          tät der Suchthilfe. Ähnlich dem Case Management
          heits- und Sozialwesens zu erschließen und die Be-        zählt die Zusammenführung der Leistungserbrin-
          handlungsschritte besser zu koordinieren, wodurch         gung und eine Steigerung der Behandlungsqualität
          die Qualität der Versorgung verbessert wird. Dabei        zu den Hauptzielen, die allerdings durch manage-
          müssen Case Manager/innen ein besonders hohes             mentfähige Strukturen und vertragliche Regelungen
          Anforderungsprofil erfüllen.                              erwirkt werden, die in regionalen Suchthilfenetzwer-
                                                                    ken verhandelt werden sollen.
29

Aufbau regionaler Suchthilfenetzwerke
In regionalen Suchthilfenetzwerken arbeiten alle         dass die Kostenträger der Suchthilfe Sektoren über-
Organisationen zusammen, die mit Suchtproblemen          greifend an den Netzwerken teilnehmen.
befasst sind. Dazu gehören z. B. die Beratungsstellen,   Einige suchttherapeutische Maßnahmen werden be-
Krankenanstalten und niedergelassene Ärzt/innen.         reits von Einrichtungen der medizinischen Regelver-
Durch das Agieren im Netzwerk findet mehr Kommu-         sorgung durchgeführt. Es gilt aber, die Akteur/innen
nikation, Austausch und Information statt, auch über     der medizinischen Primärversorgung vermehrt in eine
individuelle Problemlagen von Klient/innen der Sucht-    qualifizierte Betreuung und Behandlung Suchtkran-
hilfe. Gemeinsam sollen niederschwellige, wohnort-       ker einzubinden und sie dabei in ihrer Wirksamkeit
nahe Zugangsmöglichkeiten sichergestellt und die         zu stärken. Ziel der neuen Steirischen Suchtpolitik ist,
erforderlichen Hilfemaßnahmen eingeleitet werden.        durch Case Management den Vermittlungsaufwand
                                                         für Allgemeinmediziner/innen, Fachärzt/innen für
Dies hängt mit der Verfügbarkeit von ambulanten,         Psychiatrie, Krankenhausärzt/innen und Psychosozi-
teilstationären und vollstationären Behandlungs-         ale Zentren erheblich zu senken. Ferner sollen durch
möglichkeiten und komplementären Versorgungs-            den Ausbau von Konsiliar- bzw. Liaisondiensten noch
strukturen mit entsprechender Vernetzung ab. Des-        mehr Suchtpatient/innen motiviert werden, an der
halb müssen durch regionale Suchthilfenetzwerke          Verbesserung ihrer Situation mitzuwirken.
die Leistungen der sozialen und gesundheitlichen
Versorgung besser auf den Umgang mit Suchter-            Regionale Suchthilfenetzwerke unterstützen und
krankten abgestimmt und regional angepasste Pro-         stärken die Problemlösungskompetenz in der
blemlösungen erarbeitet werden. Wenn dies gelingt,       Suchthilfe durch Kommunikation, Koordination
können suchtkranke Menschen früher im Verlauf der        und Kooperation (Care Management) nachhaltig,
Erkrankung erreicht und mit geringerem Aufwand           wenn auch die Klient/innen der Suchthilfe direkt
stabilisiert werden. Dies erfordert auch eine ver-       von den Aktivitäten profitieren können (Case Ma-
stärkte Kooperation der Akteur/innen im Hinblick auf     nagement). Angebote der Regelversorgung können
die Finanzierung der Leistungen. Deshalb ist nötig,      stärker als bisher für Suchthilfe geöffnet werden.
Nimmt man die geschätzte absolute Anzahl der von
                                                                Abbau der Unterversorgung
                                                                                                        5
                                                                 - Es bestehen zu geringe Kapazitäten für die
                                                                                                                    aktivität
     verschiedenen Substanzen und Verhaltenssüchten                stationäre und tagesklinische Entzugs- und
     abhängigkeitserkrankten Steirer/innen auf Basis               Entwöhnungsbehandlung.
     bestmöglicher Evidenz als Grundlage für eine Ein-           - In der Substitutionstherapie ist die psycho-
     schätzung des Versorgungsbedarfs und stellt sie               soziale Versorgung generell nur mangelhaft vor-
     den effektiv vorhandenen Angeboten gegenüber, so              handen, ebenso mangelt es an medizinischer
30   ergibt sich ein Bild der Unterversorgung. Von dieser          Grundversorgung in ländlichen Regionen.
     strukturellen Unterversorgung sind derzeit alle Be-         - Auch für Krisenintervention ist das Angebot
     handlungsbereiche (niederschwellig-nachgehend;                unzureichend.
     ambulant; stationär) und komplementäre Angebote
     zur sozialen Integration und Rehabilitation sowie        Und an Begleitangeboten benötigt man:
     die psychosoziale Grundversorgung durch Psycho-            - (Zugang zu) Psychosozialen Zentren und Be-
     soziale Zentren und Beratungszentren in allen steiri-         ratungszentren in den Bezirksvororten
     schen Bezirken betroffen.                                  - (Zugang zu) Wohnraumsicherung für Jugend-
                                                                   liche und Erwachsene mit Unterkünften, die
     Zur Sicherstellung der medizinischen Grundversor-             auch für mehrfach psychiatrisch Erkrankte
     gung sind derzeit etwa eine Spezialambulanz für               geöffnet sind
     die Substitutionstherapie in Graz sowie ein ent-           - (Zugang zu) Arbeitsangebote(n) für Hoch-
     sprechender Behandlungsschwerpunkt in der all-                risikogruppen
     gemeinpsychiatrischen Ambulanz am LKH Bruck in
     Planung. Die derzeit wichtigsten Herausforderungen
     in der Versorgungsstruktur der Suchthilfe sind:          Mit einem Abbau der Unterversorgung sind ein
        - In der Süd-, Südost- und Weststeiermark             gerechter Zugang zu Einrichtungen der Suchthilfe
           mangelt es an psychosozialen Angeboten der         und eine Steigerung der Behandlungsqualität ver-
           ambulanten Suchthilfe.                             bunden.

                                                Vorbereitung einer leistungsorientierten

     Die Wissensgrundlagen für eine leistungsorientierte
                                                           Finanzierung der Suchthilfe
                                                                                                        6
                                                              Form zu beschreiben. Inhaltlich soll die Basisdoku-
                                                                                                                    aktivität
     Finanzierung der Suchthilfe sind in verschiedener        mentation alle Suchtformen umfassen (auch legale
     Hinsicht uneinheitlich und unzureichend. Zwar wer-       Substanzen und substanzungebundene Süchte).
     den von den Einrichtungen Informationen über die
     Klient/innen der Suchthilfe und über die durchge-        Zur Vereinheitlichung der Leistungsdokumentation
     führten Leistungen gesammelt, jedoch werden die-         und rationalen Steuerbarkeit der Suchthilfe sind
     se nicht einheitlich geführt und können somit nicht      einheitliche Leistungsdefinitionen eine weitere not-
     miteinander verglichen werden. Zudem bestehen für        wendige Voraussetzung. Diesen Leistungen können
     die verschiedenen Bereiche der Suchthilfe unter-         innerhalb von Pilotprojekten in Referenzeinrichtun-
     schiedliche Finanzierungsbedingungen. Dies verun-        gen Kosten zugeordnet werden, die als Durchschnitts-
     möglicht eine einheitliche finanzierungspolitische       kosten die Basis für eine leistungsorientierte Finan-
     Steuerung der Suchthilfe.                                zierung der ambulanten Suchthilfe bilden können.

     Die Einführung einer einheitlichen Basisdokumentati-     Durch eine Basisdokumentation der Klient/innen
     on über verschiedene Merkmale von Klient/innen und       und ihrer Probleme sowie einer einheitlichen Leis-
     Patient/innen in der Suchthilfe soll diese Situation     tungsbeschreibung kann Wissen über die Verän-
     verbessern. Als Voraussetzung für eine leistungsori-     derung der Inanspruchnahme sowie Wissen über
     entierte Finanzierung der Suchthilfe sollen die Leis-    die Wirksamkeit der Versorgungsleistungen ge-
     tungserbringer/innen in der ambulanten Suchthilfe        sammelt werden, das in eine leistungsorientierte
     beauftragt werden, ihre Leistungen in standardisierter   Suchthilfefinanzierung mündet.
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