Die Roten Listen Thüringens Gefährdungskategorien und Gefährdung der Arten, Pflanzengesellschaften und Biotope

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Die Roten Listen Thüringens Gefährdungskategorien und Gefährdung der Arten, Pflanzengesellschaften und Biotope
Die Roten Listen Thüringens − Gefährdungskategorien
und Gefährdung der Arten, Pflanzengesellschaften und
Biotope
Frank Fritzlar, Heiko korscH, timo Förster, Werner WestHus, tristan lemke, tina BucHmann,
anke rotHgänger & cornelia genßler

1. Einführung

Rote Listen und der Zustand der Biodiversität           (Barnosky et al. 2011). Deshalb werden die men-
                                                        schengemachte Krise des Artensterbens und
Wenn man das aktuelle Ausmaß der Gefähr-                gleichermaßen auch die Krise der Biodiversität
dung von Arten, Pflanzengesellschaften und              heutzutage in einem Atemzug mit der Klima-
Biotopen bewerten und dokumentieren                     krise genannt. Beide haben ein weltweites Aus-
möchte, sind Rote Listen als wissenschaftli-            maß und einen grundlegenden Einfluss auf das
che Fachgutachten kaum wegzudenken. Sie                 Leben und Überleben alles Lebendigen.
stellen eines der am längsten gebräuchlichen
„Messinstrumente“ für die Veränderung des Ar-           Auf bundesdeutscher Ebene liegen Rote Listen
tenreichtums eines Raumes dar. Sie vermitteln           für etwa 60 unterschiedliche Artengruppen von
einen Eindruck vom Zustand der biologischen             Tieren, Pflanzen und Pilzen vor. Von den etwa
Vielfalt, deren integraler Bestandteil Arten-           72.000 in Deutschland einheimischen Tier-,
reichtum ist. Die Einschätzung der Gefährdung           Pflanzen- und Pilzarten sind mittlerweile rund
von Arten und Lebensräumen ist daher eine               30.000 auf ihre Gefährdung hin untersucht wor-
unverzichtbare Grundlage für alle Maßnahmen             den (Rote-Liste-Zentrum 2021). Sie werden in
zur Erhaltung der biologischen Mannigfaltig-            einem etwa zehnjährigen Turnus aktualisiert.
keit. Durch die Identifikation von Gefährdungs-         Die Bewertung der Gefährdung wird für alle
ursachen werden auch Hinweise gegeben für               Arten der jeweiligen Organismengruppen vor-
notwendige Maßnahmen zur Sicherung des Ar-              genommen. So entstehen jeweils vollständige
tenreichtums und somit auch der Biodiversität.          Inventarlisten der bearbeiten Artengruppe.

Rote Listen existieren auf internationaler, natio-      Die nachfolgend vorgelegten Thüringer Roten
naler und regionaler Ebene. Auf internationaler         Listen betrachten etwa 17.000 Arten aus 44 Ar-
Ebene wird deren Erstellung seit 1964 von der           tengruppen sowie Biotoptypen und Pflanzen-
International Union for Conservation of Nature          gesellschaften. Davon sind 40 % als „gefährdet“
(IUCN; „Weltnaturschutzunion“) umgesetzt.               eingestuft worden.
Nach der aktuellen Roten Liste der IUCN, wel-
che quartalsweise aktualisiert wird (zuletzt am         Wozu brauchen wir Rote Listen?
25. März 2021), gelten weltweit fast 37.500 Tier-
und Pflanzenarten als bedroht (IUCN 2021).              Ziel des Naturschutzes gemäß § 1 des Bundes-
Der Europäische Feldhamster (Cricetus cricetus)         naturschutzgesetzes (BNatSchG) ist es, Natur
beispielsweise wurde mit dieser Aktualisierung          und Landschaft so zu schützen, dass die bio-
von „ungefährdet“ auf die Gefährdungsstufe              logische Vielfalt auf Dauer gesichert ist. Zur
„vom Aussterben bedroht“ („critically endan-            dauerhaften Sicherung der biologischen Viel-
gered“) eingestuft.                                     falt sind lebensfähige Populationen wild le-
                                                        bender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer
Das Artensterben ist heute mindestens dut-              Lebensstätten zu erhalten. Gefährdungen ist
zende bis hunderte Male größer als im Durch-            entgegenzuwirken. In § 6 des BNatSchG wer-
schnitt der letzten zehn Millionen Jahre                den Bund und Länder zur Beobachtung von

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Die Roten Listen Thüringens Gefährdungskategorien und Gefährdung der Arten, Pflanzengesellschaften und Biotope
Natur und Landschaft verpflichtet. Dabei sind          die Managementmaßnahmen (Hege, Pflege,
nicht nur der Zustand und dessen Veränderun-           Steuerung) von Pflanzen- und Tierbeständen
gen zu erfassen, sondern auch deren Ursachen           planen und durchführen
und Folgen zu ermitteln. Rote Listen sind ein      y   Vorbereitung und Formulierung von Unter-
Resultat solcher Beobachtungen über längere            suchungsprogrammen für die am meisten
Zeiträume. Sie stellen dementsprechend einen           gefährdeten Arten hinsichtlich der Größe
wesentlichen Beitrag zur Umsetzung dieses              und Entwicklung ihrer Populationen (Arten-
Gesetzes dar.                                          monitoring)
                                                   y   Schaffung ökologischen Grundlagenwissens
Als Argumentations- und Entscheidungshilfe             als Voraussetzung für die Einleitung und
haben sich Rote Listen zu einem unersetzli-            Durchführung wirksamer Schutzmaßnah-
chen Instrument der täglichen Naturschutzar-           men (z. B. im Rahmen von Artenhilfsprogram-
beit entwickelt. Ihr Erfolg beruht nicht zuletzt       men)
auf der Reduzierung der komplexen Gefähr-          y   Anregung für alle Fachleute, sich in stärkerem
dungssituation der heimatlichen Natur auf              Maße an der Lösung von Fragen der Überle-
ein leicht verständliches, abgestuftes Katego-         benssicherung von Pflanzen- und Tierarten
riensystem. Auf nationaler und internationaler         zu beteiligen
Ebene dienen sie dem Setzen von fachlichen         y   Aufforderung an alle Schulen und Hochschu-
Prioritäten in verschiedenen Bereichen. Sie            len, ein erhöhtes Augenmerk auf die Vermitt-
sind auch eine Argumentationshilfe für um-             lung von Wissen über die Bedrohung von
weltrelevante Planungen und ein Frühwarn-              Flora und Fauna und über die Gefährdungs-
system für die Entwicklung der biologischen            ursachen zu richten
Vielfalt. Sie zeigen den vordringlichen Hand-      y   Anregung zur Prüfung der Wirksamkeit der
lungsbedarf im Artenschutz auf und helfen              aktuell verfügbaren Naturschutzinstrumente
auf politischer Ebene abzuschätzen, ob die             (z. B. im Rahmen von Erfolgskontrollen)
Ziele der Biodiversitätsstrategien von Bund
und Ländern zum Erhalt der biologischen Viel-      Nicht zuletzt machen die Roten Listen darauf
falt erreicht werden.                              aufmerksam, dass manche Artengruppen noch
                                                   nicht oder nicht mehr bearbeitet wurden und
Ziele und Bedeutung Roter Listen lassen sich       daher grundlegende Wissenslücken bezüglich
in Anlehnung an noWak et al. (1994) folgender-     der Artenvielfalt existieren. Deshalb ist es drin-
maßen charakterisieren:                            gend nötig, vorhandene Kenner zu unterstüt-
                                                   zen und neue Bearbeiterinnen oder Bearbeiter
y Information der Öffentlichkeit, der zuständi-    zu finden, zu schulen und zu betreuen.
  gen Landes- und Bundesbehörden und inter-
  nationaler Gremien über die Gefährdung der       45 Jahre Rote Listen in Thüringen – ein kur-
  biologischen Vielfalt                            zer Rückblick
y Entscheidungshilfe für Naturschutzbehörden
  bei Anträgen auf Ausweisung von Schutzge-        Bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts
  bieten für gefährdete Arten und Biotope sowie    weisen Forscherinnen und Forscher in einzel-
  zur Abwehr von Eingriffen in Schutzgebiete       nen Studien auf Verluste in der thüringischen
y Entscheidungshilfe für alle Institutionen, die   Pflanzen- und Tierwelt hin. Systematische Ver-
  Eingriffe in die Landschaft planen, durchfüh-    zeichnisse der gefährdeten Pflanzen und Tie-
  ren oder auf ihre Verträglichkeit prüfen         re Thüringens werden jedoch erst seit etwa
y Richtschnur für Maßnahmen in Land- und           45 Jahren erarbeitet. Die längste Tradition hat
  Forstwirtschaft sowie für die Anwendung          hierbei die Rote Liste für die Farn- und Blüten-
  des Vertragsnaturschutzes und anderer För-       pflanzen. Für diese Artengruppe wurde die
  dermaßnahmen                                     erste Fassung bereits 1977 von rauscHert (1980)
y Entscheidungshilfe für alle Institutionen des    verfasst. Es folgten die Roten Listen gefährdeter
  Naturschutzes, der Jagd und der Fischerei,       Moosarten (meinunger 1983) und Großpilze (HirscH

                                                                                                   9
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et al. 1988). Unter den Tiergruppen waren es die       Aufgaben der Naturschutzfachbehörde: Die-
Tagfalter, für die von tHust & reinHarDt (1990) eine   se „… ist zuständig für die Beobachtung von
erste Fassung erstellt wurde. 1991 wurden              Natur und Landschaft nach § 6 BNatSchG und
dann die Roten Listen der gefährdeten Libellen         veröffentlicht mindestens alle zehn Jahre den
(zimmermann 1991) und Heuschrecken (köHler             wissenschaftlichen Stand der Erkenntnisse über
1991) publiziert. Mittlerweile haben sich die          ausgestorbene und bedrohte heimische Tier- und
Roten Listen zu einem unersetzlichen Arbeits-          Pflanzenarten sowie über die Gefährdung von
mittel des Naturschutzes in Thüringen entwi-           Biotopen (Rote Listen)“.
ckelt. Als nutzerfreundliche Publikationsform
hat sich ein Sammelband aller Roten Listen             Die in diesem Sammelband zusammenge-
bewährt. Der erste wurde 1993 veröffentlicht           stellten Roten Listen enthalten die derzeit in
(TLU 1993). Mit dem vorliegenden Band liegt            Thüringen in ihrem Bestand gefährdeten oder
nun der vierte Sammelband vor. Für einige Ro-          bereits ausgestorbenen Arten, Pflanzengesell-
ten Listen bedeutet das, dass schon die fünfte         schaften und Biotope der untersuchten Grup-
oder sogar sechste aktualisierte Fassung exis-         pen. Dabei werden alle Arten aufgeführt, die
tiert, wodurch die langjährige Entwicklung der         sich in Thüringen regelmäßig vermehren oder
Gefährdung der jeweiligen Artengruppen gut             vermehrt haben und deren wild lebende Be-
dokumentiert ist.                                      stände ausgestorben, verschollen oder gefähr-
                                                       det sind. Alle nachfolgend aufgeführten Listen
In den letzten Jahren hat die Erhaltung der bio-       sind auch im Internetauftritt des Thüringer
logischen Vielfalt als zentrales Ziel des Natur-       Landesamtes für Umwelt, Bergbau und Natur-
schutzes wesentlich an Bedeutung gewonnen.             schutz zugänglich (https://tlubn.thueringen.
Die Thüringer Landesregierung hatte dazu im            de/naturschutz/rote-listen).
Oktober 2011 eine Thüringer Strategie zur Er-
haltung der Biologischen Vielfalt beschlossen          Wissensdefizite machen sich bemerkbar
(TMLFUN 2012). Seit 2019 hat nach § 2 Abs. 2 des
Thüringer Naturschutzgesetzes (ThürNatG) die           Die Anzahl der bearbeiteten Artengruppen und
oberste Naturschutzbehörde einmal in jeder Le-         die Zahl bewerteter Taxa verdeutlichen auch
gislaturperiode einen Bericht über den Zustand         den aktuellen Kenntnisstand zu Fauna und
und die Entwicklung der biologischen Vielfalt in       Flora eines Landes. Als positive Entwicklung im
Thüringen zu veröffentlichen. Der erste Bericht,       Vergleich zum letzten Sammelband kann die
für den die Roten Listen wichtige Informationen        Neubearbeitung der Roten Liste der Rüsselkäfer
lieferten, wurde 2019 publiziert (TMUEN 2019).         mit 832 Arten hervorgehoben werden. Zudem
                                                       ist es gelungen, für mehrere andere Listen, z. B.
Die Erstellung von Roten Listen ist inzwischen         die der Eulenfalter mit ihren 402 Arten, einen
als eine zentrale Aufgabe der Naturschutz-             neuen Bearbeiter zu finden. Die Bedeutung der
fachbehörden etabliert. Das Bundesamt für              Thüringer Roten Listen als „Messinstrument“
Naturschutz hat 2018 das Rote-Liste-Zentrum            der biologischen Vielfalt wurde durch die Be-
gegründet, das vor allem die Erarbeitung bun-          arbeitung zusätzlicher Artengruppen und eine
desweiter Roter Listen koordiniert, zur Vernet-        weitere taxonomische Differenzierung (z. B. Be-
zung von Artexpertinnen und -experten bei-             achtung von Kleinarten, Unterarten u. a.) noch
trägt und sich für eine stärkere Beachtung der         erhöht. Selbstverständlich werden auch Arten-
Roten Listen durch die Politik, die Behörden           gruppen in die Gefährdungsanalyse einbezo-
und in der Öffentlichkeit einsetzt. Hiervon pro-       gen, die bisher nicht im Fokus der Naturschutz-
fitieren auch die Bundesländer.                        praxis stehen, beispielsweise Asseln, Schaben,
                                                       Schildläuse oder Keulhornblattwespen.
In Thüringen wurde im Zuge der 2019 verab-
schiedeten Novelle des Landesnaturschutzge-            Eine vollständige Übersicht über die Roten Lis-
setzes die Erarbeitung Roter Listen gesetzlich         ten, für die 2021 keine Neubearbeitung erfolg-
verankert. § 23 Abs. 1 ThürNatG benennt die            te, befindet sich in Tabelle 1.

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Tab. 1: Artengruppen, die 2021 nicht neu bearbeitet worden sind
Artengruppe                                Autor(en)                   Zuletzt     Artenzahl         davon Rote-
                                                                      bearbeitet                     Liste-Arten
Aquatische Tanzfliegen (Insecta:           R. Wagner                    2011           38                 3
Diptera: Brachystomatidae, Empididae –
Clinocerinae und Hemerodromiinae)
Blatthornkäfer und Hirschkäfer             E. Rössner                    2011         134                68
(Insecta: Coleoptera: Scarabaeoidea)
Eintagsfliegen                             R. Brettfeld,                 2011          68                34
(Insecta: Ephemeroptera)                   W. Zimmermann
Flusskrebse (Crustacea: Decapoda:          W. Zimmermann                 2011           2                2
Astacidae)
Glasflügler (Lepidoptera: Sesiidae)        D. Stadie                     2001          26                15
Halmfliegen (Diptera: Chloropidae)         J. Weipert                    2011         134                70
Kurzflügelkäfer (Staphylinidae)            W. Apfel                      2011         1.150             479
Sackträger (Lepidoptera: Psychidae)        T. Sobczyk, D. Stadie         2001          24                15
Schleimpilze (Myxomycetes)                 H. Müller, K.-H. Riemay       2011         248                29
Schmetterlingsmücken                       R. Wagner                     2011          62                 7
(Insecta: Diptera: Psychodidae)
Schwebfliegen                              F. Dziock, M. Jessat,
                                                                         2001         320               101
(Diptera: Syrphidae)                       H. Uthleb
Steinfliegen (Insecta: Plecoptera)         R. Brettfeld                  2011          64                27
Stelzmücken (Diptera: Limoniidae
                                           H. Reusch, R. Bellstedt       2001         181                27
et Pediciidae)
Süßwasserkrebse (Crustacea;                D. Flößner                    2011         133                34
Branchiopoda et Copepoda)
Webspinnen                                 F. W. Sander, S. Malt,
                                                                         2001         626               261
(Arachnida: Araneae)                       P. Sacher
Zünsler und Faulholzmotten (Lepidoptera:   U. Buchsbaum                  2001         267                81
Pyralidae et Oecophoridae s. l.)

Tab. 2: Rote Listen Thüringens: Anzahl bearbeiteter Artengruppen und bewerteter Taxa
        pro Erscheinungsjahr

Rote Liste Sammelband                          Anzahl Listen                        Bewertete Taxa
1993                                                    34                                  9.424
2001                                                    59                                  17.003
2011                                                    54                                  16.814
2021                                                    44                                  16.972

Seit der Veröffentlichung des Sammelbands                    Sollte dieser Trend anhalten, wird sich der feh-
von 2001 (TLUG 2001) ist ein deutlicher Rück-                lende Kenntnisstand zukünftig negativ aus-
gang der Anzahl bearbeiteter Roter Listen und                wirken, zum Beispiel auf die Fähigkeit, in der
damit der Zahl bewerteter Artengruppen zu                    Naturschutzpolitik wissenschaftlich basierte
verzeichnen (Tabelle 2).                                     Entscheidungen zu treffen.

                                                                                                              11
Die Biodiversität hat in der Öffentlichkeit in    Zum Schließen der Erkenntnislücken wurden
letzter Zeit große Aufmerksamkeit gefunden.       und werden in Zusammenarbeit mit Fachver-
Trotz durchaus anspruchsvoller Ziele für die      bänden regelmäßig Listen der in Thüringen vor-
Erhaltung der Biodiversität ist für einige Ar-    kommenden Arten – sogenannte Checklisten
tengruppen aber keine Neubearbeitung mög-         – erarbeitet, für die Spezialisten gewonnen oder
lich gewesen. Es fehlte an aktuellen Daten für    aufgebaut werden. Checklisten bilden die unver-
die Neubewertung der Gefährdung, teils so-        zichtbare Grundlage für eine spätere Bearbei-
gar überhaupt an Kennerinnen und Kennern          tung der Artengruppe im Rahmen einer Roten
für die entsprechenden Arten. So konnte die       Liste. Die Ermittlung des Artenbestandes ist der
artenreiche Gruppe der Kurzflügelkäfer (insge-    erste Schritt für eine floristische bzw. faunistische
samt 1.113 bewerteten Arten, aPFel 2011) nicht    Gebietsbearbeitung und die darauf aufbauende
wieder bearbeitet werden. Gleiches gilt für die   Gefährdungsanalyse. Hier sind der weitere Aus-
durchaus naturschutzrelevanten und arten-         bau und die Unterstützung von Arterfassungen
reichen Webspinnen (sanDer et al. 2001), Blatt-   unverzichtbar. Dabei kann die Naturschutzver-
hornkäfer (rössner (2011) und Schwebfliegen       waltung einen Beitrag leisten. Auch Erfassungen,
(Dziock et al. 2001). Mangels vorhandener Spe-    z. B. im Rahmen von Erfolgskontrollen, sind hier-
zialisten gibt es in Thüringen deshalb zudem      für wichtig.
keine Rote Listen für Kieselalgen, Zieralgen,
Weberknechte, Netzflügler sowie verschiedene      Fachvereinigungen und Fachbeirat sichern
Hautflügler- und Käferfamilien.                   gutes Niveau

Der deutliche Mangel an Artenkennern der          Thüringen gehört aktuell noch zu den Ländern,
heimischen Natur hat mehrere Ursachen, von        die für relativ viele Artengruppen Gefährdungs-
denen die folgenden die wichtigsten sind:         analysen vorlegen können. Dies ist u. a. der
                                                  kontinuierlichen Arbeit der Fachvereinigungen
y Defizite bei der Ausbildung von Biologen und    (z. B. Thüringische Botanische Gesellschaft e. V.,
  der Wissenschaftsförderung (Es wird weder       Arbeitskreis Heimische Orchideen Thüringen
  ausreichende Artenkenntnis vermittelt noch      e. V., Thüringer Arbeitsgemeinschaft Mykologie
  gibt es ausreichend taxonomisch-systemati-      e. V., Verein Thüringer Ornithologen e. V., Inte-
  sche Lehrinhalte und Berufsperspektiven.)       ressengemeinschaft Fledermausschutz und
y Defizite bei naturkundlichen Museen (Diese      -forschung Thüringen e. V., Thüringer Entomo-
  sind vielfach kaum noch in der Lage, ihren      logenverband e. V.) und einzelner Arbeitsge-
  angestammten Aufgaben – wie Floristik, Fau-     meinschaften an Naturkundemuseen (z. B. am
  nistik, Datensammlung, Aufbau von Beleg-        Naturkundemuseum Erfurt oder am Mauritia-
  Sammlungen – nachzukommen.)                     num Altenburg) zu verdanken.
y Defizite bei der Unterstützung von Fachverei-
  nigungen und Freizeitforschern (Diese leisten   Ausschlaggebend ist zudem die Arbeit der
  momentan den wesentlichen Beitrag zur Um-       Mitglieder des Thüringer Fachbeirates für Ar-
  weltbeobachtung, haben aber ggf. unverhält-     ten- und Biotopschutz. In diesem Gremium
  nismäßig viel Aufwand mit Genehmigungen.)       sind ausgewiesene Kenner für Artengruppen
y Defizite bei der Nachwuchsgewinnung und         oder Biotope vereinigt, die der Fachbehörde
  -förderung (als Gemeinschaftsaufgabe von        beratend zur Seite stehen und die langfristig
  Schulen, naturkundlichen Museen und Fach-       angelegten Vorhaben (wie die regelmäßige
  vereinigungen)                                  Überarbeitung der Roten Listen) durch Initi-
                                                  ierung von Erfassungen und die Gewinnung
Das zuletzt genannte Defizit ist zumindest mit-   federführender Bearbeiter unterstützen (siehe
telfristig wohl am bedeutsamsten.                 Fritzlar et al. 2016).

12
2. Neuerungen der Roten Liste

2.1. Unser Vorgehen                                  stände bei Arten, die ansonsten als vom Aus-
                                                     sterben bedroht eingestuft würden)
Die vorliegenden Roten Listen wurden – wie         y Zusammenstellung der Roten Liste und
schon im letzten Sammelband – auf Basis der          Analyse der Gefährdungssituation für die
für die Roten Listen Deutschlands erstellten         Artengruppe (z. B. nach Ursachen von Verän-
Methodik (luDWig et al. 2006) erarbeitet. Die        derungen oder differenzierte Bewertung von
gute Nachvollziehbarkeit der Bewertungen, die        ökologischen Gruppen)
angestrebte Vergleichbarkeit mit den Gefähr-       y Beschreibung von Lebensweise und beson-
dungseinstufungen auf Bundesebene und die            derer Gefährdung der Gruppe, der Daten-
bereitgestellten technischen Arbeitshilfen des       basis für die Gefährdungsanalyse sowie von
Bundesamtes für Naturschutz (auf Basis der           gruppenspezifischen Festlegungen bei der
dort weiterentwickelten Methodik von luDWig          Einstufung der Arten als Einführungstext für
et al. 2009) waren dafür ausschlaggebend.            die Rote Liste

Zur Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter bzw.      Wie bei den vorangegangenen Sammelbän-
federführender Bearbeiter für die Listen mög-      den werden nur die Roten Listen mit zugehö-
lichst vieler Tier-, Pflanzen- und Pilzgruppen     rigen Erläuterungen und Auswertungen als
wurden Autoren früherer Fassungen Roter Lis-       kompakter Sammelband publiziert. Die zuge-
ten und von Checklisten bisher nicht bearbei-      hörigen Checklisten werden über die Internet-
teter Gruppen angesprochen. Die federführen-       seite des TLUBN zur Verfügung gestellt (https://
den Gruppenbearbeiter versuchten darüber           tlubn.thueringen.de/naturschutz/rote-listen).
hinaus, alle zu beteiligen, die wesentliche Bei-   Den Bearbeitern wurde außerdem eine sepa-
träge zur Gefährdungsanalyse leisten können.       rate Veröffentlichung der Gesamtartenlisten in
Für den Koordinationsaufwand konnten durch         geeigneten Fachzeitschriften empfohlen.
das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau
und Naturschutz mit finanzieller Unterstüt-        Für die Fische wurde mit der Gesamtartenlis-
zung des Thüringer Ministeriums für Umwelt,        te bereits ein Arbeitsstand der Roten Liste im
Energie und Naturschutz Werkverträge abge-         Rahmen einer Landesfauna (müller 2019) ver-
schlossen werden. Die Bearbeitung der Listen       öffentlicht. Für viele Insektengruppen erfolgte
erfolgte in den Jahren 2018 bis 2020.              die Publikation der Artenlisten, teils regionali-
                                                   siert oder mit Bestandsangaben, bereits inner-
Von den federführenden Autoren wurden auf          halb einer speziellen Publikationsreihe (Thü-
Grundlage der Vorgaben des Bundes (luDWig          ringer Entomologenverband 1993−2020). Auf
et al. 2009, 2006) die folgenden Bearbeitungs-     Aktualisierungen im Detail oder geplante Ver-
schritte mit der Zielstellung einer möglichst      öffentlichungen wird in den Einleitungstexten
objektiven Einschätzung der Gefährdungssitu-       der Einzellisten verwiesen.
ation umgesetzt:
y Aufstellung bzw. Aktualisierung einer Ge-        In den Checklisten sind zusätzlich zu den er-
  samtartenliste („Checkliste“) der aus Thürin-    mittelten Gefährdungskategorien für gefähr-
  gen bekannten Arten                              dete Arten auch folgende Einstufungen für die
y Beurteilung der Kriterien „Aktuelle Bestands-    ungefährdeten Arten aufgeführt, die in den
  situation“, „Langfristiger Bestandstrend“,       eigentlichen Roten Listen nicht enthalten sind:
  „Kurzfristiger Bestandstrend“ und „Risikofak-       D: Daten zur Art defizitär
  toren“                                              V: Art der so genannten Vorwarnliste
y Beachtung zusätzlicher Festlegungen zum             *: Ungefährdete Art
  Umgang mit Sonderfällen (insbesondere               #: Nicht bewertete Art
  korrekte Berücksichtigung von Risikofakto-       Bei Bedarf werden in der Arbeitstabelle artspe-
  ren und separate Prüfung auf stabile Teilbe-     zifische Kommentare angebracht, so zu Taxono-

                                                                                                 13
mie, Gefährdung und der erfolgten Nachsuche        untergebracht, sondern in Form einheitlich zu
bei verschollenen Arten. Diese Informationen       gebrauchender Zusatzangaben in der eigentli-
stehen für die Plausibilitätsprüfung der vorge-    chen Roten Liste (vgl. Abschnitt 2.4).
nommenen Einstufungen zur Verfügung.
                                                   2.3. Die Gefährdungskategorien
Das Kriteriensystem wurde bei einer Auto-
renkonferenz im März 2018 vorgestellt und          Bei der Erarbeitung der Roten Listen wurde
erläutert. Die zugehörigen Rote Liste-Erfas-       die Verwendung einheitlicher Gefährdungs-
sungsbögen wurden bei Bedarf von Seiten der        kategorien angestrebt. Die Definitionen der
Fachbehörde vorbereitet, um den Umgang mit         Gefährdungskategorien entsprechen denen
dem für die Qualitätssicherung sehr wertvol-       des Bundesamtes für Naturschutz (luDWig et al.
len Werkzeug zu erleichtern bzw. dessen ord-       2009, 2006; Tabelle 3).
nungsgemäße Nutzung sicherzustellen. Die
technische wie fachliche Begleitung wurde          Wie bereits bei den Roten Listen 2011 liegt
vom TLUBN sichergestellt. Eine abschließende       der Neubearbeitung ein strikt vorgegebenes
Prüfung zum korrekten Umgang hat ebenfalls         methodisches Vorgehen zugrunde. Dessen
noch einmal eine intensive Auseinanderset-         Kern ist eine Bewertungsmatrix aus den Krite-
zung mit dem Kriteriensystem und den sich          rien „Aktuelle Bestandssituation“, „Langfristiger
von Artengruppe zu Artengruppe unterschei-         Bestandstrend“, „Kurzfristiger Bestandstrend“
denden Voraussetzungen für dessen Gebrauch         und „Risikofaktoren“. Mit ihrer Hilfe wird ein
mit sich gebracht. Letztlich ist damit erneut      Bewertungsvorschlag erstellt, der dann über
eine Verbesserung der Nachvollziehbarkeit          verschiedene Schritte geprüft und nach vorge-
und Objektivität der Gefährdungseinschät-          gebenen Regeln korrigiert wird (siehe luDWig et
zung erreicht worden.                              al. 2009, 2006).

2.2. Die einführenden Texte                        Für viele Arten war die Datenlage zur Ermitt-
                                                   lung der Parameter für die Bewertungsmatrix
Der kurze einführende Text zu jeder Roten Lis-     jedoch unzureichend. Insbesondere die daten-
te soll auch Nicht-Fachleuten die behandelte       basierte Herleitung der Bestandstrends (be-
Artengruppe näherbringen. Deshalb sind in          sonders des kurzfristigen) ist in manchen Fällen
der Regel Informationen zur Lebensweise der        nicht möglich gewesen. Es liegen zwar durch-
Gruppe vorangestellt. Diesen folgt eine Dar-       aus aktuelle Erfassungsdaten vor, aber metho-
stellung zum Artenbestand in Thüringen, zur        disch vergleichbar erhobene Daten fehlen. Die
vorhandenen Datengrundlage und zum taxo-           Kriterien zur Ermittlung der Gefährdung wur-
nomischen Bezugswerk für die Rote Liste. Wo        den dann per Expertenvotum empirisch fest-
aktuelle Artenlisten oder Landesbearbeitun-        gestellt. Dies erfolgte in der Regel auch auf Ba-
gen vorliegen, wurde auf taxonomische oder         sis von Analogieschlüssen zum Bestandstrend
faunistische Detaildarstellungen verzichtet.       bzw. zur Gefährdung der Lebensräume stenö-
Spezielle Gefährdungsursachen werden be-           ker Arten oder der speziellen Wirtspflanzen bei
nannt, wenn sie aus den Untersuchungen ab-         phytophagen Arten.
zuleiten sind.
                                                   Bei einigen Gruppen wie zum Beispiel den
Vertiefende Auswertungen und detaillierte          Schildläusen war auch dieses Vorgehen nicht
Analysen der Gefährdungsursachen müssen            praktikabel (bzw. hätte zum überwiegenden
separat vorgenommen werden; mit den Roten          Ergebnis „Daten zur Art defizitär“ geführt); hier
Listen ist eine wesentliche Basis dafür geschaf-   wurden die Einstufungen gemäß dem Sinn der
fen worden.                                        Definitionen der Gefährdungskategorien her-
                                                   geleitet.
Weitere gruppenspezifische Informationen zu
den behandelten Arten wurden nicht im Text

14
Tab. 3: Definition der Gefährdungskategorien
Symbol Kategorie           Definition
                          Arten, die im Bezugsraum verschwunden sind oder von denen keine wild
                          lebenden Populationen mehr bekannt sind. Die Populationen sind entweder
                          • nachweisbar ausgestorben, in aller Regel ausgerottet (Die bisherigen
                            Habitate bzw. Standorte sind so stark verändert, dass mit einem Wiederfund
         Ausgestorben
   0                        nicht mehr zu rechnen ist.) oder
         oder verschollen
                          • verschollen (Das heißt, dass aufgrund vergeblicher Nachsuche über einen
                            längeren Zeitraum der begründete Verdacht besteht, dass ihre Populatio-
                            nen erloschen sind. Konkretisierung für Thüringen: mindestens 10 Jahre bei
                            Wirbeltieren bzw. 20 Jahre bei den meisten anderen Artengruppen)
                        Arten, die so schwerwiegend bedroht sind, dass sie in absehbarer Zeit ausster-
         Vom Aussterben ben, wenn die Gefährdungsursachen fortbestehen. Ein Überleben im Be-
   1
         bedroht        zugsraum kann nur durch sofortige Beseitigung der Ursachen oder wirksame
                        Schutz- und Hilfsmaßnahmen für die Restbestände gesichert werden.

                           Arten, die erheblich zurückgegangen oder durch laufende bzw. absehbare
                           menschliche Einwirkungen erheblich bedroht sind. Wird die aktuelle Gefähr-
   2     Stark gefährdet
                           dung der Art nicht abgewendet, rückt sie voraussichtlich in die Kategorie
                           „Vom Aussterben bedroht“ auf.

                           Arten, die merklich zurückgegangen oder durch laufende bzw. absehbare
                           menschliche Einwirkungen bedroht sind. Wird die aktuelle Gefährdung der Art
   3     Gefährdet
                           nicht abgewendet, rückt sie voraussichtlich in die Kategorie „Stark gefährdet“
                           auf.

                           Extrem seltene bzw. sehr lokal vorkommende Arten, deren Bestände in der
                           Summe weder lang- noch kurzfristig abgenommen haben und die auch nicht
   R     Extrem selten
                           aktuell bedroht, aber gegenüber unvorhersehbaren Gefährdungen besonders
                           anfällig sind.

         Gefährdung        Arten, die gefährdet sind. Einzelne Untersuchungen lassen eine Gefährdung
   G     unbekannten       erkennen, aber die vorliegenden Informationen reichen für eine exakte Zuord-
         Ausmaßes          nung zu den Kategorien 1 bis 3 nicht aus.

Die konkrete Vorgehensweise ist jeweils im Ein-      tung von Prioritäten im Arten- und Biotop-
führungstext der Liste erläutert, ebenso wei-        schutz bieten.
tere Festlegungen – etwa der Zeitraum ohne
Nachweis, nach dem eine Art in die Kategorie         Kennzeichnung gesetzlich geschützter Ar-
„Ausgestorben oder verschollen“ einzustufen          ten, Pflanzengesellschaften und Biotope
ist. Bei den Listen der Pflanzengesellschaften
und Biotope sind die aus fachlichen Gründen          Der gesetzliche Schutz bestimmter Arten, Pflan-
etwas abweichenden Definitionen zu finden.           zengesellschaften und Biotope wird vermerkt,
                                                     weil die Ermittlung des jeweiligen Schutzstatus
2.4. Die Zusatzangaben                               aus anderen Quellen durch die komplizierte
                                                     Struktur des Artenschutzrechts aufwendig ist.
In der Spalte „Bemerkungen“ werden zusätzli-         Die Einträge stellen den Stand Oktober 2020
che Angaben gemacht, um den Informations-            dar. Als weitere Quelle zur Feststellung des ge-
gehalt der Roten Listen zu erweitern. Sie sollen     setzlichen Schutzstatus von vielen, aber nicht
vor allem eine zusätzliche Hilfe bei der Ablei-      allen Arten kann das wissenschaftliche Infor-

                                                                                                      15
mationssystem zum internationalen Arten-          handhabt werden. Es sollten nur solche Arten
schutz (www.wisia.de) genutzt werden.             gekennzeichnet werden, die tatsächlich oder
                                                  mit hoher Wahrscheinlichkeit genetische Be-
Außerdem wurden die in den Anhängen der           sonderheiten aufweisen oder aufgrund ihrer
EG-Vogelschutzrichtlinie (I) und der FFH-Richt-   isolierten Lage ein hohes Potenzial besitzen,
linie (II, IV, V) verzeichneten Arten gekenn-     solche auszubilden. Am ehesten ist dies für Ar-
zeichnet. Die Bedeutung der Abkürzungen ist       ten mit Vorkommen an typischen Reliktstand-
Tabelle 4 bzw. der vorderen Umschlagsseite zu     orten (Moore, Quellen und Quellbäche, Step-
entnehmen.                                        penrasen-Gebiete o. ä.) anzunehmen.

Besondere Verantwortlichkeit Thüringens           Als weltweit gefährdet sind Arten gekenn-
für die globale Erhaltung                         zeichnet, die in der IUCN Red List of Threatened
                                                  Species (http://www.redlist.org) als gefährdet
Durch entsprechende Angaben soll die Verant-      verzeichnet sind.
wortlichkeit Thüringens für die globale Erhal-
tung bestimmter Arten besonders hervorge-         Letzter Nachweis
hoben werden. Sie ergibt sich vor allem aus der
Größe und der biogeographischen Lage der          Bei ausgestorbenen oder verschollenen Arten
thüringischen Vorkommen (Kategorien siehe         (Kategorie 0) wurde in der Spalte „Bemerkun-
Tabelle 3), daneben auch aus der weltweiten       gen“ nach Möglichkeit das Jahr bzw. der Zeit-
Gefährdung der Art.                               raum des letzten Nachweises in Thüringen an-
                                                  gegeben. Bei Literaturangaben ohne konkretes
Die hervorgehobenen Arten sind außer wegen        Nachweisdatum ist gegebenenfalls das Jahr
ihrer Gefährdung auch wegen der Bedeutung         der letzten Meldung angegeben worden.
der Thüringer Vorkommen für ihre globale Er-
haltung in besonderem Maß zu schützen. Den        Außerdem wurden Neobiota (nach 1492 einge-
Angaben liegt meist das System von WestHus &      wanderte Neubürger unserer Flora und Fauna)
Fritzlar (2002) zugrunde. Die entsprechenden      in den Bemerkungen zu manchen Listen mit
Weiterentwicklungen bzw. bundesweit abge-         „N“ gekennzeichnet. Sie sind in die Listen auf-
stimmten Vorschläge (gruttke 2004, gruttke &      genommen worden, soweit es sich um fest
luDWig 2004) zur Ermittlung der Verantwort-       eingebürgerte Arten handelt, die bereits ein
lichkeit verlangen Informationen zur Gesamt-      mehr oder weniger deutliches Areal aufwiesen
situation in den jeweiligen Artarealen, die den   bzw. aufweisen (mehr als fünf eingebürgerte
meisten Autoren der Thüringer Listen nicht zur    Vorkommen) sowie einem Rückgang und einer
Verfügung stehen bzw. nicht mit zumutbarem        Gefährdung unterliegen. In vielen Listen wur-
Aufwand erhoben werden konnten. Arten, für        den Neobiota nicht bewertet.
deren weltweite Erhaltung Thüringen eine be-
sondere Verantwortung trägt, wurden nur für       In den Einführungstexten mancher Roten Listen
Artengruppen selektiert, zu denen eine ausrei-    finden sich weitere Informationen, beispiels-
chende (in der Regel das Gesamtareal umfas-       weise zu einstufungsrelevanten Risikofaktoren
sende) Informationsbasis vorliegt. Aufgrund       oder konkreten Gründen für Kategorieände-
dieser Einschränkungen konnten nur wenige         rungen bei Arten, Pflanzengesellschaften und
Gruppen bzw. nur wenige Arten dieser Gruppen      Biotopen, die durch Naturschutzmaßnahmen
aus diesem Blickwinkel bearbeitet werden. In      eine Bestandsstabilisierung oder -zunahme
Abweichung zu WestHus & Fritzlar (2002) sollte    erfahren oder die aufgrund des Klimawandels
aufgrund der Empfehlung von gruttke & luDWig      zu- oder abgenommen haben.
(2004) die Ausweisung von Arten mit hochgra-
dig isolierten Vorkommen noch restriktiver ge-

16
Tab. 4: Bedeutung der Abkürzungen und Zeichen in den Roten Listen Thüringens
  Abkürzung Bedeutung
                Gefährdung
       0        Ausgestorben oder verschollen
       1        Vom Aussterben bedroht
       2        Stark gefährdet
       3        Gefährdet
       R        Extrem selten
       G        Gefährdung unbekannten Ausmaßes

                Bemerkung
       §        Besonders geschützt nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 BNatSchG *
       §§       Streng geschützt nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 BNatSchG *
      EU        Art des Anhangs I der EG-Vogelschutzrichtlinie bzw. der Anhänge II, IV und V der FFH-
                Richtlinie*
      EU!       Prioritäre Art der FFH-Richtlinie*
       E        Endemit, d. h. in Thüringen endemische Art bzw. Sippe und Art bzw. Sippe, die außer in
                Thüringen nur in wenigen weiteren Gebieten vorkommt („subendemische Sippe“)
       K        Art mit sehr kleinem mitteleuropäischen Areal
        I       Art mit hochgradig isoliertem Vorkommen
       W        Weltweit gefährdete Art (nach IUCN Red List of Threatened Species:
                http://www.iucnredlist.org/)**
Hinweise:
* Die Angaben zum gesetzlichen Schutz entsprechen dem Stand Oktober 2020, können aber geändert
   werden oder in Einzelfällen fehlerhaft sein; im Zweifelsfall gelten die jeweils aktuellen Bestimmungen.
** Die Gefährdungsangabe nach IUCN Red List wird kontinuierlich aktualisiert. Die Kennzeichnung „W“
   umfasst auch Arten, deren Gefährdungsangabe aufgrund einer länger als zehn Jahre zurückliegenden
   Bewertung als „needs updating“ gekennzeichnet ist. Aufgenommen sind nur die nach globaler Bewer-
   tung („global assessment“) der Bestände gefährdeten Arten. Sofern nicht anders angegeben, bezieht sich
   die Gefährdung auf Version 2020-3 der IUCN-Liste.

In einzelnen Listen werden weitere Zusatzangaben gemacht bzw. weitere Abkürzungen verwendet; die
Erklärungen zu diesen Abkürzungen erfolgt am Ende der jeweiligen Liste.

                                                                                                             17
3. Überblick über die Gefährdung und ihre Ursachen

3.1 Die Gefährdungssituation und ihre Ver-          Für die vorliegenden Roten Listen wurden
änderung in den letzten zehn Jahren                 16.972 in Thüringen vorkommende Taxa aus 44
                                                    Gruppen betrachtet. Davon wurden insgesamt
Einen Überblick über die Gefährdungssituation       16.023 Arten hinsichtlich ihrer Gefährdung
aller berücksichtigten Artengruppen, Pflanzen-      untersucht. Danach sind 6.383 (= 39,8 %) der
gesellschaften und Biotoptypen bietet Tabelle 5.    bewerteten Arten in unterschiedlichem Maße
                                                    in den Gefährdungskategorien der Roten Liste
                                                    eingestuft. Hiervon sind 1.104 Arten (= 6,9 %) in
                                                    Thüringen ausgestorben oder verschollen.

Tab. 5: Bestandszahlen und Gefährdung von Artengruppen, Pflanzengesellschaften
        und Biotoptypen in Thüringen

                                 Anzahl                     Gefährdung nach Roter Liste
                         Anzahl
                                bewertet                          Absolute Anzahl
                         gesamt
                                (= 100 %)                           Anteil in %
                                             0       1          2       3       R         G     0–G
Arten                    16.489   16.023    1.104   1.157     1.423    1.601   638        458   6.383
                                             6,9     7,2       8,9      10,0   4,0        2,9    39,8
                                             32      33         33      34      13         5    150
- Wirbeltiere             352      317
                                            10,1    10,4       10,4    10,7     4,1       1,6   47,3
                                            677     637        634     737     217        109   3.013
- Wirbellose Tiere       6.716    6.562
                                            10,3    9,7        9,7     11,2    3,3        1,7    45,9
                                            239     284        533     593     256              1.905
- Pflanzen               4.128    4.015                                                   −
                                            6,0     7,1        13,3    14,8    6,4               47,4
- Pilze (inkl. phytop.                      156     203        223     237     152        344   1.315
                         5.293    5.129
Kleinpilze)                                 3,0     4,0        4,3     4,6     3,0        6,7   25,6
Pflanzengesell-           755      750        6      57        115     114      20        10    322
schaften                                     0,8     7,6       15,3    15,2     2,7       1,3   42,9
Biotoptypen               205      199        4      20         28      25       3               80
                                                                                          −
                                             2,0    10,1       14,1    12,6     1,5             40,2
alle Gruppen             17.442   16.972    1.114   1.234      1.566   1.740   661        468   6.785
                                             6,6     7,3        9,2     10,3   3,9        2,8   40,0

18
Tab. 6: Bearbeitete Artengruppen, ihre Artenzahl und der Anteil gefährdeter Arten
        in Thüringen
Artengruppe                     Arten   Arten                    Gefährdete Arten
                               gesamt bewertet                    Absolute Anzahl
                                      (= 100 %)                      Anteil in %
                                                    0      1      2      3        R     G     0–G
Säugetiere (Mammalia pt.)         55     47         3      6      5      5        −     2      21
ohne Fledermäuse                                   6,4   12,8   10,6 10,6              4,3    45,0
Fledermäuse                       21     21         1      3      9      4        1     1      19
(Mammalia: Chiroptera)                             4,8   14,3   42,9 19,0        4,8   4,8    90,5
Brutvögel                        205     183       20     13     11     16       12     −      72
(Aves)                                            10,9    7,1    6,0    8,7      6,6          39,3
Kriechtiere                       6       6         −      1      1      3        −     −       5
(Reptilia)                                               16,7   16,7 50,0                     83,3
Lurche                            19     19        −       4      4      5        −     −      13
(Amphibia)                                               21,1   21,1 26,3                     68,4
Fische und Rundmäuler             46     41         8      6      3      1        -     2      20
(Pisces et Cyclostomata)                          19,5   14,6    7,3    2,4            4,9    48,8
Schnecken und Muscheln           216     193       12     26     17     30       14     -      99
(Mollusca)                                        6,2    13,5   8,8    15,5      7,3          51,3
Asseln                            31     28         -      1      3      -        -     3       7
(Isopoda)                                                 3,6   10,7                   10,7   25,0
Libellen                          66     63        1       5      6      6        5     -      23
(Odonata)                                         1,6     7,9    9,5    9,5      7,9          36,5
Wildschaben                       8       4        -       −      −      1        1     −       2
(Blattoptera)                                                          25,0 25,0              50,0
Heuschrecken                      58     57         2      1      5      6        4     −      18
(Orthoptera)                                      3,5     1,8    8,8   10,5      7,0          31,6
Ohrwürmer                         6       6         1      1      1      −        −     −       3
(Dermaptera)                                      16,7   16,7   16,7                          50,0
Zikaden                          489     478       13     43     48     67        1    16     188
(Hemiptera: Auchenorrhyncha)                      2,7    9,0    10,0 14,0        0,2   3,3    39,3
Wildlebende Schildläuse           57     36        −       −      −      2        4     −       6
(Coccina)                                                              5,6      11,1          16,7
Wanzen                           686     671       57     52     43     66       46     5     271
(Heteroptera)                                      8,5    7,7    6,4    9,8      6,9   0,7    40,1
Laufkäfer                        411     411       42     54     53     53        8     −     210
(Coleoptera: Carabidae)                           10,2   13,1   12,9 12,9        1,9          51,1
Wasserkäfer                      257     257       31     17     18     28       11     −     105
(aquatische Coleoptera)                           12,1   6,6     7,0   10,9      4,3          40,9
Buntkäfer, Malachitkäfer etc.      65    64         6      3      4      4        5     2      24
(Coleoptera: Lymexyloidea et                      9,4    4,7    6,3    6,3      7,8    3,1    37,5
Cleroidea)
Schnellkäfer, Weichkäfer etc.     224    224       25    15      8      11     13       −      72
(Coleoptera: Elateroidea et Dero-                 11,2   6,7    3,6     4,9    5,8            32,1
dontoidea)
Aaskäfer, Nestkäfer etc.          401    387       65    35     22      36     29       9     196
(Coleoptera: Silphidae, Tenebrio-                 16,8   9,0    5,7     9,3    7,5     2,3    50,6
nidae etc.)

                                                                                                 19
Artengruppe                     Arten   Arten                    Gefährdete Arten
                               gesamt bewertet                    Absolute Anzahl
                                      (= 100 %)                      Anteil in %
                                                   0       1      2     3        R     G     0–G
Prachtkäfer                      70      68        13      9     10      9       −     1      42
(Coleoptera: Buprestidae)                         19,1   13,2   14,7 13,2             1,5    61,8
Bockkäfer                       159      148       26      9      7     26        9    2      79
(Coleoptera: Cerambycidae)                        17,6    6,1    4,7   17,6     6,1   1,4    53,5
Blattkäfer                      408      407       45     40     62     71       1     −     219
(Coleoptera: Chrysomelidae)                       11,1   9,8    15,2 17,4       0,2          53,8
Rüsselkäfer                     832      826      134     48     45     60       46    30    363
(Coleoptera: Curculionoidea)                      16,1   5,8    5,4    7,2      5,5   3,6    43,7
Keulhornblatt-, Holz- und        30      30        5       3      3     −        −     11     22
Schwertwespen                                     16,7   10,0   10,0                  36,7   73,3
(Hymenoptera: Cimbicidae,
Siricidae, Xiphydriidae)
Bienen                          416      416       43     72     61     56      7      −     239
(Hymenoptera: Apidae)                             10,3   17,3   14,7   13,5    1,7           57,5
Grabwespen                      196      194      22     39     50      10     −       5     126
(Hymenoptera: Ampulicidae,
Sphecidae, Crabronidae)                           11,3   20,1   25,8   5,2            2,6    64,9
Ameisen                          84      83         5      6     11     14      1       2     39
(Hymenoptera: Formicidae)                          6,0    7,2   13,3   16,9    1,2     2,4   47,0
Köcherfliegen                   208      208        9     24     26     23      4      22    108
(Trichoptera)                                      4,3   11,5   12,5   11,1    1,9    10,6   51,9
Tagfalter                       133      129       14     22     10     15      1       −     62
(Lepidoptera: Papilionoidea)                      10,9   17,1    7,8   11,6    0,8           48,1
Widderchen                       18      18         1      2      3     5       −      −      11
(Lepidoptera: Zygaenidae)                         5,6    11,1   16,7   27,8                  61,1
Spinner und Schwärmer           143      142       14     12     12     18      1      1      58
(Lepidoptera: Hepialidae,                         9,9     8,5    8,5   12,7    0,7    0,7    40,9
Limacodidae, Cossidae etc.)
Eulenfalter                     423      402       46     44     51     43      2      −     186
(Lepidoptera: Noctuidae,                          11,4   10,9   12,7   10,7    0,5           46,3
Pantheidae, Nolidae)
Spanner                         353      344       28     33     25     25      4      −     115
(Lepidoptera: Geometridae)                        8,1    9,6     7,3    7,3    1,2           33,4
Langbeinfliegen                 268      268       17     21     30     52      −      −     120
(Diptera: Dolichopodidae)                         6,3    7,8    11,2   19,4                  44,8
Farn- und Blütenpflanzen        2.100   1.994     101    136    287    231     55      −     810
(Pteridophyta et Spermatophyta)                   5,1    6,8    14,4   11,6    2,8           40,6
Moose                            820     814       42     44     92    129     69     11     387
(Bryophyta)                                       5,2    5,4    11,3   15,8    8,5    1,4    47,5
Armleuchteralgen                 18      18        1      1       8      5      1      −      16
(Charophyceae)                                    5,6    5,6    44,4   27,8    5,6           88,9
Süßwasser-Rotalgen               21      21        1      2       2     10      3      −      18
(Rhodophyceae)                                    4,8    9,5    9,5    47,6   14,3           85,7

20
Artengruppe                     Arten   Arten                     Gefährdete Arten
                               gesamt bewertet                     Absolute Anzahl
                                      (= 100 %)                      Anteil in %
                                                    0      1      2      3       R      G     0–G
Flechten                       1.169    1.168       94    101    144    218     127    17     701
(Lichenes)                                         8,0    8,6    12,3 18,7 10,9        1,5    60,0
Pilze                          4.403    4.273       20    153    172    180     137    328    990
(Fungi)                                            0,5    3,6    4,0    4,2     3,2    7,7    23,2
phytoparasitische Kleinpilze    890      856       136     50     51     57      15    16     325
(Ustilaginomycetes, …,                             15,9   5,8    6,0    6,7     1,8    1,9    38,0
Albuginaceae)
Arten gesamt 2021              16.489   16.023     1.104 1.157 1.423 1.601     638    458    6.383
                                                    6,9   7,2   8,9  10,0      4,0    2,9    39,8

Arten gesamt 2011 [ %]         16.981   16.814      6,7   7,2    9,1    10,3    6,5    1,0    40,8

Aus der vorliegenden Bewertung lassen sich          hinsichtlich ihrer Standortqualitäten extrem
Gefährdungsschwerpunkte für taxonomi-               verändert wurden. Einige Arten sind selbst in
sche Gruppen ableiten. Durch einen weit über        ihren Sekundärlebensräumen gefährdet, etwa
dem Durchschnitt liegenden Anteil gefährde-         die Lurche an Abbaustellen. Mehrfach aufge-
ter Vertreter zeichnen sich u. a. die Süßwasser-    führt wurden u. a. auch Quellbiotope (Moo-
Rotalgen, die Armleuchteralgen, die Lurche,         se) und Arten der Äcker, die durch moderne
die Kriechtiere, die Fledermäuse und eine           Bewirtschaftungsmethoden immer mehr zu-
Hautflüglergruppe (Keulhornblatt-, Holz- und        rückgedrängt werden (Feldhamster, Blattkäfer,
Schwertwespen) aus.                                 Moose, Farn- und Blütenpflanzen).

In vielen Roten Listen werden auch Gefähr-          Besiedler nährstoffarmer Lebensräume sind
dungsschwerpunkte für ökologische Grup-             von den großräumigen Nähr- und Schadstof-
pen genannt. Hiervon sollen nur die aufgeführt      feinträgen (vgl. UBA o. J.) besonders betroffen.
werden, die für mehrere Artengruppen Bedeu-         Hierzu zählen epiphytisch wachsende Pflanzen
tung haben. Gefährdet sind besonders Arten,         (Flechten- und Moosarten), bestimmte Schne-
die an Lebensräume mit extremen Standort-           ckenarten, aber auch Mykorrhizapilze und My-
bedingungen gebunden sind, z. B. sehr tro-          korrhiza-abhängige Arten der Farn- und Blü-
ckene, nasse oder nährstoffarme Biotope. Es         tenpflanzen (z. B. Orchideen-, Wintergrün- und
ist besorgniserregend, dass hier sehr oft Arten     Bärlappgewächse).
trockener Magerrasen hervorgehoben wurden,
obwohl Thüringen aus bundesweiter Sicht für         Zu den gefährdeten Arten zählen oft Pflanzen
diese einen Verbreitungsschwerpunkt darstellt       und Tiere, die die Übergangsbereiche (Ökoto-
und für ihren Schutz eine besondere Verant-         ne) zwischen unterschiedlichen Lebensräu-
wortung trägt. Auch Arten anderer Lebens-           men besiedeln. Die Schärfe der Abgrenzung
räume, die in Thüringen jedoch schon immer          zwischen Flächen mit Intensivnutzung und
etwas seltener waren, werden aufgeführt, z. B.      Flächen mit sehr geringer oder zeitweise feh-
Bewohner von Mooren, Binnensalzstellen oder         lender Nutzung hat zugenommen. Breite Über-
von Sandlebensräumen (Blattkäfer, Moose).           gangsbereiche, die für die bäuerliche Kultur-
Immer wieder werden Bewohner von Auen-              landschaft bezeichnend waren, sind zum Teil
biotopen als besonders gefährdet hervorgeho-        viel stärker gefährdet als die Biotope, die durch
ben, da fast alle thüringischen Auen mit ihren      sie verbunden werden.
Flüssen durch den Menschen strukturell und

                                                                                                  21
Etliche Arten sind auch auf besondere Biotop-                            Totholzbewohner sind besonders hervorzu-
strukturen angewiesen. Teilweise sind ganze                              heben, da sie in verschiedenen Artengruppen
spezialisierte Artengruppen ausgestorben, so                             einen hohen Anteil der gefährdeten Arten bil-
z. B. sämtliche Arten der Mittelwälder unter                             den (Großpilze, verschiedene Käfergruppen,
den Tagfaltern (tHust et al. 2001). Keine dieser                         Holzwespen).
Arten konnte wiedergefunden werden. Auch

 Abb. 1: Verteilung der untersuchten Wirbeltiere, wirbellosen Tiere, Pflanzen, Pilze, Pflanzengesellschaften und Biotoptypen auf die Gefähr-
 dungskategorien 0 bis „Ungefährdet“ (inklusive Taxa der Vorwarnliste und aufgrund von Datenmangel nicht weiter bewerteter Taxa).

 Abb. 2: Verteilung der Arten ausgewählter Gruppen auf die Gefährdungskategorien 0 bis „Ungefährdet“ (inklusive Taxa der Vorwarnliste und
 aufgrund von Datenmangel nicht weiter bewerteter Taxa).

22
Vergleicht man die Anteile gefährdeter Arten                           hin. Noch dazu liegt diese Ab- oder Zunahme
(Kategorien 0 bis G) im Jahr 2011 (TLUG 2011)                          in den meisten Gruppen unter 5 %. Trotz der
mit denen in den vorliegenden Listen, so zeich-                        möglichst konsequenten Anwendung der
nen sich nur teilweise Änderungen ab, die über                         vorgegebenen Bewertungsmethodik spielen
zufällige Schwankungen hinaus interpretierbar                          Umstufungen aufgrund subjektiver Betrach-
sind (Tabelle 6, Abb. 3). Meist liegt der Anteil der                   tungen (v. a. bei Wechsel des Bearbeiters) also
gefährdeten Arten nur geringfügig über oder                            eine gewisse Rolle.
unter den Angaben des Sammelbandes aus
2011 (Abb. 3). Vorherige starke Änderungen                             Betrachtet man einzelne Arten oder aber Ge-
wie zwischen 2001 und 2011 waren vorwie-                               biete, sind einige positive Entwicklungen aus-
gend in der veränderten Bewertungsmethodik                             zumachen; dem gegenüber steht aber meist
begründet. Dieser Faktor fällt nun weg, sodass                         eine vergleichbare Anzahl an Arten, die nach
wahrscheinlich auch deswegen die Verände-                              wie vor oder sogar noch stärker gefährdet sind.
rungen geringfügiger ausfallen.
                                                                       Der Anteil der als „verschollenen“ oder „ausge-
Der Anteil der gefährdeten Arten hat bei                               storben“ geltenden Arten ist zum Beispiel bei
zwölf Gruppen zugenommen, während er bei                               den Artengruppen der Fische, Ameisen, Was-
19 Gruppen abgenommen hat. Diese Anzahl                                serkäfer oder Holzwespen gestiegen. Auffällig
deutet nicht auf einen übergeordneten Trend                            und positiv sind allerdings die Erhöhung der

 Abb. 3: Anteil gefährdeter Arten in ausgewählten Gruppen 2001, 2011 und 2021.

                                                                                                                   23
Anzahl der bewerteten Arten sowie Wieder-         Auswirkung des Gefährdungskomplexes auf
funde ehemals verschollener Arten. Ohne diese     die bearbeitete Gruppe:
wäre die Anzahl der Arten, die in Kategorie 0        4      sehr groß
geführt werden, noch stärker gewachsen.              3      groß
                                                     2      mäßig
Auch in den letzten Jahren haben sich Verän-         1      gering
derungen in der Natur vollzogen, die im Aus-         0      kaum vorhanden oder fehlend
sterben von Arten, in einer Zunahme der Ge-       Zudem war die Bewertung „nicht zu beurteilen
fährdung, aber auch in einem Rückgang der         / nicht relevant“ möglich.
Bestandsbedrohung zum Ausdruck kommen.
Eine zusammenfassende Analyse der Bedeu-          Der Trend der Auswirkungen des Gefährdungs-
tung einzelner Gefährdungsfaktoren und ihrer      komplexes in den letzten zehn Jahren wurde
Auswirkungen ist bei der Vielzahl der bearbei-    ebenfalls in einer fünfstufigen Skala eingeschätzt:
teten Gruppen schwierig. Maßnahmen, die be-          2      deutlich verringert
stimmte Arten fördern, können für andere Ar-         1      verringert
ten eine Gefährdung nach sich ziehen.                0      kaum verändert
                                                    -1      erhöht
Etliche Arten verdanken ihre frühere Verbrei-       -2      deutlich erhöht
tung historischen Landnutzungsformen bis          Auch hier war die Bewertung „nicht zu beurtei-
hin zu starken Nutzungseingriffen in den Na-      len / nicht relevant“ möglich.
turhaushalt (wie Übernutzung von Wäldern
und Weiden bis hin zur Bodenerosion), die aus     Um einen Vergleich mit den Erhebungen vor
heutiger Betrachtung nicht nachhaltig sind.       zehn Jahren zu ermöglichen (Fritzlar & WestHus
Gefährdungsursachen wie Hochwasserschutz          2011), hat man sich weitgehend an die damalige
und Verkehrssicherung stehen mit dem Sicher-      Methodik angelehnt. Da innerhalb einer Gruppe
heitsbedürfnis des Menschen im Zusammen-          einzelne Arten ganz unterschiedlich reagieren
hang. Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen          können (z. B. südlich verbreitete und arktisch-
muss stärker auf Belange des Artenschutzes        alpine Arten auf den Klimawandel), war eine Ver-
Rücksicht genommen werden. So wie die ge-         allgemeinerung erforderlich. Trotzdem erlaubt
setzlich geschützten Arten, müssen auch die       die Zusammenschau der Ergebnisse Aussagen
hochgefährdeten Arten beachtet werden.            zur Wirkung der einzelnen Gefährdungskomple-
                                                  xe auf die Artenvielfalt. Bei der Interpretation ist
3.2 Die Gefährdungsursachen und ihre Ver-         zu beachten, dass es sich um eine Zusammenfas-
änderung in den letzten zehn Jahren               sung der Einschätzungen über alle bewerteten
                                                  Gruppen handelt. Für eine einzelne Artengruppe
Um die Auswirkungen von Gefährdungsur-            kann ein mit durchschnittlich geringer Wirkung
sachen auf die gesamte Artenvielfalt besser       eingeschätzter Gefährdungskomplex durchaus
beurteilen zu können, wurden alle Autoren der     sehr große Auswirkungen haben. So wurde über
Roten Listen gebeten, diese für die von ihnen     alle bewerteten Gruppen der „Aufgabe der fisch-
bearbeitete Artengruppe einzuschätzen. Dabei      wirtschaftlichen Nutzung“ nur geringe bis mäßi-
sollten zum einen die Auswirkung insgesamt,       ge Auswirkung beigemessen, während diese bei
zum anderen der Trend in den letzten zehn         den Armleuchteralgen als „sehr groß“ bewertet
Jahren beurteilt werden. Die zahlreichen ein-     wurde. Armleuchteralgen sind auf eine extensive
zelnen Gefährdungsursachen wurden zu die-         Teichnutzung angewiesen, weil hierdurch immer
sem Zweck zu zwölf Gefährdungskomplexen           wieder die für diese Arten günstigen konkur-
zusammengefasst. Die Auswirkungen des je-         renzarmen Wuchsorte entstehen.
weiligen Gefährdungskomplexes wurden dann
von den Bearbeitern auf einer fünfstufigen Ska-   Die Autorinnen und Autoren von 25 Roten Lis-
la eingeschätzt.                                  ten haben die Bewertung vorgenommen. Eine
                                                  Übersicht zu den Ergebnissen bietet Tabelle 7.

24
Tab. 7: Auswirkung von Gefährdungskomplexen auf die bearbeiteten Artengruppen und
        der Trend in den letzten zehn Jahren (in Klammern Mittelwerte)

Gefährdungskomplex                                                   Auswirkungen                   Trend
                                                                     Ausmaß         Rang-      Stärke        Rang-
                                                                                    folge                    folge
Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung (Entwässe-
rung, Grünlandumbruch, Einsaat, Flurbereinigung mit Beseiti-
gung von Klein- und Saumstrukturen, Intensivweide u. -mahd,        sehr groß−groß               erhöht
                                                                                      1                        2
Tiefpflügen von Äckern, Saatgutreinigung, Einengung des                  (3,5)                   (-0,8)
Nutzpflanzenspektrums, hoher Biozid- und Düngemitteleinsatz)

Nähr- und Schadstoffeinträge in Stand- und Fließgewässer                                    erhöht−kaum
und allen terrestrischen Lebensräume                                groß−mäßig
                                                                                      2       verändert        3
                                                                        (2,7)
                                                                                                (-0,7)
Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung (Brachfallen, (Ge-                                 erhöht−kaum
hölz-)Sukzession, zu geringe Nutzungsintensität, fehlende oder      groß−mäßig
                                                                                      3       verändert        5
falsch angewandte Landschaftspflegeprogramme)                           (2,4)
                                                                                                (-0,6)
Direkte Zerstörung von Lebensräumen (Bebauung, Abbau
und Abgrabung, Überschüttung, Versiegelung, wasserbauliche                                  erhöht−kaum
                                                                    groß−mäßig
Maßnahmen, Zerschneidung der Landschaft durch Verkehrs-,                              4       verändert        4
                                                                        (2,4)
                                                                                                (-0,6)
Siedlungs- und Industriebauten, Dorf- und Gebäudesanierung)
Aufgabe historischer Waldnutzungsformen (Nieder-, Mittel-                                   erhöht−kaum
und Hudewälder), Ausdunklung der Wälder, Aufgabe Kahlschlag-        groß−mäßig
                                                                                      5       verändert       10
wirtschaft                                                              (2,3)
                                                                                                (-0,3)
Klimawandel (bei feststellbaren Auswirkungen wie Vorkom-               mäßig                    erhöht
mensverlust und Habitatbeeinträchtigung)                                              6                        1
                                                                        (2,1)                    (-0,9)
Intensivierung der forstwirtschaftlichen Nutzung (Entwässe-
rung, verstärkter Holzeinschlag, verkürzte Nutzungszeiten, Defi-                            erhöht−kaum
                                                                       mäßig
zite an Alt- und Totholz, hoher Biozideinsatz, Düngung, Kalkung,                      7       verändert        7
                                                                        (2,0)
                                                                                                (-0,4)
Erstaufforstung waldfreier Flächen)
Intensivierung der fischwirtschaftlichen Nutzung von Stand-                                 erhöht−kaum
und Fließgewässern (erhöhter Fischbesatz, Düngung, starke          mäßig−gering
                                                                                      8       verändert        9
Zufütterung, Teichausbau)                                              (1,7)
                                                                                                (-0,3)
Invasive und andere problematische Arten (z. B. illegaler Fisch-                            erhöht−kaum
besatz, Verbiss durch zu hohe Wilddichte)                          mäßig−gering
                                                                                      9       verändert        6
                                                                       (1,5)
                                                                                                (-0,5)
Aufgabe der teichwirtschaftlichen Nutzung (fehlendes perio-
                                                                   mäßig−gering             kaum verändert
disches Ablassen, fehlende Bespannung, starke Verlandung)                            10                       11
                                                                       (1,3)                    (-0,2)

Auswirkungen von Sport- und Freizeitaktivitäten (Betreten,                                  erhöht−kaum
Befahren, Klettern, Wellenschlag, Störungen)                       mäßig−gering
                                                                                     11       verändert        8
                                                                       (1,3)
                                                                                                (-0,3)
Entnahme und Beseitigung von Arten                                 gering−kaum
(Sammeln, Ausgraben, Bekämpfung)                                                            kaum verändert
                                                                    vorhanden        12                       12
                                                                                                (+0,2)
                                                                        (0,7)

Bedeutung der Zahlenwerte siehe Text
Hinweis: Bei der Ermittlung des Trends ist zu betonen, dass es sich um ein Maß der Verbesserung oder
Verschlechterung handelt, welches aus den aktuellen Angaben der Autoren errechnet wurde. Keinesfalls
darf die Maßzahl der Trendstärke (z. B. -0,8) so aufgefasst werden, dass dies die Änderung der aktuellen
Auswirkungs-Maßzahl (z. B. 3,5) im Vergleich zur Liste von 2011 (3,1) darstellt.

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Intensivierung der landwirtschaftlichen                Kontaktzonen sich besonders auf wirtswech-
Nutzung                                                selnde Rostpilze negativ auswirkt.

Hinsichtlich der Auswirkungen der Gefähr-              Der Einsatz von Bioziden wuchs in Deutsch-
dungskomplexe auf die bearbeiteten Gruppen             land bis zum Jahr 2017. Durch Herbizideinsatz,
ergibt sich eine schon aus anderen Untersu-            aber auch durch weitere Faktoren, hat ein gro-
chungen bekannte Reihenfolge: Die insgesamt            ßer Teil der Ackerwildkräuter einen stark rück-
größte negative Auswirkung wurde wiederum              läufigen kurzfristigen Trend und viele Arten
der Intensivierung der landwirtschaftlichen            mussten neu in die Rote Liste aufgenommen
Nutzung beigemessen. Nach Auffassung der               werden (korscH & WestHus 2021). Der verstärk-
Autoren hat sich der Trend bei diesem Ge-              te Einsatz von Glyphosat und die bereits seit
fährdungskomplex in den letzten zehn Jahren            langer Zeit stattfindende Ausdünnung der
deutlich verstärkt. Intensiv genutzte Agrarräu-        Samenbank durch intensive Herbizidbehand-
me bieten immer weniger Arten Lebensraum.              lung der Felder einschließlich ihrer Ränder hat
Beim Ackerbau verschlechtern große Schläge,            zur Folge, dass die Artenausstattung dieser
enge ertragsoptimierte Pflanz- und Saatab-             Flächen immer spärlicher und uniformer wird,
stände und der zunehmende Anbau von Pflan-             was sich auch auf phytophage Käfer auswirkt.
zen zur Gewinnung von Bioenergie, verbunden            Die Anwendung von Glyphosat im Grünland-
mit einer Einengung der Fruchtfolge, die Le-           bereich führt wahrscheinlich dazu, dass auch
bensbedingungen z. B. für Feldhamster, Feld-           häufige Arten wie Kleiner Halsbock Pseudo-
spitzmaus, Maulwurf und Igel oder auch für             vadonia livida oder Schwarzhörniger Flecken-
bestimmte phytophage Insektenarten.                    bock Brachyta interrogationis vom Rückgang
                                                       betroffen sind. Der Bestandstrend dieser auf
Der Grünlandverlust hat sich seit 2010 fortge-         kräuterreiche Wiesen und Säume angewiese-
setzt (vgl. HocHBerg et al. 2013). Dementspre-         nen Bockkäfer-Arten ist in den letzten Jahren
chend wurde die Situation bei Wiesenvögeln             stark rückläufig (Weigel 2021). Als hoch bedeut-
wie Kiebitz und Braunkehlchen als besonders            sam wird der Biozideinsatz (neben Insektiziden
kritisch bewertet (JaeHne et al. 2021). Die Intensi-   auch Herbizide!) bei Blattkäfern bewertet, da er
vierung der Grünlandnutzung ist beispielswei-          sich direkt gegen Blattkäfer (Kartoffelkäfer in
se weiterhin für den dramatischen Rückgang             Kartoffelkulturen; Kohlerdflöhe, Glanzkäfer und
der Wiesenpilze verantwortlich, insbesondere           Weißlinge in Kohlkulturen) und gegen deren
bei Arten des mesophilen Grünlandes, die auf           Wirtspflanzen (Ackerwildkräuter) wendet. Dies
eine extensive Bewirtschaftung angewiesen              hat direkte Relevanz, weil in Gemeinschaft mit
sind (gminDer 2021). Für eine Reihe von Blüten-        den „schädlichen“ Arten auch hochgefährdete
pflanzen wirkt sich der vielfach stattfindende         Arten leben.
Nutzungswandel von gemähten Wiesen hin
zu Rinderweiden negativ aus (korscH & WestHus          Ein spezifisch auf phytoparasitische Pilze wir-
2021). Auch bei Quellmooren spielt nach eck-           kender Gefährdungsfaktor ist der Einsatz von
stein (2021) die zunehmende Beweidung (statt           Fungiziden (tHiel & scHmiDt 2021). Einige Aus-
der schonenderen Mahd) für die Gefährdung              wirkungen des Einsatzes von Düngemitteln,
von Moosen eine Rolle. Für Zikaden stellt              der sich auf hohem Niveau bewegt, werden
dagegen die immer häufiger durchgeführte               weiter unten erläutert.
und technisch perfekter werdende Mahd mit
immer größeren Maschinen eine bedeutende               Agrarumweltmaßnahmen (KULAP) sind ein
Gefährdungsursache dar (nickel 2021).                  wichtiges Instrument, um negative Entwicklun-
                                                       gen in der Agrarlandschaft aufzuhalten. Da die-
Die nachteiligen Wirkungen der Flurbereini-            se Maßnahmen vor allem auf noch vergleichs-
gung sind schon mehrfach beschrieben wor-              weise ertragreichen Standorten durchgeführt
den. tHiel & scHmiDt (2021) heben hervor, dass         werden, stabilisieren sie die Vorkommen oder
eine Reduktion von Biotopkomplexen und                 verzögern den Rückgang seltener bis mäßig

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