Die schwierige Normalisierung der Beziehungen arabischer Staaten mit Bashar al-Assad
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NR. 1 OKTOBER 2020 Einleitung Die schwierige Normalisierung der Beziehungen arabischer Staaten mit Bashar al-Assad Aus internationalen Fachzeitschriften, Think-Tank-Publikationen und arabischen Nachrichtenmedien 2019–2020 Sarah Ch. Henkel Während der syrische Bürgerkrieg zugunsten des Regimes von Präsident Bashar al-Assad entschieden scheint, haben der Prozess und die Debatte über die Normalisierung der Beziehungen arabischer Länder mit Syrien und dessen mögliche Wiedereingliederung in die Arabische Liga (AL) bereits begonnen. Eine Rückkehr zur diplomatischen Norma- lität würde die Legitimität des syrischen Regimes stärken. Dies würde dem Bestreben Deutschlands und der Europäischen Union (EU) entgegenwirken, die gemeinsam mit den USA das syrische Regime mittels Sanktionen und Isolation zur Verhandlung einer politischen Lösung des Konfliktes bewegen wollen. Neben der Diskussion über die fragliche Rückkehr Syriens in die AL besprechen die hier vorgestellten Beiträge die Beweggründe arabischer Länder, ihre Beziehungen mit Damaskus zu normalisieren, sowie den Einfluss externer Akteure und der Corona-Pandemie auf diesen Prozess. Über den von Russland und dem Iran her- punkt des Bürgerkriegs völlig isoliert – beigeführten militärischen Sieg des Assad- auch nicht nach seinem Ausschluss aus Regimes hinaus ist dessen Legitimierung, der AL im November 2011. Die Maghreb- besonders durch die arabische Welt, wesent- Staaten, der Irak und der Oman beispiels- lich, um seine Autorität zu festigen und weise verhielten sich der syrischen Regie- das Land wieder aufzubauen. Die Debatte rung gegenüber eher neutral. Darüber rund um die Wiederannäherung arabischer hinaus signalisierte die Intervention Russ- Staaten an Damaskus ist kontrovers. Einer- lands bereits 2015 den Fortbestand der seits unterstützte die Mehrheit der Länder Regierung Assad. Seitdem wird die Diskus- zu Beginn des Bürgerkriegs die Gegner sion über die Normalisierung der Bezie- Assads. Zudem hat dessen kompromissloser hungen arabischer Länder zum Assad- Krieg die Nachbarn massiv destabilisiert, Regime durch verschiedene Ereignisse be- vor allem Jordanien und den Libanon. schleunigt: erstens die Wiedereröffnung der Andererseits war Syrien zu keinem Zeit- Botschaften der Vereinigten Arabischen
Emirate (VAE) und Bahrains in Damaskus Wiederaufnahme bilateraler Beziehungen im Dezember 2018, zweitens die von Tune- als auch die Rückkehr Syriens in die AL. sien, Algerien und vermutlich Ägypten Auch die Beziehungen zum Nachbarn vorangetriebene, jedoch fehlgeschlagene Jordanien verbesserten sich stetig. Saudi- Wiederaufnahme Syriens in die AL im März Arabien und Ägypten hingegen verwiesen 2019, drittens die Wiedereinsetzung des auf die Notwendigkeit einer politischen omanischen Botschafters in Damaskus am Lösung des Bürgerkriegs und nur Katar 4. Oktober 2020. lehne eine Normalisierung der Beziehun- Diese Zeitschriftenschau widmet sich gen mit Damaskus kategorisch ab. dieser Diskussion mit besonderem Fokus Imad K. Harb, Leiter des Arab Center auf Jordanien und den Libanon, die keine Washington DC, einer mit dem Arab Center for Konfliktparteien, aber stark vom syrischen Research and Policy Studies in Doha affiliierten Bürgerkrieg betroffen sind. Daneben Forschungseinrichtung, schreibt, ironischer- beleuchtet sie jene Staaten, die durch ihr weise seien es die Meinungsverschieden- reges Engagement und ihre deutliche Posi- heiten zwischen den arabischen Ländern, tionierung zur Normalisierung der Bezie- die sie vor dem törichten Fehler bewahrten, hungen eine Meinungsführerrolle ein- Syrien vorschnell wieder in die AL aufzu- genommen haben: die VAE und Ägypten. nehmen. Die arabische Welt müsse ein Herangezogen werden Analysen arabischer, Mindestmaß an Ehrlichkeit beweisen und amerikanischer, europäischer und russi- die Erneuerung von Beziehungen zu Assads scher Wissenschaftlerinnen und Wissen- Regierung an die Bedingung knüpfen, dass schaftler, die zwischen 2019 und 2020 bei Letztere für ihre Straftaten büße und einen arabischen und internationalen Think- politischen Prozess einleite. Allerdings Tanks, in Fachzeitschriften und arabischen seien die meisten arabischen Regierungen Nachrichtenmedien erschienen sind. selbst autoritär und sähen mittlerweile gern davon ab, eine demokratische Transition in Syrien einzufordern. Trend zur Normalisierung Das Harmoon Center for Contemporary Studies, ein in Doha und Istanbul ansässi- In der vorherrschenden Debatte über die ges, mit dem oben genannten Arab Center in Wiederaufnahme Syriens in die AL wird oft Doha assoziiertes Forschungs-, Kultur- und der fehlende regionale Konsens für solch Medieninstitut, hält es für unwahrschein- eine institutionalisierte Wiedereingliede- lich, dass die arabischen Länder dem syri- rung thematisiert. Selbst wenn einige Bei- schen Regime, seinen Methoden und seiner träge an die arabischen Länder appellieren, feindseligen Haltung ihnen gegenüber einen Damaskus nicht entgegenzukommen, Freifahrtschein erteilten. Die wesentlichen wird gleichermaßen Kritik am Zustand der in Syrien engagierten arabischen Akteure Organisation und ihrer immer autoritärer hätten kein Interesse an einer triumphieren- geführten Mitgliedsländer laut. Andere den Rückkehr Syriens in die AL. Sie hätten Stimmen vermuten gar, Damaskus könnte ihre eigenen Prioritäten, Interessen und diese Gemengelage zum eigenen Vorteil Konditionen, die Assad erfüllen müsse, bevor nutzen. seine Regierung in den Genuss der Wieder- In einem Beitrag für den Atlantic Council eingliederung in die Region komme. Gleich- legen die Nahost-Analysten Ali Hussein wohl diene den Regierungen der arabischen Bakeer und Giorgio Cafiero dar, dass trotz Staaten die Normalisierung mit Assad als eines Trends in den arabischen Ländern, jüngster Beweis dafür, dass die Aufstände ihre Beziehungen mit Syrien zu normali- ihrer eigenen Bevölkerungen vergeblich sieren, die Frage nach Assads Legitimität seien. Die AL sei seit ihrer erfolglosen Initia- die Region zutiefst polarisiere. Die VAE, tive zur Schlichtung des syrischen Bürger- Bahrain, der Irak und die Staaten Nord- kriegs von 2011 gelähmt. Ihre Politik reflek- afrikas forderten und förderten sowohl die tiere seitdem vor allem die Divergenzen SWP-Zeitschriftenschau 1 Oktober 2020 2
ihrer Mitglieder. Dennoch nutze die Organi- politischen Interessen sowie geopolitischer sation den arabischen Machthabern kollek- Rivalität gegenüber dem Iran und der Türkei. tiv für die Legitimierung ihrer Herrschaft. In einem Beitrag für die Sammelstudie Tatyana Shmeleva, Nahostforscherin am »Rebuilding Syria« des Istituto per gli Studi Russian International Affairs Council (RIAC), Politica Internazionale (ISPI) in Mailand schreibt einem regierungsnahen Think-Tank, meint, der libanesische Nahost-Analyst Bachar El- den Mitgliedern der AL stehe es nicht zu, Halabi, dass die drängenden ökonomischen Syrien eine Lektion in Sachen Demokratie Bedürfnisse des Libanon und Jordaniens die und Menschenrechte zu erteilen. Syrien Länder zur Offenheit gegenüber Damaskus sei nicht auf die AL angewiesen und könne nötigten. Beide Länder müssten mittelfristig es sich leisten, auf günstigere regionale das wirtschaftliche Potenzial des Wieder- Rahmenbedingungen für einen Wieder- aufbaus Syriens ausschöpfen und ihre stra- beitritt zu warten. tegisch und logistisch günstige Lage nutzen, Auch Daniel L. Byman vom Center for selbst wenn der politische Preis dafür mög- Middle East Policy der den US-Demokraten licherweise zu hoch sei. Im Libanon habe nahestehenden Brookings Institution sieht die Wiederannäherung an Damaskus indes Damaskus in einer Position der Stärke auch einen innenpolitischen Treiber: gegenüber der arabischen Welt und dem Wegen des stetigen Erstarkens der mit dem Westen. Aus Furcht vor anhaltender In- Assad-Regime verbündeten Hisbollah habe stabilität, besonders an den Grenzen, such- sich der Diskurs schrittweise zugunsten der ten die Nachbarländer den Kontakt zum Wiederaufnahme der Beziehungen mit dem Assad-Regime, wenn auch nicht öffentlich. Nachbarn entwickelt. Die Belastung durch Das syrische Regime könne die Rücknahme eine Million syrischer Geflüchteter im Land syrischer Geflüchteter an die Bedingung mit dem weltweit größten Flüchtlinge-pro- finanzieller Unterstützung und struktu- Einwohner-Verhältnis habe sogar im Anti- rierter Zusammenarbeit mit seinen Nach- Assad-Lager im Libanon teilweise für Bereit- barn und der EU knüpfen. Auch ein von schaft gesorgt, mit Damaskus ins Gespräch Damaskus bewusst gesteuertes, begrenztes zu kommen. Die Rückführung von Geflüch- Terrorismusproblem könne der syrischen teten habe auch für Jordanien Priorität in Regierung helfen europäische und amerika- seinen Beziehungen zu Syrien. Da Jordaniens nische Unterstützung zu erhalten und sich angeschlagene Wirtschaft zusätzlich unter als Teil der Koalition gegen den Terror zu den mehrjährigen Grenzschließungen zum präsentieren. Zu diesem Zweck könne Assad Irak und zu Syrien leidet, sei ebenso die wie zu Beginn des Bürgerkriegs Jihadisten Wiedereröffnung von Grenzübergängen ein des »Islamischen Staates« aus Gefängnissen zentraler Grund für den Austausch mit entlassen, um potenziellen Kooperations- Damaskus, etwa des Nassib-Jaber-Übergangs partnern gegenüber Druck aufzubauen. im Oktober 2018, den vormals 17 Prozent aller jordanischen Exporte überquerten. Mohammed Bani Salameh und Ayman Divergierende Beweggründe Hayajneh von der Yarmouk University in Irbid, Jordanien, betrachten in ihrem Arti- Die Diskussion über die Beweggründe für kel im Middle East Quarterly, einer Zeitschrift die angestrebte Normalisierung des Ver- des Middle East Forum mit Sitz in Philadel- hältnisses zu Syrien zeigt eine komplexe phia, USA, die Situation in Jordanien. Sie Gemengelage auf. Für Jordanien und den betonen, das Land werde aufgrund seiner Libanon seien wirtschaftliche und innen- sozioökonomischen und politischen Prob- politische Interessen entscheidend sowie leme, die die Flüchtlingskrise weiter ver- der Umstand, dass sie vom syrischen Bürger- schärften, immer abhängiger von der Ent- krieg stark betroffen sind. Die Beweggründe wicklungshilfe der USA, der EU und der der VAE und Ägyptens werden dagegen Golfstaaten. Dies schränke den außenpoliti- erklärt mit wirtschaftlichen und sicherheits- schen Spielraum Ammans erheblich ein. SWP-Zeitschriftenschau 1 Oktober 2020 3
Einerseits müsse Jordanien der Forderung denjenigen, die eine führende Rolle der seiner Geldgeber nachkommen, sich gegen Hisbollah sowie Beiruts Verbund mit Assad zu positionieren. Andererseits habe Damaskus befürworteten, und denjenigen, Amman seine eigenen Sorgen, was die die sich für die Entwaffnung der Miliz syrischen Aufstände und die syrische Op- und enge Beziehungen mit Saudi-Arabien position betreffe. Immer schwieriger werde und dem Westen einsetzten. Die Bildung Ammans Drahtseilakt, diese komplexen einer libanesischen Einheitsregierung sei und oftmals widersprüchlichen innenpoli- essenziell, um die Spaltung des Landes und tischen, regionalen und internationalen seine multiplen Krisen zu überwinden. Interessen in Bezug auf Syrien in einem Dies setze einen regionalen und internatio- kohärenten Ansatz zu vereinbaren. nalen Konsens, auch mit dem Iran, über die Die französisch-libanesische Journalistin Neutralisierung des Libanon voraus und Mona Alami schreibt in einem Beitrag für müsse den Rückzug der Hisbollah ins In- den Atlantic Council, dass die Hisbollah und land bedeuten. Schlage dies fehl, könne der ihre Verbündeten den Libanon als Platt- Libanon neben Syrien in weitere regionale form zur Unterstützung Assads ausnutzten. Konflikte verstrickt werden. Dies trage maßgeblich zum Kollaps des Damit der Einfluss des Iran in der Region Landes bei und mache die Entwicklung des sich nicht noch mehr ausweitet, bemühten Libanon zusehends vom Schicksal Syriens sich die VAE und Bahrain progressiv um abhängig. Die militärische Beteiligung der engere Beziehungen mit Assads Regierung, Hisbollah am syrischen Bürgerkrieg ent- schreibt Giorgio Cafiero, Gründer von Gulf gegen dem Beschluss der libanesischen State Analytics, in Inside Arabia, einem ara- Regierung von 2012, sich von Assad und bisch-amerikanischen Online-Nachrichten- dem Konflikt zu distanzieren, mache den magazin aus Washington D. C. Die zwei Libanon zum Pariastaat und entferne ihn Golfstaaten beabsichtigten mit ihrer Annähe- von seinen arabischen und westlichen rung an Damaskus, Syriens Platz in der Partnern. Trotz der eklatanten Staatsver- sunnitischen arabischen Welt zu festigen. schuldung des Libanon und schwindender Allerdings gebe es bisher keine Anzeichen Währungsreserven sorge die Hisbollah dafür, dass Assad sich von Teheran lösen gemeinsam mit anderen prosyrischen wolle. Dennoch könnten die Golfmonar- Parteien dafür, dass Syrien weiterhin mit chien Damaskus zwei wichtige Dienste er- subventionierten Lebensmitteln und Öl weisen, die weder der Iran noch Russland versorgt werde. Durch die Kooperation mit erbringen könnten: die Golfstaaten könnten Damaskus werde Beirut nicht nur auf die sich beim Wiederaufbau Syriens finanziell Hilfe der Golfstaaten und der USA zur engagieren und die Wiederannäherung Bewältigung der Wirtschafts- und Finanz- Syriens an die USA und die EU fördern. Das krise verzichten müssen, sondern riskiere, Vermächtnis des Irakkriegs von 2003, in von US-Sanktionen im Rahmen des Caesar dessen Folge die arabische Welt dem irani- Act getroffen zu werden. schen Einfluss ausgesetzt wurde, sei ein Chafic Choucair, Forscher libanesischer starker Beweggrund für Abu Dhabi, die Herkunft am Al Jazeera Centre for Studies in Hand in Richtung Damaskus auszustrecken. Doha, kommt zu dem Schluss, dass neben Joseph Daher, schweizerisch-syrischer der Umsetzung von Wirtschaftsreformen Assoziierter Professor am European University und einem neuen Gesellschaftsvertrag vor Institute (EUI) in Florenz, widerspricht dem allem die Loslösung Beiruts von Syrien in einer Studie für das Projekt Wartime and und dem Iran Voraussetzung dafür sei, den Post-Conflict in Syria. Es sei irreführend zu Libanon vor dem Kollaps zu bewahren. denken, dass die Normalisierung der Bezie- Die Explosion im Hafen von Beirut und die hungen der VAE mit Assad auf Abu Dhabis mögliche direkte oder indirekte Verwick- Streben beruhe, den Iran und die Türkei lung der Hisbollah in den Vorfall vertieften aus Syrien zu verdrängen. Vielmehr sei die die gesellschaftliche Spaltung zwischen Annäherung der VAE an Damaskus begrün- SWP-Zeitschriftenschau 1 Oktober 2020 4
det in regionalen politischen Entwicklun- Teilen der syrischen Opposition pflege und gen, der damit einhergehenden Verschie- in der Vergangenheit bereits einen Waffen- bung der außenpolitischen Prioritäten Abu stillstand zwischen oppositionellen syri- Dhabis sowie in wirtschaftlichen Interessen. schen Fraktionen herbeigeführt habe, sei 2011 und 2012 seien die VAE ihren Part- Kairo der am besten geeignete Vermittler nern des Golf-Kooperationsrates (GKR) zwischen Syrien, den Ländern der Region gefolgt in der Verurteilung Assads und der und der internationalen Gemeinschaft. Unterstützung der Opposition. Informell seien diplomatische und wirtschaftliche Kanäle mit Damaskus jedoch offen geblie- Großmächte und arabische ben und die VAE hätten syrischen Regime- Interessen vertretern Unterschlupf gewährt. Die Abwesenheit der VAE in Syrien zwischen Internationale Kommentatorinnen und 2015 und 2018 sei den konkurrierenden Kommentatoren sind sich einig darüber, außenpolitischen Prioritäten Abu Dhabis in dass Russland für die arabische Welt die Libyen und im Jemen sowie dem Boykott relevante Ordnungsmacht geworden sei. Katars seit 2017 geschuldet gewesen. Das Nichtsdestotrotz überwiege das Drohpoten- beidseitige Interesse, wirtschaftliche Bezie- zial US-amerikanischer und europäischer hungen wiederzubeleben, habe einen Sanktionen und verhindere die Normalisie- großen Stellenwert beim Rapprochement rung der Beziehungen der arabischen Welt zwischen Syrien und den VAE. Letztere mit dem syrischen Regime. Nichtwestliche hätten lukrative Aufträge in den Bereichen Beobachter und Beobachterinnen kritisie- Immobilien, Luxus-Projekte, Transport und ren, die USA und Europa wollten mit ihrer Handel in Aussicht – Sektoren, in denen Politik der Isolation Syriens ihre Untätigkeit die VAE als größter arabischer Investor vor während des syrischen Bürgerkriegs und 2011 sehr präsent waren. Der syrische den Misserfolg ihrer Demokratisierungs- Bürgerkrieg habe eine neue, regimeloyale politik in der Region übertünchen. wirtschaftliche Elite hervorgebracht. Die Der aus dem Libanon stammende Ziyad zuvor als Vermittler fungierende syrische Majid, Professor für Nahoststudien an kaufmännische Diaspora in den VAE habe der American University in Paris, schreibt in ihr Netzwerk in Damaskus verloren. Somit einem Artikel für das Al Jazeera Centre for seien ausländische Investitionen in Syrien Studies aus Doha, die Entscheidung der ara- unmittelbar an Verbindungen zum Assad- bischen Länder, nach ihrer ursprünglichen Regime geknüpft. Ablehnung des syrischen Regimes nun Auch für Ägypten seien wirtschaftliche die Normalisierung der Beziehungen mit Interessen, besonders im Zusammenhang Damaskus zu suchen, kennzeichne eine mit dem syrischen Wiederaufbau, ein neue Phase im Syrienkonflikt. Washington Beweggrund zur Kontaktaufnahme mit habe mit seiner zurückhaltenden Politik Damaskus, schreibt der ägyptische Journa- gegenüber dem syrischen Regime, selbst als list Albaraa Abdullah auf der arabisch- dieses Chemiewaffen einsetzte, der arabi- amerikanischen Nachrichtenseite Al-Monitor. schen Welt deutlich signalisiert, dass es In erster Linie sei Kairo aber die Stabilität trotz anfänglicher Mobilisierung gegen Assad Ägyptens wichtig. Der ägyptische Präsident nicht daran interessiert gewesen sei, ihn zu al-Sisi, selbst Militär, unterstütze die syri- stürzen. Russland habe daraufhin mit seiner sche Armee, weil er die Integrität Syriens Intervention 2015 den Fortbestand des syri- als wesentlich für die Sicherheit und Stabi- schen Regimes zementiert und unter ande- lität Ägyptens betrachte. [Dabei geht es rem im Rahmen des Astana-Prozesses neue schwerpunktmäßig um die regionale Be- Fakten vor Ort geschaffen. Die Duldung kämpfung islamistischer Gruppen; d. Verf.] dieses neuen Status quo durch westliche Da Ägypten keine Kriegspartei in Syrien sei, und arabische Hauptstädte habe, beflügelt Kontakte sowohl zum Regime als auch zu durch den Kreml, den Weg zur Wieder- SWP-Zeitschriftenschau 1 Oktober 2020 5
aufnahme des Kontakts einiger arabischer gegen die eigene Bevölkerung und sein Staaten mit Damaskus geebnet. Dass sich Bündnis mit Moskau und Teheran habe dem tatkräftigen Vorstoß der VAE zunächst dieses Ziel endgültig begraben und das Ende keine weiteren arabischen Länder anschlos- der Pax Americana in der Region eingeläutet. sen, sei den amerikanischen und europäi- Russland gehe aus diesem Konflikt als schen Sanktionen zuzuschreiben. Maß- wahrer Gewinner hervor und könne seine gebliche Gründe für die meisten arabischen verlorene Stellung als stärkste ausländische Länder, keine weiteren Risiken bei der An- Macht im Nahen Osten wieder besetzen. näherung an Assad einzugehen, seien der Der Journalist und Essayist Faisal Umfang dieser Sanktionen, der unberechen- Al Yafai spricht sich in einem Beitrag für bare Kurs Washingtons gegenüber dem Iran die englischsprachige Tageszeitung und die unabsehbaren Folgen eines end- The National, die in Abu Dhabi erscheint, gültigen Rückzugs der USA aus Syrien. dagegen aus, dass die USA und Russland Dies bestätigt Vladimir Bartenev, auf das Verhältnis arabischer Staaten zu Direktor des Centre for Security and Develop- Syrien Einfluss nehmen. Indem Russland ment Studies (CSDS) der Lomonosov Moscow auf die Wiedereingliederung Syriens in State University, in einem Beitrag für Valdai die arabische Welt dränge, beabsichtige es Discussion Club. Russland habe gehofft, dass die Golfstaaten als Financiers für den kost- sich das von den Golfmonarchien geförderte, spieligen Wiederaufbau Syriens zu gewin- gute regionale Klima gegenüber Syrien nen; dessen Kurs werde Moskau mittel- bis festigen würde. Allerdings habe Washing- langfristig mitlenken. Die USA ächteten tons Einwirken auf Abu Dhabi und Riad zwar richtigerweise das Regime, bestraften mit dem Ziel, deren Annäherung mit Damas- mit ihren Sanktionen aber auch die Zivil- kus einzudämmen, derzeit größeren Ein- bevölkerung und ermutigten Damaskus, die fluss auf das Handeln der Golfstaaten als Region weiter zu destabilisieren. Die Posi- deren wachsende Kooperation mit Moskau. tionen der USA und der arabischen Länder Indes sporne dies die russische Diplomatie seien diametral entgegengesetzt: Die USA erst recht an – und an dessen Kompass seien überzeugt, die Isolierung Assads werde orientiere sich das syrische Regime. ihn früher oder später dazu zwingen, seine Der bereits genannte Artikel von Tatyana Allianz mit dem Iran aufzugeben; aus ara- Shmeleva vom Russian International Affairs bischer Perspektive treibe gerade diese Aus- Council steht ebenfalls stellvertretend für grenzung Syrien in die Arme Russlands die russische Perspektive, die die westliche und des Iran. Weder die USA noch Russland Politik der Isolation Syriens zwar als mäch- würden dazu beitragen können, die Lage tig, aber grundfalsch ansieht. Die Autorin der Syrerinnen und Syrer im In- und Aus- erläutert, dass der Westen die Reintegration land zu verbessern. Daher sei es höchste Syriens in die Region verhindere, da die Zeit, dass die arabischen Länder die Ent- Legitimierung der syrischen Regierung scheidung über ihr Verhältnis zu Syrien in durch arabische Länder das Scheitern seiner ihrem eigenen Interesse fällten. Politik in Syrien und gleichzeitig die Effek- tivität der russischen Politik in der Region offenbare. Die Covid-19-Pandemie Weniger parteiisch, wenn auch ähnlich kritisch, formuliert es Eyal Zisser, Vize- Verschiedene Beiträge über die Auswirkun- rektor der Universität Tel Aviv, in einem gen der Corona-Pandemie in Nahost zeigen Artikel im Middle East Quarterly: Die Syrien- auf, dass die Krise die Normalisierung diplo- politik des Westens (hier der USA) und die matischer Beziehungen arabischer Länder damit einhergehende Isolierung des Assad- mit Damaskus zu begünstigen scheint. Regimes sei immer noch von dem Irrglau- Beispielhaft dafür ist ein Artikel von ben geleitet, der Nahe Osten könne demo- Sandy Alkoutami und Khulood Fahim, kratisiert werden. Assads brutales Vorgehen zwei James C. Gaither Junior Fellows syrisch- SWP-Zeitschriftenschau 1 Oktober 2020 6
amerikanischer bzw. ägyptischer Herkunft sowie die Isolation Syriens durch die USA beim Carnegie Endowment for International und die EU verhindern, dass die Norma- Peace in Washington D. C. Sie schreiben, lisierung der Beziehungen der arabischen Länder wie Jordanien, die VAE, Ägypten Staaten mit Damaskus fortschreitet. Zwar und Bahrain nutzten den Ausnahme- begrüßen die Autorinnen und Autoren zustand der Pandemie, um die Erneuerung Letzteres in der Regel, stellen jedoch auch ihrer Beziehungen mit dem syrischen Re- heraus, dass die Umsetzung der Politik gime zu rechtfertigen. Dies trage zur schritt- Europas und der USA gegenüber Syrien weisen Akzeptanz Assads in der Region Auswirkungen auf die Nachbarländer wie auch international bei. Besonders die hat – steht sie doch deren wirtschaft- Gesten des Kronprinzen der VAE, Muham- lichen, innen- und sicherheitspolitischen mad Bin Zayid, könnten die regionale Anliegen entgegen. Ferner übergeht sie Wiedereingliederung Syriens vorantreiben: die Nöte, die die Kooperation von Ländern Er habe betont, die humanitären Heraus- wie Jordanien und dem Libanon mit forderungen der Pandemie rückten etwaige Damaskus teilweise begründen. politische Differenzen vorerst in den Hinter- Gleichzeitig verdeutlichen die Beiträge: grund. Auch Moskau komme die Krise sehr Die fehlende Einigkeit der arabischen Länder gelegen in seinem Streben, Assads Regie- und die Lähmung der AL unterbinden die rung regional und international zu reha- Formulierung und Durchsetzung gemein- bilitieren. Präsident Putin bestehe darauf, samer arabischer Interessen hinsichtlich des dass Maßnahmen zur Krisenbewältigung Umgangs mit Syrien. Die Meinungsführer und etwaige Hilfslieferungen an Syrien VAE und Ägypten verfolgen in ihrer Annähe- einzig und allein vom Regime in Damaskus rung an Damaskus eigene Interessen – kom- verwaltet würden. Die Vereinten Nationen merzielle, sicherheits- und geopolitische. hätten währenddessen gefordert, die Deutschland und die EU sollten in ihrer Sanktionen gegen Syrien im Kontext der Syrienpolitik sowohl die Debatte als auch Pandemie zu lockern. die Dynamiken des Normalisierungs- Khaled Yacoub Oweis, jordanischer Jour- prozesses zwischen der arabischen Welt nalist und Nahost-Analyst, argumentiert in und Damaskus berücksichtigen, wobei die einem Artikel für The National, dass das syri- Beweggründe der Beteiligten nicht außer sche Regime die Krise gezielt ausnutze, um Acht gelassen werden dürfen. Die deutsche die Sanktionspolitik der USA und der EU für und europäische Syrienpolitik setzt weiter- die Notlage im eigenen Land verantwortlich hin, gemeinsam mit den USA, auf eine zu machen. Das syrische Regime versuche Verhaltensänderung Damaskus’ mittels in die AL zurückzukehren und beteuere des- politischer und wirtschaftlicher Isolation. halb seine Unabhängigkeit vom Iran; daher Dabei sollte sie die von den Autoren und propagiere Assad, das Virus sei von schiiti- Autorinnen dargelegten politischen und schen Pilgern aus den Nachbarländern ins wirtschaftlichen Verflechtungen der Nach- Land getragen worden, nicht etwa, wie ver- barländer mit Syrien mitdenken, außerdem mutet, von in Syrien stationierten Milizen, das destabilisierende Potenzial der Flücht- die unter dem Befehl Teherans stehen. lingskrise für die Region. Als Denkanstoß sollte Berlin und Brüssel das kritische Licht dienen, das die Beiträge auf die Inkohärenz Fazit der Syrienpolitik Europas und der USA werfen wie auch auf die ihrer Nahostpolitik Die Debatte zeigt einen Trend hin zur bi- zugrunde liegenden Prämissen. lateralen Normalisierung der Beziehungen Hervorzuheben sind die Appelle einiger einiger arabischer Länder mit Assads Regie- arabischer Autorinnen und Autoren, die sich rung. Die besprochenen Beiträge stellen für zwei Dinge aussprechen: mehr Teilhabe dar, wie der fehlende regionale Konsens arabischer Länder an den Friedensverhand- über die Wiederaufnahme Syriens in die AL lungen für Syrien, mehr Selbstbestimmung SWP-Zeitschriftenschau 1 Oktober 2020 7
arabischer Länder in der Gestaltung ihrer Cafiero, Giorgio, »Can Arab Gulf States Beziehungen mit Damaskus. In der Debatte Neutralize Iranian Influence in Syria?«, erscheinen die VAE und Ägypten als die in: Inside Arabia, 11.3.2019. zentralen arabischen Akteure, die den Kurs Choucair, Chafic, Lubnan ma ba‘da infijar der Normalisierung der arabischen Staaten Bairut: tahadiyyat al-nuhud wa darurat al- mit Syrien beeinflussen können. Zwar tawafuq [Libanon nach der Explosion von müssen sich Deutschland und die EU be- Beirut: Herausforderungen des Wieder- wusst sein, dass Abu Dhabi und Kairo, aufbaus und Notwendigkeiten des Kon- unterstützt von Moskau, bereit sind, die senses], Doha: Al Jazeera Centre for westliche Politik der Isolation des syrischen Studies, 13.8.2020 (Report). © Stiftung Wissenschaft Regimes zu untergraben – zwecks einer Daher, Joseph, The Dynamics and Evolution of und Politik, 2020 konstruktiven Gestaltung des Normalisie- UAE–Syria Relations: Between Expectations Alle Rechte vorbehalten rungsprozesses müssen Berlin und Brüssel and Obstacles, Florenz: European University dennoch den Dialog mit ihnen suchen. Institute (EUI), 25.10.2019 (Research Die Zeitschriftenschau gibt Project Report 2019/14). die Auffassung der Autorin wieder. El-Halabi, Bachar, »Syria’s Reconstruction: Besprochene Publikationen Risks and Benefits for Lebanon and In der Online-Version dieser Jordan«, in: Eugenio Dacrema / Valeria Publikation sind Verweise Abdullah, Albaraa, »Cairo Keeps Itself Talbot (Hg.), Rebuilding Syria. The Middle auf SWP-Schriften und Front and Center in Syria Negotiations«, East’s New Power Game?, Mailand: Istituto wichtige Quellen anklickbar. in: Al-Monitor, 27.2.2019. per gli Studi di Politica Internazionale SWP-Zeitschriftenschauen Alami, Mona, »Lebanon’s Fate Appears to (ISPI), 20.9.2019, S. 95–116. werden intern einem Begut- Be Irreversibly Tied to Syria«, Washing- Harb, Imad K., The Trickiness of Syria’s Return achtungsverfahren, einem ton, D. C.: The Atlantic Council, to the Arab League, Washington, D. C.: Faktencheck und einem 21.7.2020 (Blog). Arab Center Washington DC, 29.3.2019 Lektorat unterzogen. Weitere Alkoutami, Sandy / Khulood Fahim, Revived (Policy Analysis). Informationen zur Qualitäts- sicherung der SWP finden by Disease, Washington, D. C.: Carnegie Harmoon Center for Contemporary Sie auf der SWP-Website Endowment for International Peace, Studies, Al-mahamma al-sa‘ba: I‘adat ta‘hil unter https://www.swp- 11.5.2020 (Diwan). al-nizam al-suri ‘arabiyyan [Eine schwierige berlin.org/ueber-uns/ Al Yafai, Faisal, »Middle Eastern Nations Aufgabe: Die Rehabilitierung des syrischen qualitaetssicherung/ Must Decide for Themselves How to Regimes in der arabischen Welt], Doha / SWP Engage with Syria«, in: The National, Istanbul, 4.3.2019 (Political Analysis). Stiftung Wissenschaft und 21.5.2019 (Comment). Majid, Ziyad, Afaq al-tatbi‘ al-‘arabi al- Politik Bakeer, Ali Hussein / Giorgio Cafiero, murtabik ma‘a al-nizam al-suri [Die Aus- Deutsches Institut für »Bashar al-Assad and the Greater Arab sichten der vertrackten arabischen Nor- Internationale Politik und World«, Washington, D. C.: The Atlantic malisierung mit dem syrischen Regime], Sicherheit Council, 8.2.2019 (Blog). Doha: Al Jazeera Centre for Studies, Ludwigkirchplatz 3–4 Bani Salameh, Mohammed / Ayman 6.2.2019 (Report). 10719 Berlin Hayajneh, »The End of the Syrian Civil Oweis, Khaled Yacoub, »Coronavirus: Telefon +49 30 880 07-0 War. How Jordan Can Cope«, in: Middle Syrian Regime Sees Pandemic as Blessing Fax +49 30 880 07-100 East Quarterly, 26 (Summer 2019) 3. in Disguise«, in: The National, 9.4.2020. www.swp-berlin.org Bartenev, Vladimir, The Syrian Azimuth of Shmeleva, Tatyana, The Odds of Syria’s Return swp@swp-berlin.org Gulf Talks: Is the Wind of Change Losing to the Arab League: Opportunities and Threats, ISSN 1611-6380 Power?, Moskau: Valdai Discussion Club, Moskau: Russian International Affairs doi: 10.18449/2020ZS01 12.3.2019 (Expert Opinion). Council (RIAC), 9.4.2019 (Article). Byman, Daniel L., »Can Syria Return to the Zisser, Eyal, »The End of the Syrian Civil Regional Stage?«, Washington, D. C.: War. The Many Implications«, in: Middle Brookings Institution, 28.2.2019 (Order East Quarterly, 26 (Summer 2019) 3. from Chaos). Sarah Charlotte Henkel, M. A. ist Programm-Managerin im Brüsseler Büro der SWP. SWP-Zeitschriftenschau 1 Oktober 2020 8
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