Die Strafbarkeit des assistierten Suizids-Reformüberlegungen in Österreich und in Deutschland - JKU ePUB

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                                            Hartl Magdalena
                                            Angefertigt am
                                            Institut für
                                            Strafrechtswissenschaften

                                            Beurteiler
                                            Univ.- Prof. Dr. Alois
                                            Birklbauer
                                            Linz, Jänner 2016

Die Strafbarkeit des assistierten Suizids-
Reformüberlegungen in Österreich und in
Deutschland

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium der Rechtswissenschaften
Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit
selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen
Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß
entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende
Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.

Linz, Jänner 2016                           ………………………………

                                                   Hartl Magdalena
Inhaltsverzeichnis

I. Was bedeutet assistierter Suizid - Definitionen und Abgrenzungen……….1

1. Assistierter Suizid ..……………………………………………………..…………………………………………...1

2. Abgrenzungen zu anderen Formen der Sterbehilfe ……………………………………………………….2

       2.1. Direkte aktive Sterbehilfe ……………………………………..……………………………………..2

       2.2. Indirekte aktive Sterbehilfe ……………………………………………………………..…………..3

       2.3. Passive Sterbehilfe …………….………………………………………………………………………..5

       2.4. Sterbebegleitung ..………………………………………………………………………………………6

       2.5. Freitodbegleitung ..……………………………………………………………………………………..6

       2.6. Einseitiger Behandlungsabbruch …………………………………………………………………..6

3. Vorschläge neuer Begriffsbezeichnungen ……………………………………………………………………7

II. Strafrechtliche Einordnung in Deutschland, Österreich und der Schweiz.7

1. Einleitende Überlegungen ………………………………………………………………………………………….7

2. Einordnung des assistierten Suizids in die österreichische Strafrechtsordnung ………..………8

       2.1. Mitwirkung am Selbstmord § 78 StGB ………………….…………………………….………….8

              2.1.1. Objektiver Tatbestand ………………..……………………………………..…………..8

              2.1.2. Subjektiver Tatbestand …………………………………………..………………………9

              2.1.3. Schuld ………….…………………………………………………………..………………….9

              2.1.4. Beteiligung …………………..…………..…………………………………………………..9

              2.1.5. Conclusio …..………………………..……………………………………………………….9

       2.2. Tötung auf Verlangen § 77 StGB …………………………………………………………………10

              2.2.1. Objektiver Tatbestand ……………………………………………….…………………10

              2.2.2. Subjektiver Tatbestand ………………………………………….……...…………….11

              2.2.3. Rechtfertigung ……………..…………..…………………………………………………11

              2.2.4. Schuld ………………..…………....………………………………………………………..11
2.2.5. Beteiligung ………...………………..…………………………………………………….11

            2.2.6. Abgrenzung des § 77 StGB vom § 78 StGB ………………………………….....11

            2.2.7. Conclusio …………………………………………………………………………………….12

3. Einblick in die deutsche Gesetzgebung ……………………………………………………………………..12

      3.1. Tötung auf Verlangen § 216 dStGB …………..……….………………………………………..12

      3.2. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung § 217 dStGB …….………………..……14

4. Einblick ins schweizerische Recht ………….……………..……………......…………………..…………..14

      4.1. Tötung auf Verlangen Art 114 schStGB ………………..….…...………………..….……….14

      4.2. Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord Art 115 schStGB ………………….….…….….15

III. Reformüberlegungen ….………………………………………………………….15

1. Ausländische Modelle assistierten Suizids …………….……………………………………………………15

      1.1. Das schweizerische Modell …………………………………………......…………………………16

            1.1.1. Wie eine Freitodbegleitung abläuft ……………………………………….....…...17

            1.1.2. Kritik …………..…….……………………………………………………………………….18

      1.2. US-Amerikanische Modelle und Kritik daran……………………..……………………………20

      1.3. Übersicht über Regelungen der Sterbehilfe in anderen Ländern ……………………..22

2. Reformüberlegungen für Deutschland ………………………………………………………………………23

      2.1. Die deutsche Rechtsprechung zur Garantenstellung ……………………………………..24

      2.2. Standesrechtliche Probleme …………………......……………………………………………….25

      2.3. Entwicklung der deutschen Sterbehilfediskussion …………………………………….……26

      2.4. Neueste Entwicklungen auf gesetzlicher Ebene ………………………………….…………27

      2.5. Deutscher Gesetzesentwurf von Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing …...…………..………29

            2.5.1. Argumente für die Notwendigkeit eines Gesetzes …………….….………….32

            2.5.2. Gefahr der Legalisierung der Tötung auf Verlangen ………………..….…….33

            2.5.3. Einzelne Voraussetzungen des in III.2.5. vorgestellten § 217 dStGB ….34
2.5.4. Kritik am Gesetzesentwurf in III.2.5. …………..………….…………….…….…37

                2.5.5. Wie könnte eine Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland aussehen…….39

                2.5.6. Resümee ………………..……..…………......…………………………………….…….40

3. Reformüberlegungen für Österreich …………………….……………………………………………………41

        3.1. Problemfall: Strafbarkeit der Angehörigen ………………......……………………………..42

        3.2. Selbstbestimmung im Sterben ……………………………………......…………………………43

        3.3. Grundrechtliche Überlegungen …………………………………………...………………………44

                3.3.1. EMRK-Konformität des assistierten Suizids ….………………………….……….44

                3.3.2. EGMR-Entscheidungen ………………..………………….….………………………..45

        3.4. Argumente für eine Erlaubnis assistierten Suizids …………………………………………46

        3.5. Neuregelungen auf gesetzlicher Ebene? …………………………………………...………….48

        3.6. Sichtweise des österreichischen Parlaments …..…………………………….………………53

        3.7. Argumente gegen assistierten Suizid …………………………………………………………..55

                3.7.1. Palliativmedizin oder Suizidhilfe? ………………..………………………………….56

                3.7.2. Gefahr bei Sterbehilfeorganisationen …………….…..…………………………..60

        3.8. Weitere Reformvarianten ………………………...…………………………………………………61

        3.9. Wie könnte assistierter Suizid in Österreich aussehen ……………………...…………..62

IV. Zusammenfassung und eigene Meinung ……………………………………..62

V. Abkürzungsverzeichnis …………………………………………………………….65

VI. Literaturverzeichnis …...........................................................................68

VII. Bildnachweise ………………………….………………………………………….69
I. Was bedeutet assistierter Suizid - Definitionen und Abgrenzungen

Zum besseren Verständnis sollen einleitend einige Begriffe definiert werden, um näher auf die
Rechtslage in Österreich und Deutschland eingehen zu können. Da die Begrifflichkeiten selbst
von Experten immer wieder verwechselt werden, erscheint es sinnvoll, Abgrenzungen zu
anderen Sterbehilfeformen zu treffen. Im Anschluss an die österreichische und deutsche
Gesetzeslage, findet ein kurzer Einblick ins schweizerische Recht statt, um in den
Reformüberlegungen zu Beginn auf das schweizerische Modell der Freitodbegleitung eingehen
zu können. Nach einem Überblick über Suizidbeihilferegeln in anderen Ländern, wird näher auf
Reformmöglichkeiten in Deutschland eingegangen. Dabei werden insb die Rechtsprechung,
standesrechtliche Probleme und neueste Entwicklungen auf Gesetzesebene in Deutschland
dargestellt. Danach finden Überlegungen für österreichische Reformvarianten statt, wobei
zuerst das Problem der Strafbarkeit der helfenden Angehörigen diskutiert wird. Im Anschluss
folgen eine Begutachtung aus dem Blickpunkt der Grundrechte und ein Einblick in die EGMR-
Rechtsprechung zum Thema assistierter Suizid, um dann über Neuerungsmöglichkeiten auf
Gesetzesebene näher eingehen zu können. Auch die Sichtweise des österreichischen
Parlaments und daran anschließende Argumente gegen den assistierten Suizid insb in Form
der Palliativmedizin, sollen erläutert werden.

1. Assistierter Suizid

Assistieren bedeutet jemandem beizustehen oder ihm Hilfe zu leisten, während sich Suizid vom
lateinischen suicidium, von „sua manu caedere“ (mit eigener Hand fällen) ableitet.1 Beim Suizid
legt das Opfer selbst vorsätzlich und freiwillig Hand an sich, wobei es keine Rolle spielt, ob der
Suizident2 durch Tun handelt – sich bspw erhängt – oder eine missliche Lage durch Unterlassen
des Selbstschutzes ausnützt – bspw nach einem Autounfall – es muss lediglich ein
unnatürliches Eingreifen des Opfers vorliegen.3 Da bei einem Suizid an sich nur der Suizident
selbst handelt, folglich kein Dritter involviert ist, liegt hier keine Form der Sterbehilfe vor.
In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass der Begriff „Selbstmord“ mittlerweile überholt
ist und im modernen Sprachgebrauch vermieden werden sollte, da er aus Zeiten stammt, in
welchen Suizid noch eine Todsünde und daher strafbar war. Anstelle von „Selbstmord“ wird
empfohlen, Begriffe wie „Suizid“, „Freitod“ oder „Selbsttötung“ zu verwenden.4

1   Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe 3.
2 Die entsprechenden Bezeichnungen betreffen immer beide Geschlechter der genannten Personengruppen, der
Vereinfachung halber wird auf die jeweils gegengeschlechtliche Bezeichnung verzichtet.
3 Moos in WK2 § 78 Rz 9; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid 3.
4 Borasio, selbst bestimmt sterben 82 ff; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid 3 f.

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Beim assistierten Suizid handelt es sich im Gegensatz zum Suizid und in Abgrenzung zu den
Hilfsformen unter Punkt I.2., um eine eigene Sterbehilfeform. Beihilfe zur Selbsttötung oder
auch Suizidhilfe bedeutet, dass der Suizident im todbringenden Moment die Tatherrschaft über
das Geschehen innehat, daher muss der letzte Schritt der Tötung von ihm selbst vorgenommen
werden, wodurch auch der Todeswunsch jederzeit widerrufen werden kann. Dabei muss der
Patient freiverantwortlich über das Ende seines Lebens entscheiden und den letzten Akt, zB
durch Trinken einer letalen Lösung, selbst durchführen. Dritte Personen stellen lediglich ihre
Hilfe bei der Vorbereitung zum Suizid zur Verfügung, womit letzten Endes eine Selbsttötung
vorliegt. Assistiert werden kann nicht nur durch Hilfe im Besorgen tödlicher Medikamente,
sondern bspw auch durch seelischen Beistand, zuhören, oder sonstige Unterstützung.5
Dieses Hilfeleisten darf nicht mit einem Verleiten zum Suizid verwechselt werden, da hierbei
jemand im Vorhinein auf den Suizidenten Einfluss nimmt und dieser sich im Anschluss selbst
richtet, also der Entschluss zum Suizid durch einen Dritten hervorgerufen wird.

2. Abgrenzungen zu anderen Formen der Sterbehilfe

Das österreichische Recht differenziert zwischen verschiedenen Sterbehilfeformen, wobei zu
Beginn gesagt werden sollte, dass der Begriff Euthanasie – wegen der Bezeichnung der
Gräueltaten während des zweiten Weltkrieges durch die Nationalsozialisten – im modernen
Sprachgebrauch keine Verwendung finden sollte.
Unter aktiver Sterbehilfe versteht man die aktive Tötung eines anderen Menschen, durch eine
Behandlung, welche den Sterbeprozess hervorruft oder beschleunigt. Passive Sterbehilfe
bedeutet Sterbenlassen eines Menschen durch Abbruch der medizinischen Behandlung.6

Eine weitere Unterscheidung wird zwischen echter – also der Tötung Moribunder7 – und
unechter Sterbehilfe – also der Tötung von Personen, welche nicht in naher Zukunft sterben
werden – getroffen.8

2.1. Direkte aktive Sterbehilfe

Unter direkter aktiver Sterbehilfe oder auch „Hilfe zum Sterben“, wird ein aktives Tun
verstanden, mit welchem schwer Kranke oder Sterbende, etwa durch Injizieren einer

5   Borasio, Über das Sterben 158; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid 4 f.
6   Velten in SgbK Vorbem zu §§ 75 ff Rz 75.
7   Menschen, welche in naher Zukunft sterben werden.
8   Moos in WK2 Vorbem zu §§ 75-79 Rz 17.
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Todesspritze, erlöst werden sollen. Diese Form der Sterbehilfe ist in jedem Fall strafbar, selbst
wenn der Sterbewillige darum bittet.9
In Deutschland soll mit Hilfe einer Interessenabwägung, eine Rechtfertigung aus Notstand die
direkte aktive Sterbehilfe legitimieren. Demnach ist eine Befreiung von unnötigen Leiden und
Schmerzen gewichtiger anzusehen, als eine mühsame Erhaltung ohnehin bald erlöschenden
Lebens. In Österreich scheiden rechtfertigender Notstand – mangels einem aus der Gefahr
geretteten Gut, welches bei Lebensbeendigung zur Gänze wegfällt – und § 10 StGB aus, da
nach österreichischer Ansicht die Tötung eines Patienten „unverhältnismäßig schwerer“ wiegt,
als eine Erlösung von seinen Leiden.10 Daher kann aktive direkte Sterbehilfe nicht
gerechtfertigt werden, es gilt aber zu bedenken, dass Strafmilderungen vorgenommen werden
können. Wenn im Falle des § 77 (und auch des § 78) StGB „die Milderungsgründe die
Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen“ und der Täter die Tat voraussichtlich nicht
wiederholen wird, kann die Strafe gem § 41 Abs 1 Z 5 StGB bis auf einen Tag gemildert
werden.11
In Abgrenzung zum assistierten Suizid handelt es sich bei dieser Form der Sterbehilfe um ein
aktives Eingreifen eines Dritten, in das Sterben eines anderen, wobei der Sterbende selbst
keine Tatherrschaft innehat.

2.2. Indirekte aktive Sterbehilfe

Bei der „Hilfe im Sterben“ handelt es sich um den Versuch, Schmerzen eines Patienten zu
lindern, wobei eine damit einhergehende Lebensverkürzung hingenommen wird. Hierbei
werden also dem Patienten Medikamente gereicht, die Schmerzen mindern sollen, bei denen
aber eine Verkürzung der restlichen Lebenszeit nicht ausgeschlossen werden kann. Dieser
Effekt wird in der Medizin va durch Morphium erreicht, ein Medikament, welches Atemnot
lindert.12 Es gilt dabei zu bedenken, dass es nicht in jedem Fall zu einer Lebensverkürzung
kommen muss, sondern dass lediglich die Möglichkeit in Kauf genommen wird. Indirekte aktive
Sterbehilfe ist in der Palliativmedizin aber nur noch selten anzutreffen, da bereits
Schmerzlinderung ohne Verkürzung der Lebenszeit möglich ist.13 Diese Form der Sterbehilfe
ist straflos, weil es ansonsten keine akzeptablen Möglichkeiten gibt, dem Patienten zu helfen,

9 Moos in WK2 Vorbem zu §§ 75-79 Rz 20; Kienapfel BT I4 Vorbem zu §§ 75 ff Rz 15; Birklbauer/Hilf/Tipold BT I3
§ 75 Rz 12; Schmoller, Lebensschutz bis zum Ende? ÖJZ 2000, 367; Kert, Sterbehilfe – Der rechtliche Rahmen für
das Ende des Lebens, JAP 2005/2006, 208; Fuchs/Reindl-Krauskopf BT I5 20.
10 Moos in WK2 Vorbem zu §§ 75-79 Rz 21 f; Schmoller, Lebensschutz bis zum Ende? ÖJZ 2000, 367 f.
11 Schmoller, Lebensschutz bis zum Ende? ÖJZ 2000, 369; Burgstaller, Sterbehilfe und Strafrecht in Österreich,

JAP 2009/2010, 200.
12 Kienapfel BT I4 Vorbem zu §§ 75 ff Rz 17 f; Leukauf/Steininger StGB3 § 75 Rz 9; Borasio, selbst bestimmt

sterben 48; Hirsch, Behandlungsabbruch und Sterbehilfe, in FS Lackner (1987) 608; Birklbauer in Resch/Wallner,
Medizinrecht2 Kap X Rz 97.
13 Velten in SbgK Vorbem zu §§ 75 ff Rz 75.

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denn es erscheint weder tragbar ihn zu töten, noch ihn gar nicht zu behandeln und damit mit
seinen Schmerzen allein zu lassen. Die aktive indirekte Sterbehilfe wird sowohl für Moribunde,
als auch für Personen mit quälenden Schmerzen, die sich aber noch nicht in der finalen
Lebensphase befinden, angewandt.14
Hierbei handelt es sich im Gegensatz zur Suizidhilfe, um eine Behandlungsform, bei der das
frühere Sterben lediglich in Kauf genommen wird, aber nicht Ziel des Arztes oder des
Sterbewilligen ist. Der Sterbende wirkt auch nicht immer selbst aktiv mit, wodurch keine
Tatherrschaft gegeben sein muss, etwa wenn der Arzt Morphium injiziert, an Stelle oraler
Einnahme. Vorrangig geht es hier um die Linderung von Schmerzen und daher nicht um Hilfe
bei Selbsttötungen.

Es stellt sich nun die Frage, womit begründet wird, dass aktive indirekte Sterbehilfe straflos
ist. Bei Behandlungen am Lebensende handelt es sich um Heilbehandlungen iSd § 110 StGB.
Wünscht also der Patient keine Medikamente zu erhalten, hat die Behandlung zu
unterbleiben.15

Ein Teil der Lehre trifft die Unterscheidung beim Vorsatz: Handelt der Täter mit Absicht, liegt
aktive Sterbehilfe – somit Strafbarkeit – vor, bei dolus eventualis und Wissentlichkeit, soll die
Strafbarkeit entfallen. Dies zu begründen und vor allem zu beweisen, scheint unmöglich und
da auch im Gesetz kein Hinweis auf solch eine Argumentation zu finden ist, ist dieser Ansicht
nicht zu folgen.16
Eine Erklärung könnte auch auf Ebene der Rechtfertigung gesucht werden: Eine Einwilligung
des Patienten, ist ebenso wie bei § 77 und § 78 StGB nicht möglich, da in die Beendigung des
menschlichen Lebens nicht eingewilligt werden kann, außerdem ist eine Tötung immer als
sittenwidrig anzusehen. Der rechtfertigende Notstand und § 10 StGB scheiden ebenso wie bei
aktiver direkter Sterbehilfe aus.17

Moos begründet die Straflosigkeit der indirekten aktiven Sterbehilfe mit Hilfe der objektiven
Zurechnung. Dadurch soll der Tatbestand teleologisch auf den relevanten Risikobereich oder
Schutzzweck       der    Norm         reduziert        werden,     wodurch      eine    medizinisch     notwendige
Schmerzlinderung nicht den Unrechtsgehalt der §§ 75 ff StGB erfüllt. Die Rechtsgemeinschaft
sieht eine Hilfe im Sterben als notwendig an, daher stellt die Schmerzbekämpfung eine
sozialadäquate Handlung dar.18 Kritik wird von Velten gegen obige Meinung insb durch die

14 Moos in WK2 Vorbem   zu   §§   75-79   Rz   23.
15 Moos in WK2 Vorbem   zu   §§   75-79   Rz   26.
16 Moos in WK2 Vorbem   zu   §§   75-79   Rz   27; Schmoller, Lebensschutz bis zum Ende? ÖJZ 2000, 371 f.
17 Moos in WK2 Vorbem   zu   §§   75-79   Rz   28.
18 Moos in WK2 Vorbem   zu   §§   75-79   Rz   29; Kert, Sterbehilfe, JAP 2005/2006, 209.
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Unklarheit der Definition der Sozialadäquanz geführt. Ihrer Meinung nach, muss die
Straflosigkeit der aktiven indirekten Sterbehilfe aus dem Verfassungsrecht abgeleitet werden.
Wird einem leidenden Patienten die Disposition über dessen Leben verboten, liegt ein
Grundrechtseingriff in das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, iSd
Art 3 EMRK und das Recht auf Privatleben und Selbstbestimmung gem Art 8 EMRK vor.19 Nach
dem EGMR kann allerdings aus Art 3 EMRK kein „Recht auf Sterben“ abgeleitet werden20,
woraus folgt, dass leidende Patienten ihre Schmerzen bis zum Tode ertragen müssten, was
sich als menschenunwürdig erweist. Es sollten nach dieser Ansicht keine Ansprüche auf Hilfe
gegen den Staat erwachsen, sondern lediglich Dritte, die Hilfe leisten, straflos gestellt
werden.21

2.3. Passive Sterbehilfe

Hierunter versteht man das Nichtbeginnen oder Nichtfortführen von lebensnotwendigen
Behandlungen durch Tun oder Unterlassen, sollte der Handelnde Garant iSd § 2 StGB sein.
Diese Art der Sterbehilfe ist bei Moribunden straflos, was vorwiegend mit dem
Selbstbestimmungsrecht des Patienten gem § 110 StGB begründet wird.22 Mit dem Recht auf
Selbstbestimmung kann nicht vereinbart werden, dass der Patient gegen seinen Willen
künstlich am Leben erhalten wird.23 Zu beachten gilt, dass dieses „Recht des Patienten auf
einen natürlichen Tod“ iSd § 110 StGB, nur bei „natürlichen Todesursachen“, welche ohnehin
demnächst zum Tode führen, angewandt wird. Durch § 110 StGB entfällt die Garantenpflicht
des Arztes, welcher somit nicht mehr für die Behandlung zuständig ist. Damit ein Patient seine
Behandlung verweigern kann, wird Einsichts- und Urteilsfähigkeit, sowie die vorherige
Aufklärung des Arztes vorausgesetzt.24 Diese Form des Zulassens des schicksalhaften
Verendens ist letztlich auch daher erlaubt, weil es menschenunwürdig wäre, solch eine
Möglichkeit des Verzichtes auszuschließen. Im Unterschied zum assistierten Suizid, wird bei
der passiven Sterbehilfe der natürliche Verlauf der Dinge zugelassen, indem keine
Behandlungen mehr durchgeführt werden und dies letztlich zum Tode führt, während die
Suizidbeihilfe aktives Eingreifen des Suizidenten voraussetzt und das Leben hierbei auf
unnatürliche Weise beendet wird.

19 Velten in SbgK Vorbem zu §§ 75 ff Rz 83 f.
20 EGMR 29.04.2002, 2346/02, Pretty/Vereinigtes Königreich; EGMR 20.01.2011, 31322/07, Haas/Schweiz.
21 Velten in SbgK Vorbem zu §§ 75 ff Rz 83 f; Kneihs in Bernat/Kröll, Intensivmedizin 75 ff.
22 Moos in WK2 Vorbem zu §§ 75-79 Rz 31 f; L/St StGB3 § 75 Rz 10; Schmoller, Lebensschutz bis zum Ende? ÖJZ

2000, 372; Kert, Sterbehilfe, JAP 2005/2006, 209 f; Hoerster in Bernat/Kröll, Intensivmedizin 102 f; Brandstetter
in Mazal, Grenzfragen der ärztlichen Behandlung 47.
23 Kienapfel BT I4 Vorbem zu §§ 75 ff Rz 24.
24 Moos in WK2 Vorbem zu §§ 75-79 Rz 33 ff; Uhlenbruck in HK-AKM, Juni/2012, Sterbehilfe Rz 49.

                                                       -5-
2.4. Sterbebegleitung

Unter Sterbebegleitung oder „Hilfe beim Sterben“ versteht man sowohl medizinische Hilfe, als
auch das mitmenschliche Beistehen, ohne dass das Leben dabei verkürzt wird. Dies scheint
für Menschen am Lebensende besonders wichtig zu sein und wird ua dadurch erreicht, dass
Medikamente zu Verfügung gestellt werden, oder dass den Sterbenden zugehört wird. Indem
den Patienten jemand zur Seite steht, können Ängste minimiert werden.25

2.5. Freitodbegleitung

Hierbei handelt es sich um eine Vermischung von Elementen der Suizidhilfe und der
Sterbebegleitung, welche va von schweizerischen Organisationen wie Dignitas, Exit, etc
durchgeführt wird. Dabei bereitet der Suizident seine Selbsttötung mit Hilfe der Vereine vor,
wobei auch seine Angehörigen in den Sterbeprozess und die vorhergehenden Gespräche
miteingebunden werden sollen. Der Sterbende wird hierbei nicht alleine gelassen, sondern von
Professionisten betreut und es wird versucht, die Durchführung der Freitodbegleitung
möglichst bei ihm zuhause vorzunehmen.26 Bei der Bezeichnung „Freitodbegleitung“ handelt
es sich im Grunde genommen um keinen vom assistierten Suizid zu unterscheidenden Begriff,
sondern lediglich um einen im schweizerischen Sprachgebrauch verwendeten Terminus.

2.6. Einseitiger Behandlungsabbruch

Bei irreversibel bewusstlosen Patienten, kann uU der Patientenwille nicht ermittelt werden.
Würde das bedeuten, dass in solchen Fällen kein Behandlungsabbruch stattfinden darf, so
müssten diese Patienten zwanghaft weiterbehandelt werden. Daher soll in extremen Fällen
erlaubt werden, unabhängig vom mutmaßlichen Willen des Patienten, den Tod durch
Behandlungsabbruch hervorzurufen. Dabei muss entweder der unmittelbar vor dem Tode
befindliche Patient unerträglich leiden, oder der nicht Moribunde von technischen Geräten
abhängig und der Tod unabwendbar sein.27 In jedem Fall der Unterlassung einer Behandlung
ist zu beachten, dass trotz Behandlungsabbruchs eine Grundversorgung des Patienten
eingehalten werden muss.28

25 Informationsbroschüre Dignitas, Begriffe und Definitionen 13
http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/digde/digde-informations-broschuere-dignitas-deutschland.pdf
(eingesehen am 25.9.2015).
26 Informationsbroschüre Dignitas, Begriffe und Definitionen 13

http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/digde/digde-informations-broschuere-dignitas-deutschland.pdf
(eingesehen am 25.9.2015).
27 Moos in WK2 Vorbem zu §§ 75-79 Rz 39 ff; Kert, Sterbehilfe, JAP 2005/2006, 210; Kerschner in Resch/Wallner,

Medizinrecht2 Kap V Rz 102; Birklbauer in Resch/Wallner, Medizinrecht2 Kap X Rz 98 f.
28 Birklbauer/Hilf/Tipold BT I3 § 75 Rz 13; Moos in WK2 Vorbem zu §§ 75-79 Rz 44; Schmoller, Lebensschutz bis

zum Ende? ÖJZ 2000, 375.
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3. Vorschläge neuer Begriffsbezeichnungen

Die Bezeichnungen der unterschiedlichen Formen der Sterbehilfe sind nicht ausreichend
präzisiert, um die Reichweite und Abgrenzung verstehen zu können. Vor allem Laien, aber
auch Professionisten wie Ärzte und Pfleger, können die einzelnen Begriffe oft nur schwer
auseinanderhalten. Insbesondere der Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe
bereitet Schwierigkeiten. Ärzte versuchen – aufgrund der Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe
– aktive Handlungen, wie zB das Abschalten der Beatmungsgeräte zu vermeiden, obwohl es
sich hierbei um erlaubte passive Sterbehilfe handelt. Gespräche mit Medizinstudenten höherer
Semester zeigten, dass die Begriffe immer wieder durcheinander gebracht werden. Von
Borasio wird daher vorgeschlagen, die aktive Sterbehilfe als „Tötung auf Verlangen“ zu
betiteln, die passive Sterbehilfe als „Behandlungsabbruch“ oder „Therapiezieländerung“ und
die indirekte Sterbehilfe, als „erlaubte Leidenslinderung bei Gefahr der Lebensverkürzung“ zu
bezeichnen.29
Auch die österreichische Bioethikkommission schlägt neue Begriffe vor und ersetzt aktive
Sterbehilfe durch „Tötung auf Verlangen“, aktive indirekte Sterbehilfe durch „Therapien am
Lebensende“ und passive Sterbehilfe durch „Sterben zulassen“.30 Durch eine präzise
Ausgestaltung der Bezeichnungen, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, kann erreicht
werden, dass jedermann begreift, was unter den einzelnen Begriffen zu verstehen ist, was
auch dazu dienen soll, dass mehr Rechtssicherheit entsteht. Denn werden die einzelnen
Begrifflichkeiten erst einmal verstanden, kann auch leichter unterschieden werden, welche
Eingriffe erlaubt und welche verboten sind. Dadurch, dass die verschiedenen Formen nicht
mehr alle als Varianten der Sterbehilfe angeführt werden, kann auch ein Laie die Bedeutung
des Wortes schneller erfassen.

II. Strafrechtliche Einordnung in Deutschland, Österreich und der Schweiz

1. Einleitende Überlegungen

Die §§ 75 ff StGB schützen das Rechtsgut „menschliches Leben“ absolut, daher kann es kein
unterschiedlich gewichtetes Leben geben und auch eine Interessenabwägung muss
unterbleiben. Außerdem ist es unzulässig über obiges Rechtsgut zu verfügen, wobei dies selbst
beim Rechtsgutsträger als verwerflich angesehen wird.31

29   Borasio, selbst bestimmt sterben 76.
30 Bioethikkommission, Empfehlungen zur Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende 12
http://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=46713 (eingesehen am 21.10.2015).
31 F/R-K BT I5 5; Velten in SbgK Vorbem zu §§ 75 ff Rz 8.

                                                   -7-
Der Erfolg bei den Tötungsdelikten ist die Verkürzung der dem Tatobjekt verbleibenden
Lebenszeit.32 Wann ein Mensch letztlich als tot angesehen werden muss, bedarf näherer
Definition, insb da die Medizin die Erhaltung des Lebens weit über die natürliche
Lebensfähigkeit hinauszögern kann. Nach der hA ist ein Mensch tot, wenn das gesamte Gehirn
aufgehört hat zu funktionieren.33

2. Einordnung des assistierten Suizids in die österreichische Strafrechtsordnung

2.1. Mitwirkung am Selbstmord § 78 StGB

Selbstmord ist in Österreich nicht strafbar, somit stellt sich iRd § 78 StGB die Frage, warum
Dritte, welche beim Suizid behilflich sind, unter Strafe gestellt werden.
Die hA sieht den Suizid zwar als straflos an, dieser ist aber – da er verwerflich ist – rechtlich
nicht neutral.
Aus Art 2 EMRK (Schutz des Lebens) und Art 8 EMRK (Selbstbestimmungsrecht), wird die
Strafbarkeit Dritter begründet, da aus diesen Normen abgeleitet wird, dass Mithilfe Dritter am
Suizid anderer verwerflich ist. Es stellt sich hier aber die Frage, warum die Selbsttötung straflos
gestellt wird, denn auch diese ist ethisch verwerflich.34 Dies könnte damit begründet werden,
dass beim schlichten Suizid der Suizident allein handelt, also eine Selbsttötung vorliegt,
wohingegen bei der Mitwirkung, ein Dritter mithilft in das Rechtsgut eines anderen
einzuwirken. Dagegen kann eingewandt werden, dass letztlich bei beiden Formen Suizid
vorliegt, also im letzten Schritt der Suizident die Tatherrschaft innehat und daher beim
Hilfeleisten kein „Eingriff“ eines Dritten vorliegt, außer dieser verleitet den Suizidenten.

2.1.1 Objektiver Tatbestand

Das Tatopfer selbst entscheidet über die Tatmodalitäten, wobei keine Willensmängel vorliegen
dürfen und beim Opfer Selbstverantwortlichkeit gegeben sein muss. Kein freier Wille liegt vor,
wenn von außen erkennbar ist, dass das Opfer die Reichweite des Suizidwunsches nicht
überblicken, oder sein Verhalten nicht danach ausrichten kann.35

Damit der objektive Tatbestand des § 78 StGB erfüllt wird, muss ein Dritter das Opfer zum
Suizid verleiten, oder bei diesem Hilfe leisten. Sowohl das Verleiten, als auch das Hilfeleisten
finden vor der Suizidhandlung des Lebensmüden statt. Für das Verleiten ist eine Beeinflussung
des Suizidenten durch einen Dritten nötig, welche den Entschluss zur Selbsttötung auslöst.
Verleiten kann der Täter aber nur mittels Tun und nicht in Form einer Unterlassung.

32 Velten in SbgK Vorbem zu §§ 75 ff Rz 43.
33 F/R-K BT I5 8; Velten in SbgK Vorbem zu §§ 75 ff Rz 46 ff.
34 Moos in WK2 § 78 Rz 3.
35 Birklbauer/Hilf/Tipold BT I3 § 78 Rz 6; Moos in WK2 § 78 Rz 20 f; F/R-K BT I5 18.

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Hilfeleisten ist jeder sonstige fördernde psychische und/oder physische Beitrag zur Tat. Dies
setzt voraus, dass der Suizident bereit ist, sich selbst zu richten. Diese Alternative ist auch
durch Unterlassen begehbar, wenn der Täter Garant iSd § 2 StGB ist.36

2.1.2 Subjektiver Tatbestand

Für eine Strafbarkeit nach § 78 StGB ist Vorsatz in Bezug auf die Vollendung des Suizids
vorausgesetzt. Für beide Tatalternativen wird verlangt, dass der Täter will, dass sich ein
anderer freiwillig richtet.37

2.1.3 Schuld

Während § 77 StGB eine Privilegierung auf der Schuldebene ist, handelt es sich bei § 78 StGB
um eine „Mitschuld an einer tatbestandlosen fremden Tat“. Auch wenn der Täter im Fall des
§ 78 StGB ohne ein altruistisches Motiv handelt, wird er privilegiert.38

2.1.4 Beteiligung

Ist der Suizid missglückt, kann der Suizident nicht wegen Beteiligung an § 78 StGB bestraft
werden, da die Selbsttötung straflos ist. Ein dritter Mithelfender (§ 12, 2. und 3. Fall), soll nach
§ 78 bestraft werden, wenn sich auch dessen Schuld auf § 78 bezieht. Wenn der Dritte weiß,
dass beim Opfer kein Wille zu sterben vorliegt, soll er nach § 75 StGB bestraft werden.39

2.1.5 Conclusio

Nach Erläuterung des Straftatbestandes des § 78 StGB ist ersichtlich, dass assistierter Suizid
in Österreich bestraft wird. Jeder, der bei einer Selbsttötung in irgendeiner Weise mitwirkt –
egal ob durch Tun oder Unterlassen – kann sich dabei strafbar machen. Selten kommt es zu
Bestrafungen im Zusammenhang mit assistiertem Suizid iSd § 78 StGB, da die meisten Fälle
nicht als solche identifiziert werden. Keiner wird nach einem Suizid das Opfer befragen können,
ob ihm jemand dabei behilflich war, sich zu töten.
Wollen Österreicher aufgrund letaler Krankheit aus dem Leben scheiden, bleiben daher für sie
nur „harte Suizidvarianten“ wie Erhängen oder Erschießen, während sie für Suizidhilfe eine oft
beschwerliche Reise in unser Nachbarland Schweiz auf sich nehmen müssen, wofür der Begriff
„Sterbetourismus“ gebildet wurde. Darunter ist eine Reise ins Ausland, im Vorhaben dort von
Sterbehelfern in den Tod begleitet zu werden, zu verstehen. Dieser Begriff erscheint jedoch
nicht passend gewählt, denn sterbenskranke Menschen reisen nicht in die Schweiz, um das

36 L/St StGB3 § 78 Rz 3; Moos in WK2 § 78 Rz 25 ff; Mayerhofer StGB5 § 78 Rz 1 ff; F/R-K BT I5 19.
37 Moos in WK2 § 78 Rz 35; Birklbauer/Hilf/Tipold BT I3 § 78, Rz 2.
38 Moos in WK2 § 78 Rz 36.
39 Moos in WK2 § 78 Rz 38.

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Land und die Kultur kennen zu lernen, sondern weil ihr Heimatland ihnen ein Sterben nach
ihren Wünschen verwehrt. Silvan Luley – einer der Leiter von Dignitas – bemerkt hierzu, dass
das Problem nicht die Sterbetouristen sind, sondern „der Filz aus Politik, Kirche,
Pharmaindustrie und Ärzteverbänden, welche ihre Macht und ihre finanziellen Interessen
erhalten wollen, indem es Menschen unmöglich gemacht wird, selbstbestimmt, begleitet und
sicher zu sterben, wenn sie dies wollen“.40 Viele Patienten wollen lediglich einen würdigen
Abschied von Angehörigen, wenn möglich in ihrem Zuhause. In Österreich ist diese Hilfsform
aber nicht möglich, da sich Sterbebegleiter, Ärzte und Angehörige strafbar machen, würden
sie einem Patienten beim Suizid helfen.

2.2. Tötung auf Verlangen § 77 StGB

Um eine Abgrenzung zur Mitwirkung am Selbstmord treffen zu können, muss im Anschluss an
die Darstellung des § 78 StGB auf die Tötung auf Verlangen eingegangen werden. Der Täter
begeht bei der Verwirklichung des § 77 StGB aus seiner Sicht eine Fremdtötung iSd § 75 StGB,
während es sich für das Opfer, da dieses über die Modalitäten des Sterbens selbst entscheiden
kann, um eine Art Selbsttötung durch einen Dritten handelt.41

2.2.1. Objektiver Tatbestand

Um den objektiven Tatbestand des § 77 StGB zu erfüllen, muss eine Tötung durch einen
Dritten aufgrund ernstlichem, eindringlichem Verlangen des Opfers stattfinden. Ernstlichkeit
bedeutet, dass das Opfer einen Sterbewillen gebildet hat, dieser frei von Willensmängeln ist
und das Opfer reif genug ist, um die Tragweite seiner Entscheidung zu begreifen. Bloßes
Hinnehmen der Tötung ist nicht als ernstlich einzustufen. Voraussetzung ist, dass die Initiative
zum Töten vom Opfer selbst ausgeht.42
Eindringlichkeit ist sowohl Teil des Unrechts – in Bezug auf das Opfer – als auch Teil der
Schuld, in Bezug auf das Motiv des Täters. Das Opfer gibt durch die Eindringlichkeit seinen
Willen kund und erklärt damit eindeutig seinen Sterbewunsch.43
„Auf Verlangen“ bedeutet, dass der Täter sich nur aufgrund des Wunsches des Opfers dazu
entschließt, diesem zu helfen, ohne dessen Initiative würde der Täter nicht handeln. Dadurch,
dass das Opfer alle Tatmodalitäten auswählen kann, kann auch das Verlangen zur Tötung
jederzeit zurückgenommen werden.44

40 Luley, Mail vom 11.11.2015.
41 Moos in WK2 § 77 Rz 5.
42 Moos in WK2 § 77 Rz 10 ff; Bertel/Schwaighofer BT I12 § 78 Rz 1; Birklbauer/Hilf/Tipold BT I3 § 77 Rz 9;

Mayerhofer StGB5 § 77 Rz 2; L/St StGB3 § 77 Rz 4; F/R-K BT I5 16.
43 Birklbauer/Hilf/Tipold BT I3 § 77 Rz 10 f; L/St StGB3 § 77 Rz 5; Moos in WK2 § 77 Rz 28; F/R-K BT I5 16 f.
44 Kienapfel BT I4 § 77 Rz 8 ff; Moos in WK2 § 77 Rz 16 ff; Birklbauer/Hilf/Tipold BT I3 § 77 Rz 8; F/R-K BT I5 17.

                                                       - 10 -
2.2.2. Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss mit Vorsatz im Hinblick auf die Tatbestandselemente des § 75 StGB und auf
das Verlangen des Opfers, sterben zu wollen, handeln.45

2.2.3. Rechtfertigung

Die Tötung auf Verlangen kann nicht mittels Notstand gerechtfertigt werden, da
Lebensbeendigungsinteressen nicht höher gewichtet sind, als der Lebensschutz an sich.46 Auch
eine Einwilligung kommt, wie in Punkt I.2.2 erläutert, nicht in Betracht.

2.2.4. Schuld

Da es sich bei § 77 StGB um eine Privilegierung handelt, wird die Schuld des Täters aufgrund
des Verlangens des Opfers gemindert. Durch das Erfordernis der Eindringlichkeit entsteht eine
Verknüpfung zwischen Täter und Opfer, welche sich uU schuldmindernd auswirken kann.47

2.2.5. Beteiligung

Überlebt ein Opfer die Tötung auf Verlangen, wird dieses nicht wegen Bestimmung zu
§ 77 StGB bestraft, da die Selbsttötung nicht tatbestandsmäßig ist. In Österreich ist der Suizid
nicht strafbar und § 77 StGB setzt – so wie alle Tötungsdelikte – die Tötung eines Anderen
voraus, wodurch die Bestimmung des Opfers nicht strafbar sein kann. Unterstützt ein Dritter,
an den das Verlangen des Opfers nicht gerichtet ist die Tat, so ist dieser nach § 77 StGB zu
bestrafen, wenn die Privilegierung eine persönliche Eigenschaft betrifft, die zum Unrecht zählt,
nach § 75 StGB wenn sie die Schuld betrifft.48

2.2.6. Abgrenzung des § 77 StGB vom § 78 StGB

Während bei § 77 StGB ein Anderer das Tötungsgeschehen in der Hand hat, führt bei
§ 78 StGB der Sterbewillige die Tötung durch und der Dritte nimmt bloße Hilfsstellung ein.49
Daher handelt es sich bei § 77 StGB um eine Eigentötung durch fremde Hand, während
§ 78 StGB eine fremde Hilfe zur Selbsttötung durch eigene Hand darstellt.50 Die hA differenziert
bei den beiden Delikten danach, wer die Herrschaft über den Moment, welcher den Tod

45 L/St StGB3 § 77 Rz 7; Moos in WK2 § 77 Rz 31; Kienapfel BT I4 § 77 Rz 20.
46 Moos in WK2 § 77 Rz 3.
47 Moos in WK2 § 77 Rz 36 ff.
48F/R-K BT I5 17; Moos in WK2 § 77 Rz 44 f; Biklbauer/Hilf/Tipold BT I3 § 77 Rz 12.
49 Moos in WK2 § 78 Rz 39; Wegscheider, BT I4 § 78, 28 f.
50 Moos in WK2 § 78 Rz 6.

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herbeiführt, innehat. Hat das Opfer Tatherrschaft über diesen Moment, liegt § 78 StGB vor,
ansonsten § 77 StGB.51

2.2.7. Conclusio

Beim assistierten Suizid liegt – wie bereits erläutert – kein Fall des § 77 StGB vor, da der
Sterbewillige die Herrschaft über die Tat innehat und den letzten Akt, nämlich bspw das
Trinken des tödlichen Giftes, bei vollem Bewusstsein und in Freiverantwortlichkeit, selbständig
ausführt. Daher liegt kein fremder Eingriff in den Tod des Suizidenten vor.

Um besser auf Reformüberlegungen für Deutschland und Österreich eingehen zu können, soll
in den folgenden Kapiteln ein Überblick über die Gesetzeslage in Deutschland und in der
Schweiz gegeben werden.

3. Einblick in die deutsche Gesetzgebung

In Deutschland ist die Selbsttötung straflos, aber anderes als nach österreichischem Recht ist
hier auch die Teilnahme Dritter von der Strafe befreit. Dies wird mit der Freiverantwortlichkeit
der Bürger begründet.52 Es wurde auf eine gesetzliche Regelung, bis zur Schaffung des neuen
§ 217 dStGB (siehe Punkt III.2.4) verzichtet, da die meisten Fälle der Suizidbeihilfe ohnehin
ungeklärt bleiben würden. Aus materieller Sicht wird die Straflosigkeit nach der in Deutschland
hA mit der limitierten Akzessorietät begründet. Voraussetzung einer Teilnahme ist eine
strafbare Haupttat, an welcher es aber bei der Suizidhilfe mangelt und außerdem stellt das
suizidale      Handeln      kein    Unrecht     dar.53        Zu   beachten   ist   allerdings,    dass    sich
Lebensschutzgaranten (zB Ärzte oder Ehepartner), wenn sie es unterlassen einem Suizidenten
zu helfen, uU wegen Totschlag durch Unterlassen, oder unterlassener Hilfeleistung strafbar
machen        können.      Die     heute   hA    hat     in     diesem   Zusammenhang         erkannt,     dass
Freiverantwortlichkeit des Sterbewilligen die Eingriffspflicht des Garanten aufhebt, wenn der
Suizident Tatherrschaft über den lebensbeendenden Akt hat (siehe Punkt III.2.1).54

3.1. Tötung auf Verlangen § 216 dStGB

„(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung
bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(2) Der Versuch ist strafbar.“

51   Moos in WK2 § 78 Rz 42.
52   Neumann in NK-StGB, Vor §§ 211 ff Rz 44 f; Schneider in MK-StGB, Vor §§ 211 ff Rz 30; Jähnke in LK-StGB,
Vor §§ 211 ff Rz 21.
53 Gavela, Ärztlich assistierter Suizid 14 ff.
54 Schneider in MK-StGB, Vor §§ 211 ff Rz 77; Neumann in NK-StGB, Vor §§ 211 ff Rz 78; Gavela, Ärztlich

assistierter Suizid 275.
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Dieser Paragraf ist eine Ausnahme vom Grundsatz, dass in Verletzungen eines Rechtsgutes
eingewilligt werden kann, denn das Rechtsgut Leben ist grds unverfügbar. Daher kann das
Unrecht zwar bei Mitleidstaten gemindert, aber nicht aufgehoben werden.55

Der objektive Tatbestand wird erfüllt, wenn das Opfer den Täter durch ausdrückliches,
ernstliches Verlangen zur Tötung bestimmt. Ausdrücklichkeit iSd § 216 dStGB meint, dass der
Sterbewillige seinen Todeswunsch eindeutig und ohne Gründe daran zu zweifeln kundgibt.
Dafür ist nicht nur sprachlicher Ausdruck gefordert, sondern auch Gesten und Gebärden sind
ausreichend.
Ernstlichkeit bedeutet, dass ein freiverantwortlicher Entschluss, ohne Zwang oder Irrtum
gegeben sein muss. Ernst ist eine Entscheidung va dann nicht, wenn alters- oder
krankheitsbedingte Einflüsse vorliegen.
„Zur Tötung bestimmt“ ist jeder, der den Tatentschluss nur aufgrund des Wunsches des Opfers
fasst.56
Wichtig ist, die Abgrenzung zwischen Suizidteilnahme und Tötung auf Verlangen genau zu
definieren, da erstere wie oben erklärt straflos ist. Der Unterschied liegt auf Ebene der
Tatherrschaft, wobei nach der deutschen hA danach differenziert wird, ob der Sterbewillige bis
zum letzten Akt selbst über seinen Tod eigenverantwortlich bestimmt hat, oder ob er sich „in
die Hand eines anderen begeben habe“.57 Hat der Suizident bis zum Tode bringenden Moment
(„point of no return“) Kontrolle über die Situation, bspw indem er sich selbst – nach
Vorbereitung eines Dritten – Gift injiziert und kann er folglich auch jederzeit seinen
Todeswunsch ändern, liegt straffreier assistierter Suizid vor. Diese Form der Selbsttötung ist
auch bei Personen, die nicht mehr bewegungsfähig sind möglich, indem sie die Giftdosis über
eine Infusion oder mit Hilfe ihrer Augen steuern.58
Auf subjektiver Ebene reicht dolus eventualis auf alle objektiven Merkmale, insb auf das
Tötungsverlangen des Opfers und dessen Ernstlichkeit.59

55   Neumann in NK-StGB, § 216 Rz 1.
56   Neumann in NK-StGB, § 216 Rz 10 ff; Schneider in MK-StGB, § 216 Rz 18 f; Momsen in SSW-StGB,
§ 216 Rz 5 ff.
57 Schneider in MK-StGB, § 216 Rz 33; Neumann in NK-StGB, § 216 Rz 5 f; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid 16 f,

28, 210.
58 Borasio, selbst bestimmt sterben 90 ff.
59 Schneider in MK-StGB, § 216 Rz 50; Momsen in SSW-StGB, § 216 Rz 9; Neumann in NK-StGB, § 216 Rz 17;

Jähnke in LK-StGB, § 216 Rz 18.
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3.2. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung § 217 dStGB 60

„(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu
geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft, oder vermittelt wird mit Freiheitsstrafe
bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder
Angehöriger des in Abs 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“

Der objektive Tatbestand ist erfüllt, wenn jemand in der Absicht, einen Suizid eines anderen
zu fördern, geschäftsmäßige Hilfe leistet. Geschäftsmäßigkeit liegt vor, wenn jemand in der
Absicht handelt, die Tätigkeit zu wiederholen. Es handelt sich also um eine selbständige, auf
Wiederholungsabsicht zielende Tätigkeit, wobei bereits eine einmalige Handlung ausreichend
sein kann. Gavela kritisiert dies va deshalb, weil auch strafrechtlich nicht missbilligte
Handlungen erfasst werden würden, wobei vor allem auf Ärzte angespielt wird (siehe Punkt
III.2.4.).61 An der Straflosigkeit der Suizidbeihilfe Angehöriger wird sich durch dieses Gesetz
nichts ändern, vorausgesetzt diese handeln nicht geschäftsmäßig.

4. Einblick ins schweizerische Recht

4.1. Tötung auf Verlangen Art 114 schStGB

„Wer aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, einen Menschen auf dessen
ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe bestraft.“

Um den objektiven Tatbestand zu erfüllen, muss der Täter das Opfer bspw aus Mitleid töten,
wobei dieses selbst die Tötung ernsthaft und eindringlich verlangen muss. Hierfür wird
Tötungsverlangen, welches die Tat des Täters initiiert, vorausgesetzt. Ernsthaftigkeit ist
gegeben, wenn das Opfer seinen Willen unbeeinflusst bilden konnte, während Eindringlichkeit
bedeutet, dass der Sterbewillige bei Nachfragen seinen Wunsch auch wiederholen würde.62
Beim subjektiven Element ist für das Verlangen, die Ernstlichkeit und Eindringlichkeit dolus
eventualis nicht ausreichend, vielmehr muss der Täter von diesen Voraussetzungen überzeugt

60 Brand/Griese u.a., Gesetzentwurf 5 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/053/1805373.pdf (eingesehen am
6.11.2015) voraussichtliche Geltung ab 2016.
61 Gavela, Ärztlich assistierter Suizid 264 f.
62 Schwarzenegger in BSK Strafrecht II Art 114 Rz 4 ff; Trechsel/Jean-Richard, StGB PK, Art 114 Rz 1 ff;

Stratenwerth/Wohlers in Handkommentar StGB2 Art 114 Rz 3.
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