Was wir euch gerne sagen würden - Fairer Handel: Wir feiern und genießen Nachgefragt: Warum macht es Sie glücklich, Brot zu retten? - Katholische ...
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Eine Welt Journal Baden–Württemberg Nr. 90 | Sept. ’21 | 5 Euro : Interkultur rne sagen würden h ge Was wir euc eßen Wir feie rn und geni el: Fairer Hand t es Sie glücklich, h hgefragt : Warum mac Nac ten? Brot zu ret
Inhalt Editorial Interkultur 3 Was wir euch gerne sagen würden 6 Wir haben Aha-Momente! 8 Die Nachfrage ist riesig 9 Unsere Buchtipps 10 Rassismus: Das geht gar nicht! 12 Eine Welt der Vielen Liebe Leserin, lieber Leser, 14 Glossar: Wie sage ich es richtig? unser Redaktionsteam ist bei dieser Südzeit-Ausgabe größer als üblich: das Schwerpunktthema „Was wir Rezept euch gerne sagen würden“ haben Interkulturelle Pro- motoren gemeinsam mit ihrer Koordinatorin kon- 15 Wir lieben es scharf: Aguachile zipiert. Die vier Frauen und ein Mann sind Teil des „Interkulturellen Promotor*innen-Programms“. Sie beraten, qualifizieren und begleiten Vereine, Einzel- Asylpolitik personen und Kommunen in ganz Baden-Württem- berg in allen Fragen rund um das große Thema In- 16 Unser moralisches Angebot terkultur. Gleich nach dem Start des Programms am 1. Januar 2021 war die Nachfrage nach Beratung, Vernetzung und Vermittlung, trotz der Pandemie be- Forum dingten Beschränkungen, groß. „Meine 70 %-Stelle reicht bei weitem nicht aus, es fühlt sich an, als hätte 18 Das ist keine Droge! ich 300“, so eine Promotorin. 20 Die verkaufte Würde Im Mittelpunkt stehen die migrantisch-diasporischen Vereine, von denen es in Baden-Württemberg fast Fairer Handel Tausend gibt. Viele ihrer Mitglieder sind seit Jahren aktiv und leisten, oft unbeachtet von der Öffentlich- 22 Zukunft fair gestalten keit, wertvolle entwicklungspolitische Arbeit. Ein wichtiges Ziel der Promotorinnen und des Promotors ist es, diese Expertise sichtbar zu machen und die Politik migrantischen Expertinnen und Experten mit Kom- munen, Eine Welt-Vereinen und Geflüchteten-Un- 24 Forderungen: Was uns wichtig ist terstützungen zu vernetzen. Immer deutlicher wird, welch vielfältige neue Möglichkeiten, welch Wissens- zuwachs und Inspiration sich durch diese Zusam- Zeit-Fragen menarbeit ergeben. Doch lesen Sie selbst, was Ihnen die engagierten Akteure gerne sagen möchten … 26 Warum macht es Sie glücklich, Brot zu retten? Ihre Ser vice Susanne Schnell 27 Termine, Aktuelles, Fairer Handel, Impressum 31 Das war mein größter Coup
Was wir euch gerne sagen würden Hala Elamin "Menschen mit unterschiedlichen inter- nationalen Hintergründen und diversen Biografien bereichern die Gesellschaft." Foto rechts: Treffen der Promotoren im Juli 2021 mit Referent und Koordinatorin. Was wir euch gerne sagen würden Vier Frauen und ein Mann engagieren shops oder Veranstaltungen zu Frieden, Religion, Migra- tion. Ich führe Angebote für das Empowerment und die sich als Interkulturelle Promotoren Anti-Rassismus-Arbeit durch und stehe Hand in Hand (IKP) für eine offene Gesellschaft. Ihre mit ehren- und hauptamtlichen Akteuren in der Region Erfahrungen für Frieden und mehr Teilhabe. Menschen mit unterschiedlichen internationalen Hinter- gründen und diversen Biografien bereichern die Gesell- schaft und ermöglichen neue Perspektiven. Empowerment von Frauen Hala Elamin, Interkulturelle Promotorin, Regierungsbezirk ist ein wichtiges Ziel Stuttgart. Trägerverein: Freundeskreis Afrika e.V. Ich freue mich, durch meine Arbeit als Interkulturelle Promotorin unsere Heimat aktiv mitzugestalten und für ein gutes Zusammenleben zu werben. Ich vernetze die un- Öffnet euch für terschiedlichen Akteure und Initiativen, informiere bzw. berate sie und tausche mich mit Expertinnen und Ex- migrantische Expertise! perten aus. Ein Highlight meiner bisherigen Arbeit war die Unterstützung von Frauen mit Gewalterfahrung. Ge- Meine Arbeit startete während der Pandemie. Mir wur- meinsam mit der Diakonie und mithilfe von Psychologen de schnell klar, dass es ein Privileg ist, eine uneinge- konnten wir traumatisierten Frauen, u.a. aus Togo, Af- schränkte Online-Präsenz zu haben. Für viele migran- ghanistan und Syrien, Methoden vermitteln, die verhin- tische Vereine war es schwierig, sich im digitalen Raum dern, dass es zu einem dramatischen Flashback kommt. zu bewegen. Sie hatten keine digitale Ausrüstung, kein Außerdem gaben wir Tipps, um ihnen zu helfen, metho- ausreichendes Datenvolumen, litten unter Existenzäng- disch mit ihrem Trauma umzugehen. Aus dieser Arbeit sten und unter geschrumpften Finanzen. Auch für Eine entstanden weitere Programme zum Empowerment von Welt-Vereine war der Umgang mit digitalen Formaten Frauen. Ein neues Interaktionskonzept der Stadt soll nun eine Herausforderung. Zu meinen wichtigsten Beratungs- alle Akteure, von Polizei über Kirche und Zivilgesell- feldern gehörten deshalb u.a. die digitale Qualifizierung, schaft vor Ort, miteinbinden. Fördermöglichkeiten, Stärkung der Vereinsstrukturen, Ein anderes wichtiges Arbeitsfeld ist die internationale Netzwerkbildung, Werbung neuer Mitglieder und die ent- und entwicklungspolitische Bildungsarbeit, um Perspek- wicklungspolitische Bildungsarbeit. Ich stellte fest, dass tivenwechsel zu ermöglichen, z. B. im Rahmen von Work- die mehrheitsgesellschaftlichen Eine Welt-Vereine nicht Nr. 90 3
Dr. Rajya Farina Karumanchi- Görmar Dörsam "Die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele betrifft "Glaubwürdigkeit ist ein nicht nur den Globalen Sü- Thema bei einer Laufzeit den, sondern auch uns hier des Programms von nur in der Region Stuttgart. Da- einem Jahr. Um Beratungen für müssen alle Menschen durchzuführen, muss man partizipieren können." Vertrauen schaffen. Das braucht Zeit." immer bereit sind, sich interkulturell zu öffnen. Sie dazu Die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele betrifft zu bringen, migrantische Expertise wahrzunehmen und nicht nur den Globalen Süden, sondern auch uns hier miteinzubeziehen, braucht viel Überzeugungsarbeit, be- in der Region Stuttgart. Für die Gestaltung einer viel- sonders wenn Sie noch im „Wir-retten-die-Dritte-Welt“ fältigen und friedlichen Zukunft ist es wichtig, dass alle Modus sind. Oder wenn sie trotz einer Partnerschaft mit Menschen gesellschaftlich partizipieren können, Chan- einem Land des Globalen Südens behaupten, dass „un- cengleichheit gewährleistet ist und Machtdifferenzen ab- ser Verein nichts mit Integration/Migration zu tun“ hat. gebaut werden. Wichtig ist, auf die Sprache und Wortwahl zu achten, wenn man die verschiedenen Zielgruppen erreichen will. Als IKP möchte ich deshalb transkulturelle Bürgerbetei- ligung fördern und gemeinsam mit Verantwortlichen und Auch Glaubwürdigkeit ist ein Thema bei einer Laufzeit Akteuren neue Ideen entwickeln, um Partizipationsmög- des Programms von nur einem Jahr. Um Beratungen lichkeiten auszubauen, und eine gesellschaftliche Spal- durchzuführen, muss man Vertrauen schaffen. Das tung in „Wir“ und „die Anderen“ in der Region Stuttgart braucht Zeit und viele Gespräche. Meine Stelle reicht zu verhindern. Es ist dabei wichtig, MDO als zivilgesell- nicht, um den Beratungs-Bedarf aller Akteure zu stem- schaftliche Akteure mitzudenken, ihre Expertisen ein- men. zubeziehen sowie die Öffentlichkeit für Fluchtursachen, globale Zusammenhänge und soziale Gerechtigkeit zu Der neue Koalitionsvertrag enthält Punkte, die die För- sensibilisieren. Gerade junge Migranten sollten unter- derung von migrantischen Vereinen und migrantischer stützt werden, damit sie ihre Vorstellungen, insbesondere Partizipation betreffen und es ist gewinnbringend, bei im Bereich Nachhaltigkeit, adressieren können. den verschiedenen Zielgruppen darauf hinzuweisen. Die ersten sechs Monate als IKP zeigten, dass unse- Viele Akteure, besonders migrantische Organisationen, re Aufgabe als beratende Schnittstelle zwischen MDO, freuen sich, dass die Entwicklungs- und Integrationspoli- Politik, Verwaltung, Eine Welt-Akteuren, Geflüchteten- tik einen sichtbaren Platz in der Landespolitik einnimmt. Unterstützung und Zivilgesellschaft gut angenommen wird. Es gab viele Vernetzungs- und Beratungsanfragen Dr. Rajya Karumanchi-Dörsam, Interkulturelle Promotorin, zu Themen der Interkulturellen Öffnung, Vermittlung Regierungsbezirk Karlsruhe. migrantisch-diasporischer Expertisen und gemeinsamer Trägerverein: SIMAMA - STEH AUF e. V. Ausgestaltung nachhaltiger, entwicklungspolitischer Themen-Veranstaltungen. Nur gemeinsam schaffen Besonders gefreut hat mich das große Interesse von Kom- munen, Bildungsakteuren und Schulen sowie die Of- wir eine zukunftsfähige Welt fenheit der verschiedenen Zielgruppen voneinander zu lernen und gemeinsam nachhaltige, chancengerechte Le- bensräume zu gestalten. Die globale Situation erfordert Der Start meiner Arbeit war Pandemie bedingt heraus- gemeinsames Handeln, über soziokulturelle, politische fordernd, aber ein wichtiger Meilenstein, denn migran- und religiöse Grenzen hinweg. Nur gemeinsam können tisch-diasporische Organisationen (MDO), Geflüchtete wir uns stark machen für eine bessere und gerechtere Zu- und Migranten sind besonders stark betroffen von den kunft unseres Planeten sozioökonomischen und sozialen Auswirkungen der Co- ronakrise. Die Nachfrage nach Beratung war gleich zu Farina Görmar, Interkulturelle Promotorin für die Region Beginn meiner Arbeit groß und stieg zunehmend an. Stuttgart. Trägerverein: Afrokids International e.V. 4 Nr. 90
Ivonne Alex M. Cadavid Moepedi "Ich konnte erleben, "Migrantisch-diasporische wie migrantische Organisationen sind die Akteure ihre Expertise wichtigsten Akteure unserer bei Projekten anderer Gesellschaft, um den Globa- Organisationen einbrin- len Süden und den Globalen gen, aber auch, wie Eine- Norden zu verbinden." Welt-Bündnisse diese Expertise annehmen und damit wachsen." Mein Anliegen: gerne einbringe, denn es fühlt sich nach einer sehr ge- winnbringenden Tätigkeit für die Sichtbarkeit, Teilhabe Vernetzt euch! und den Strukturenaufbau vieler Akteure sowie migran- tisch-diasporischer Gruppen an. Wir als Gesellschaft können hieran nur wachsen. Ganz nach dem Motto: „Al- Im Regierungsbezirk Tübingen, in dem ich als Interkul- leine ist man schneller, gemeinsam kommt man weiter.“ turelle Promotorin (IKP) tätig bin, gibt es viele interes- sante Projekte, Bündnisse und Initiativen, die schon gut Ivonne Cadavid, Interkulturelle Promotorin im etabliert sind oder gerade neu entstehen. Als IKP gehört Regierungsbezirk Tübingen. Trägerverein: Telar e.V. es zu meinen Aufgaben, eine Vernetzung herzustellen. Ich stand vor der spannenden Frage: Wer soll denn vernetzt werden – und wieso ist das so relevant? Wer entwickelt wen? Wichtig für meine Arbeit sind insbesondere Projekte und Initiativen aus drei Bereichen: zum einen migrantisch- Seit ich mit Migrantinnen und Migranten sowie Geflüch- diasporische Organisationen oder migrantische Akteure, teten arbeite, ist mir klar geworden, dass ihre Expertise in zum anderen jene Initiativen, die im Bereich der Ent- unserer Gesellschaft unterschätzt wird. Ein wichtiger As- wicklungspolitik sowie der Eine Welt-Arbeit tätig sind pekt meiner Arbeit als IKP ist es, diese Expertise sichtbar oder tätig werden möchten und nicht zuletzt die Geflüch- zu machen. Wir müssen Migranten bzw. Geflüchtete in teten-Unterstützung etwa in Form von Asyl- oder Inte- alle Entscheidungsprozesse der Projekte und Initiativen, grationskreisen. die sie betreffen, einbeziehen! Viele Vorhaben und Initia- Warum sollen sich diese Bereiche stärker vernetzen? Die tiven sind genau aus diesem Grund nicht erfolgreich: Die Antwort war schnell gefunden: Projekte und Initiativen eigentlichen Akteure werden nicht eingebunden, sondern können gegenseitig von den Expertisen und neuen Per- das Projekt wird für sie erledigt. spektiven profitieren. Bei einer Zusammenarbeit besteht die Möglichkeit, Synergien zu nutzen. Auch bestehen- Oft höre ich: „Probleme liegen im Süden, Wissen zur Lö- de Strukturen wie Newsletter und Websites, aber auch sung der Probleme liegt im Norden.“ Doch der Globale Räumlichkeiten oder Fördergelder können genutzt wer- Norden kennt nicht alle Antworten und Lösungen für den und somit mehr Sichtbarkeit verleihen. den Globalen Süden. Migrantisch-diasporische Orga- Es gibt unzählige Beispiele, wie diese Vernetzung und nisationen sind die wichtigsten Akteure unserer Gesell- Kooperation aussehen kann. Bis jetzt konnte ich erleben, schaft, um den Globalen Süden und den Globalen Norden wie migrantische Akteure ihre Expertise bei unterschied- zu verbinden. Ich bin in Kontakt mit Kommunen, Eine lichen Projekten anderer Organisationen einbringen Welt-Vereinen und anderen Initiativen, um Kooperati- konnten, aber auch, wie Eine Welt-Bündnisse in ihren onen zu ermöglichen. Wichtig finde ich auch, dass wir die Strukturen Raum schaffen, um diese Expertise anzu- Kultur des Wissenstransfers und des Wissensaustauschs nehmen und damit zu wachsen. Auch die Geflüchteten- zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden Unterstützung wird durch die Expertise und das Enga- fördern. Eine offene Frage lautet nach wie vor: Wer wird gement von migrantisch-diasporischen Organisationen entwickelt oder wer entwickelt wen? beraten und unterstützt. Alex M. Moepedi, Interkultureller Promotor, Die Vernetzungsarbeit setzt Beratung und Betreuung vo- Regierungsbezirk Freiburg, Träger: Interkultureller Verein raus und nimmt viel Zeit in Anspruch. Es ist Zeit, die ich FAIRburg e.V. Nr. 90 5
Was wir euch gerne sagen würden Wir haben Aha-Momente! Die einen wünschen sich migrantische Expertise, die anderen mehr Teilhabe, manche haben nur eine Frage. Und Sie? Wie konnten die Promotoren Ihnen weiterhelfen? Dachverband Entwicklungspolitik Menschen vor Ort, die sich enga- Baden-Württemberg (DEAB) kann gieren für und mit Menschen aus ich ganz konkret an der Arbeit un- anderen Kulturkreisen, sei es aus serer Interkulturellen Promotorin entwicklungspolitischer Motivation festmachen. Mit ihrem Erfahrungs- oder im Engagement für Integrati- hintergrund als Geflüchtete ist sie on und gegen Rassismus. So wer- ein lebendiger Teil der Stadtge- den Gemeinsamkeiten sichtbar und sellschaft, die neue Impulse setzt für die zivilgesellschaftliche Arbeit für interkulturelles Lernen in den fruchtbar gemacht. Migrantinnen verschiedensten Kontexten. Das und Migranten werden auf ihrem Interkulturelle Promotor*innen- Weg zu selbstbewussten Bürgern Programm ist dafür die Plattform. unterstützt, für ihre Rechte einzu- Damit wird Engagement sichtbar treten. Zugleich fungieren sie als gemacht und erfährt Wertschätzung. Brückenbauer ins Ausland. Menschen vor Ort werden Das Interkulturelle Promotor*innen- vernetzt und ermutigt Programm öffnet Räume für Neuan- Jutta Niemann, MdL, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag kömmlinge und Alteingesessene, es Baden-Württemberg, Sprecherin für Die Stärken des Interkulturellen verbindet und initiiert gemeinsames Energie- und Klimapolitik Promotor*innen-Programms des Lernen. Es vernetzt ganz konkret Durch neue Kontakte ker, da brauchen wir die Sichtwei- en Kontakte gibt es viele Aha-Mo- haben wir Aha-Momente se und Expertise von Menschen aus mente bei unseren Netzwerktreffen, dem Globalen Süden. Durch die neu- denn der Blick auf bestimmte Dinge Die Interkulturelle Promotorin (IKP) ist oft überraschend unterschiedlich. berät uns und begleitet unsere Ar- Die IKP und unsere neuen Netz- beit. Sie gestaltet Prozesse mit und werkmitglieder erweitern nicht nur ermöglicht uns, Kontakte zu Grup- unser fachliches Wissen und unseren pen und Organisationen zu knüpfen, Horizont, es ist auch mehr Dynamik zu denen wir sonst keinen Zugang in den Treffen vorhanden. Und auch hätten. In der Vergangenheit ha- auf der persönlichen Ebene fühle ich ben wir schon mehrfach versucht, mich durch die IKP und die neuen Menschen aus migrantisch-diaspo- Mitglieder sehr bereichert. rischen Vereinen zu unseren Treffen Hanna Smitmans, Geschäftsführung einzuladen, das hat jedoch nie ge- und Koordination des Vereins klappt. Wir beschäftigen uns mit den „FAIRstrickt – wer bezahlt den Preis Themen globaler Gerechtigkeit und der Mode?“ sind eine Gruppe weißer Akademi- 6 Nr. 90
Wir fühlen uns als sere Lebensbedingungen zu fordern einer demokratischen Gesellschaft Migranten gestärkt! und Menschenrechtsverletzungen in diskutieren. Durch die Beratung und Kolumbien durch die Polizei anzu- Mitwirkung des Interkulturellen Es gibt unterschiedliche Gründe, klagen. Promotors haben wir neue Wege zur warum mehr als 20.700 Kolum- Ich gehöre zu einer Gruppe von Ko- Verwirklichung unserer Integration bianerinnen und Kolumbianer in lumbianerinnen und Kolumbianern gefunden und fühlen uns als Mi- Deutschland einen Ort gefunden in Freiburg. Hier finden wir Unter- granten im Bereich Bildung, Frieden haben, ihr Lebensprojekt zu ver- und Demokratie gestärkt. wirklichen: Sie sind hier für ein Stu- dium, für bessere Arbeitschancen, Wir danken dem IKP für die Bereit- aufgrund der Liebe oder wegen po- schaft, uns bei der Bildung und bei litischem Asyl. Viele kolumbianische der Festigung einer Gruppe kolum- Migranten spüren immer noch die bianischer Migranten zu begleiten. physischen und emotionalen Aus- So können wir Projekte für unser wirkungen, die das Leben in einem Herkunftsland umsetzen und unsere Land mit sich bringt, das von sozi- Anliegen sichtbarer machen sowie aler Ungleichheit, Korruption und unseren Beitrag zur Bereicherung Gewalt geprägt ist. Manche wollen der deutschen Gesellschaft leisten. mit den in Deutschland gesammel- Wir können die Stimme erheben, ten Erfahrungen zurückkehren, um um die internationale Gemeinschaft zur Veränderung Kolumbiens beizu- aufzufordern, ihre Beteiligung an tragen. Vor zwei Monaten kam es zu den Ursachen von Konflikten auf der Protesten in Kolumbien gegen eine ganzen Welt anzuerkennen und mög- Politik, die soziale Ungleichheiten stützung bei Projekten wie dem Lese- liche Lösungen einzuleiten. vergrößert. Tausende Kolumbianer kreis „Für den Frieden Denken: Bil- Camila Morales, Mitglied einer in ganz Deutschland hat dies inspi- dung für Soziales Engagement”, bei Kolumbien-Gruppe in Freiburg riert, gemeinsam für den nationalen dem wir die Rolle und die Möglich- Streik zu mobilisieren und u.a. bes- keiten von Bildung für den Aufbau gramm „Demokratie leben!“. Auf rin hat die Begrüßung, Übersetzung diese Weise möchte die Stadt einen sowie das Programm gestaltet. Zu- Beitrag zur Förderung der Demo- dem hat sie einen Vortrag für die kratie und zur Bekämpfung von Ras- Eltern Schwarzer Kinder gehalten sismus und Diskriminierung leisten. sowie das Kinderprogramm für die Wir organisieren Lesungen, Fußball- Schwarzen Kinder konzeptioniert. turniere, Trommelworkshops oder auch Podiumsdiskussionen. Dabei Es ist gut, eine fachlich kompetente kam die Idee auf, auch ein „Treffen Ansprechpartnerin zu haben, die die Schwarzer Kinder“ anzubieten. Da- erste Organisation solch eines Tref- für haben wir die für uns zuständige fens eng begleitet. Einen Mehrwert Interkulturelle Promotorin kontak- für uns haben auch die kostenlosen tiert. Sie hat uns bei der Organisa- Workshops für verschiedene Ziel- tion fachlich unterstützt, begleitet gruppen. Die Interkulturelle Promo- „Treffen Schwarzer und insbesondere den Start des Pro- torin hilft bei der Sensibilisierung Kinder“ wurde möglich jekts befördert: die Konzeption, das und Reflexion. erste Treffen sowie den Übergang In Weinstadt beteiligen wir uns un- in ein regelmäßiges Angebot. Das Stefanie Falk, Integrationsbeauftragte der Stadt Weinstadt ter anderem an den Interkulturellen erste Treffen fand am 10. Juli in der Wochen und auch am Bundespro- Stadtbücherei statt. Die Promoto- Nr. 90 7
Was wir euch gerne sagen würden Die Nachfrage ist riesig Seit acht Monaten sind te Öffentlichkeit zur Zielgruppe des Ebenso konnten die Promotoren Ge- Programms. flüchtete als Multiplikatoren gewin- die Interkulturellen nen. Promotoren aktiv. Sind schon Erfolge sichtbar? Eine Zwischenbilanz Den Promotoren ist es gelungen, in Das Programm begann inmitten der einigen integrations- und entwick- Pandemie. Das war schwierig? lungspolitischen Strukturen den Die Corona-Regelungen reduzierten Mehrwert migrantischer Expertise die Gespräche der fünf Promotoren und Beteiligung deutlich zu ma- aus den Regierungsbezirken Karls- chen. Sie stellten Kontakte zu mi- ruhe, Tübingen, Freiburg, Stuttgart grantischen Gruppen her, die dann und der Region Stuttgart auf den zu Kooperationspartnern wurden. digitalen Raum. Das war schwierig. Manche Migrantinnen und Mi- Andererseits ermöglichten Online- granten wurden sich durch ihre so plattformen, interessierte Gruppen erlangte Sichtbarkeit ihres politi- und Personen Land- und Stadtkreise schen Einflusses bewusst. übergreifend und sogar Kontinente übergreifend zu vernetzen, zu bera- Warum brauchen wir in Baden- Mit welchen Themen wenden Sie ten und zusammenzubringen. Württemberg ein Interkulturelles sich an die Gesamtgesellschaft? Promotor*innen-Programm? Wir möchten die breite Öffentlich- Zur Person: Jenny Mushegera, Dachverband Entwicklungspolitik Unter politisch-gesellschaftlichen keit für Themen wie Migration und Baden-Württemberg, DEAB, Rahmenbedingungen wie der Black Entwicklung, Flucht und Entwick- koordiniert das Interkulturelle Lives Matter Bewegung, Fridays for lungspolitik, Menschenrechte sowie Promotor*innen-Programm Future, Agenda 2030 und den gesell- Rassismus und Diskriminierung sen- schaftlichen Auswirkungen der Co- sibilisieren. Hierfür wurden in den rona-Pandemie zeigt das Interkul- vergangenen Monaten über 60 Ver- turelle Promotor*innen-Programm anstaltungen organisiert. Die Digita- Das Interkulturelle (IKPP) seine Stärken. Es bringt un- lisierung hatte den Vorteil, dass sich terschiedliche Akteure miteinander Menschen aus verschiedenen Regi- Promotor*innen- ins Gespräch, qualifiziert sie weiter onen Baden-Württembergs zu Ver- Programm (IKPP) und macht die Schnittstelle von In- anstaltungen dazuschalten konnten. Wer kann sich an die Promotoren wen- tegrations- und Entwicklungspolitik den? Alle, die sich für globale Verantwor- deutlich. Tatsächlich war die Nach- Was bieten Sie Asylkreisen? tung und Solidarität engagieren frage nach Beratung gleich zu Be- Ein Ziel des IKPP ist es, Geflüchte- Tätigkeit der Promotoren: Information, ginn des Programms riesig. Und nun ten-Unterstützungen, wie beispiels- Beratung, Vernetzung, Qualifizierungen nimmt sie immer weiter zu. weise Asylkreisen, Zugang zu ent- Ziele des IKPP: wicklungspolitischen Fortbildungen • Mehr Teilhabe von Migranten durch Wer gehört zur Zielgruppe? Stärkung ihrer zivilgesellschaftlichen zu ermöglichen. Hierfür ermitteln Strukturen Die Hauptzielgruppe sind migran- wir in Gesprächen mit z. B. Integra- • Mehr Interkulturelle Öffnung von Eine tisch-diasporische Organisationen. tionsmanagern, Asyl-Arbeitskreisen, Welt-Akteuren in Baden-Württemberg (MDO). Die fünf Interkulturellen • Geflüchteten-Unterstützungen entwick- Stabsstellen und dem Flüchtlings- lungspolitisch weiterqualifizieren Promotoren haben in den ersten rat Baden-Württemberg e.V. ent- • Die Integrationsbereitschaft der Ge- sechs Monaten ihrer Arbeit fast 500 wicklungspolitische Themen, die samtgesellschaft erhöhen MDO in Baden-Württemberg iden- Geflüchteten-Unterstützungen in Struktur: Der Dachverband Entwicklungs- tifiziert und sie zu Themen wie För- ihrer Arbeit beschäftigen. Folgende politik Baden-Württemberg (DEAB) koordi- dermöglichkeiten, Digitalisierung, niert das Programm. Es wird durch das Themen konnten wir u.a. ermitteln: Ministerium für Soziales, Gesundheit und Vereinsgründung und Vernetzung Klimawandel, Bildung, Konflikte, Integration aus den Mitteln des Landes beraten. Ebenso gehören Geflüch- kapitalismuskritische Arbeit, Em- Baden-Württemberg unterstützt. teten-Unterstützungen, Politik und powerment, friedliches Zusammen- Kontakt und Information: www.deab.de Verwaltung und natürlich die brei- leben, Gender-basierte Mehrbedarfe. 8 Nr. 90
Unsere Buchtipps Lesen eröffnet neue Perspektiven. Und diese Autorinnen weiten Ihren Blick. Garantiert! n J . b i Ro elo iA ng D Die Soziologin forscht seit vielen Jahren zum Thema Rassismus. 2011 prägte sie den Be- griff „White fragility“. Dieser bezeichnet die abwehrende Reaktion vieler Weißer, wenn sie mit dem Rassismus konfrontiert werden, der von ihnen ausgeht. Nun wurde ihr Buch ins Deutsche übersetzt. Es hilft dabei, den eige- nen Rassismus zu überwinden. ita Robin J. DiAngelo: Wir müssen über Lup ‘o Alice Rassismus sprechen. A. d. Englischen von Ulrike Bischoff, Hoffmann und Campe. g rs Ab 5. Oktober 2021 als Taschenbuch Nyon Haste Lupita Nyong‘o ist eine kenianisch-mexika- Alice Hasters, geboren in Köln, ist eine nische Schauspielerin und Autorin. Im Mit- studierte Journalistin. Schon in der Schule telpunkt ihres Bilderbuchs steht die kleine musste sie sich mit alltäglichem Rassismus Sulwe, die sich nichts sehnlicher wünscht auseinandersetzen. In ihrem Buch beschreibt als eine hellere Haut zu haben. So lange, bis sie, wie Rassismus ihren Alltag als Schwarze sie eine Reise durch die Nacht und zu sich Frau bestimmt. Und sie macht klar, dass jede selbst antritt. Das Buch gewann mehrere Person Rassismus nur überwinden kann, Preise. wenn sie sich damit in einem oft schmerz- haften Prozess auseinandersetzt. Lupita Nyong‘o: Sulwe. A. d. Englischen von Maureen Maisha Auma, Mentor Verlag, Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht 2021. Empfohlen für Kinder ab 4 Jahren. über Rassismus hören wollen aber wissen sollten. hanserblau, 2019 rn ardine Be aristo Stefanie-Lahya Ev Aukongo Die Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London wurde für ih- Schon als Kind führt die Autorin ein Leben ren Roman "Mädchen, Frau etc." als erste zwischen den Kulturen voller Gefahren und Schwarze Schriftstellerin mit dem Booker mit vielen Verletzungen. Bekannt wurde sie Prize 2019 ausgezeichnet. In ihrem Buch be- durch ihre Autobiografie "Kalungas Kind“. In schreibt sie Geschichten Schwarzer Frauen ihrem Buch "Buchstabengefühle" schreibt über ein Jahrhundert hinweg. Ein leiden- sie Poesie voll Liebe und Protest. schaftlicher, berührender und humorvoller Roman. Stefanie-Lahya Aukongo, Buchstabengefühle. w-orten& meer, 2018 Bernardine Evaristo: Mädchen, Frau etc. A. d. Engl. von Tanja Handels, Tropen, 2021 Nr. 90 9
Was wir euch gerne sagen würden Das geht gar nicht! Über Rassismus, über uns und wie wir alle gut zusammenleben könnten Du sprichst aber gut Deutsch! Du bist Deutsche?! Viele fragen sich, warum sie Wörter und Begriffe, die sie schon immer verwendet haben, nun nicht mehr benutzen sollen. Viele fühlen sich befangen, weil sie ihre Äußerungen kon- trollieren müssen. Viele sind gestresst von so vielen neuen Formulierungen zum Thema Rassismus, von so vielen Einschränkungen in der Sprache und Interaktion zu anderen. Hilfe, unsere „Sie ist Schwarz, aber sie spricht super Deutsch!“ Auch Meinungsfreiheit ist in Gefahr! eine solche Aussage ist kritisch zu betrachten, denn es Das ist wirklich zu viel, das geht gar nicht! Oder doch? gibt Deutsche, die sich als Afrodeutsche bezeichnen und in Deutschland leben, und zwar seit Generationen. Sie Vielleicht wäre es gut, Menschen zuzuhören, die gezwun- sprechen einfach Deutsch als Muttersprache, wie ande- gen sind, Zuschreibungen durch andere zu ertragen. Viel- re weiße Menschen, die z. B. aus Polen oder Frankreich leicht wäre es auch gut, einen Blick auf die Privilegien vor langem nach Deutschland immigriert sind. Darüber zu werfen, die uns erlauben, andere zu benennen und zu hinaus gibt es in Deutschland viele weiße Menschen, die entscheiden, wie sie genannt werden sollen. Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, ebenso wie viele Schwarze Menschen, die hier geboren sind. Also, ist Nur weil eine Handlung in der Vergangenheit normal es wirklich ein Kompliment, wenn Sie einer Schwarzen war, heißt das nicht, dass sie richtig war und Menschen- Person sagen, dass sie gut Deutsch spricht? Empfinden rechte geachtet wurden. Die Normalität, die die Mehrheit Sie es als etwas Besonderes, wenn eine Schwarze Person für sich selbst definiert, ist nicht immer mit einem Kon- ihre Arbeit gut macht? Benutzen Sie als Kollege, Kunde text der Menschenrechte, sondern mit einem Kontext der oder gar Führungskraft solche Aussagen? Ganz einfach, Privilegien verknüpft. Und das geht gar nicht! es ist rassistisch! Und das geht auch nicht! Es wird sehr viel über rassistische Polizeigewalt in den Und das geht, klar! Beim Thema Rassismus geht es nicht USA gesprochen. Aber es ist auch Zeit, über Rassismus nur um Menschenfeindlichkeit, Stereotypisierung und in Deutschland zu sprechen – nicht nur in Bezug auf die Vorurteile im Alltag, sondern auch um den damit verbun- Polizei, sondern auch auf Behörden, Universitäten, Un- denen Anspruch auf Selbstbestimmung und Souveränität ternehmen etc. Rassismus ist strukturell und in vielen Be- auf struktureller Ebene. Kritische Perspektiven auf Ras- reichen in Deutschland verankert. sismus und Dekolonisierungsprozesse können daher nur wirksam sein, wenn die Bemühungen auf der individu- Mai 2020: In einem auf Instagram verbreiteten VW-Wer- ellen Ebene von Bemühungen auf der strukturellen Ebe- bespot war eine überdimensionale weiße Hand zu sehen, ne begleitet werden und umgekehrt. Nur so können wir die einen Schwarzen Menschen herumschubst und in den das koloniale Erbe und die damit verbundenen Struk- Eingang eines Gebäudes schnippt, über dessen Tür „Petit turen der Ungleichheit aufbrechen. Colon“ (übersetzt „Kleiner Siedler“) steht. Gegen Ende erschien eine Buchstabenfolge, deren Einblendung das Wir haben durch unser Sozial- und Bildungssystem so N-Wort nahelegt. Wie nehmen Unternehmen die Belei- viel rassistisches Verhalten verinnerlicht, dass es wichtig digung Schwarzer Menschen in ihrer Organisation wahr, ist, die heutigen und künftigen Generationen vor solchen wenn sie sich solche Werbungen leisten? Wenn Rassismus Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Dafür sollten so verharmlost und die gewaltvolle koloniale Geschich- wir uns mit der kolonialen und gewaltvollen Geschichte te dahinter als Werbespot verwendet wird, dann dürfen Deutschlands bzw. Europas auseinandersetzen. Die Bil- Schwarze Menschen in vielen Unternehmen noch immer dungsmaterialien müssen hinterfragt und das Personal nicht frei atmen. Und das geht auch nicht! geschult werden. Schulen sind ein Produkt der Gesell- 10 Nr. 90
Dein Name ist so kompliziert, darf ich dich Sarah nennen? Das ist zu teuer für Sie! Du bist ja gar nicht richtig schwarz Kannst du deine Für eine Muslima Haare waschen? siehst du aber nice aus. schaft genauso wie die Polizei und Mitarbeitende wei- terer Institutionen, wo rassistische Haltungen verankert Stellen wir uns dann unser gemeinsames Leben als eine sind. Bestimmte Haltungen und Vorstellungen, bestimmte Straße mit Kreuzungen und Ampeln vor. Wir benutzen Narrative sind nicht mehr akzeptabel; sie waren es auch verschiedene Verkehrsmittel, aber wir müssen die glei- nie, wir wussten es nur nicht. Jetzt wissen wir es! chen Verkehrsregeln beachten, damit wir selbst und alle Damit wir vorankommen, müssen wir den Menschen die anderen sicher nach Hause kommen. Vielleicht brauchen Möglichkeit geben, ihre Werte neu zu definieren. Das be- wir einen Führerschein des Zusammenlebens? Stellen deutet, dass die Arbeit auf allen Ebenen geleistet werden wir uns also eine Welt vor, in der wir eigenverantwort- muss. Wir haben die Pflicht, das Problem an der Basis zu lich bestimmte Regeln einhalten, um niemanden zu ge- beheben. Es kann nicht hingenommen werden, dass der fährden. Das liegt in unserer Verantwortung und es fühlt Lehrplan so voll ist, dass grundlegende Menschenrechts- sich gut an, wenn alle gesund und unfallfrei nach Hause themen keinen Platz mehr haben. Wenn wir die Realität kommen. Und das geht auch, klar! des Rassismus unterdrücken, wird uns die Geschichte einholen, und zwar schneller als wir denken. Das können Nicole Amoussou, Eine Welt-Fachpromotorin Migrantische wir verhindern! Und das geht, klar! Partizipation und Postkolonialismus Kein besonderer Tag wird niemand von Ihnen erwarten, dies unentgeltlich zu tun, weil es „für Sie doch toll sei, dabei gewesen zu sein“. Nie- Wenn Sie der weißen Mehrheitsgesellschaft angehören, mand ist überrascht, dass Sie einen fachlich guten Beitrag werden Sie folgendes Scenario als „normal“ wahrnehmen: leisten „obwohl Sie weiß sind“. Wenn Sie Ihr Frühstück auf dem Weg zur Arbeit beim Bäcker Sollten Ihre Kinder in der Schule Schwierigkeiten haben, kaufen, werden Sie weder vom Personal noch von Kunden wird niemand dies darauf zurückführen, dass Sie aufgrund erstaunt angeschaut, niemand wird Sie für Ihr gutes Schwä- Ihrer schwäbischen Herkunft nicht in der Lage sind, Ihrem bisch loben oder nach Ihrer Herkunft fragen. Kind Tagesstruktur zu vermitteln. Als Eltern werden Sie bei Schulfesten nicht nur angefragt, um Kulinarisches aus Ih- Kommen Sie auf der Fahrt ins Büro in eine Verkehrskontrol- rem Herkunftsland beizusteuern. le, können Sie sicher sein, dass es sich um eine Routine- kontrolle handelt. Die Polizei wird nicht vermuten, dass Ihr Beim Abendspaziergang in den Weinbergen wird Sie nie- Ausweis gefälscht ist. mand anhalten, um zu fragen „woher Sie kommen und wann Sie wieder dorthin zurückgehen“. Niemand wird Ihr Haar Sollten Sie in Ihrer Mittagspause essen gehen, wird Ihnen ungefragt berühren oder fragen, ob Sie es waschen kön- beim Betreten des Restaurants niemand suggerieren, dass nen. Niemand wird Ihnen zunahetreten, im Irrglauben, dass das Angebot „Ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigt“. „alle weißen Menschen sexuell besonders aufgeschlossen“ Werden Sie, zurück bei der Arbeit, als Referent angefragt, seien. (F.G.) Nr. 90 11
Was wir euch gerne sagen würden Eine Welt der Vielen Diversität und Inklusion sind Grundlagen wir wahrgenommen werden oder welche gesellschaft- liche Position wir haben. Diversität bedeutet daher, die einer zukunftsfähigen Eine Welt-Arbeit. Unterschiedlichkeit (Differenz) wahrzunehmen und an- Doch wie können sie erreicht werden? zuerkennen und, von den unterschiedlichen Positionen und Zugängen ausgehend, die Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Teilhabe jedes Individuums zu ermög- lichen. Deshalb verfolgen Diversität und Inklusion als Deutschland ist eine Migrationsgesellschaft und Vielfalt Konzept das Ziel, Menschen unabhängig von Herkunft, ihre Realität. Und doch spiegelt sich diese gesellschaft- Geschlecht, sexueller Orientierung, Religionszugehörig- liche Vielfalt in unseren Verwaltungen, Organisationen keit, Lebensalter, psychischen/physischen Fähigkeiten und Strukturen noch nicht wider. Gesellschaftliche Bar- oder dem sozialen Status als vielfältige Menschen wert- rieren und Machtverhältnisse in staatlichen wie auch zi- zuschätzen. Mehr noch, Diversität geht davon aus, dass vilgesellschaftlichen Organisationen tragen immer noch nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten dazu bei, dass Menschen aufgrund zugeschriebener oder die Grundlage für ein solidarisches Miteinander bilden tatsächlicher Zugehörigkeit(en) ungleich behandelt wer- können. Denn Menschen können verschiedene Herkunfts- den und sie durch strukturelle Diskriminierung ihre viel- geschichten oder Weltanschauungen haben, aber sie kön- fältigen Potenziale nicht entfalten oder nicht aktiv an nen auch im gleichen Alter sein, dem gleichen Geschlecht unserer Gesellschaft teilhaben können. Gerade Diversität angehören oder ähnliche politische Interessen teilen. Die als ganzheitliches Konzept und die diversitätsorientierte Gleichzeitigkeit von Unterschieden und Gemeinsam- Öffnung von Strukturen und Organisationen können keiten ist als Bereicherung für alle zu verstehen: Wenn dazu beitragen, Herrschaftsverhältnisse zu reflektieren, Räume für die Artikulation und Repräsentation von Be- soziale Barrieren abzubauen und aktiv gegen Diskrimi- dürfnissen und Interessen unterschiedlicher Menschen(- nierung und Ausgrenzung vorzugehen. gruppen) geschaffen und ihre Potenziale, Kompetenzen und Perspektiven gewinnbringend einbezogen werden, Definition: Diversität und Inklusion gestalten sich demokratische Prozesse und gesellschaft- liches Zusammenleben frei, selbstbestimmt, vielfältig und konstruktiv. Um Diversität umzusetzen, müssen Diversität beschreibt zunächst einmal nichts anderes als Räume inklusiv gestaltet sein, gewachsene Machtstruk- Vielfalt – wir alle sind vielfältige Menschen. Auch unsere turen reflektiert werden und Organisationen im Sinne sozialen Zugehörigkeiten setzen sich aus den unterschied- einer diversitätsorientierten Öffnung bzw. Diversitätsori- lichsten Versatzstücken zusammen. (Soziale) Inklusion entierung transformiert werden. ist dagegen ein Begriff, der seinen Ursprung in der päda- gogischen Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung hat Das klassische Konzept von "Diversity Management" und in einem erweiterten Sinne auf alle marginalisierten geht im Sinne wirtschaftlicher Attraktivität eines Un- Menschen übertragen werden kann. Er impliziert kon- ternehmens von sechs Kerndimensionen aus (Alter, Ge- krete Handlungsziele und Handlungsstrategien und zielt schlecht, Behinderung, Ethnizität/Herkunft, Religion/ auf die gleichberechtigte Partizipation von Menschen, die Weltanschauung und sexuelle Orientierung). Die soge- Ausschlüsse auf verschiedenen Ebenen erfahren. Diver- nannte „interkulturelle Öffnung“ geht nur von einer die- sität und Inklusion sind, wenn man so will, zwei Seiten ser Dimensionen (Ethnizität/Herkunft) aus. Gesellschaft- einer Medaille – und diese nennt sich Gleichstellung. liche Vielfalt wird dabei auf angenommene kulturelle Unterschiede reduziert, Menschen zu „Anderen“ gemacht Unterschiede anerkennen, und Praktiken des Ausschlusses weiter verstärkt. Diver- Gemeinsamkeiten entdecken! sitätsorientierung geht dagegen von einem umfassende- ren Verständnis von Vielfalt aus und berücksichtigt, dass Ein vielfältiges Team besteht nicht nur aus Menschen mit die vielschichtigen Ausschlussmechanismen miteinander unterschiedlichen Stärken und Interessen, sondern auch verbunden sind und sich gegenseitig bedingen. Die Dis- aus Menschen, die in unserer Gesellschaft unterschied- kriminierungsdimensionen werden dabei nicht hierar- lich markiert sind. Einzelne (sichtbare) Merkmale werden chisiert oder gegeneinander ausgespielt (Welche Gruppe ungleich bewertet und stehen in hierarchischen Bezie- wird „stärker“ ausgegrenzt?), sondern in ihrem Zusam- hungen zueinander. Das hat Auswirkungen darauf, wie menspiel erfasst und die Transformation von Organisa- 12 Nr. 90
tionen und Strukturen als Entwicklungsprozess in den Jeasuthan Nageswaran, Bundeskoordinator für „Mi- Blick gerückt (Wie können wir Ausschlüsse intersektio- gration, Diaspora & Entwicklung“ bei der Arbeitsge- nal verstehen und gemeinsam dagegen vorgehen?). Diver- meinschaft der Eine Welt-Landesnetzwerke. Er vernetzt sitätsorientierung ist ein Prozess, den wir alle gemeinsam und koordiniert Akteure im Kontext des Eine Welt- mitgestalten können. Dafür muss sich eine Organisation Promotor*innen-Programms und berät Organisationen bewusst für einen diversitätsorientierten (Weiter-)Ent- und Teams zu rassismuskritischen und diversitätsorien- wicklungsprozess entscheiden und mit allen Beteiligten tierten Veränderungsprozessen. ein gemeinsames Verständnis und eine Gesamtstrate- gie von Diversität und Antidiskriminierung entwickeln. Ist dieser Schritt getan, kann eine fachliche Instanz, die den Prozess begleitet, auf Grundlage ihrer (Diskriminie- Selbsttest für rungs-)Erfahrungen und ihres Wissens entsprechende Maßnahmen gegen Diskriminierung einleiten und pas- (Eine Welt-) Organisationen sende Interventions-Tools bereitstellen. Eine wichtige Grundlage, um Ausschlussmechanismen zu erkennen und Ihre Organisation hat eine Gesamtstrategie für proaktiv gegen strukturelle Diskriminierung vorzugehen, mehr Diversität und Antidiskriminierung. ist die Erfassung von Daten zur Gleichstellung und An- tidiskriminierung. Kommen die genannten Ausgangsbe- Es gibt eine Instanz, die bei Diskriminierung dingungen zusammen, kann die Diversitätsorientierung Maßnahmen/Erfahrungen bereitstellen kann. dazu dienen, gesellschaftliche Vielfalt in Organisationen und Strukturen abzubilden und Unterschiedlichkeit wie Ihre Einrichtung erfasst Daten zu auch Gleichberechtigung gleichsam zu ermöglichen und Antidiskriminierung und Gleichstellung. so Diversitätskompetenzen nachhaltig aufzubauen. Führungskräfte werden regelmäßig zu Vielfaltskompetenzen geschult. Eine Welt der Vielen – Vision für die Es werden regelmäßige Qualifikationen für Eine Welt-Arbeit Mitarbeitende zum Thema Diversität angeboten. "Eine Welt der Vielen" ist eine Vision für die Eine Welt- Ihre Organisation setzt eine Arbeit wie auch für die Entwicklungspolitik insgesamt, in diskriminierungssensible Öffentlichkeitsarbeit um. der wir die Diversitätsorientierung und gesellschaftliche Es werden anonymisierte Bewerbungsverfahren Vielfalt als Stärke und Potenzial umsetzen. Dies konkre- eingesetzt. tisiert sich bei der Besetzung von Stellen, der Zusammen- setzung von Entscheidungsgremien wie auch darin, dass Marginalisierte Gruppen werden bei gleicher wir in der inhaltlichen Ausgestaltung entwicklungspo- Qualifikation bevorzugt berücksichtigt. litischer Bildungsarbeit und dem Selbstverständnis von Deutschland als (Post-)Migrationsgesellschaft Diversität Arbeitsorte/Räumlichkeiten sind inklusiv, und Inklusion stets mitdenken und aktiv leben! Vielfalt barrierearm und gendergerecht ausgestattet. als Realität in allen (sozialen) Ebenen abzubilden, wirkt gleichsam Projektionen und projektiven Ideologien ent- Es gibt Kooperationen zu marginalisierten Netzwerken und Selbstorganisationen. gegen und ist insgesamt als gesellschaftlicher Gegenent- wurf zu Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung zu verstehen. In Zeiten erstarkenden Nationalismus, Ras- Treffen mehr als die Hälfte der 10 Punkte auf Ihre sismus und der voranschreitenden Spaltung unserer Mi- Organisation zu, dann haben Sie sich auf den Weg grationsgesellschaft brauchen wir positive Gesellschafts- gemacht, eine machtkritische, diskriminierungssensible modelle dringender denn je. Gerade die Eine Welt-Arbeit und diversitätsorientierte Organisation zu werden oder kann einen Beitrag dazu leisten und aufzeigen, dass zivil- Sie sind es bereits. In allen anderen Fällen: Lassen Sie gesellschaftliches, entwicklungspolitisches Engagement uns heute damit beginnen! schon immer Einsatz für eine offene, vielfältige und in- klusive Gesellschaft bedeutet. Nr. 90 13
Was wir euch gerne sagen würden Wie sage ich es richtig? Viele Begriffe sind unklar oder werden Alternativen: Menschen aus Einwandererfamilien oder Menschen mit internationaler Geschichte. falsch gebraucht. Ein Glossar hilft weiter Schwarze Migranten „Wenn es um Rassismus, unterschiedliche Erfahrungen werden vom Statistischen Bundesamt als Menschen defi- und Sozialisationen geht, ist der politisch korrekte Be- niert, die nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepu- griff Schwarze. In allen anderen Fällen gibt es aber mei- blik, sondern im Ausland geboren sind. Rund die Hälfte stens gar keinen Grund, dazu zu sagen, ob eine Person davon sind Deutsche, die andere Hälfte hat eine auslän- Schwarz oder weiß ist.“ (zitiert von www.derbraunemob. dische Staatsangehörigkeit. Im Diskurs wird dieser Be- info). Farbige / farbig ist ein kolonialistischer Begriff und griff häufig irrtümlich als Synonym für Menschen mit negativ konnotiert. Eine Alternative sind die Selbstbe- Migrationshintergrund verwendet. zeichnungen People of Color (PoC, Singular: Person of Color), Black and People of Color (BPoC) oder Black and Menschen mit Migrationshintergrund Indigenous People of Color (BIPoC). sind nach statistischer Definition • in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer Mischehe • eingebürgerte Deutsche, die nach 1949 in die Bundesre- beruht als Begriff auf der Rassentheorie und wurde vor publik eingewandert sind allem im Zuge der „Rassenhygiene“ zur Zeit des Natio- • sowie in Deutschland geborene Kinder mit deutschem nalsozialismus verwendet. Gute Alternativen sind binati- Pass, bei denen sich der Migrationshintergrund von min- onale, bikulturelle oder ggf. interreligiöse Ehe. destens einem Elternteil ableitet. Zunächst wurde »Personen mit Migrationshintergrund« Wir in der Verwaltungs- und Wissenschaftssprache verwen- kann missverständlich wirken, wenn beispielsweise von det. Doch als durch Einbürgerungen und das neue Staats- »wir Deutschen« die Rede ist, aber nur Deutsche ohne angehörigkeitsrecht von 2000 der Begriff Ausländer nicht Migrationshintergrund gemeint sind. Als Alternative mehr zutraf, um Einwanderer und ihre Nachkommen kann Herkunftsdeutsche passender sein. zu beschreiben, ging die Formulierung auch in die Um- gangssprache ein. Heute wird der Begriff oft als stigma- Diese und weitere Definitionen sind zu finden im tisierend empfunden, weil damit mittlerweile vor allem Glossar der Neuen deutschen Medienmacher*innen (muslimische) »Problemgruppen« assoziiert werden. Gute (www.glossar.neuemedienmacher.de) Die Interkulturellen Promotoren mit Kontaktdaten Wir sind für Ihre Fragen da: Regierungsbezirk Stuttgart Regierungsbezirk Karlsruhe Regierungsbezirk Tübingen Hala Elamin Dr. Rajya Karumanchi-Dörsam Ivonne Cadavid Telefon: 07 91.9 70 66-31 Handy: 0 15 90.6 75 27 95 Handy: 01 57.80 78 14 13 Handy: 01 52 .05 91 32 67 rajya.ikp@simama-stehauf.de ivonne.cadavid@telar-ev.org elamin@afroprojects.org Regierungsbezirk Freiburg Region Stuttgart Alex M. Moepedi Farina Görmar Handy: 01 76.72 97 62 52 Telefon: 07 151.1 33 10 70 E-Mail: alex.moepedi@fairburg.de Handy: 0 15 21.2 96 86 49 ik.promotorin@afrokids-international.org Informationen: www.deab.de 14 Nr. 90
Rezept Wir lieben es schar f: Aguachile Mauricio Salazar ist ein kluger Menschenrechts-Experte erst Salz, dann Limettensaft dazu geben, Fisch etwa 20 und ein begnadeter Hobbykoch. Freunde, Nachbarn, Minuten kühl stellen. Kollegen und Studierende aus allen Ländern scharen sich Zwiebeln und Gurken in Halbringe schneiden, Tomaten gerne um seinen Tisch. Lebhafte Diskussionen werden würfeln. Sobald der Fisch eine feste Konsistenz hat und bei seinen Speisen geführt und so manches Herzensleid mit Zitronensäure vollgesaugt ist: verbleibenden Limetten- gemildert – Effekte, die der engagierte Studienleiter gern saft mit Chili-Schoten, einer halben Gurke und Koriander auf die Schärfe seines Essens und seine geliebten Chilis im Mixer mixen. Die Mischung zu den Gurken, Zwiebeln zurückführt. Nun nimmt Salazar eine neue Herausforde- und Fisch geben, gut vermischen. Am Schluss mit Korian- rung in seiner Heimat Mexiko an. Zum Abschied schenkt derblättern und dünnen Chili-Rädchen dekorieren. er uns eines seiner Rezepte und rührt uns damit wieder einmal zu Tränen: Aguachile mit Fisch oder Pilzen. Vegane Pilz-Variante: statt Fisch 500 g Pilze (Austernpilze und Champignons) trocken mit einer Bürste oder Serviet- Zutaten*: 500 g Fisch (Sushi-Qualität), 8 Limetten, te putzen, in Streifen schneiden und in der Pfanne ohne 2 rote Zwiebeln, 2 Tomaten, 2 Gurken, 4 grüne Fett kurz rösten (mittlere Temperatur), dabei rühren, bis Chili-Schoten (sehr scharf! Wer es weniger scharf mag, sie braun sind. Dann in eine Schüssel geben. 4 Limetten nimmt nur 1 Chili-Schote ohne Kerne), 1 Bund Koriander (statt 8 wie beim Fisch) pressen, Saft zu den Pilzen geben oder Petersilie, 10 Tortillas / Tostadas, Meersalz, und 20 Minuten ruhen lassen. Danach den gleichen 1 EL Olivenöl (Extra Vergine) Schritten wie beim Fischrezept folgen. *möglichst in öko-fairer Qualität Servieren mit „Tostadas“ (Mais-Tortillas), die auf dem Zubereitung: Limetten auspressen (ohne weiße Innen- Blech für 10 – 15 Minuten bei 180 Grad gebacken werden. haut, die bitter schmeckt). Fisch in Würfel schneiden, Alternativ: Tortilla-Chips oder Dinkelbaguette. Nr. 90 15
Asylpolitik Unser moralisches Angebot Immer mehr Kommunen Größe unserer Stadt liegt. Wir stre- fahren muss nicht auf Lesbos statt- ben eine Kooperation mit Bund und finden, die Lasten könnten auf die erklären sich zu Sicheren Land, Innenministerium, Polizei Länder verteilt werden. Häfen. Sie bieten der Poli- und Verfassungsämtern an, damit tik ihre Hilfe an, doch die höchstmögliche Sicherheit vorhan- In Palermo wurde im Juni 2021 von den ist und wir keine Terrorverdäch- 33 Bürgermeistern die Internationa- duckt sich weg. Und nun? tigen holen. Die Veränderung wäre, le Allianz der Städte Sicherer Häfen dass die Politik das Angebot der gegründet. Was erhoffen Sie sich da- Kommunen annimmt! von? Die Bundesregierung wird nicht Warum engagieren Sie sich so stark? müde darauf zu verweisen, dass wir Viele Menschen haben eine lange eine europäische Lösung brauchen. Fluchtgeschichte im eigenen Kon- Doch zu warten bis alle EU-Länder, tinent. Wir möchten, dass sie eine insbesondere die osteuropäischen, sichere Ankunft am Endpunkt der überzeugt sind, dauert zu lange. Flucht haben und ein Asylverfah- Wenn zehn oder zwölf EU-Staaten ren bekommen, das alle Ansprü- gemeinsame Sache machen würden, che erfüllt. Natürlich muss es eine fiele es den anderen schwer, sich zu Herr Neher, Rottenburg erklärt sich Rückführung geben, wenn das Asyl- entziehen. Mit der Allianz zeigen wir, als Sicherer Hafen bereit, mehr Ge- verfahren scheitert. Die Zustände dass nicht nur deutsche Städte und flüchtete als der Verteilschlüssel vor- in Lesbos und auf dem Mittelmeer Kommunen sich zu einer Aufnahme gibt aufzunehmen. Seit zwei Jahren erfordern alle Anstrengungen, die von Geflüchteten und die Umsetzung engagieren Sie sich außerdem im Menschenrechte, die wir in Euro- der Menschenrechte bekennen. Auch Bündnis Städte Sicherer Häfen. Wa- pa hochhalten, zu leben. Lippen- Städte aus Ländern wie Italien, die rum? bekenntnisse genügen nicht. Wir in als Grenzland sehr in Anspruch ge- Es ist in der Vergangenheit zu wenig Rottenburg sind uns als Bischofs- nommen sind, treten dem Bündnis geschehen. Bundesländer und Bun- stadt unserer christlichen Verant- bei. Gemeinsam möchten wir den desregierung behaupten nach wie wortung bewusst. Druck auf europäische Politik erhö- vor, es wären nicht genügend Kapa- hen. Jeder versucht, in seinem Land zitäten vorhanden, um Geflüchtete Und der viel beschworene Pull-Ef- etwas voranzubringen. aufzunehmen. Unser Ziel ist zu zei- fekt? gen, dass wir das auf kommunaler Ich sehe keine Gefahr, dass es zu Die Bundestagswahl steht bevor. Ebene nicht so sehen. Wir haben einem Pull-Effekt kommt. Die Not Wird sich etwas ändern? sowohl Wohn- als auch Betreuungs- der Menschen ist so groß, dass sie Ich hoffe schon, dass sich in den kapazitäten. Es sind Ehrenamtliche sich auf den Weg machen, unab- kommenden Monaten etwas bewegt. da, die unterstützen möchten. Als hängig davon, was sie am Ende der Wir möchten auch auf Länderebe- Teil des Bündnis Städte Sicherer Hä- Flucht erwartet. ne den Druck auf die Landesregie- fen bieten wir der Bundesregierung rungen erhöhen, damit die Länder unsere Kooperation an, um die Not Der Erste Bürgermeister von Rotten- im Bundesrat auf die Bundesregie- auf dem Mittelmeer oder in Flücht- burg war in Lesbos. Was erlebte er? rung einwirken. Eine grün-schwarze lingslagern wie in Griechenland zu Unser Erster Bürgermeister Thomas Regierung in Baden-Württemberg mildern. Weigel berichtete, wie unwürdig die wäre eigentlich prädestiniert, sich Zustände dort sind, insbesondere für für unser Anliegen einzusetzen. Die Aber die Bundesregierung nimmt die Heranwachsenden. Kinder und CDU sollte ihre christlichen Werte das Angebot nicht an. Welche Verän- Jugendliche haben keinen Zugang leben und die Grünen nicht nur re- derungen wären nötig? zu Bildung, keine Perspektive, die den, sondern handeln. Einige Städte Sichere Häfen fordern Menschen leben auf engstem Raum. ein kommunales Aufnahmerecht. Weigel erzählte, dass er nachts im Gibt es auch Erfolge? Wir sind da zurückhaltender, was Traum die Gerüche des Lagers nach Immer mehr Kommunen treten dem vielleicht auch an der kleineren Kloake in der Nase hat. Das Asylver- Bündnis bei. Sie repräsentieren zu- 16 Nr. 90
In Potsdam schlossen sich Kommunen zum Bündnis Städte Sicherer Häfen zusammen. Seit Juni 2021 gibt es eine Internationale Allianz. sammen einen Großteil der Bevöl- Erfolg in Rottenburg: Wir konn- des Bündnis Städte Sicherer Häfen kerung. Gerade in der Kommune ten fünf Bootsflüchtlinge aufneh- zählt und Teil der neugegründeten Internationalen Allianz der Städte sind wir sehr nah an den Bedürf- men und hoffen über das Programm Sicherer Häfen ist. nissen der Menschen – die Bundes- „NesT“ der Bundesregierung weite- regierung kann somit nicht sagen, ren Flüchtlingen aus den überfüllten „Neustart im Team“ (NesT): Aufnahmeprogramm der dass die Bevölkerung unsere Forde- Lagern helfen zu können. Bundesregierung für 500 besonders rungen ablehnt. Wenn immer mehr schutzbedürftige Geflüchtete. Menschen unsere Ziele unterstützen, Zur Person: Die Aufnahme ist nur möglich, Stephan Neher ist Oberbürgermeister wenn sich einzelne Menschen oder kann sich die Politik nicht entschul- der Stadt Rottenburg am Neckar, Organisationen zu einer Gruppe digend wegducken. Und ein kleiner die zu den Gründungsmitgliedern zusammenschließen. Sichere Häfen: Es werden immer mehr Internationale Allianz der Städte Sicherer Häfen: gegründet am 25. Juni 2021 in Palermo (Italien). 33 Bürgermeister Sichere Häfen: Auf Initiative der „Seebrücke“ sind seit Som- aus sieben europäischen Staaten verteidigen in der Erklä- mer 2018 über 250 Kommunen in Deutschland zu „Sicheren rung „From the Sea to the City“ das Recht auf Asyl, wenden Häfen” geworden und haben ihre Bereitschaft erklärt, mehr sich gegen Transitzonen an den europäischen Außengrenzen Schutzsuchende aufzunehmen, als der Verteilschlüssel vor- und setzen sich für eine eigenständige und direkte kommu- gibt. Sie treten ein für einen Wandel der europäischen Asyl- nale Aufnahme von Schutzsuchenden ein. Unterzeichner der und Migrationspolitik. Basiserklärung: Palermo, Potsdam, Amsterdam, Athen, Barcelona, Marseille, Villeurbanne, Trier, Kiel, München, Bündnis Städte Sicherer Häfen: gegründet am 14. Juni 2019 Heidelberg, Gütersloh, Bergamo, Lampedusa, Pozzal- in Potsdam. Das Bündnis vernetzt Sichere Häfen und bündelt lo, Reggio Calabria, Rottenburg, Flensburg, Göttingen, die gemeinsamen Interessen, um den Forderungen mehr Ge- Braunschweig, Greifswald, Mannheim, Leipzig, Northeim, wicht zu verleihen. Gründungsmitglieder: Freiburg, Marburg, Dormagen, Münster, Jülich, Bonn, Marburg, Dortmund, Rottenburg am Neckar u. a. Mitgliederzahl: 100 (Juli 2021). Darmstadt, Würzburg, Tirana. Mitmachen: minalisierung der zivilen Seenotretter und ein europäisches Seenotrettungsprogramm. www.rettungskette.eu Hand in Hand: Rettungskette für Menschenrechte Mit einer Menschenkette von Hamburg bis zum Mittelmeer möchte die Aktion „Rettungskette für Menschenrechte“ am 18. September ein Zeichen für mehr Menschlichkeit und ge- gen das Sterben im Mittelmeer setzen. Die Kette führt auch durch 37 Städte in Baden-Württemberg, z. B. durch Mann- heim, Karlsruhe, Pforzheim, Stuttgart, Eislingen, Göppin- gen, Ulm. Reihen Sie sich ein für ein offenes, buntes und friedliches Europa, die Schaffung sicherer Fluchtwege, einen humanen Umgang mit Menschen auf der Flucht, die Entkri- Nr. 90 17
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