INFORMATIONEN FÜR ANGEHÖRIGE VON MENSCHEN IM KOMA UND WACHKOMA - AKTUALISIERTE AUSGABE 2021 ZNS - HANNELORE KOHL STIFTUNG
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INFORMATIONEN FÜR ANGEHÖRIGE VON MENSCHEN IM KOMA UND WACHKOMA Andreas Zieger AKTUALISIERTE AUSGABE 2021 ZNS – HANNELORE KOHL STIFTUNG
ZUM GELEIT einem Überleben oder Am-Leben-er- halten-Werden vereinbar sind. Menschliches Leben, Wachstum, Liebe Leserinnen und Leser, Genesung und Bewusstseinsent- wicklung werden jedoch neben all diese Broschüre soll Ihnen eine Hilfe dem medizinisch Möglichen vor sein, um nachvollziehen zu können, allem durch Bindung und Bezie- was ein Koma oder Wachkoma ist hung zu anderen Menschen rea- und in welcher Lebenssituation sich lisiert. Auch nach einer schweren Ihr betroffener Angehöriger befindet. Schädigung am Gehirn, dem sozia Es werden Hinweise gegeben, wie len Organ des Menschen, können Sie während Ihrer Krankenbesuche Menschen sich wieder entwickeln. Ärzte, Pfleger und Therapeuten auf Im gemeinsamen Tätigsein mit an- der Intensivstation, in der Frühreha deren Menschen spüren sie die Wir- klinik, im Rehazentrum, im Pflegeheim kungen ihrer selbst und können sich und/oder zu Hause sinnvoll begleiten selbst (unbewusst) aktualisieren. und unterstützen können. Menschen Anzeichen dafür sind Veränderun- im Koma und Wachkoma sind keine gen der vegetativen Funktionen und „Hirntoten“ oder „Sterbende“, son- Vitalwerte, die Körperhaltung, der dern lebende schwerstkranke und Gesichtsausdruck und das Öffnen empfindsame Menschen, die mit der Augen sowie die Wiederkehr der Leib und Seele, Körper und Geist, in- Spontanatmung. Wichtig ist deshalb neren Wahrnehmungen, Empfindun- eine verständnisvolle und empathi- gen und Bewegungen mit der Um- sche Umgebung, die erste minimale gebung und mit anderen Menschen Anzeichen von Revitalisierung und Diese Broschüre ist dem herzlichen Andenken an Frau Dr. Jana Bolz, geb. Alber, gewidmet, die maßgeblich an der Erstellung beteiligt war. verbunden sind. Erholung aus dem Koma und Wach- koma wahrnehmen, deuten und im Jana Bolz ist am 17.11.2020 verstorben. Durch die Erkrankung und ihre Fol- Handlungsdialog aufgreifen kann. gen hat sich das Leben tiefgreifend verändert. Koma und Wachkoma Unsere betroffenen Mitmenschen, sind extreme Seinsweisen, die die aber auch Sie als Angehörige befin- Text und Bearbeitung Apl. Prof. Dr. med. Andreas Zieger betroffenen Menschen zu einem Le- den sich in einer extremen Grenz Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ben in tiefster Abgeschiedenheit in situation. Eine angemessene Versor- 1994, Erstauflage Sterbensnähe zwingen. Trotz aller gung und das Lebensrecht werden 2015, aktualisierte und überarbeitete Neuausgabe Erfolge der modernen technischen nicht nur durch die Schwere des 2021, aktuelle Überarbeitung Medizin versterben in den ersten Krankheitsbildes, sondern auch Herausgeber Wochen nach dem Akutereignis im- durch anhaltende Debatten um „Bio- ZNS – Hannelore Kohl Stiftung, Fontainengraben 148, 53123 Bonn mer noch viele Patienten. Ihre Schä- ethik-Konvention“, „Organspende“, Nachdruck oder Vervielfältigung (auch auszugsweise) nur mit Genehmigung der digungen sind so schwerwiegend „Forschung an Nichteinwilligungs ZNS – Hannelore Kohl Stiftung und ausgedehnt, dass sie nicht mit fähigen“, „Lebenswert“, „Sterbehilfe“ 2 3
und Einführung von „Fallpauschalen“ fördern, kann auch das eigene Leben gen, Rehabilitationsmöglichkeiten, de, dass mit Unterstützung des in der Krankenhausfinanzierung be- einen (neuen) tiefen Sinn bekommen. Nachsorge- und Pflegebedingun- Eberhard-Dombek-Stiftungsfonds, lastet, wenn nicht gar infrage gestellt. Viele Angehörige empfinden dies gen, wissenschaftliche Erkenntnis- der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung Zusätzliche Belastungen entstehen (später) als eine wichtige Erfahrung se, die Rechtsprechung sowie die und der Carl von Ossietzky Univer- dadurch, dass in der Medizin nicht und als „Geschenk“. Das bedeutet: Bedürfnisse und Kompetenzen der sität Oldenburg die weiterhin stark immer eine Sprache gesprochen wird Über das gegenwärtige Leid, die Be- Angehörigen verändert. Doch eine nachgefragte Angehörigenbroschüre und nicht alle an der Versorgung Be- troffenheit, Ängste und Nöte hinaus angemessene Begleitung und Förde- aktualisiert, gründlich überarbei- teiligten eine vorbehaltlos befürwor- gibt es Hoffnung, Zuversicht und die rung von Menschen von Koma und tet und mit neuem Layout neu he tende Haltung zum Leben im Koma Möglichkeit, die schwere Lebensk rise Wachkoma und ihren Angehörigen rausgegeben wird. und Wachkoma einnehmen. positiv zu meistern. Für die Förde- ist auch heute nicht immer selbst- Leben im Koma und Wachkoma ist rung des Überlebenswillens und der verständlich. Die Lebenswirklichkeit Oldenburg, im Frühjahr 2015 eine menschenmögliche Seinsweise inneren Kräfte (Resilienz) sowie für von uns als Bürgerinnen und Bürger Andreas Zieger und Lebensform. Verbesserte Ver- den Erfolg der Behandlung und die einer entwickelten Zivilgesellschaft sorgungsbedingungen in den letzten Zufriedenheit Ihrer „bewusstlosen“ verlangt daher eine ethisch-mora- Mit freundlicher Unterstützung: Jahrzehnten, die aufgrund neuer For- Angehörigen ist das konsequente lische und wiederkehrende Ausei- Eberhard-Dombek-Stiftungsfonds schungsergebnisse umgesetzt wur- Anbieten von Gesprächen von gro- nandersetzung mit der Kernfrage: München den, sowie gesammelte Erfahrungen ßer Bedeutung. Die Forschung zeigt Wie wollen wir gut zusammenleben? aus der Rechtsprechung, der Selbst- auf, dass viele Menschen im Koma Darum ist es für mich, mit Erreichen ZNS – Hannelore Kohl Stiftung hilfe und aus den Betroffenenverbän- und Wachkoma emotional ansprech- des Ruhestandes, eine große Freu- Bonn den unterstützen eine Grundhaltung, bar sind, auch wenn sie anfangs die den Lebenswert der Existenz von keine und später kaum erkennbare Menschen im Koma und Wachko- Reaktionen zeigen. Gezielte, intensi- ma anerkennt und würdigt. Darüber ve Dialoge können sich als emotio- DAS SCHÖNSTE IST UMSONST hinaus wird der Anspruch erhoben, naler und körpersprachlicher Vektor durch konsequente Hilfen die Teil positiv auf Lebensmut, Widerstands- Ein Lächeln kostet nichts und bewirkt viel. habe am Gemeinschaftsleben zu kraft, Genesung und Bewusstseins Es bereichert die, die es empfangen, wahren und zu bessern. entwicklung von Menschen mit Be- ohne die ärmer zu machen, die es geben. Aus diesem Grund wirbt diese Ange- wusstseinsstörungen auswirken. Es dauert nur einen Augenblick. hörigenbroschüre dafür, Menschen Und auch im Falle von Erschöpfung, Aber die Erinnerung währt manchmal ewig. im Koma und Wachkoma nicht auf- Schwäche und sterbensnaher, pallia- Niemand ist reich genug, es entbehren zu können. zugeben, sondern in einer engen tiver Begleitung sind beziehungsme- Und niemand ist zu arm, um es nicht geben zu können. Verbindung mit ihnen zu bleiben und dizinische Angebote wie mitmensch- Ein Lächeln ist oft das Wesentliche im Leben. einen menschenwürdigen Umgang liche Zuwendung, Aufmerksamkeit, mit ihnen zu pflegen. Es gilt zu be- Zeit und Kommunikation für ein achten: Die Kranken und Schwachen Loslassen und ein Sterbenkönnen in Aus dem Brief einer 82-jährigen Mutter einer 50-jährigen zu schützen, ist die Würde der Ge- Würde unerlässlich. blinden und komplett pflegeabhängigen Schwerstbehin- sunden! derten, die im Alter von 19 Jahren nach Verkehrsunfall ein In dem Bemühen, innere Kräfte und Seit dem ersten Erscheinen dieser Schädelhirntrauma erlitt und 3,5 Jahre im Wachkoma lag. individuelle Rehapotenziale anderer Broschüre im Jahre 1994 haben sich Menschen sinnvoll anzuregen und zu medizinische Versorgungsbedingun- 4 5
INHALT 1. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 5. Ziele und soziale Perspektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5.1 Vom Koma zurück in die Gemeinde! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5.2 Teilhabe von Anfang an. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Spezielle Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 5.3 Durchgängige Versorgungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.1 Was ist ein Koma? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 5.4 Geplante individuelle Nachsorge und Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Bestimmung der Komatiefe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 5.5 Eine Wiederholungsreha ist möglich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.3 Was ist ein Wachkoma (apallisches Syndrom)?. . . . . . . . . . . . . . 13 5.6 Sorge und Achtsamkeit für sich selbst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.4 Was geschieht auf der Intensivstation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 5.7 Vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten. . . . . . . . . . . . 44 2.5 Warum ist „Reaktionslosigkeit“ fragwürdig?. . . . . . . . . . . . . . . . 16 5.8 Erfahrung des Humanum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.6 Warum ist Ihre Anwesenheit wichtig?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.7 Warum dürfen Sie hoffen und optimistisch sein? . . . . . . . . . . . . 20 2.8 Sterben und Tod. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 6. Selbsthilfeorganisationen und Fachverbände . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Womit Sie konkret helfen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 7. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.1 Positive Anregungen geben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.2 Dialogaufbau in kleinen Schritten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.3 Wie Sie konkret vorgehen können. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Schritt: Hinwenden zum Kranken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Schritt: Annähern und Begrüßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Schritt: Innehalten, Orientieren, Einfühlen und Beobachten . . . . . 25 4. Schritt: Gemeinsames Gestalten des Dialogfelds. . . . . . . . . . . . . 26 5. Schritt: Sich Verabschieden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.4 Woran Sie erkennen können, ob Dialogbereitschaft besteht . . . . 27 4. Wichtige Hinweise und Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme. . . . 28 4.1 Allgemeine Hinweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4.2 Möglichkeiten zur Anregung der Sinne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Medizinische Menschenkunde Geruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 ›U m Lebendes zu erforschen, muss man sich am Leben beteiligen …Le- Geschmack. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 ben finden wir als Lebende vor; es entsteht nicht, sondern es ist schon Gefühl/Tastsinn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 da, es fängt nicht an, denn es hat schon angefangen … Gehör. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Die Wissenschaft hat mit dem Erwachen des Fragens mitten im Leben Gesicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 angefangen.‹ Aufrichten und Bewegen (Körpereigen- und Bewegungssinn). . . . . . 34 4.3 Was Sie unbedingt beachten und vermeiden sollten. . . . . . . . . . 35 Viktor von Weizsäcker, in: Der Gestaltkreis (1932/1940) 4.4 Zusätzliche Vorschläge für pflegende Angehörige. . . . . . . . . . . . 36 6 7
1. ALLGEMEINE HINWEISE mente hervorheben und beachten. wesen“, sondern ein kranker, wehr- 6. Bedenken Sie, dass eine schwe- • Seien Sie nicht enttäuscht, wenn loser und auf andere angewiesener re Hirnerkrankung immer auch eine 1. Wenn Sie Ihren Angehörigen in Ihr Angehöriger bei Ihrem Besuch Mit-Mensch und Mitbürger. psychische Kränkung mit sozialen der Klinik, auf der Intensivstation, auf und Ihrer Kontaktaufnahme ru- Verlusten bedeutet. Versuchen Sie, der Frührehastation, im Pflegeheim higer wird und einschläft; das ist 4. Bemühen Sie sich von Anfang an Ihrem Angehörigen diejenige An- oder in häuslicher Umgebung besu- kein Zeichen für Ablehnung oder um regelmäßige Kontaktaufnahme erkennung und Wertschätzung zu chen und in Kontakt mit ihm treten, Desinteresse, sondern ein Zeichen und Gespräche mit Pflegenden, Ärz- vermitteln, die Sie sich in seiner Si- beachten Sie bitte jederzeit, dass Ihr dafür, dass Ihr Angehöriger Ihnen ten und Therapeuten, um Ihre Sor- tuation wünschen würden, um sich Angehöriger ein Mensch ist, der im vertraut, sich sicher fühlt und sich gen und Ängste mitteilen und um im gesellschaftlichen Miteinander Umgang mit anderen Menschen und somit entspannen kann. Verstehen Fragen „loswerden“ zu können. Auch nicht als „Defizitwesen“ oder „Aus- im Hinblick darauf, was andere über Sie das Schlafen als ein „Gesund- erscheint es ratsam, sich früh vom geschlossener“ zu empfinden. Ent- ihn reden mögen, empfindsam ist. schlafen“ (Erholungsschlaf). Sozialdienst oder auch Psychologen scheidend für den Dialog ist Ihre • B egegnen Sie Ihrem betroffenen des Krankenhauses über Hilfen und Grundhaltung. 2. Vergewissern Sie sich im Umgang Angehörigen auch dann mit war- Unterstützungsmöglichkeiten bera- mit Ihrem Angehörigen, dass Sie ihn men, positiven Gefühlen, wenn Sie ten zu lassen, auch wenn die Prog- nicht geschmerzt, verletzt oder gar sich nicht sicher sind, dass er sie nose anfangs oft noch unklar ist. Je 2. SPEZIELLE INFORMATIONEN gekränkt haben, das heißt: spürt. besser Sie informiert sind, Sie die • S eien Sie möglichst einfühlsam, • Versuchen Sie, Ihrem Angehörigen Informationen verstanden haben, mit 2.1 Was ist ein Koma? behutsam und liebevoll, um das positive Gefühle entgegenzubrin- ihnen umgehen können und Sie die Als „Koma“ wird eine tiefe Betäu- notwendige Vertrauen zu ermög gen, indem Sie sich anregend und Informationen für sich als sinnvoll er- bung oder ein tiefer krankhafter lichen und zu fördern. förderlich verhalten. leben, umso besser werden Sie sich Schlaf bezeichnet, bei dem die Be- • Vermeiden Sie unbedingt Kneifen, • Versuchen Sie, mit Ihrem Angehö- selbst fühlen und den Kontakt zu troffenen keine Reaktion auf äußere Necken oder unangenehmes Sti- rigen in einen engen, liebevollen Ihrem Angehörigen halten können. Reize, auch nicht auf Schmerzreize mulieren. Kontakt zu kommen und ihm dabei zeigen und sich gegenüber der Um- • Machen Sie keine herablassenden Angebote zum Dialog zu machen. 5. Bringen Sie viel innere Kraft, Zu- welt nicht äußern. Außerdem ist die Bemerkungen am Krankenbett, • Achten Sie darauf, was Ihr Ange- versicht, Geduld und Ausdauer mit; Spontanatmung erloschen, sodass und versuchen Sie zu vermeiden, höriger in zuerst oft feinsten vege- vor allem aber viel Zeit. Freuen Sie die Betroffenen bereits am Unfallort dass andere dies tun. tativen, körperlichen oder mimi- sich über jeden kleinen Fortschritt. mit einem Beatmungstubus versorgt • Versuchen Sie, Ihren Angehörigen schen Regungen (evtl. zuerst nur Und freuen Sie sich darüber, dass und auf der Intensivstation weiter- nicht mit Ihren eigenen Angst auf dem Monitor) körpersprach- Sie auch in dieser extremen Situ- beatmet werden müssen. Auch die gefühlen und Sorgen zu belasten. lich von sich gibt und wie er sich ation nicht von Ihrem Angehörigen Augen werden nicht geöffnet, weder Sprechen Sie stattdessen mit an- selbst aktualisiert („Körperseman- getrennt (isoliert) sind, sondern zu- auf Ansprache noch auf Körperrei- deren Menschen, z. B. den Pfle- tik“). Solche Phänomene können sammen sein können. Versuchen ze. Komazustände treten entweder genden oder Ärzten, die bereit Ausdruck von wieder einsetzender Sie, sich darauf einzustellen und zu infolge einer schweren Schädelhirn- sind, Sie anzuhören und zu entlas- Vitalität sein und eine frühe Erho- lernen, sich auf Ihre eigene Aufmerk- verletzung (z. B. Schädelhirntrauma) ten, bevor Sie ihren kranken Ange- lungsstufe einleiten. samkeit und Intuition zu verlassen, auf oder werden als Narkose durch hörigen besuchen. um trotz der widrigen und belas- eine kontrollierte Betäubung als • Versuchen Sie, gefasst und opti- 3. Ihr Angehöriger ist durch das tenden Situation die Verbundenheit „künstliches Koma“ eingeleitet. mistisch zu wirken, indem Sie in schädigende Ereignis schwerst be- mit Ihrem Angehörigen spüren zu Auch Vergiftungen, entzündliche jeder Situation die positiven Mo- einträchtigt; er ist aber kein „Defizit- können. Hirnerkrankungen, schwere Schlag 8 9
anfälle mit Durchblutungsstörun- Koma ist damit eine extreme, ver- Classification of Functioning, Disabili- lehrt die Erfahrung, dass ein Koma gen des Gehirns, Sauerstoffmangel letzliche, höchst empfindsame und ty and Health, ICF) bereits 2001 for- infolge eines Schädelhirntraumas nach Herzstillstand mit Reanimati- schutzbedürftige menschenmögliche muliert wurde. Demnach sind bei der (SHT) eine bessere Prognose hat als onspflichtigkeit, Veränderungen des Seinsweise. Ein Leben im Koma ist Beurteilung eines Gesundheits- und/ eine Sauerstoffmangelschädigung Stoffwechsels oder des Hormon- nicht nur Ausdruck einer Krankheit, oder Behinderungsproblems eines (Hypoxie) nach Herzstillstand und haushalts können zu Bewusstseins- also pathologisch, sondern stets Menschen die biologisch-körper Reanimation. Das bedeutet: Je län- störungen und Koma führen. auch ein Schutzbereich und mög- liche, die psychische und die soziale ger das Erwachen ausbleibt, desto licher Ausgangspunkt einer neuen Dimension und hierbei insbesondere länger und mehr sind Sie als Ange- In der biotechnisch orientierten Me- Lebens e ntwicklung. Ein Leben im die Teilhabe am Leben in der Gemein- hörige der großen Ungewissheit und dizin wird Koma mit einer „Bewusst- Koma ist somit eine extreme, aber schaft von Anfang an zu beachten. Sorge ausgesetzt. Durch die Abge- losigkeit“ gleichgesetzt. Nach dieser sinnvolle Seinsweise mit der Pers- schiedenheit und Unerreichbarkeit Lehrmeinung steht das Defizit, das pektive, wieder am Leben der an- Im Koma drücken sich destruktive eines nahestehenden Menschen im heißt der Ausfall des Bewusstseins deren teilhaben zu können. Das und produktive Momente und Di- Koma und Wachkoma werden oft im Vordergrund. Nach beziehungs- Gelingen hängt allerdings von vielen mensionen eines Menschen mit einer eigene Ängste vor Sterben, Tod und medizinischer Auffassung bedeutet Umständen ab. einzigartigen Lebensgeschichte aus. schwerer Behinderung aktualisiert. Koma nicht einfach einen Ausfall der Die Symptomatik im Koma symboli- Diese sind häufig nur mit Hilfe und an das Hirnorgan gebundenen Be- siert die Traumatisierung durch das Beistand anderer zu ertragen und in wusstseinsfunktionen, sondern auch ›Wo sich Leben entdecken schädigende Ereignis, den Schmerz eine realistische Haltung der Hoff- eine gesamtorganismische Antwort lässt, können wir auch einen und das Leiden. Deshalb ist es wich- nung und Sorge für den anderen und auf schwerste Belastungen und Ge- Geist ausmachen … tig, Menschen im Koma nicht nur sich selbst umwandelbar. walteinwirkung („Stresstrauma“). Sobald wir den Organismus liebev oll zu behandeln, zu pflegen, Dies hat einen Zusammenbruch der [mit seiner Umwelt] als Einheit zu schützen und in einen (inneren) 2.2 Bestimmung der Komatiefe Selbststeuerung, der Kommunikation betrachten, …gestehen [wir] Dialog mit ihnen zu treten, sondern In der Regel wird die Tiefe des Ko- und eine Trennung der Beziehungen ihm ein zumindest rudimen- zugleich auf erste vegetative, körper- mas an der Reaktion auf Reiz- oder zur Umwelt sowie zu sich selbst zur täres Bewusstsein zu …‹ liche, mimische Reaktionen und/oder Dialogangebote abgelesen und er- Folge. Das Bewusstsein wird danach Dialogantworten zu achten. Diese kannt. In Anlehnung an australische, bemessen, inwiefern Menschen in Alva Noë, in: Du bist nicht dein stellen nämlich die Symptome dar, britische und nordamerikanische der Lage sind, Beziehungen zuein- Gehirn. Eine radikale Philoso- mit deren Erscheinen gehofft wer- Pflegebeobachtungen unter Koma- ander und zu sich selbst aufrechter- phie des Bewusstseins (2010) den darf, dass die Traumaeinwirkung stimulation aus den 70er und 80er halten zu können. Ein Koma hat eine überwunden wird und eine Erholung Jahren des letzten Jahrhunderts Schutzfunktion und ermöglicht es, (Remission) aus dem Koma beginnt. werden drei Stufen des Aufwachens ganz bei sich selbst zu sein und sich Die hier skizzierte beziehungsmedi- Koma und Komaremission sind nicht aus dem Koma (Komastufen) unter- auf elementare Kernzonen des au- zinische Auffassung vom Leben im als statischer Zustand, sondern als schieden: keine Reaktion, allgemeine tonomen Körperselbst, des Selbst- Koma (und Wachkoma, siehe Ab- ein dynamischer Prozess zu ver- Reaktionen, lokalisierte Reaktionen. seins, zurückzunehmen. Koma ist schnitt 2) entspricht einem „biopsy- stehen. Dennoch gilt: Je länger ein kein passiver Zustand, sondern das chosozialen“ Verständnis, wie es Koma dauert, desto deutlicher ver- Keine Reaktion Resultat einer aktiven, bis auf die von der Weltgesundheitsorganisation schlechtert sich die Prognose, dass Der Patient scheint in einem tiefen tiefste Bewusstseinsebene zurück- (WHO) in der Internationalen Klassi der Betroffene wieder erwacht und Schlaf zu liegen und vollkommen un- genommenen Lebenstätigkeit am fikation der Funktionsfähigkeit, Behin- ohne bleibende Beeinträchtigungen empfänglich für jede Art von Stimu- Rande des Sterbens und des Todes. derung und Gesundheit (International am Leben teilhaben kann. Ferner lation, z. B. bei Schmerz, Berührung, 10 11
Geschmack, Geräusch oder Zeigen oder weniger stark reagieren und in Form von Kau- und Mundbewe- Es besteht Grund zu der Annahme, von Gegenständen, zu sein. Er befolgt seinen Körpertonus und Gesichts- gungen, Veränderungen der Mimik, dass der Patient jetzt langsam auch keinerlei Aufforderung und öffnet die ausdruck verändern. Die Reaktionen Öffnen der Augen, Veränderungen zu spüren beginnt, dass er intubiert Augen nicht. Er liegt regungslos und sind oft nur angedeutet, spärlich, der Atmung, Drehen des Kopfes auf ist oder einen Katheter hat, und wird muss beatmet werden, weil die Spon- sehr verlangsamt und treten oft ver- Geräusch oder Ansprache, Verfolgen möglicherweise versuchen, daran tanatmung nicht verfügbar ist. Der zögert auf. Auch diffuses Schwit- eines Objekts oder eines anderen zu ziehen. Außerdem kann er sich Herzschlag ist am Monitor regelmäßig zen, Hautrötungen und körperliche Gesichts mit den Augen, Verände- Aufforderungen und Zwängen an- zu hören. Auch Blutdruck und Tempe- Spannungszustände gehören dazu. rungen des Körpertonus und erster derer Art autonom widersetzen. Er ratur werden kontrolliert und am Moni- Sie können durch innere Trigger wie Spontanbewegungen. Diese wan- zeigt Unruhe und wirkt enthemmt. tor aufgezeichnet. In diesem Stadium Verdauungsprobleme und Blähun- deln sich dann zunehmend in gerich- In dieser Phase des zunehmenden können leichte Schwankungen und gen oder auch durch Schmerzen, tete Bewegungen von Blick, Kopf Selbstgewahrseins, der zunehmen- Veränderungen der vitalen Parameter Bewegungshunger und Stress (wie und Hand und Körperteilen auf äu- den Reagibilität und des Erwachens auftreten. Sie zeigen an, dass mithilfe bei Säuglingen „bauchgesteuert“) ßere Objekte zu oder weg davon und überschießender Affekte und Bedürf- intensivmedizinischer Unterstützung ausgelöst werden. Auch wenn die- schließlich auch mittels Augenöffnen nisse ist eine beruhigende Zuwen- eine basale organismische Regulation se allgemeinen Reaktionen eher nur und Augenschließen oder Hand dung und einfühlsame Ansprache möglich ist und der Patient lebt. diffus, ungerichtet, spärlich und ver- geben und Loslassen auf Aufforde- äußerst wichtig. Dadurch, dass der langsamt auftreten, sind sie im bezie- rung. Besonders die letzte Reaktion Patient erschöpfungsbedingt zwi- hungsmedizinischen Verständnis als wird in der klinischen Medizin als Zei- schendurch immer wieder einschläft, Ausdrucksformen der Vitalität (Stern) chen des Erwachens aus dem Koma um Energie „zu tanken“, wird die und Zeichen von Lebendigsein zu und Wiederkehr des Bewusstseins Kette der notwendigen Wahrneh- verstehen. Im biologischen Sinne gedeutet. Der Patient kann bald auf mungen, die für das kontinuierliche sind sie als Potenziale von Erbkoor- einfache Befehle wie z. B. „Strecke Spüren seiner selbst in der Welt wich- dinationen zu verstehen, die auf der Deinen Arm, hebe die Hand, schließe tig sind, immer wieder unterbrochen. Evolutionshöhe der Gattung Mensch die Augen“ mehr oder weniger kon- Selbsterleben und Umwelt erschei- nicht nur der Selbsterhaltung dienen, sequent reagieren. Ist die Stimulation nen verworren, „verrückt“ und „ohne sondern auch das Bemühen von vorüber, kann er wieder einschlafen roten Faden“. In diesem Stadium des Verbundenheit mit anderen signali- und ruhig daliegen. Man spricht von sogenannten Durchgangssyndroms sieren, wenn auch letztlich mit von einem „inselförmigen“ Erwachen. ist das deklarative oder „bewusste“ untauglichen, nicht zum Überleben Dies kann den Übergang in ein Gedächtnis noch nicht in der Lage, fähigen Mitteln. Erst die moderne In- Wachkoma andeuten. Dieses Ver- diese Lücken zu überbrücken oder tensivmedizin kann in diesen Fällen haltensniveau ist möglich, weil jeder zu schließen. Unruhezustände kön- das Überleben sichern. Mensch, auch nach schwerster oder nen auch dadurch ausgelöst werden, Allgemeine Reaktionen schwerer Hirnschädigung, nicht nur dass traumatische Szenen, die beim Der Patient reagiert gelegentlich auf Lokalisierte Reaktionen auf angeborene Erbkoordinationen, schädigenden Ereignis oder im Mo- allgemeine Stimulationen, jedoch Der Patient reagiert auf spezifische sondern auch auf vorherige mit sei- ment des Unfalls erlebt wurden, vom nicht immer auf die gleiche Art und Stimulationen, aber nicht immer auf nem Körper erworbene Lebens- und verletzten Gedächtnis nicht gefiltert Weise. Er kann zeitweise mit unge- die gleiche Art. Die Reaktionen erfol- Beziehungserfahrungen in Form des oder zurückgehalten werden, son- richteten und „primitiven“ Körper- gen jetzt mehr oder weniger direkt sogenannten impliziten, unbewuss- dern aus dem impliziten oder „un- massenbewegungen und starren im zeitlichen Zusammenhang zur ten Körper- und Beziehungswissens bewussten“ Gedächtnis immer wie- körperlichen „Schablonen“ mehr Stimulation und können sich äußern zurückgreifen kann. der in das Traum- und Tageserleben 12 13
durchschlagen. Welche Szenen dies tonuserhöhung (Spastik) besteht eine der Außen beobachter dies immer erleben, kann auch mit diesen Tech- sind, können wir von außen nicht weitgehende Bewegungsunfähigkeit. gleich erkennt, wird es im Abschnitt niken nicht beschrieben werden. erkennen. Jedoch berichten Über- Wegen der überwiegend vegetativen 2.5 weitere Ausführungen geben. lebende mit Komaerfahrung nicht Symptomatik wird im angloamerika- Weil die Bezeichnung „Wachkoma“ Menschen im Wachkoma sind also selten von „ozeanischen Schwe- nischen Raum die Erkrankung auch als die Zwiespältigkeit der Seinswei- weder „Gemüse“, „Sterbende“ oder bezuständen“, Tunnelerfahrungen, „vegetativer Zustand“ (englisch: vege- se „wach und doch im Koma“ und „Hirntote“, sondern Lebende! Sie Erleb nissen wie die empfundene tative state; zynische Variante: human das zwischenmenschliche Dilemma brauchen vor allem Lebenshilfe Auflösung des Körperselbst, sich au- vegetable) bezeichnet. Diese Bezeich- „wach und doch unerreichbar“ am und keine Hilfe zum Sterben oder ßerhalb des eigenen Körpers zu be- nung legt es nahe, die Seinsweise der besten zu beschreiben und zutref- gar „Euthanasie“! Das bedeutet im finden und dabei sich selbst im Bett Kranken herablassend als „primitiv“, fend auszudrücken vermag, wird beziehungsmedizinischen Sinne liegend zu betrachten sowie anderen „Gemüse“ oder – wie im National in dieser Informationsbroschüre jedoch, dass wenn sie schwä- Nahtoderlebnissen. sozialismus geschehen und heute die Bezeichnung Wachkoma bei- cher werden und erschöpfen oder leider immer noch vorkommend – als behalten. Die historische Bezeich- wenn ihre Zeit gekommen ist und 2.3 Was ist ein Wachkoma „sinnlose Hülle“, „Ballastexistenz“ oder nung „apallisches Syndrom“ als ein Sterbemodus eintritt, ihnen ein (apallisches Syndrom)? „lebensunwert“ zu bezeichnen und hirnpatholog ischer Zustand, a-pal- Sterbenkönnen in Würde ermöglicht Wenn ein tiefes Koma überlebt wird, abzuwerten. Es dürfte aus den bishe- lisch, also ohne Pallium (Hirnman- werden sollte. Sterben setzt dann entwickelt sich bei besonders schwer rigen Beschreibungen deutlich gewor- tel, Kortex) und bewusstseinsfähiger ein, wenn mehrere Organsysteme Betroffenen nach 2 bis 4 Wochen ein den sein, dass es sich dabei nicht um Großhirnrinde zu sein, ist aufgrund des Körpers gleichzeitig ihren Dienst Wachkoma: Die Augen werden geöff- „Zustände“, sondern um ineinander neuerer Forschungsbefunde mit zu versagen beginnen oder wenn net, der Blick geht dabei anfangs ins übergehende Entwicklungs- und Erho- bildgebenden Verfahren und com- durch eine schwere Hirnschädigung Leere, und die Spontanatmung setzt lungsprozesse handelt. Diese können putergestützten Hirnstrommessun- eine übergreifende (integrierte) ab- langsam und stockend wieder ein. In sich kontinuierlich entwickeln, aber gen streng genommen überholt. Es gestimmte und lebensnotwendige seiner ursprünglichen Bedeutung wird immer wieder auch von Rückschlägen, hat sich gezeigt, dass Menschen im Kooperation von Körperorganfunk unter einem apallischen Syndrom ein Misserfolgen begleitet sein. Auch ein Wachk oma, vor allem, wenn sie die tionen wie Atmung, Herzkreislauf und Erlöschen des Selbstbewusstseins und Scheitern aller Bemühungen mit Todes- frühe Remissionsphase erreicht ha- Nierenfunktion unmittelbar versagt der Kontaktfähigkeit mit sich selbst und folge ist möglich. ben, durch äußere Ereignisse wie die oder in ein Hirntodsyndrom über- der Umwelt verstanden. In Anlehnung Schreie anderer Menschen (affektiv- an die überholte französische Bezeich- Im Bemühen um eine möglichst emotio n al-soziale Reize!) und kog- nung coma vigile wird von einem Wach- wertneutral beschreibende Nomen- nitive Aufforderungen, sich vorzu- ›M eine Eltern helfen mir nicht, koma gesprochen: Der Patient liegt klatur hat man sich international stellen, Tennis zu spielen oder in der um Anerkennung zu kriegen, mit offenen Augen. Obwohl manchmal für das Vollbild des Wachkomas eigenen Wohnung umherzugehen, sondern weil sie mich lieben!‹ vegetative affektiv-emotionale Reak auf die Bezeichnung „Unrespon ähnliche kortikale und subkortikale tionen auf Umweltereignisse auftreten, sive Wakefulness Syndrome“ (UWS) Zonen im Gehirn aktivieren können Dies diktierte die blinde und fixiert der Betroffene diese nicht und bzw. „Syndrom reaktionsloser Wach- wie Gesunde. Auch sind sie nicht stumme Patientin Anke G., die ist aus eigener Kraft zu keiner Kontakt- heit“ (SRW) verständigt. Dazu, ob selten in der Lage, sinnvolle von un- nach Schädelhirntrauma 3,5 aufnahme mit seiner Umwelt fähig. Es ein Mensch im Wachkoma wirklich sinnigen Sätzen zu unterscheiden, Jahre im Koma und Wachkoma besteht zwar eine stabile Atmung, und „reaktionslos“ ist oder zumindest im was sich durch charakteristische, gelegen hat, ihrer Mutter mit es zeigt sich ein mehr oder weniger Übergang zu den frühen Remissions- ereigniskorrelierte „kognitive“ Hirn- der ABC-Methode einsetzender Schlaf-Wach-Rhythmus, phasen innerlich reagieren und sich stromsignale erkennen lässt. Was aber infolge einer allgemeinen Muskel- selbst aktualisieren kann, ohne dass Menschen dabei allerdings subjektiv 14 15
geht. Dann aber sind Maßnahmen die Kranken oft über längere Zeiträu- 2.5 Warum ist „Reaktionslosig funde und körpersprachlichen Phä- der Therapiebegrenzung, palliativ me hinweg ohne jeglichen mensch- keit“ fragwürdig? nomene erste Anzeichen dafür sind, medizinisches Handeln und hospiz lichen Kontakt in einer für sie völlig Eingangs wurde bereits darauf hin- dass sich eine Remission aus dem liche Begleitung im Sinne von Sterbe- fremden Umgebung isoliert und ab- gewiesen, dass im beziehungsme- Koma und Wachkoma entwickelt. Es beistand als menschenwürdige Hilfe geschieden leben. In zahlreichen Un- dizinischen Verständnis Menschen, kann daher durchaus von einer „Kör- beim Sterben angezeigt (siehe auch tersuchungen zur psychologischen solange sie nicht gestorben sind, persemantik“ gesprochen werden, Abschnitt 2.8). Situation Bewusstloser auf der In- mit inneren Wahrnehmungen, Em weil diese körperlichen Reaktionen, tensivstation wurde nachgewiesen, pfindungen und Bewegungen mit die häufig zuerst von Angehörigen 2.4 Was geschieht auf der dass trotz Koma und Narkose die- der Umwelt und anderen Menschen beobachtet werden, mit aller Vor- Intensivstation? se Situation passiv, angstvoll und verbunden sind. Das Zwischen- sicht für den Einzelnen interpretiert, Nach der Primärversorgung am Un- höchst bedrohlich erlebt werden menschliche und das soziale Organ, von entscheidender prognostischer fallort und im Krankenhaus werden kann. Im Sinne eines hier verfolgten das Gehirn als „Beziehungsorgan“, Bedeutung sein können. Während die Verletzten auf der Intensivsta beziehungsmedizinischen Koma ist für Menschen und das Mensch- heutzutage viele Pflege- und Thera- tion betreut. Hier kommt es vor allem verständnisses ist dies nachvollzieh- sein geradezu existenziell und kons peutenteams solche Beobachtungen darauf an, die Vitalfunktionen wie bar, weil auch ein Mensch im Koma titutiv. Frühere Forschungen haben in ihren Umgang mit Kranken einbe- Atmung, Herzkreislauf, Blutdruck, (unbewusste) Wahrnehmungen hat, ergeben, dass Menschen im Koma ziehen, tun sich behandelnde Ärzte Einfuhr und Ausscheidung in einem sich an veränderte Umweltbedingun- und Wachkoma unbewusst mittels damit häufig nach wie vor schwer. stabilen Gleichgewicht zu halten gen orientieren und anpassen muss Veränderungen der und Stress sowie Schmerzen vom und daher sensibel für Ereignisse Herzrate, der Atemtie- Wachbewusst mit leichten Beinträchtigungen Patienten fernzuhalten. Diese soge- seiner näheren Umgebung ist. So fe und des Hautwider- nannte Schockphase dauert in der ist z. B. bekannt, dass hämmern- stands auf emotional Wachbewusst mit mäßigen bis schweren Beinträchtigungen Regel einige Tage. In dieser Zeit wer- de Schritte, laute Geräusche und bedeutsame oder ver- Remissionsstufen den die Betroffenen medikamentös Alarme der Monitore sowie selbst traute Reize oder Dia tief sediert und meist auch kontrol- auch notwendige und gut gemeinte logangebote reagie- Minimal responsiver / bewusster Zustand liert beatmet (Narkose, künstliches Handlungen am Krankenbett von den ren. Diese vegetativen Übergang aus frühen Übergangs- und Remissionsstufen Koma). Während dieser Zeit auf der Kranken als auf sich selbst bezogen Reaktionen sind oft nur Intensivstation werden die Vitalfunk- wahrgenommen und als Bedrohung am Monitor abzulesen tionen überwacht und Veränderun- ihrer selbst empfunden werden kön- oder in Form einer sub- gen sofort erkannt. Vorrangiges Ziel nen. Es gibt Berichte, wonach vor tilen Körpersprache mit Koma Wachkoma-Vollbild ist die Versorgung des Gehirns mit allem bei Kindern ein Komazustand Veränderungen der Mi- ausreichend Sauerstoff und Nähr- durch ein über sie Hinwegreden und mik, des Körpertonus, Zeit stoffen, damit die Schädigung nicht durch zusätzliche schmerzhafte Ak- der Augenstellung, der größer wird, Selbstheilungsprozesse tionen aufrechterhalten und verlän- Lid- und Mundbewegungen oder Es ist daher auch nicht bedeu- beginnen können und der Wieder- gert werden kann, die fremde und oft am Schwitzen und am Rotwerden tungslos, dass wenn ein Mensch aufbau der organismischen Integrität menschenleere Umgebung angstvoll zu erkennen. Man kann einwenden, im Wachkoma die Schreie anderer unterstützt wird. erlebt wird und sie sich deswegen solche vegetativen Reaktionen und Menschen über einen Kopfhörer innerlich zurückziehen (sogenanntes körperlichen Ausdrucksformen der wahrzunehmen scheint und sein so- Kritisch muss jedoch angemerkt Dornröschenschlaf-Syndrom). Vitalität hätten nichts mit „Bewusst- ziales Gehirn im Scanner ein ähnlich werden, dass die Intensivstation eine sein“ zu tun, doch gibt es immer aktiviertes subkortikales und korti- künstliche Situation darstellt, in der wieder Berichte, wonach solche Be- kales Verarbeitungsmuster aufweist 16 17
wie Gesunde, er jedoch weiterhin (minimally consciousness state, Differenzialsymptomatik/Verhalten als „bewusstlos“ oder gar „empfin- MCS; Syndrom des minimalen Be- dungslos“ eingestuft wird. Es sei hier wusstseins, SMB) unterschieden. Koma Wachkoma Minimal bewusster an die bereits oben angesprochenen Die vielen kleinen Zwischenstufen an • k eine Spontan „Reaktionslose Zustand angeborenen Erbkoordinationen und minimalen Reaktionen und Antwor- atmung Wachheit“ UWS, MCS (Remission!) das implizite (unbewusste) Körper- ten, wie sie sich im klinischen Alltag • A ugen bleiben SWR Fixieren, und Erfahrungswissen von Koma- im Kontinuum von „komatös“ bis geschlossen • Spontanatmung Blickfolgen, patienten erinnert. Manche Forscher „erwacht“ darstellen und sich über • k eine Reaktion auf • A ugen sind / Unmut, Lächeln sprechen daher heute beim Wach- Wochen und Monate entwickeln Schmerzreize werden geöffnet -> MCS „Minus“ koma von einem affektiv-emotio- können, werden dabei nicht ausrei- • k eine motorischen • S chlaf-Wach- nalen Bewusstsein als Vorstufe der chend beachtet. Allenfalls hat man Reaktionen Rhythmus Gerichtete Eigen wachbewussten und rational-kog versucht, dieser Differenzierung mit • keine gerichtete, aktivität Ja/Nein- nitiven Bewusstseinsebene. Auch dem Konstrukt einer MCS-Minus spontane Eigen Code, Befolgen zeigt der Umgang mit diesen Patien- variante und einer MCS-Plusvariante aktivität oder von Antworten ten in der Frührehabilitation oder auf beizukommen (siehe Tabelle 1). Zur Kontaktaufnahme -> MCS „Plus“ der Wachkomastation immer wieder, genaueren Messung der unterschied- dass eine liebevolle emotionale Zu- lichen Komazustände wird in der kli- Tabelle 1 wendung, Beruhigung, Trost, Zuver- nischen Komaforschung die Unter- sicht und Unterstützung den Über- suchung mittels zeitaufwändiger und sung (Elektroenzephalografie, EEG) lich erlebt und wie er empfindet. Aus gang in eine frühe Remission fördern systematischer Komaskalen in Form auch auf neurologischen Intensiv- und den Schilderungen zur psychologi- können. der revidierten Koma-Erholungs-Ska- Frührehastationen, ja auch im Pflege schen Situation von „Bewusstlosen“ Solche frühen Remissionsphasen, la (Coma Recovery Scale – Revised, heim, häufiger als bisher zum Ein- auf der Intensivstation wurde bereits die bereits Ende der 1960er Jah- CRS-R) gefordert. Es besteht eine Art satz kommen. Hierdurch lässt sich deutlich, dass die Anwesenheit und re vom Nestor der Komaforschung von Technikgläubigkeit insofern, dass der durch die differenzierte klinische Nähe vertrauter Menschen beson- bzw. des apallischen Syndroms, manche Forscher davon ausgehen, Krankenbeobachtung und durch die ders wichtig ist. Prof. Franz Gerstenbrand aus Wien, dass sich das Bewusstsein überhaupt Anwendung von Komaskalen gewon- Angehörige kennen die Eigenarten durch genaue Beobachtungen und nur messtechnisch mithilfe moderner nene Verdacht, dass sich bei einem und Persönlichkeit des Kranken. Sie Befund erhebungen differenziert be- Bildungsgebungsverfahren wie funk- Patienten im Wachkoma in der Rea bringen einen „emotionalen Blick“ schrieben wurden, weisen für je- tionelle Kernspintomografie (fMRT) gibilität und Bewusstseinsfähigkeit mit ans Krankenbett. Nicht selten den Patienten auf die prinzipielle und Positronenemissionstomografie etwas geändert hat, unterstützen. sind es insbesondere die Angehö- Möglichkeit einer Entwicklung aus (PET) ermitteln und nachweisen lässt. Voraussetzung und Grundlage ist wei- rigen, die bei ihren Kranken zuerst einem Wachkoma hin. Bei diesen Verfahren der modernen Bildgebung terhin die genaue symptom- und dia- Veränderungen bemerken, wie z. B. Remissions stufen werden heute sind sehr teuer und bisher fast aus- logorientierte Verhaltensbobachtung. angedeutete Bewegungen, im Ge- aller dings überwiegend im anglo schließlich Forschungseinrichtungen sichtsausdruck, bei Atmung oder amerikanischen Sprachgebrauch überlassen. Eine flächendeckende 2.6 Warum ist Ihre Anwesenheit Herzschlag, in der Hautfarbe, beim und Krankheitsverständnis nur noch Versorgung mit diesen Techniken in wichtig? Augenöffnen oder der Art des Blicks. zwischen „im Wachkoma sein“ Krankenhäusern wird es bis auf wei- Es kann nicht sicher vorhergesagt Nicht selten scheinen diese frühen (vegetative state, VS; Syndrom der teres nicht geben. Hingegen scheint werden, ob, wie, was und wie viel Beobachtungen von kleinen Zeichen reaktionslosen Wachheit, SRW) und es eher wahrscheinlich, dass Ver- ein Mensch im Koma und Wachkoma und primitiven Reaktionen im Wider „im minimalbewussten Zustand sein“ fahren der modernen Hirnstrommes- wahrnimmt, was er eventuell inner- spruch zu den Wahrnehmungen des 18 19
Betreuungspersonals zu stehen. Alle diese Beobachtungen weisen da- Außenwelt Manche Angehörige haben daher rauf hin, dass Menschen im Koma und eine Videokamera mitgenommen und Wachkoma offenbar früher als bisher die Reaktionen gefilmt, um ihre Be- angenommen versuchen, mit ihrer Ich obachtungen zu beweisen. Wie oben Umwelt in Kontakt zu kommen, in- bereits ausgeführt, sprechen Unter- dem sie auf die ihnen einzig mögliche suchungen mit der neuen Bildgebung und spezifische Weise tätig werden Dialogfeld für die Annahme, dass Menschen oder antworten. Es muss also das Ziel im Wachkoma zuerst emotional an- sein, an die Äußerungen und Formen sprechbar sind. Und so ist es nicht der Reaktionen, Verhaltensantworten Du abwegig, anzunehmen – wenn auch und Selbstaktualisierungen anzu- noch nicht genügend erforscht – knüpfen und einen verlässlichen Ver- dass emotionale Zuwendung, Trost, ständigungscode aufzubauen, z. B. Zuversicht und partnerschaftliche über das Atmen, Seufzen, Blinzeln, Unterstützung den Übergang in eine Handzeichen und andere Regungen. gemeinsames Zwischenfeld frühe Remission fördern können. Durch Ihre Anwesenheit, Nähe und der Menschlichkeit Nicht selten sind es auch die Angehö- emotionale Zuwendung können Sie rigen, die wiederum zuerst bemerken, zu Ihren Kranken die lebensnotwen- dass sich Art und Intensität der Re- dige Verbindung und Kommunikation aktionen in Abhängigkeit von Art und aufnehmen und zu entwickeln helfen. Intensität der Stimulation, Kommuni- Sie schaffen damit nicht nur das not- Abb. 1: Der Mensch wird am Du zum Ich (Martin Buber, 1984) kationsangeboten oder äußeren Er- wendige Ver trauen, sondern geben eignissen (Umgebung, Stationskultur, zugleich basale Orien tierungen in nes neuen Lebens in Erscheinung Menschen im Wachkoma können Atmosphäre) ändern. So wurde z. B. Raum und Zeit und vermitteln Sicher treten kann. Wie oben schon an- nicht nur sensorische Stimulationen, beobachtet, dass bei einem Patien- heit. Das Wichtigste aber dürfte sein, gesprochen, wurde mit modernen menschliche Stimmen und körper- ten die Herzfrequenz immer dann an- dass Sie Ihren Angehörigen die Wir- bildgebenden Verfahren nachgewie- nahe Dialogangebote wahrnehmen, stieg, wenn seine Freundin mit festem kungen ihrer selbst im köper nahen sen, dass auch im Wachkoma frag- sondern auch einfache motorische Schritt das Krankenzimmer betrat, Dialog spüren lassen, wodurch ein mentierte kortikale Restaktivitäten Reaktionen erlernen. So haben ohne ihn berührt oder angesprochen elementares Körperselbstbewusst- bestehen können, die auf Schmerz- schwedische, angloamerikanische zu haben. Ein anderer Patient wurde sein sich wieder aufbauen kann verarbeitung, Gesichtererkennen, und eigene Studien gezeigt, dass bis durch das beharrliche Akkordeonspiel (Abbildung 1). vertraute Stimmen hören oder in- zu zwei Drittel der Kranken durch ein seiner Tochter „geweckt“. Wiederum nere Sätze aussprechen hinweisen. früh einsetzendes und strukturiertes andere Kranke lassen sich nur von 2.7 Warum dürfen Sie hoffen und Ferner wurde festgestellt, dass sich Therapieprogramm mit multisensori- einem bestimmten Familienmitglied optimistisch sein? bei frühzeitiger, intensiver Zuwen- scher Stimulation und körpernahem oder ihrer Lieblingskrankenschwes- Klinische Erfahrungen und wissen- dung und Kommunikation nicht Dialogaufbau sozial reintegriert wer- ter Essen eingeben, wobei sie zudem schaftliche Untersuchungen weisen selten schwere Formen des Lang- den können. Vor allem in familiärer hochindividuell ganz bestimmte Ge- darauf hin, dass ein Wachkoma kein zeit- oder Wachkomas im Vollbild und häuslicher Umgebung können schmäcke oder Speisen bevorzugen. defektiver Endzustand ist, sondern vermeiden lassen oder deren Symp- noch nach Jahren erstaunliche Ent- Die Reihe derartiger Beispiele ließe als Zwischenstadium in der Ent- tome nur in flüchtiger Form auftreten wicklungsfortschritte erzielt werden, sich weiter fortsetzen. wicklung aus einem tiefen Koma ei- („apallisches Durchgangssyndrom“). wodurch die Betroffenen kommu- 20 21
nikabel, pflegeunabhängiger und des „Bewusstlosen“ vorbehaltlos nen die Behandlung eines Schädel gen dazu gesagt? Hat er eine Wil- selbstständiger und die Angehö- annimmt und eine emotionale und hirntraumas oder eines schweren lenserklärung abgegeben, z. B. in rigen entlastet werden. Außerdem soziale Teilhabeperspektive von An- Schlaganfalls trotz aller akutmedizi- Form einer Patientenverfügung oder gibt es inzwischen gute Erfahrungen fang an in das Denken und Handeln nischer und frührehabilitativer Bemü- in Form wiederholter Äußerungen im damit, dass die Kranken zwar oft einbezieht. hungen in eine sterbensnahe Situa Familienkreis (mutmaßlicher Wille)? schwerstbeeinträchtigt bleiben, aber tion münden. Dies ist auch in der Auch die Behandler, insbesondere mit familiärer und therapeutischer 2.8 Sterben und Tod Langzeitversorgung außerhalb des Ärzte, müssen die Indikation zu einer Unterstützung sowie technischen Es gehört zur existenziellen Grund Krankenhauses Zuhause oder im Maßnahme oder Therapie kritisch Kommunikationshilfen zu einer Ja/ legung des Menschen, dass trotz Pflegeheim möglich. hinterfragen, ist es doch rechtlich Nein-Verständigung befähigt wer- aller Sehnsüchte nach Schönheit, und ethisch geboten, einen Patien- den können (Augencode, Handcode, Jungsein und Wachstum das Leben Zur Versorgung von Menschen im ten nicht gegen seinen Willen zu be- Buzzer). Hier haben sich in jüngerer endlich ist. Der Mensch ist keine re- Koma, Wachkoma und in den frü- handeln. Zu einer Entscheidung für Zeit Erkenntnisse und technische parable Maschine, deren Funktions- hen Remissionsphasen gehört daher die Art der Weiterbehandlung oder Entwicklungen der Unterstützten tüchtigkeit man beliebig aufrecht- auch die Einsicht, dass es selbst bei Behandlungsbegrenzung einschließ- Kommunikation (UK) als besonders erhalten, verlängern oder steigern sorgfältiger Therapie und Pflege zu lich Palliativ- und/oder Hospizmodus hilfreich erwiesen. Von daher kann kann, sondern Menschen sind ver- Komplikationen, Schwäche und Er- sind alle Beteiligten im Konsens ver- vielleicht auch das gefürchtete „Ste- letzliche und auf andere angewiese- schöpfung kommen kann, die den pflichtet. In einer solchen Situation ckenbleiben“ im Dauerkoma oder ne Lebewesen. Organismus samt seiner psychi- kann demnach Hilfe beim Sterben, Wachkomasyndrom weniger als allei- schen Widerstandskraft und sozia- nicht jedoch zum Sterben, geboten niges Resultat der Hirnschädigung, Schwersthirngeschädigte sind in len Ressourcen zunehmend beein- sein, um ein Sterbenkönnen in Wür- sondern auch als Folge zusätzlicher größter existenzieller Gefahr und tief trächtigen. Häufige Komplikationen de zu ermöglichen. Eine „bewusst- Traumen und fehlender sensorischer verletzt. Trotz moderner Rettungs- – gerade auch bei dauerbeatmeten lose“ Weiterbehandlung um jeden Anregung, Zuwendung, Kommunika- systeme, Beatmungs- und Intensiv Patienten – sind Störungen des Ma- Preis ist zwingend zu vermeiden. tion und Teilhabe am sozialen Dialog medizin besteht auch heute noch in gen-Darm-Transports mit Erbrechen angesehen werden. Die isolierten der Akutphase ein hohes Risiko, zu wie auch Lungenentzündung und Menschen im Sterben werden ohn- Patienten leiden an einer durch das versterben. Das Leben im Koma auf aufsteigende Harnwegsinfektionen mächtig und bewusstlos. Sie ver- traumatische Ereignis ausgelösten der Intensivstation stellt für alle Be- mit Blutvergiftung (Sepsis). Auch lieren das Bewusstsein und ge- „inneren Blockierung“, die einer Auf- teiligten eine große Herausforderung können Besiedelungen mit multi ben ihren Geist auf. Komatöse lösung durch eine beherzte, liebevol- und Belastung dar. Gerade im Alter resistenten Keimen zu einer töd Hirngeschädigte im Sterben haben le und wärmende zwischenmensch- kann aufgrund vorbestehender Be- lichen Infektion führen, weil kein Anti- ihr Bewusstsein bereits mehr oder liche Umgebung bedarf, die sich gleiterkrankungen und Komplikatio- biotikum mehr hilft. Der Zustand des weniger verloren und/oder sind jetzt Betroffenen kann sich durch solche dabei, ihren Geist vollständig auf- Umstände innerhalb weniger Stun- zugeben. Ein tiefes Koma ist in der ›O b ein Wachkoma-Patient ein Erleben hat, ist u. a. deshalb so schwer den krisenartig zuspitzen. biotechnischo rientierten Medizin – einzuschätzen, weil sein Leben gänzlich unterbrochen wurde; gewisser- In einer solchen Situation sind nach neben Atemstillstand und völliger maßen steht für uns sein Leben selbst infrage ...‹ heutigem rechtlichen und ethischen Reaktionslosigkeit auf Schmerzreize Verständnis alle Beteiligten aufgefor- (Verlust der Schutzreflexe) – eines Alva Noë, in: Du bist nicht dein Gehirn. Eine radikale Philosophie des dert, die Behandlung zu hinterfragen der drei wichtigen klinischen Anzei- Bewusstseins (2010) und sich die Frage zu stellen: Was chen eines drohenden oder bereits hat der Betroffene in gesunden Ta- eingetretenen Hirntodsyndroms. 22 23
Nach neueren Erkenntnissen wird frühzeitige Bade- und Wasserthera- durch ein Hirntodsyndrom angezeigt, pie, weil durch das Schwimmen im Medizinische Menschenkunde dass ein sterbender Mensch nach Wasser „automatische“ Bewegungs- ›D as Problem des Menschen … in dieser Art Medizin ist, daß er, der einer schwersten Hirnschädigung an muster angeregt werden, die einen Mensch, seine Krankheit, die als Teil seiner ganzen Biografie zu ver- dem Punkt der Unumkehrbarkeit des positiven Einfluss auf alle anderen stehen ist, nicht nur hat, sondern auch macht. Daß er die Krankheit, Sterbeprozesses angekommen ist. Funktionsbereiche haben. Eine einfa- die Ausdrucksgebärde, die Sprache seines Körpers produziert, wie er Er ist ein (noch) Lebender, bei dem, che frühe Stimulation ist die handge- jedes andere Ausdrucksgebiet und jedes andere Sprechen formt.‹ wenn er eingewilligt hat (im Sinne der stützte Atemhilfe, die Sie jedoch erst Entscheidungslösung) oder die An- lernen müssen. Dazu zählt z. B. das Viktor von Weizsäcker, in: Natur und Geist (1944) gehörigen dies bezeugen können (im Ansprechen und handgestützte Mit- Sinne der erweiterten Zustimmungs- singen des Namens des Patienten: lösung), Organe und/oder Gewebe Sie legen ihre Hand auf die Brust Ih- und als Signal zur Kontaktaufnah- renzieren, zu verstärken oder indivi- entnommen und verpflanzt werden res Gegenübers und sprechen oder me verstanden, kann ein wechsel- duell zu variieren und zu modulieren. dürfen. singen seinen Namen im Takt seiner seitiger Prozess von Anregung und Dabei werden Angehörige von An- Ein Sterben im Hirntodsyndrom stellt Atmung und in Melodie und Rhyth- Reaktion, Vorschlag und Gegen- fang an mit einbezogen. alle Beteiligten vor schwere ethische mus seines Namens. Dazu wird Res vorschlag, Angebot und Antwort in und persönliche Fragen und Ent- pekt, Feingefühl und Zeit oder auch Gang kommen, wobei Stimulationen Während eine basale sensorische scheidungen, bei denen der (mut- nur ihre Anwesenheit und Präsenz und Reaktionen immer differenzier- Stimulation von jeder beliebigen Per- maßliche) Wille des Patienten stets benötigt. ter werden und sich in der gemein- son durchgeführt werden kann, sind in den Vordergrund zu stellen ist und samen Tätigkeit immer mehr ge- für den Dialogaufbau die Mitarbeit zum Maßstab erhoben werden muss. Mit dem Hautsinn erfährt der Kranke meinsame kleine Aktivitätseinheiten von Angehörigen und Beziehungen seine Körpergrenzen, die Grenzen entwickeln können. zu nahen Angehörigen, also von Ih- seines Ichs. Das Gehör knüpft an nen selbst, sinnvoll und notwendig. 3. WOMIT SIE KONKRET die Eigenwahrnehmung des Körpers 3.2 Dialogaufbau in kleinen Wichtig ist, zu verstehen, dass der HELFEN KÖNNEN (Tiefensensibilität, Vibrationssinn, Schritten Dialogaufbau kein einfacher, starrer Propriozeption) an und ist der erste Beim Dialogaufbau kommt es darauf Reiz-Reaktions-Zyklus ist, sondern 3.1 Positive Anregungen geben ansprechbare Fernsinn. Über das an, eine vertrauensvolle Beziehung eine liebevolle, sich ständig verän- Positive Anregungen sind Anregun- Gehör kommen Stimme und Stim- auf der Grundlage einer sinnvollen dernde zwischenmenschliche und gen aller Sinnesbereiche: Geruch, mung zum Kranken. Dies sind nur ei- Kommunikation zum Kranken her- körpernahe kommunikative Situa Berührung, Gehör, Gesicht und Ge- nige Beispiele. Durch einfache oder zustellen. Dies gelingt nahen An- tion und Interaktion, an deren Verlauf schmack sowie Bewegungsgefühl. komplexe (multisensorische) Sinnes- gehörigen meist am Besten. Beim und Entwicklung alle Partner betei- In der Frühphase sind darüber hinaus stimulation gibt man also dem Ande- körpernahen Dialogaufbau wird auf ligt sind. Man kann diesen Prozess Stimulationen vonseiten der Tiefen ren einen Anreiz zur Wahrnehmung, Elemente der basalen und multisen- des Dialogaufbaus am besten in sensibilität, des Gleichgewichts, des emotionalen Bewertung und Re- sorischen Stimulation zurückgegrif- Form einer nach oben offenen Ent- Lage- und Bewegungssinns (Kinäs- aktion. Liebevolle Zuwendung und fen. Im Unterschied zu diesen beiden wicklungsspirale sichtbar machen, thesie; Körperselbstbewegungssinn) Stimulationen sind Anreize, die den Verfahren wird beim Dialogaufbau wobei die Richtung der Entwicklung für die Selbstwahrnehmung des Pa- Patienten animieren, Reaktionen zu vor allem mithilfe der Angehörigen aus dem Zusammenwirken beider tienten entscheidend. Äußerst wün- zeigen, seinen Lebenswillen zu äu- versucht, Angebote und Antworten Partner im Sinne von Vorschlag und schenswert, aber in der Realität nur ßern und sich selbst zu aktualisie- entsprechend der Gesamtsituation Gegenvorschlag hervorgeht (siehe schwer zu verwirklichen, ist eine ren. Wird eine Reaktion beobachtet wechselseitig abzustimmen, zu diffe- Abbildung 2). 24 25
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