Günter Grass - Im Krebsgang - Fakten und Fiktionen Diplomarbeit 2010

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Günter Grass - Im Krebsgang - Fakten und Fiktionen Diplomarbeit 2010
Masaryk-Universität Brünn
                                Philosophische Fakultät
                 Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik

                                   Diplomarbeit

                   Günter Grass – Im Krebsgang
                            Fakten und Fiktionen

Betreuer:                                                      Autor:
PhDr. Roman Kopřiva, Ph.D                                      Bc. Lubomír Hrdlík

                                        2010
Hiermit erkläre ich, an der vorliegenden Diplomarbeit eigenständig und unter vollständiger
Angabe aller Quellen gearbeitet zu haben.

…………………………………
Bc. Lubomír Hrdlík
Ich bedanke mich bei PhDr. Roman Kopřiva, Ph.D. für die wertvollen Ratschläge
und die Zeit, die er mir bei der Ausarbeitung meiner Diplomarbeit gewidmet
hat.
Inhalt

Inhalt........................................................................................................................................... 4
1. Einleitung ............................................................................................................................... 5
2. Lebenslauf/Biographie ........................................................................................................... 7
   2.1 Grass in der Waffen-SS.................................................................................................. 12
       2.1.1 Günter Grass: Ich war Mitglied der Waffen-SS ..................................................... 12
   2.2 SS und Moral.................................................................................................................. 15
3. Fakten ................................................................................................................................... 16
   3.1 Wilhelm Gustloff............................................................................................................ 16
   3.2 David Frankfurter ........................................................................................................... 17
       3.2.1 Das Attentat............................................................................................................. 17
   3.3 Alexander Marinesko ..................................................................................................... 18
   3.4 Wilhelm Gustloff (Schiff) .............................................................................................. 19
       3.4.1 Legion Condor an Bord........................................................................................... 20
       3.4.2 Kriegszeit ................................................................................................................ 22
       3.4.3 Operation Hannibal ................................................................................................. 23
       3.4.4 Katastrophe.............................................................................................................. 24
4. Im Krebsgang: Interpretation ............................................................................................... 27
   4.1 Internet ........................................................................................................................... 27
   4.2 Tabu................................................................................................................................ 30
   4.3 Haupthelden ................................................................................................................... 32
       4.3.1 Tulla Pokriefke ........................................................................................................ 33
       4.3.2 Paul Pokriefke ......................................................................................................... 36
       4.3.3 Konny Pokriefke ..................................................................................................... 38
       4.3.4 Der Erzähler und sein Krebsen................................................................................ 39
       4.3.5 Die Gemeinsamkeiten ............................................................................................. 41
5. Filme..................................................................................................................................... 43
6. Im Krebsgang hierzulande.................................................................................................... 46
7. Zusammenfassung ................................................................................................................ 48
8. Literaturverzeichnis.............................................................................................................. 50
9. Anlagen ................................................................................................................................ 56

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1. Einleitung
Günter Grass brach mit seiner Novelle Im Krebsgang ein groβes deutsches Tabu. Sechzig
Jahre nach den damaligen Ereignissen war Gustloff noch immer ein Thema, über das man
besser schweigen sollte.
     „Mochte doch keiner was davon hören, hier im Westen nicht und im Osten schon gar nicht. Die
     Gustloff und ihre verfluchte Geschichte waren jahrzehntenlang tabu, gesamtdeutsch
     sozusagen.“1

Diese Arbeit ist nur ein weiterer Versuch dieses Tabu zu brechen. Heute spricht man gern
vom „Gedächtnis der Orte“ und denkt an Auschwitz oder Dresden. Im Fall der Wilhelm
Gustloff ist keine richtige Stelle mehr vorhanden. Das Schiff selbst liegt auf dem Grund der
Ostsee. Auf der Meeresoberfläche würde man höchstens den Punkt bezeichnen können, an
dem das Schiff sank. Das heiβt, ein Gedächtnis des Ortes kann es nicht mehr geben, sondern
nur ein Gedächtnis an den Ort. Er selber existiert ja nicht mehr. Was bleibt, ist die Stelle. Es
wird sich in der vorliegenden Arbeit zeigen, dass solchen Stellen eine groβe Kraft der
Erinnerung innewohnt, auch wenn in ihnen (hier Bericht auf dem Meer) kein lokal und
konkret hervortretendes Zeichen mehr vorhanden ist. Es gibt also nicht einmal Ruinen oder
Reste, nur Taucher können zur gesunkenen Wilhelm Gustloff hinuntersteigen. Es gibt auch
keine Gräber. Auf das Gedächtnis dieses „Ortes“ oder „Nicht-Ortes“ ist also wenig Verlass.
Es scheint zu versagen. Wie sich die Oberfläche eines Teichs sofort wieder schlieβt, wenn ein
Stein ins Wasser fällt, so schloss sich auch das Meer wieder, nachdem das Schiff
untergetaucht war. Und eine umfassende Erinnerung war nicht mehr zu erkennen. Man soll
also bemerken, dass ein Ort (eine Meeresstelle) Erinnerungen nur dann festhält, wenn es
Menschen gibt, die Sorgen dafür tragen. Günter Grass ist der Beweis für diese These. Er lieβ
den Punkt auf der Ostsee als traumatischen Ort entstehen. Hier wird versucht zu zeigen, wie
der Schriftsteller das nationale historische Gedächtnis im Blick auf die damalige
Flüchtlingskatastrophe zu aktivieren versuchte und dabei ein literarisches Werk schuf, das
sein Ziel erreichte.

Im Einführungskapitel meiner Arbeit richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Leben und
Biographie von Günter Grass. Grass, wie viele andere Autoren, schreibt teilweise Fiktion und
teilweise schöpft er aus seinen Erinnerungen. Um einige seine Bücher besser zu verstehen,

1
    Grass, Günter. Im Krebsgang. Deutscher Taschenbuch Verlag 2009. S.48.

                                                                                                   5
sollte der Leser auch seinen Lebenslauf kennen. In den zwei Unterkapiteln wird über die
Mitgliedschaft von Grass in der Waffen-SS gesprochen. Dies war und ist noch immer ein in
Deutschland diskutiertes Thema. Man versuchte festzustellen, was Grass dazu bewog, was ihn
also zu diesem „Fehler“ geführt hat und wie ihn die Öffentlichkeit sieht, wie er eventuell von
anderen Schriftstellern beurteilt wird.
Das nächste Kapitel, welches „Fakten“ bezeichnet ist, erklärt die wichtigsten Tatsachen aus
der Novelle Im Krebsgang. Wenn man das Buch durchliest, könnte der Leser den Eindruck
gewinnen, dass alles, was Grass schrieb der Wahrheit entspricht. Der betreffende Abschnitt
dient dazu, dieses Problem zu minimieren. Mit besserer Kenntnis der Fakten kann sich der
Leser einzelne Unstimmigkeiten klären.
Das vierte Kapitel ist der Interpretation des Krebsgangs gewidmet. Am Anfang wird über das
Internet gesprochen. Das Netz als neues Medium hat Grass für seine Novelle oft benutzt. In
der Kommunikation zwischen den zwei Haupthelden ist das Internet sogar ein Grundstein
ihres Verhältnisses. Grass hat mit seinem Werk ein groβes deutsches Thema aufgegriffen, und
davon erzählt das nächste Unterkapitel. Daran knüpfen weitere Unterabschnitte an, die dem
Leser die Haupthelden der Handlung vorstellen.
Das fünfte Kapitel heiβt Filme. Hier werden verschiedene Produktionen erwähnt, die etwas
Gemeinsames mit der Novelle haben. Meistens sind es Streifen über die Versenkung der
Wilhelm Gustloff.
Im vorletzten Kapitel gilt die Aufmerksamkeit der Tschechischen Republik. Das Buch wurde
drei Jahre nach seinem Erscheinen übersetzt. Es hat freilich kein so groβes Aufsehen wie in
den deutschsprachigen Ländern erregt. Deshalb befasst sich dieser Abschnitt nur mit zwei
Beiträgen, die aber sehr hoch einzuschätzen sind. Bei der Abfassung dieses Kapitels war mir
Jiří Stromšík, der Übersetzer der Novelle ins Tschechische, behilflich, wofür ich ihm sehr
dankbar bin.

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2. Lebenslauf/Biographie

Um genauer zu verstehen, warum Grass so schreibt, wie er schreibt, empfiehlt es sich, ihn
näher kennen zu lernen. Er schreibt viel über seine Kindheit und über seine Mutter. Einige
Passagen seiner Bücher könnten dabei klarer sein, falls man sie als Quelle für seinen
Lebenslauf ansehen möchte.

Günter Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig (heute Gdansk in Polen) geboren. Sein
Vater war Pole und seine Mutter war kaschubischer Herkunft, bekanntlich ein westslawisches
Volk aus Pommern. Mit seiner Schwester Waltraut bewohnte er zusammen ein kleines
Zimmer. Seine Eltern waren nicht reich, sie besaβen nur einen kleinen Kolonialladen aus. Der
kleine Günter wuchs also in einfachen Verhältnissen auf. Trotzdem hat er in Danzig ein
Gymnasium absolviert. Er war, wie viele andere in jener Zeit, Mitglied des Jungvolkes und
später sogar der Hitlerjugend.

    „Grass hatte über Jahrzehnte behauptet, er habe sich mit 15 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet,
    um der familiären Enge zu entkommen. Durch die Veröffentlichung seiner Autobiographie
    „Beim Häuten der Zwiebel“ bekannte er jedoch, daß er zur 10. SS-Panzer-Division
    „Frundsberg“ der Waffen-SS einberufen worden war.“2

Mehr zu dieser Problematik im nächsten Kapitel. Vom 8. Mai 1945 bis zum 24. April war
Grass in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung wollte er zuerst das
Abitur nachholen, aber schlieβlich endete er als Koppeljunge und das für ein Jahr lang. In den
Jahren 1947 bis 1948 absolvierte Grass eine Lehre als Steinmetz und Steinbildhauer.

    „Die Unbedenklichkeit des Neunzehnjährigen machte es mir im Winter 1946/47, diesem Winter
    ohnegleichen, in dem die Frierenden hungerten und die Hungernden im Bett froren, möglich,
    alles auf eine einzige Wunschkarte zu setzen: Bildhauer wollte ich werden; doch die
    Kunstakademie Düsseldorf hatte wegen Kohlenmangels geschlossen. Also ließ ich mich vorerst
    in zwei Grabsteinbetrieben als Steinmetz und Steinbildhauer ausbilden. Mit Arbeiten in
    Sandstein, Marmor und Muschelkalk, die verschollen sind, und mit Porträtzeichnungen alter
    Männer, die ich im Caritas-Heim Düsscldorf-Rath, meinem Schlafplatz in einem
    Zehnbettzimmer, gezeichnet hatte, schaffte ich zum Wintersemester 1948/49 die Aufnahme in
    die Akademie.“3

2
  Königsloew, Albert von. Der Freiwillige: Günter Grass [online]. 31-8-2008 [zitiert 17-01-2010].
URL: http://www.blauenarzisse.de/v3/index.php/gesichtet/524-der-freiwillige-guenter-grass
3
  Øhrgaard, Per. Ein deutscher Schriftsteller wird besichtigt. München. Deutscher Taschenbuch Verlag 2007.
S.16.

                                                                                                             7
Dann studierte er bis 1952 Bildhauerei und Graphik bei Sepp Mages und Otto Pankok in der
Düsseldorfer Kunstakademie.
1953 siedelte Grass nach Berlin über, wo er ein Jahr später die Balletstudentin Anna Schwarz
heiratete. In diesem Jahr verstarb seine neunundfünfzigjährige Mutter.
Sein erster groβer Erfolg kam im Jahr 1955. Der Stuttgarter Rundfunk hatte einen
Lyrikwettbewerb ausgerufen und Grass endete als Dritter. Seit 1957 war er Mitglied der
Gruppe 47, die Hans Werner Richter gegründet hatte. Der Schriftsteller erinnerte sich:

    „Ich war damals 25 Jahre alt und war Bildhauer von Beruf. ... Die Vorgeschichte war, dass in
    Stuttgart vom Radio ein Wettbewerb ausgeschrieben worden war, ein Lyrik-Wettbewerb. Und
    ich bekam den 3. Preis. Jemand aus der Jury, der zur Gruppe 47 gehörte, muss mich empfohlen
    haben. Und so fuhr ich mit dem Bus dann nach Heckeshorn, das war am Wannsee, wo das
    Ganze stattfinden sollte und kam da am Nachmittag an. Die machten gerade Kaffeepause. Ich
    kannte keinen Menschen und setzte mich an einen freien Tisch. Dann kam eine Serviererin und
    sagte: „Sind Sie auch Dichter?“. Ich hab ganz selbstbewusst „Ja“ gesagt. Und dann brachte sie
    mir auch Streuselkuchen und Kaffee. Nach einer gewissen Zeit kam dann dieser Mann mit den
    buschigen Augenbrauen und herrschte mich an: „Wer sind Sie?“. Er achtete immer darauf, dass
    da keine Fremden reinkamen, die er nicht geladen hatte. Ich konnte ein Telegramm vorweisen,
    da sagte er: „Aha, so, Sie sind das. - Ja, ein Lyriker fehlt uns noch für den Nachmittag“. Dann
    hat er gesagt, „erst liest jetzt der und dann der.“ Die kannte ich nicht „... und dann liest die
    Bachmann.“ – die Bachmann. Die kannte ich vom Namen her und kannte auch ihre Gedichte.
    Und dann ging er weg und drehte sich aber noch mal um und sagte: „Aber laut und deutlich
    lesen!“. Eine Weisung. An die habe ich mich bis heute gehalten.“4

Schon 1958 trug er dort einige Passagen aus seinem zukünftigen Bestseller Die Blechtrommel
vor. Dafür bekam er einen Literaturpreis, der mit 3000 DM dotiert war. Das Manuskript für
den Roman war in Paris entstanden.              Im Frühjahr 1959 war endlich Die Blechtrommel
abgeschlossen. Schon im Herbst kam sie auf den Markt und sofort wurde klar, dass Grass
etwas Spezielles und Denkwürdiges geschrieben hatte. Und das war die Meinung nicht nur in
Deutschland, sondern weltweit. Mit dem Jahr 1960 ist sein Gedichtband Glasdreieck
verbunden und im selben Jahr erhielt er den Berliner Kritikpreis. „Übrigens: Der Lyriker
Grass wird nach wie vor unterschätzt.“5
Die nachfolgenden Jahre waren für Günter Grass äuβerst hektisch. 1961 erblickte das Licht
der Welt seine erfolgreiche Novelle Katz und Maus. Im Unterschied zu anderen deutschen
Autoren der Zeit war er politisch engagiert. 1961 hat er Willy Brandt getroffen und
gesprochen und seit dieser Zeit ist er eng mit der SPD (Sozialdemokratische Partei
Deutschlands) verbunden. Grass hat mit Brandt sogar Wahlkampftourneen absolviert. Trotz
4
  Ammert, Andreas. Günter Grass über Gruppe 47: "Ein verrückter Haufen"[online].23-09-2007. [zitiert 25-01-
2010]. URL:
http://www.3sat.de/dynamic/sitegen/bin/sitegen.php?tab=2&source=/ard/sendung/113422/index.html
5
  Reich-Ranicki, Marcel. Unser Grass. München. Deutsche Verlag-Anstalt 2003. S.144.

                                                                                                              8
seines politischen Einsatzes ist Grass freilich erst 1982 ein Mitglied der Partei geworden.
Aber er blieb es nicht für lange Zeit. Schon 1992 trat er aus Protest gegen deren Asylpolitik
wieder aus.
Sein nächster Roman Hundejahre folgte zwei Jahre nach Katz und Maus (1963). Damit war
die so genannte Danziger Trilogie abgeschlossen. Im selben Jahr wurde Grass in die Berliner
Akademie der Künste aufgenommen und von 1983-1986 war er Präsident dieser Institution.
1965 bekam er eine sehr hoch eingeschätzte Auszeichnung – den Georg Büchner Preis – für
sein Werk, Lyrik und Prosa. Mit Grass’ politischem Engagement hängen auch einige seiner
Werke zusammen, wie Die Plebejern proben den Aufstand (1966), Davor (1969) oder zum
Beispiel Örtlich Betäubt, das eigentlich ein Antikriegsroman ist. Allerdings betrifft er nicht
den Zweiten Weltkrieg, sondern den Vietnamkrieg. Dieser Roman wurde sehr positiv vor
allem in den Vereinigten Staaten aufgenommen. Das Jahr 1968 bedeutete einen Umbruch,
eine Wende im Leben von vielen Menschen und eben auch von Grass. Seine Vorliebe für das
Kommentieren politischer Situationen zeigte sich weiterhin. Grass war in Kontakt mit Pavel
Kohout (tschechischer und österreichischer Dichter, Dramatiker und Übersetzer), und aus
diesem Briefwechsel ist dann das Buch Briefe über die Grenze entstanden. Es ging meistens
um ein in der Zeit der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik ganz kontroverses
Thema, den Prager Frühling.6 In der folgenden Periode war er wieder mit der SPD verbunden.
Er reiste mit Willy Brandt kreuz und quer nicht nur durch Deutschland. Er war zum Beispiel
auch in Warschau, wo er Zeuge der Unterzeichnung des Deutsch-Polnischen Vertrages wurde.
Grass war eine sehr bewanderte Person, weilte in Frankreich, Spanien, in der UdSSR, in den
Vereinigten Staaten, in der Tschechoslowakei, in Rumänien, Ungarn, Jugoslawien. Aber auch
Japan, Indonesien, Thailand, Hongkong, Indien und Kenia hat er besucht.
Alle seine politischen Erfahrungen hat Grass in seiner Prosa Aus dem Tagebuch einer
Schnecke (1972) verarbeitet. Die „Schnecke“ ist eine politische Erzählung mit Erinnerungen
an den Wahlkampf 1969. 1973 erschien das Buch Mariazuehren, worin seine künstlerische
Arbeiten und Fotos von ihm zu sehen sind. Im selben Jahr (23. April 1973) tritt Grass aus der
katholischen Kirche aus. Damals fand eine sehr starke Diskussion statt und das wegen dem
§218, was die Diskussion über Schwangerschaftsbruch betraf. Grass verteidigte die
Notwendigkeit einer Kirchenreform, aber die Kirche war dagegen.

6
    Mehr zu diesem Thema in: Emmert, František, Rok 1968 v Československu, Vyšehrad 2007.

                                                                                            9
Die Haltung der Bischöfe im Streit um die Reform des Abtreibungsparagrafen 218 erinnerte ihn
    an die Dogmatiker der anderen Weltreligion, die der Kommunisten, die sich auch im Besitz der
                                                                                   7
    allein selig machenden Wahrheit glaube und ähnlich umgehe mit ihren Gläubigen.

Vier Jahre danach (1977) hat Grass seinen nächsten Roman Der Butt publiziert. Dieses Werk
wurde im Ausland, besser als in Deutschland aufgenommen. Es folgen die Romane Mit
Sophie in die Pilze gegangen (1975), Denkzettel (1978), Treffen in Telgte (1979), Aufsätze zur
Literatur (1980), Kopfgeburten oder sterben die Deutschen aus (1980). 1979 wurde sein
erster Roman und bisher größter Erfolg Die Blechtrommel von Volker Schlöndorff verfilmt.
Für die Hauptrolle war David Bennet vorgesehen. Sowohl Grass als auch Schlöndorff
wollten, dass die Hauptrolle kein Darsteller eines Liliputaners übernehmen soll, sondern ein
normaler Junge. Bennet hat deshalb also die ganze Oscarrolle ganz allein gespielt und das
inklusiv einiger erotischer Szenen, was wieder eine Debatte nicht nur in Deutschland
hervorgerufen hat. Die Blechtrommel erhielt 1980 sogar den Oscar als bester fremdsprachiger
Film.8 1986 erschien Grass’ nächster Roman Die Rättin, der dann 11 Jahre später von Martin
Buchhorn verfilmt wurde. Es soll ein Geschenk zu seinem 70. Geburtstag sein. Aber der
Schriftsteller distanzierte sich von diesem Film. Von August 1986 bis Januar 1987 unternahm
er eine Reise nach Indien. Er wohnte dort in einem Armenhaus in Kalkutta. Als er zurück
nach Deutschland kam, publizierte er sein Tagesbuch über die Indienreise mit dem Titel
Zunge zeigen. Er kritisierte darin die westliche Gesellschaft wegen der Mitschuld am Elend
der indischen Bevölkerung.
1990 war Wendejahr für die Deutschen. Beide „Deutschlands“ vereinigten sich und die
Menschen waren begeistert. Nicht so Günter Grass. Noch im selben Jahr hat er Ein
Schnäppchen namens DDR publiziert, wo er klar und deutlich erklärt, dass er gegen die
Vereinigung sei.

     „In Reden und Aufsätzen habe ich mich seit Mitte der sechziger Jahre gegen die
    Wiedervereinigung und für eine Konföderation ausgesprochen. Hier gebe ich abermals Antwort
    auf die Deutsche Frage. Nicht in zehn, in fünf Punkten will ich mich kurzfassen:“… „Drittens:
    Eine Konföderation der beiden deutschen Staaten steht dem europäischen Einigungsprozeß
    näher als ein übergewichtiger Einheitsstaat, zumal das geeinte Europa ein konföderiertes sein
    wird und deshalb die herkömmliche Nationalstaatlichkeit überwinden muß.“9

7
  Jürgs, Michael. Bürger Grass. München. Goldmann Verlag 2004. S. 288.
8
  Academy of Motion Picture Arts and Sciences, [online], 2009. [zitiert 23-1-2010].
URL: http://www.oscars.org/
9
  Grass, Günter, Ein Schnäppchen namens DDR, Letzte Reden vorm Glockengeläut. München. Deutscher
Taschenbuch Verlag 1990. S.10,11.

                                                                                                    10
Ein Jahr später kam Unkenrufe heraus – eine Prosa über die Versöhnung zwischen Ost und
West. 1995 publizierte er Ein weites Feld, einen Roman über einen erfolglosen Schriftsteller,
der ein Spitzel der Stasi ist, vor und auch nach der Wende. Nach Erscheinen des Buches hat
der Roman in der Öffentlichkeit eine sehr starke Diskussion hervorgerufen, was dazu führte,
dass schon nach acht Wochen die fünfte Auflage herauskam. Aber nicht nur positive
Reaktionen hat dieses Buch hervorgerufen. Dazu Reich-Ranicki:
     „Das Unglück Ihres Romans besteht wohl darin, daß Sie sich zwar unentwegt auf Fontane
     berufen, daß Sie ihn zitieren und imitieren und mitunter auch plündern, daß es Ihnen aber nicht
     gelingen will, das, worauf es hier ankommt und was gerade er wie kaum ein anderer deutscher
     Schriftsteller gekonnt hat, von ihm zu lernen - nämlich: Gedankliches ins Sinnliche zu
     übertragen, Geistiges also sichtbar und anschaulich zu machen.“10

1999 schrieb Grass sein Mein Jahrhundert, einen Punkt hinter dem vergangenen Jahrhundert.
Für jedes Jahr, ab 1900, steht eine kurze Geschichte zur Verfügung. 2002 veröffentlichte
Grass schlieβlich Im Krebsgang.
     „Grass wird mit diesem Buch die politische Diskussion in Deutschland bestimmen, als habe vor
     ihm keiner über den gnadenlosen Luftkrieg der Alliierten und die Vertreibung der Deutschen
     nach dem Krieg und die Millionen Opfer als Folge der Verbrechen Hitlers geschrieben. Kein
     Lenz, kein Schmidt, kein Surminski, keine Ossowski, kein Kempowski, kein Mulisch, kein
     Vonnegut, kein Bobrowski, kein Sebald. Dass ausgerechnet er, der linke Patriot, der Auschwitz
     immer mitdachte, davon erzählt, macht den Unterschied aus.“11

Ein Jahr später kamen Letzte Tänze heraus, und es wäre nicht Grass gewesen, wenn auch
dieses Werk zu Diskussionen Anlass bot. Es ist Kollektion von erotischen Gedichten und von
Zeichnungen des Schriftstellers. Sechs Jahre später folgten Beim Häuten der Zwiebel und
2008 Die Box.
Genau 40 Jahre nach Erscheinen seines größten Romans Die Blechtrommel wurde ihm der
Nobelpreis für Literatur verliehen.
Günter Grass ist vielleicht der gröβte lebende deutschsprachige Autor der Gegenwart. Auch
seine Kritiker bekennen dies.
     „Hm. Liebe ich Grass? Kritiker dürfen und müssen oft übertreiben, um überhaupt verstanden zu
     werden. Doch muβ alles seine Grenzen haben: Ob ich Grass liebe, dessen bin ich mir gar nicht
     so sicher. Aber ich schätze und bewundere ihn. Ein Schuft, wer das für Ironie hält.“12

10
   Reich-Ranicki, Marcel. Unser Grass. München. Deutsche Verlag-Anstalt 2003. S. 161-162.
11
   Jürgs, Michael. Bürger Grass. München. Wilhelm Goldmann Verlag 2004. S. 428.
12
   Reich-Ranicki, Marcel. Unser Grass. München. Deutsche Verlag-Anstalt 2003. S.179.

                                                                                                       11
2.1 Grass in der Waffen-SS

                                           „Mit siebzehn will man die Jungfrau befreien und retten.
                                                       In diesem Fall hieß die Jungfrau Deutschland.
                                         Das Problem war nur, daß die Jungfrau der Drache war.“
                                                                                   – Durs Grünbein, 2006

Am 11. August 2006 kam die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit einer groβen Schlagzeile
heraus.

             2.1.1 Günter Grass: Ich war Mitglied der Waffen-SS 13

Dieses Bekenntnis hat eine groβe Erregung nicht nur bei deutschen Literaturwissenschaftlern,
sondern auch in der Öffentlichkeit hervorgerufen. Grass vertrat seit Jahren die Position eines
deutschen Moralrichters und bedeutete das Gewissen der Nation. Im Moment sind schon vier
Jahre seit dieser „Katastrophe“ 14 vergangen und es tauchen immer wieder neue Hinweise auf.
Manchmal sprechen sie sogar für Günter Grass. Marcel Reich-Ranicki, sein ewiger Kritiker,
wollte sich freilich nicht zu diesem Thema ausdrücken, was eigentlich eine gute Nachricht für
den Autor ist. Aber die groβe Mehrheit steht gegen Grass. Schon im Jahre 2006 (also im Jahre
seines Bekenntnisses) hat sich herausgestellt, dass Grass Moral nur den anderen predigte, sich
selber aber nicht nach seinen Ratschlägen richtete.

     „…Das belegen zwei Briefe aus den Jahren 1969 und 1970 an den damaligen
     Wirtschaftsminister Karl Schiller (1911-1994). Darin forderte der Schrifsteller seinen Freund
     Schiller auf, sich zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit zu bekennen.“…“Die
     Dokumente belegten, dass Grass den Minister, der SA-Mitglied gewesen sei, wiederholt
     aufgefordert habe, diese Verstrickung öffentlich einzugestehen.“ … „Grass betonte in den
     Briefen an Schiller dem Zeitungsbericht zufolge, ihm sei „diese Materie nicht unvertraut“. „Es
     wäre für Sie eine Erleichterung und gleichfalls für die Öffentlichkeit so etwas wie die Wohltat
     eines reinigenden Gewitters“, hieß es in einem Brief an Karl Schiller weiter.“15

Grass hatte mit seinen Worten, sozusagen einen Monsterprozess gestartet. Lange Zeit war
dieses Thema in der deutschsprachigen Presse Thema Nummer 1. Im Internet kann man
13
   Frankfurter Allgemeine Zeitung [online] 11-08-2006. [zitiert 25-01-2010].
URL: http://www.faz.net/s/Rub501F42F1AA064C4CB17DF1C38AC00196
/Doc~E4E61DA913E954EAEA41518E564AD5375~ATpl~Ecommon~Scontent.html
14
   Diese deutsche Katastrophe ist einfach kaum zu begreifen.
Corsten, Volker. Welt online. Uwe Timm: "Es hätte Anlässe gegeben" [online]. 2006 .[zitiert 26.01.2010]
URL: http://www.welt.de/print-wams/article86890/Uwe_Timm_Es_haette_Anlaesse_gegeben.html
15
   Focus online. Günter Grass Meister der Verdrängung [online].29-09-2006. [zitiert 26-01-2010].
URL: http://www.focus.de/kultur/buecher/guenter-grass_aid_116499.html

                                                                                                          12
tausende Artikel über seine Zugehörigkeit zur Waffen SS lesen. Und das nicht nur in
deutscher Sprache. Wenn man in Google „Grass SS“ schreibt, findet diese Suchmaschine
mehr als 8 800 000 Treffer! (27.1.2010) Viele davon sind deutsch und englisch geschrieben.
Aber es bereitet keinerlei Schwierigkeiten, solche zu finden, die in der französischen,
tschechischen, slowakischen, russischen und sogar japanischen Sprache geschrieben sind.
Wie viele andere Skandale begann auch dieser mit einem Interview, und zwar in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Unterschied zu anderen Gesprächen, bei denen der
Gefragte etwas unbewusst verrät, war alles, was er damals gesagt hat, geplant. Grass wollte
einfach, dass das Leserpublikum über diese seine Mitteilung diskutiert. Dazu ein Ausschnitt
aus dem Interview, das soviel Aufsehen erregt hat, aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

     „Sie haben wiederholt berichtet, daß erst Baldur von Schirachs Schuldbekenntnis in
     Nürnberg Sie davon überzeugen konnte, daß die Deutschen den Völkermord begangen
     haben. Aber jetzt sprechen Sie zum ersten Mal und völlig überraschend darüber, daß Sie
     Mitglied der Waffen-SS waren. Warum erst jetzt?

     Das hat mich bedrückt. Mein Schweigen über all die Jahre zählt zu den Gründen, warum ich
     dieses Buch geschrieben habe. Das mußte raus, endlich. ...“ …

     „Haben Sie damals mit Ihren Kameraden darüber gesprochen, was es bedeutet, in der
     Waffen-SS zu sein? War das ein Thema unter den jungen Männern, die sich da
     zusammengewürfelt fanden?

     In der Einheit war es so, wie ich es im Buch beschrieben habe: Schliff. Es gab nichts anderes.
     Da hieß es nur: Wie komme ich drum herum? Ich habe mir selbst die Gelbsucht beigebracht,
     das reichte aber nur für ein paar Wochen. Danach begann wieder die Hundsschleiferei und eine
     unzureichende Ausbildung mit veraltetem Gerät. - Jedenfalls mußte es geschrieben werden.

     Sie hätten es nicht schreiben müssen. Niemand konnte Sie dazu zwingen.

     Es war mein eigener Zwang, der mich dazu gebracht hat.“16

An diesem Tag fing für Günter Grass das niemals mehr stillstehende Karussell von Interviews
und Beichten an. Die Frage der letzten Jahre in seinem Zusammenhang ist: Warum erst jetzt?
Es kann ein Zufall sein, die Antwort kann aber auch in den allerersten Sätzen seines Buchs Im
Krebsgang liegen:

16
  Frankfurter Allgemeine Zeitung. Günter Grass im Interview „Warum ich nach sechzig Jahren mein Schweigen
breche“ [online]. 11-08-2006. [zitiert 27-01-2010].
URL:
http://www.faz.net/s/Rub1DA1FB848C1E44858CB87A0FE6AD1B68/Doc~ED1E99E51572441E696FB0443C
A308A56~ATpl~Ecommon~Scontent.html

                                                                                                      13
„ »Warum erst jetzt?« sagte jemand, der nicht ich bin. Weil Mutter mir immer wieder ... Weil
      ich wie damals, als der Schrei überm Wasser lag, schreien wollte, aber nicht konnte ... Weil die
      Wahrheit kaum mehr als drei Zeilen ... Weil jetzt erst ...“17

Nicht nur die Historiker und die deutsche Intelligenz, aber auch die breite Öffentlichkeit
wollten wissen, warum Grass mindestens zwei groβe Gelegenheiten nicht genutzt hat, um
über seine Vergangenheit zu reden. Die erste war im Jahr 1967, als er Israel besuchte und wo
er eine lange Rede gehalten hat, respektive die im Jahr 1985, als der amerikanische Präsident
Ronald Reagan den Militärfriedhof Bitburg besuchte, wo junge SS Soldaten begraben liegen,
wie eben Grass damals einer war.
Merkwürdig könnte auch für jemanden sein, dass Grass sein Bekenntnis am Vorabend des
Erscheinens seines Buchs Beim Häuten der Zwiebel machte. Manche nennen es nur eine
wässrige Propaganda, ein gründlich geplantes Marketing. Aber dieses würde nur im Falle
sinkender Beliebtheit des Autors stimmen. Und das kann bei Grass kaum in Frage kommen.
Sein vorheriger Roman (vor Beim Häuten der Zwiebel, worin seine Stellungsnahme enthalten
ist) Im Krebsgang brauchte keine derartige Unterstützung und trotzdem wurde er für mehrere
Wochen die Nummer 1 in der Hitparade der deutschen Bücher. Und das gilt fast bei jedem
Buch von Grass.

17
     Grass, Günter. Im Krebsgang. Deutscher Taschenbuch Verlag 2009. S.7

                                                                                                         14
„Es hat keinen Sinn,
                                                                                    gegen den Moralapostel
                                                                           die Moral ins Feld zu führen“18
                                                                                     - Arno Widmann, 2006

2.2 SS und Moral

Bis zum Erscheinen des Interviews mit Grass war man der Auffassung, dass er als Flakhelfer
und dann als gewöhnlicher Wehrmachtsoldat im Zweiten Weltkrieg kämpfte. Was inzwischen
ebenfalls klar ist: Grass meldete sich schon mit fünfzehn Jahren freiwillig zur U-Boot-Truppe,
aber dort haben sie keine neuen Bewerber mehr genommen. Das meinte bislang die ganze
Welt. Aber die Wahrheit war irgendwo anders.

     „Er hat erzählt, dass er zur Waffen-SS rekrutiert wurde. Er hatte sich damals zuvor freiwillig zur
     U-Boot-Truppe gemeldet, dort haben sie ihn nicht genommen. Aber weil es schon seine
     freiwillige Meldung gab, haben sie diese Meldung genommen, um ihn zur Waffen-SS zu
     rekrutieren - das war damals offensichtlich Usus. Das hat er erzählt.“19

Grass wurde mit 17 einberufen und kam vom Arbeitsdienst zur 10. Panzerdivision
"Frundsberg", die zur Waffen-SS gehörte. Er teilte mit, er habe nicht einmal geschossen. Das
ist auch, Kritiker zufolge, eine ganz mutige Erklärung. Teodor Marjanovič zum Beispiel
schieb im MF Dnes20, dass Frundsberg21 eine elitäre militärische Formation war. Die
Geschichte dieser Panzerdivision ist mit harten Kämpfen sowohl an der West- als auch an der
Ostfront verbunden. Kurz vor Kriegsende wurde Grass dann verletzt und am 8.Mai fiel er in
Feindeshand – in amerikanische Gefangenschaft.
Grass hat viel über „seine Generation“ im Zusammenhang mit dem Zweitem Weltkrieg
gesprochen. Reinhard Mohr schrieb dazu im Spiegel online.
     „Die Generation Grass ist eine vergiftete Generation, eine Generation, die in der Schizophrenie
     lebt. Einerseits hat sie politisch und intellektuell mit der Nazi-Herrschaft radikal abgerechnet,
     andererseits ist sie nicht imstande, die eigenen und selbst eingestandenen, oft diffusen und

18
   Widmann, Arno. Unser Wegweiser [online]. 15-08-2006. [zitiert 29-01-2010].
URL: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2006/0815/seite3/0001/index.html
19
   Spiegel Online. Es ist ein Armutszeugnis, wie Grass behandelt wird [online]. 15-08-2006. [zitiert 17-03-2010].
URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,431855,00.html
20
   Marjanovič, Teodor. Grassova divize prošla řadou bitev [online].15-8-2006. [zitiert 29-01-2010].
URL: http://zpravy.idnes.cz/grassova-divize-prosla-radou-bitev-duu-
/zahranicni.asp?c=A060814_215115_zahranicni_ad
21
   Für Tschechen kann interessant sein, dass noch vor Grass’ Einberufung der Kommandeur, Generalleutnant der
Waffen-SS Karl von Fischer-Treuenfeld, Befehle dieser Panzerdivision erteilt hat. Unter der Leitung dieses
Mannes standen die Truppen, die im Juni 1942 die tschechoslowakischen Fallschirmspringer Gabčík und Kubiš,
die vorher das Attentat auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich in Prag verübt hatten.

                                                                                                              15
zwiespältigen Scham- und Schuldgefühle ähnlich klar und unmissverständlich zu artikulieren.
     Lieber fühlt man sich als Opfer einer ungerechten Öffentlichkeit.“22

Wie hier zu sehen ist, waren die Medien Grass gegenüber unbarmherzig. Und keiner sollte
sich darüber wundern. Fast immer gab seine Vergangenheit den Ausschlag. Er war doch das
Gewissen des deutschen Volkes, der Wächter der deutschen Moral. Aber im 2006 zerbrach
dieses Bild. Der Spiegel schrieb am 21.8.2006: „Der Blechtrommler. Spätes Bekenntnis eines
Moral-Apostels“23, und dazu hatte er eine Titelseite gedruckt, die heutzutage schon als
Klassiker gilt.24 Dazu Michael Braun:

     „Wiederum spielt das Titelbild mit dem markanten physiognomischen Profil des Autors, der,
     mit Walrossschnauzbart und Lesebrille, Anarchie und Intellektualität zu vereinen scheint; statt
     des Namens wird die personifizierte Marke genannt, die ihn berühmt gemach hat, und dieser
     Ruhm des fast achtzigjährigen Nobelpreisträgers wird nun auf seine höchst anrüchige
     Vergangenheit als siebzehnjähriger SS-Soldat übertragen. Im Matrosenanzug trommelt „Der
     Blechtrommler“ auf einen Helm mit den SS-Runen.“25

3. Fakten
Das Buch Im Krebsgang ist auf den historischen Begebenheiten aus dem Zweiten Weltkrieg
aufgebaut. Günter Grass hat Fiktion sehr geschickt mit realen historischen Ereignissen
vermischt. Um zu wissen, was dabei die Wahrheit und was nur Imagination des Schriftstellers
war, hat man sich mit den faktographischen Angaben näher zu befassen.

3.1 Wilhelm Gustloff

Der Träger des Namens Wilhelm Gustloff wurde am 30.Januar 1895 in Schwerin geboren.
Als er seine Lehre als Bankkaufmann beendet hatte, schickte ihn seine Bank in die Schweiz,
damit er dort seine Krankheit heilen konnte. Gustloff hatte einen angegriffenen Kehlkopf.
Nach der Kur arbeitete er in einem Observatorium. Dann trat er in die Partei. Gustloff ist
schnell in der Hierarchie aufgestiegen und wurde zum Landesgruppenleiter ernannt.
Am 4. Februar 1936 hat ihn freilich der jüdische Student David Frankfurter erschossen.

22
   Mohr, Reinhard. Übelnehmen im Ohrensessel [online].18-08-2006. [zitiert 29-01-2010].
URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,432325,00.html
23
   Spiegel Online. Der Blechtrommler [online].21-08-2006. [zitiert 01-02-2010].
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-48495885.html
24
   Anlage Nr.1
25
   Braun, Michael (Hrsg.). Die Medien, die Erinnerung, das Tabu: „Im Krebsgang“ und „Beim Häuten der
Zwiebel“ von Günter Grass. In: Tabu und Tabubruch in Literatur und Film. Würzburg
(Königshausen&Neumann) 2007, S. 118-119.

                                                                                                       16
Von der nationalsozialistischen Propaganda wurde Gustloff sofort zum Blutzeugen der
Bewegung erklärt. Sein Begräbnis war eine groβe Begebenheit. Anwesend waren alle
wichtigen und herausragenden Vertreter des Naziregimes – an der Spitze mit Adolf Hitler,
Joseph Goebbels, Hermann Göring, Heinrich Himmler, Martin Bormann und Joachim von
Ribbentrop. Der Sarg mit Gustloffs Leiche fuhr in einem speziellen Zug von Davos heim ins
Reich. Adolf Hitler hat sogar eine Rede gehalten, die aber wegen der sich nähernden
Olympischen Winterspiele nicht sehr aggressiv sein konnte. Zu seiner Zeit war gerade ein
KdF-Schiff im Bau, das „Adolf Hitler“ genannt werden sollte. Dieser sagte aber auf der
Beerdigung der Hedwig Gustloff, dass die Welt niemals ihren Mann vergessen wird, also
beschloss er das Schiff „Wilhelm Gustloff“ zu nennen. Interessant ist auch die Tatsache, dass
Hedwig Gustloff bis zum 8. November 1923 Hitlers Sekretärin war.

3.2 David Frankfurter
David Frankfurter wurde am 9. Juli 1909 in Daruvar (damals Österreich-Ungarn, heute
Kroatien) geboren. Sein Vater war Oberrabbi, also der religiöse Weg war ihm noch vor der
Geburt vorgezeichnet. David war ein körperlich schwaches Kind. Er litt an Knochentumor
und musste deshalb öfter operiert werden. Zum Studium der Medizin ging er nach Wien wo er
die erste Judenangriffe und Pogrome erlebte. Deswegen floh er 1933 in die Schweiz, lieβ sich
in Bern nieder und wollte wieder an seine Studien anknüpfen, aber Frankfurter war kein guter
Student. Er brach das Studium ab.

3.2.1 Das Attentat

Am 4. Februar 1936 hat David Frankfurter in Davos die Türklingel mit der Aufschrift
Wilhelm Gustloff gedrückt. Die Tür öffnete Hedwig Gustloff. Frankfurter bat sie um ein
Gespräch mit dem Landesgruppenleiter. Gustloff hatte gerade telefoniert, also führte sie
Frankfurter in das Arbeitszimmer und sagte zu ihm, er solle Platz nehmen. Sobald Gustloff
ins Zimmer kam, begann Frankfurter zu schießen. Er hat insgesamt vier Schüsse aus dem
Revolver abgegeben. Alle vier Kugeln haben ihren Ziel gefunden, im Brustkorb, Kopf und
Hals. Der Attentäter verlieβ dann normal das Gebäude und niemand hat ihm aufgehalten.
Wenige Stunden später stellte er sich freiwillig der Polizei.
Frankfurter wurde am 14. Dezember 1936 zu achtzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Dieser
Prozess hat in Chur stattgefunden. Er saβ im Arrest aber „nur“ neun Jahre ab. Nach

                                                                                          17
Kriegsende wurde er am 1. Juni 1945 freigelassen und aus der Schweiz ausgewiesen. Er
verstarb in Israel.
Dieses Attentat war der erste bedeutende, gegen die Nazis gerichtete Angriff auβerhalb von
Deutschland.

3.3 Alexander Marinesko

Alexander wurde am 2. Januar 1913 in Odessa geboren. Seine Mutter stammte aus der
Ukraine und sein Vater war ein rumänischer Seemann. Der kleine Marinesko wuchs in einem
harten Milieu auf. Seine Familie war arm und wohnte in einem Hafenviertel, wo das Leben
vom Recht der Stärkeren bestimmt war. Dort konnte aus ihm nichts anderes als ein Dieb und
Radaumacher werden. Seine Karriere begann aber bei der Handelsflotte. Von dort war es nur
ein kleiner Schritt zur die Schwarzmeerflotte der Marine. Marinesko war zielbewusst und
wollte nicht ein Leben lang Maat bleiben, deshalb besuchte er einen Navigationslehrgang.
Dann wurde er zur U-Boot-Ausbildung abkommandiert. Im Laufe der Zeit arbeitete er sich
auf den Posten des Kapitäns dritter Klasse hinauf und bekam das moderne U-Boot S-13.
Marinesko hatte freilich groβe Probleme mit dem Alkohol. Zu Lande war er fast immer
betrunken, aber hinter dem Steuerrad war der Alkohol tabu für ihn.
Im Dezember 1944 sollte Marinesko eine U-Boot Fahrt unternehmen, aber er blieb
unentschuldigt dem Dienste fern. Wenn er also rechtzeitig zu diesem Unternehmen angetreten
wäre, hätte künftige Unglück gar nicht passieren müssen. Aber Marinesko meldete sich erst
am 3. Januar 1945 zurück und sagte zur Entschuldigung, er wisse nicht mehr, wo er die
Woche zuvor gewesen sei. Marinesko wurde mit dem Kriegsgericht gedroht. Als Ausweg
wurde ihm geboten: Er sollte einen glänzenden Erfolg vorweisen.
Und die unbewaffnete Wilhelm Gustloff gab ihm die Chance.
Nach dem Krieg wurde Marinesko aus der Marine entlassen. Er starb als armer Mann im Jahr
1963 in Leningrad. Im Jahr 1990 wurde Marinesko für seine Heldentat (sein Verbrechen) eine
Statue als Denkmal in St. Petersburg errichtet und ihn selber erklärte man zum Helden der
Sowjetunion.

                                                                                       18
3.4 Wilhelm Gustloff (Schiff)
                                                         26
Im Januar 1936 hat die Deutsche Arbeitsfront                  ein neues Schiff für die immer populäreren
Reisen nach Norwegen und ins Mittelmeer gebraucht. Für diese Reisen war die
untergeordnete Organisation Kraft durch Freude27 verantwortlich. Die Anforderungen beim
Schiffsbau waren für diese Zeit ungewöhnt: breite Decks, groβe helle Säle und vor allem
gleiche Kabinen für alle. Sowohl Personal als auch Gäste haben in gleichen Zimmern gelebt,
entweder für zwei oder für drei. Das war damals nicht üblich. Das Schiff sollte den Eindruck
erwecken, dass an Bord alle eben gleich sind.
Einzige Ausnahmen waren das Zimmer für Robert Ley (Leiter der Deutschen Arbeitsfront)
und Adolf Hitler (der es aber niemals benutzte). Alle Kabinen verfügten über flieβendes
warmes und kaltes Wasser, was damals ein hoher Komfort war.
Die Gustloff war ein bemerkenswertes Schiff. In der Zeit des Baus war es das gröβte und mit
seinen 25 Millionen Reichsmark für die Baukosten auch das teuerste Schiff der Welt. Mit
einer Länge von 208,5 Meter, einer Breite von über 25 Meter und einer Höhe von mehr als 17
Meter war sie ein Meisterwerk des deutschen Schiffbaus. Die Gustloff bot 1463 Passagieren
Platz, die von 417 Besatzungsmitgliedern betreut wurden. Sie verfügte über zehn Decks sowie
verschiedene Säle für Freizeitaktivitäten, ein Schwimmbad, eine Fleischerei, eine Bäckerei
und eine Wäscherei.
Am 15. März 1938 war endlich der Stapellauf des Schiffes. Es folgte keine offizielle Reise,
lediglich eine zweitägige Test-Fahrt. Nur auserwählte Passagiere durften am 24. März 1938
an der so genannten Jungfernfahrt teilnehmen. Ironisch war, dass bei der Indienststellung des
gröβten deutschen Schiffes die Mehrheit der Passagiere nicht deutsch war. Mehr als zwei
26
   Die DAF sollte als neue einheitliche Organisation "durch Bildung einer wirklichen Volks- und
Leistungsgemeinschaft, die dem Klassenkampfgedanken abgeschworen hat" die Interessen "aller schaffenden
Deutschen" wahrnehmen. Diese Zwangsgemeinschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern war mit 25
Millionen Mitgliedern im Jahr 1942 die größte Massenorganisation im Deutschen Reich. Ihr Reichsleiter Robert
Ley versuchte mit einer Bürokratie von 44.000 hauptamtlichen und 1,3 Millionen ehrenamtlichen Mitarbeitern in
nahezu alle Bereiche der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen.
Deutsches historisches Museum. Deutsche Arbeitsfront (DAF). [online]. [zitiert 04-02-2010].
URL: http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/organisationen/daf/index.html
27
   Die am 27. November 1933 gegründete NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" (KdF) war die populärste
Organisation im NS-Regime. Das Volkswagen-Projekt sowie Nah- und Fernreisen gehörten zu den wichtigsten
Aktivitäten der Freizeitorganisation KdF, einer Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Mit dem
umfassenden Wirken dieser Organisation sollte vorrangig die Arbeiterschaft in die "Volksgemeinschaft"
integriert werden. Zugleich sollten so die im Zuge der Aufrüstung notwendigen Produktionssteigerungen ohne
nennenswerte Lohnerhöhungen durchgesetzt werden. KdF-Veranstaltungen sollten der Entspannung und der
Regeneration zur Erhöhung der Arbeitsleistung dienen, wozu auch die Verbesserung und Verschönerung der
Arbeitsplätze mit Kantinen, Sportstätten oder Grünanlagen gehörte. Die Organisation KdF, die den Zugang zu
bisher bürgerlichen Privilegien anbot, diente letztlich der Vorstellung einer klassenlosen Gesellschaft im Sinne
der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.
Deutsches historisches Museum. Kraft durch Freude [online]. [zitiert 04-02-2010].
URL: http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/kdf/

                                                                                                             19
Drittel stellten die Österreicher. In Österreich sollte nämlich schon bald die Volksabstimmung
durchgeführt werden, bei der sich die Österreicher entscheiden sollten, ob sie zum Deutschen
Reich gehören wollten oder nicht. Letztlich war es bereits gleichgültig, weil Hitler über
Österreichs Anschluss schon am 12. März 1938 entschieden hatte. Aber als Propaganda-
Aktion war die Fahrt perfekt geplant. Zu Propagandazwecken befanden sich auf der Gustloff
noch 165 Journalisten aus aller Welt, die nach der Fahrt schreiben sollten, wie perfekt die
Reise war. Und sie mussten nicht lügen. Alles war bis ins Detail durchgearbeitet und die
Journalistenbereichte waren mit nichts anderem als mit lauter Superlativen gefüllt.
Diese Jungfernfahrt war also keine typische KdF-Reise. Einer solche wurde erst die zweite.
Das Schiff war voll von Arbeitern aus dem Dritten Reich und fuhr bis in die Nähe von Dover.
Damals herrschte schlechtes Wetter, viel schlimmer noch als bei der ersten Reise. Die
Gustloff erhielt am 3.April 1938 einen SOS-Ruf des britischen Frachters Pegaway. Dieses
Schiff ging 40 Kilometer von Terschelling (Niederlande) entfernt gerade unter. Am nächsten
Tag rettete die Gustloff 19 britische Seemänner, was die deutsche Propaganda entsprechend
darstellte.
7. April 1938 war für das Schiff das nächste wichtige Datum. Kapitän Lübbe erhielt den
Auftrag, zu den englischen Ufern zu reisen, um dort ein schwimmendes Wahllokal zu bilden.
Es ging um Österreichs Anschluss. Das Dritte Reich wollte eine Gelegenheit, sich dafür oder
dagegen auszudrücken auch den Auslandsdeutschen verschaffen. Das war wieder eine
Möglichkeit für die deutsche Propaganda. Gustloff ankerte 5 Kilometer vor der britischen
Küste. Den ganzen Tag über fuhren kleine Schiffe und Boote zur Gustloff und haben fast
2000 Leute an Bord herbeigebracht. Nur vier Stimmen waren gegen den Anschluss. Das alles
hat die englische Presse beobachtet, fotografiert und sie hat darüber auch berichtet.
Mit der Rückkehr aus England hat für die Gustloff dann die Saison erst richtig begonnen.
Heute würde man sagen, dass sie ein „low cost“ Schiff war. Die Preise waren im Vergleich zu
anderen Staaten dreimal oder viermal niedriger, weil das Reich diese Reise dotierte. Im
Sommer fuhr die Gustloff nach Norwegen, um vor allem die Fjorde zu besichtigen, und im
Winter konnten die Passagiere, die Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront, die
Sehenswürdigkeiten von Portugal oder Italien zu bewundern.

3.4.1 Legion Condor an Bord

Bisher hatte die Gustloff nur friedlichen Zwecken gedient. Im Mai 1939 erhielt jedoch
Kapitän Heinrich Bertram (schon der dritte Kapitän in der kurzen Geschichte des Schiffs)

                                                                                           20
spezielle Befehle. Er sollte zum spanischen Hafen Vigo aufbrechen und dort die deutsche
Legion Condor an Bord nehmen.28
Das war zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal, dass die Gustloff ausschlieβlich als
Militärtransporter diente. Als sie wieder nach Hamburg kam, warteten dort Tausenden von
Menschen       und    die    Soldaten     wurden      als    Helden     und     Befreier    gefeiert.    Auch
Generalfeldmarschall Hermann Göring und Robert Ley waren anwesend.
Vor dem Beginn des Krieges sollte Gustloff noch eine wichtige Reise absolvieren. Im Juni
1939 gingen deutsche Athleten an Bord und fuhren nach Stockholm, um dort am Lingiad
teilzunehmen. Lingiad war eine Athletenschau zu Ehren von Petr Henrik Ling, des
Begründers des schwedischen Sports. Obwohl dort Gustloff mehrere Wochen lag, ankerte sie
wieder einige hundert Meter vom Hafen entfernt. Weil Schweden kein offizieller Verbündeter
der „Achse“29 war.
Nur noch vier vollständige Reisen hat Gustloff nach ihrer Rückkehr nach Hamburg absolviert.
Bei der fünften Reise (19. August 1939) verlieβ sie zwar Hamburg, aber bis zu den
norwegischen Fjorden kam das Schiff schon nicht mehr. Kapitän Bertram erhielt eine
verschlüsselte Nachricht und nach der Entschlüsselung und Öffnung des betreffenden
Umschlages gab er einen Befehl, augenblicklich zurück nach Hamburg zurückzukehren, ohne
zu die Gäste wecken und zu informieren.
Die Gustloff kam zurück am 25. August 1939.
Eine Woche später griff Deutschland Polen an.

28
   Anfang August 1936 trafen erste Einheiten der offiziell aus "deutschen Freiwilligen" gebildeten Legion Condor
in Spanien ein. Sie sollten den putschenden General Francisco Franco im Kampf gegen die Spanische Republik
militärisch unterstützen. Der Umfang der militärischen Hilfe wurde in den nächsten Monaten rasch ausgeweitet,
Anfang November 1936 verfügte die Legion Condor unter dem Befehl von Generalmajor Hugo Sperrle (1885-
1953) über 100 Flugzeuge und 5.000 Mann. Neben den "Freiwilligen" aus Deutschland kämpften italienische
Verbände. Durch Rotation der Kontingente kamen insgesamt rund 20.000 deutsche Wehrmachtssoldaten auf
dem spanischen Kriegsschauplatz zum Kampfeinsatz. Ihr Eingreifen begründeten Adolf Hitler und Benito
Mussolini mit ihrer Entschlossenheit zum "Kampf gegen den Bolschewismus". Zudem bot der Spanische
Bürgerkrieg eine willkommene Gelegenheit zum Test neuer Waffensysteme, besonders der Luftwaffe.
International heftig verurteilt wurde der Bombenangriff auf die Stadt Guernica am 26. April 1937. Pablo
Picassos Gemälde "Guernica" rückte die Leiden der Zivilbevölkerung in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit.
In Deutschland hingegen begründeten die NS-Propaganda und Zeitschriften wie das Luftwaffen-Magazin "Der
Adler" gezielt den "Mythos Legion Condor.
Deutsches historisches Museum. Die Legion Kondor [online]. [zitiert 08-02-2010].
URL: http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/aussenpolitik/condor/index.html
29
   Als Achsenmächte (engl. Axis Powers) bezeichnet man im Zusammenhang des Zweiten Weltkriegs das
Deutsche Reich und seine wechselnden Bündnispartner, insbesondere Italien und Japan, und damit die
Kriegsgegner der Alliierten. Daneben gab es die „Achse Berlin-Tokio“, so dass auch von einer „Achse Berlin-
Rom-Tokio“ gesprochen wurde. Auf ihrem Höhepunkt der Macht beherrschten die Achsenmächte große Teile
Europas, Asiens und des pazifischen Ozeans.
Holocaust und zweiter Weltkrieg (1939-1945).Achsenmächte [online]. [zitiert 08-02-2010].
URL http://www.zweiter-wk.de/tags/achsenmaechte.html

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3.4.2 Kriegszeit

Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 und die Zeit der Seereisen war beendet.
Gustloff galt damals offiziell als Hilfsschiff der Kriegsmarine. Fast das ganze Personal wurde
entlassen. Im Dienst blieben Kapitän Bertram und einige ältere Mitglieder der Besatzung.
Ende September 1939 wurde das Schiff offiziell als Lazarettschiff bezeichnet und mit anderen
Schiffen der Kraft-durch-Freude-Flotte musste sie der Kriegsmarine dienen. Interessant ist,
dass die ersten Verwundeten nicht Deutsche, sondern Polen waren. Der erster „Auftrag“ für
das umgebaute Schiff war also die Betreuung von 650 verletzten polnischen Soldaten und von
nur zehn Deutschen des Minensuchers M 85.30
Wie schon betont wurde, konnte die Gustloff vor dem Beginn des Krieges nicht im
norwegischen Hafen ankern. Jetzt, als Norwegen zur Kriegszone erklärt worden war, lag sie
in Oslo mehr als drei Wochen.
Der 20. November 1940 war wieder ein Meilenstein in der kurzen Geschichte dieses Schiffes.
Sie war nochmals umgebaut worden, jetzt zu einer schwimmenden Kaserne für die zweite U-
Boot-Lehrdivision. Damit ist auch die zweite Übermalung verbunden. Beim ersten Mal wurde
sie mit roten Kreuzen „dekoriert“, jetzt verschwanden diese Kreuze, das ganze Schiff wurde
marinegrau gestrichen. Erstmals seit Beginn des Krieges war das Schiff offiziell nicht mehr
geschützt und konnte versenkt werden. In ersten Jahren des Krieges war das Training der U-
Boot-Besatzung aufwendig, aber effektiv. Admiral Dönitzs „Rudeltaktik“31 machte die
Deutschen überlegen und die Alliierten wussten sich lange nicht dagegen zu wehren. Aber mit
zunehmender Dauer des Krieges wurde die Belegschaft immer jünger und verbrachte dort
immer weniger Zeit.
Die Gustloff ankerte bereits vier Jahre in Gotenhafen und auβer eines Luftangriffes geschah
nichts Bedeutendes, nur dass sicht die Front zu nähern begann. Die Deutschen begannen den
Zweiten Weltkrieg zu verlieren und die Russen kamen immer näher an Danzig heran. Die
Welle der Flüchtlinge, die vor der Roten Arme flohen, wurde jeden Tag gröβer. Und alle
wollten den Hafen von Danzig erreichen in der Hoffnung, auf einem Schiff entkommen zu
können. Die Masse der Flüchtlinge wurde im Laufe der Zeit so groβ, dass sie mehrere Nächte
auf der Mole übernachten mussten, um einen Schiffsplatz zu bekommen. Und nun hatte im
Oktober die Rote Arme unter Führung von General Galitsky die ostdeutsche Grenze bereits

30
   Rohwer, Jürgen. Chronik des Seekrieges 1939-1945 [online]. [zitiert 10-02-2010].
 URL: http://www.wlb-stuttgart.de/seekrieg/39-08.htm
31
   Webmaster of Deutsche U-Boote 1935 – 1945.Die Geburt der grauen Wölfe [online]. [zitiert 10-02-2010.
 URL: http://www.u-boote-online.de/krieg/geburt.html

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überschritten. Für die Sowjetarmee nahte nicht nur die Stunde des Sieges, sondern auch die
Stunde der Rache. Unterstützt von Parolen des Schriftstellers Ilja Ehrenburg hat die Rote
Armee geraubt, getötet und vergewaltigt.

     „Dort in Deutschland versteckt sich der Deutsche, der dein Kind gemordet, deine Frau, Braut
     und Schwester vergewaltigt, deine Mutter, deinen Vater erschossen, deinen Herd neidergebrannt
     hat!“32

     „Wenn du einen Deutschen getötet hast, töte noch einen - es gibt für uns nichts Lustigeres, als
     deutsche Leichen. Zähle nicht die Tage. Zähle nicht die Kilometer. Zähle nur eins: die von dir
     getöteten Deutschen. Töte den Deutschen! - das bittet die alte Mutter. Töte den Deutschen! - das
     fleht das Kind. Töte den Deutschen! - das ruft die Heimaterde. Verfehle nicht das Ziel. Laß ihn
     nicht entgehen. Töte!“ Ilja Ehrenburg 33

Der Strom der Flüchtlinge wurde noch gröβer nach der Eroberung des ersten deutschen Dorfs,
das in sowjetische Hände fiel.
     „Am 21./22. Oktober 1944 wurde Nemmersdorf als einer der ersten deutsche Orte von der
     Roten Armee eingenommen. Einen Tag später schlug die Wehrmacht die Rote Armee noch
     einmal zurück und fand Opfer eines Massakers, vor allem Frauen und Kinder, vor.
     "Nemmersdorf" wurde zum Fanal der Flucht und der Untaten der Roten Armee an der
     ostdeutschen Bevölkerung.“34

3.4.3 Operation Hannibal

Die Operation Hannibal war wahrscheinlich die gröβte Flüchtlingsoperation, die es je gab.
Für diese Operation war Karl Dönitz verantwortlich, obwohl sie Hitlers Missfallen erregte.
Befehl des Admirals sollte alles, was schwimmen konnte, Flüchtlinge Richtung Westen zu
transportieren. Mehr als zwei Millionen Menschen hat Dönitz auf dieser Weise gerettet.
Am 28. Januar 1945 sollte die Gustloff zur Ausfahrt bereitet sein. Im Danziger Hafen
drängten sich Hunderttausende von Flüchtlingen zusammen, die um jeden Preis an Bord
gelangen wollten. Zu Beginn wurden nur die verwundeten Soldaten, das Schiffspersonal und
einige Hunderte von den Nachrichtenhelferinnen der Marine aufgenommen. Dann
selbstverständlich auch solche, die hochgestellte Bekannte hatten und auβerdem solche, die
zahlungskräftig waren. Erst dann konnten sich die Flüchtlinge einschiffen. Alle hatten einen
Ausweis, der sie zum Aufenthalt auf der Gustloff berechtigte. Die offizielle Liste besagt, dass

32
   Fuhrer, Armin. Die Todesfahrt der Gustloff [online]. [zitiert 15-02-2010].
URL: http://www.wilhelm-gustloff.net/
33
   Ahrens, Wilfried. Verbrechen an Deutschen. Dokumente der Vertreibung. Bruckmühl. Ahrens-Verlag 1983.
S. 16.
34
   Hinz, Thorsten. Nemmersdorf: Neue Aspekte eines Verbrechens[online]. 14-11-2207. [zitiert 10-02-2010].
URL: http://www.jf-archiv.de/archiv/47aa15.htm

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