Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung

Die Seite wird erstellt Maria Scharf
 
WEITER LESEN
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
Die Zukunft der Nuklearwaffen
in einer Welt in Unordnung
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
Dokumentation des 3. GSP-Sicherheitsdialogs
zum Thema
„Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung“

in Kooperation mit der Bundesakademie für Sicherheitspolitik
und dem Mittler Report Verlag
vom 17. Oktober 2018
im Presse und Informationsamt
der Bundesregierung, Berlin

nähere Informationen unter
www.gsp-sipo.de
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
Inhalt

7        Vorwort

9        Begrüßung Ulrike Merten, MdB a.D.

11       Einführung von Generalleutnant a.D. Kersten Lahl

16       Keynote von Staatsminister Niels Annen, MdB

34       Panel 1: Globale Perspektive – Global Zero oder Kontrollverlust?

64       Panel 2: Europäische Perspektive – Renaissance der Nuklearstrategien?

93       Schlussbemerkung von Ulrike Merten MdB a.D.
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
6   7

        Vorwort

        Die Gesellschaft für Sicherheits-
        politik e. V. (GSP) arbeitet seit
        1952 für ein zeitgemäßes Ver-
        ständnis von Sicherheitspolitik.
        Mit mehr als 6000 Mitgliedern in
        rund 90 Sektionen ist sie bundes-
        weit präsent und führt regional
        wie überregional jährlich bis zu
        600 Veranstaltungen, Seminare
        und Informationsbesuche durch.
        Begleitend greift sie mit ihrem
        Internetauftritt und ihrem Blog
        www.gsp-sipo.de aktuelle The-
        men auf und stellt sie zur Diskus-
        sion. Die GSP trägt damit maß-
        geblich zur sicherheitspolitischen
        Meinungsbildung in Deutschland
        bei. Wir setzen dabei auf einen
        offenen, konstruktiven und über-
        parteilichen Dialog, der auf Fak-
        ten basiert und Platz für sehr un-
        terschiedliche Auffassungen lässt.
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
8    9
Der GSP-Sicherheitsdialog will                    sion es mehr als wert sind, auch                                                             Diejenigen von Ihnen, die sich
als eine dieser rund 600 Veran-                   auf diesem Wege festgehalten und                  Begrüßung                                  intensiv mit Sicherheitspolitik
staltungen einmal im Jahr ein be-                 damit für weitere Überlegungen                                                               beschäftigen – und das wird in
                                                                                                    Ulrike Merten, MdB a. D.,
sonders bedeutsames Thema der                     zur Zukunft Europas nutzbar ge-                   Präsidentin der Gesellschaft für Sicher-   diesem Raum die Mehrheit sein
Sicherheitspolitik in den Fokus                   macht zu werden. Die Beiträge                     heitspolitik                               – werden sich über die heutige
nehmen und in der deutschen                       entsprechen weitestgehend dem                                                                Themenstellung nicht gewundert
Hauptstadt kritisch diskutieren.                  gesprochenen Wort und werden                                                                 haben. Für die meisten Bürgerin-
2016 hatten wir diese Serie mit                   hier in einer nur minimal redi-                   Sehr geehrter Herr Staatsminis-            nen und Bürger unseres Landes
dem Thema „Fluchtursachen                         gierten und durch die Sprecher                    ter, meine Herren Generale und             dürfte das nicht gelten. Die soge-
rund um Europa – Wo liegen un-                    freigegebenen Form wiedergege-                    Admirale, meine sehr verehrten             nannte „Nukleare Abschreckung“
sere Einflusschancen“ erfolgreich                 ben. Wir danken Vera Eirich und                   Damen und Herren. Ich begrüße              war zumindest in Deutschland
begonnen. 2017 haben wir uns                      Stephan Klaus M. A. vom Lehr-                     Sie sehr herzlich, auch im Namen           im Laufe der letzten Jahrzehnte
dem Thema „Russland verstehen                     stuhl für Internationale Bezie-                   unserer heutigen Kooperations-             völlig aus dem öffentlichen Be-
– geht das? Sicherheitspolitische                 hungen und europäische Politik,                   partner, der Bundesakademie                wusstsein verschwunden und
Kurssetzung in schwierigen Zei-                   Universität Halle-Wittenberg für                  für Sicherheitspolitik sowie dem           kein großes Thema öffentlicher
ten“ gewidmet. Der große Zu-                      die Erstellung der Abschrift.                     Mittler-Report-Verlag zu diesem            Debatten. Das könnte sich aller-
spruch, den auch das diesjährige                                                                    dritten Berliner Sicherheitsdia-           dings ändern. Die Hoffnung, das
Thema „Die Zukunft der Nukle-                     Wenn Sie Interesse an unserer                     log. Das Thema lautet heute „Die           Abschreckungssystem durch ato-
arwaffen in einer Welt in Unord-                  Arbeit finden oder sich für eine                  Zukunft der Nuklearwaffen in               mare Abrüstung zu überwinden,
nung“ gefunden hat, veranlasst                    Mitgliedschaft in der GSP interes-                einer Welt in Unordnung“.                  war dann doch zu optimistisch.
uns wie auch im vergangenen Jahr                  sieren, sei nochmals auf die Inter-                                                          Wer wollte damals nicht gerne an
dazu, diese Veranstaltung mit                     netseite der GSP (www.gsp-sipo.                                                              die von Präsident Obama postu-
einer Broschüre zu dokumentie-                    de) verwiesen.                                                                               lierte Global Zero Vision glauben
ren. Wir glauben, dass Thematik,                                                                                                               und hat dabei vielleicht über-
Inhalt und Verlauf der Diskus-                                                                                                                 sehen, dass auch der damalige
                                                                                                                                               amerikanische Präsident an den
                                                                                                                                               Pfeilern der nuklearen Abschre-
                                                                                                                                               ckung nicht rüttelte. Folgerichtig
                                                                                                                                               spielen Kernwaffen als Instru-
                                                                                                                                               ment der Abschreckung im noch
                                                                                                                                               gültigen strategischen Konzept
 Ulrike Merten, MdB a.D.,       Generalleutnant a. D. Kersten       Prof. Dr. Johannes Varwick,                                                der NATO eine Rolle. Damit hat
Präsidentin der Gesellschaft     Lahl, Vizepräsident der Ge-       Vizepräsident der Gesellschaft
 für Sicherheitspolitik e.V.   sellschaft für Sicherheitspolitik     für Sicherheitspolitik e.V.
                                                                                                                                               Deutschland, so wird es im Ko-
                                              e.V.                                                                                             alitionsvertrag von 2018 formu-
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
10   11
liert, ein Interesse daran, an den    wärtigen Amt, Niels Annen, den                                                     ist uns voll bewusst. Aber genau
strategischen Diskussionen und        ich Sie bitte mit mir ganz herzlich                                                deswegen haben wir das Thema
Planungsprozessen teilzuhaben.        zu begrüßen. Herr Staatsminis-                                                     auch gewählt. Auch wenn wir mit
Ein relativ schmuckloser Satz, der    ter, wir freuen uns sehr, dass Sie                                                 unserer Analyse heute vorwie-
wenig sagen kann zu den strategi-     unserer Bitte gefolgt sind und wir                                                 gend nach vorn schauen wollen,
schen, rechtlichen, ethischen und     freuen uns sehr auf Ihre Ausfüh-                                                   lohnt ein Blick zurück.
politischen Fragestellungen, die      rungen.
sich mit einer solchen Aussage zu                                                                                        Die beiden Atombombenabwürfe
verbinden haben. Aber wenn wir        Wie auch in den vergangenen                                                        über Japan im August 1945 ha-
wirklich am Beginn einer neuen        Jahren, meine Damen und Her-                                                       ben nicht nur den zweiten Welt-
Nukleardebatte stehen sollten,        ren, liegt die Einführung in das                                                   krieg endgültig beendet, sondern
dann würde es hilfreich sein, sich    Thema in den Händen von Ge-                                                        auch die verteidigungspolitischen
auf mehr als dogmatische, speku-      neralleutnant a.D. Kersten Lahl,                                                   Doktrinen aller großen und auch
lative Annahmen zu stützen.           die Moderation der beiden Panels                                                   einiger kleinerer Mächte revolu-
                                      übernehmen Prof. Dr. Johannes         Einführung                                   tioniert. Es blieben bisher – und
Wir wollen mit diesem heutigen        Varwick und Rolf Clement, die                                                      dieser Befund ist gar nicht mal so
Dialog versuchen, dieses The-         jeweils zu Beginn die Panellisten     Generalleutnant a.D. Kersten Lahl,           überraschend – die bisher beiden
                                                                            Vizepräsident der Gesellschaft für Sicher-
ma facettenreich auszuleuchten.       – für deren Kommen, ich habe                                                       einzigen tatsächlichen Einsätze
                                                                            heitspolitik
Kontroverse Stellungnahmen un-        es eben schon einmal gesagt, ich                                                   nuklearer Waffen zu Kriegszwe-
serer Panellisten sind zu erwar-      mich noch einmal herzlich be-                                                      cken. Aber sie bedeuteten gleich-
                                                                            Herr Staatsminister, Frau Prä-
ten und ausdrücklich erwünscht.       danke – auch dann vorstellen                                                       zeitig einen Paradigmenwechsel
                                                                            sidentin, meine sehr verehrten
Und ich will an dieser Stelle sa-     werden. Und ich freue mich mit                                                     im militärischen und sicherheits-
                                                                            Damen und Herren! Ich kann
gen, dass wir von allen Panellisten   Ihnen, meine sehr verehrten Da-                                                    politischen Denken. Ein Paradig-
                                                                            hier direkt anknüpfen. In die-
eine so spontane Zusage bekom-        men und Herren, auf einen er-                                                      menwechsel, der den ganzen Kal-
                                                                            sem Jahr stellen wir ein Thema in
men haben, über die wir uns freu-     kenntnisreichen Nachmittag und                                                     ten Krieg bestimmt hat und auch
                                                                            den Mittelpunkt, das die ge-sam-
en und die uns dann aber auch         bitte jetzt General Lahl um seine                                                  weit über ihn hinaus bis zum heu-
                                                                            te Menschheit seit nun mehr als
heute dazu zwingt, sehr diszipli-     einführenden Worte. Herzlichen                                                     tigen Tage trägt.
                                                                            sieben Jahrzehnten wie kaum ein
niert in diese Diskussion zu be-      Dank!
                                                                            anderes beschäftigt und oft auch
geben. Aber mein ausdrücklicher                                                                                          Die militärisch nutzbare Nuklear-
                                                                            beunruhigt: die Gegenwart und
Dank richtet sich an alle, die sich                                                                                      technologie ist seither Fakt – wie
                                                                            Zukunft von Nuklearwaffen. Es
so spontan bereiterklärt haben.                                                                                          auch immer man zu ihr steht.
                                                                            ist ein mitunter sehr, sehr heikles
Aber der Aufschlag des heutigen                                                                                          Ganz nüchtern lässt sich behaup-
                                                                            Thema, um das man auch gerne
Nachmittags mit der Keynote ge-                                                                                          ten, sie habe eine gewisse Ord-
                                                                            einen großen Bogen schlägt – das
hört dem Staatsminister im Aus-                                                                                          nung – ja, vielleicht auch Stabi-
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
12   13
lität – in die Welt gebracht. Und    sche Wandel führt eben oft direkt     gestalten, zumindest aber eine       für militärische Zwecke deutlich
zumindest für die Zeit des Ost-      in ein schwer auflösbares Dilem-      Kontrolle nicht aus der Hand zu      wird. Also – in einer weitgehend
West-Konflikts gibt es Argumente     ma zwischen Chancen und Risi-         geben. Und konkret auf unser         geordneten Welt, meine Damen
für diese Einschätzung. Denn gro-    ken, also salopp gesagt zwischen      heutiges Thema heißt das: Wir        und Herren, egal ob bi- oder
ße Kriege zwischen Nuklearstaa-      Fluch und Segen. Es gibt ja auch      müssen prüfen, welcher Um-           uni- oder multipolar, könnten wir
ten gelten seither als nicht mehr    andere, zahlreiche sicherheits-       gang mit Nuklearwaffen unseren       durchaus ein wenig entspannter
führbar oder gar gewinnbar und       politische Beispiele für diesen Be-   Werten und Interessen am bes-        sein. Aber wohin wir auch bli-
damit eigentlich auch undenkbar.     fund, etwa vom Cyberraum bis          ten entspricht – und ob und wie      cken: Wir spüren ja keinen Man-
Also: Alle Anstrengungen richten     hin zu dem Zukunftsthema Robo-        wir diesen Umgang verantworten       gel an Risiken und Krisen. Der
sich dort im Kern darauf, unbe-      tik und Künstliche Intelligenz für    können. Und wir müssen nach          gesamte Mittlere und Nahe Osten
dingt jeden Ausbruch von Gewalt      militärische Zwecke. In all diesen    gangbaren, legitimen Wegen su-       und auch Afrika versinken im
und jede Eskalation zu vermei-       Bereichen, meine Damen und            chen, die Ergebnisse dieser Prü-     Chaos. In Asien erleben wir einen
den. Und da steckt natürlich ein     Herren - und eben auch bei der        fung international einzubringen      Wettlauf in der militärischen Auf-
Stück Stabilität mit drin.           Nukleartechnologie - besteht die      – im Rahmen unserer Möglich-         rüstung. Die Politik Russlands in
                                     greifbare Gefahr, dass jedes Stre-    keiten natürlich. Die aus guten      seinem nahen Umfeld, aber auch
Andererseits aber stand und          ben nach einseitigen Vorteilen,       Gründen defensive Grundhal-          dem Westen gegenüber, verheißt
steht dieser Perspektive auch ein    im Sinne der eigenen Sicherheit,      tung Deutschlands in Fragen der      auch nicht nur Gutes. Und oben-
enormes Risiko entgegen, das         letztlich in eine Situation führen    Nuklearwaffen entpflichtet uns       drein rutschen das transatlanti-
die Menschheit in nichts weni-       kann, die für alle Seiten nichts      nicht von dieser Tatsache, die ich   sche Bündnis und auch Europa
ger als in ihrer Existenz bedroht.   mehr verstärkt als eben Unsicher-     gerade genannt habe.                 selbst immer mehr in spalterische
Denn es zeigt sich: Auch wenn die    heit. Und man nennt dieses Para-                                           Kontroversen um Sinn und Legi-
Wahrscheinlichkeit eines Krieges     doxon das „Sicherheitsdilemma“,       Und dieser Ratschlag wiegt umso      timation.
zwischen Nuklearmächten sinken       eigentlich müsste es „Unsicher-       schwerer, als ganz offenkundig
mag – der Schaden, falls die Me-     heitsdilemma“ heißen. Und da          die globale Entwicklung das Prä-     Um es gleich zu betonen: Nuk-
chanismen von Abschreckung,          sollte man nicht zu spät die Frage    dikat „Unordnung“ – deswegen         learwaffen gehören nicht immer
Gegenabschreckung und Selbst-        stellen: Wie gehen wir damit um?      haben wir ja auch das Wort „Un-      und überall zu den Treibern die-
abschreckung eben doch versa-                                              ordnung“ hineingenommen –            ser Unordnung – mitunter wirkt
gen sollten, wäre für alle Seiten    Eine erste, ganz grobe Antwort        verdient. Wir haben das Thema        ihre Existenz sogar stabilisierend.
irreparabel.                         muss wohl lauten: Wir sind gut        absichtlich so gewählt, weil wir     Ich hab’s ja erwähnt. Aber den-
                                     beraten, dieses Dilemma nicht         glauben, dass vor allem erst in      noch erscheinen sie gerade in der
Und das alles erinnert schon ein     nur zu beklagen - das führt nicht     Verbindung mit diesem übergrei-      aktuellen Lage extrem bedroh-
wenig fatal an die berühmte Büch-    weiter -, sondern aktive Schlüsse     fenden Befund der Unordnung          lich. Sie eröffnen tiefe Blicke in
se der Pandora. Zumindest kann       aus ihm zu ziehen. Also die Wirk-     die besondere Stellung und auch      den Abgrund. Und in manchen
man behaupten: Der technologi-       lichkeit mit Blick nach vorn zu       Brisanz der Nukleartechnologie       Regionen darf man sie sogar zu
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
14   15
den Ursachen internationaler        Zunächst werden wir die glo-           Und danach, im Panel 2, werden        das! Und von daher ist es für uns
Verwerfungen rechnen. Kurzum:       balen Risiken einer Verbreitung        wir den Blick konkret auf Euro-       ein ganz großer Gewinn, wenn
Die Frage der Zukunft von Nuk-      von Kernwaffen und die Chancen         pa und den so neuen wie alten         Sie mit Ihrer Erfahrung und auch
learwaffen zählt zu den herausra-   einer entsprechenden Kontrol-          Aspekt der Bündnisverteidigung        mit Ihren Ideen nun den großen
genden Aspekten internationaler     le beleuchten. Aktuelle Beispiele      richten, der ja aktuell wieder eine   Bogen spannen. Und uns allen
Sicherheit. Es ist unabdingbar,     oder Stichworte gibt es ja genug,      Art Renaissance – freilich unter      wünsche ich den wie immer bes-
                                                                           geänderten Bedingungen – er-          ten Erkenntnisgewinn bei unse-
                                                                           fährt. Wir wollen diskutieren, ob     rem Berliner Sicherheitsdialog in
„Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines                                    und welche nuklearstrategischen       diesem Jahr. Vielen Dank!
Krieges zwischen Nuklearmächten sinken                                     Überlegungen in diesem Zusam-
                                                                           menhang sinnvoll, erforderlich
mag – der Schaden, falls die Mechanismen                                   und vertretbar sind. Moderiert
von Abschreckung, Gegenabschreckung                                        wird dieses Panel 2 dann von Rolf
und Selbstabschreckung eben doch versa-                                    Clement, heute Chefredakteur
gen sollten, wäre für alle Seiten irrepara-                                der „Europäische Sicherheit &
                                                                           Technik“ und Ihnen allen wohl
bel.“                                                                      noch vom Deutschlandfunk be-
                                                                           kannt.
– Kersten Lahl
                                                                           Beginnen aber werden wir mit
hier eine kluge – wie es die Frau   von der Erosion des Nichtverbrei-      der Keynote, für die wir – ich
Präsidentin auch gerade gesagt      tungsvertrages bin hin zu Iran         darf es noch einmal erwähnen
hat – eine kluge, klare, ausdif-    und Nordkorea oder auch die            und darf mich ganz herzlich be-
ferenzierte Position zu bestim-     Perspektiven von atomaren Waf-         danken – den Staatsminister im
men und diese in die deutsche,      fen in den Händen terroristischer      Auswärtigen Amt, Herrn Niels
europäische und transatlantische    Akteure, seien diese nicht-staat-      Annen, gewonnen haben. Vielen
Agenda einzubringen.                lich oder gar staatlich. Das ist un-   Dank Herr Staatsminister, auch
                                    ser Panel 1 unter der Moderation       von meiner Seite nochmal, für
Ja, und genau da wollen wir heute   von Professor Johannes Varwick,        Ihre spontane Zusage, hier heu-
ansetzen und neben einer Lage-      der Internationale Beziehungen         te zu uns zu sprechen. Und aus
analyse nach halbwegs realisti-     an der Universität Halle-Witten-       früheren Begegnungen weiß ich
schen Optionen des Handelns         berg lehrt und zugleich Vizeprä-       auch: Wenn jemand differenziert
suchen. Wir knüpfen dazu heute      sident in der GSP ist.                 und ausgewogen an ein heikles
Nachmittag zwei Pakete:                                                    Thema herangeht, dann sind Sie
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
16   17
                                                                           in einem gemeinsamen Aktions-        der völkerrechtswidrigen Anne-
Keynote                                                                    plan aller Vertragsparteien dazu,    xion der Krim nicht nur grundle-
von Staatsminister Niels Annen, MdB                                        die Rolle und die Bedeutung ihrer    gende Prinzipien der internatio-
                                                                           Atomwaffen zu reduzieren. 2010       nalen Friedensordnung verletzt.
                                                                           – das war ein Jahr nachdem Prä-      Es hat mit dem Budapester Me-
Niels Annen:                                                               sident Obama mit Global Zero,        morandum auch eine glasklare
Die Zukunft von Nuklearwaf-                                                mit seiner Vision einer atomwaf-     Sicherheitsgarantie entwertet, die
fen in einer Welt der Unordnung                                            fenfreien Welt für Aufbruchs-        Nuklearwaffenstaaten wie die Uk-
– wahrlich ein Thema, das zu                                               stimmung gesorgt hat. Es war die     raine 1994 im Austausch für den
Ernsthaftigkeit verpflichtet. Von                                          Zeit des russisch-amerikanischen     Verzicht auf eigene Nuklearwaf-
Unordnung und Atomwaffen in                                                Resets, als beide Seiten ankündig-   fen gegeben haben. Wir können
einem Atemzug zu sprechen, dürf-                                           ten, mit New START die Anzahl        heute wohl noch nicht absehen,
te bei vielen von uns bedrückende                                          der einsatzbereiten nuklearen        ob Staaten, die in der Zukunft mit
Gedanken heraufbeschwören. Es         Eines aber will ich voraus-          Gefechtsköpfe und Trägersysteme      Atomwaffen liebäugeln, ihre un-
zeichnet die Gesellschaft für Si-     schicken: Trotz der gewaltigen       weiter erheblich zu reduzieren.      heilsame Lehre aus diesem Wort-
cherheitspolitik aus, solchen The-    Umwälzungen, denen wir uns           Das war eine Zeit der mutigen        bruch ziehen werden.
men nicht aus dem Weg zu gehen.       manchmal machtlos ausgesetzt         Schritte, die die Hoffnungen –
Sie setzen auf überparteilichen       glauben – die Zukunft der Nuk-       gerade hier in Deutschland – auf     Vertrauen in den Wert von Ver-
und faktenbasierten Austausch –       learwaffen ergibt sich nicht aus     weiteren Fortschritt in der nuk-     einbarungen – das ist Grundlage
in einer Zeit von fake news und       einer Zwangsläufigkeit heraus.       learen Abrüstung beflügelten.        für jede politische Lösung von
argumentativer Beliebigkeit eine      Die Zukunft der nuklearen Ord-                                            Konflikten. Die Nuklearverein-
wohltuende Selbstverpflichtung.       nung, davon bin ich ebenso über-     Aber die nukleare Ordnung hat        barung mit Iran ist nicht nur das
Deshalb danke ich Ihnen für die       zeugt wie Heiko Maas, ergibt sich    vielfältige Erschütterungen hin-     Ergebnis jahrelanger harter diplo-
Einladung zum heutigen Berliner       aus unserer Kraft zur Gestaltung.    nehmen müssen. Russland, unser       matischer Arbeit. Sie schafft auch
Sicherheitsdialog. Bundesaußen-       Aus der Kraft engagierter Multi-     großer Nachbar im Osten, hat mit     – ganz ohne Frage – mehr Sicher-
minister Heiko Maas hat in seiner     lateralisten. Gerade zur Frage der
vielbeachteten Tiergartenrede zur     Zukunft von Nuklearwaffen muss
Zukunft der nuklearen Ordnung         das ein Leitgedanke deutscher        „Nirgendwo kann der Verlust an Glaubwür-
gezeigt, wohin die Kompassna-         Außenpolitik sein.                   digkeit wohl größeren Flurschaden anrich-
del deutscher Außenpolitik weist.                                          ten als im Bereich nuklearer Vereinbarun-
Hieran möchte ich anknüpfen           Meine Damen und Herren,
und auch einige Punkte seiner         2010 bekannten sich die fünf im      gen.“
Rede weiterführen.                    Nichtververbreitungsvertrag an-
                                      erkannten Nuklearwaffenstaaten       – Niels Annen
Die Zukunft der Nuklearwaffen in einer Welt in Unordnung
18   19
heit in der Region, mehr Sicher-     Frankreich und Großbritanni-         nicht ausgeschlossen. Heute ver-    gen die Hoffnungen einer geteil-
heit in Europa. Sie ist, bei allen   en – eine Bewährungsprobe für        handelt Nordkorea mit den USA       ten Nation nahe? Es muss aber
Unvollkommenheiten, ein Erfolg       Europa ebenso wie für die inter-     und zeigt sich entschlossen, auch   klar sein: Ohne vollständige, ve-
engagierter Multilateralisten, der   nationale Nichtverbreitungsdip-      mit Südkorea ein neues Kapitel      rifizierbare und unumkehrbare
das System der nuklearen Nicht-      lomatie.                             in den Beziehungen beider Län-      Aufgabe des nordkoreanischen
verbreitung stärkt. Das sehen fast                                        der aufzuschlagen. Dabei scheint    Atomwaffenprogrammes wird es
alle Mitglieder der internationa-    Auch die Entwicklung Nordko-         es der nordkoreanische Macht-       keinen nachhaltigen Frieden und
len Gemeinschaft so.                 reas, die uns weiter in Atem hält,   haber zu sein, der den Takt vor-    keine Stabilität in der Region ge-
                                     führt Chancen und Krisen des         gibt. Ich möchte hier ganz deut-    ben. Deshalb kann die Kernfrage
Deshalb ist Präsident Trumps         Multilateralismus deutlich vor       lich sagen: Die innerkoreanische    der Denuklearisierung Nordko-
Aufkündigung der Nuklearver-         Augen. Als Kim Jong Un 2011          Annäherung, die wir in den ver-     reas auch nicht vertagt werden.
einbarung mit Iran nicht nur ein     seinen Vater beerbte, haben fast
Rückschlag für all diejenigen, die   alle Experten Nordkorea weit
um eine Lösung in einer der zä-      davon entfernt gesehen, Nuk-                         „Ohne vollständige, verifizierbare und un-
hesten Proliferationskrisen be-      learwaffen und Trägertechnik                         umkehrbare Aufgabe des nordkoreanischen
müht sind. Sie schwächt auch         zu beherrschen. Aber kaum ein
das Vertrauen in die Zusagen der     Experte hat die Entschlossenheit
                                                                                          Atomwaffenprogrammes wird es keinen
Mächtigeren und bestätigt all die-   vorhergesehen, mit der Kim sein                      nachhaltigen Frieden und keine Stabilität
jenigen Staaten, die der Idee von    Atom- und Raketenprogramm                            in der Region geben. Deshalb kann die Kern-
kooperativer Sicherheit ohnehin      vorantreiben sollte: Vier, am Ende                   frage der Denuklearisierung Nordkoreas
mit Misstrauen – oder schlimmer      erfolgreiche, Atomtests und nicht
noch: mit Verachtung – gegen-        weniger als 120 Raketentests –
                                                                                          auch nicht vertagt werden“
überstehen. Nirgendwo kann der       zuletzt mit interkontinentaler
Verlust an Glaubwürdigkeit wohl      Reichweite – folgten. Sie wurden                     – Niels Annen
größeren Flurschaden anrichten       begleitet, aber nie unterbunden,
als im Bereich nuklearer Verein-     von einem sich stetig verstärken-    gangenen Monaten beobachten,        Substantielle – nicht bloß symbo-
barungen. Und genau deshalb          den, aber bis heute immer wieder     ist eine hochwillkommene und        lische – Schritte müssen folgen,
ist es so wichtig, das Abkommen      unterlaufenen Sanktionsregime.       ermutigende Entwicklung. Sie        um Vertrauen in die Denukleari-
zu bewahren. Hierzu brauchen         Die Volatilität dieser Krise muss    wird helfen, Vertrauen zwischen     sierungsbereitschaft Nordkoreas
wir konkrete Lösungen, etwa um       uns alarmieren. Als die Rhetorik     beiden Seiten auszubauen, und       zu fassen. Der US-nordkorea-
Zahlungswege offenzuhalten und       zwischen dem Vorsitzenden Kim        sie könnte die Grundlage für ein    nische Dialog bietet eine Chan-
den Handel mit dem Iran weiter       und Präsident Trump vor einem        neues Verhältnis zwischen den       ce dazu – wenn der Druck auf
zu ermöglichen. Daran arbeiten       Jahr ihren Höhepunkt erreichten,     beiden Koreas schaffen. Wem,        Nordkorea aufrechterhalten wird.
wir in enger Abstimmung mit          schien ein militärisches Szenario    wenn nicht uns Deutschen, gin-      Die beispielhafte Geschlossenheit
20   21
der Staatengemeinschaft zu Jah-     Und sie würde die Aufrüstungs-        Fähigkeiten. Das Verhältnis der      kungen können Szenarien und
resbeginn – sie zu erhalten wäre    dynamiken im asiatisch-pazifi-        großen Mächte untereinander          Risiken entstehen, die wir früh
eine zentrale Aufgabe engagierter   schen Raum unweigerlich weiter        zeichnet sich zunehmend durch        erkennen und einhegen müssen.
Multilateralisten, um Nordko-       befördern. Bereits heute sehen        Konkurrenz aus – Great Pow-          So hinterfragen die Entwicklung
rea tatsächlich auf den Pfad der    wir, wie der im Licht der nord-       er Competition gilt den USA als      und der Einsatz qualitativ neu-
Denuklearisierung zu bringen.       koreanischen Bedrohung er-            zentrales Kennzeichen der Welt-      er Fähigkeiten die Gewissheiten
Deutschland wird sich hierfür       folgte Ausbau amerikanischer          ordnung und wird entsprechend        der nuklearen Abschreckung.
stark machen und steht bereit,      Raketenabwehrsysteme      China       in der Nationalen Verteidigungs-     Der Gedanke der nuklearen Ab-
gemeinsam mit anderen Staaten       ein weiteres Argument gibt, sei-      strategie und der Nuklearstrategie   schreckung scheint monströs und
und der Internationalen Atom-       ne Zweitschlagsfähigkeit auszu-       widergespiegelt.                     fragwürdig, und dennoch waren
energiebehörde seine Expertise      bauen – durch Modernisierung                                               es bisher diese Gewissheiten, die
und Erfahrung in jeden tragfähi-    der U-Bootstreitkräfte ebenso         Gemeinsame Spielregeln für die-      für Stabilität und militärische Zu-
gen Prozess einzubringen, der auf   wie durch Entwicklung nuklearer       sen globalen Wettstreit zu finden,   rückhaltung gesorgt haben: im
Aufgabe des nordkoreanischen        Mehrfach-Gefechtsköpfe.               steht derzeit nicht bei allen oben   Kalten Krieg zwischen den Super-
Nuklearprogrammes abzielt.                                                auf der Agenda. Genau dies muss      mächten ebenso wie zwischen In-
                                    Meine Damen und Herren, der           aber die Stoßrichtung einer Au-      dien und Pakistan, die vor ihrem
Nordkorea als Atommacht zu          Aufstieg Chinas hat die Glei-         ßenpolitik sein, die auf Verläss-    Aufstieg zur Atommacht drei ver-
akzeptieren – der ersten seit 40    chung strategischer Stabilität        lichkeit, Berechenbarkeit und den    lustreiche konventionelle Kriege
Jahren und der einzigen, die        ohnehin komplizierter werden          friedlichen Ausgleich von Interes-   geführt hatten.
dieses Ziel unter Verletzung des    lassen. Dabei sind es weniger         sen auf Grundlage gemeinsamer
Nichtverbreitungsvertrages er-      Chinas Atomwaffen, die Unbe-          Regeln und Prinzipien abzielt.       Qualitativ neue Systeme schaf-
reicht hätte – würde dem Fun-       hagen hervorrufen. Mit Verweis        Und hier gibt es viel zu tun.        fen hier Unsicherheiten. Meine
dament der nuklearen Ordnung        auf sein kategorisches Nein zu                                             Damen und Herren, diese Unsi-
einen schweren Schlag versetzen.    jeder Form des atomaren Erstein-      Die technologischen Entwicklun-      cherheiten müssen in den Blick
Sie würde einen Staat belohnen,     satzes, mit einer durch separate      gen und ihre Auswirkungen auf        genommen werden. Dabei sollten
der über Jahre Völkerrecht ge-      Lagerung von Sprengköpfen und         die Mechanik nuklearer Abschre-      wir nicht naiv sein: Nur die Nu-
brochen und sich systematisch       Trägern abgesenkten Einsatzbe-        ckung werden engagierte Multi-       klearwaffenstaaten können – im
über die Beschlüsse des Sicher-     reitschaft und einem stabilen nu-     lateralisten in den kommenden        Dialog untereinander – prakti-
heitsrates hinweggesetzt hat. Sie   klearen Arsenal nimmt China für       Jahren vor große Aufgaben stel-      sche Lösungen für die Risiken
würde dauerhaft größte Prolife-     sich in Anspruch, ein besonders       len. Denn die nukleare und die       finden, die sich aus der Ver-
rationsrisiken nach sich ziehen,    verantwortungsvoller Nuklear-         konventionelle Domäne zeigen         schränkung von nuklearen und
die von einem politisch isolier-    waffenstaat zu sein. Sorge bereitet   immer häufiger technologische        nicht-nuklearen      Technologien
ten, devisenschwachen, aber nu-     aber vor allem der Ausbau neuer       und doktrinäre Berührungs-           und Einsatzdoktrinen ergeben.
klear gerüsteten Land ausgingen.    Technologien und strategischer        punkte. Durch diese Verschrän-       Aber es ist die Aufgabe aller enga-
22   23
gierten Mutilateralisten, hier Pro-   Russland in der Ukraine gezeigt,      setzt nuklearfähige seegestützte       rung Trump mit der visionären
blembewusstsein und Regelungs-        dass es zur Durchsetzung der          Raketen, die es auf Korvetten im       Zielsetzung der Obama-Regie-
druck zu erzeugen. Denn Risiken       eigenen Interessen bereit ist, Völ-   Schwarzen Meer stationiert hat,        rung verglichen. Unverkennbar
im nuklearen Bereich sind wahr-       kerrecht zu brechen und militäri-     im Syrien-Krieg ein. Russland be-      ist: Der politischen Rolle von Nu-
haftig Menschheitsfragen.             sche Mittel einzusetzen. Russland     übt zudem mit zunehmend gro-           klearwaffen und dem Konzept der
                                      macht außerdem keinen Hehl da-        ßen Truppenteilen Szenarien mit        nuklearen Abschreckung kommt
Deutschland hat gerade in den         raus, dass es aufrüstet – nuklear,    sowohl konventionellen als auch        wieder stärkere Bedeutung zu.
letzten Jahren bewiesen, dass es      konventionell und zunehmend           nuklearen Komponenten. All die-
im Verbund mit Partnern in der        auch im Cyberbereich. Im März         se Entwicklungen berühren auch         Doch es wäre falsch, hier einen
Lage ist, Zukunftsfragen der Ab-      hat Präsident Putin in seiner Rede    unsere Sicherheit unmittelbar.         Kontinuitätsbruch zu sehen.
rüstung und Rüstungskontrolle in      an die Nation die Entwicklung                                                Selbst 2010 – zur Zeit des Resets
multilaterale Bahnen zu lenken.       neuer strategischer Systeme an-       Die USA haben Anfang des Jahres        – hat die NATO in ihrem Strate-
Der Anstoß zur Erneuerung der         gekündigt, Systeme, die zunächst      ihrerseits ihre Nuklearstrategie       gischen Konzept bekräftigt, dass
konventionellen Rüstungskont-         wie Science Fiction wirken, von       überarbeitet. Sie nimmt in deut-       sie eine nukleare Allianz bleiben
rolle in der OSZE gehört ebenso       deren Einsatzbereitschaft wir in      lichen Worten eine Neubewer-           werde, solange Nuklearwaffen
dazu wie die Arbeiten zur Äch-        den nächsten Jahren aber ausge-       tung des sicherheitspolitischen        existierten, und dass Abschre-
tung vollautonomer Waffensys-         hen müssen. Diese neuen Systeme       Umfelds vor und misst – ange-          ckung Kernbestandteil der kol-
teme im Rahmen der Vereinten          unterlaufen zwar nicht die gelten-    sichts der dynamischen Fähigkei-       lektiven Verteidigung der Allianz
Nationen. Wir müssen Zukunfts-        den Vertragsregime im nuklearen       tenentwicklung in Russland und         und der unteilbaren Sicherheit
fragen auch im nuklearen Bereich      Bereich. Ihre Geschwindigkeit         China – der nuklearen Abschre-         ihrer Mitglieder bleibe. Dabei hat
aktiv angehen – gerade in Zeiten,     und die Unberechenbarkeit ihrer       ckung wieder höhere Bedeutung          das Nukleardispositiv der NATO
in denen die Zeichen nicht auf        Flugbahnen sind aber darauf aus-      bei. Erklärtes Ziel dabei bleibt,      eine zu allererst politische Rolle.
Abrüstung stehen. Und wir kön-        gerichtet, die Raketenabwehr der      Konflikte zu vermeiden und vor         Seine Kernaufgabe ist es, Frieden
nen hierbei nur Erfolg haben,         NATO zu unterlaufen, und stel-        allem jeglichen Einsatz von Kern-      zu erhalten, Zwang abzuwenden
wenn wir auf Dialog mit allen Sei-    len Frühwarnsysteme und Ent-          waffen zu verhindern. Ich halte        und Aggression abzuschrecken.
ten setzen – Nuklearwaffenstaa-       scheidungsprozesse vor erhebli-       es für wichtig und auch für ein        Für die NATO ist der Einsatz von
ten und Nuklearwaffengegnern.         che Herausforderungen. Parallel       Zeichen funktionierender Demo-         Nuklearwaffen ein extrem fern-
                                      hierzu baut Russland sein nicht-      kratie, dass die Neuausrichtung        liegendes Szenario, seine Vermei-
Meine Damen und Herren, na-           strategisches Nukleararsenal aus      der Nuklearstrategie in den USA        dung Kerngedanke nuklearer Ab-
türlich ist es ganz besonders die     – auch durch die Stationierung        nicht kritiklos geblieben ist. Jede    schreckung. Und angesichts des
Konfrontation mit Russland und        von nuklearfähigen, mobilen und       Änderung der Strategie wurde in        politischen Rechtsrucks in Euro-
ihre Weiterungen im nuklearen         hochpräzisen SS26-Raketen in          Expertenkreisen, in Sitzungen der      pa und den USA müssen wir da-
Bereich, die uns in Europa Sor-       Kaliningrad, direkt an der Gren-      Fachausschüsse beider Kammern          für sorgen, dass das auch so bleibt.
gen bereiten muss. Nicht nur hat      ze zur Europäischen Union. Es         diskutiert, die Strategie der Regie-   Sicher gab es Zeiten, da wähnten
24   25
wir uns bereits jenseits dieser Lo-    ko Maas auch dazu veranlasst,         Beitrag. Der INF-Vertrag hat         klearen Abrüstung festzuschrei-
gik. Nach dem Kalten Krieg ha-         mit Russland den hochrangigen         bodengestützte Mittelstrecken-       ben. Nur bei voller Implementie-
ben Russland und die USA tiefe         sicherheitspolitischen Dialog auf     raketen und -marschflugkörper,       rung kann Rüstungskontrolle zur
Einschnitte in ihre Nukleardispo-      Ebene der Staatssekretäre wie-        die uns unmittelbar bedrohten,       Sicherheit beitragen. Das Risiko
sitive vorgenommen und große           der aufzunehmen. Hier wollen          ersatzlos eliminiert. New START      eines Rückfalls in Zeiten der Re-
Bestände vernichtet. Deutschland       wir in den kommenden Mona-            begrenzt die Zahl einsatzberei-      gellosigkeit und des nuklearen
hat die Entsorgung von russischen      ten vorankommen. Transparenz,         ter strategischer Nuklearwaffen      Wettrüstens können wir uns nicht
Atom-U-Booten und nuklearen            Rüstungskontrollverpflichtungen       und schafft durch sein auch in       erlauben. Dieses Risiko ist nicht
Abfällen mit erheblichen Mitteln       und Risikoreduzierung – das sind      der Krise funktionierendes Veri-     trivial – es macht den Menschen
finanziell unterstützt. Aber das si-   Themen, bei denen wir kritische       fikationssystem ein hohes Maß        Angst. Man erinnere sich nur an
cherheitspolitische Umfeld – das       Fragen an Russland haben, aber        an Transparenz. Das empfindli-       die Massenproteste gegen den
ist die Realität – hat sich seit der   auch verloren gegangenes Ver-         che Gleichgewicht strategischer      NATO-Doppelbeschluss, einem
Jahrtausendwende deutlich ver-         trauen zurückgewinnen können.         Stabilität zwischen den USA und      „Gesprächsangebot“ der NATO
schlechtert. Russlands Verhalten       In jedem Fall gilt: Der Ausweg        Russland – es schützt und stabili-   an die Sowjetunion, das mit einer
im Osten Europas ruft bei unse-        aus dem bedrohlichen Zusam-           siert auch Europa im geographi-      Aufrüstungsdrohung kombiniert
ren engsten Verbündeten und            menspiel von Aufrüstung und           schen Zwischenraum.                  wurde.
Nachbarn große Sorgen hervor.          Misstrauen und der Weg zum
Diese zu ignorieren oder als Hys-      Ausgleich legitimer Sicherheitsin-    Dieses Rahmenwerk, das sich          Ich hoffe sehr, dass mögliche
terie abzutun, wäre fahrlässig und     teressen – er führt nur über einen    aus dem Interesse beider Seiten      weitere Gespräche, die zwischen
falsch.                                Dialog mit Russland, einen Dia-       gespeist hat, ist heute in Gefahr.   Präsident Trump und Präsident
                                       log, den wir im konventionellen       Schwerwiegende Vorwürfe der          Putin in Helsinki vereinbart wur-
Die Antwort kann nur eine Poli-        Bereich im Übrigen bereits 2016       Verletzung des INF durch Russ-       den, richtige Fortschritte bringen
tik sein, die klare Erwartungen        unter deutschem Vorsitz in der        land bleiben bis heute unwider-      werden. Angesichts der Verwer-
an Russland formuliert, es zu          OSZE angestoßen haben.                legt. Deshalb müssen auch wir        fungen im russisch-amerikani-
einer Änderung seines Verhal-                                                Europäer im ureigenen europäi-       schen Verhältnis wird das nicht
tens auffordert, aber auch Wege        Der Erhalt der amerikanisch-rus-      schen Sicherheitsinteresse unsere    einfach sein. Aber auch in den
aufzeigt, mit Russland zu koope-       sischen Vereinbarungen im stra-       Stimme für den Erhalt und für die    schwierigen Zeiten des Kalten
rieren. Dabei müssen wir immer         tegischen Bereich, dem INF-Ver-       Einhaltung dieses Vertrags erhe-     Krieges ist es gelungen, Hürden
die Anliegen aller Europäer im         trag und New START, ist hierbei       ben. Denn nach dem INF könnte        zu überwinden und visionäre
Blick behalten: die der baltischen     von besonderer Bedeutung – für        auch New START wie ein Domi-         Schritte in Richtung Abrüstung
Staaten und Polens ebenso wie          die USA und Russland, aber gera-      nostein fallen. Wir aber brauchen    und Rüstungskontrolle zu gehen.
die der Staaten im Westen. Das         de auch uns Europäer. Denn beide      beide Verträge, um das empfindli-    Und auch daran gilt es Washing-
angespannte      sicherheitspoliti-    Verträge leisten für die Sicherheit   che strategische Gleichgewicht zu    ton und Moskau heute zu erin-
sche Umfeld in Europa hat Hei-         Europas einen unverzichtbaren         wahren und die Erfolge in der nu-    nern.
26   27
Meine Damen und Herren, mit          Aber, ohne jede Relativierung an     drücklich anerkennen, dass es ein   Jahrestag seines Inkrafttretens im
der ihm eigenen Lakonie hat der      diesem Ziel fest.                    Verdienst von ICAN ist, ein so      Jahre 2020 zu stärken.
Pazifist Albert Einstein einst auf                                        wichtiges Thema wieder auf die
den Punkt gebracht, was es heißt,    Wir teilen dieses Ziel mit vielen,   Agenda gesetzt zu haben.            Denn der Atomwaffensperrver-
im nuklearen Zeitalter zu leben.     insbesondere auch den Unterstüt-                                         trag, wie er in Deutschland gern
„Ich bin nicht sicher, mit wel-      zern, Unterzeichner- oder bereits    Das ist der Weg, das ist der An-    genannt wird, ist und bleibt das
chen Waffen der dritte Weltkrieg     Vertragsstaaten des Kernwaffen-      spruch der Bundesregierung, und     Fundament der globalen nuk-
ausgetragen wird“, so der Nobel-     verbotsvertrages. Oft werden wir     wir werden unsere Verantwor-        learen Ordnung. Ohne ihn – das
preisträger, „aber im vierten wer-   gefragt: Warum schließt sich die     tung als nichtständiges Mitglied    steht außer Frage – wären heute
den sie mit Stöcken und Steinen      Bundesregierung dann diesem          im Sicherheitsrat der Vereinten     weit mehr Staaten im Besitz von
kämpfen“. Das ist kein Pathos,       Vertrag nicht an? Ein Vertrag,       Nationen nutzen, diese nuklearen    Atomwaffen. Ohne ihn hätten wir
was hier anklingt, kein friedens-    der Kernwaffen ächtet und ihren      Herausforderungen anzugehen         keinen so hohen, universell an-
bewegter Alarmismus, sondern         Einsatz und Besitz, ihre Statio-     und die Möglichkeiten schritt-      erkannten Sicherungsstandard
die nüchterne Feststellung einer     nierung, Lagerung und Weiterga-      weiser Fortschritte in Richtung     gegen die allfälligen Prolifera-
im 20. Jahrhundert geborenen         be völkerrechtlich verbietet? Die    der nuklearen Abrüstung auszu-      tionsrisiken. Keine internationale
Möglichkeit: die Auslöschung         Antwort lautet: Weil wir fürchten,   schöpfen. Es liegt auf der Hand,    Atomenergiebehörde, die – völlig
von Abermillionen Menschen,          dass dieser Vertrag uns dem Ziel     dass dies nur im Dialog, nicht in   zu Recht – für ihre Arbeit 2005
von hunderten Jahren Zivilisa-       Global Zero leider nicht näher-      Konfrontation mit den Ständigen     mit dem Friedensnobelpreis aus-
tionsgeschichte in kürzester Zeit.   bringt. Und weil er, so unsere Be-   Mitgliedern des Sicherheitsrats     gezeichnet wurde. Wir hätten
Es ist auch kein Widerspruch,        fürchtung, praktische Schritte in    erfolgversprechend sein kann.       wohl auch keinen so klaren Trend
die stabilisierende Wirkung der      Richtung der nuklearen Abrüs-        So sind wir trotz unterschiedli-    in der zivilen Reaktortechnik,
nuklearen Abschreckung anzu-         tung nicht fördern, sondern wei-     cher Ansätze im Ziel geeint. Zu-    die heute ganz weitgehend ohne
erkennen, gleichzeitig aber klar     ter erschweren kann. Der Kern-       sammen mit unseren Partnern         hochangereichertes Uran aus-
und deutlich zu sagen: Wir Men-      waffenverbotsvertrag wird, das       der Nonproliferation and Disar-     kommt. Und wir dürfen bei al-
schen dürfen nicht akzeptieren,      bestreiten auch seine Anhänger       mament Initiative – einer Grup-     len aktuellen Herausforderungen
auf Dauer mit dieser apokalypti-     nicht, keinen einzigen nuklearen     pe aus Ländern aller Kontinente,    nicht vergessen: Zur Erfolgsge-
schen Möglichkeit zu leben. Glo-     Sprengkopf aus der Welt räumen,      darunter Verbotsvertragsbefür-      schichte der letzten 50 Jahre ge-
bal Zero, das Ziel einer nuklear-    solange keiner der Nuklearwaf-       worter und -gegner – machen         hört auch die Dezimierung der
waffenfreien Welt, ist aus meiner    fenstaaten auch nur mit dem Ge-      wir uns gerade in diesen Wo-        nuklearen Arsenale im Vergleich
Sicht nicht nur ein moralischer,     danken spielt, ihm beizutreten.      chen in den Vereinten Nationen      zum Niveau des Kalten Krieges.
sondern auch ein ganz realpoliti-    Und damit wird er auch keines        und vor allem gegenüber den
scher Imperativ. Und die Bundes-     der nuklearen Risiken, die ich       fünf Ständigen Mitgliedern des      Diese Erfolge, meine Damen und
regierung hält ohne Wenn und         versucht habe zu skizzieren, ab-     Sicherheitsrates dafür stark, den   Herren, illustrieren, wie wichtig es
                                     mildern helfen. Ich will aber aus-   Nichtverbreitungsvertrag zum 50.    ist, den Nichtverbreitungsvertrag
28   29
zu erhalten, um auf der Grund-         zu entwickeln, das diesen kom-       uns nicht wünschen können. Sie        Herr Meyer zum Felde:
lage seiner universellen Geltung       plexen Anforderungen genügt.         haben ein breites Spektrum so tief    Herr Staatsminister, ich habe
weitere Fortschritte in Richtung                                            erörtert, dass ich ganz sicher bin,   zwei ganz kurze Fragen. Die erste
nuklearer Abrüstung zu erzielen.       Zweitens: Sicherheitsgarantien.      dass Sie viele Steilvorlagen auch     ist: Was wollen Sie denn unter-
Dies wird die Bewährungsprobe          Ich bin davon überzeugt, dass wir    für unsere beiden anschließenden      nehmen, um Paris dazu zu ani-
für engagierte Multilateralisten       stärker daran arbeiten müssen,       Panels gegeben haben. Sie haben       mieren, dem Club der Mutlilate-
in den kommenden zwei Jahren           die Rolle von Nuklearwaffen in       auch eine Bemerkung gemacht,          ralisten beizutreten, wenn es um
sein. Und es bedeutet harte dip-       Strategien, Doktrinen und politi-    die fand ich besonders wichtig.       Nuklearfragen geht? In Paris höre
lomatische Arbeit, denn nicht alle     schen Äußerungen zu reduzieren.      Sie haben gesagt: „Die Zukunft        ich immer umgekehrt, wir sollten
Vertragsstaaten messen der nuk-        Im gegenwärtigen Sicherheitsum-      von Nuklearwaffen ist gestalt-        eher die französische Nuklear-
learen Abrüstung denselben ho-         feld wäre es bereits ein enormer     bar!“. Sie haben aber zugleich        kultur in der strategischen Aus-
hen Stellenwert bei. Aber es gibt      Fortschritt, die Sicherheitsgaran-   eines, zum Glück, vermieden: Sie      richtung Frankreichs bei uns in
eine ganze Reihe von Punkten, an       tien zu erneuern, die Nuklear-       haben uns nicht die Illusion gege-    Deutschland einführen und das
denen wir ansetzen können.             waffenstaaten allen anderen Staa-    ben, es gebe Patentrezepte dabei      ist für mich ein ganz schwieri-
                                       ten in stabileren Zeiten gemacht     oder die sogenannten „ganz ein-       ges Problem, diese beiden Din-
Zum einen: Transparenz und Ve-         haben. Mittelfristig müssen wir      fachen Antworten“. Sondern Sie        ge zur Deckung zu bekommen.
rifikation. Eine weitgehende Of-       weitergehen. Das erfordert poli-     haben deutlich gemacht, dass es –     Und zweitens, nachdem Sie den
fenlegung der nuklearen Arsenale       tischen Willen. Das erfordert den    wenn man gestalten will und ge-       Schwerpunkt ja so sehr auf das
aller Nuklearwaffenstaaten und         vollen Einsatz engagierter Multi-    stalten muss – dann wirklich ganz     Thema Rüstungskontrolle, Ab-
eine Antwort auf die praktische        lateralisten. Und anfangen kön-      harter, vor allem harter diploma-     rüstung gelegt haben: Ich würde
Frage, wie Nichtnuklearwaffen-         nen wir mit Veranstaltungen wie      tischer Arbeit auf vielen, vielen     mir noch einen Satz wünschen,
staaten die Demontage eines nu-        dieser und einem kritischen, offe-   Feldern bedarf. Ganz herzlichen       wie Sie sich die deutsche nuklea-
klearen Sprengkopfes verifizie-        nen Austausch.                       Dank nochmal!                         ren Teilhabe vorstellen, in Ergän-
ren können, ohne selber Wissen                                                                                    zung des Gesagten. Vielen Dank.
über den Bau einer Atombombe           In diesem Sinne freue ich mich       Wir haben jetzt nochmal fast eine
zu erlangen – das sind wichtige        nun, mit Ihnen ins Gespräch zu       Viertelstunde für Fragen und ich      Kersten Lahl:
Grundlagen für konkrete und ve-        kommen. Stellen Sie mir gerne        denke es ist in Ihrem Sin-ne, dass    Eine zweite Frage vielleicht noch
rifizierbare Abrüstungsschritte in     Fragen.                              wir diese Zeit auch nutzen. Ich       dazu und dann fassen wir zusam-
der Zukunft. Diese Grundlagen                                               möchte Sie bitten mir zu signali-     men und machen eine nächste
können wir bereits heute legen.        Kersten Lahl:                        sieren, wenn Sie eine Frage stellen   Runde. Bitte!
Wir werden deshalb mit Frank-          Herr Staatsminister ganz herzli-     wollen und dass Sie dann kurz
reich eine gemeinsame Übung            chen Dank für diesen Vortrag! Ich    Ihren Namen nennen. Zudem
ausrichten, die helfen soll, ein Ab-   glaube, einen besseren Einstieg in   bitte ich Sie, sich möglichst kurz
rüstungsverifikationsverfahren         unser heutiges Thema hätten wir      zu fassen.
30   31

Andrey Sivow,                        gemacht – sind die existierenden      Souveränität über ihre eigene Nu-        tige Option ist. Deswegen bleibe
Verteidigungsattaché Russlands:      Strukturen, auch innerhalb der        klearstreitkraft betrifft, ist erstens   ich bei meiner sehr skeptischen
Sehr geehrter Herr Staatsminister,   NATO und gemeinsam mit den            richtig und zweitens nicht über-         Haltung. Bei der Frage „sind die-
danke sehr für Ihre Einschätzung.    Vereinigten Staaten. Unsere Zu-       raschend. Aber Sie haben sicher          se Waffensystem auf deutschem
Eine Frage: Sie haben als Staats-    sammenarbeit mit Frankreich           auch die Entwicklung im Bereich          Boden nötig?“ neige ich deut-
person gesagt, dass Russland         insgesamt in dieser veränderten       PESCO verfolgt oder die Reak-            lich zu einem „Nein“. Aber wenn
einen Verstoß gegen den Ver-         Sicherheitslage ist exzellent. Das    tion der Bundesregierung auf den         Sie mich fragen, ob ich daraus
trag beging. Haben Sie Beweise?      gilt auch für die Zusammenarbeit      französischen Vorschlag einer so-        die Konsequenz eines nationalen
Wenn Sie diese Beweise haben, so     im Nukleardossier und es gilt in      genannten Interventionsinitiati-         Alleingangs ziehen würde, lautet
bin ich bereit, diese Beweise so-    der technischen Zusammenar-           ve. Beide Seiten haben sich aufei-       meine Antwort ebenso eindeu-
fort Russland zu übergeben. Was      beit, beispielsweise bei der Schaf-   nander zu bewegt. Deswegen bin           tig „Nein“. Wir müssen den Zu-
denken Sie außerdem über die         fung eines unabhängigen Zah-          ich zuversichtlich.                      sammenhalt gerade in der NATO
Tatsache der Stationierung der       lungsinstruments zum Erhalt des                                                stärken. In Deutschland wird
Schussrampen der MK 41 durch         JCPoA. Trotzdem kann man nicht        Die zweite Frage ist für einen           vielleicht manchmal zu wenig ge-
die Amerikaner, die mit Boden-       erwarten, dass sich eine über viele   Sozialdemokraten natürlich im-           sehen, dass die nukleare Teilhabe
raketen eine Reichweite von über     Jahrzehnte etablierte französische    mer etwas schwierig. Meine Hal-          eben auch Ausdruck der Solidari-
2500 Kilometer erreichen kön-        Doktrin jetzt innerhalb weniger       tung ist: So lange die NATO ihre         tät zwischen NATO-Staaten ist.
nen? Danke sehr.                     Monate grundlegend verändert.         grundlegende Strategie nicht
                                     Das war auch nicht die Erwar-         verändert – und das Sicherheits-         Ich darf mich bedanken für die
Niels Annen:                         tung des Auswärtigen Amts. Aber       umfeld hat sich ja nun nicht ent-        Frage zum INF-Vertrag. Ich habe
Vielen Dank für die beiden Fra-      die Minister arbeiten sehr eng zu-    spannt in den letzten Jahren – so        hier jetzt mein Manuskript vor
gen. Zu der von Heiko Maas ge-       sammen; gerade gestern hat es das     lange bleibt auch der Teil, der          mir liegen und bin mir ziem-
prägten Über-schrift der „Allianz    letzte Treffen gegeben. Es ging da    nukleare Teilhabe bedeutet. Wie          lich sicher, dass ich gesagt habe,
der Multilateralisten“: Es han-      nicht nur um Fußball – das war        das praktisch umgesetzt wird, ist        dass die Vorwürfe bisher nicht
delt sich nicht um die Idee, eine    auch kein übermäßig erfolgrei-        Sache des BMVg. Aber wir haben           entkräftet werden konnten. Das
neue internationale Organisation     ches Kapitel – sondern um inten-      in Deutschland die Erfahrung ge-         war die Formulierung, sonst hät-
zu gründen mit einem großen          sive Gespräche zwischen Le Drian      macht, dass einseitige nationale         te ich Ihnen auch gerne Beweise
Hauptquartier, vielen Angestell-     und Heiko Maas. Das Verständnis       Initiativen, die die amerikanische       mitgebracht. Aber darum geht
ten und einem Generalsekreta-        auf der französischen Seite, auch     Seite vom Abzug der verbliebe-           es mir gar nicht. Es geht um die
riat. Darum geht es nicht. Es geht   in Sicherheitsfragen enger zusam-     nen Sprengköpfe zu überzeugen            Beschreibung einer Debatte, die
um eine Form der intensivierten      menarbeiten zu müssen, hat sich       suchen, nicht fruchten. Wir muss-        dazu führen kann, dass dieser
Zusammenarbeit. Und die präfe-       enorm verändert. Dass diese Ver-      ten gemeinsam die Erfahrung              Vertrag möglicherweise keine
rierte Form der Zusammenarbeit       änderung momentan nicht den           machen, dass ein nationaler Weg          Zukunft hat. Bisher sind die Vor-
– das haben wir immer deutlich       Kernbereich der französischen         für Deutschland keine vernünf-           würfe, die von amerikanischer
32   33
Seite gegenüber Ihrer Regierung      Gast:                                unsere Position deutlich zu ma-        sche Auswirkungen, aber es ist
vorgetragen wurden, von der          Gilt denn hier nicht auch die Un-    chen und darzustellen, weshalb         noch ein langer Weg.
Russischen Föderation nicht ent-     schuldsvermutung bei den Vor-        wir uns an dieser Initiative nicht
kräftet worden. Gleichzeitig gibt    würfen bezüglich INF?                beteiligt haben. Aber meine Bot-       Kersten Lahl:
es auch auf der anderen Seite Vor-                                        schaft ist auch, dass wir uns nicht    Herr Staatsminister. Ihr Büro hat
haltungen - Sie haben ja gerade      Niels Annen:                         gegen die Intuition dieser Initiati-   uns ja im Vorfeld in vollendeter
auch indirekt einen Vorwurf an       Wir sind ja nicht in einem Straf-    ve oder dieser Bewegung richten.       und zugleich unmissverständli-
die amerikanische Seite formu-       prozess.                             Wir sind uns nur über den Weg          cher Diplomatie zu verstehen ge-
liert. Diese gefährliche Dynamik                                          nicht einig. Die Obama-Rede hat        geben, dass Ihr enger Terminplan
müssen wir durchbrechen. Ich         Kersten Lahl:                        sicher einen Beitrag geleistet. Es     leider nur bis 15:30 Uhr eine Teil-
habe der Frage des INF-Vertra-       Herr Zeisig, bitteschön!             gibt inzwischen ein Netzwerk von       nahme bei uns hier erlaubt. Und
ges in meiner Rede eine so große                                          hoch anerkannten Expertinnen           wir haben jetzt auf die Minute ge-
Bedeutung beigemessen, weil ich      Herr Zeisig:                         und Experten, ehemaligen Politi-       nau dieses Budget ausgefüllt und
mir über die möglichen Konse-        Ganz kurz, aber hat die Idee         kerinnen und Politikern, Militärs      ich würde sagen: das ist wirklich
quenzen große Sorgen mache. Ich      Obamas von „Global Zero“ noch        und anderen, die sich dieser Kam-      eine Punktlandung! Ich kann Ih-
bin überzeugt da-von, dass die       irgendeinen realen Wert? Ist         pagne angeschlossen haben. Wir         nen aber versprechen, dass wir
Sicherheitsinteressen der Russi-     sie Bestandteil nationaler, inter-   bemühen wir uns darum, auch            viele der Aspekte, die Sie genannt
schen Föderation von einer Auf-      nationaler Politik oder ist es ein   die Expertise zu nutzen. Trotz-        haben, jetzt anschließend in den
kündigung des INF-Vertrages          Traum?                               dem hätte ich mir gewünscht,           beiden Panels nochmal intensiv
ebenfalls negativ betroffen wären.                                        dass bei der Rezeption der Oba-        aufgreifen und weiter vertiefen
Wir verfolgen deswegen den An-       Niels Annen:                         ma-Rede der ganze Text des Prä-        werden – und das sicherlich auch
satz des konstruktiven Dialogs.      Natürlich ist es auch ein Traum.     sidenten berücksichtigt worden         kontrovers. Denn ich denke, nur
Ob im Gespräch zwischen Mi-          Aber schauen Sie sich an, wel-       wäre. Das liegt aber außerhalb der     über eine kontroverse Diskussion,
nister Maas und Minister Law-        che Dynamik die Kampagne von         Gestaltungskraft eines Politikers.     die alle Gesichtspunkte einbringt,
row oder im Rahmen der wieder        ICAN entwickelt hat. Am Ende         Und ich bin auch nicht sicher – so     und in der man versucht, auch
etablierten Staatssekretärskonsul-   führte sie zu diesem Nuklearwaf-     sehr ich Obama diesen Friedens-        die gegnerischen Positionen zu
tationen. Damit wir über solche      fen-Verbotsvertrag. Schauen Sie      nobelpreis gegönnt habe, weil ich      verstehen, kann man auch in der
Fragen sprechen können.              sich an, wie stark das Thema die     ihn für einen großen Präsidenten       Sache einen echten Fortschritt
                                     Bürgerinnen und Bürger in vielen     halte – ob dieser Preis der Sache      erzielen. Ganz herzlichen Dank
Kersten Lahl:                        Ländern weiterhin bewegt. Diese      am Ende genützt hat. Der Ver-          nochmal für Ihr Kommen heute!
Ich möchte Ihnen, meine Damen        Dynamik geht über einen Traum        such mit einem Preis Politik zu
und Herren im Plenum, noch die       hinaus und ist nicht zu unter-       determinieren funktioniert in          Niels Annen:
Möglichkeit geben für eine weite-    schätzen. Ich habe mich sehr da-     der Regel nicht. Insofern: Ja, der     Vielen Dank! Gute Diskussion!
re Frage.                            rum bemüht, auf der einen Seite      Traum lebt. Er hat auch prakti-
34   35

                                                               Prof. Dr. Johannes Varwick:           Europäer beitragen können, um
                                                               So, meine sehr verehrten Damen,       die weiteren Prozesse in Richtung
                                                               meine sehr verehrten Herren.          globaler, nuklearer Aufrüstung
                                                               Niels Annen muss leider gehen,        oder das Gegenteil, Abrüstung
                                                               aber wir danken ihm alle für sei-     und nukleare Rüstungskontrolle,
                                                               ne gehaltvolle Rede und General       zu begleiten und zu beeinflus-
                                                               Lahl hat es gesagt: wir werden        sen. Das wollen wir uns also jetzt
                                                               das jetzt versuchen, zu vertiefen.    vornehmen und wir haben nicht
                                                               Das Schwierigste an diesen bei-       allzu viel Zeit – wir müssen auch
                                                               den Runden, die wir jetzt haben       nicht hektisch sein, aber wir müs-
                                                               werden, wird die Abgrenzung der       sen auf den Punkt diskutieren.
                                                               Themen untereinander sein, weil       Und in diesem ersten Panel haben
                                                               natürlich alles mit allem zusam-      wir uns vorgenommen, als wir
                                                               menhängt. Aber wir wollen nun         das von der GSP geplant haben,
                                                               in dem ersten Panel eher die glo-     dieses schwierige Thema, das wir
                                                               balen, strategischen Grundfragen      die sichtbarsten und besten, deut-
                                                               der Rolle von Nuklearfragen kri-      schen Experten an einen Tisch
Panel 1   „Globale Perspektive                                 tisch diskutieren. Die Stichworte     versammeln. Und wir haben sie
                                                                                                     bekommen, kann ich sagen! Und
		        – Global Zero oder Kontrollverlust?“                 sind schon gefallen: Global Zero,
                                                               aber auch Nordkorea, der gesamte      deswegen sind es so viele gewor-
            Moderation:                                        ostasiatische Raum, Iran-Abkom-       den. Das ist vielleicht ein biss-
            Prof. Dr. Johannes Varwick                         men, auch die regionale Kons-         chen groß für eine Stunde, aber
                                                               tellation im Mittleren Osten, Pa-     ich denke, wir werden das hin-
            Teilnehmer:                                        kistan und Indien vielleicht, das     bekommen. Und lassen Sie mich
            Dr. Karl-Heinz Kamp, Präsident BAKS                                                      kurz die Runde vorstellen.
                                                               ist noch nicht erwähnt worden.
            Prof. Dr. Joachim Krause, Institut für             Das wollen wir jetzt in den Blick
            Sicherheitspolitik an der Universität Kiel         nehmen und weniger die Nuk-           Zu meiner Linken: Dr. Karl-Heinz
                                                               learstrategien einzelner Länder,      Kamp, Präsident der Bundesaka-
            Dr. Oliver Meier, Stiftung Wissenschaft und        die uns wichtig sind, nicht zuletzt   demie für Sicherheitspolitik und
            Politik                                                                                  zuvor unter anderem am NATO
                                                               auch die deutsche Frage, die wird
            Dr. Oliver Thränert, Center for Security           in dem zweiten Panel intensiv er-     Defense College in Rom und si-
            Policy der ETH Zürich                              örtert. Und natürlich stellt sich     cherheitspolitischer Koordinator
                                                               auch bei diesen Fragen die Frage,     der Konrad-Adenauer-Stiftung.
                                                               was wir Deutschen oder auch wir       Aber vor allen Dingen einer der
36   37
sichtbarsten Kenner der Nuklear-      trol Association“. Lieber Oliver      gerade gehört haben, die globale      können wir nicht mit nuklearer
thematik, der seit – Karl-Heinz,      Meier, herzlich willkommen. Und       Perspektive der Rolle von Nuk-        Abschreckung lösen. Sie bleiben
25 Jahre oder sogar noch länger?      last, not least, zu meiner Nächs-     learwaffen zu beleuchten.             aber ein Faktor, und deswegen ist
–, wir werden alle nicht jünger, zu   ten und zu meiner Rechten, ein        Und ich möchte Karl-Heinz Kamp        die Idee der nuklearwaffenfreien
diesen Fragen publiziert. Herz-       Blick aus der Schweiz gewisser-       bitten, anzufangen. Karl-Heinz,       Welt eben nur eine Idee, weil der
lich willkommen! Zu meiner            maßen, obwohl er Deutscher ist:       wie bewertest Du die globale Per-     größte Teil der Nuklearwaffen-
ganz Linken, der Kollege Profes-      Dr. Oliver Thränert. Er leitet den    spektive auf unser Thema?             staaten ihre Atomwaffen nicht ab-
sor Joachim Krause, Direktor des      Think-Tank am Center for Se-                                                rüsten wollen. Das ist keine Frage
Instituts für Sicherheitspolitik an   curity Studies in Zürich an der       Dr. Karl-Heinz Kamp:                  des Könnens, es ist eine Frage des
der Universität Kiel, zuvor lange     altehrwürdigen ETHZ. Auch er          Ja, vielen Dank. Zunächst einmal      Wollens. Das heißt Israel, Frank-
Jahre bei der Deutschen Gesell-       war lange Jahre an der Stiftung       finde ich das Thema extrem wich-      reich, China wollen nicht abrüs-
schaft für Auswärtigen Politik        Wissenschaft und Politik, unter       tig und bedanke mich sehr, zu         ten, weil sie – ob wir es verstehen
und auch lange Jahre bei der Stif-    anderem auch bei der Fried-           diesem Thema eingeladen wor-          oder nicht – in diesen Waffen ein
tung Wissenschaft und Politik, als    rich-Ebert-Stiftung, und auch er      den zu sein. Ich hätte mir schon      Faktor für Macht, Sicherheit, Sta-
sie noch in Ebenhausen war. Und       publiziert seit vielen Jahren – ich   viel früher eine Rede wie die von     tus oder was immer, sehen. Und
er hat unter anderem seine Habi-      habe mal nachgeschaut, vor mehr       Herrn Annen gerade oder die von       daran ändern auch Nobelpreise
litation zu dem Thema „Struktur-      als dreißig Jahren ist sein erster    Herrn Maas, die Tiergarten-Re-        nicht so schrecklich viel. Zwei-
wandel der Nichtverbreitungspo-       Artikel zu diesen Fragen erschie-     de, schon von früheren Außen-         tens, glaube ich, zweite Realität,
litik“ verfasst und ich glaube, man   nen – zu diesen Fragen.               ministern gewünscht, das hätte        dass leider Gottes die Verbreitung
kann ohne zu übertreiben sagen,                                             sehr geholfen, weil das Thema         von Atomwaffen wahrscheinlich
dass er einer der, ja, sichtbarsten   Also eine spannende Runde, in         in der Tat wichtig ist. Ich glau-     ist. Es werden vermutlich, das ist
und intimsten Kenner dieser Fra-      der wir jetzt diskutieren wollen,     be, dass wenn wir über die große      zu befürchten, mehr Staaten Nu-
gen ist, die wir in Deutschland       wie die globale Perspektive der       strategisch Fragen nachdenken:        klearwaffenstaaten werden. Hof-
haben. Joachim Krause, herzlich       Nichtverbreitung aussieht. Und        „Kernwaffen wohin und wo sieht        fentlich sehr moderat. Hoffentlich
willkommen! Zu meiner Rechten,        ich möchte alle von Ihnen in ei-      es mit der, oder wie sieht es mit     nur wenige. Und da hilft, und da
Dr. Oliver Meier, Atomwaffenex-       ner ersten Runde fragen, wie Sie      der nuklearen Abrüstung aus?“,        hat der Staatsminister eben gera-
perte der Stiftung Wissenschaft       denn die Risiken der Verbreitung      dann haben wir drei Realitäten.       de das Nötige gesagt, die ameri-
und Politik. Zuvor unter anderem      von Nuklearwaffen und vor allen       Die erste Realität ist mehrfach an-   kanische Politik überhaupt nicht.
auch lange Jahre Mitarbeiter im       Dingen auch die Chancen der           gesprochen worden: Kernwaffen         Die Wahrscheinlichkeit einer ira-
Bundestag, unter anderem bei der      Eindämmung bewerten, also ge-         werden ein Faktor der interna-        nischen Nuklearmacht ist gege-
Vorsitzenden des Ausschusses für      wissermaßen in Ergänzung, oder        tionalen Politik bleiben. Sie sind    ben – und wenn es dazu kommt,
Abrüstung und Rüstungskontrol-        womöglich auch in Widerspruch,        in ihrer Bedeutung erheblich re-      ist eine saudische Nuklearmacht
le und auch lange Jahre gewesen       als Kontrapunkt zu den Ausfüh-        duziert, weil einfach der größte      nicht allzu weit. Und das ist kei-
Korrespondent der „Arms Con-          rungen von Niels Annen, die wir       Teil der Probleme, die wir haben,     ne positive Aussicht und je mehr
Sie können auch lesen