Digital. Kommunal. Deutschland. Smart Nation durch Smart Regions - Verband kommunaler ...
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Erstellt mit Unterstützung: Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU) Invalidenstr. 91 10115 Berlin Durch die: Quadriga Hochschule Berlin Werderscher Markt 13 D-10117 Berlin Autoren: Mario Voigt, Christian Thorun und Kristina Sinemus Oktober 2017
Inhaltsverzeichnis Management Summary 2 Einleitung 7 Fünf Megatrends 10 Urbanisierung 12 Demographischer Wandel 14 Gesellschaftlicher Wandel 15 Klimawandel 16 Digitalisierung 18 Vision und Zielfoto 22 Vision: Die Lebensqualität in allen Regionen und Kommunen in der Smart Nation Deutschland ist Weltklasse. 23 Internationale Leitbilder 25 Lehren für Deutschland 27 Zielfoto: Smart Nation Deutschland durch Smart Regions. 29 Von der Vision zur Umsetzung: Die Rolle der Kommunalwirtschaft 32 Handlungsfelder und -empfehlungen: Politische Weichen in der neuen Legislatur richtig stellen 37 1. Deutschland erhält eine Smart Region-Strategie, klare Zuständigkeiten und eine effektive Koordination. 39 2. Deutschland wird Gigabit-Gesellschaft durch Glasfaser und 5G. 44 3. Deutschland ermöglicht Wachstumschancen, Datensouveränität und Sicherheit mit einem konsistenten Datengesetz. 49 4. Deutschland schafft einen Public Data Space. 51 5. Deutschland entwickelt eine smarte Gesetzgebung 4.0. 58 6. Deutschland setzt auf intelligente Mobilität. 61 7. Deutschland nutzt Chancen der Energiewende durch die Digitalisierung. 68 8. Deutschland beschleunigt in Experimentierräumen und Reallaboren. 73 Bibliographie 76 1
Management Summary. Deutschland ist ein Land der unterschiedlichen Ge- Während wirtschaftliche Aspekte und Potentiale durch schwindigkeiten: Es gibt Champions in ländlichen Re- die Digitalisierung bereits unter den Stichworten „In- gionen und städtische Schlafmützen, wie auch Smart dustrie 4.0“ oder „Internet der Dinge“ breit diskutiert Cities und weiße Flecken im ländlichen Raum. Es gibt werden, sind die Möglichkeiten der Digitalisierung für wirtschaftlich starke und schwache, demographisch die Sicherung der Daseinsvorsorge noch unterbelich- wachsende und schrumpfende Regionen, die munter tet. Diese Studie leistet einen Beitrag, diese Lücke zu nebeneinander existieren. Der Anspruch gleichwerti- schließen. ger Lebensverhältnisse bleibt auch in Zeiten der Me- gatrends Urbanisierung, demographischer Wandel, Mit der Digitalisierung kommen auf die vorhandenen gesellschaftlicher Wandel, Klimawandel und Digita- Strukturen der Daseinsvorsorge neue Anforderungen lisierung bestehen. Um die Abstände zwischen den zu. Es gehen mit der Digitalisierung Deutschlands Regionen zu verringern und ein Auseinanderdriften auch neue Möglichkeiten einher, die Lebensquali- zu verhindern, wirbt die Studie für eine gesamtstaat- tät zu steigern, Teilhabe sicherzustellen und die Zu- liche Strategie einer Smart Nation Deutschland, die kunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu be- differenzierte regionale Strategien unter einer Vision fördern. Smart Region ermöglicht. Regionen befinden sich heute in einem (inter)natio- Als Smart Nation nutzt Deutschland als eine weltof- nalen Konkurrenzkampf um Investitionen, aber auch fene, gesellschaftlich lebendige und wirtschaftlich als Wohn-, Arbeits-, Forschungs-und Wissensstand- prosperierende Nation die Chancen der Megatrends ort. Sie variieren in ihren Stärkenprofilen, was dazu und mitigiert erfolgreich ihre Risiken. Als offene Ge- führt, dass einzelne Regionen eines Landes nicht sellschaft und moderne Wirtschaftsnation werden in direkter Konkurrenz zueinanderstehen, sondern durch die digitale Transformation und gesellschaft- eher Synergien suchen (sollten). Berlin und München liche Innovationen sozial und kulturell integrierende konkurrieren mit London oder Singapur, während und nachhaltige Lebensräume in Städten und Ge- Jena und Freiburg eher mit Toulouse und Chennai meinden geschaffen. im Wettbewerb stehen. Laut aktueller Studien stehen Die Lebensqualität bleibt in allen deutschen Regio- für Deutschland und seine Regionen in den nächsten nen und Kommunen Weltklasse. Egal, ob jemand auf Jahren zwei wesentliche Zieldimensionen an (Bertels- dem Land oder in der Stadt lebt, auf die Daseinsvor- mann 2017, Eco 2017, Parsons u.a. 2016): sorge können sich die Bürger verlassen – 24 Stunden „Wirtschaftskraft stärken“ und am Tag und 7 Tage in der Woche. „Daseinsvorsorge sichern und ausbauen“. 2
Zentrale Gelingensbedingung hierfür ist ein Denken tivitäten. Ausgestattet mit einem eigenen Haushalt in Smart Regions. Solche smarten Regionen zeichnen und Ressourcen lassen sich wesentliche Maßnah- sich durch eine umfangreiche und sinnvolle Nutzung men vorantreiben. Alle Bundesministerien und ent- von Informations- und Kommunikationstechnologien sprechend auch alle nachgelagerten Behörden, die (IKT) aus. Voraussetzungen einer erfolgreichen digi- Bundesländer und Kommunen müssen ihre Prozes- talen Transformation hin zu einer Smart Nation sind: se und Projekte koordiniert digitalisieren. Ein nationa- - eine umfassende politische Digitalstrategie, les CDO-Gremium tauscht sich über Fortschritte aus - der Aufbau einer leistungsstarken Netzinfrastruktur und ermöglicht ein kontinuierliches Monitoring und und Lernen. - die Schaffung digitaler Standards und rechtlicher Rahmenbedingungen. 2. Deutschland wird Gigabit-Gesellschaft durch Glas- Aus der Studie und den untersuchten Handlungsfel- faser und 5G mit einer erstklassigen Infrastruktur und dern ergeben sich für die Smart Nation Deutschland durch eine konsequente Referenzarchitektur für öffent- die folgenden wesentlichen Handlungsschwerpunk- liche Daten zur Stärkung der Daseinsvorsorge 4.0. te: Deutschland steht für höchsten Technologiestan- 1. Deutschland erhält eine Smart-Region-Strategie dard. Beim Ausbau moderner Glasfaserverbindun- als Digitalisierungsweg und eine zentrale Koordinati- gen liegt Deutschland jedoch mit knapp 1 Prozent on durch einen bundesweiten Chief Digital Officer. schneller Glasfaserverbindungen an allen Breitban- danschlüssen deutlich zurück. Anspruch einer Smart In den digitalen „Spitzenländern“ existiert eine kon- Nation sollte sein, dass jede Gemeinde eine gut aus- sistente digitale Strategie, klare Zuständigkeiten und gebaute Ausfahrt von der Datenautobahn erhält. Le- eine effektive Koordination. An einem solchen Vorge- diglich Netze auf Glasfaserbasis vermögen langfristig hen mangelt es in Deutschland bislang. Beleg ist die den wachsenden Bedarf nach sehr hohen Bandbrei- Zersplitterung der Zuständigkeit für das Querschnitts- ten jenseits der 50 Mbit/s befriedigen zu können. Der thema Digitalisierung in der vergangenen Legislatur- Breitbandausbau ist das wichtigste Infrastrukturpro- periode. jekt der nächsten Legislaturperiode: Ein echtes Inf- rastrukturziel Glasfaser. Alle rechtlichen und regula- Die richtige Zeit ist jetzt: Die Bundesregierung soll- torischen Maßnahmen und auch Förderprogramme te eine kohärente Vision für eine Smart Nation-Stra- müssen auf dieses Ziel hinwirken und Investitionen in tegie entwickeln, die als Schwerpunkt eine Smart den Glasfaserausbau bis in die Wohnung und bis in Region-Strategie mit Beteiligung wesentlicher Stake- die Unternehmen forcieren. Auch für ein leistungsfä- holder und Fokus auf Daseinsvorsorge 4.0 enthält. higes 5G-Netz, das die Glasfaseranschlüsse bei mo- Die Kompetenzen für die Digitalisierung sind sowohl biler Nutzung ergänzt, ist eine Glasfaseranbindung bei den Bundesministerien als auch bei den Bundes- der Antennen unabdingbar. Als Innovationsführer behörden zu bündeln. Überdies ist eine Verzahnung stellt Deutschland bis 2025 ein hochleistungsfähiges mit der lokalen Ebene zu gewährleisten. 5G-Netz bereit. Diese beständig verfügbare digitale Digitalisierung ist Chefsache: Ein Chief Digital Officer Infrastruktur bildet die Basis für viele neue Dienstleis- koordiniert und bündelt nationale wie regionale Ak- tungen, Anwendungen und Geschäftsmodelle. 3
Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Studien sehen 3. Deutschland setzt konsistente Regeln für den Um- das volkswirtschaftliche Potenzial im Umgang damit gang und die Nutzung von Daten. Das Geschäft mit zwischen 12,1 und 131,1 Milliarden Euro pro Jahr – je regionalen Daten fördert Wertschöpfung vor Ort. nach aktiver oder reaktiver Nutzung. Kommunale Un- ternehmen verfügen über unzählige Daten, die für ihre In der Nutzung von Daten stecken ungemeine Wachs- Aufgabenerfüllung wesentlich sind. Ihr sicherer Aus- tumschancen in Deutschland. Gleichzeitig gilt es je- tausch und die einfache Verbindung in Wertschöp- doch, das Grundrecht auf informationelle Selbstbe- fungsnetzwerken sind Voraussetzung für Smart Re- stimmung der Bürger zu schützen. Die EU hat mit der gions, innovative Leistungsangebote für die Bürger Datenschutzgrundverordnung bisherige Konzepte und automatisierte Geschäftsprozesse. der Datensouveränität und -sicherheit grenzübergrei- fend im europäischen und internationalen Kontext Eine Referenzarchitektur für Vernetzung von lokalen weiterentwickelt. Prägend für die deutsche Datenho- Daten ist notwendig, die Schnittstellen, Sicherheits- heit und deren Rechtsrahmen sind Fragmentierung anforderungen und Protokolle definiert. Damit dies vor allem im Verfassungs-, Datenschutz-, Urheber- nach fest definierten Standards auf einem deutsch- und Strafrecht. landweit einheitlichen Markt verläuft, sollte die Bun- desregierung eine Initiative unterstützen, die Deutsch- Wir sprechen uns für eine höhere Rechtssicherheit land zum Land eines öffentlichen Datenraums (Public aus, um Daten auch wirtschaftlich zu nutzen. Das Data Space) profiliert. Das BMBF hat hierzu nach Ge- Rückgrat eines digitalisierten Staates besteht aus ei- sprächen mit dem VKU bereits eine Vorstudie beim ner wachsenden dezentralen Dateninfrastruktur und Fraunhofer-Konsortium unter der Leitung des Fraun- einer sicheren elektronischen Identifizierung. Hierfür hofer FOKUS beauftragt. gilt es, einen einheitlichen, klaren und förderlichen Rahmen zu schaffen. Ziel ist es, die Daten als Bindeglied zwischen öffent- lichen Leistungen, moderner Daseinsvorsorge und In einer digitalen Gesellschaft haben Daten einen neuen Leistungsangeboten über Smart Services zu Wert. Und ihr Mehrwert muss vor Ort sichtbar werden profilieren. Es entsteht so ein Referenzarchitekturmo- – sonst schwinden Akzeptanz und Vertrauen. Open dell, das die technologischen Voraussetzungen ent- Data alleinig zum Nulltarif übersieht bspw. investive wickelt wie auch die nötigen Schutz-, Governance-, Kosten in Infrastrukturen wie der Energie-, Wasser- Kooperations- und Kontrollmechanismen. Ein Public oder Breitbandversorgung. Aus diesen Infrastruk- Data Space erlaubt eine Beschleunigung des E-Go- turen entstehen vor Ort eine ungeheure Menge von vernments in Deutschland, weil es die Analyse und Daten, deren Mehrwert auch lokal sichtbar werden gegebenenfalls Anpassung von Gesetzen und Ver- sollte. Kommunale Unternehmen müssen als Daten- ordnungen in Bund, Ländern und Kommunen ermög- produzenten auch die Möglichkeit haben, die Daten licht. So kommt es zu echtem E-Government statt nur für Smart Services und für die Smart Regions zu nut- die Bürokratie online zu bringen. zen oder eben Erlöse aus der Weitergabe der Daten 4
zu erhalten. Deshalb brauchen wir ein Datengesetz, Die Entwicklung in Zeiten der Digitalisierung ist durch das Rechtssicherheit gewährleistet und die wirtschaft- einen aktiven Mult-Stake-Holder-Ansatz geprägt. liche Nutzung von Daten regelt. Alle relevanten Akteure sind in die Ausarbeitung ein- In einem Stufenmodell sind frei verfügbare Daten heitlicher digitaler Standards und Vorgehensweisen (Open Data) von denen zu trennen, für deren Abruf einzubinden. Das Fachwissen der verschiedenen Kosten entstehen. Der Preis ist dabei abhängig von staatlichen Ebenen, der Wirtschaft, Gesellschaft und der Granularität der bereitgestellten Daten. Nicht öf- Wissenschaft erweitert den Blickwinkel der Politik und fentlich verfügbar und weiterhin streng zu schützen schafft gegenseitiges Vertrauen und Verständnis. Bei sind personenbezogene Daten oder Daten kritischer der Entwicklung hin zu Smart Regions sind gerade Infrastrukturen. auch die Kommunen und die kommunalen Unterneh- men als die Akteure einzubeziehen, die die Umset- 4. Deutschland setzt auf smarte Gesetzgebung, ei- zung vor Ort dezentral zu leisten haben und bei de- nen Multi-Stake-Holderansatz und Experimentierräu- nen die Fäden zusammenlaufen. me, die Betroffene zu Beteiligten machen. 5. Deutschland führt die Energiewende durch die Die hohe Innovationsgeschwindigkeit digitaler Ge- Digitalisierung zum Erfolg und setzt auf intelligente schäftsmodelle und Technologien, ihr grenz-über- Mobilität als wesentliches gesellschaftliches Hand- schreitender Charakter sowie immer stärker divergie- lungsfeld im digitalen Zeitalter. rendeNutzererwartungenstellen eine Herausforderung für klassische Regulierungs- und Rechtsdurchset- Die Digitalisierung ermöglicht erweiterte Gestaltungs- zungsansätze dar. In der Vergangenheit haben die räume, bspw. bei der Energiewende oder der Mobi- europäischen und nationalen Gesetzgeber hierauf lität. oft damit reagiert, dass sie entweder sehr spezifi- sche Regelungen erlassen haben, die schnell durch Die Mobilität wird individueller und gleichzeitig ge- technologische Entwicklungen überholt waren oder meinschaftlicher: Die Bürger setzen auf individuelle sie haben abstrakte und technikneutrale Regelungen Mobilitätsangebote aus öffentlichem Personenver- verabschiedet. In der neuen Legislaturperiode sollte kehr, gemeinschaftlicher Nutzung von Automobilen verstärkt auf einen smarten Mix von Regulierungsan- und anderen alternativen Transportmöglichkeiten. sätzen gesetzt werden. Staatliche Regulierung dann, Der deutsche Markt für Mobilitätsdaten wird auf einen wenn nötig, um Leitplanken zu setzen. Dort, wo Ent- zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag geschätzt. Mit wicklungsräume existieren oder wo rechtliche Nor- 11,4 Milliarden Fahrgästen im Liniennah- und -fern- men untergesetzlich konkretisiert werden könnten, verkehr mit Bussen und Bahnen im Jahr 2016 steigt sollte jedoch stärker auf Ko-Regulierungsansätze und die Nutzung beständig. Laut dem Verband Deutscher Experimentierräume gesetzt werden. Verkehrsunternehmen e. V. (VDV) werden dadurch 5
täglich 20 Mio. Autofahrten auf Deutschlands Straßen meter bis 380.000 Kilometer bis zum Jahr 2032 ge- ersetzt. Trotz dessen gehören Stau, Verschmutzung schätzt. Durch den Einsatz intelligenter Technologien und Lärm zum alltäglichen Bild auf deutschen Stra- kann dieser um etwa 55 Prozent verringert werden. ßen. Digitale Lösungen und Verbesserungen in den Damit wird der Anstieg der Stromrechnungen aller Bereichen Infrastruktur, Sharing, EMobility und ÖPNV Bürger um 400 Mio. Euro jährlich gedämpft. Dezent- vermögen diese Situation zu ändern und gleichzeitig rale, miteinander kommunizierende Einheiten werden Effizienzgewinne zu realisieren. zukünftig eine flächendeckende und durchgehende Energieversorgung garantieren und die bisherigen Energiewende, dezentrale Erzeugung, Datenauswer- zentralistischen Strukturen ablösen. tungen, neue damit einhergehende Sicherheitsanfor- derungen und nicht zuletzt das „Internet der Dinge“ In der Smart Nation Deutschland kommt insbesonde- betreffen Energieversorgungsunternehmen. Mit dem re den Regionen und den Kommunen eine besonde- Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende ist eine re Rolle zu. Auf dem Weg zur Smart Nation Deutsch- wichtige Grundlage für eine vernetzte Energiewelt land geht es um die Lösungsstärken der regionalen gelegt. Der dezentrale Charakter der Energiewen- Akteure. Will Deutschland eine digitale Führungsrol- de wurde allerdings negiert. Um die vollen Potentiale le gelingen, muss es stärker auf die regionalen Lö- neuer technologischer Möglichkeiten wie Smart Me- sungskonzepte und Smart Regions setzen. ter (intelligente Zähler), Smart Grids (intelligente Net- ze) oder E-Mobilität zu nutzen, müssen kommunale Unternehmen Datenhoheit erlangen. Die Energiewende findet vornehmlich in den Verteil- netzen statt, an die 97 Prozent der erneuerbaren Ener- gieerzeugungsanlagen angeschlossen sind. Nicht für die große Mengen Solar- und Windstrom ausge- legt, wird der benötigte Ausbau des Verteilnetzes vom Bundeswirtschaftsministerium auf 130.000 Kilo- 6
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN Einleitung Die Digitalisierung ist in aller Munde. Menschen Im internationalen Vergleich sticht Deutschland mo- shoppen online, tätigen ihre Bankgeschäfte auf dem mentan durch einen defensiven Umgang mit der Tablet, buchen ihre Reiseverbindungen online, prü- digitalen Transformation hervor. Ob Breitbandaus- fen ihren Energieverbrauch auf dem Smartphone, bau, E-Government oder Industrie 4.0, Deutschland bewegen sich digital unterstützt und bestellen das ist im internationalen Vergleich der Industrieländer Taxi mit der App. Die Menschen sind vernetzt und nur Mittelklasse. Angesichts weiterer Megatrends „always on“, ob im persönlichen Umfeld oder in der wie Urbanisierung, demographischer Wandel, ge- sellschaftlicher Wandel und Klimawandel reicht ein Berufswelt – und mit ihnen die „Dinge“ ihres Lebens- defensiver Umgang mit der digitalen Transformation umfeldes vom Smart-Phone und -TV, über das Haus auf Dauer allerdings nicht aus. So wächst der Druck bis zum Auto. Bereits im Jahr 2020 werden bis zu 50 auf Politik und Wirtschaft, adäquate Antworten auf Milliarden Dinge – Maschinen, Geräte und Fahrzeu- die Zukunftsfragen zu finden und Deutschland zu ge – über das Internet verbunden sein (Bundesre- einer Smart Nation zu machen. gierung, 2017). Im digitalen Zeitalter gilt: Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Da in einer vernetzten Welt die Bürger1 eine ähnli- che digitale Angebotsvielfalt erwarten, wie sie es im Durch die Digitalisierung ändern sich Geschäfts- privaten Bereich gewohnt sind, wachsen die Erwar- modelle und Wertschöpfungsketten. Es verwundert tungen an den Staat und die öffentliche Daseinsvor- also nicht, dass sorge. Kommunen und kommunale Unternehmen gewinnen als lokale Erfahrungsräume an Bedeutung - das weltgrößte Taxiunternehmen kein Taxi besitzt. und werden gleichzeitig von den Bürgern gefordert. Sie sollen die Infrastrukturen der digitalen Gesell- - das weltgrößte Medienunternehmen keine Inhalte schaft sicherstellen – ob die flächendeckende Ver- produziert. sorgung mit schnellem Breitband oder auch intelli- gente Energie- und Verkehrsnetze. - der weltgrößte Anbieter für Wohnunterkünfte keine Immobilie besitzt. Internationale Beispiele wie in Estland, Schweden oder Österreich belegen, dass die Leistungen der Was sind die Sicherheiten in dieser disruptiven Welt? Daseinsvorsorge durch die Digitalisierung effekti- Was machen diejenigen, die für die Daseinsvorsorge ver, effizienter und bürgernäher zur Verfügung ge- seit Jahrzehnten da sind und jetzt auf die Verände- stellt werden können. Doch wie soll das Flächenland rungsprozesse blicken? Und welche Chancen bie- Deutschland in seiner Siedlungsstruktur zwischen tet der Megatrend Digitalisierung für Deutschland? 8
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN städtischen und ländlichen Räumen darauf reagie- Studie das Bild einer Smart Nation Deutschland, die ren, ohne den Anspruch gleichwertiger Lebensver- ihre Stärke aus der intelligenten Anwendung der Di- hältnisse aufzugeben? gitalisierung in den Regionen zieht. Es gewinnen die Regionen und Kommunen an Be- Um die Veränderungsprozesse offenzulegen, wird deutung, die sich heute in einem (inter)nationalen in einem ersten Teil auf die Megatrends Urbanisie- Konkurrenzkampf um Investitionen, aber auch als rung, demographischer und gesellschaftlicher Wan- Wohn , Arbeits , Forschungsund Wissensstandort del, Klimaveränderungen und die Digitalisierung ein- befinden. Deutschland präsentiert sich dabei als ein gegangen. Daraus ergeben sich Ideen einer Smart Land der unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Es Nation Deutschland durch Smart Regions, die ge- gibt Champions in ländlichen Regionen und städti- gen internationale Best Practice Beispiele gespie- sche Schlafmützen, wie auch Smart Cities und wei- gelt werden. Schließlich werden im dritten Teil unmit- ße Flecken im ländlichen Raum. Sie alle sehen sich telbare Handlungsempfehlungen für die kommende durch die Digitalisierung herausgefordert und su- Legislaturperiode 2017-2021 abgeleitet. chen ihren Weg zu einer Smart Region. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit den Prof. Dr. Mario Voigt, Prof. Dr. Christian Thorun und Chancen der Digitalisierung für die Smart Nation Prof. Kristina Sinemus Deutschland. Der Blick ist dabei auf die Kommu- Berlin, Oktober 2017 nen und die kommunalen Unternehmen gerichtet. Es werden Handlungsfelder für die nächste Legisla- turperiode 2017-2021 identifiziert, die angegangen werden müssen, um die Potentiale der Digitalisie- rung für die Daseinsvorsorge besser zu nutzen. Auf der Basis von Expertengesprächen, einer Analyse von Fachstudien und Internetrecherchen entwirft die Auf eine geschlechtsindikative Doppelung oder Endung wird aus stilistischen Gründen verzichtet. Der 1 Plural meint immer beide: Bürgerinnen und Bürger, Nutzerinnen und Nutzer, Verbraucherinnen und Ver- braucher etc. 9
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN Fünf Megatrends. 10
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN Fünf Megatrends URBANISIERUNG DEMOGRAFISCHER WANDEL GESELLSCHAFTLICHER WANDEL KLIMAWANDEL DIGITALISIERUNG Das Gesicht Deutschlands wird sich verändern. Fünf in Städten und Gemeinden haben. Sie bestimmen Megatrends werden bis zum Jahr 2050 wesentliche auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Auswirkungen auf die Lebensqualität von Bürgern kommunaler Unternehmen. 11
12 Wachsen oder schrumpfen? | BBSR-Messkonzept für Wachstum und Schrumpfung EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN Karte 3 a–c Wachsende und schrumpfende Städte und Gemeinden im Zeitvergleich a) Zeitintervall 1998–2003 b) Zeitintervall 2003–2008 URBANISIERUNG Hamburg Hamburg BBSR-Analysen KOMPAKT 12/2015 Berlin Berlin Köln Köln Global betrachtet stellt die Urbanisierung einen der wachsen. Gleichzeitig gibt es aber gerade im Osten Megatrends des 21. Jahrhunderts dar. Die Vereinten und in der Mitte Deutschlands Regionen, die sich Nationen gehen davon aus, dass sich die Bevölke- Frankfurt/M. stark verändern und auch schrumpfen (Bundesins- Frankfurt/M. rung in Städten bis zum Jahr 2050 weltweit nahezu titut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2015). verdoppeln wird (United Nations, 2016b, S. 5). Die- Das Management der Zu- und Abwanderungen und ser Trend wird Deutschland von der Tendenz her die damit einhergehenden Implikationen für Wohn- auch betreffen. In Deutschland leben derzeit rund raum, Beschäftigung und Infrastrukturen stellen eine 233 Einwohner je Quadratkilometer,München drei Viertel der enorme Herausforderung dar (Deutscher Städtetag, München Bevölkerung lebt in Städten und besonders die Bal- 2015, S. 4). lungszentren sowie deren umliegende Regionen c) Zeitintervall 2008–2013 Relative, am bundesweiten Trend gemessene Wachstum/Schrumpfung: stark wachsend wachsend stabil Hamburg schrumpfend Berlin stark schrumpfend Betrachtete Entwicklungsindikatoren: Bevölkerungsentwicklung 2008–2013 durchschnittlicher Wanderungssaldo der Köln Jahre 2009–2013 Entwicklung der Erwerbsfähigen 2008–2013 Beschäftigtenentwicklung 2008–2013 Frankfurt/M. Entwicklung der Arbeitslosenquote 2007/8–2012/13 Entwicklung der Gewerbesteuer 2007/8–2012/13 Klassifizierung nach der Häufigkeit von Entwicklungs- indikatoren im untersten (20 % aller Werte) Quintil - stark schrumpfend: 3–6 Indikatoren im untersten Quintil - schrumpfend: 1–2 Indikatoren im untersten Quintil München - stabil: keine Indikatoren im untersten oder obersten Quintil - wachsend: 1–2 Indikatoren im obersten Quintil - stark wachsend: 3–6 Indikatoren im obersten Quintil 100 km © BBSR Bonn 2015 Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR Geometrische Grundlage: BKG/BBSR Einheitsgemeinden und Gemeindeverbände 31.12.2013 Bearbeitung: A. Milbert Abbildung 1: Geografischer Überblick über das Wachsen und Schrumpfen von Städten und Gemeinden im Zeitintervall 2008 bis 2013 im bundesweiten Vergleich (Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2015) 12
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN URBANISIERUNG Denn auf der einen Seite müssen Infratrukturen für Bei all den Veränderungen bleibt das Ziel, gleich- die neuen Bewohner aufgebaut und auf der anderen wertige Lebensverhältnisse in allen Regionen zu ge- Seite Kapazitäten an die schrumpfenden Einwohner- währleisten – sei es auf dem Dorf, in der Kleinstadt zahlen angepasst, abgebaut bzw. anderwärtig sinn- oder in der Metropole. Denn alle Bürger haben ein voll genutzt werden. Die notwendigen Anpassungen Recht auf eine funktionierende Daseinsvorsorge 24 und Umbauten von Infrastrukturen verursachen Kos- Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche, ganz ten für die Kommunen und kommunale Unterneh- gleich, ob es etwa um die Energie- und Wasser- men. Hierbei ist zu beachten, dass eine wachsende versorgung oder um die Sauberkeit im öffentlichen Einwohnerzahl nicht zwingend zu einer Steigerung Raum geht. der Einnahmen führt, da die Anpassungskosten die Mehreinnahmen übersteigen können (Rottmann & Grüttner, 2016, S. 15). 13
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN DEMOGRAFISCHER WANDEL Zwar sind die demographischen Entwicklungen in (Statistisches Bundesamt, 2015, S. 17–19). den einzelnen Regionen Deutschlands uneinheit- Im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung geht das lich, dennoch geht das Statistische Bundesamt von Statistische Bundesamt davon aus, dass die Einwoh- einer gravierenden Veränderung in der Altersstruk- nerzahl von derzeit rund 81 Millionen auf 68 bis 73 tur und tendenziell von einem langfristigen Bevölke- Millionen im Jahr 2060 sinken wird. Der Grund liegt rungsrückgang aus. Das heutige Medianalter2 von im Sterbeüberschuss, d.h., dass die Zahl der Ge- rund 45 Jahren wird im Jahr 2030 auf 48 Jahre und storbenen die Zahl der Geborenen stark übersteigt. im Jahr 2060 auf 51 Jahre ansteigen. In anderen Es entsteht eine Lücke, die nicht durch Zuwande- Worten: Während es heute fast genauso viele junge rung geschlossen werden wird (Statistisches Bun- Einwohner unter 20 Jahren wie ältere Einwohner im desamt, 2015, S. 15). Hierdurch wächst der Druck Alter von 65 Jahren und älter gibt, wird es im Jahr auf Kommunen und kommunale Unternehmen, be- 2060 nur noch halb so viele junge Einwohner wie stehende Infrastrukturen an die sich verändernden Schaubild 2 Menschen im Alter von 65 Jahren und älter geben Anforderungen anzupassen. Bevölkerungzahl von 1950 bis 2060 Ab 2014 Ergebnisse der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung Millionen Personen 90 85 Variante 2: Stand vor dem Zensus Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung geschätzte 80 Entwicklung Stand nach dem Zensus 75 Variante 1: Kontinuität bei schwächerer Zuwanderung 70 65 60 55 1950 60 70 80 90 2000 10 20 30 40 50 2060 2015 - 15 - 0379 Abbildung 2: Bevölkerungszahl von 1950 bis 2060 (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2015, S. 15) 2 Hierbei wird die Gesamtbevölkerung in eine jüngere und eine ältere Hälfte geteilt. 14
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN GESELLSCHAFTLICHER WANDEL Gesellschaften verändern sich. Kennzeichnend für Drittens sind die Deutschen zwar weiterhin weltof- die deutsche Gesellschaft sind erstens eine Indivi- fen, gleichzeitig ist ihnen aber eine deutsche Her- dualisierung der Lebensstile und eine Suche nach kunft von Produkten und Dienstleistungen wichtig. Sicherheit. Es gibt eine steigende Anzahl der Bür- So konstatieren die Marktforscher von Nielsen, dass ger, die mit der rasanten Entwicklung in einer globa- der Herkunftsort zu einem immer wichtigeren Diffe- len Welt nicht mehr mitkommt. Verunsicherung ent- renzierungsmerkmal wird. Neben dem Preis-/Leis- steht durch Terror, Finanz- oder Umweltkrisen. Viele tungsverhältnis schätzen die Deutschen die Um- Menschen setzen daher auf Sicherheit, Beständig- weltfreundlichkeit sowie bisherige Erfahrungen bei keit und Verlässlichkeit. Für die Deutschen stellt ihr deutschen Marken (Nielsen, 2016). direktes Umfeld, auf das sie selbst Einfluss nehmen können, den wichtigsten Bezugspunkt dar. Die Su- Viertens führt der gesellschaftliche Wandel von der che nach Stabilität erfolgt in regionalen Bezügen. Tendenz her auch zu einer Einkommenspolarisie- In einer zunehmend digitalen Welt vereinsamen die rung, Bildungsarmut sowie räumlichen Segregation Deutschen nicht, sondern ziehen sich in die eigene (Deutscher Städtetag, 2015, S. 4; Rottmann & Grütt- Welt des Bekannten und der Gleichgesinnten zu- ner, 2016, S. 15). rück, unterstützt durch Apps und das mobile Internet (dieser Trend wird auch als „digitalen Biedermeier“ Diese gesellschaftlichen Veränderungen müssen bezeichnet) (Werte-Index, 2015). bei der notwendigen Umgestaltung der Lebensräu- me mitberücksichtigt werden, um die Akzeptanz der Zweitens ändert sich das Werteverständnis weg Bürger für Veränderungen sicher zu stellen. vom Besitzen hin zum Nutzen. So können sich etwa 88 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Meinungsumfrage grundsätzlich vorstellen, Din- ge zu verleihen und Sharing-Angebote zu nutzen (Verbraucherzentrale Bundesverband, 2015, S. 8). Auch erfreuen sich Sharing-Angebote, wie etwa das Car-Sharing einer wachsenden Beliebtheit. Mittler- weile gibt es in Deutschland beispielsweise 1,72 Millionen Car-Sharing-Nutzer und 17.200 Car-Sha- ring-Fahrzeuge. Das entspricht einem Zuwachs von 36 Prozent bei den Nutzerzahlen und knapp 7 Pro- zente bei den Fahrzeugen im Vergleich zum Vorjahr 2016 (Bundesverband CarSharing e.V., 2017). 15
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EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN KLIMAWANDEL Von den Zielen ist die Bundesrepublik aktuell jedoch gen des Klimawandels umgehen. Extreme Wettere- noch weit entfernt. So zeigt das Umweltbundes- reignisse wie Hitzeperioden, außergewöhnlich hohe amt auf, dass die Treibhausgasemissionen im Jahr Niederschlagsmengen und Sturm fordern sowohl die 2016 sogar wieder gestiegen sind. Auch konstatiert technische Infrastruktur, Gesundheitssysteme so- es, dass sich die Treibhausgasemissionen im Ver- wie die Wasserversorgung und -entsorgung heraus. kehrsbereich im Vergleich zum Jahr 1990 nicht ver- So gehen Hitzeperioden beispielsweise mit höheren ringert haben (Umweltbundesamt, 2017, S. 10–11; Energiebedarfen für die Kälteerzeugung einher. Bei Agora Energiewende, 2017). Die Herausausforde- Starkregen wird die Wasserentsorgung bzw. der rungen bei der Dekarbonisierung bleiben demnach Hochwasserschutz beansprucht. Diese Entwicklun- enorm. gen führen dazu, dass Fragen der Anpassung und Neben der Herausforderung, Treibhausgase zu mi- Resilienz der Infrastrukturen an Bedeutung gewin- nimieren, müssen die Kommunen und kommunale nen (Rottmann & Grüttner, 2016, S. 14). Unternehmen gleichzeitig auch mit den Auswirkun- 17
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN DIGITALISIERUNG Der Megatrend der Digitalisierung wirkt in einer Im internationalen Vergleich sticht Deutschland der- Vielzahl unterschiedlicher Wirtschafts- und Lebens- zeit durch einen defensiven Umgang mit der digita- bereiche. Die Digitalisierung ermöglicht neue Ge- len Transformation hervor. Während zwar bestehen- schäftsmodelle für Unternehmen und verändert die de Prozesse und Anwendungen optimiert werden, Art und Weise wie Bürger leben, kommunizieren, fürchtet man in Deutschland eher das disruptive In- arbeiten und konsumieren. In der Welt der digita- novationspotenzial der Digitalisierung statt es aktiv len Ökonomie straucheln langjährige Maximen der zu nutzen (Bertelsmann 2017, S. 15). Betriebswirtschaftslehre wie „je größer, desto kos- tengünstiger“. Im Zuge der Digitalisierung von In- In der in Deutschland lebhaft geführten Diskussion dustrieund Energiesystemen sinken die Grenzkos- über das Thema „Industrie 4.0“ offenbart sich eine ten der Produktion drastisch. Kunden werden selbst sehr technische Debatte, die die intelligente Ver- zum Produzenten und haben an der Wertschöpfung netzung von Produktionstechniken mit modernen teil. Solche Veränderungen schaffen Raum für neue, Informations- und Kommunikationstechnologien in agile Anbieter und setzen bisherige Geschäftsmo- den Vordergrund stellt. Die möglichen gesamtge- delle unter Zugzwang. sellschaftlichen Vorteile und digitalen Anwendungs- Deutsche Indlandversorgung 1 - Wachstum ausgewählter Branchen/Industriezweige 16,5 % CAGR2 CAGR2 2010- 2015 2017- 2022 5,7 % 5,3 % 4,4 % 3,3 % 2,1 % 1,7 % 1,3 % 0,5 % Chemische IKT- Ernährungs- Elektro- Kunststoff- Automobil- Spedition & Maschinen- Smart City Industrie Branche industrie industrie industrie industrie Logistik bauindustrie Abbildung 4: Wachstumsfelder in Deutschland nach Sektoren (Quelle: Eco, 2017) 18
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN DIGITALISIERUNG möglichkeiten werden jedoch nachrangig bespro- zeigt eine Untersuchung der Vereinten Nationen al- chen. Es fehlt bislang an einer Vision für eine digitale lerdings, dass sich Deutschland im Mittelfeld der In- Gesellschaft. Es verwundert daher nicht, dass Ex- dustrieländer befindet. So belegt Deutschland beim perten für Deutschland eine umfassende Strate- E-Government Development-Indikator den 15. Platz gie, geeignete Rahmenbedingungen für Start-ups, und beim E-Participation-Indikator den 27. Platz Innovationen im öffentlichen Sektor und einen kon- (United Nations, 2016a, S. 111 und 56). In der Kritik sequenten Ausbau digitaler Kompetenzen fordern steht besonders der öffentliche Sektor. Während in (Parsons u.a., 2016; EFI, 2016b). anderen Ländern digitale Lösungen mit spürbarem Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, Nutzen für die Bürger erarbeitet werden, existiert in dass Bezeichnungen wie „Internet der Dinge“ oder deutschen Amtsstuben eine „Digitalen Service-Wüs- „Big Data“ bei nicht einmal mehr einem Fünftel und te“ (EFI, 2016b). Der Nationalen Normenkontrollrat selbst „Industrie 4.0“ nur für 15 Prozent der Bür- brachte es auf die einfache Formel: „E-Government ger ein Begriff sind (Müller u.a., 2016). Im Digital in Deutschland gibt es nicht“, nachdem gerade ein- Economy & Society Index (DESI) der Europäischen mal die Hälfte der von ihm untersuchten Kommunen Union befindet sich Deutschland bei den digitalen mehr als zwei Onlinedienste zur Verfügung stellten Kompetenzen im Mittelfeld der EU-Staaten, deutlich (Fromm u.a., 2015). Dabei gibt es ein wachsendes hinter den skandinavischen Ländern, dem Vereinig- Interesse für die kommunalen Bezüge und ihre di- ten Königreich oder den Niederlanden (European gitale Beteiligung. So gaben die Hälfte der Befrag- Commission, 2016). ten an, sich grundsätzlich gerne über das Internet an politischen Entscheidungen zu beteiligen und Infolge der Digitalisierung verschieben sich auch 79 Prozent sagten, dass es ihr Vertrauen zur Poli- die Erwartungen von Bürgern an die Kommunen tik stärken würden, wenn sie die Möglichkeit hätten, und kommunale Unternehmen. Sie fordern digita- sich bei Großprojekten und -vorhaben in ihrer Region le Dienstleistungen, online- Serviceorientierung der nicht nur bei Bürgerversammlungen, sondern auch Verwaltung, Energie- und Logistiklösungen. So be- im Internet an der Entscheidungsfindung zu betei- fördern sie den Smart-City-Markt in Deutschland, ligen (forsa, 2014, S. 2 und 10). In einer weiteren der sich von circa 20,4 Milliarden Euro im Jahr 2017 Befragung gaben im Jahr 2015 knapp 37 Millionen auf rund 43,8 Milliarden Euro mehr als verdoppeln Bundesbürger an, dass sie Interesse an Online-Be- soll (Eco, 2017). hördengängen hätten (IfD Allensbach, 2015). Im Hinblick auf Bürgerserviceorientierung und Bür- In ihrem Impulspapier zur Digitalpolitik hat die Bun- gernähe durch E-Government und E-Partizipation desregierung in der vergangenen 18. Legislaturpe- 19
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EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN DIGITALISIERUNG Aspekte und Potentiale durch die Digitalisierung be- reits unter den Stichworten „Industrie 4.0“ oder „In- ternet der Dinge“ breit diskutiert werden, sind die Möglichkeiten der Digitalisierung für die Sicherung der Daseinsvorsorge noch unterbelichtet. Zum ei- nen müssen die Infrastrukturen an die Anforderun- gen der digitalen Gesellschaft angepasst werden. Das betrifft insbesondere die flächendeckende Ver- sorgung mit schnellem Breitband oder auch intel- ligente Energie- und Verkehrsnetze. Zum anderen ermöglicht die Digitalisierung es, Leistungen der Daseinsvorsorge effektiver, effizienter und bürger- näher zur Verfügung zu stellen (Machina Research, 2016, S. 10). Die oben genannten fünf globalen Megatrends eröff- nen Deutschland Chancen und Herausforderungen. Diese werden in Abbildung 4 zusammengefasst. 21
Vision und Zielfoto. 22
EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN Vision und Zielfoto Vision: Die Lebensqualität in allen Regionen und Kommunen in der Smart Nation Deutschland ist Weltklasse. Vor dem Hintergrund der Megatrends entwerfen wir Den Herausforderungen der Megatrends begegnet die folgende Vision für ein lebenswertes, digitales Deutschland mit gedanklicher Offenheit, politische und kommunales Deutschland im Jahr 2030: Klarheit sowie sozialen und wirtschaftlichen Ambiti- Als Smart Nation nutzt Deutschland als eine onen. Es nimmt die Veränderungsprozesse auf und weltoffene, gesellschaftlich lebendige und wirt- setzt mit der Vision Smart Nation Deutschland auf schaftlich prosperierende Nation die Chancen die räumliche Stabilität in den föderalen und regio- der Megatrends und mitigiert erfolgreich ihre Ri- nalen Stärken des Landes. Folgenden Aspekte be- siken. Als offene Gesellschaft und moderne Wirt- inhaltet ein solcher Ansatz: schaftsnation werden durch die digitale Transfor- • Vom Bürger aus denken: Die Transformation und mation und gesellschaftliche Innovationen sozial die notwendigen Umgestaltungen sind vom Bürger und kulturell integrierende und nachhaltige Le- aus zu denken und umzusetzen. In Analogie zur bensräume in Städten und Gemeinden geschaf- Nutzerzentrierung bei der Entwicklung neuer Ge- fen. schäftsmodell muss auch die Weiterentwicklung der Die Lebensqualität bleibt in allen deutschen Re- Lebensräume von Bürgern aus deren Perspektive gionen und Kommunen Weltklasse. Egal, ob je- vorangetrieben und sie bei der Entwicklung invol- mand auf dem Land oder in der Stadt lebt, auf die viert werden. Gerade ihr Verständnis und ihre Erwar- Daseinsvorsorge können sich die Bürger verlas- tungen an die Städte und Gemeinden der Zukunft sen – 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Wo- werden zum Gelingen des Veränderungsprozesses che. beitragen. Die Bürger ernst zu nehmen bedeutet, in dezentralen Zusammenhängen zu denken und Lö- sungen vor Ort zu suchen. Siehe hierzu u.a.: (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2017b; Bundesministerium für 3 Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 2017; Deutscher Städtetag, 2015; Roland Berger, 2017; United Nations, 2016b) 23
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EINLEITUNG FÜNF MEGATRENDS VISION UND ZIELFOTO VON DER VISION ZUR UM- HANDLUNGSFELDER UND SETZUNG: DIE ROLLE DER -EMPFEHLUNGEN: POLITISCHE KOMMUNALWIRTSCHAFT WEICHEN IN DER NEUEN LE- GISLATUR RICHTIG STELLEN Internationale Leitbilder Gerade die Potentiale der Digitalisierung werden in rungen online eingereicht und ein neues Unterneh- internationalen Best Practice Beispielen sichtbar – men kann per Mausklick in nur 18 Minuten anmel- von Singapur, über Österreich bis zu den skandina- det werden. Auch Patientenakten sind elektronisch vischen Ländern. Besonders Estland sticht hervor, geführt und an den elektronischen Personalausweis wenn es um die erfolgreiche Nutzung der Digitali- geknüpft. Estland besticht durch Interoperabilität sierung geht. Im letzten Jahrzehnt richtete sich das zwischen verschiedenen Datenbanken, individuel- Land im Baltikum Schritt für Schritt auf die Digitali- ler Nutzerfreigabe, standardisierten Datenformat, sierung aus und verfügt seit 2014 mit der „Digita- einem elektronischen Identitätsnachweis und ei- le Agenda 2020 für Estland“ über eine konsequent ner umfassenden Sicherheitsarchitektur (E-Estonia. digital orientierte nationale Strategie. Das Rückgrat com, 2011). Das Ganze wird von einer staatlichen der estnischen Digitalstrategie ist die digitale, de- IT-Behörde koordiniert, die das notwendige Regel- zentrale „X-Road“. Es ist eine Infrastruktur, die den werk und die beteiligten Institutionen und Personen sicheren Datenaustausch zwischen verschiedenen an der X-Road überwacht. Mittlerweile wird das Sys- öffentlichen und privaten Teilnehmern ermöglicht tem von mehr als die Hälfte der estnischen Bevöl- (z.B. Personenstandsregister, Gesundheitsdaten- kerung benutzt und es erfolgen darüber rund 530 bank, Bankenwesen, Bürgern, Unternehmen und Millionen Datenabfragen, die auf mehr als 200 Da- Ärzten). Mit dieser nutzerfreundlichen Plattform kön- tenbanken und über 2.000 Leistungen zurückgrei- nen sämtliche relevanten Behördengänge elektro- fen (Cybernetica, 2016). nisch abgewickelt werden (E-Estonia.com, 2011). Bereits 2013 wurden rund 95% aller Steuererklä- 25
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