QUEERZEIT Queer & Staat - WINTER 2020 - LSVD Sachsen-Anhalt
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QUEERZEIT DIE ZEITSCHRIFT DES LSVD SACHSEN-ANHALT WINTER 2020 Queer & Staat TITELTHEMA S.3-28 9 772700 691307 ISSN: 2700-6913
INHALTSVERZEICHNIS LSBTIQ* Leuchtturm in Sachsen-Anhalt Editorial: Stonewall – Aufstand 04 03 Forderungen Diskriminierung der inCSD´s in Sachsen-Anhalt den Streitkräften 06 07 CSD 2018 in Halle & Magdeburg 08 Vorgestellt! - QueerBW 11 GOQUEER gewinnt 13 Queerzeit Interview Es war Einmal... Inklusivität und Vielfalt bei der Landespolizei 14 Vereinte Schwulenbewegung brachte Unrechts-Paragraph 175 zu Fall LSBTI* in Polizei und Justiz 14 20 COME IN Weekly (April - Juli) 18 Es war Einmal: Harvey Milk 22 Lambdas "Erstes Mal" 25 Beschwert euch doch endlich mal! 26 Andere Länder, Andere Queere Verbände: The QueerProud TrustLife & Trans - Manchester, Support UK 26 Das LSVDLSVD-Beratungsprojekt Veranstaltungen 2018stellt sich vor! 30 27 Endlichblog lsbti* den Mut… 28 Winter Banana2020 Serienabend 34 29 Homosexualität und Vielfalt! Selbst.verständlich Islam 30 Regenbogenkompetenz für die Republik Fachtag zur Vorurteilskriminalität 40 31 Umgang mit WEEKLY sexueller2020 Rückschau Vielfalt in der sozialen Arbeit 32 44 Weihnachtscafé 33 Zeitstrahl LSVD (Teil 2) Landesverfassung: Eine LSVD kleine Reise durch 30legt JahreGesetzentwurf LSVD vor 34 50 GOQUEEER auf dem CSD Köln 37 lsbti* infoguide kompakt 54 Terminübersicht 39 Terminübersicht 58
VORWORT arbeiter*innen gerät, ist wenig verwunderlich, Liebe Leser*innen, denn der Staat ist mit ca. 4,6 Millionen Arbeit- nehmer*innen der größte Arbeitgeber der Bun- irgendwie denken die meisten von uns an desrepublik. Arbeitgeber ist er übrigens auch CSD und persönliche Freiheit, wenn es um für LSBTIQ*. das Thema LSBTIQ* geht. Dabei findet all das innerhalb eines ordnenden Konstrukts statt, Auch als Arbeitgeber ist der Staat sehr viel- welches unser aller Zusammenleben regelt. schichtig. Manche Bereiche sind gar als ma- Der Staat mit seiner breiten Verwaltung spielt chistische Männerdomäne und für LSBTIQ* im Bewusstsein von LSBTIQ*-Zugehörigen aber als wenig empfehlenswerter Arbeitsplatz ver- meist erst dann eine Rolle, wenn sie selbst von schrien, wie beispielsweise die Polizei und die Verwaltungshandeln betroffen sind. In diesen Bundeswehr. Anscheinend passiert hier aber Fällen spüren wir ihn ganz unmittelbar. Dies seit geraumer Zeit etwas - und das wollten wir allein ist jedoch noch keine LSBTIQ*-Spezifik. uns näher anschauen. Verwaltungshandeln ist sehr vielschichtig. Es Dazu haben wir Menschen gefragt, die in die- kann sich positiv auf seine Adressat*innen aus- sen Verwaltungsorganisationen tätig sind und wirken, beispielsweise bei der Begründung einer sich aus ihrer Beschäftigung heraus für LSB- Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partner*in- TIQ*-Rechte stark machen, die sich auf vielfäl- nen, aber auch negativ, wenn zum Beispiel die tige Art und Weise für Akzeptanz von LSBTIQ* Steuererklärung nicht fristgemäß abgegeben am Arbeitsplatz einsetzen und Mitarbeitende wurde. Unabhängig von diesen Anlässen bleibt im öffentlichen Dienst für die Problematik von mitunter ein fader Beigeschmack für LSBTIQ*, Diskriminierung sensibilisieren. nämlich mindestens, wenn rechtliche Vorgaben zur Gleichstellung von LSBTIQ* (noch) nicht um- Wie ihr Engagement aussieht und welche Erfah- gesetzt wurden oder man an ein*e Sachbearbei- rungen sie machen, liest du im vorliegenden Heft. ter*in gerät, dem/der die nötige Sensibilität für eigenes diskriminierendes Agieren im Namen Viel Spaß dabei! des Staates völlig abgeht. Dass man gar nicht so selten an derartig themenfremde und wenig Eure QUEERZEIT Redaktion zur Selbstreflexion neigende Verwaltungsmit- QUEERZEIT QUEERZEIT ALTE AUSGABEN SOMMER 202 0 DIE ZEITSCHRIF T DES LSVD SACH SEN-ANHALT HERBST 2020 DIE ZEITSCHRIFT DES LSVD SACHSENANHA LT NOCHMAL 30 JAHRE FÜR RESPEKT NACHLESEN? TITELTHEMA S.3-1 6 WWW.QUEERZEIT.NET 9 772700 691307 AKTION ZUM IT 3 ISSN: 2700-691 IDAHOB 9 772700 691307 ISSN: 2700-6913 SCHUTZ?! TITELTHEMA SEITE 32 SEITE 03 - 20
© Pressestelle LH Magdeburg LSBTIQ*-LEUCHTTURM IN SACHSEN-ANHALT Fortschreibung des kommunalen Aktionsplans für Geschlechtervielfalt und gegen Homo- und Transphobie in der Landeshauptstadt Magdeburg Wenn es um Maßnahmen und politische Ent- Leider ist es häufig bittere Wahrheit, dass die scheidungen für die Akzeptanz und Gleichbe- Kommunen das Heft des Handels in Sachen rechtigung von Lesben, Schwulen, queeren, bi-, Akzeptanz und Gleichstellung von LSBTIQ* trans*- intergeschlechtlichen Menschen (LSB- und gegen Homo- und Transphobie nicht bei TIQ*) geht, schauen die meisten unserer Com- sich selbst sehen, sondern das Thema beim munity stets Richtung Bund und Land. Völlig Land oder bei anderen belassen. außer Acht gelassen wird in diesem Zusam- Ja, es ist gut und ein starkes Signal, wenn menhang meist die Politik unseres gemeinsa- sich Landrät*innen, Bürgermeister*innen und men Europas. Mag Europa für viele vielleicht Gleichstellungsbeauftragte mit Transparen- fern wirken. Aber wie steht es mit den Orten, ten vor den Rathäusern beim Internationalen in denen wir leben? Warum schauen wir nicht Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie auf die Möglichkeiten der kommunalen Selbst- solidarisch erklären und klar machen: „LSB- verwaltungen? Können Sie nicht sogar der TI*-Rechte sind Menschenrechte!“ – wie zum Schlüssel für mehr gelebte Akzeptanz sein? 17. Mai 2020 in Kooperation mit der LSB- 04 | QUEERZEIT
TI*-Landeskoordinierungsstelle Sachsen-An- Magdeburg für Geschlechtervielfalt und halt Nord und dem LSVD geschehen. gegen Homo- und Transphobie. Er wurde Aber neben symbolischen Aktionen muss auch federführend durch das Amt für Gleichstel- nachhaltiges, aktives Handeln erfolgen. Aber lungsfragen in Zusammenarbeit mit LSB- hier stehen die meisten Landkreise, Städte und TIQ*-Verbänden- und Strukturen erarbeitet, Gemeinden bisher weit hinter ihren Möglich- umgesetzt und erfährt ab 2021 eine Fort- keiten. Begründet wird dies nicht selten mit schreibung. Aussagen wie: „kein Geld“ Bisher gab es 4 Handlungsfelder im Akti- „kein Personal“ onsplan, die ab 2021 fortgeführt werden: „bei uns keine Probleme“ Handlungsfeld 1: „sehen keinen Handlungsbedarf“ Aufklärungs- und Bildungsarbeit „keine sichtbare Community in der Fläche“ etc. Handlungsfeld 2: Beratungs- und Unterstützungsangebote Das muss und darf nicht so bleiben! Handlungsfeld 3: Öffentlichkeitsarbeit Fakt ist: Handlungsfeld 4: • LSBTIQ*-Menschen leben überall Netzwerkarbeit • Handlungsbedarf für mehr Akzeptanz gibt es an jedem Ort Die weiterführenden Maßnahmen reichen • LSBTIQ*-Netzwerkstrukturen haben von Fortbildungen und Informationsveran- wir in ganz Sachsen-Anhalt staltungen für Schulsozialarbeiter*innen, • für Geld und Personal müssen Kommu- Kita-Fachkräfte, Fachkräfte aus der Ver- nen streiten waltung und freien Trägern der Kinder- und • viele Maßnahmen kosten kein Geld Jugendhilfe, Beratung und Unterstützung von geflüchteten LSBTIQ*, Erziehungsbera- Wie die Kommunen Sachsen-Anhalts in Sa- tung im Kontext von LSBTIQ*, Erinnerung an chen Akzeptanz von LSBTIQ* über sich hinaus- homosexuelle NS-Opfer, Unterstützung des wachsen können zeigt die Landeshauptstadt CSD in Magdeburg bis hin zu Öffentlichkeits- Magdeburg als leuchtendes Vorbild. arbeit zur Sichtbarmachung von Diversität und Kooperation der Stadt mit der neuen Magdeburgs Selbstverpflichtung (hauptamtlichen) Ansprechperson für die für Geschlechtervielfalt und Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuel- gegen Homo- und Transphobie len, Transgendern, Transidenten und inter- Mit Bestätigung durch den Stadtrat am geschlechtlichen Menschen in der Polizei 14.09.2017 gibt es in Ergänzung zum LSBT- Sachsen-Anhalt (kurz AP LSBTTI) für Akti- TI*-Aktionsprogramm der Landesregierung vitäten gegen homo- und transphobe Dis- seit 2017 einen umfangreichen kommu- kriminierung und Gewalt. nalen Aktionsplan der Landeshauptstadt QUEERZEIT | 05
Neu hinzugefügt wurde für die Fortschreibung men der Altenpflege zur Thematik ab 2021 das Handlungsfeld 5: Alter, Pflege • Einbringung des Themas LSBTIQ* und Alter und Behinderung und Pflege in den Seniorenbeirat • Beachtlich sind die allgemeinen Schluss- Die Erweiterung um das Handlungsfeld 5 war folgerungen der Landeshauptstadt Mag- ein großes Anliegen des LSVD Sachsen-An- deburg in Bezug auf die Notwendigkeit der halt, der sich schon seit Jahren für eine kul- Maßnahmen zur Fortschreibung des städ- tursensible Versorgung, Pflege und Begleitung tischen Aktionsplans. Diese lauten: von LSBTIQ* im Alter stark gemacht hat. Die • Beratungs- und Unterstützungsantebote Interessen von älteren Lesben und Schwulen sind umfangreicher und zielgruppenspe- sind in allen Bereichen der Senior*innenpoli- zifischer geworden tik und der Altenhilfe zu berücksichtigen. Ent- • Fachkräfteschulungen müssen arbeitskon- sprechende Formulierungen befanden sich textbezogen fortgeführt werden stets auch in den jährlichen Forderungen zum • höherer und professionalisierter Bedarf der Christopher Street Day (CSD) an die Landes- Unterstützung von LSBTIQ* mit internatio- hauptstadt Magdeburg, die im Kern auf das nalem Hintergrund ist gegeben Engagement von Martin Pfarr zurückgingen. • kontinuierlicher und bedarfsgerechter Aus- Er war Mitbegründer des LSVD und bis zu sei- bau von Elternberatung ist erforderlich nem Tod am 21.12.2015 langjähriges Mitglied • Angebote müssen verstetigt und transpa- im Landes- und Bundesvorstand. renter werden • Öffentlichkeitsarbeit muss verstärkt werden Konkrete Maßnahmen im Handlungsfeld 5 • Das Thema LSBTIQ* und Alter, Pflege und „Alter, Pflege und Behinderung“ sind: Behinderung muss in den Focus gerückt • Berücksichtigung der Thematik im Rahmen werden der Arbeit der Fachberatungsstelle Frauen mit Behinderungen und ProMann sowie in Fazit: Nicht nur Geld allein, sondern der Wille Einrichtungen der Behindertenhilfe für Verbesserung zur Akzeptanz von LSBTIQ* • Thematisierung der Lebenssituation von LSB- ist maßgeblich. Der Aktionsplan der Landes- TIQ* in der AG Menschen mit Behinderungen hauptstadt Magdeburg ist mit allen Details • Berücksichtigung der Thematik LSBTIQ* in erhältlich bei: Landeshauptstadt Magdeburg, der Infrastrukturplanung zum seniorenpo- Amt für Gleichstellungsfragen litischen Konzept für die Stadt • Sensibilisierung der Mitarbeiter*innen der Altenservicezentren für die spezifischen Mathias Fangohr (Dipl. Soz. Päd.) Belange von Lesben, Schwulen und Trans* LSBTI*-LKS Sachsen-Anhalt Nord im Rahmen der stadtteilbezogenen Arbeits- gruppen und Ableitung von Maßnahmen • Durchführung von Fortbildungen für Lehr- kräfte in der Aus- und Fortbildung im Rah- 06 | QUEERZEIT
© LIGHTFIELD STUDIOS / stock.adobe.com DISKRIMINIERUNG IN DEN STREITKRÄFTEN Rehabilitierung und Entschädigung queerer Soldat*innen geplant Über Jahrzehnte wurde Soldat*innen mit „ho- damit rechnen, aufgrund ihrer sexuellen Ori- mosexuellen Neigungen“ die Dienstfähigkeit entierung drangsaliert, degradiert oder entlas- und die Eignung als Vorgesetze abgesprochen. sen zu werden. In der Bundesrepublik wurde In der Folge kam es zu Ausmusterungen, trup- diese Praxis vom BMVg ausdrücklich befür- pendienstgerichtlichen Verurteilungen, Entlas- wortet und von der Rechtsprechung lange sungen und Degradierungen. Die institutionelle gebilligt. Homosexualität galt als schwerer Diskriminierung endete erst 2.000, als das Bun- Makel, homosexuelle Soldat*innen als Sicher- desverteidigungsministerium (BMVg) seinen heitsrisiko. Bei homosexuellen Vorgesetz- diskriminierenden Erlass zur Personalführung ten wurde ein Autoritätsverlust und damit aufhob. Nun hat die Bundesregierung einen eine Gefährdung der Disziplin der Truppe be- Gesetzentwurf vorgelegt, der die Betroffenen fürchtet. Eine im September vorgestellte, vom rehabilitieren und entschädigen soll. BMVg in Auftrag gegebene Studie zum Um- gang der Bundeswehr mit Homosexualität Institutionelle legt auf 400 Seiten erstmals umfassend die Diskriminierung homo- und erlittenen Diskriminierungen offen. bisexueller Soldat*innen Soldat*innen der Bundeswehr und der Natio- nalen Volksarmee mussten über Jahrzehnte QUEERZEIT | 07
Verurteilung den, da diese als schuldhafte Dienstpflichtver- durch Truppendienstgerichte letzung betrachtet wurden. Die Zahl der auf Einvernehmliche homosexuelle Handlungen diese Weise Entlassenen war nach Einschät- waren bis in die späten 1960er Jahre sowohl zung des Autors der Studie weitaus höher als in der Bundesrepublik als auch in der DDR die Zahl der durch ein wehrdienstgerichtliches strafbar. Bis 1994 unterlagen homosexuelle Urteil aus dem Dienstverhältnis entfernten Handlungen in der alten Bundesrepublik einem Soldat*innen. Daneben stehen die ungezähl- höheren Schutzalter als heterosexuelle Hand- ten Fälle, in denen die Bundeswehrangehöri- lungen. Für Soldat*innen folgte auf eine straf- gen selbst ihre Entlassung beantragt haben, rechtliche Verurteilung durch die ordentlichen nachdem ihre Homosexualität bekannt wurde. Gerichte in der Regel zusätzlich eine Anschul- digung durch den Wehrdisziplinaranwalt und Dienstunfähigkeit und eine Verurteilung durch ein Truppendienstge- Nichteignung als Vorgesetzte richt. Bis in die späten 1960er Jahre bedeutete In den ersten beiden Jahrzenten nach Grün- dies in der Regel die Entlassung aus den Streit- dung der Bundeswehr galten Homosexuelle kräften. Die Betroffenen verloren nicht nur ih- pauschal als dienstunfähig und wurden aus- ren Beruf und ihr soziales Umfeld, sie erfuhren gemustert. Erst ab 1979 galten homosexuelle nach Rückkehr an ihren Heimatort häufig auch Wehrpflichtige als grundsätzlich dienstfähig. gesellschaftliche Stigmatisierung und Aus- Eine Laufbahn als Offizier oder Berufssoldat grenzung. Auch nach der Entkriminalisierung war jedoch bis zur Jahrtausendwende wei- der sogenannten „einfachen Homosexualität“ terhin nicht möglich. Homo- und bisexuelle Ende der 1960er wurden einvernehmliche ho- Soldat*innen wurden selbst bei besten Beurtei- mosexuelle Handlungen durch die Truppen- lungen weder zu Berufssoldat*innen ernannt dienstgerichte weiterhin disziplinarrechtlich noch weiterverpflichtet. Für Offiziere und Un- geahndet, selbst wenn sie nicht nach § 175 teroffiziere, die sich zu ihrer Homosexualität StGB bzw. § 151 StGB-DDR strafbar waren. Die bekannten, war die Entlassung im vereinfach- Folgen waren Entlassungen, Degradierungen ten Verfahren wegen „Nichteignung“ die Regel. und anderen Benachteiligungen. Dies wurde durch das BMVg selbst angewie- sen. In einem Erlass zur Personalführung aus Entlassungen dem Jahr 1984, der bis ins Jahr 2000 wirksam im vereinfachten Verfahren war, wurde Soldat*innen mit „homosexuellen Häufig kam es jedoch gar nicht erst zu einem Neigungen“ die Eignung zur Offizierslaufbahn wehrdienstgerichtlichen Verfahren. Das Solda- pauschal abgesprochen. Wer nicht direkt ent- tengesetz erlaubte nämlich in den ersten vier lassen wurde, musste damit rechnen, nicht Dienstjahren die fristlose Entlassung von Sol- mehr befördert oder mit höherwertigen Auf- dat*innen in einem vereinfachten Verfahren. gaben betraut zu werden. Ein Offizier oder Soldat*innen konnten wegen homosexueller Unteroffizier mit „homosexuellen Neigungen“ Handlungen auch ohne Verurteilung durch ein könne, so heißt es in dem Erlass, nicht in ei- Truppendienstgericht fristlos entlassen wer- ner Dienststellung als unmittelbarer Vorge- 08 | QUEERZEIT
setzter in der Truppe (z.B. als Gruppenführer, rechtliche Verhältnis hinaus negativ auf die Zugführer, Kompaniechef oder Kommandeur) rechtliche und gesellschaftliche Stellung von verbleiben. Weiterhin könne er wegen homo- Homo- und Bisexuellen aus. Sie legitimierte sexueller Handlungen entlassen oder aus dem die Diskriminierung von Homosexuellen staat- Dienst entfernt oder in eine frühere Laufbahn lich. Sie ist damit mitverantwortlich für die bis zurückgeführt werden. heute spürbaren Schädigungen von LSBTI. Das BMVg hob diesen Erlass erst am 3. Juli Gesetzentwurf zur Rehabilitierung 2000 auf und ersetzte ihn durch eine Führungs- homosexueller Soldat*innen hilfe für Vorgesetzte zum Umgang mit Sexua- Im Oktober legte das BMVg einen Entwurf für lität. In dieser wird erstmalig ausdrücklich auf ein Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller das Verbot von Diskriminierungen wegen se- Soldat*innen vor, zu dem der LSVD im Rahmen xueller Orientierungen hingewiesen und „Tole- der Verbändebeteiligung Stellung nahm. Im ranz gegenüber anderen nicht strafbewehrten November beschloss die Bundesregierung sexuellen Orientierungen, dementsprechend auf Basis des Entwurfs des BMVg und der auch für gleichgeschlechtlich veranlagte Sol- Verbändebeteiligung ihren Gesetzesentwurf. datinnen und Soldaten“ gefordert. Vorgesehen sind die Rehabilitierung der be- troffenen Soldat*innen und Reservist*innen Folgen der jahrzehntelangen sowie Entschädigungsansprüche. Zu begrü- institutionellen Diskriminierung ßen ist, dass der Entwurf der Bundesregierung Die individuellen Auswirkungen der systemati- im Gegensatz zum Entwurf des BMVg auch schen Diskriminierung homo- und bisexueller die Rehabilitierung von Betroffenen vorsieht, Soldat*innen in der Bundeswehr und der Nati- die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität onalen Volksarmee waren traumatisierend und diskriminiert worden sind. Das war eine der nicht selten existentiell. Soldat*innen wurden Forderungen des LSVD. aufgrund ihrer sexuellen Orientierung drangsa- liert, degradiert oder aus dem Dienst entlassen, Durch das Gesetz sollen alle vor dem 3. Juli und das mit staatlichem Segen. Homo- und 2000 ergangenen wehrdienstgerichtlichen Ur- Bisexuellen war allein aufgrund ihrer sexuel- teile aufgehoben werden, soweit sie einver- len Orientierung über Jahrzehnte ein ganzer nehmliche homosexuelle Handlungen zum Berufszweig verschlossen. Soldat*innen, die Gegenstand haben. Auch hier wurde eine LS- sich unter Verleugnung ihrer sexuellen Orien- VD-Forderung umgesetzt: Der Entwurf des tierung für eine Laufbahn bei den Streitkräften BMVg sah die Urteilsaufhebung nur dann entschieden, litten unter der ständigen Angst vor, wenn die Verurteilung allein auf einer vor Entdeckung und vor den daraus folgenden nach dem früheren § 175 StGB bzw. § 151 drastischen Disziplinarmaßnahmen, die in der StGB-DDR strafbaren homosexuellen Hand- Regel das Ende ihrer beruflichen Laufbahn be- lung beruhte. Paradoxerweise wäre damit eine deuteten. Die diskriminierende Haltung der Rehabilitierung nicht möglich gewesen, wenn Bundeswehr strahlte weit über das dienst- Betroffene wegen nicht strafbarer homose- QUEERZEIT | 09
xueller Handlungen truppendienstgerichtlich wurden, ist längst überfällig. Die Gesetzesin- verurteilt worden sind. Auch wäre eine Reha- itiative ist daher grundsätzlich zu begrüßen. bilitierung unmöglich gewesen, wenn in dem Die Entschädigung darf allerdings nicht nur aufzuhebenden Urteil neben der homosexu- symbolisch sein, sondern muss einen wirksa- ellen Handlung weitere Dienstvergehen ab- men finanziellen Ausgleich für die vom Staat geurteilt wurden. Dies hätte zu untragbaren, verursachten Schäden bieten. Die Degradie- willkürlichen Ergebnissen geführt. rung oder Entlassung aus dem Dienst hat Men- schen nicht nur entwürdigt, sondern oft ihre Durch das Gesetz sollen zudem Betroffene Berufsbiografien zerstört. Sie wirken sich bis rehabilitiert werden, die vor dem 3. Juli 2000 heute negativ auf ihr Leben aus, beispielsweise wegen einvernehmlicher homosexueller Hand- durch niedrigere Rentenzahlungen. Außerdem lungen, ihrer sexuelle Orientierung oder ihrer fehlt eine Regelung zur kollektiven Entschä- geschlechtlichen Identität dienstrechtlich be- digung, die der Aufarbeitung des Unrechts, nachteiligt wurden. Auf Antrag wird eine Re- weiterer Forschung zu LSBTI in der Bundes- habilitierungsbescheinigung ausgestellt, in wehr und der Nationalen Volksarmee sowie der festgestellt wird, dass die dienstrechtli- der Bildungsarbeit dienen soll. che Benachteiligung Unrecht war. Wer auf- grund der Diskriminierung einen Dienstgrad Der LSVD wird den Gesetzgebungsprozess verloren hat, soll beantragen können, diesen daher weiterhin kritisch begleiten und darauf wieder führen zu dürfen. hinwirken, dass eine möglichst umfassende Rehabilitierung des erfahrenen Unrechts ge- Betroffene sollen auf Antrag für jedes aufge- leistet wird. hobene wehrdienstgerichtliche Urteil pauschal 3.000 Euro und für andere dienstrechtliche Be- Sarah Ponti nachteiligungen einmalig 3.000 Euro erhalten. LSVD-Grundsatzreferentin Die Bundesregierung ist unserer Forderung nach höheren Entschädigungen teilweise ent- gegengekommen, indem sie die vom BMVg vorgesehene Deckelung der Entschädigungs- ansprüche auf 6.000 Euro aufgegeben hat. Der Anspruch auf Entschädigung muss innerhalb einer Fünf-Jahresfrist ab Inkrafttreten des Ge- setzes gestellt werden. Fazit Eine umfassende Rehabilitierung und Ent- schädigung von Bundeswehrangehörigen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ge- schlechtlichen Identität staatlich diskriminiert 10 | QUEERZEIT
© QueerBw e.V. VORGESTELLT! QueerBw ist die Interessenvertretung quee- malen Vereinsgründung. Diese wäre mit der rer Angehöriger der Bundeswehr. Seit 2002 schriftlichen Nennung von Namen einherge- setzen wir uns für Gleichberechtigung und gangen. Das Risiko dafür die eigene Karriere ein offenes Klima innerhalb der Bundeswehr zu opfern war zu groß. ein. Der Verein ist bundesweit tätig und hat aktuell 300 Mitglieder. Nachdem 1999 ein Offizier nach seinem Ou- ting zwangsversetzt wurde, klagte er vor dem Den Grundstein unserer Arbeit legte der „Bundes- Bundesverfassungsgericht. Wenige Tage be- weite Arbeitskreis Schuler Soldaten“. Während in vor eine Frist zur Stellungnahme der Bun- Deutschland gegen Ende des 20. Jahrhunderts desregierung im Jahr 2000 auslief, beging die gesellschaftliche Entwicklung weiter voran- Rudolph Scharping, damals Verteidigungs- schritt, wurde noch 1984 ein Erlass in der Bundes- minister, die Kehrtwende. Er untersagte wehr veröffentlicht, der homosexuellen Soldaten Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orien- generell die Führungsfähigkeit absprach. tierung. Am 03.07.2000 wurde der damalige Erlass außer Kraft gesetzt. Das grundlegende In den 90er Jahren gründetet schwule Solda- Ziel von BASS war erreicht. Nachdem BASS ten den BASS. Jedoch kam es nie zu einer for- seine Tätigkeit einstellte, gründete sich im QUEERZEIT | 11
© QueerBw e.V. Jahr 2002 der „Arbeitskreis Homosexuel- Ein wichtiger Meilenstein der Vereinsarbeit ler Angehöriger der Bundeswehr e.V.“. Eine war der Workshop „sexuelle Orientierung und erste Änderung ist leicht zu erkennen. Seit Identität in der Bundeswehr“ 2017. Auf die- 2001 dürfen Frauen in den Streitkräften die- sem gab es das erste klare Bekenntnis der nen. Auch diese Öffnung musste juristisch politischen Führung zu Vielfalt und Toleranz. erkämpft werden. In den letzten Jahren konnten wichtige Er- folge in unserer Arbeit erreicht werden. Der Seit 2002 setzt sich der „AHsAB“ für Gleich- generelle Ausschluss von HIV-Positiven wurde berechtigung und gegen Vorurteile ein. Wir abgeschafft. Gemeinsam mit dem Ministe- kämpfen gegen Stigmata von HIV-positiven rium konnte der „Leitfaden zum Umgang mit Soldat*innen, beraten Betroffene nach Diskrimi- Transgeschlechtlichkeit“ erstellt werden. Die nierungserlebnissen und unterstützen Dienst- PreP gibt es auch in der Bundeswehr kosten- stellen bei der Aus-, Fort- und Weiterbildung. frei über unsere truppenärztliche Versorgung. Wir stehen in engen Austausch mit der militä- Auch unser thematischer Bereich ist in den rischen und politischen Führung, den verschie- Jahren gewachsen. Neben der sexuellen Ori- denen Ansprechstellen und Führungskräften in entierung bieten wir eine Ansprechstelle für der Truppe. Dadurch können wir unsere The- die selbstempfundene geschlechtliche Iden- men und Ziele an die Entscheidungsträger tität. Mit Anastasia Biefang als Ansprech- richten und wichtige Verbesserungen im Um- person können wir aus eigenen Erfahrungen gang mit Queers erreichen. berichten und beraten. Gemeinsam mit wei- teren Mitgliedern stehen wir im engen Aus- Eine unserer Gründungsforderungen konnten tausch mit dem Ministerium sowie den wir 2020 der Ministerin persönlich vorstellen. entsprechenden Fachstellen um eine wei- Die Rehabilitierung und Entschädigung diskri- tere Verbesserung des Umgangs mit der ge- minierter Soldaten. Annegret Kramp-Karren- schlechtlichen Identität zu erreichen. bauer griff unsere Forderung auf. Im Namen 12 | QUEERZEIT
des Bundesverteidigungsministeriums ent- Neben der Umsetzung des „SoldRehaHomG“, schuldigte Sie sich bei den Betroffenen. Die des Rehabilitierungsgesetzes, sind wir davon geforderte Rehabilitierung befindet sich aktu- überzeugt, dass der respektvolle Umgang ein ell im Gesetzgebungsverfahren. Gemeinsam wichtiger Grundsatz unserer Gesellschaft ist. mit vielen Vereinen und Organisationen, wie Daher fordern wir eine verpflichtende Ausbil- der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, der dung für alle Angehörigen der Bundeswehr DGTI, der Bundesinteressenvertretung Schwu- zum Umgang mit Vielfalt. Nur so kann die ler Senioren und dem LSVD kämpfen wir für Bundeswehr einen offenen und toleranten eine vollumfängliche Rehabilitierung und echte Umgang miteinander garantieren und sich Entschädigung. als zukunftsfähiger Arbeitgeber zeigen. Um den anhaltenden gesellschaftlichen Wan- Zudem kämpfen wir für eine Verbesserung der del auch selbst Rechnung zu tragen, haben transmedizinischen Versorgung, eine Berück- wir 2020 unseren Vereinsnamen geändert. sichtigung des dritten Geschlechtseintrags in Unsere 300 Mitglieder sind eine „bunte Mi- den Vorschriften und ein gemeinsames Diver- schung“ von hetero- bis homosexuell - von sity-Management in der Bundeswehr. cis über inter bis trans*. Dies wollten wir mit unserem neuen Namen zeigen. Anstatt ei- QueerBw ist gemeinnützig und mildtätig. Wir ner langen Abkürzung mit vielen Buchsta- organisieren unsere Arbeit aus der Tatkraft ben verbindet uns „Queer“ alle gemeinsam. unserer Mitglieder sowie Spenden. Ihr habt Es ist wichtig zu zeigen, was wir gemeinsam Lust uns zu unterstützen? Alle Infos gibts on- haben und nicht was uns trennt. Die queere line (AHsAB-ev.de / QueerBw.de) oder per Te- Geschichte, ist eine von gegenseitiger Hilfe lefon. Wir freuen uns auf euer Engagement. - auch ohne eigenen Nutzen, von Solidarität und Gemeinschaft. Wir sind „alle Farben des Sven Bäring Regenbogens“. Wir sind QueerBw! Vorsitzender QueerBw rückblick 2020 31. dezEMBER 18.OO uHR tv & oNLINE Di QUEERE SENDUNG AUS MAGDEBURG
QUEERZEIT INTERVIEW Inklusivität und Vielfalt bei der Landespolizei Sachsen-Anhalt – Ansprechperson LSBTTI vorgestellt Jahrelang haben sich die LSBTIQ*-Verbände, Dienstposten, wie es ihn in Sachsen-Anhalt allen voran der LSVD-Sachsen-Anhalt, für die zuvor noch nie gegeben hat. Es handelt sich Schaffung einer hauptamtlichen Stelle für um die (hauptamtliche) Ansprechperson für die Belange von LSBTI* bei der Polizei ein- die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexu- gesetzt. Nachdem es die Forderung in den ellen, Transgendern, Transidenten und inter- Koalitionsvertrag der Landesregierung von geschlechtlichen Menschen in der Polizei 2016 geschafft hatte, war lange nicht klar, ob Sachsen-Anhalt, kurz AP LSBTTI. Queerzeit die Schaffung einer solchen Stelle tatsäch- interviewte dazu Polizeihauptkommissarin lich erfolgen würde. Nun ist es vollbracht. Ab Grit Merker. sofort verfügt die Landespolizei über einen 14 | QUEERZEIT
LSBTIQ*-Verbänden und den Kolleg*innen. Da QUEERZEIT ist es gut, dass das Netzwerk der nebenamtli- Als bisher eine von mehreren Ansprech- chen AgLs, die es nach wie vor in den Behör- personen für gleichgeschlechtliche Le- den und an der Fachhochschule Polizei (FH bensweisen bei der Polizei Sachsen-An- Pol) gibt, erhalten bleibt und wir die Themen halt kennen wir dich bereits viele Jahre. gemeinsam angehen können. Nun bist du als erste AP LSBTTI bei der Polizei unseres Landes tätig. Aus wel- chen Gründen hast du dich entschie- den, dich hauptamtlich mit dieser Arbeit QUEERZEIT auseinandersetzen zu wollen? Welche Reaktionen begegnen dir von den Kolleg*innen auf diese Arbeit? Teilen der LSBTIQ*-Community bin ich aus meiner vorherigen Tätigkeit als AgL´in im Ne- Als bekannt wurde, dass ich die AP LSBTTI benamt bekannt. Daher höre ich immer wie- besetzen würde, hat sich mein engstes Ar- der Klagen über das Aufeinandertreffen mit beitsumfeld für mich gefreut. Dennoch konn- Polizeibeamt*innen. Kürzlich hat mir eine ten viele nicht verstehen, warum ich für eine Trans*frau erzählt, Polizeibeamte hätten sich solche Stelle die Leitung der Pressestelle der während einer Kontrolle lautstark zu ihrer Iden- Polizeiinspektion Zentrale Dienste Sachsen-An- tität ausgetauscht, und zwar mittels „Was ist halt aufzugeben bereit bin. An der Stelle bin ich das denn?“. Da hat Polizei absolut Nachhol- aber Idealistin: Ich möchte, dass sich im Bereich bedarf. Viele Polizeibeamt*innen sind z. B. LSBTTI etwas bewegt. handlungsunsicher oder reflektieren nicht, wie negativ ihr Verhalten auf LSBTI-Menschen Die Einrichtung des Dienstpostens hat teils wirkt. Hier muss aufgeklärt und nachgesteu- natürlich für einige Irritation und auch Unver- ert werden. Andererseits habe ich auch erlebt, ständnis gesorgt. Zum einen können sich we- dass Leute positiv überrascht sind, wenn sie nige vorstellen, was man in diesem Themenfeld mit ihrem Anliegen ernst genommen und un- arbeiten kann, um ein Hauptamt auszufüllen. terstützt werden. Das motiviert mich. Es gibt aber auch Äußerungen, die einem sol- chen Dienstposten die Wichtigkeit absprechen, Generell sind mir viele Problematiken und The- oder ihn als nicht prioritär vor anderen Aufga- men rund um LSBTTI und Polizei bekannt. benfeldern bewerten. Sie begründen dies oft Daraus habe ich bestimmte Vorstellungen ent- mit Personalmangel. Ich finde es schade, dass wickelt, die ich umgesetzt sehen möchte. Nun so gedacht wird. Ein offener Austausch kann die Möglichkeit zu haben, dieses Arbeitsfeld aber meines Erachtens dazu beitragen, das Ver- für die Polizei Sachsen-Anhalt weiterzuent- ständnis für die Tätigkeit und die gegenseitigen wickeln, ist eine tolle Chance – auch für die Bedarfe zu verbessern. Auch das sehe ich als Institution Polizei. Ich habe einiges vor und Teil der Aufgabe an. Und dann gibt’s natürlich freue mich auch auf die Zusammenarbeit mit auch jene, die sich für ausreichend tolerant hal- QUEERZEIT | 15
ten, um dann bei der nächsten Zigarettenpause Gleichzeitig sollen die Kolleg*innen themenspe- wieder Witze zu reißen. zifisch umfassende Handlungssicherheit erfah- ren, sei es bei einer Identitätsfeststellung oder Die Polizei versteht sich als Dienstleister an der körperlichen Durchsuchung von Trans*perso- Gesellschaft, und zwar ausnahmslos für alle ge- nen, oder bei der Einstufung von homosexuel- sellschaftlichen Gruppen in immer gleicher und len-/trans*feindlichen Straftaten als „Politisch hoher Qualität. Dazu gehört auch, entsprechen- motivierte Kriminalität“ (PMK). Ein unsensibler des Fachwissen in der Polizei vorzuhalten, um Umgang mit Opfern solcher Straftaten durch diesem Anspruch gerecht werden zu können. Äußerungen wie „Sie müssen ja aber auch zu- Besonders hinsichtlich des polizeilichen Um- geben, dass Sie ziemlich auffällig gekleidet gangs in Bezug auf die sexuelle Orientierung sind“ ist wenig professionell. Das muss Polizei oder geschlechtlichen Identität sehe ich mich einfach besser machen! Trotz allem wird eine auch als Dienstleisterin für die Kolleg*innen. Hauptaufgabe darin bestehen, LSBTI*-Zuge- Beides sind oft keine Themen, denen man im hörigen bewusst zu machen, wie wichtig die täglichen Dienst und damit routiniert begegnet. Anzeigenerstattung ist. In die Erhöhung der Anzeigenbereitschaft wird einiges investiert werden müssen. QUEERZEIT Du hast schon einiges angesprochen. QUEERZEIT Welchen weiteren Aufgaben wirst du Warum siehst du in der Erhöhung der dich als AP LSBTTI widmen? Anzeigenbereitschaft einen so wich- tigen Faktor und warum wird so oft keine Anzeige erstattet? Für die AgL existiert bereits eine Arbeitsgrund- lage, auf die für die Entwicklung einer Aufga- benbeschreibung zurückgegriffen wird. Das ist Viele trauen sich nicht zur Polizei zu gehen, reizvoll und herausfordernd zugleich, diesen weil sie Angst haben, sich outen zu müssen, Dienstposten frei nach den Bedarfen entwickeln nicht ernst genommen zu werden oder wei- zu können. Perspektivisch soll polizeiintern flä- tere Diskriminierung durch Polizeibeamt*in- chendeckend ein Klima bestehen, das es jede*r nen zu erleben. Die Anzeigenbereitschaft ist ermöglicht, einfach man selbst zu sein, ohne aber Voraussetzung dafür, dass diese Perso- sich verstecken zu müssen oder Mobbing zu nen zu ihrem Recht und Strafverschärfungs- erfahren. Homophobe Witze oder Ansagen wie gründe zum Tragen kommen können. Letztlich „Mit der Schwuchtel fahre ich nicht auf Streife!“ geht es um die Wahrung des Rechtsstaates (ist mir tatsächlich berichtet worden) darf es in und vor allem der freiheitlich demokratischen der Polizei einfach nicht geben. Das liegt auch Grundordnung. Präventive Ansätze spielen im Interesse des Dienstherrn und ist aus mei- ebenfalls eine Rolle. Dafür benötigen wir aber ner Sicht eine Führungsaufgabe. eine Statistik, die die Realität möglichst gut abbildet. Da sind wir wieder bei der Statis- 16 | QUEERZEIT
tik über Politisch motivierte Kriminalität, in getätigt, es habe sich um eine LSBTTI-feindliche der sich auch das Thema Hasskriminalität Straftat gehandelt. Zwar ist in diesem Fall die gegen LSBTTI wiederfindet. Studien zufolge Relevanz erkannt worden, die zur Einordnung als liegt die Dunkelziffer bei über 90 Prozent. Da „Politisch motivierte Kriminalität“ führte, doch müssen wir wirklich besser werden. Die Ge- die anschließende Pressemitteilung des Poli- samtproblematik Hasskriminalität/vorurteils- zeireviers enthielt keinen Hinweis auf das Tat- motivierte Kriminalität oder gruppenbezogene motiv. Über soziale Medien ist dieser Fall in der Menschenfeindlichkeit ist aber sehr komplex. LSBTTI-Community bekannt und vielfach geteilt worden. Es entstand der Eindruck struktureller Die Ursachen für die vermutete hohe Dunkel- Homophobie durch Unsichtbarmachung. Dies ziffer sind vielfältig, aber auch an den vielen führt zum Vertrauensverlust einer nach wie vor Ebenen der Vorgangsbearbeitung zu finden. marginalisierten gesellschaftlichen Gruppe, die Das fängt bei der Anzeigenerstattung an, etwas mehr als andere auf den Schutz durch die zieht sich über das gesamte polizeiliche/ Polizei angewiesen sein dürfte. staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfah- ren bis hin zur Urteilsfindung. Letztlich geht Dennoch möchte ich erwähnen, dass es auch es aber um ein realitätsnahes Lagebild, um positive Beispiele im polizeilichen Umgang mit das Erkennen demokratiefeindlicher Akti- LSBTI*-Personen gibt. Gerade in Ausbildungsse- vitäten, um den Schutz gesellschaftlicher minaren bei den jungen Polizeianwärter*innen Minderheiten und um respektvollen Umgang erlebe ich häufig, dass Vorurteile gegen LSBTTI mit ihnen. weniger das Problem sind als eher Unsicherhei- ten über die richtige Vorgehensweise in diesen nicht alltäglichen Fällen. QUEERZEIT Kannst du das Problem ein bisschen verdeutlichen? QUEERZEIT Das klingt nach viel Arbeit. Was hast du dir für den Start vorgenommen? Ich möchte mal ein Beispiel anführen, bei dem die AgL eng mit der Community zusammenge- arbeitet haben. Hieran ist gut erkennbar, wie Un- Gemeinsam mit dem Netzwerk der weiterhin tä- wissenheit von handelnden Polizeibeamt*innen tigen AgL habe ich vor, das bisherige Arbeitsfeld über interne Organisationsabläufe wirken kann. zu intensivieren und auszubauen. Dazu muss Kurz zum Sachverhalt: Ein schwules Paar war an die Bekanntheit der AgL gesteigert werden. Per- einer Haltestelle zunächst homophob beleidigt spektivisch soll die LSBTIQ*-Community uns als („Seid ihr schwul oder was? Schämt euch!“), da- Ansprechpersonen anerkennen und auf unser raufhin geschlagen und beraubt worden. Bei der Angebot zurückgreifen. Für die erste Zeit er- Anzeigenerstattung haben beide die Aussage warte ich aber viel konzeptionelle Arbeit und solche im Bereich Vernetzung – vor allem mit QUEERZEIT | 17
Verbänden, worüber die Queer-Community gut zu verringern und gleichzeitig die Handlungs- zu erreichen ist. sicherheit im Umgang mit Personen aus dem LSBTTI-Umfeld zu steigern ist nicht utopisch. QUEERZEIT QUEERZEIT Wünschst du dir etwas für die Polizei? Hab vielen Dank für das Gespräch. Wir wün- schen dir viel Erfolg für deine Tätigkeit als AP LSBTTI. Für die nahe Zukunft würde mich freuen, wenn wir allgemein in der Polizei eine gewisse Feh- lerkultur etablieren und sachorientierte Kritik zulassen. Da wünsche ich mir tatsächlich mehr Mut, Kritik als Chance zu begreifen, das eigene Handeln zu überdenken, zu verbessern und ein- fach noch professioneller im Beruf zu werden. Sicher wird es immer Vorurteile geben, aber sie Ihr seid durch eine LSBTIQ*-feindliche Straftat geschädigt worden? Ihr habt schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht oder Angst davor? Ihr möchtet Unterstützung oder habt Fragen? Sprecht mich an. Grit Merker Ansprechperson LSBTTI lsbtti@polizei.sachsen-anhalt.de PHONE 0391 - 50 75 838 Mobile 0151 - 55 00 35 82
Dienstag 20-22 Uhr Otto-von-Guericke-Str. 41 39104 Magdeburg Life Support DAS QUEERE ANTI-GEWALT- & ANTI-DISKRIMINIERUNGS-PROJEKT Projekt des LSVD Sachsen-Anhalt, gefördert vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt.
LSBTI* IN POLIZEI UND JUSTIZ Ja natürlich gibt es uns bei der Polizei und in genug sein. Ausgrenzungen, Diskriminierun- der Justiz, wie in allen anderen Berufsgrup- gen und berufliche Benachteiligungen von pen auch. Das ist nichts Besonderes. Wir sind LSBTI*, die leider immer noch auf der Tages- ganz normale Polizei- und Justizbedienstete, ordnung stehen, sind nicht länger hinnehmbar, nicht mehr und nicht weniger. Nicht besser auch wenn sich das gesellschaftliche Bild in und ganz bestimmt nicht schlecht. den letzten Jahren zum positiven geändert hat. Vielmehr muss es eine Selbstverständlichkeit Dennoch haben unsere Erfahrungen gezeigt, sein, dass uns von der Gesellschaft, deren dass die Gruppe von LSBTI* einer besonde- gleichberechtigter Teil wir sind, alle Menschen- ren Problematik ausgesetzt ist, da sie noch und Bürgerrechte zugestanden werden. Aktu- immer nicht in das vorhandene Bild von Poli- ell kämpfen wir u.a. gegen diskriminierende zei und Justiz zu passen scheint. Immer noch und stigmatisierende Einstellungsvorsetzun- sind wir Diskriminierungen und Stigmatisierun- gen im Bereich HIV und der Thematik Trans*. gen ausgesetzt. Aufklärung tut immer noch Aktuelle Fälle zeigen uns, dass wir in diesem Not und da wollen wir mit unserem Netzwerk, Bereich, noch viel zu tun haben. dem Verein lesbischer und schwuler Polizei- bediensteter in Berlin-Brandenburg, ansetzen. Unseren Landesverband Berlin-Brandenburg Bei unseren Kolleginnen und Kollegen und in gibt es mittlerweile seit 25 Jahren. Polizei- der Bevölkerung allgemein. bedienstete haben 1995 den Homosexuel- len Arbeitskreis Polizei (HAPol e.V.) in Berlin Wir wollen Akzeptanz … eine menschliche Ei- und Brandenburg gegründet. Hieraus ent- genschaft, die es nun einmal gibt und schon stand dann das bundesweite Netzwerk für immer gab. Deshalb kann Toleranz uns nicht LSBTI* in Polizei und Justiz. Als Dachver- band entwickelte sich Vels- Pol Deutschland in dem sich die verschiedenen Landesver- bände angegliedert haben, so auch unser Landesverband. In unserem Landesverband sind Kolleginnen und Kollegen der Landespolizeien Berlins, Bran- denburgs und der Bundespo- lizei und seit 2013 auch der Justiz und des Strafvollzugs organisiert. 20 | QUEERZEIT
Hier nun ein kleiner Überblick unserer umfang- • das Vorleben von Toleranz und Akzeptanz reichen Arbeitsfelder und Schwerpunkte, die im Innen- und Außenverhältnis wir alle ehrenamtlich bewältigen. • •vertrauensbildende Maßnahmen in der Zu- sammenarbeit mit weiteren Institutionen Wir bekämpfen Vorurteile innerhalb und au- ßerhalb der Polizei und Justiz durch Wir • Ausbildungs- und Fortbildungsveranstal- • organisieren regionale Treffen und Frei- tungen oder als Referenten zeitaktivitäten • Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen • nehmen an den jährlichen VelsPol-Bundes- mit Infoständen seminaren teil • Beratung von Behörden • arbeiten mit den Gewerkschaften zusammen • Mitwirkung bei Untersuchungen und wis- • organisieren Gedenkveranstaltungen senschaftlichen Erhebungen • informieren bei öffentlichen Veranstaltun- • Netzwerkarbeit gen in Berlin und Brandenburg • vernetzen uns auf europäischer Ebene mit der Wir unterstützen LSBTI* in Polizei und Jus- European LGBT Police Association (EGPA) tiz u.a. durch • Gespräche und Erfahrungsaustausch Dies ist nur ein kleiner Überblick über unser • Intervention bei Behörden Schwerpunkte und Aufgabenfelder. Wer un- • interne Öffentlichkeitsarbeit sere Arbeit unterstützen oder auch Mitglied in • Informationen bei Benachteiligungen, Dis- unserem Netzwerk werden möchte kann sich kriminierungen und Stigmatisierungen direkt an unseren Landesverband wenden. • Zusammenarbeit mit den Ansprechperso- nen für LSBTI* in der Polizei Hier unsere Kontaktdaten VelsPol Berlin-Brandenburg e.V. Wir unterstützen Opfer von homo- und trans- Netzwerk für LSBTI* in Polizei und Justiz phober Gewalt u.a. durch Postfach 311543 • Informationen über Anzeigenerstattung 10645 Berlin und Verfahrensablauf info@velspol-bb.de • Informationen über Möglichkeiten der Op- www.velspol-bb.de ferentschädigung • Vermittlung an die Ansprechpersonen in der Polizei und der Staatsanwaltschaft Marco Klingberg • Zusammenarbeit mit Opferhilfeeinrichtungen Polizeioberkommissar Vorsitzender VelsPol Berlin-Brandenburg e.V. Wir fördern das Ansehen der Polizei und der Justiz in der Öffentlichkeit u.a. durch • öffentliches Auftreten und Einstehen für unsere Lebensweise QUEERZEIT | 21
es war jährige Freundin zu heiraten, die lesbisch war. Das hätte ihm die Möglichkeit geboten, seine EINMAL sexuelle Orientierung vor seiner Familie und der Gesellschaft zu verstecken. Er verwarf den Gedanken und ging eine neue Beziehung mit Craig Rodwell ein, der Mitglied der Mattachine TEIL 4 Society, einer Schwulenorganisation war. Als Rodwell Gewalt gegen die Polizei befürwortete, beendete Milk auch diese Beziehung wieder. Milk war 33 Jahre alt, als er sich in John McKin- ley verliebte. Gleichzeitig fand er eine neue An- HARVEY MILK stellung als Analytiker bei einer Investmentfirma. Die Beziehung war durch McKinleys manisch-de- Harvey Bernard Milk kam am 22. Mai 1930 in pressive Erkrankung geprägt und dauerte nicht Woodmere im Nassau County in New York zur lange. Als auch diese Beziehung beendet war, Welt. Er war Politiker der demokratischen Par- nahm Milk zum ersten Mal das Ziel ins Visier, tei und Bürgerrechtler der Schwulen- und Les- Bürgermeister von San Francisco zu werden. benbewegung. Er gilt als erster offen schwuler Politiker der USA. Bevor wir auf die politische Karriere von Milk eingehen, machen wir einen kurzen Exkurs zur Seine Eltern waren aus Litauen eingewanderte Lebenssituation der Homosexuellen in den fromme Juden. Ihnen gegenüber verschwieg USA in den 60er und 70er Jahren. Dabei ist es er seine Homosexualität, die er schon in jun- wichtig zu wissen, dass in den USA homose- gen Jahren auslebte. xuelle Handlungen bis in die späten 70er unter Strafe standen. Selbst der orale Verkehr zwi- Nach seinem Highschool Abschluss studierte schen gleichgeschlechtlichen Partnern wurde Milk am staatlichen College in Albany das Leh- als Sexualstraftat behandelt. reramt mit dem Hauptfach Mathematik und dem Nebenfach Geschichte. Nebenbei schrieb In Gay Bars fanden häufig Polizeirazzien statt, er für die Collegezeitung. Nach dem Studium bei denen Gäste verhaftet und ihre Personalien diente er den US-Marines als Taucher. Danach registriert wurden. Weiter führten homosexu- arbeitete er an einer Highschool als Lehrer. Dort elle Handlungen regelmäßig zu fristlosen Kün- lernte er auch seinen langjährigen Partner Joe digungen von Wohnungen. Aus diesem Grund Campbell kennen. Nachdem ihn die Arbeit als zogen sich viele Homosexuelle nachts in die Lehrer zu langweilen anfing, nahm er eine Stelle Parks zurück, um dort Sex zu haben. als Versicherungsstatistiker an. Nach sieben Jahren trennte er sich von Durch diese Diskriminierung begannen sich Campbell und dachte darüber nach, eine lang- die Schwulen zu organisieren. Organisatio- 22 | QUEERZEIT
© KOKUYO / CC BY-SA 4.0 / wikimedia.org nen wie die Society for Individual Rights (kurz breiten Bevölkerung warben. SIR) oder der Alice B. Toklas Memorial De- Zurück zu Milk. Ungefähr im Jahr 1970 lernte er mocratic Club (kurz Alice) wurden gegrün- seinen neuen Lebenspartner Joseph Scott Smith det. Währenddessen nahmen immer mehr an der U-Bahn-Station Christopher Street kennen. Kongressabgeordnete Homosexuelle als po- Zur gleichen Zeit verlor er seine Stelle bei einer tentielle Wähler*innen wahr. Und führende Ak- Bank und nachdem er einige Zeit von Arbeits- tivisten drängten an die Öffentlichkeit und in losenunterstützung gelebt hatte, eröffnete er die Politik, wo sie um die Unterstützung der ein Fotogeschäft. QUEERZEIT | 23
Milk begann sich immer mehr für Politik zu Milk gelang es außerdem stets, sich geschickt interessieren. Er befand eine Kandidatur als in den Medien zu positionieren. Politiker für das beste Mittel, um die Schwulen- bewegung einen Schritt weiter zu bringen. Er Doch trotz all der Anstrengungen sicherte sich bat den Alice B. Toklas Memorial Democratic Milk auch im zweiten Anlauf keinen Sitz im Club um Unterstützung bei der Kandidatur. Stadtrat. Er erreichte Platz sieben bei sechs Dieser lehnte aber ab, weil Milk bisher keine zu vergebenden Sitzen. Verdienste in der Tagespolitik erworben hatte. 1976 entschied sich Milk dafür, für das ka- Unterstützung fand Milk aber in der schwulen lifornische Unterhaus zu kandidieren. Dafür Community seines Stadtbezirkes. Außerdem gab er seinen Platz als Mitglied im Berufungs- brachte Milk auch andere Interessengruppen hin- ausschuss für Lizenzen auf. Seine Entschei- ter sich. Etwa indem er sich für die Bierfahrer der dungen hatte aber auch noch einen anderen Stadt einsetzte, die zu dieser Zeit gerade streik- Grund, den er nur seinem Lebenspartner Scott ten. Er sorgte dafür, dass Barbesitzer das Bier der Smith mitteilte: Er fürchtete, gesundheitlich bestreikten Brauereien boykottierten. Gleichzeitig nicht mehr bis zu den nächsten Stadtratswah- schloss er mit den Vertretern der Transportge- len durchzuhalten. werkschaften einen Deal ab, in dem festgehalten war, dass mehr Schwule einen Job als Bierfahrer Sein Gegner bei den Wahlen war Art Agnos ein erhielten. Seine Anstrengungen waren allerdings demokratischer Politiker. Hinter vorgehalte- umsonst. Er landete bei den Stadtratswahlen auf ner Hand war bekannt, dass sich die Politiker Platz 10 von 32 und erhielt keinen Sitz. Durch die längst auf Agnos geeinigt hatten. Aber Milk Niederlage erkannte er, dass er auch konservative akzeptierte diese Bevorzugung nicht. Wähler hinter sich bringen musste. Bald schnitt er sich die Haare kurz, hörte auf Marihuana zu Milk verlor auch diese Wahl. Agnos Unter- rauchen und versprach, nie mehr in eine Schwu- stützung unter den Afroamerikanern und La- lensauna zu gehen. tinos war zu stark. Während den Wahlen erhielt Milk mehrere Morddrohungen, die schließlich In den folgenden Jahren organisierte er meh- wohl auch dazu führten, dass er und sein Le- rer Straßenfeste wie die Castro Street Fair. Au- benspartner Smith sich trennten. ßerdem erweiterte er sein Motto von »Schwule wählen schwul« zu »Schwule kaufen schwul« Wenig später errang Milk doch noch einen Sitz und sicherte sich dadurch die Stimmen der im Stadtrat. Unter anderem deswegen, weil das Einzelhändler. Wahlrecht geändert hatte. Die Kandidaten tra- ten nun nicht mehr für die einzelnen Bezirke an, Zu den Unterstützern seiner zweiten Kandi- sondern für das gesamte Stadtgebiet. datur zählten verschiedene Gewerkschaften 1978 starb Harvey Milk eines gewaltsamen To- wie die Hoch- und Tiefbaufacharbeitergewerk- des. Er und der damalige Bürgermeister von San schaften, dazu kamen die Ortsgruppe der Bier- Francisco Georg Mascone wurden vom ehemali- fahrer und die Gewerkschaft der Feuerwehr. gen Stadtrat Dan White im Rathaus erschossen. 24 | QUEERZEIT
White war zuerst frustriert aus der Politik zu- Dan White verbrachte nur fünf Jahre in Haft. rückgetreten. Dann änderte er seine Meinung Im Alter von 39 Jahren beging er Selbstmord. und wollte seinen Sitz im Stadtrat zurück. Bür- Harvey Milk wurde im San Francisco Colum- germeister Mascone verweigerte die Bitte, was barium beigesetzt. Neben zahlreichen anderen nach geltendem Recht richtig war. White ge- Ehrungen zeichnete ihn Barack Obama 2009 riet in Rage und erschoss nicht nur Moscone, mit der Medal of Freedom aus. sondern auch Milk. Lewin Dietrich White wurde zu sieben Jahren Gefängnis we- gen Totschlags verurteilt. Dieses milde Urteil führte zu heftigen Protesten der Gay-Com- munity. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, die darin gipfelten, dass die Polizei das vorwiegend von Schwulen und Lesben bewohnte Castro Viertel stürmte und Einrich- tungsgegenstände zahlreicher Schwulenbars zerstörte. der queere Jugendtreff in Magdeburg Montags 17-21 Uhr Otto-von-Guericke-Str. 41, Magdeburg Projekt des LSVD Sachsen-Anhalt, gefördert vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt.
© leremy / stock.adobe.com BESCHWERT EUCH DOCH ENDLICH MAL! Was ist jetzt mit Deutschland und seinen WAS IST DA NUN WIEDER LSBTI*? Wie ernst sind wir dem Staat? – fra- DAS PROBLEM, LIEBE POLIZEI? gen wir uns spätestens nach dem homophoben Seit der Entkriminalisierung durch Streichung Hassdelikt in Dresden. Bereits Anfang Oktober des § 175 StGB hatten wir doch das Gefühl, war ein schwules Paar von einem Attentäter alles wird nun gut für uns Schwule, Lesben, niedergestochen worden. Thomas L. verstarb Bi*, Trans*, Inter*, Queers*. Rechtlich ging es im Krankenhaus an den Folgen der Tat, sein ja auch gut voran, wenn auch erst ziemlich Mann überlebt schwer verletzt. schleppend. Gut, wir mussten uns den Fort- schritt oft gerichtlich erstreiten, immer wie- Zwei Wochen später wird aus Ermittler*innen- der politische Verbündete suchen und sie in kreisen inoffiziell bekannt, der Täter soll Jagd auf die Pflicht nehmen. Es war nicht so, dass uns Homosexuelle gemacht haben. Aber nach außen die Eheöffnung, die Entschädigung der nach kommuniziert die Behörde das Tatmotiv nicht. § 175 StGB Verurteilten, die Änderung des Personenstandsrechts oder die Ergänzung Aufschrei. Kritik am Agieren der Polizeibe- der Landesverfassung um das Merkmal „se- hörde. Zurecht. xuelle Identität“ hinterhergeworfen wurden. Lange war nicht klar, ob diese Entscheidun- gen jemals fallen würden. 26 | QUEERZEIT
Und doch haben wir mittlerweile einen rechtli- Gesicht zeigen.“ und weiter „Wie wollen wir chen Stand an Gleichstellung vorzuweisen, der eine demokratische Gesellschaft gegenüber historisch seines Gleichen sucht (wenn man den zerstörerischen Angriffen rechter Einpeit- mal vom Abstammungsrecht absieht). Viele scher verteidigen, wenn in den Reihen des Mi- Firmen unterstützen seit Jahren die Christo- nisteriums deren Argumente geteilt werden?“ pher Street Day-Events und geben Diversity Da bleibt einem doch glatt die Spucke weg. zur Unternehmensagenda aus. Es gibt sogar Offenbar wird die Umsetzung der Gleichstel- ein Aktionsprogramm LSBTTI der Landesre- lungspolitik massiv gestört, wenn Frau Blum- gierung, in dem Maßnahmen zur Akzeptanzer- tritt sogar vorschlägt, man möge Expert*innen höhung für die zuständigen Ministerien und hinzuziehen, um „zu verhindern, dass die Ge- deren nachgeordnete Verwaltung vorgegeben ringschätzung der Gleichstellungspolitik und sind. Auch solche, die die Polizei in die Lage der Arbeit der Leitstelle ihr Zerstörungswerk versetzen sollen, einen besseren Umgang mit fortsetzen kann.“ Was für ein unglaublicher Gewalt gegen LSBTTI an den Tag zu legen. Angriff auf – letztlich auch uns betreffende – Wir können uns also nicht beschweren, oder? Gleichstellungsarbeit. Da stellt sich die Frage, Oder doch? Denn regelmäßig drängt sich der mit welcher Motivation die Maßnahmen des Verdacht auf, die vielen guten Entscheidun- Aktionsprogramms in den einzelnen Verwal- gen, die auf politischer Ebene durchgefochten tungsgliederungen angegangen, mit welchem wurden, kommen im Verwaltungsapparat nicht Qualitätsstand sie abgeschlossen wurden und vollständig an. Als wenn auf jeder Hierarchiee- wie und ob es überhaupt eine Fortführung in bene etwas verloren geht und der kleinste Ver- der nächsten Legislaturperiode geben wird. waltungsbeamte am Ende der Kette so wenig Das Innenministerium hat derweil andere Information erhält, dass schon das Wissen Sorgen. Antisemitismus in der Landesbereit- um die Existenz von Schwulen und Lesben schaftspolizei führte zur sofortigen Einset- als Leistung zu bewerten ist. Bewusste Steu- zung eines Extremismusbeauftragten, einer erung oder gar Verhinderungstaktik? Sonderkommission und nach anfänglicher Ich will es nicht glauben. Weigerung dann doch zu dem Anschluss an eine Studie zu institutionellem Antisemitis- Manchmal sickern auch unmöglichste Infor- mus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit mationen durch, wie letztens aus dem Mi- in der Polizei. Es gibt jetzt auch Schulungen nisterium für Justiz und Gleichstellung. So zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz stellte die scheidende Landesbeauftragte , wie jüngst in der Pressemitteilung des Mi- für Frauen und Gleichstellung, Andrea Blum- nisteriums zu lesen war. Alles absolut richtig, tritt in ihrer Abschiedsmail fest: „Leider muss und immerhin ein Eingeständnis, dass es wohl ich nun kurz vor dem Ende meiner Arbeitszeit doch keine Einzelfälle sind. Homo- und Trans*- mit großer Bestürzung zur Kenntnis nehmen, phobie wird allerdings nach wie vor nicht als dass der Hass und die Verachtung für gleich- drängendes Problem (mit-)betrachtet. Dabei stellungspolitisches Arbeiten auch in diesem haben wir es doch mit demselben Phänomen Haus angekommen sind und ihr widerliches zu tun. Es heißt schlicht Menschenverachtung. QUEERZEIT | 27
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