DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT - GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus - Geologische Bundesanstalt

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DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT - GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus - Geologische Bundesanstalt
DIKTATUR,
                                      BEHÖRDEN,
                                      WISSENSCHAFT
                                      GBA und ZAMG im Schatten
                                      des Nationalsozialismus

Broschüre zur Ausstellung:
15.11.2018 bis 20.02.2019
Geologische Bundesanstalt,
Neulinggasse 38, 1030 Wien und        Johannes Thaler
Zentralanstalt für Meteorologie und
                                      Gunnar Mertz
Geodynamik,
Hohe Warte 38, 1190 Wien              Christa Hammerl
(ab 30.11.2018)                       Oliver Rathkolb
DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT - GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus - Geologische Bundesanstalt
DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT - GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus - Geologische Bundesanstalt
Die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhun-      wir mit Ausstellung und Publikation „Berg-
dert ist mit dem Übergang von der Monar-        Wetter 1938“ einen Impuls für institutionelle
chie zur Republik und mit zwei Diktaturen       Selbstreflexion setzen. Mein Dank für ihr En-
durch mehrere Brüche gekennzeichnet. An         gagement gilt den Mitarbeitern und Mitar-
den Beispielen der Geologischen Bun-            beiterinnen meines Ressorts und der beiden
desanstalt und der Zentralanstalt für Me-       wissenschaftlichen Anstalten sowie des Ins-
teorologie und Geodynamik, zwei nach-           tituts für Zeitgeschichte der Universität Wien.
geordneten Dienststellen meines Ressorts,
zeigt die Ausstellung „BergWetter 1938“         Durch die Ergebnisse dieser Studie lernen
das Verhältnis von Diktatur, Behörden und       wir unter anderem, wie wesentlich die indi-
Wissenschaft. Sie verdeutlicht die radikale     viduelle Verantwortung einzelner Personen
Unterordnung von Wissenschaft und For-          ist. Heute würden wir sagen, es geht um
schung unter die Zwecke von menschen-           Menschlichkeit, Mut, Zivilcourage. Institu-
verachtender Ideologie und Krieg. Zu-           tionen wiederum dürfen niemals aufhören,
gleich werden aber auch die individuellen       ihre (eigene) Geschichte zu reflektieren
Handlungsspielräume von Personen augen-         und Erinnerung zu pflegen. Damit leisten sie
scheinlich, die ihre Stellung dazu benutzten,   einen wesentlichen Beitrag zur Förderung
politisch Verfolgte zu schützen.                verantwortungsvoller Wissenschaft und zur
                                                Stärkung der Demokratie in unserem Land.
Politischem Radikalismus vorzubeugen,
verlangt von staatlichen Behörden die Be-       Heinz Faßmann
reitschaft zu Selbstreflexion und kritischer    Bundesminister für Bildung,
Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Im         Wissenschaft und Forschung
Erinnerungsjahr 2018 – Anschluss 1938,
und Gründung der Republik 1918 – wollen         Wien, Oktober 2018

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„Lernen Sie Geschichte“, dieses Zitat von       Die Geologische Bundesanstalt hat sich
    Bruno Kreisky aus dem Jahr 1981 ist legen-      punktuell schon mit der Zeit des Nationalso-
    där. 2017 wurde es zum Titel einer Sende-       zialismus befasst. 2016 erschien im GBA-ei-
    reihe in Ö1; die Worte des damaligen Bun-       genen Verlag die Publikation „Görings
    deskanzlers wurden zum Programm, zum            Geologen in der Ostmark“. Ein Team von
    Auftrag.                                        Historikerinnen und Historikern hat nun eine
    Eine Gesellschaft ohne Geschichtsbewusst-       Aufarbeitung der Zeit des politischen Um-
    sein ist gefährdet, ihre Orientierung an all-   bruchs und des Krieges vorgenommen. Die
    gemein gültigen Werten zu verlieren, die        vorliegende Studie, die auf Unterlagen aus
    das Zusammenleben der Menschen er-              dem Archiv der Geologischen Bundesan-
    möglichen und garantieren.                      stalt beruht, aber auch andere verfügbare
    Die Generation der ersten Hälfte des 20.        Quellen berücksichtigt, wurde aus Anlass
    Jahrhunderts, die Irrwege, Kriege und Ka-       des Gedenkjahres 2018 durchgeführt. Sie
    tastrophen persönlich erlebt hat, konnte ihr    zeigt die Handlungsspielräume und die
    Erleben und ihre Erkenntnisse persönlich        individuellen Positionen von Wissenschaft-
    weitergeben. Die übernächste Generation         lerinnen und Wissenschaftlern in staatlichen
    kann nur durch Aufbereitung der schreck-        Institutionen in einer politisch brisanten Zeit.
    lichen Ereignisse, die durch menschliches
    Versagen verursacht wurden, zum Hinhören        Peter Seifert,
    und Verstehen gebracht werden. Dies kann        Direktor der Geologischen Bundesanstalt
    insbesondere durch Aufzeigen von Me-
    chanismen der Macht verbunden mit dem
    totalitären Anspruch auf Wahrheit erreicht
    werden.

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Thomas Carlysles Konzept, dass „große his-       Gleichzeitig wird bei der Betrachtung der
torische Figuren Geschichte schreiben“ fin-      größeren Rahmenbedingungen in diesem
det sehr rasch seine Grenzen am Boden der        sehr kurzen Zeitraum von nur 7 Jahren deut-
Realität, wenn man die Ausstellung „Berg-        lich, wie rasch rechtsstaatliche Grundlagen,
Wetter 1938“ genauer betrachtet. Persön-         Moralvorstellungen, Existenzgrundlagen
lichkeiten, wie sie in dieser Ausstellung sehr   und vor allem die zunächst selbstverständli-
aufschlussreich sichtbar werden, gestalten       che Kategorie Menschenwürde ausgehöhlt
ihre Umgebung stark durch ihre morali-           und schließlich über Bord geworfen wurde.
schen Konzepte, Werte und Handlungen:            Dies aus Sicht einzelner Betroffener zu be-
Karrierismus, Charakterstärke, Zivilcourage,     trachten und nachzuvollziehen, gibt nicht
Nutzung der knappen Handlungsmöglich-            zuletzt für die heutige Zeit zu denken.
keiten – all dies zeigt, wie sehr das Leben in
einer Gemeinschaft wie den beiden Institu-       Michael Staudinger,
tionen Geologische Bundesanstalt und Zen-        Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie
tralanstalt für Meteorologie und Geodyna-        und Geodynamik
mik durch das Verhalten jedes Einzelnen in
diesen Institutionen bestimmt wurde. Es gab
starken Druck von außen, aber auch Men-
schen, die sich schützend vor andere Mit-
arbeiter stellten. Geschichte ist immer auch
die Geschichte Einzelner und wird durch
die Beschreibung der einzelnen Schicksale
in ganz anderer Art deutlich, als dies bloße
Zahlen oder historische Bruchlinien zeigen
könnten.

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WOZU
    eine politische Geschichte
    der Wissenschaft?
    Die Ausstellung geht der Frage nach, wie
    Wissenschaft in Diktaturen praktiziert wird.      Die Untersuchung ist ein Beitrag zum Ju-
    Die Geologische Bundesanstalt (GBA) und           biläumsjahr 2018 und setzt sich mit dem
    die Zentralanstalt für Meteorologie und           Problemkreis „Behördengeschichte –
    Geodynamik (ZAMG) sind staatliche For-            Wissenschaftsgeschichte – Diktaturfor-
    schungseinrichtungen und Dienste, die auf         schung“ auseinander.
    fast 170 Jahre Geschichte zurückblicken.
    Gegründet im Zuge der Reformen nach dem         Konkret werden die bereits in der Monar-
    Revolutionsjahr 1848 (k.k. Geologische          chie in einer gemeinsamen Abteilung (heute
    Reichsanstalt gegr. 1849, k.k. Central-An-      BMBWF Abt. V/4) verwalteten staatlichen
    stalt für Meteorologie und Erdmagnetismus       Forschungseinrichtungen GBA und ZAMG
    gegr. 1851) erreichten die beiden Institutio-   hinsichtlich ihrer NS-Vergangenheit unter-
    nen internationales Renommee.                   sucht. Vor der Ausgliederung der Wissen-
                                                    schaftsagenden in ein eigenes Ministerium

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1848
                                                                                       1849
                                                                                         1851
                                                                                        1918
                                                                                       1919
                                                                                         1920
                                                                                        1921
                                                                                         1930
                                                                                       1931
im Jahr 1970 unterstanden sie dem Bundes-      Es war ein Charakteristikum des
                                                                                        1932
ministerium für Unterricht. Neben der Frage    nationalsozialistischen      Regimes,
                                                                                        1933
nach der Instrumentalisierung von Wissen-      sowie faschistischer Regime im All-
                                                                                         1934
schaft für Krieg und Diktatur (etwa in der     gemeinen, zuvorderst die Gewalt
kriegsorientierten Ausbeutung der Boden-       als Mittel der politischen Auseinan-
                                                                                       1935
schätze oder in der Instrumentalisierung des   dersetzung zu gebrauchen. Innen-
                                                                                        1936
Wetterdienstes für die Luftwaffe) werden       politisch bedeutete das eine von
                                                                                         1937
die politischen Vorgänge innerhalb der For-    Gewalt geprägte Auseinanderset-         1938
schungseinrichtungen beleuchtet.               zung und, soweit möglich, Unter-         1939
                                               drückung des politischen Gegners.       1940
                                               Außenpolitisch führte dies stets zu       1941
 Hierbei soll den Fragen                       territorialem Expansionsbestrebun-       1942
                                                                                       1943
 nachgegangen werden:                          gen und Krieg. Diesem innen- und
                                               außenpolitischen Politikstil der Ge-      1944
 • Welchen Handlungsspielraum 		               walt, also der gewaltsamen Umset-        1945
   hatten leitende Beamte und 		               zung der eigenen Ideen, wurden            1946
   Direktoren?                                 alle anderen gesellschaftlichen,          1947
 • Welche politischen Grabenkämpfe             politischen und wirtschaftlichen Be-     1948
   gab es innerhalb der Anstalten?             reiche untergeordnet: Alles hatte       1949
 • Welche politischen Typologien 		            den Zwecken des nationalsozialis-         1950
   lassen sich auf Seiten der                  tisch-faschistischen Staates zu die-    1951
   Mitarbeiter/innen ausmachen?                nen. Hinsichtlich der Wissenschaft       1952
 • Was kann die heutige moderne                bedeutete dies eine klare Unter-          1953
   Verwaltung aus den historischen             ordnung der Forschung und der           1954
                                               wissenschaftlichen Tätigkeit unter
   Vorgängen lernen?                                                                   1955
                                               die Zwecke des Krieges.
                                                                                        1970
                                                                                            7
DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT - GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus - Geologische Bundesanstalt
INHALT
    KONTINUITÄT DER STAATLICHEN VERWALTUNG VON GBA UND ZAMG                   10

    „...DIE ERGEBNISSE FESTZUHALTEN UND DER ALLGEMEINHEIT                     12
    ZUGÄNGLICH ZU MACHEN...“
    - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Geologische Reichsanstalt“ ab 1849

    „… VON DEM GROSSEN EINFLUSSE AUF DIE WICHTIGSTEN GESCHÄFTE UND            15
    VERHÄLTNISSE DES MENSCHLICHEN LEBENS ...“
    - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Central-Anstalt für Meteorologie und
    Erdmagnetismus” ab 1851

    HERMANN GOERINGS GRIFF NACH ROHSTOFFEN UND                                19
    NS-KOLLABORATION IN ÖSTERREICH
    „I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein.
    II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“

    EINGEGLIEDERT FÜR DIE KRIEGSWIRTSCHAFT                                    24
    - Die GBA im Nationalsozialismus

    HANDLUNGSSPIELRÄUME IM NS-REGIME                                          28
    - Heinrich Beck und Franz Lotze an der Spitze der Zweigstelle Wien

    GEOLOGISCHE ARBEIT STATT „SCHUTTSCHAUFELN“ NACH 1945                      31
    - NS-Angehörige in der GBA

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1848
                                                                     1849
                                                                       1851
                                                                      1918
                                                                     1919
VICTOR CONRAD 		                                                34     1920
- Ein beachtenswertes Forscherleben zwischen Diskriminierung,         1921
Vertreibung und Großmut                                                1930
                                                                     1931
DEGRADIERT UND INSTRUMENTALISIERT                               38    1932
- Die ZAMG im Nationalsozialismus                                     1933
                                                                       1934
HANDLUNGSSPIELRÄUME IN DIKTATUREN                               42
                                                                     1935
- Heinrich Ficker
                                                                      1936
                                                                       1937
„MEINE ARISCHE ABSTAMMUNG UND DIE MEINER FRAU                   45
KANN ICH JEDERZEIT NACHWEISEN“
                                                                     1938
- Parteiopportunismus bei Mitarbeitern der ZAMG
                                                                      1939
                                                                     1940
ENTNAZIFIZIERUNG UND WIEDERAUFNAHME DER                         48     1941
UNABHÄNGIGEN FORSCHUNGSTRADITION                                      1942
- Die GBA nach dem Krieg                                             1943
                                                                       1944
„WETTERBERICHT KEIN GEHEIMNIS MEHR“                             53    1945
- Die ZAMG in der Nachkriegszeit                                       1946
                                                                       1947
LERNEN AUS DER GESCHICHTE?		                                    58    1948
                                                                     1949
                                                                       1950
                                                                     1951
                                                                      1952
                                                                       1953
                                                                     1954
                                                                     1955
                                                                      1970
                                                                          9
DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT - GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus - Geologische Bundesanstalt
KONTINUITÄT
     der staatlichen Verwaltung von
     GBA und ZAMG

     Die Amtskalender verdeutlichen die Kontinuität der staat-
     lichen Verwaltung der beiden Forschungseinrichtungen und
     Dienste. In Zeiten der Monarchie, der Ersten und der Zwei-
     ten Republik wurden GBA und ZAMG stets in der gleichen
     Abteilung des Unterrichts- bzw. Wissenschaftsministeriums
     betreut (früher k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht,
     später Bundesministerium für Unterricht, ab 1970 Bundesmi-
     nisterium für Wissenschaft und Forschung und heute Bundes-
     ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung). Die
     NS-Zeit stellte durch die Eingliederung unter die Berliner
     Behörden verwaltungstechnisch einen Bruch dar.

10
11
„… DIE ERGEBNISSE FESTZUHALTEN
           UND DER ALLGEMEINHEIT 1849, 1921,
                                          1851,

           ZUGÄNGLICH ZU MACHEN …“
           - Der Arbeitsauftrag an die
           „k.k. Geologische Reichsanstalt“ ab 1849
                      Bei der Gründung der heuti-           Bei der Gründung der „k. k. geologischen
                      gen GBA wie auch der heutigen         Reichsanstalt“ kamen dem Mineralogen
                      ZAMG sind ähnliche Dynamiken          Wilhelm Karl Ritter von Haidinger (1795–
                      auszumachen. Beide Forschungs-        1871, Direktor 1849–1866) und dem
                      einrichtungen entstanden in der für   1848 zum Minister für Landeskultur und
                      den Liberalismus opportunen Zeit      Bergwesen ernannten Ferdinand Freiherr
                      der Umbrüche von 1848/49 und          von Thinnfeld Schlüsselrollen zu. Thinnfeld
                      danach. An der Modernisierung         galt im Bereich der Landwirtschaft und des
                      des Staates, der Verwaltung und       Montanwesens als sehr bewandert und er-
                      der Wissenschaft interessierte hohe   strebte die Errichtung einer staatlichen geo-
                      Beamte und einzelne (zum großen       logischen Anstalt, wie sie zur damaligen
                      Teil aus dem Adel stammende) For-     Zeit bereits in Frankreich und in England
                      scherpersönlichkeiten nutzten die     bestanden. Haidinger leitete seit 1840 die
                      Bereitschaft des damals jungen        k. k. Mineraliensammlung, die auch als Aus-
Wilhelm Haidinger,    Monarchen Franz Joseph I., um         bildungsstätte für Bergleute unter der Be-
Mitbegründer und      nachhaltige wissenschaftliche For-    zeichnung „k. k. montanistisches Museum“
erster Direktor der   schungseinrichtungen zu gründen.      bekannt war. Es war Minister Thinnfeld, der
Geologischen                                                      Haidinger in einer politisch opportu-
Reichsanstalt
(GBA)                                                             nen Zeit unmittelbar nach dem Regie-
                                                                   rungsantritt des jungen Kaiser Franz
                                                                   Joseph I. dazu aufforderte, ein umfas-
Gründung der                                                        sendes Konzept auszuarbeiten, wie
Geologischen
Reichsanstalt                                                       „die geognostischen Verhältnisse des
durch Franz                                                          ganzen Reiches fortwährend auf das
Joseph I.                                                            Genaueste zu durchforschen“ seien.
(Österreichi-                                                        Staatlicherseits wurde hier durchaus
sches Staats-
archiv)                                                               Weitsicht bewiesen. Thinnfeld argu-
                                                                      mentierte hinsichtlich der Erschlie-
                                                                      ßung und Benützung der Boden-
                                                                      schätze, dass die unorganische
                                                                       Natur „nicht reproductiv“ sei, und

12
1918, 1919, 1920,
1922, 1923
  „so gebietet es die Vorsicht und Vorsorge für   setzt: in der Frühzeit ihres Bestehens von
  ihre möglichst dauernde Benützung, dass         Seiten akademischer Kreise, insbesondere
  sie die Staatsverwaltung ihrer besonderen       der Akademie der Wissenschaften, die die
  Aufmerksamkeit unterziehe.“ Die kaiserliche
  Genehmigung einer geologischen Reichs-
                                                                                      Erläuterungen zu
  anstalt erfolgte schließlich am 15. Novem-
                                                                                      einer geologischen
  ber 1849.                                                                           Übersichtskarte von
                                                                                      Franz Hauer 1858
  Allgemeine Aufgabe der neu gegründeten                                              (GBA)
  Anstalt war es „das Kaiserreich geologisch
  zu durchforschen, […] die Ergebnisse festzu-
  halten und der Allgemeinheit zugänglich zu
                                                                                      Darstellung zu Braun-
  machen.“ In einem weiteren Schreiben an                                             kohlevorkommen im
  den nunmehr zum Direktor ernannten Wil-                                             Jahresbericht der
  helm Haidinger erteilte Minister Thinnfeld                                          Geologischen
  detaillierte Aufgaben zur geologisch-wis-                                           Reichsanstalt 1866
                                                                                      (GBA)
  senschaftlichen Arbeit der neuen Anstalt.
  Darüber hinaus hielt er fest: „Alle gesam-
  melten Wahrnehmungen und wissenschaft-
  lichen Forschungen sind in ausführlichen
  Abhandlungen zur allgemeinen Kenntnis zu
  bringen“.
  Staatlicherseits war also zum einen eine
  starke Tendenz hin zur Institutionalisierung    selbständige Tätigkeit der Geologen mit
  und Professionalisierung der Wissenschaft       Misstrauen beobachtete.
  vorhanden. Außerdem war auch das Be-            Einige Jahrzehnte später, um 1900, trat au-
  streben deutlich, wissenschaftliche Erkennt-    ßerdem ein Konfliktfeld hervor, das auch in
  nisse und wissenschaftlichen Fortschritt der    der Zeit der NS-Diktatur an Vehemenz ge-
  Allgemeinheit nutzbar zu machen.                winnen sollte: der wirtschaftliche Nutzen der
                                                  Geologie. In einer Zeit verstärkter Industria-
  Die Geologische Reichsanstalt konnte sich       lisierung stand die Reichsanstalt unter Emil
  in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens bis   Tietze (1845–1931, Direktor 1902–1919)
  zum Ende der Habsburgermonarchie inter-         dem Vorwurf gegenüber, rein wissenschaft-
  national einen bedeutsamen wissenschaftli-      lich tätig zu sein und zu wenig für die ange-
  chen Ruf erarbeiten und trieb insbesondere      wandte Geologie und den Bergbau zu tun.
  die Erstellung von geologischen Karten des      Die Beschwerden, die insbesondere aus
  gesamten Reiches effektiv voran. Dennoch        dem privatwirtschaftlichen Bereich kamen,
  war sie bereits sehr früh Angriffen ausge-      führten zu politischen Debatten im Reichs-

                                                                                                        13
Zusammenbruch der Monarchie hatten die
                                                      in der Reichsanstalt beschäftigten Geolo-
                                                      gen entlegene und auch verkehrstechnisch
                                                      schwer zugängliche Gebiete der k. u. k.
                                                      Monarchie bereist. Nach 1918 beschränk-
                                                      ten sich Untersuchungen auf das wesentlich
                                                      kleinere Gebiet der jungen Republik.
                                                      Der politische Umbruch brachte auch eine
                                                      entsprechende Schrumpfung staatlicher
       Emil Tietze,                                   Einrichtungen. Für die GBA bedeutete dies
       Direktor während des Umbruchs 1918 (GBA)       unmittelbar eine Verkleinerung des Perso-
                                                      nalstandes von 19 Geologen im Jahr 1914
     rat (1902 bezüglich Erzvorkommen in Dal-         auf 13 Ende 1919 und später auf 7 im Jahr
     matien, 1905 während der Errichtung der          1929. Der allgemeine Arbeitsauftrag blieb
     Alpenbahnen und später 1911 betreffend           jedoch gleich, bzw. wurde durch staatliche
     Kohlebergwerken in Galizien). Der Konflikt       Förderprogramme sogar ausgeweitet. We-
     löste sich schließlich damit auf, dass seitens   sentlich waren hierbei etwa geologische
     des Reichsrats der Vorrang des wissen-           Expertisen zu den geplanten Tauernkraft-
     schaftlichen Charakters der Geologischen         werken, wie auch das Mitwirken an Projek-
     Reichsanstalt bestätigt wurde. Erst in zweiter   ten im Ausland zu Rohstofferschließung und
     Linie sollte sie in ihrer Tätigkeit nach Mög-    Kraftwerksbau (etwa im Gebiet des heuti-
     lichkeit auch praktischen bergbaulichen An-      gen Kroatien, in der Tschechoslowakei und
     sprüchen entgegenkommen.                         in Rumänien).
                                                      Die Amtszeit des ersten in der Zeit der Re-
     Das Jahr 1918 bedeutete einen vehementen         publik eingesetzten Direktors Georg Geyer
     Einschnitt auch für staatliche wissenschaft-     (1857–1936, Direktor 1919–1923) endete
     liche Einrichtungen wie der k. k. Geologi-       bereits im Jahr 1923. Neuer Direktor, der
     schen Reichsanstalt. Dies aus verschiedenen      die Bundesanstalt über das Ende der Ersten
     Gründen: Zum einen rekrutierte sich das wis-     Republik hinaus bis in die Zeit des autori-
     senschaftliche Personal aus dem Gebiet der       tären Dollfuß/Schuschnigg-Regimes leitete
     gesamten Monarchie. Angestellte, die nach        war Wilhelm Hammer (1875–1942, Direk-
     1918 etwa für die ungarische, polnische          tor 1924–1935).
     oder tschechoslowakische Staatszuge-
     hörigkeit optierten, verloren ihre Beschäfti-
     gung. Direktor Tietze suchte im Zuge der po-
     litischen Umwälzungen am 31. Jänner 1918
     um Versetzung in den Ruhestand an. Mit
     den politischen Umbrüchen wandelte sich
     das geografische Betätigungsfeld. Bis zum

14
1851,1854,1865,
        1866,1873,
          1918,1919,1922

        „… VON DEM GROßEN EINFLUSSE
        AUF DIE WICHTIGSTEN GESCHÄFTE
        UND VERHÄLTNISSE DES
        MENSCHLICHEN LEBENS ...“
        - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Central-Anstalt
        für Meteorologie und Erdmagnetismus“ ab 1851
                          Die „k. k. Central-An-      für öffentliche Arbeiten und das Bergwe-
                          stalt für Meteorologie      sen, regte die Errichtung eines landesweiten
                          und Erdmagnetismus“,        meteorologischen Beobachtungssystems
                          die heutige ZAMG,           entlang des Eisenbahnnetzes an. Karl Kreil
                          wurde 1851 auf Anre-        (1798–1862, Direktor 1851–1862), wirk-
                          gung der „kaiserlichen      liches Mitglied der Akademie und Direktor
                          Akademie der Wis-           der „k. k. Sternwarte zu Prag“, wurde da-
                          senschaften in Wien“        mit beauftragt, die Errichtung eines der-
                          (seit 14. Mai 1847)         artigen Systems umzusetzen. Eingerichtet
                          gegründet. Sie kann         wurden Messstationen an geografisch
                          somit als Teil einer all-   wichtigen Bahnhöfen. Außerdem wurden
                          gemeinen Tendenz zur        über das gesamte Gebiet der Monarchie
                          Aufwertung der institu-     Freiwillige gewonnen, die meteorologische
                          tionalisierten Wissen-      Messungen durchführten. Kreil betonte von
                          schaft in der Mitte des     Anfang an die Wichtigkeit einer „Central-
                          19. Jahrhunderts ver-       station in Wien“. Kreils Vorschlag für die
                          standen werden. Der         anzustellenden regelmäßigen Beobach-
                          Vizepräsident der Aka-      tungen in einer derartigen Zentrale zeugen
Karl Kreil,               demie, Andreas Frei-        insofern von Weitblick, als fast alle davon
Mitbegründer und erster   herr von Baumgartner,
Direktor 1851-1862
                                                      auch heute noch durchgeführt werden. Der
(ZAMG)                    damals auch Minister        Minister für Cultus und Unterricht Leo Graf

                                                                                                     15
Ähnlich wie die heutige GBA erlangte die
                                                         ZAMG in den ersten sechs Jahrzehnten
                                                         ihres Bestehens internationales Renommee.
       Die anfängliche Unterkunft der heutigen ZAMG in   1865 wurde die erste Wetterkarte der ge-
       der Favoritenstraße in Wien (ZAMG)                samten k. u. k. Monarchie herausgegeben.
                                                         Mit der Gründung einer „Österreichischen
     von Thun-Hohenstein befürwortete den                Gesellschaft für Meteorologie“ im Jahr
     entsprechenden Antrag der Akademie der              1865 begann 1866 auch die Herausga-
     Wissenschaften 1851: „Die Ansichten der             be einer periodischen Meteorologischen
     Akademie über die Wichtigkeit eines gere-           Zeitschrift, die, nach einer kriegsbedingten
     gelten und über die ganze Monarchie aus-            Unterbrechung ab 1944, erst wieder 1992
     gebreiteten Systems von meteorologischen            in Kooperation mit der Deutschen Meteoro-
     und magnetischen Beobachtungen theile               logischen Gesellschaft und der Schweize-
     ich vollkommen“. Er argumentierte, dass die         rischen Gesellschaft für Meteorologie her-
     Wetterverhältnisse schließlich einen wichti-        ausgegeben wird. Im Jahr 1873 wurde der
     gen Einfluss „auf die wichtigsten Geschäfte         „Erste internationale Meteorologen-Con-
     und Verhältnisse des menschlichen Lebens            gress“ in Wien abgehalten. Beschlüsse
     ausüben“.                                           während des Kongresses waren die Basis
     Zu beachten ist in diesem ministeriellen Ent-       für eine weltweite internationale Zusam-
     wurf zum einen das klare Bekenntnis zur             menarbeit der meteorologischen Dienste,
     Förderung einer Wissenschaft, die dem               die IMO – Internationale Meteorologische
     Wohl der Allgemeinheit dienen soll („die            Organisation –, Vorläuferin der WMO war
     wichtigsten Geschäfte und Verhältnisse des          gegründet.
     menschlichen Lebens“). Zum anderen wird
     hier trotz der geplanten staatlichen Unter-
     stützung vordergründig auf weitergehende            Unter Julius Hann (1839–1921, Direktor
     staatliche Einflussnahmen verzichtet. Diese         1877–1897) erfolgte ein starker landeswei-
     Haltung unterscheidet sich sowohl von der           ter Ausbau des meteorologischen Stations-
     Skepsis gegenüber der Wissenschaft in               netzes und die Errichtung bestens ausge-
     vorangehenden Epochen absolutistischer              rüsteter Gipfelstationen zur Erforschung der
     Herrschaft, als auch von der massiven staat-        Vorgänge in der Atmosphäre. Besonders
     lichen Einflussnahme auf die Wissenschaft in        hervorzuheben ist das unter Hann auf einer
     den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, insbe-         Höhe von 3106m im Jahr 1886 errichtete
     sondere im Nationalsozialismus.                     Sonnblick-Observatorium. Die bis heute
     Franz Joseph I. bewilligte die Gründung der         höchste Gipfelwetterwarte Europas blickt
     „Central-Anstalt“ am 23. Juli 1851.                 heute auf 132 Jahre ununterbrochener Be-

16
obachtungsreihen zurück. Eine Erweiterung      nischen) Reichshälfte ausdehnen konnte,
der Aufgaben ergab sich durch die Über-        wurde sie danach in ihren Forschungen auf
nahme des Erdbebendienstes von der Aka-        das wesentlich kleinere Gebiet der neuen
demie der Wissenschaften im Jahr 1904.         Republik beschränkt. Während kriegsbe-
Erster Leiter wurde der später international   dingt 1914–1918 bereits eine Reihe von
anerkannte Seismologe Victor Conrad            Wetterstationen ihren Betrieb einstellten,
(1876–1962). Dies zog die Umbenennung          so bedeutete die Aufteilung der öster-
in den noch heute gebräuchlichen Namen         reichisch-ungarischen Monarchie für die
„Zentralanstalt für Meteorologie und Geo-      ZAMG den Verlust weiterer 189 Stationen
dynamik“ nach sich.                            an die Nachfolgestaaten. Auch in personel-
                                               ler Hinsicht waren starke Einschnitte hinzu-
Während etwa die ZAMG bis 1918 ihr             nehmen. Der ehemalige Leiter des seismi-
meteorologisches Beobachtungsnetz über         schen Dienstes Rudolf Schneider, Conrads
das Gebiet der österreichischen (zisleitha-    Nachfolger, wurde aufgrund seiner Natio-
                                                       nalität 1918 des Dienstes enthoben
                                                       und übernahm 1919 die Leitung der
                                                        neubegründeten Tschechoslowaki-
                                                        schen Meteorologischen Anstalt.
                                                         Direktor Felix Maria Exner (1876–
                                                         1930, Direktor 1916–1930) be-
                                                          mühte sich, den im Wetterdienst
                                                          beschäftigten Wenzel Janda im
                                                          Dienst zu halten, was aber seitens
                                                           des Staatsamtes für Unterricht
                                                            aufgrund seiner tschechischen
                                                            Nationalität abgelehnt wurde.
                                                             Ebenso galt es nun, eine Güter-
                                                             trennung unter den Nachfolge-
                                                              staaten vorzunehmen.

                                                              Erstes Jahrbuch der ZAMG, 1854 (ZAMG)

                                                                                                  17
Von Heinrich Ferstel errichtetes und 1872 bezogenes Gebäude der ZAMG auf der Hohen Warte in Wien (ZAMG)

          Dies betraf insbesondere Archivmaterial            Im Gegensatz zur Gepflogenheit anderer
          und Messgeräte.                                    Länder wurde in Österreich der Flugwetter-
          Die Jahre der Zwischenkriegszeit brach-            dienst nicht in den bestehenden staatlichen
          ten trotz der wirtschaftlichen Not eine ge-        Wetterdienst der ZAMG eingegliedert,
          wisse Stabilisierung und teilweise sogar           sondern als eigenständige Einrichtung dem
          Ausbau der wissenschaftlichen Arbeit und           Bundesministerium für Handel und Verkehr
          den Ankauf modernerer Arbeitsgeräte an             unterstellt.
          der ZAMG mit sich. Ein Höhepunkt jener
          Zeit war außerdem eine beachtenswer-
          te internationale Tagung, die im Jahr 1922
          auf dem Sonnblick-Observatorium abge-
          halten wurde. Die Wetterprognosen der
          ZAMG erlangten eine stärkere Bedeutung
          durch den in den 1920ern stark anwach-
          senden Tourismus, der für die junge Repu-
          blik große wirtschaftliche Bedeutung hatte.
          Zunehmend waren Wetterprognosen auch
          für den wachsenden Flugverkehr gefragt.

18
1851,1854,1865,
   1866,1873,
  1918,1919,1922

„HERMANN GOERINGS GRIFF NACH
ROHSTOFFEN UND NS-KOLLABORATION
IN ÖSTERREICH“
„I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren
    einsatzfähig sein.
II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren
    kriegsfähig sein.“
Diese beiden Aufgaben für die Zukunft hielt     Ziele sollte die geologische Forschung
Adolf Hitler im August 1936 in einer gehei-     vereinnahmt und instrumentalisiert werden.
men Denkschrift zum Vierjahresplan fest, der    Göring, der durch die Verquickung seiner
1933 und 1936 propagandistisch intendiert       militärischen, außenpolitischen und wirt-
vom NS-Regime ausgerufen wurde. Im              schaftspolitischen Zuständigkeiten eine ein-
Deutschen Reich sollten wirtschaftspolitische   zigartige Stellung im NS-Staat einnahm,
Maßnahmen getroffen werden, die eine            machte Wilhelm Keppler zu seinem Berater
vorübergehende Entlastung bringen, aber in      für die Erforschung des deutschen Bodens.
der Zukunft eine endgültige Lösung ermög-
lichen würden. Die „endgültige Lösung“ sah      Mit Blick auf die österreichischen Rohstoffe
Hitler in einer gewaltsamen Erweiterung des     bestimmte der Vierjahresplan ab Frühsom-
deutschen Lebens- und Wirtschaftsraumes.        mer 1936 auch zunehmend die deutsche
Einer der Kernpunkte des Vierjahresplanes       Außenpolitik. In einer Sitzung des Arbeits-
war daher die Erweiterung der Rohstoff-         kreises der eisenschaffenden Industrie im
basis. Hitler bestellte Hermann Göring zur      März 1937 erklärte Göring, dass sich die
obersten koordinierenden Instanz in allen       Versorgungssituation eines von der Welt
Rohstoff- und Devisenfragen. Nach der           abgeschlossenen Deutschlands durch Ös-
Einrichtung einer eigenen Behörde wurde         terreich erheblich verbessern ließe. Speku-
Göring im Oktober 1936 offiziell mit der        liert wurde mit den Lagerstätten für Eisen,
Durchführung des Vierjahresplanes betraut.      Magnesit, Antimon und Erdöl. Göring gilt
Zum Erreichen der kriegswirtschaftlichen        als einer der wesentlichen Initiatoren des

                                                                                               19
Unmittelbar nach dem „Anschluss“ trat Göring eine Reise zu Erzlagerstätten in
Kärnten und Steiermark an (MuseumsCenter Leoben/Stadtarchiv)

20
21
„Anschlusses“. Nach dem gescheiterten                    Kenntnisstand Geologen der Bundesanstalt
           Putschversuch 1934 sollte die nationalso-                nicht in illegale Aktivitäten für die ab 1933
           zialistische Machtübernahme in Österreich                in Österreich verbotene NSDAP involviert.
           auf evolutionärem Weg, also durch die Un-                Ein wesentlicher österreichischer Beitrag für
           terwanderung Österreichs erfolgen. Dazu                  den Vierjahresplan des NS-Regimes wurde
           wurde neben staatlichen und privaten Insti-              in Leoben geleistet.
           tutionen die österreichische Wirtschaft infilt-
           riert und unterwandert. Mit Staatskapital zu-
           sätzlich aufgerüstete deutsche Unternehmen               Illegale Lagerstättenforschungsstelle
           kauften finanzschwache österreichische
           Unternehmen oder stiegen in Beteiligungen                in Leoben
           ein, um dann die Aktienmajoritäten zu erlan-             Die Montanistische Hochschule Leoben und
           gen. Eine Schlüsselfigur war dabei Wilhelm               die Technische Hochschule Graz waren
           Keppler.                                                 von 1935 bis 1937 zusammengelegt, was

„Karte der wichtigsten Erzlagerstätten Deutschösterreichs“ der Lagerstättenforschungsstelle Leoben, 12. März 1938 (GBA)

           Der Griff nach den österreichischen Rohstof-             eine letztlich wenig wirksame Kontrollmaß-
           fen wurde jedoch auch von österreichischer               nahme zur Überwachung der nationalso-
           Seite unterstützt. So stand der österreichi-             zialistischen Umtriebe in diesen Institutionen
           sche Geologe Artur Winkler-Hermaden                      sein sollte. Im Juli 1937 sprach Wilhelm Pe-
           (1890–1963) in deutschen Diensten. Er                    trascheck (1876–1967), Leobener Professor
           wurde wegen der Beteiligung am national-                 für Geologie, Paläontologie und Lagerstät-
           sozialistischen Putschversuch 1934 von der               tenlehre, in Berlin bei Keppler vor und be-
           Bundesanstalt entlassen. Durch den Salz-                 richtete über österreichische Lagerstätten.
           burger Nationalsozialisten Erich Saffert                 Auf Antrag seines ebenso an der Hoch-
           (1896–1976) wurde bei einem Vortrag für                  schule tätigen Sohnes Walter Walther Emil
           Keppler über verschiedene Erzvorkommen                   Petrascheck (1906–1991), einem illegalen
           im Land Salzburg Wissen in das nationalso-               Nationalsozialisten und späteren Preisträ-
           zialistische Deutschland transferiert. Außer             ger der Haidinger-Medaille der GBA, stell-
           Winkler-Hermaden waren nach bisherigem                   te die Deutsche Forschungsgemeinschaft im

22
Winter 1937/38 Mittel für die Lagerstätten-    sammeln und karteimäßig zu ordnen. Laut
forschung bereit.                              Dadieu wären die Vorbereitungsarbeiten
                                               so rasch durchgeführt worden, dass 1937
Dem Historiker Peter Danner zufolge, be-       noch vor dem „Anschluss“ mit praktischen
gannen in Graz und Leoben schon 1936           Schurfarbeiten begonnen werden konnte.
einige Professoren, Assistenten und Absol-
venten mit geheimen Vorarbeiten für eine       Die Forschungsstelle war in eine Abteilung
systematische Erforschung der österreichi-     „Lagerstättenforschung“ und in eine Ab-
schen Lagerstätten im Hinblick auf die Be-     teilung „Aufbereitung und Verhüttung, ana-
dürfnisse des deutschen Vierjahresplanes.      lytische Arbeiten“ untergliedert. Sie hatte
Armin Dadieu (1901–1978) war persönlich        1938 einen Personalstand von neun haupt-
von Hermann Göring beauftragt worden,          amtlichen, sieben ehrenamtlichen und acht
eine vom Deutschen Reich finanzierte For-      auswärtigen Mitarbeitern. Bei 20 der 24
schungsstelle im Rahmen des Vierjahrespla-     Männer ist eine NS-Angehörigkeit bekannt
nes in Österreich zu schaffen. Dezidiertes     (83%). Die Mehrzahl gehörte schon vor
Ziel dieser Forschungsstelle war eine sys-     1938 der NSDAP oder einer ihrer Glie-
tematische rohstoffwirtschaftliche Bestands-   derungen an. Mit dem „Anschluss“ am 12.
aufnahme der Erzreserven in Österreich.        März 1938 legte die Forschungsstelle den
                                               Stand ihrer bisherigen Arbeit in der „Karte
Mit den der Hochschule zur Verfügung           der wichtigsten Erzlagerstätten Deutschös-
stehenden umfangreichen Aufzeichnungen         terreichs“ vor. Nach der Gleichschaltung
und Karteien sowie den persönlichen Ver-       der GBA in der NS-Zeit wurde die For-
bindungen zum Bergbau konnten in knapp         schungsstelle Leoben in die Wiener Anstalt
einem halben Jahr die nötigen Vorarbeiten      eingegliedert.
geleistet werden. Diese bestanden daraus,
das vorhandene Material und die Litera-
tur, ergänzt durch persönliche Berichte zu

  Armin Dadieu                 Geboren 1901 in Marburg/Maribor, 1932–1940 Ao. Prof. für
                               anorganische und physikalische Chemie an der Technischen
                               Hochschule Graz, 1940–1945 o. Prof. für theoretische und
                               physikalische Chemie an der Universität Graz, 1932 Mitglied
                               der NSDAP, 1936 Mitglied der SS, Sprengstoffherstellung am
                               Universitätsinstitut für die illegale NSDAP, 1937–1938 Leiter
                               des Volkspolitischen Referats der Vaterländischen Front in der
                               Steiermark, 1938–1940 Landesstatthalter von Steiermark,
                               1940–1945 Gauhauptmann von Steiermark, 1938–1941
                               Gauwirtschaftsberater der NSDAP, 8. Mai 1945 Übergabe
                               der Regierungsgeschäfte, 1946 als Kriegsverbrecher gesucht,
                               1948 Flucht nach Südamerika, danach Professor für Luft- und
                               Raumfahrt in Stuttgart, verstorben 1978 in Graz.

                                                                                                23
EINGEGLIEDERT FÜR DIE 1937,1938,1
                                1942,
     KRIEGSWIRTSCHAFT
     - Die GBA im Nationalsozialismus

     Bereits wenige Tage nach dem „Anschluss“       „Die Wiener Anstalt, das älteste geologi-
     am 12. März 1938 kam es zwischen dem           sche Staatsinstitut auf dem Kontinent, sollte
     noch amtierenden österreichischen Wirt-        entgegen aller Wirklichkeit als belang-
     schaftsminister Hans Fischböck und dem         los gegenüber dem viel jüngeren und an
     Wirtschaftsbeauftragten Hitlers Wilhelm        wissenschaftlicher Bedeutung bei Weitem
     Keppler zu einer Grundsatzbesprechung          nicht gleichwertigen Berliner Institut zu-
     über die neuen Aufgaben der Geologi-           rückgedrängt werden.“
     schen Bundesanstalt. Sie sollte die zentrale
     Stelle der ostmärkischen „Bodenforschung“      Am 20. Mai 1938 trat mit der Bergrechts-
     werden. Direktor Gustav Götzinger wurde        verordnung für das Land Österreich das
     zum Rücktritt gezwungen und zum Chef-          deutsche Lagerstättengesetz in Kraft, wo-
     geologen degradiert. Die kommissarische        durch das Schurfwesen in Österreich eine
     Leitung der Anstalt übernahm Heinrich          Ausdehnung erfuhr und die geowissen-
     Beck. Mit dem Eintreffen der Beauftragten      schaftlichen Untersuchungsarbeiten bei der
     der Berliner Reichsstelle für Bodenforschung   Wiener Landesanstalt konzentriert wurden.
     Bernhard Brockamp (1902–1968) und              Das NS-Regime stellte die geologischen
     Erich Haberfelner (1902–1962) sowie dem        Geländearbeiten in Hinblick auf den Vier-
     Erdölexperten Erwin Veith (1909–?) wurde       jahresplan in den Dienst der Erforschung
     die massive Umorganisation der Anstalt fort-   nutzbarer Lagerstätten und der großen Bau-
     gesetzt. Sie verlor den autonomen Anstalts-    vorhaben. Die bisherige Gliederung nach
     status und wurde erst zur Geologischen         geologischen Einheiten und Kartenblättern
     Landesstelle Wien, dann zur Zweigstelle        der ehemaligen Geologischen Bundes-
     Wien der Reichsstelle für Bodenforschung       anstalt wurde aufgelöst und nach Boden-
     unbenannt. Die Zentrale der Reichsstelle für   schätzen und der Steinbruchkartei neu
     Bodenforschung in Berlin hatte die Aufsicht    gegliedert. Der Druck der geologischen
     und Kontrolle über die Zweigstelle Wien        Kartenwerke musste eingestellt werden
     und einen bestimmenden Einfluss. Die De-       und die Rohstoffsuche wurde im Sinne der
     gradierung der Geologischen Bundesan-          kriegswirtschaftlichen Aufrüstung zum priori-
     stalt kommentierte der spätere Leiter Hein-    tären Aufgabenbereich gemacht.
     rich Beck folgendermaßen:
                                                    Die rasch anlaufenden Prospektions- und
                                                    Schurfarbeiten waren mehrschichtig organi-
                                                    siert. Neben der Tätigkeit der Lagerstätten-
                                                    abteilung in Wien und der Zweigstelle Leo-
                                                    ben erfolgte die Forschungstätigkeit durch

24
1939,
 1943,1944

    Steinsammlung mit einer Karte der Steinbrüche im Hintergrund (GBA)

  neu eingerichtete Bergbauunternehmungen                Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld der
  (z.B. Hermann-Göring-Werke), durch zahl-               Landesanstalt bzw. der Zweigstelle Wien
  reiche neu gegründete Schurfgesellschaften             war die systematische Erfassung der Na-
  und durch die gesteuerte Schurftätigkeit von           tursteinvorkommen in Österreich und die
  Privatpersonen. Insgesamt wurden von der               Beratung der verschiedenen Steinverbrau-
  Reichsstelle für Bodenforschung zwischen               cher. Angeblich wurde mit den Arbeiten zur
  1939 und 1943 in Österreich, im Gebiet                 Steinbruchkartei schon vor dem „Anschluss“
  des heutigen Slowenien und der Slowakei                begonnen. Bis Ende 1938 waren 514, bis
  132 Lagerstätten montangeologisch unter-               Ende 1939 über 1750 Steinbrüche erfasst.
  sucht und teilweise bergbautechnisch be-               Das in der Zweigstelle Wien untergebrach-
  treut. Die Schurfprogramme wurden ab                   te, aber der Reichsstelle Berlin unterstellte
  1944 kriegsbedingt stark reduziert.                    Institut für Erdölgeologie leistete mit der

                                                                                                         25
Förderung der Ölproduktion einen wesent-
       lichen kriegswichtigen Beitrag. Die Jahres-
       erdölproduktion lag 1938 bei 32.000 Ton-
       nen und konnte 1943 auf 1,1 Mio. Tonnen
       gehoben werden. Mit dieser 34-fachen
       Produktionssteigerung stieg Österreich zum
       drittgrößten Erdölproduzenten Europas auf.

       Stellt man die Mitarbeiter/innen des Jahres
       1937 jenen von 1939 gegenüber, ist in Hin-
       blick auf die Personalentwicklung im Zuge       Ölförderung in Zistersdorf, Oktober 1939
       des „Anschlusses“ die Entlassung von 5 von      (Österreichische Nationalbibliotek)
       18 Personen feststellbar. Von den vor März
       1938 beschäftigten Geologen wurde aber
       niemand aus politischen Gründen ent-          lassen oder in den Ruhestand versetzt. 29
                                                     neue Bedienstete wurden eingestellt, drei
                                                     davon allerdings nur vorübergehend. Die
                                                     Landesanstalt bzw. die Zweigstelle Wien
                                                     erfuhr in den Jahren des NS-Regimes eine
                                                     Aufstockung des Personals auf etwa das
                                                     Doppelte gegenüber den Vorjahren. Seit
                                                     Kriegsbeginn unterlag der Personalstand
                                                     der Zweigstelle Wien starken Fluktuationen.
                                                     Mit Franz Lotze (1903–1971) bekam die
                                                     Zweigstelle Wien der Reichsstelle für Bo-
                                                     denforschung im März 1941 einen neuen
                                                     Leiter. Dieser rief wegen seiner fehlenden
                                                     Österreich-Erfahrung und seinem geringen
                                                     Alter von 36 Jahren bei vielen im Haus Ab-
                                                     lehnung hervor.

                                                          Zwischen den Beschäftigten entstan-
                                                          den in der Arbeitspraxis zahlreiche
                                                          Reibungsflächen. Einzelne Geologen
                                                         waren nicht kooperativ und mussten
                                                         ermahnt werden und es kam zu Mei-
                                                         nungsverschiedenheiten zwischen dem
                                                         österreichischen Stammpersonal und
                                                        zugeteilten „Altreichsdeutschen“, die
     Fragebogen für die Steinbruchkartei (GBA)       zum Teil außerhalb der Hierarchie stan-
                                                     den und ihre Direktiven direkt aus Berlin

26
erhielten. Die Forschungsstel-
le Leoben – Arbeitsgruppe
„Dadieu“ stand in Konflikt mit
der Wiener und der Berli-
ner Stelle. Erstgenannte sah
sich wegen ihrer illegalen
Tätigkeit als primäre Koor-
dinationsstelle der Lager-
stättenforschung und Mei-
nungsverschiedenheiten in
der Bewertung einzelner
Lagerstätten führten zu
Konflikten bei der Mittel-
zuteilung.

Ab 1942 wurden die
Mitarbeiter zunehmend
zum Wehrdienst ein-
gezogen, sodass die
Aufgaben der Zentral-
stelle nur mehr einge-
schränkt wahrgenom-
men werden konnten.
Direktor Lotze wurde
ab 1943 von Hans
Peter       Cornelius
(1888–1950) ver-
treten, der 1944
wiederum       diese
Funktion Josef Schadler (1899-1978)
übergeben musste. Das Palais Rasumofsky,                            Arbeitsbericht
der Sitz der Zweigstelle Wien, wurde mehr-                          von Hans Peter Cornelius, 1939 (GBA)
mals durch Bombentreffer schwer beschä-
digt und in Folge wurde versucht, das wert-
volle Material teilweise auszulagern. Die      Versuch der Übersiedlung von Wien nach
kurz vor der Befreiung vom Nationalsozia-      Oberösterreich durch den kurzzeitig an die
lismus angeordnete Vernichtung der wert-       Zweigstelle zurückgekehrten Franz Lotze
vollen Archiv-, Karten- und Aktenmaterialien   scheiterte. Mit dem Zusammenbruch des
konnte vor allem durch die Mitarbeiterinnen    Nationalsozialismus fand die aus Berlin ge-
Hedwig Horvath (1922–2009) und Maria           steuerte Bodenforschung in Österreich ein
Rösler (1908–?) verhindert werden. Der         Ende.

                                                                                                    27
HANDLUNGSSPIELRÄUME                                                       1937,
     IM NS-REGIME
     - Heinrich Beck und Franz Lotze an                                         1941,
     der Spitze der Zweigstelle Wien

       Heinrich Beck ,                                Franz Lotze,
       Chefgeologe und Kommissarischer Leiter der     Direktor der Zweigstelle Wien 1941-45 (GBA)
       Zweigstelle Wien 1938-41 (GBA)

     Die Vorgänge in der Geologischen Bundes-       schluss“ des Amtes enthoben. Er verblieb
     anstalt antizipierten die Umbrüche des Jah-    an der Anstalt, aber kommissarischer Leiter
     res 1938. Direktor Otto Ampferer (1875–        wurde vorerst der dienstälteste Geologe
     1947, Direktor 1935–1937), der dem             Heinrich Beck (1880–1979, Kommissari-
     Dollfuß/Schuschnigg-Regime nahestand,          scher Leiter 1938–1941). Auf Wunsch des
     trat aus bis heute nicht eindeutig geklärten   Staatssekretärs Wilhelm Keppler, Industriel-
     Gründen Ende des Jahres 1937 zurück.           ler und enger Vertrauter Hermann Görings
     Ihm folgte Gustav Götzinger (1880–1969,        bei der Umsetzung des Vierjahresplans,
     Direktor 1937–1938 und 1945–1949) als          war der reichsdeutsche Geologe Franz
     Direktor bis zum „Anschluss“ im März 1938.     Lotze (1903–1971, Direktor 1941–1945),
     Aufgrund seiner ebenfalls vorhandenen          Professor an der Universität Göttingen, als
     Nähe zum österreichischen Regime, wur-         Direktor der nunmehrigen Zweigstelle Wien
     de Götzinger unmittelbar nach dem „An-         vorgesehen. Vorläufig hatte er Verpflichtun-

28
1938,
, 1945
   gen bei einer deutsch-spanischen Bergbau-      en Umstände zu fügen und reichte umge-
   gesellschaft nachzukommen und löste Beck       hend sein Rücktrittsgesuch ein.
   erst 1941 als Leiter ab.
                                                  Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in
   Lotze war aufgrund seiner mangelnden           Wien Mitte April 1945 ereigneten sich dra-
   fachlichen Profilierung, seiner Unkenntnis     matische Szenen in der Zweigstelle Wien.
   der österreichischen Gegebenheiten und         Lotze, sichtlich besorgt, sich selbst wie auch
   fachlichen Tradition und nicht zuletzt auf-    seinen Status als Leiter der Anstalt zu retten,
   grund seines geringen Alters (immer wie-       verließ Wien gemeinsam mit einigen ande-
   der wurde erwähnt, dass er mit 36 Jahren       ren reichsdeutschen Angestellten in Richtung
   der jüngste Geologe der Anstalt war) als       Kremsmünster in Oberösterreich. Die An-
   Leiter der nunmehrigen Zweigstelle Wien        staltskasse und wertvolles Kartenmaterial
   unbeliebt. Beck kommentierte nach 1945,        nahm er mit. Die in Wien zurückbleibenden
   dass Lotze „Österreich nie gesehen hatte“      Beschäftigten wies er an, Akten- und Karten-
   und bezeichnete ihn als einen „auf österrei-   material im Hof der Anstalt zu verbrennen,
   chische Belange nicht bedachten fremden        was jedoch insbesondere aufgrund des
   Herrn“. Beck weigerte sich, sich in die neu-

                                             Beitragszahlungen Becks an die NSDAP. In der NS-Zeit war er nur
                                             Parteianwärter, sein Aufnahmegesuch wurde abgelehnt (Wiener
                                             Stadt- und Landesarchiv)

                                                                                                               29
Bemühens der Mitarbeiterin Maria Rösler           tionalsozialismus wegen Hochverrats an-
     verhindert werden konnte. In Kremsmünster         geklagte Direktionssekretärin Margarete
     trachtete Lotze danach, eine eigene „Geo-         Girardi (1888–1964) an der Anstalt ver-
     logische Anstalt für Österreich“ aufzubauen.      bleiben konnten. Ebenso bestand er bis ins
     Es gelang ihm sogar, wahrscheinlich unter         Jahr 1939 auf die Veröffentlichung von Bei-
     Ausnutzung der unklaren politischen Lage          trägen eines Geologen jüdischer Abstam-
     nach 1945, außerhalb der sowjetischen             mung, Georg Rosenberg (1897–1969), im
     Besatzungszone Landeszweigstellen seiner          Jahrbuch der nunmehrigen Zweigstelle Wien.
     neuen Anstalt zu errichten.
                                                       Seitens der Bundesanstalt wurde nach
     Beck war bereits im Jahr 1932 der NSDAP           1945 ein Antrag auf Wiedereinstellung von
     beigetreten, hatte allerdings in der vier Jahre   Heinrich Beck gestellt, der jedoch seitens
     währenden „Verbotszeit“ der Partei, die auf       des zuständigen Ministeriums abgelehnt
     die Ermordung Kanzler Dollfuß‘ im Juli 1934       wurde „im Hinblicke auf dessen Eigenschaft
     folgte, keine Beitragszahlungen geleistet.        als Anwärter der NSDAP und auf sein vor-
     Als Beck gemeinsam mit seiner Frau Berta          gerücktes Lebensalter“ (Beck befand sich in
     nach dem „Anschluss“ erneut um Aufnahme           seinem 66. Lebensjahr).
     in die Partei ansuchte, wurde ihm dies als
     Verfehlung vorgehalten. Becks Aufnahme-
     gesuch wurde schließlich mit dem Hinweis
     auf seine Unterbrechung der Beitragszah-
     lungen und damit, dass er auch sonst „keine
     besonderen Leistungen in der Verbotszeit“
     aufzuweisen habe, abgewiesen.

     Beck: NSDAP-Parteianwärter und sein
     Handlungsspielraum
     Nach 1945 wurde Beck vorläufig als re-
     gistrierungspflichtiger ehemaliger National-
     sozialist geführt. In der Tat dürfte er jedoch
     seinen Status als kommissarischer Leiter der
     Zweigstelle Wien und als NSDAP-Partein-
     anwärter dazu benutzt haben, so manche
     Mitarbeiter vor politischer Verfolgung zu
     schützen. So konnte er erreichen, dass der
                                                         Direktionssekretärin Margarete Girardi
     im Zuge des „Anschluss“ abgesetzte Di-              (Österreichische Nationalbibliothek)
     rektor Götzinger, ebenso wie die im Na-

30
1941,
                 1945
GEOLOGISCHE ARBEIT STATT
„SCHUTTSCHAUFELN“ NACH 1945
- NS-Angehörige in der GBA
                                               Eine in den Kriegsjahren zentrale Persönlich-
                                               keit hinsichtlich regimetreuer Ausrichtung der
                                               geologischen Arbeit war Erich Haberfelner
                                               (1902–1962). Er wurde dem kommissari-
                                               schen Leiter Heinrich Beck als Vertreter des
                                               Berliner Reichsamtes für Bodenforschung
                                               zur Seite gestellt. Zugleich übernahm er
                                               die Leitung der Lagerstättenabteilung der
                                               Zweigstelle Wien.

                                               Hans Peter Cornelius (1888–1950) war
                                               innerhalb der GBA als überzeugter Natio-
  Chefgeologe                                  nalsozialist bekannt. Er trat der Partei bereits
  Artur Winkler-Hermaden
                                               im Mai 1933 bei. Wochen vor dem „An-
  (Archiv der TU Graz)
                                               schluss“ warb er bei Kollegen für die Or-
Die größeren politischen Ereignisse der Zwi-   ganisation einer „nationalen Gruppe“ in
schenkriegszeit übten schon sehr früh einen    der Bundesanstalt. Berichten zufolge war
unmittelbaren Einfluss auf die GBA aus. Auf-   es auch Cornelius, der den zur Zeit des
grund seiner Beteiligung am Juliputsch 1934    „Anschluss“ amtierenden Direktor Gustav
wurde der nationalsozialistisch gesinnte       Götzinger im Auftrag der Partei zum Rück-
Chefgeologe Artur Winkler-Hermaden             tritt veranlasste, was allerdings gerichtlich
(1890–1963) unter der Regierung Schusch-       nach 1945 nicht bestätigt wurde. Seine
nigg entlassen. Nach dem „Anschluss“ wur-      Tätigkeiten führten nach 1945 zu seiner Re-
de er umgehend wiedereingestellt bis er        gistrierung als ehemaliger Nationalsozialist.
1941 an die Technische Hochschule in Prag      Cornelius bemühte sich um die Streichung
wechselte.                                     von der Liste. So betonte er einerseits sei-

                                                                                                  31
pflichtenden Arbeitseinsatz für ehemalige
                                                                    NS-Angehörige schrieb Cornelius: „Ich
                                                                    glaube daher, durch weitere Arbeit in mei-
                                                                    nem Fache dem Österreichischen Staate
                                                                     wesentlich wertvollere Dienste leisten zu
                                                                     können als durch Schuttschaufeln“. Daran
                                                                     anknüpfend betonte der Geologe seine
                                                                     fachlich-kulturellen Verdienste: „Wenn ich
                                                                      auch politische Verdienste um den Öster-
                                                                      reichischen Staat nicht aufweisen kann,
                                                                      so doch solche kultureller Art, durch
                                                                      eben meine fachliche Arbeit.“ Denn: „In
                                                                       einem Staate, der auf seine kulturelle
                                                                       Sendung und Tradition – mit Recht –
                                                                        besonderes Gewicht legt, sollte dieser
                                                                        Gesichtspunkt wohl eine Rolle spielen.“

Registrierungsakt von Cornelius als ehemaliger Nationalsozialist   In einem weiteren Punkt kommentiert Corne-
(Wiener Stadt- und Landesarchiv)
                                                                   lius seine Zeit als Nationalsozialist: „Meine
           ne herausragende fachliche Qualifikation:               Zugehörigkeit zur NSDAP ist immer – auch
           „Bei aller gebotenen Bescheidenheit darf                in der illegalen Zeit! – eine papierene
           ich mich als international anerkannten Fach-            Angelegenheit geblieben“. Cornelius be-
           mann auf meinem speziellen Fachgebiet,                  gründet dies einerseits mit seiner angeblich
           der Geologie der Alpen, bezeichnen.“                    unpolitischen „Natur und Veranlagung“. Au-
           Ganz besonders hebt er in diesem Sinne                  ßerdem habe er bereits „seit vielen Jahren
           die von ihm erstellte geologische Karte des             […] nicht einmal mehr das Parteiabzeichen
           Glocknergebietes als internationale „Spit-              getragen, nachdem ich eingesehen, dass
           zenleistung auf dem Gebiete der geologi-                ich mich bezüglich der von der NSDAP
           schen Hochgebirgsdarstellung“ hervor.                   erhofften Vorteile für das allgemeine Wohl
                                                                   getäuscht hatte“.
           In Würdigung seiner Verdienste sei er als
           Ehrenmitglied in eine „Naturforschende                  In die erwähnte Enttäuschung Cornelius‘
           Gesellschaft“ und als Korrespondierendes                über die Politik des NS-Regimes spielten
           Mitglied in die Akademie der Wissenschaf-               möglicherweise auch seine Ambitionen
           ten gewählt worden (beides allerdings in                zum Direktor bzw. zum Leiter der Geologi-
           der NS-Zeit). In Anspielung auf den ver-                schen Landesanstalt/Zweigstelle Wien des

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Reichsamts für Bodenforschung mit hinein,
die bekanntlich keinen Erfolg hatten.

Im Zuge einer Polizeierhebung wird Cor-
nelius zwar als ehemaliger Angehöriger
der NSDAP bezeichnet, der „sich jedoch
politisch nicht hervorgetan und […] in mo-
ralischer Hinsicht nicht nachteilig beleumun-
det“ sei. Seine Beschäftigung an der GBA
wurde nach 1945 allerdings nicht mehr auf-
genommen.

                                                Geologe Hans Peter Cornelius (GBA)

                                                                                     33
VICTOR CONRAD
                                            - Ein beachtenswertes
                                            Forscherleben zwischen
                                            Diskriminierung, Vertreibung und
                                            Großmut
                                                          zel, Habe und Vermögen“. Die geplante Er-
                                                          nennung zum Ordinarius mit 1.1.1919 wurde
                                                          nicht durchgeführt, Conrad wurde wieder
                                                          als Beamter in der Funktion des Leiters des
                                                          Erdbebendienstes eingesetzt. Dass ihm die
                                                          Funktion eines Beamten und nicht die eines
Victor Conrad (ZAMG)                                      Hochschulprofessors zugewiesen wurde,
                                                          empfand Conrad stets als Demütigung.
         Victor Conrad wurde am 25. August 1876           1926 verlieh ihm Bundespräsident Michael
         in Wien in eine großbürgerliche jüdische         Hainisch den Titel eines ordentlichen Uni-
         Familie geboren. Conrad studierte Physik         versitätsprofessors.
         an der Universität Wien und verfasste seine
         Dissertation am physikalisch-chemischen In-      Beharrlich versuchte Conrad auch in der
         stitut unter dem Physiker Franz-Serafin Exner.   Republik Österreich an der Universität Fuß
         Nach seiner Promotion 1900 wurde er ab           zu fassen – 1919 wurde seine venia legen-
         1901 an der ZAMG als Universitätsassistent       di erneuert. Zu einer antisemitischen Diskri-
         angestellt.                                      minierung kam es 1923, als er sich für die
         1904 wurde der Erdbebendienst an der             vakante Lehrkanzel für Meteorologie und
         ZAMG eingerichtet, Victor Conrad zu des-         Geophysik an der Universität Graz nach
         sen ersten Leiter ernannt. 1906 erhielt Con-     Heinrich Ficker bewarb. Die Kommission
         rad die venia legendi für Meteorologie an        zur Wiederbesetzung der Lehrkanzel be-
         der Universität Wien.                            gründete die Nichtberücksichtigung von
         1910 wurde Conrad zum Ao.Univ.Prof.              Conrad im Besetzungsvorschlag folgend:
         der Kosmischen Physik an der Franz-Jo-
         sephs-Universität in Czernowitz (heute           „Prof. Conrad ist Jude und seine Ernennung
         Ukraine) ernannt. Von 1911 bis 1914 orga-        würde schweren Widerstande seitens der
         nisierte Conrad das neue Institut für Kosmi-     Grazer Studentenschaft begegnen […] sieht
         sche Physik und das Observatorium.               die Kommission von einer Nominierung Dr.
                                                          Conrads ab und beschränkt ihren Vorschlag
         Nach dem Zusammenbruch der österrei-             auf die übrigen drei angeführten Gelehr-
         chisch-ungarischen Monarchie Ende 1918           ten.“
         mussten die meisten der deutschen Profes-
         soren Czernowitz Ende Juli 1919 verlassen,       In der Publikation „Laufzeitkurven des Tau-
         so auch Conrad, unter „Verlust der Lehrkan-      ernbebens vom 28. November 1923“

34
Personal der ZAMG um 1910 auf der Hohen Warte 38: 1. Wilhelm Trabert, Direktor der ZAMG; 2. Victor Conrad;
3. Rudolf Schneider, Conrads Nachfolger (ZAMG)
                                                                                                             35
(1925) beschrieb Conrad die Beobachtung von P-Wel-
                                                len, die ihm schließlich zu dem Schluss eines 2-Schich-
                                                ten Aufbaus der Erdkruste führten. Die Grenzfläche die-
                                                ser Schichten wurde später als „Conrad Diskontinuität“
                                                bekannt.
                                                Als 1926 Conrad der Herausgeber von „Gerlands Bei-
                                                trägen zur Geophysik“ – eine der ältesten Zeitschriften
                                                auf diesem Gebiet (1887) – wurde, avancierte die Zeit-
                                                schrift zum wichtigsten internationalen Publikationsorgan
                                                für geophysikalische Forschungen.

                                                Als wahrscheinliche Folge des Bürgerkriegs im Februar
                                                1934 wurde Conrad am 30. April 1934 an der ZAMG
                                                „mit Wartegebühr“ suspendiert, 1936 in den Ruhestand
Schreiben der Kommission zur Besetzung der      versetzt.
Lehrkanzel für Meteorologie und Geophysik der
Universität Graz unterschrieben von:
Hans Benndorf/Physiker, Heinrich Ficker/
Meteorologe, Robert Sieger/Geograph
(Universitätsarchiv Graz)                       „Anschluss“ und Emigration im Mai 1939
                                                Conrad hielt seine letzte Vorlesung an der Universität
                                                Wien im WS 1937/38 über „Niederschlag und Son-
                                                nenschein auf der Erde“.
                                                Nachdem die Nazis an die Macht kamen, hielt der be-
                                                deutende deutsche Seismologe Beno Gutenberg – seit
                                                1930 Professor für Geophysik am California Institute of
                                                Technology in Pasadena – seine Kontakte in Deutsch-
                                                land aufrecht. Er half vielen jüdischen Wissenschaftler/
                                                inne/n aus Deutschland und Österreich, in die USA zu
                                                emigrieren, so auch Victor Conrad; Gutenbergs Bürg-
                                                schaft („affidavit“) für Conrad war für seine Emigration
                                                und somit für das Überleben essentiell.
                                                Mit Hilfe der Society for the Protection of Science and
                                                Learning (London) und dem Emergency Committee in
                                                Aid of Displaced Foreign Scholars (New York) gelang
                                                nach umfangreichem Schriftverkehr 1939 die Flucht in
                                                die USA. Zahlreiche Wissenschaftler setzten sich für
                                                Conrad ein, darunter Ronald P. Bell (1907–1996), einer
                                                der führenden britischen Vertreter der Physikalischen
                                                Chemie an der Universität Oxford, England.

                                                Die erste Zeit in den USA gestaltete sich fern der Heimat
                                                schwierig, wie ein Brief von Conrads Frau Ida an Ver-
                                                wandte im Februar 1946 zeigt:

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