DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT - GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus - Geologische Bundesanstalt
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DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus Broschüre zur Ausstellung: 15.11.2018 bis 20.02.2019 Geologische Bundesanstalt, Neulinggasse 38, 1030 Wien und Johannes Thaler Zentralanstalt für Meteorologie und Gunnar Mertz Geodynamik, Hohe Warte 38, 1190 Wien Christa Hammerl (ab 30.11.2018) Oliver Rathkolb
Die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhun- wir mit Ausstellung und Publikation „Berg- dert ist mit dem Übergang von der Monar- Wetter 1938“ einen Impuls für institutionelle chie zur Republik und mit zwei Diktaturen Selbstreflexion setzen. Mein Dank für ihr En- durch mehrere Brüche gekennzeichnet. An gagement gilt den Mitarbeitern und Mitar- den Beispielen der Geologischen Bun- beiterinnen meines Ressorts und der beiden desanstalt und der Zentralanstalt für Me- wissenschaftlichen Anstalten sowie des Ins- teorologie und Geodynamik, zwei nach- tituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. geordneten Dienststellen meines Ressorts, zeigt die Ausstellung „BergWetter 1938“ Durch die Ergebnisse dieser Studie lernen das Verhältnis von Diktatur, Behörden und wir unter anderem, wie wesentlich die indi- Wissenschaft. Sie verdeutlicht die radikale viduelle Verantwortung einzelner Personen Unterordnung von Wissenschaft und For- ist. Heute würden wir sagen, es geht um schung unter die Zwecke von menschen- Menschlichkeit, Mut, Zivilcourage. Institu- verachtender Ideologie und Krieg. Zu- tionen wiederum dürfen niemals aufhören, gleich werden aber auch die individuellen ihre (eigene) Geschichte zu reflektieren Handlungsspielräume von Personen augen- und Erinnerung zu pflegen. Damit leisten sie scheinlich, die ihre Stellung dazu benutzten, einen wesentlichen Beitrag zur Förderung politisch Verfolgte zu schützen. verantwortungsvoller Wissenschaft und zur Stärkung der Demokratie in unserem Land. Politischem Radikalismus vorzubeugen, verlangt von staatlichen Behörden die Be- Heinz Faßmann reitschaft zu Selbstreflexion und kritischer Bundesminister für Bildung, Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Im Wissenschaft und Forschung Erinnerungsjahr 2018 – Anschluss 1938, und Gründung der Republik 1918 – wollen Wien, Oktober 2018 3
„Lernen Sie Geschichte“, dieses Zitat von Die Geologische Bundesanstalt hat sich Bruno Kreisky aus dem Jahr 1981 ist legen- punktuell schon mit der Zeit des Nationalso- där. 2017 wurde es zum Titel einer Sende- zialismus befasst. 2016 erschien im GBA-ei- reihe in Ö1; die Worte des damaligen Bun- genen Verlag die Publikation „Görings deskanzlers wurden zum Programm, zum Geologen in der Ostmark“. Ein Team von Auftrag. Historikerinnen und Historikern hat nun eine Eine Gesellschaft ohne Geschichtsbewusst- Aufarbeitung der Zeit des politischen Um- sein ist gefährdet, ihre Orientierung an all- bruchs und des Krieges vorgenommen. Die gemein gültigen Werten zu verlieren, die vorliegende Studie, die auf Unterlagen aus das Zusammenleben der Menschen er- dem Archiv der Geologischen Bundesan- möglichen und garantieren. stalt beruht, aber auch andere verfügbare Die Generation der ersten Hälfte des 20. Quellen berücksichtigt, wurde aus Anlass Jahrhunderts, die Irrwege, Kriege und Ka- des Gedenkjahres 2018 durchgeführt. Sie tastrophen persönlich erlebt hat, konnte ihr zeigt die Handlungsspielräume und die Erleben und ihre Erkenntnisse persönlich individuellen Positionen von Wissenschaft- weitergeben. Die übernächste Generation lerinnen und Wissenschaftlern in staatlichen kann nur durch Aufbereitung der schreck- Institutionen in einer politisch brisanten Zeit. lichen Ereignisse, die durch menschliches Versagen verursacht wurden, zum Hinhören Peter Seifert, und Verstehen gebracht werden. Dies kann Direktor der Geologischen Bundesanstalt insbesondere durch Aufzeigen von Me- chanismen der Macht verbunden mit dem totalitären Anspruch auf Wahrheit erreicht werden. 4
Thomas Carlysles Konzept, dass „große his- Gleichzeitig wird bei der Betrachtung der torische Figuren Geschichte schreiben“ fin- größeren Rahmenbedingungen in diesem det sehr rasch seine Grenzen am Boden der sehr kurzen Zeitraum von nur 7 Jahren deut- Realität, wenn man die Ausstellung „Berg- lich, wie rasch rechtsstaatliche Grundlagen, Wetter 1938“ genauer betrachtet. Persön- Moralvorstellungen, Existenzgrundlagen lichkeiten, wie sie in dieser Ausstellung sehr und vor allem die zunächst selbstverständli- aufschlussreich sichtbar werden, gestalten che Kategorie Menschenwürde ausgehöhlt ihre Umgebung stark durch ihre morali- und schließlich über Bord geworfen wurde. schen Konzepte, Werte und Handlungen: Dies aus Sicht einzelner Betroffener zu be- Karrierismus, Charakterstärke, Zivilcourage, trachten und nachzuvollziehen, gibt nicht Nutzung der knappen Handlungsmöglich- zuletzt für die heutige Zeit zu denken. keiten – all dies zeigt, wie sehr das Leben in einer Gemeinschaft wie den beiden Institu- Michael Staudinger, tionen Geologische Bundesanstalt und Zen- Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie tralanstalt für Meteorologie und Geodyna- und Geodynamik mik durch das Verhalten jedes Einzelnen in diesen Institutionen bestimmt wurde. Es gab starken Druck von außen, aber auch Men- schen, die sich schützend vor andere Mit- arbeiter stellten. Geschichte ist immer auch die Geschichte Einzelner und wird durch die Beschreibung der einzelnen Schicksale in ganz anderer Art deutlich, als dies bloße Zahlen oder historische Bruchlinien zeigen könnten. 5
WOZU eine politische Geschichte der Wissenschaft? Die Ausstellung geht der Frage nach, wie Wissenschaft in Diktaturen praktiziert wird. Die Untersuchung ist ein Beitrag zum Ju- Die Geologische Bundesanstalt (GBA) und biläumsjahr 2018 und setzt sich mit dem die Zentralanstalt für Meteorologie und Problemkreis „Behördengeschichte – Geodynamik (ZAMG) sind staatliche For- Wissenschaftsgeschichte – Diktaturfor- schungseinrichtungen und Dienste, die auf schung“ auseinander. fast 170 Jahre Geschichte zurückblicken. Gegründet im Zuge der Reformen nach dem Konkret werden die bereits in der Monar- Revolutionsjahr 1848 (k.k. Geologische chie in einer gemeinsamen Abteilung (heute Reichsanstalt gegr. 1849, k.k. Central-An- BMBWF Abt. V/4) verwalteten staatlichen stalt für Meteorologie und Erdmagnetismus Forschungseinrichtungen GBA und ZAMG gegr. 1851) erreichten die beiden Institutio- hinsichtlich ihrer NS-Vergangenheit unter- nen internationales Renommee. sucht. Vor der Ausgliederung der Wissen- schaftsagenden in ein eigenes Ministerium 6
1848 1849 1851 1918 1919 1920 1921 1930 1931 im Jahr 1970 unterstanden sie dem Bundes- Es war ein Charakteristikum des 1932 ministerium für Unterricht. Neben der Frage nationalsozialistischen Regimes, 1933 nach der Instrumentalisierung von Wissen- sowie faschistischer Regime im All- 1934 schaft für Krieg und Diktatur (etwa in der gemeinen, zuvorderst die Gewalt kriegsorientierten Ausbeutung der Boden- als Mittel der politischen Auseinan- 1935 schätze oder in der Instrumentalisierung des dersetzung zu gebrauchen. Innen- 1936 Wetterdienstes für die Luftwaffe) werden politisch bedeutete das eine von 1937 die politischen Vorgänge innerhalb der For- Gewalt geprägte Auseinanderset- 1938 schungseinrichtungen beleuchtet. zung und, soweit möglich, Unter- 1939 drückung des politischen Gegners. 1940 Außenpolitisch führte dies stets zu 1941 Hierbei soll den Fragen territorialem Expansionsbestrebun- 1942 1943 nachgegangen werden: gen und Krieg. Diesem innen- und außenpolitischen Politikstil der Ge- 1944 • Welchen Handlungsspielraum walt, also der gewaltsamen Umset- 1945 hatten leitende Beamte und zung der eigenen Ideen, wurden 1946 Direktoren? alle anderen gesellschaftlichen, 1947 • Welche politischen Grabenkämpfe politischen und wirtschaftlichen Be- 1948 gab es innerhalb der Anstalten? reiche untergeordnet: Alles hatte 1949 • Welche politischen Typologien den Zwecken des nationalsozialis- 1950 lassen sich auf Seiten der tisch-faschistischen Staates zu die- 1951 Mitarbeiter/innen ausmachen? nen. Hinsichtlich der Wissenschaft 1952 • Was kann die heutige moderne bedeutete dies eine klare Unter- 1953 Verwaltung aus den historischen ordnung der Forschung und der 1954 wissenschaftlichen Tätigkeit unter Vorgängen lernen? 1955 die Zwecke des Krieges. 1970 7
INHALT KONTINUITÄT DER STAATLICHEN VERWALTUNG VON GBA UND ZAMG 10 „...DIE ERGEBNISSE FESTZUHALTEN UND DER ALLGEMEINHEIT 12 ZUGÄNGLICH ZU MACHEN...“ - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Geologische Reichsanstalt“ ab 1849 „… VON DEM GROSSEN EINFLUSSE AUF DIE WICHTIGSTEN GESCHÄFTE UND 15 VERHÄLTNISSE DES MENSCHLICHEN LEBENS ...“ - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Central-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus” ab 1851 HERMANN GOERINGS GRIFF NACH ROHSTOFFEN UND 19 NS-KOLLABORATION IN ÖSTERREICH „I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“ EINGEGLIEDERT FÜR DIE KRIEGSWIRTSCHAFT 24 - Die GBA im Nationalsozialismus HANDLUNGSSPIELRÄUME IM NS-REGIME 28 - Heinrich Beck und Franz Lotze an der Spitze der Zweigstelle Wien GEOLOGISCHE ARBEIT STATT „SCHUTTSCHAUFELN“ NACH 1945 31 - NS-Angehörige in der GBA 8
1848 1849 1851 1918 1919 VICTOR CONRAD 34 1920 - Ein beachtenswertes Forscherleben zwischen Diskriminierung, 1921 Vertreibung und Großmut 1930 1931 DEGRADIERT UND INSTRUMENTALISIERT 38 1932 - Die ZAMG im Nationalsozialismus 1933 1934 HANDLUNGSSPIELRÄUME IN DIKTATUREN 42 1935 - Heinrich Ficker 1936 1937 „MEINE ARISCHE ABSTAMMUNG UND DIE MEINER FRAU 45 KANN ICH JEDERZEIT NACHWEISEN“ 1938 - Parteiopportunismus bei Mitarbeitern der ZAMG 1939 1940 ENTNAZIFIZIERUNG UND WIEDERAUFNAHME DER 48 1941 UNABHÄNGIGEN FORSCHUNGSTRADITION 1942 - Die GBA nach dem Krieg 1943 1944 „WETTERBERICHT KEIN GEHEIMNIS MEHR“ 53 1945 - Die ZAMG in der Nachkriegszeit 1946 1947 LERNEN AUS DER GESCHICHTE? 58 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1970 9
KONTINUITÄT der staatlichen Verwaltung von GBA und ZAMG Die Amtskalender verdeutlichen die Kontinuität der staat- lichen Verwaltung der beiden Forschungseinrichtungen und Dienste. In Zeiten der Monarchie, der Ersten und der Zwei- ten Republik wurden GBA und ZAMG stets in der gleichen Abteilung des Unterrichts- bzw. Wissenschaftsministeriums betreut (früher k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht, später Bundesministerium für Unterricht, ab 1970 Bundesmi- nisterium für Wissenschaft und Forschung und heute Bundes- ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung). Die NS-Zeit stellte durch die Eingliederung unter die Berliner Behörden verwaltungstechnisch einen Bruch dar. 10
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„… DIE ERGEBNISSE FESTZUHALTEN UND DER ALLGEMEINHEIT 1849, 1921, 1851, ZUGÄNGLICH ZU MACHEN …“ - Der Arbeitsauftrag an die „k.k. Geologische Reichsanstalt“ ab 1849 Bei der Gründung der heuti- Bei der Gründung der „k. k. geologischen gen GBA wie auch der heutigen Reichsanstalt“ kamen dem Mineralogen ZAMG sind ähnliche Dynamiken Wilhelm Karl Ritter von Haidinger (1795– auszumachen. Beide Forschungs- 1871, Direktor 1849–1866) und dem einrichtungen entstanden in der für 1848 zum Minister für Landeskultur und den Liberalismus opportunen Zeit Bergwesen ernannten Ferdinand Freiherr der Umbrüche von 1848/49 und von Thinnfeld Schlüsselrollen zu. Thinnfeld danach. An der Modernisierung galt im Bereich der Landwirtschaft und des des Staates, der Verwaltung und Montanwesens als sehr bewandert und er- der Wissenschaft interessierte hohe strebte die Errichtung einer staatlichen geo- Beamte und einzelne (zum großen logischen Anstalt, wie sie zur damaligen Teil aus dem Adel stammende) For- Zeit bereits in Frankreich und in England scherpersönlichkeiten nutzten die bestanden. Haidinger leitete seit 1840 die Bereitschaft des damals jungen k. k. Mineraliensammlung, die auch als Aus- Wilhelm Haidinger, Monarchen Franz Joseph I., um bildungsstätte für Bergleute unter der Be- Mitbegründer und nachhaltige wissenschaftliche For- zeichnung „k. k. montanistisches Museum“ erster Direktor der schungseinrichtungen zu gründen. bekannt war. Es war Minister Thinnfeld, der Geologischen Haidinger in einer politisch opportu- Reichsanstalt (GBA) nen Zeit unmittelbar nach dem Regie- rungsantritt des jungen Kaiser Franz Joseph I. dazu aufforderte, ein umfas- Gründung der sendes Konzept auszuarbeiten, wie Geologischen Reichsanstalt „die geognostischen Verhältnisse des durch Franz ganzen Reiches fortwährend auf das Joseph I. Genaueste zu durchforschen“ seien. (Österreichi- Staatlicherseits wurde hier durchaus sches Staats- archiv) Weitsicht bewiesen. Thinnfeld argu- mentierte hinsichtlich der Erschlie- ßung und Benützung der Boden- schätze, dass die unorganische Natur „nicht reproductiv“ sei, und 12
1918, 1919, 1920, 1922, 1923 „so gebietet es die Vorsicht und Vorsorge für setzt: in der Frühzeit ihres Bestehens von ihre möglichst dauernde Benützung, dass Seiten akademischer Kreise, insbesondere sie die Staatsverwaltung ihrer besonderen der Akademie der Wissenschaften, die die Aufmerksamkeit unterziehe.“ Die kaiserliche Genehmigung einer geologischen Reichs- Erläuterungen zu anstalt erfolgte schließlich am 15. Novem- einer geologischen ber 1849. Übersichtskarte von Franz Hauer 1858 Allgemeine Aufgabe der neu gegründeten (GBA) Anstalt war es „das Kaiserreich geologisch zu durchforschen, […] die Ergebnisse festzu- halten und der Allgemeinheit zugänglich zu Darstellung zu Braun- machen.“ In einem weiteren Schreiben an kohlevorkommen im den nunmehr zum Direktor ernannten Wil- Jahresbericht der helm Haidinger erteilte Minister Thinnfeld Geologischen detaillierte Aufgaben zur geologisch-wis- Reichsanstalt 1866 (GBA) senschaftlichen Arbeit der neuen Anstalt. Darüber hinaus hielt er fest: „Alle gesam- melten Wahrnehmungen und wissenschaft- lichen Forschungen sind in ausführlichen Abhandlungen zur allgemeinen Kenntnis zu bringen“. Staatlicherseits war also zum einen eine starke Tendenz hin zur Institutionalisierung selbständige Tätigkeit der Geologen mit und Professionalisierung der Wissenschaft Misstrauen beobachtete. vorhanden. Außerdem war auch das Be- Einige Jahrzehnte später, um 1900, trat au- streben deutlich, wissenschaftliche Erkennt- ßerdem ein Konfliktfeld hervor, das auch in nisse und wissenschaftlichen Fortschritt der der Zeit der NS-Diktatur an Vehemenz ge- Allgemeinheit nutzbar zu machen. winnen sollte: der wirtschaftliche Nutzen der Geologie. In einer Zeit verstärkter Industria- Die Geologische Reichsanstalt konnte sich lisierung stand die Reichsanstalt unter Emil in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens bis Tietze (1845–1931, Direktor 1902–1919) zum Ende der Habsburgermonarchie inter- dem Vorwurf gegenüber, rein wissenschaft- national einen bedeutsamen wissenschaftli- lich tätig zu sein und zu wenig für die ange- chen Ruf erarbeiten und trieb insbesondere wandte Geologie und den Bergbau zu tun. die Erstellung von geologischen Karten des Die Beschwerden, die insbesondere aus gesamten Reiches effektiv voran. Dennoch dem privatwirtschaftlichen Bereich kamen, war sie bereits sehr früh Angriffen ausge- führten zu politischen Debatten im Reichs- 13
Zusammenbruch der Monarchie hatten die in der Reichsanstalt beschäftigten Geolo- gen entlegene und auch verkehrstechnisch schwer zugängliche Gebiete der k. u. k. Monarchie bereist. Nach 1918 beschränk- ten sich Untersuchungen auf das wesentlich kleinere Gebiet der jungen Republik. Der politische Umbruch brachte auch eine entsprechende Schrumpfung staatlicher Emil Tietze, Einrichtungen. Für die GBA bedeutete dies Direktor während des Umbruchs 1918 (GBA) unmittelbar eine Verkleinerung des Perso- nalstandes von 19 Geologen im Jahr 1914 rat (1902 bezüglich Erzvorkommen in Dal- auf 13 Ende 1919 und später auf 7 im Jahr matien, 1905 während der Errichtung der 1929. Der allgemeine Arbeitsauftrag blieb Alpenbahnen und später 1911 betreffend jedoch gleich, bzw. wurde durch staatliche Kohlebergwerken in Galizien). Der Konflikt Förderprogramme sogar ausgeweitet. We- löste sich schließlich damit auf, dass seitens sentlich waren hierbei etwa geologische des Reichsrats der Vorrang des wissen- Expertisen zu den geplanten Tauernkraft- schaftlichen Charakters der Geologischen werken, wie auch das Mitwirken an Projek- Reichsanstalt bestätigt wurde. Erst in zweiter ten im Ausland zu Rohstofferschließung und Linie sollte sie in ihrer Tätigkeit nach Mög- Kraftwerksbau (etwa im Gebiet des heuti- lichkeit auch praktischen bergbaulichen An- gen Kroatien, in der Tschechoslowakei und sprüchen entgegenkommen. in Rumänien). Die Amtszeit des ersten in der Zeit der Re- Das Jahr 1918 bedeutete einen vehementen publik eingesetzten Direktors Georg Geyer Einschnitt auch für staatliche wissenschaft- (1857–1936, Direktor 1919–1923) endete liche Einrichtungen wie der k. k. Geologi- bereits im Jahr 1923. Neuer Direktor, der schen Reichsanstalt. Dies aus verschiedenen die Bundesanstalt über das Ende der Ersten Gründen: Zum einen rekrutierte sich das wis- Republik hinaus bis in die Zeit des autori- senschaftliche Personal aus dem Gebiet der tären Dollfuß/Schuschnigg-Regimes leitete gesamten Monarchie. Angestellte, die nach war Wilhelm Hammer (1875–1942, Direk- 1918 etwa für die ungarische, polnische tor 1924–1935). oder tschechoslowakische Staatszuge- hörigkeit optierten, verloren ihre Beschäfti- gung. Direktor Tietze suchte im Zuge der po- litischen Umwälzungen am 31. Jänner 1918 um Versetzung in den Ruhestand an. Mit den politischen Umbrüchen wandelte sich das geografische Betätigungsfeld. Bis zum 14
1851,1854,1865, 1866,1873, 1918,1919,1922 „… VON DEM GROßEN EINFLUSSE AUF DIE WICHTIGSTEN GESCHÄFTE UND VERHÄLTNISSE DES MENSCHLICHEN LEBENS ...“ - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Central-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus“ ab 1851 Die „k. k. Central-An- für öffentliche Arbeiten und das Bergwe- stalt für Meteorologie sen, regte die Errichtung eines landesweiten und Erdmagnetismus“, meteorologischen Beobachtungssystems die heutige ZAMG, entlang des Eisenbahnnetzes an. Karl Kreil wurde 1851 auf Anre- (1798–1862, Direktor 1851–1862), wirk- gung der „kaiserlichen liches Mitglied der Akademie und Direktor Akademie der Wis- der „k. k. Sternwarte zu Prag“, wurde da- senschaften in Wien“ mit beauftragt, die Errichtung eines der- (seit 14. Mai 1847) artigen Systems umzusetzen. Eingerichtet gegründet. Sie kann wurden Messstationen an geografisch somit als Teil einer all- wichtigen Bahnhöfen. Außerdem wurden gemeinen Tendenz zur über das gesamte Gebiet der Monarchie Aufwertung der institu- Freiwillige gewonnen, die meteorologische tionalisierten Wissen- Messungen durchführten. Kreil betonte von schaft in der Mitte des Anfang an die Wichtigkeit einer „Central- 19. Jahrhunderts ver- station in Wien“. Kreils Vorschlag für die standen werden. Der anzustellenden regelmäßigen Beobach- Vizepräsident der Aka- tungen in einer derartigen Zentrale zeugen Karl Kreil, demie, Andreas Frei- insofern von Weitblick, als fast alle davon Mitbegründer und erster herr von Baumgartner, Direktor 1851-1862 auch heute noch durchgeführt werden. Der (ZAMG) damals auch Minister Minister für Cultus und Unterricht Leo Graf 15
Ähnlich wie die heutige GBA erlangte die ZAMG in den ersten sechs Jahrzehnten ihres Bestehens internationales Renommee. Die anfängliche Unterkunft der heutigen ZAMG in 1865 wurde die erste Wetterkarte der ge- der Favoritenstraße in Wien (ZAMG) samten k. u. k. Monarchie herausgegeben. Mit der Gründung einer „Österreichischen von Thun-Hohenstein befürwortete den Gesellschaft für Meteorologie“ im Jahr entsprechenden Antrag der Akademie der 1865 begann 1866 auch die Herausga- Wissenschaften 1851: „Die Ansichten der be einer periodischen Meteorologischen Akademie über die Wichtigkeit eines gere- Zeitschrift, die, nach einer kriegsbedingten gelten und über die ganze Monarchie aus- Unterbrechung ab 1944, erst wieder 1992 gebreiteten Systems von meteorologischen in Kooperation mit der Deutschen Meteoro- und magnetischen Beobachtungen theile logischen Gesellschaft und der Schweize- ich vollkommen“. Er argumentierte, dass die rischen Gesellschaft für Meteorologie her- Wetterverhältnisse schließlich einen wichti- ausgegeben wird. Im Jahr 1873 wurde der gen Einfluss „auf die wichtigsten Geschäfte „Erste internationale Meteorologen-Con- und Verhältnisse des menschlichen Lebens gress“ in Wien abgehalten. Beschlüsse ausüben“. während des Kongresses waren die Basis Zu beachten ist in diesem ministeriellen Ent- für eine weltweite internationale Zusam- wurf zum einen das klare Bekenntnis zur menarbeit der meteorologischen Dienste, Förderung einer Wissenschaft, die dem die IMO – Internationale Meteorologische Wohl der Allgemeinheit dienen soll („die Organisation –, Vorläuferin der WMO war wichtigsten Geschäfte und Verhältnisse des gegründet. menschlichen Lebens“). Zum anderen wird hier trotz der geplanten staatlichen Unter- stützung vordergründig auf weitergehende Unter Julius Hann (1839–1921, Direktor staatliche Einflussnahmen verzichtet. Diese 1877–1897) erfolgte ein starker landeswei- Haltung unterscheidet sich sowohl von der ter Ausbau des meteorologischen Stations- Skepsis gegenüber der Wissenschaft in netzes und die Errichtung bestens ausge- vorangehenden Epochen absolutistischer rüsteter Gipfelstationen zur Erforschung der Herrschaft, als auch von der massiven staat- Vorgänge in der Atmosphäre. Besonders lichen Einflussnahme auf die Wissenschaft in hervorzuheben ist das unter Hann auf einer den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, insbe- Höhe von 3106m im Jahr 1886 errichtete sondere im Nationalsozialismus. Sonnblick-Observatorium. Die bis heute Franz Joseph I. bewilligte die Gründung der höchste Gipfelwetterwarte Europas blickt „Central-Anstalt“ am 23. Juli 1851. heute auf 132 Jahre ununterbrochener Be- 16
obachtungsreihen zurück. Eine Erweiterung nischen) Reichshälfte ausdehnen konnte, der Aufgaben ergab sich durch die Über- wurde sie danach in ihren Forschungen auf nahme des Erdbebendienstes von der Aka- das wesentlich kleinere Gebiet der neuen demie der Wissenschaften im Jahr 1904. Republik beschränkt. Während kriegsbe- Erster Leiter wurde der später international dingt 1914–1918 bereits eine Reihe von anerkannte Seismologe Victor Conrad Wetterstationen ihren Betrieb einstellten, (1876–1962). Dies zog die Umbenennung so bedeutete die Aufteilung der öster- in den noch heute gebräuchlichen Namen reichisch-ungarischen Monarchie für die „Zentralanstalt für Meteorologie und Geo- ZAMG den Verlust weiterer 189 Stationen dynamik“ nach sich. an die Nachfolgestaaten. Auch in personel- ler Hinsicht waren starke Einschnitte hinzu- Während etwa die ZAMG bis 1918 ihr nehmen. Der ehemalige Leiter des seismi- meteorologisches Beobachtungsnetz über schen Dienstes Rudolf Schneider, Conrads das Gebiet der österreichischen (zisleitha- Nachfolger, wurde aufgrund seiner Natio- nalität 1918 des Dienstes enthoben und übernahm 1919 die Leitung der neubegründeten Tschechoslowaki- schen Meteorologischen Anstalt. Direktor Felix Maria Exner (1876– 1930, Direktor 1916–1930) be- mühte sich, den im Wetterdienst beschäftigten Wenzel Janda im Dienst zu halten, was aber seitens des Staatsamtes für Unterricht aufgrund seiner tschechischen Nationalität abgelehnt wurde. Ebenso galt es nun, eine Güter- trennung unter den Nachfolge- staaten vorzunehmen. Erstes Jahrbuch der ZAMG, 1854 (ZAMG) 17
Von Heinrich Ferstel errichtetes und 1872 bezogenes Gebäude der ZAMG auf der Hohen Warte in Wien (ZAMG) Dies betraf insbesondere Archivmaterial Im Gegensatz zur Gepflogenheit anderer und Messgeräte. Länder wurde in Österreich der Flugwetter- Die Jahre der Zwischenkriegszeit brach- dienst nicht in den bestehenden staatlichen ten trotz der wirtschaftlichen Not eine ge- Wetterdienst der ZAMG eingegliedert, wisse Stabilisierung und teilweise sogar sondern als eigenständige Einrichtung dem Ausbau der wissenschaftlichen Arbeit und Bundesministerium für Handel und Verkehr den Ankauf modernerer Arbeitsgeräte an unterstellt. der ZAMG mit sich. Ein Höhepunkt jener Zeit war außerdem eine beachtenswer- te internationale Tagung, die im Jahr 1922 auf dem Sonnblick-Observatorium abge- halten wurde. Die Wetterprognosen der ZAMG erlangten eine stärkere Bedeutung durch den in den 1920ern stark anwach- senden Tourismus, der für die junge Repu- blik große wirtschaftliche Bedeutung hatte. Zunehmend waren Wetterprognosen auch für den wachsenden Flugverkehr gefragt. 18
1851,1854,1865, 1866,1873, 1918,1919,1922 „HERMANN GOERINGS GRIFF NACH ROHSTOFFEN UND NS-KOLLABORATION IN ÖSTERREICH“ „I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“ Diese beiden Aufgaben für die Zukunft hielt Ziele sollte die geologische Forschung Adolf Hitler im August 1936 in einer gehei- vereinnahmt und instrumentalisiert werden. men Denkschrift zum Vierjahresplan fest, der Göring, der durch die Verquickung seiner 1933 und 1936 propagandistisch intendiert militärischen, außenpolitischen und wirt- vom NS-Regime ausgerufen wurde. Im schaftspolitischen Zuständigkeiten eine ein- Deutschen Reich sollten wirtschaftspolitische zigartige Stellung im NS-Staat einnahm, Maßnahmen getroffen werden, die eine machte Wilhelm Keppler zu seinem Berater vorübergehende Entlastung bringen, aber in für die Erforschung des deutschen Bodens. der Zukunft eine endgültige Lösung ermög- lichen würden. Die „endgültige Lösung“ sah Mit Blick auf die österreichischen Rohstoffe Hitler in einer gewaltsamen Erweiterung des bestimmte der Vierjahresplan ab Frühsom- deutschen Lebens- und Wirtschaftsraumes. mer 1936 auch zunehmend die deutsche Einer der Kernpunkte des Vierjahresplanes Außenpolitik. In einer Sitzung des Arbeits- war daher die Erweiterung der Rohstoff- kreises der eisenschaffenden Industrie im basis. Hitler bestellte Hermann Göring zur März 1937 erklärte Göring, dass sich die obersten koordinierenden Instanz in allen Versorgungssituation eines von der Welt Rohstoff- und Devisenfragen. Nach der abgeschlossenen Deutschlands durch Ös- Einrichtung einer eigenen Behörde wurde terreich erheblich verbessern ließe. Speku- Göring im Oktober 1936 offiziell mit der liert wurde mit den Lagerstätten für Eisen, Durchführung des Vierjahresplanes betraut. Magnesit, Antimon und Erdöl. Göring gilt Zum Erreichen der kriegswirtschaftlichen als einer der wesentlichen Initiatoren des 19
Unmittelbar nach dem „Anschluss“ trat Göring eine Reise zu Erzlagerstätten in Kärnten und Steiermark an (MuseumsCenter Leoben/Stadtarchiv) 20
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„Anschlusses“. Nach dem gescheiterten Kenntnisstand Geologen der Bundesanstalt Putschversuch 1934 sollte die nationalso- nicht in illegale Aktivitäten für die ab 1933 zialistische Machtübernahme in Österreich in Österreich verbotene NSDAP involviert. auf evolutionärem Weg, also durch die Un- Ein wesentlicher österreichischer Beitrag für terwanderung Österreichs erfolgen. Dazu den Vierjahresplan des NS-Regimes wurde wurde neben staatlichen und privaten Insti- in Leoben geleistet. tutionen die österreichische Wirtschaft infilt- riert und unterwandert. Mit Staatskapital zu- sätzlich aufgerüstete deutsche Unternehmen Illegale Lagerstättenforschungsstelle kauften finanzschwache österreichische Unternehmen oder stiegen in Beteiligungen in Leoben ein, um dann die Aktienmajoritäten zu erlan- Die Montanistische Hochschule Leoben und gen. Eine Schlüsselfigur war dabei Wilhelm die Technische Hochschule Graz waren Keppler. von 1935 bis 1937 zusammengelegt, was „Karte der wichtigsten Erzlagerstätten Deutschösterreichs“ der Lagerstättenforschungsstelle Leoben, 12. März 1938 (GBA) Der Griff nach den österreichischen Rohstof- eine letztlich wenig wirksame Kontrollmaß- fen wurde jedoch auch von österreichischer nahme zur Überwachung der nationalso- Seite unterstützt. So stand der österreichi- zialistischen Umtriebe in diesen Institutionen sche Geologe Artur Winkler-Hermaden sein sollte. Im Juli 1937 sprach Wilhelm Pe- (1890–1963) in deutschen Diensten. Er trascheck (1876–1967), Leobener Professor wurde wegen der Beteiligung am national- für Geologie, Paläontologie und Lagerstät- sozialistischen Putschversuch 1934 von der tenlehre, in Berlin bei Keppler vor und be- Bundesanstalt entlassen. Durch den Salz- richtete über österreichische Lagerstätten. burger Nationalsozialisten Erich Saffert Auf Antrag seines ebenso an der Hoch- (1896–1976) wurde bei einem Vortrag für schule tätigen Sohnes Walter Walther Emil Keppler über verschiedene Erzvorkommen Petrascheck (1906–1991), einem illegalen im Land Salzburg Wissen in das nationalso- Nationalsozialisten und späteren Preisträ- zialistische Deutschland transferiert. Außer ger der Haidinger-Medaille der GBA, stell- Winkler-Hermaden waren nach bisherigem te die Deutsche Forschungsgemeinschaft im 22
Winter 1937/38 Mittel für die Lagerstätten- sammeln und karteimäßig zu ordnen. Laut forschung bereit. Dadieu wären die Vorbereitungsarbeiten so rasch durchgeführt worden, dass 1937 Dem Historiker Peter Danner zufolge, be- noch vor dem „Anschluss“ mit praktischen gannen in Graz und Leoben schon 1936 Schurfarbeiten begonnen werden konnte. einige Professoren, Assistenten und Absol- venten mit geheimen Vorarbeiten für eine Die Forschungsstelle war in eine Abteilung systematische Erforschung der österreichi- „Lagerstättenforschung“ und in eine Ab- schen Lagerstätten im Hinblick auf die Be- teilung „Aufbereitung und Verhüttung, ana- dürfnisse des deutschen Vierjahresplanes. lytische Arbeiten“ untergliedert. Sie hatte Armin Dadieu (1901–1978) war persönlich 1938 einen Personalstand von neun haupt- von Hermann Göring beauftragt worden, amtlichen, sieben ehrenamtlichen und acht eine vom Deutschen Reich finanzierte For- auswärtigen Mitarbeitern. Bei 20 der 24 schungsstelle im Rahmen des Vierjahrespla- Männer ist eine NS-Angehörigkeit bekannt nes in Österreich zu schaffen. Dezidiertes (83%). Die Mehrzahl gehörte schon vor Ziel dieser Forschungsstelle war eine sys- 1938 der NSDAP oder einer ihrer Glie- tematische rohstoffwirtschaftliche Bestands- derungen an. Mit dem „Anschluss“ am 12. aufnahme der Erzreserven in Österreich. März 1938 legte die Forschungsstelle den Stand ihrer bisherigen Arbeit in der „Karte Mit den der Hochschule zur Verfügung der wichtigsten Erzlagerstätten Deutschös- stehenden umfangreichen Aufzeichnungen terreichs“ vor. Nach der Gleichschaltung und Karteien sowie den persönlichen Ver- der GBA in der NS-Zeit wurde die For- bindungen zum Bergbau konnten in knapp schungsstelle Leoben in die Wiener Anstalt einem halben Jahr die nötigen Vorarbeiten eingegliedert. geleistet werden. Diese bestanden daraus, das vorhandene Material und die Litera- tur, ergänzt durch persönliche Berichte zu Armin Dadieu Geboren 1901 in Marburg/Maribor, 1932–1940 Ao. Prof. für anorganische und physikalische Chemie an der Technischen Hochschule Graz, 1940–1945 o. Prof. für theoretische und physikalische Chemie an der Universität Graz, 1932 Mitglied der NSDAP, 1936 Mitglied der SS, Sprengstoffherstellung am Universitätsinstitut für die illegale NSDAP, 1937–1938 Leiter des Volkspolitischen Referats der Vaterländischen Front in der Steiermark, 1938–1940 Landesstatthalter von Steiermark, 1940–1945 Gauhauptmann von Steiermark, 1938–1941 Gauwirtschaftsberater der NSDAP, 8. Mai 1945 Übergabe der Regierungsgeschäfte, 1946 als Kriegsverbrecher gesucht, 1948 Flucht nach Südamerika, danach Professor für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart, verstorben 1978 in Graz. 23
EINGEGLIEDERT FÜR DIE 1937,1938,1 1942, KRIEGSWIRTSCHAFT - Die GBA im Nationalsozialismus Bereits wenige Tage nach dem „Anschluss“ „Die Wiener Anstalt, das älteste geologi- am 12. März 1938 kam es zwischen dem sche Staatsinstitut auf dem Kontinent, sollte noch amtierenden österreichischen Wirt- entgegen aller Wirklichkeit als belang- schaftsminister Hans Fischböck und dem los gegenüber dem viel jüngeren und an Wirtschaftsbeauftragten Hitlers Wilhelm wissenschaftlicher Bedeutung bei Weitem Keppler zu einer Grundsatzbesprechung nicht gleichwertigen Berliner Institut zu- über die neuen Aufgaben der Geologi- rückgedrängt werden.“ schen Bundesanstalt. Sie sollte die zentrale Stelle der ostmärkischen „Bodenforschung“ Am 20. Mai 1938 trat mit der Bergrechts- werden. Direktor Gustav Götzinger wurde verordnung für das Land Österreich das zum Rücktritt gezwungen und zum Chef- deutsche Lagerstättengesetz in Kraft, wo- geologen degradiert. Die kommissarische durch das Schurfwesen in Österreich eine Leitung der Anstalt übernahm Heinrich Ausdehnung erfuhr und die geowissen- Beck. Mit dem Eintreffen der Beauftragten schaftlichen Untersuchungsarbeiten bei der der Berliner Reichsstelle für Bodenforschung Wiener Landesanstalt konzentriert wurden. Bernhard Brockamp (1902–1968) und Das NS-Regime stellte die geologischen Erich Haberfelner (1902–1962) sowie dem Geländearbeiten in Hinblick auf den Vier- Erdölexperten Erwin Veith (1909–?) wurde jahresplan in den Dienst der Erforschung die massive Umorganisation der Anstalt fort- nutzbarer Lagerstätten und der großen Bau- gesetzt. Sie verlor den autonomen Anstalts- vorhaben. Die bisherige Gliederung nach status und wurde erst zur Geologischen geologischen Einheiten und Kartenblättern Landesstelle Wien, dann zur Zweigstelle der ehemaligen Geologischen Bundes- Wien der Reichsstelle für Bodenforschung anstalt wurde aufgelöst und nach Boden- unbenannt. Die Zentrale der Reichsstelle für schätzen und der Steinbruchkartei neu Bodenforschung in Berlin hatte die Aufsicht gegliedert. Der Druck der geologischen und Kontrolle über die Zweigstelle Wien Kartenwerke musste eingestellt werden und einen bestimmenden Einfluss. Die De- und die Rohstoffsuche wurde im Sinne der gradierung der Geologischen Bundesan- kriegswirtschaftlichen Aufrüstung zum priori- stalt kommentierte der spätere Leiter Hein- tären Aufgabenbereich gemacht. rich Beck folgendermaßen: Die rasch anlaufenden Prospektions- und Schurfarbeiten waren mehrschichtig organi- siert. Neben der Tätigkeit der Lagerstätten- abteilung in Wien und der Zweigstelle Leo- ben erfolgte die Forschungstätigkeit durch 24
1939, 1943,1944 Steinsammlung mit einer Karte der Steinbrüche im Hintergrund (GBA) neu eingerichtete Bergbauunternehmungen Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld der (z.B. Hermann-Göring-Werke), durch zahl- Landesanstalt bzw. der Zweigstelle Wien reiche neu gegründete Schurfgesellschaften war die systematische Erfassung der Na- und durch die gesteuerte Schurftätigkeit von tursteinvorkommen in Österreich und die Privatpersonen. Insgesamt wurden von der Beratung der verschiedenen Steinverbrau- Reichsstelle für Bodenforschung zwischen cher. Angeblich wurde mit den Arbeiten zur 1939 und 1943 in Österreich, im Gebiet Steinbruchkartei schon vor dem „Anschluss“ des heutigen Slowenien und der Slowakei begonnen. Bis Ende 1938 waren 514, bis 132 Lagerstätten montangeologisch unter- Ende 1939 über 1750 Steinbrüche erfasst. sucht und teilweise bergbautechnisch be- Das in der Zweigstelle Wien untergebrach- treut. Die Schurfprogramme wurden ab te, aber der Reichsstelle Berlin unterstellte 1944 kriegsbedingt stark reduziert. Institut für Erdölgeologie leistete mit der 25
Förderung der Ölproduktion einen wesent- lichen kriegswichtigen Beitrag. Die Jahres- erdölproduktion lag 1938 bei 32.000 Ton- nen und konnte 1943 auf 1,1 Mio. Tonnen gehoben werden. Mit dieser 34-fachen Produktionssteigerung stieg Österreich zum drittgrößten Erdölproduzenten Europas auf. Stellt man die Mitarbeiter/innen des Jahres 1937 jenen von 1939 gegenüber, ist in Hin- blick auf die Personalentwicklung im Zuge Ölförderung in Zistersdorf, Oktober 1939 des „Anschlusses“ die Entlassung von 5 von (Österreichische Nationalbibliotek) 18 Personen feststellbar. Von den vor März 1938 beschäftigten Geologen wurde aber niemand aus politischen Gründen ent- lassen oder in den Ruhestand versetzt. 29 neue Bedienstete wurden eingestellt, drei davon allerdings nur vorübergehend. Die Landesanstalt bzw. die Zweigstelle Wien erfuhr in den Jahren des NS-Regimes eine Aufstockung des Personals auf etwa das Doppelte gegenüber den Vorjahren. Seit Kriegsbeginn unterlag der Personalstand der Zweigstelle Wien starken Fluktuationen. Mit Franz Lotze (1903–1971) bekam die Zweigstelle Wien der Reichsstelle für Bo- denforschung im März 1941 einen neuen Leiter. Dieser rief wegen seiner fehlenden Österreich-Erfahrung und seinem geringen Alter von 36 Jahren bei vielen im Haus Ab- lehnung hervor. Zwischen den Beschäftigten entstan- den in der Arbeitspraxis zahlreiche Reibungsflächen. Einzelne Geologen waren nicht kooperativ und mussten ermahnt werden und es kam zu Mei- nungsverschiedenheiten zwischen dem österreichischen Stammpersonal und zugeteilten „Altreichsdeutschen“, die Fragebogen für die Steinbruchkartei (GBA) zum Teil außerhalb der Hierarchie stan- den und ihre Direktiven direkt aus Berlin 26
erhielten. Die Forschungsstel- le Leoben – Arbeitsgruppe „Dadieu“ stand in Konflikt mit der Wiener und der Berli- ner Stelle. Erstgenannte sah sich wegen ihrer illegalen Tätigkeit als primäre Koor- dinationsstelle der Lager- stättenforschung und Mei- nungsverschiedenheiten in der Bewertung einzelner Lagerstätten führten zu Konflikten bei der Mittel- zuteilung. Ab 1942 wurden die Mitarbeiter zunehmend zum Wehrdienst ein- gezogen, sodass die Aufgaben der Zentral- stelle nur mehr einge- schränkt wahrgenom- men werden konnten. Direktor Lotze wurde ab 1943 von Hans Peter Cornelius (1888–1950) ver- treten, der 1944 wiederum diese Funktion Josef Schadler (1899-1978) übergeben musste. Das Palais Rasumofsky, Arbeitsbericht der Sitz der Zweigstelle Wien, wurde mehr- von Hans Peter Cornelius, 1939 (GBA) mals durch Bombentreffer schwer beschä- digt und in Folge wurde versucht, das wert- volle Material teilweise auszulagern. Die Versuch der Übersiedlung von Wien nach kurz vor der Befreiung vom Nationalsozia- Oberösterreich durch den kurzzeitig an die lismus angeordnete Vernichtung der wert- Zweigstelle zurückgekehrten Franz Lotze vollen Archiv-, Karten- und Aktenmaterialien scheiterte. Mit dem Zusammenbruch des konnte vor allem durch die Mitarbeiterinnen Nationalsozialismus fand die aus Berlin ge- Hedwig Horvath (1922–2009) und Maria steuerte Bodenforschung in Österreich ein Rösler (1908–?) verhindert werden. Der Ende. 27
HANDLUNGSSPIELRÄUME 1937, IM NS-REGIME - Heinrich Beck und Franz Lotze an 1941, der Spitze der Zweigstelle Wien Heinrich Beck , Franz Lotze, Chefgeologe und Kommissarischer Leiter der Direktor der Zweigstelle Wien 1941-45 (GBA) Zweigstelle Wien 1938-41 (GBA) Die Vorgänge in der Geologischen Bundes- schluss“ des Amtes enthoben. Er verblieb anstalt antizipierten die Umbrüche des Jah- an der Anstalt, aber kommissarischer Leiter res 1938. Direktor Otto Ampferer (1875– wurde vorerst der dienstälteste Geologe 1947, Direktor 1935–1937), der dem Heinrich Beck (1880–1979, Kommissari- Dollfuß/Schuschnigg-Regime nahestand, scher Leiter 1938–1941). Auf Wunsch des trat aus bis heute nicht eindeutig geklärten Staatssekretärs Wilhelm Keppler, Industriel- Gründen Ende des Jahres 1937 zurück. ler und enger Vertrauter Hermann Görings Ihm folgte Gustav Götzinger (1880–1969, bei der Umsetzung des Vierjahresplans, Direktor 1937–1938 und 1945–1949) als war der reichsdeutsche Geologe Franz Direktor bis zum „Anschluss“ im März 1938. Lotze (1903–1971, Direktor 1941–1945), Aufgrund seiner ebenfalls vorhandenen Professor an der Universität Göttingen, als Nähe zum österreichischen Regime, wur- Direktor der nunmehrigen Zweigstelle Wien de Götzinger unmittelbar nach dem „An- vorgesehen. Vorläufig hatte er Verpflichtun- 28
1938, , 1945 gen bei einer deutsch-spanischen Bergbau- en Umstände zu fügen und reichte umge- gesellschaft nachzukommen und löste Beck hend sein Rücktrittsgesuch ein. erst 1941 als Leiter ab. Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in Lotze war aufgrund seiner mangelnden Wien Mitte April 1945 ereigneten sich dra- fachlichen Profilierung, seiner Unkenntnis matische Szenen in der Zweigstelle Wien. der österreichischen Gegebenheiten und Lotze, sichtlich besorgt, sich selbst wie auch fachlichen Tradition und nicht zuletzt auf- seinen Status als Leiter der Anstalt zu retten, grund seines geringen Alters (immer wie- verließ Wien gemeinsam mit einigen ande- der wurde erwähnt, dass er mit 36 Jahren ren reichsdeutschen Angestellten in Richtung der jüngste Geologe der Anstalt war) als Kremsmünster in Oberösterreich. Die An- Leiter der nunmehrigen Zweigstelle Wien staltskasse und wertvolles Kartenmaterial unbeliebt. Beck kommentierte nach 1945, nahm er mit. Die in Wien zurückbleibenden dass Lotze „Österreich nie gesehen hatte“ Beschäftigten wies er an, Akten- und Karten- und bezeichnete ihn als einen „auf österrei- material im Hof der Anstalt zu verbrennen, chische Belange nicht bedachten fremden was jedoch insbesondere aufgrund des Herrn“. Beck weigerte sich, sich in die neu- Beitragszahlungen Becks an die NSDAP. In der NS-Zeit war er nur Parteianwärter, sein Aufnahmegesuch wurde abgelehnt (Wiener Stadt- und Landesarchiv) 29
Bemühens der Mitarbeiterin Maria Rösler tionalsozialismus wegen Hochverrats an- verhindert werden konnte. In Kremsmünster geklagte Direktionssekretärin Margarete trachtete Lotze danach, eine eigene „Geo- Girardi (1888–1964) an der Anstalt ver- logische Anstalt für Österreich“ aufzubauen. bleiben konnten. Ebenso bestand er bis ins Es gelang ihm sogar, wahrscheinlich unter Jahr 1939 auf die Veröffentlichung von Bei- Ausnutzung der unklaren politischen Lage trägen eines Geologen jüdischer Abstam- nach 1945, außerhalb der sowjetischen mung, Georg Rosenberg (1897–1969), im Besatzungszone Landeszweigstellen seiner Jahrbuch der nunmehrigen Zweigstelle Wien. neuen Anstalt zu errichten. Seitens der Bundesanstalt wurde nach Beck war bereits im Jahr 1932 der NSDAP 1945 ein Antrag auf Wiedereinstellung von beigetreten, hatte allerdings in der vier Jahre Heinrich Beck gestellt, der jedoch seitens währenden „Verbotszeit“ der Partei, die auf des zuständigen Ministeriums abgelehnt die Ermordung Kanzler Dollfuß‘ im Juli 1934 wurde „im Hinblicke auf dessen Eigenschaft folgte, keine Beitragszahlungen geleistet. als Anwärter der NSDAP und auf sein vor- Als Beck gemeinsam mit seiner Frau Berta gerücktes Lebensalter“ (Beck befand sich in nach dem „Anschluss“ erneut um Aufnahme seinem 66. Lebensjahr). in die Partei ansuchte, wurde ihm dies als Verfehlung vorgehalten. Becks Aufnahme- gesuch wurde schließlich mit dem Hinweis auf seine Unterbrechung der Beitragszah- lungen und damit, dass er auch sonst „keine besonderen Leistungen in der Verbotszeit“ aufzuweisen habe, abgewiesen. Beck: NSDAP-Parteianwärter und sein Handlungsspielraum Nach 1945 wurde Beck vorläufig als re- gistrierungspflichtiger ehemaliger National- sozialist geführt. In der Tat dürfte er jedoch seinen Status als kommissarischer Leiter der Zweigstelle Wien und als NSDAP-Partein- anwärter dazu benutzt haben, so manche Mitarbeiter vor politischer Verfolgung zu schützen. So konnte er erreichen, dass der Direktionssekretärin Margarete Girardi im Zuge des „Anschluss“ abgesetzte Di- (Österreichische Nationalbibliothek) rektor Götzinger, ebenso wie die im Na- 30
1941, 1945 GEOLOGISCHE ARBEIT STATT „SCHUTTSCHAUFELN“ NACH 1945 - NS-Angehörige in der GBA Eine in den Kriegsjahren zentrale Persönlich- keit hinsichtlich regimetreuer Ausrichtung der geologischen Arbeit war Erich Haberfelner (1902–1962). Er wurde dem kommissari- schen Leiter Heinrich Beck als Vertreter des Berliner Reichsamtes für Bodenforschung zur Seite gestellt. Zugleich übernahm er die Leitung der Lagerstättenabteilung der Zweigstelle Wien. Hans Peter Cornelius (1888–1950) war innerhalb der GBA als überzeugter Natio- Chefgeologe nalsozialist bekannt. Er trat der Partei bereits Artur Winkler-Hermaden im Mai 1933 bei. Wochen vor dem „An- (Archiv der TU Graz) schluss“ warb er bei Kollegen für die Or- Die größeren politischen Ereignisse der Zwi- ganisation einer „nationalen Gruppe“ in schenkriegszeit übten schon sehr früh einen der Bundesanstalt. Berichten zufolge war unmittelbaren Einfluss auf die GBA aus. Auf- es auch Cornelius, der den zur Zeit des grund seiner Beteiligung am Juliputsch 1934 „Anschluss“ amtierenden Direktor Gustav wurde der nationalsozialistisch gesinnte Götzinger im Auftrag der Partei zum Rück- Chefgeologe Artur Winkler-Hermaden tritt veranlasste, was allerdings gerichtlich (1890–1963) unter der Regierung Schusch- nach 1945 nicht bestätigt wurde. Seine nigg entlassen. Nach dem „Anschluss“ wur- Tätigkeiten führten nach 1945 zu seiner Re- de er umgehend wiedereingestellt bis er gistrierung als ehemaliger Nationalsozialist. 1941 an die Technische Hochschule in Prag Cornelius bemühte sich um die Streichung wechselte. von der Liste. So betonte er einerseits sei- 31
pflichtenden Arbeitseinsatz für ehemalige NS-Angehörige schrieb Cornelius: „Ich glaube daher, durch weitere Arbeit in mei- nem Fache dem Österreichischen Staate wesentlich wertvollere Dienste leisten zu können als durch Schuttschaufeln“. Daran anknüpfend betonte der Geologe seine fachlich-kulturellen Verdienste: „Wenn ich auch politische Verdienste um den Öster- reichischen Staat nicht aufweisen kann, so doch solche kultureller Art, durch eben meine fachliche Arbeit.“ Denn: „In einem Staate, der auf seine kulturelle Sendung und Tradition – mit Recht – besonderes Gewicht legt, sollte dieser Gesichtspunkt wohl eine Rolle spielen.“ Registrierungsakt von Cornelius als ehemaliger Nationalsozialist In einem weiteren Punkt kommentiert Corne- (Wiener Stadt- und Landesarchiv) lius seine Zeit als Nationalsozialist: „Meine ne herausragende fachliche Qualifikation: Zugehörigkeit zur NSDAP ist immer – auch „Bei aller gebotenen Bescheidenheit darf in der illegalen Zeit! – eine papierene ich mich als international anerkannten Fach- Angelegenheit geblieben“. Cornelius be- mann auf meinem speziellen Fachgebiet, gründet dies einerseits mit seiner angeblich der Geologie der Alpen, bezeichnen.“ unpolitischen „Natur und Veranlagung“. Au- Ganz besonders hebt er in diesem Sinne ßerdem habe er bereits „seit vielen Jahren die von ihm erstellte geologische Karte des […] nicht einmal mehr das Parteiabzeichen Glocknergebietes als internationale „Spit- getragen, nachdem ich eingesehen, dass zenleistung auf dem Gebiete der geologi- ich mich bezüglich der von der NSDAP schen Hochgebirgsdarstellung“ hervor. erhofften Vorteile für das allgemeine Wohl getäuscht hatte“. In Würdigung seiner Verdienste sei er als Ehrenmitglied in eine „Naturforschende In die erwähnte Enttäuschung Cornelius‘ Gesellschaft“ und als Korrespondierendes über die Politik des NS-Regimes spielten Mitglied in die Akademie der Wissenschaf- möglicherweise auch seine Ambitionen ten gewählt worden (beides allerdings in zum Direktor bzw. zum Leiter der Geologi- der NS-Zeit). In Anspielung auf den ver- schen Landesanstalt/Zweigstelle Wien des 32
Reichsamts für Bodenforschung mit hinein, die bekanntlich keinen Erfolg hatten. Im Zuge einer Polizeierhebung wird Cor- nelius zwar als ehemaliger Angehöriger der NSDAP bezeichnet, der „sich jedoch politisch nicht hervorgetan und […] in mo- ralischer Hinsicht nicht nachteilig beleumun- det“ sei. Seine Beschäftigung an der GBA wurde nach 1945 allerdings nicht mehr auf- genommen. Geologe Hans Peter Cornelius (GBA) 33
VICTOR CONRAD - Ein beachtenswertes Forscherleben zwischen Diskriminierung, Vertreibung und Großmut zel, Habe und Vermögen“. Die geplante Er- nennung zum Ordinarius mit 1.1.1919 wurde nicht durchgeführt, Conrad wurde wieder als Beamter in der Funktion des Leiters des Erdbebendienstes eingesetzt. Dass ihm die Funktion eines Beamten und nicht die eines Victor Conrad (ZAMG) Hochschulprofessors zugewiesen wurde, empfand Conrad stets als Demütigung. Victor Conrad wurde am 25. August 1876 1926 verlieh ihm Bundespräsident Michael in Wien in eine großbürgerliche jüdische Hainisch den Titel eines ordentlichen Uni- Familie geboren. Conrad studierte Physik versitätsprofessors. an der Universität Wien und verfasste seine Dissertation am physikalisch-chemischen In- Beharrlich versuchte Conrad auch in der stitut unter dem Physiker Franz-Serafin Exner. Republik Österreich an der Universität Fuß Nach seiner Promotion 1900 wurde er ab zu fassen – 1919 wurde seine venia legen- 1901 an der ZAMG als Universitätsassistent di erneuert. Zu einer antisemitischen Diskri- angestellt. minierung kam es 1923, als er sich für die 1904 wurde der Erdbebendienst an der vakante Lehrkanzel für Meteorologie und ZAMG eingerichtet, Victor Conrad zu des- Geophysik an der Universität Graz nach sen ersten Leiter ernannt. 1906 erhielt Con- Heinrich Ficker bewarb. Die Kommission rad die venia legendi für Meteorologie an zur Wiederbesetzung der Lehrkanzel be- der Universität Wien. gründete die Nichtberücksichtigung von 1910 wurde Conrad zum Ao.Univ.Prof. Conrad im Besetzungsvorschlag folgend: der Kosmischen Physik an der Franz-Jo- sephs-Universität in Czernowitz (heute „Prof. Conrad ist Jude und seine Ernennung Ukraine) ernannt. Von 1911 bis 1914 orga- würde schweren Widerstande seitens der nisierte Conrad das neue Institut für Kosmi- Grazer Studentenschaft begegnen […] sieht sche Physik und das Observatorium. die Kommission von einer Nominierung Dr. Conrads ab und beschränkt ihren Vorschlag Nach dem Zusammenbruch der österrei- auf die übrigen drei angeführten Gelehr- chisch-ungarischen Monarchie Ende 1918 ten.“ mussten die meisten der deutschen Profes- soren Czernowitz Ende Juli 1919 verlassen, In der Publikation „Laufzeitkurven des Tau- so auch Conrad, unter „Verlust der Lehrkan- ernbebens vom 28. November 1923“ 34
Personal der ZAMG um 1910 auf der Hohen Warte 38: 1. Wilhelm Trabert, Direktor der ZAMG; 2. Victor Conrad; 3. Rudolf Schneider, Conrads Nachfolger (ZAMG) 35
(1925) beschrieb Conrad die Beobachtung von P-Wel- len, die ihm schließlich zu dem Schluss eines 2-Schich- ten Aufbaus der Erdkruste führten. Die Grenzfläche die- ser Schichten wurde später als „Conrad Diskontinuität“ bekannt. Als 1926 Conrad der Herausgeber von „Gerlands Bei- trägen zur Geophysik“ – eine der ältesten Zeitschriften auf diesem Gebiet (1887) – wurde, avancierte die Zeit- schrift zum wichtigsten internationalen Publikationsorgan für geophysikalische Forschungen. Als wahrscheinliche Folge des Bürgerkriegs im Februar 1934 wurde Conrad am 30. April 1934 an der ZAMG „mit Wartegebühr“ suspendiert, 1936 in den Ruhestand Schreiben der Kommission zur Besetzung der versetzt. Lehrkanzel für Meteorologie und Geophysik der Universität Graz unterschrieben von: Hans Benndorf/Physiker, Heinrich Ficker/ Meteorologe, Robert Sieger/Geograph (Universitätsarchiv Graz) „Anschluss“ und Emigration im Mai 1939 Conrad hielt seine letzte Vorlesung an der Universität Wien im WS 1937/38 über „Niederschlag und Son- nenschein auf der Erde“. Nachdem die Nazis an die Macht kamen, hielt der be- deutende deutsche Seismologe Beno Gutenberg – seit 1930 Professor für Geophysik am California Institute of Technology in Pasadena – seine Kontakte in Deutsch- land aufrecht. Er half vielen jüdischen Wissenschaftler/ inne/n aus Deutschland und Österreich, in die USA zu emigrieren, so auch Victor Conrad; Gutenbergs Bürg- schaft („affidavit“) für Conrad war für seine Emigration und somit für das Überleben essentiell. Mit Hilfe der Society for the Protection of Science and Learning (London) und dem Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars (New York) gelang nach umfangreichem Schriftverkehr 1939 die Flucht in die USA. Zahlreiche Wissenschaftler setzten sich für Conrad ein, darunter Ronald P. Bell (1907–1996), einer der führenden britischen Vertreter der Physikalischen Chemie an der Universität Oxford, England. Die erste Zeit in den USA gestaltete sich fern der Heimat schwierig, wie ein Brief von Conrads Frau Ida an Ver- wandte im Februar 1946 zeigt: 36
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