Diskriminierung Schwerpunkt-Thema: Rundbrief Frühling 2021 Lübecker AIDS-Hilfe e.V - Lübecker AIDS-Hilfe eV
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Foto: Vytalis Arnoldus auf Pixabay Schwerpunkt -Thema: Diskriminierung Rundbrief Frühling 2021 Lübecker 1 AIDS-Hilfe e.V.
Editorial Liebe Freundinnen und Freunde der Lübecker AIDS-Hilfe, R MIER T . O „Aids ist doch heutzutage kein Einer der Gründe, sich nicht testen Ansteckung oder Unsicherheiten INF N. Thema mehr!“ so oder ähnlich zu lassen, ist weiterhin die Angst können zu Diskriminierung führen. hört man es immer wieder aus den vor Diskriminierung. Diskriminierung ist das Titelthema Mündern der Menschen. Klopft das dieses Rundbriefes. Wir versuchen ICKE Thema, das heutzutage eigentlich Trotz der erheblichen therapeuti- das Thema von verschiedenen F kein Thema mehr ist plötzlich an schen Fortschritte und einer guten Seiten zu beleuchten … und gucken der der eigenen Wohnungstür an, medizinischen Versorgungslage in dabei auch über den Tellerrand. beginnt das Kopfkino … Unwissen- Deutschland berichten Menschen Leider sind zu unserem Titelthema heit, Unsicherheit, Angst führen mit HIV, dass sie aufgrund ihrer von unseren Lesern keine eigenen schließlich zu Diskriminierung. Infektion auch im Gesundheitswe- Erfahrungsberichte eingegangen. sen Diskriminierung erfahren. Das Dennoch, wir wissen, dass es auch Zurzeit leben in Deutschland ge- geht von unnötigen, übertriebenen in Lübeck Diskriminierung gibt, auf schätzt um die 10.000 Menschen Hygienemaßnahmen über Preis- der Arbeit, beim Frisör, im Kranken- mit HIV, ohne es zu wissen. Ein gabe sensibler Daten bis hin zur haus, beim Arzt. Gerne sind wir für Drittel der Neudiagnosen wird Behandlungsverweigerung. euch da, wenn ihr Unterstützung erst bei fortgeschrittenem Im- Die Gründe für Diskriminierung im konkreten Fall braucht. mundefekt gestellt, ca. 15 % der sind sehr unterschiedlich. Zum Diagnosen erfolgen sogar erst bei einen können Vorurteile die Ursa- Danke, dass ihr unseren Rund- aidsdefinierenden Symptomen. che sein, aber auch die Furcht vor brief lest. Hildegard , Till und Harald WEISST DU, dass jede der drei Safer- Sex-Methoden wirksam vor HIV schützt? Verschiedene Menschen – verschiedene Methoden. Schutz verdient Respekt! Erfahre mehr auf: www.iwwit.de 2 3
Wenig los zurzeit Wir sind sehr froh, dass wir in können, ist zurzeit gar nicht zu melden müsst, denn sicherlich Aus der LAH der aktuellen Situation wenigs- denken. An langfristiger Pla- werden wir in der nächsten Zeit tens die wichtigsten Angebote nung ist nicht zu denken, wir unsere Angebote nur mit be- wie persönliche (nach Termin- können aktuell also nur sehr grenzter Teilnehmer*innenzahl vereinbarung) und telefoni- kurzfristig planen und orga- durchführen dürfen. Da unser sche Beratung, aber auch die nisieren. Lest daher regelmä- Sommerfest immer ein eher Wir nehmen Abschied Möglichkeit zu testen anbieten ßig eure Mails oder fragt bei größeres Event ist, planen wir können. An die Durchführung uns nach. Schaut auf unserer das schon mal und hoffen, dass In stiller Trauer nehmen wir Abschied von Dör- Auch institutionell war ihr Interesse an Netz- von Veranstaltungen, an denen Homepage nach oder verfolgt wir es für euch auch werden te Nittka, die am 7. Dezember 2020 verstarb. werkarbeit groß und sie engagierte sich mehrere Personen teilnehmen, Facebook und/oder Instagram. durchführen können. Dörte prägte von 2001 bis 2012 die Arbeit der ebenfalls in der Deutschen Hämophilie-Ge- die dabei womöglich den Min- Bitte achtet auch darauf, ob ihr Lübecker AIDS-Hilfe als Vorstandsmitglied. sellschaft. destabstand nicht einhalten euch für eine Veranstaltung an- save the date! Zu Ihren Schwerpunkten gehörte die Netz- werkarbeit. So trieb sie aktiv die Gründung des Sie hat während ihrer Vorstandarbeit aktiv im Kompetenznetzes AIDS in Schleswig-Holstein Delegiertenrat der Deutschen AIDS-Hilfe mit- voran. Die Gründung für diese ihr so wichtige gewirkt. Die Begleitung von Menschen mit HIV Partnerschaft wurde am und Aids, die Prävention und 2. September 2006 gemein- die Qualitätssicherung der sam mit den Vorständen Arbeit der Lübecker AIDS-Hil- und hauptamtlichen Mit- fe lagen ihr besonders am arbeiter*innen der Aidshil- Herzen. fen in Schleswig-Holstein besiegelt. Dörte reflektierte Auf die Frage, „wenn die Lübe- die Gründung viele Jahre cker AIDS-Hilfe ein Instrument später einmal: „Ich war hoff- wäre, wäre sie…” antwortete nungsfroh, dankbar, dass Dörte: „… ein Cello. Damit ver- diese Arbeit jetzt geschafft binde ich tiefe Töne – von we- Fotonachweis: privat ist und dass es gut gelau- gen ‚so ist der Weg‘ – aber auch fen ist – und dass wir was Gutes aufgestellt helle Töne – von wegen ‚es geht alles mit HIV‘ haben.” Inzwischen ist das Kompetenznetz und eine Schnelligkeit vom Spielen her für so ein anerkannter Landesverband der Aidshilfen. bewegtes Leben … Wie es auch Udo Lindenberg besingt: Ein Instrument, das zu Herzen geht.“ Sommerfest Ihr Interesse an aktiver Netzwerkarbeit endete 18. Juni 20212 nicht an den Grenzen von Schleswig-Holstein. Dörte hat immer nach vorn geguckt, immer So lag ihr das Thema Frauen mit HIV besonders wieder neue Dinge ausprobiert … immer mit 15.00 – 21.00 Uhr am Herzen und es verwundert nicht, dass sie einem Engagement, das vom Herzen kam. Kunsttankstelle. trotz ihrer schweren Krebserkrankung, gegen die Dörte bis zuletzt gekämpft hat, noch bis November Knotenfrau für Schleswig-Holstein Unsere Gedanken sind bei ihrem Mann Uwe im bundesweiten Netzwerk Frauen und AIDS und allen, die sie liebhatten. war. Foto von Yuri B auf Pixabay 4 5
Unsere Testangebote fonisch vereinbart werden (Tel. 0451 122-5327). Die beliebte of- möchtest, gebe das bitte bei deiner Anmeldung mit an. HIV; Gesundheitsamt Lübeck, Sophienstraße 2 – 8, 23560 fene Sprechstunde am Dienstag Für den Hepatitis-Check bringe Lübeck. Kostenbeitrag maxi- Testangebot für alle kann wegen der Corona-Krise bitte deinen Impfpass mit! mal 10,– € Corona beeinflusst einem schwereren Verlauf ei- nicht angeboten werden, aber Termin: 19. – 22. April 2021, Für weitere Fragen steht unser nach wie vor unser Le- ner Covid19-Infektion kom- auch für den Tag gibt es die 8 – 16 Uhr nach vorheriger te- Beraterteam schon im Vorwege ben und unter Corona men. Wer also ihren*seinen Möglichkeit, sich terminlich zu lefonischer Anmeldung unter gerne zur Verfügung unter Tel. ist es wichtiger denn HIV-Status checken lassen will, vereinbaren. Falls du mit einem 0451 122-5327, Beratungsstel- 0451 122–5327 oder 0451 je, seinen HIV-Status ist bei uns richtig. Ein Anruf männlichen Berater sprechen le für sexuelle Gesundheit und 72551. zu kennen. Nur wer unter 0451 72551 und oftmals von seiner Infektion schon innerhalb eines Tages 35 Jahre LAH weiß, kann auch thera- gibt es einen Termin für einen piert werden. Ist eine Schnelltest, den wir aktuell auch HIV-Infektion nicht weiterhin kostenlos anbieten bekannt, kann das zu können. Ein Test schafft Klarheit Große Ereignisse werfen ja bekanntlich ihre Schatten voraus. In diesem Jahr begehen wir ein großes Ereignis … aber es gibt noch keinen Schatten. CheckPoint für MSM und Trans*Menschen Ende September ist es soweit staltungen durchzuführen, und werden soll. Wir wollen einen 2021 ner, die Sex mit Wunsch auch selbst durchfüh- … die LAH wird 35 Jahre. Haben wollen dann auch wieder zu Rückblick auf 35 Jahre LAH wa- Immer am 1. Mittwoch im Monat Männern haben ren kannst – und nach wenigen wir in den vergangenen Jahren einem Empfang laden. gen, unser Schwerpunktthema HIV-Schnelltest für Männer und und Trans*Men- Minuten bekommst du dein Er- immer die „fünfer” mit wird sozusagen „35 Trans*Menschen schen seine Tür. gebnis. Dafür nutzen wir einen tollen Events, Akti- Jahre LAH”. Wir rufen 35 – anonym und kostenlos – Wenn du deinen Selbst- oder Schnelltest. onen und so weiter euch alle auf, euch Informationen: www.luebecker-aids-hilfe.de HIV-Status wis- Ein Test schafft Klarheit! gefeiert, stehen wir an diesem Rundbrief, Lübecker AIDS-Hilfe „Ich will es wissen!“ Kreuzweg 2 | 23558 Lübeck sen möchtest in diesem Jahr vor der sicherlich auch in lubecker.aidshilfe oder deinen jährli- Unsere nächsten Termine: 7. April, der Frage … was wird einer höheren Aufla- @aidshilfe_hl chen Routine-Test 5. Mai, 2. Juni, 7. Juli jeweils von möglich sein?! ge erscheinen wird, durchführen las- 17 bis 20 Uhr zu beteiligen. Schickt Immer am ersten Mittwoch im sen willst, dann bist du bei uns Wegen Corona bitte immer Vor- Aktuell haben wir be- uns eure Artikel zu Monat zwischen 17 und 20 Uhr genau richtig. Ein kleiner Piecks anmeldung: 0451 72551. schlossen, dass wir 35 Jahre LAH. öffnet der CheckPoint für Män- in die Fingerkuppe – den du auf unsere hauseigenen Umverpackungen für Wir freuen uns aber Kondome neugestal- auch über Anregun- Fit & Gesund! ten lassen wollen. gen von euch. Welche STI-Check für Männer – Lass auch AIDS-Pflege Lübeck bieten dir Nicht wie in der Ver- Themen sollen wir 2021 du deinen Status checken! im Rahmen der MenCheck-Wo- gangenheit mit einem großen Ob und was wann wie möglich aufnehmen … was darf in so Nä chster Termin: Du achtest auf deinen Körper chen 2021 die Möglichkeit, dich Wettbewerb, sondern im direk- wird, was wir anbieten, was wir einem besonderen Rundbrief . Apr. 19. – 22ldu und deine Gesundheit? Dann kostengünstig auf HIV und se- ten Gespräch mit Lehrer*innen durchführen … all das können auf keinen Fall fehlen? Anme ng 53 27 sollte auch deine sexuelle Ge- xuell übertragbare Krankheiten … auch Schulen sind aktuell wir gegenwärtig noch nicht Te l. 04 51 12 2- www.luebecker-aids-hilfe.de sundheit eine wichtige Rolle in checken zu lassen. schwerer zu erreichen, als wir sagen und auch nicht planen. Eure Anregungen und deinem Leben spielen. Unsere erste MenCheck-Woche es gewohnt sind. Wir werden euch aber auf dem Beiträge werden ab sofort Fit & Gesund? Die Lübecker AIDS-Hilfe, die 2021 findet vom 19. – 22. April Laufenden halten. angenommen! MenCheck-Wochen Beratungsstelle für sexuelle 2021 statt, täglich 8 bis 16 Uhr. Wir hoffen, dass es im Herbst Sicher ist, dass unser nächs- in Lübeck www.luebecker-aids-hilfe.de Gesundheit und HIV und die Termine können ab sofort tele- möglich wird, Präsenzveran- ter Rundbrief ein besonderer 6 7
Wir berichteten Gesund leben mit HIV (zur Sommer-Ausgabe 2020) HIV-Positive bei allen sie betreffenden Angelegenheiten beteiligen Mein Beitrag zum Titelthema: GIPA-Prinzip��������������������������� Quelle: www.dcab-hiv.de Älter werden �������������������������� (von unserem Leser Wolfgang) Menschen mit HIV und Aids HIV and Aids. Das GIPA-Prinzip Declaration«. Unterzeichnet hat … zuerst fällt mir ein, was nicht mehr geht oder lungenes, Freundschaft, Erleben von Natur, sollten auf allen Ebenen bei sie wurde am 1. Dezember 1994 diese Paris Declaration für die schlechter oder weniger wird: Kunst, Mahlzeiten...# betreffenden Entscheidungen beschlossen, auf dem »Pa- Bundesrepublik Deutschland – ich werde langsamer# – ich kann mich immer mal wieder einfach freuen, beteiligt werden („participation ris Aids Summit«. Es befindet auch Horst Seehofer, CSU und – ich brauche einfach mehr Zeit für mich selber# dass ich da bin# in decision-making processes sich in der auf diesem Gipfel damaliger Bundesminister für – mein Hilfs- und „Heilmittel”-Gebrauch steigt# – ich atme „mehr”, ab und zu etwas bewusster# that affect their lives”) – dies beschlossenen und von den 42 Gesundheit. – ich achte mehr darauf, was ich möchte, was betont das „GIPA Prinzip” – Gre- dort hochkarätig vertretenen das Erleben, das Gefühl: zu mir passt, was „mein” werden soll, was mir ater Involment of People with Staaten unterzeichneten »Paris – ich gehöre nicht - mehr - dazu, erlebe ich häu- wirklich guttut# GIPA praktisch umgesetzt�������� (von Hildegard) figer...# – mir fällt auf, dass ich häufiger „nein” sage# – und auch das Gefühl: das interessiert mich – und wie gut mir das - meistens - tut# nicht mehr# – ich erlebe mich dünnhäutiger, verletzlicher; – Kontakte/Freundschaften/unterschiedliche das tut manchmal weh, und trotzdem irgend- So passiert 1994: Community-Boards übernah- in Zeiten wahrscheinlicher Kür- Formen von Beziehungen werden weniger, weil wie gut# GIPA-Prinzip – HIV-Positive men große Bereiche in Zusam- zungen bei öffentlichen Förde- Menschen gehen# – diese Frage: »wohin gehe ich?« wird drängender, beteiligen bei allen sie menarbeit mit den Veranstal- rungen, gewinnt die praktizierte – manches verstehe ich nicht mehr# fordert mich heraus# betreffenden Angelegenheiten tern: medizinische und soziale Selbsthilfe wieder enorm an – und manches will auch ich gar nicht mehr Fachvorträge, Therapie-Neuig- Bedeutung! verstehen# === meine Lust am Leben ist nicht geringer SELBSTHILFE ist von Beginn der keiten, Themenfindung, Refe- geworden# Aids-Arbeit an eine Basis, um rentenauswahl, Diskussionen Hier noch einige Beispiele, die trotz aller Freundschaften, Kontakte: Veränderungen und Fortschrit- und Themenfindung. Mittler- durch Ideen und Aktivismus – ich erlebe eine bestimmte Form von AlleinSein === und die Lust, mein Leben zu gestalten, auch te aus der Community heraus, weile werden HIV-Positive bei von positiven Menschen ent- oder auch Einsamkeit, die wohl mit dem Älter- nicht# überwiegend in medizinischen der Ärzteschaft, der Pharma-In- standen sind: Werden zusammenhängt# und sozialen Bereichen, durch- dustrie, der Wissenschaft und Praxis Vielfalt, Buddy.hiv, Posit- – und immer wieder und häufiger kommt mir … wenn es dir ähnlich geht oder auch ganz anders zusetzen. der sozialen Medien als „Exper- HIV & Hetero, PositHIVe Gesich- der Gedanke: irgendwann wirst Du selber nicht oder… und wenn du Lust hast, darüber einen ten” geschätzt. ter, Netzwerk Frauen und Aids, mehr da sein! Vielleicht nach oder mit Krank- Austausch zu wagen: dann würde ich mich über Viele Aktivisten mussten sich in Queere Netzwerke, Aids, Kinder heiten und Einschränkungen# deine Rückmeldung freuen! der Vergangenheit und für lange Sehr erfolgreich in der Selbsthil- und Familie, LSVD, Weibernetz deine Rückmeldung erreicht mich über die LAH. Zeit stark machen, um z. B. bei fe zeigen sich Projekte in „Peer e. V., Gut leben im Alter, Pro plus … aber – es gibt auch das andere: Kongressen und Veranstaltun- to Peer”- Methodik, d.h. „Positi- in mehreren Bundesländern, – ich nehme mir mehr Zeit für mich selber# gen ernsthaft wahrgenommen ve beraten Positive”. Aber auch AktHIV.de, Switch, etc., etc. und – ich achte darauf, dass ich genieße: etwas Ge- zu werden. Erreicht werden aber in den Strukturen der Aidshilfen nicht zuletzt unsere PIG. sollte die Mitgestaltung, nach soll die Beteiligung der Selbst- dem Motto: „Nicht über uns, hilfe verankert und vertreten sondern mit uns”. sein! Z.B.: im Vorstand. Gerade Also: GIPA...sehr wichtig! 8 9
Frauen und HIV TITELTHEMA Diskriminierung Filmvorstellung Nicht Menschen, sondern Viren bekämpfen! positiv schwanger 1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den 10. Dezember als den Internationalen Tag der Menschenrechte ausgerufen, seitdem wird an diesem Tag der Allgemeinen Erklärung der „positiv schwanger” bietet gesundheitliche Information zum Thema HIV und Schwangerschaft. Vier Menschenrechte gedacht. ganz unterschiedliche Frauen mit HIV kommen zu Wort und schildern ihre eigenen Geschichten. Jonathan Mann, war 1987 Leiter des WHO AIDS Sylvia Urban, Sprecherin des Aktionsbündnisses Eine von ihnen hatte schwer mit Zusammenhänge. Patricia mit Kinderwunsch. Gleichzeitig Programmes. Er stellte die Einhaltung der Men- gegen AIDS und Vorstandsmitglied der Deutschen Diskriminierung zu kämpfen, die Barth von der Arbeitsgemein- will der Film das Thema in der schenrechte in den Mittelpunkt der globalen Aidshilfe fasst das so zusammen: andere hat lange gemeinsam schaft Kinder- und Jugend- Öffentlichkeit verankern, denn HIV-Bewältigung und war davon überzeugt, mit ihrem Partner überlegt, ob schutz Hamburg e.V. schildert eine HIV-Infektion ist oft noch dass die Aids–Epidemie ohne die Beendigung von „Stigmatisierung und Diskriminierung im HIV Be- sie überhaupt ein Kind bekom- u.a. die Unterstützungsmög- ein Tabu. Stigma und Diskriminierung, ohne Einhaltung der reich haben viele Facetten: Es kann sich auf die men können und möchten. lichkeiten durch Beratungs- Ängste und Schuldzuweisungen Menschenrechte, nicht bewältigt werden kann. Infektion, den Gesundheitsstatus, die vermeintlich stellen. bestimmen bei vielen Menschen eingeschränkte Leistungsfähigkeit, auf Ängste in Eine weitere Protagonistin hat das Denken und Ausgrenzung Auch über 30 Jahre später werden Menschen mit Bezug auf vermeintlich vorhandene Infektiosität, auf erst in der Schwangerschaft Der Film richtet sich in erster ist die Folge. HIV in vielen Länder diskriminiert und krimina- sozialen Status, Geschlecht, sexuelle Orientierung, von ihrer Infektion erfahren Linie an HIV-positive Paare Dies trifft eine Schwangere bzw. lisiert – nicht nur von Menschen, die Angst vor auf Drogenkonsum und andere, oft sozial als uner- und musste ihren Weg eine Mutter doppelt, da HIV haben, sondern eben auch besonders von wünscht geltende Verhaltensweisen beziehen. Wenn finden. auch ihr Kind stigmati- den politisch Verantwortlichen. entsprechende Verhaltensweisen sanktioniert werden, Diese ganz persön- siert wird. Gerade in einigen Ländern Osteuropas beobach- kann das dazu führen, dass nicht das Virus, sondern lichen Geschichten ten wir, dass ein Zugang zur Behandlung für die die davon betroffenen Menschen »bekämpft« wer- werden flankiert von „positiv schwanger” will von HIV betroffene Gruppe der Drogengebrau- den. Welche katastrophalen Auswirkungen dies auf Experteninterviews, aufklären und Ängste chenden kaum möglich ist. Prävention, Behandlungsergebnisse und -angebote, die die medizinischen abbauen. Dort, und auch in vielen afrikanischen Ländern, sowie die Arbeit der Zivilgesellschaft hat, kann man und psychologischen bewirkt eine auf Bestrafung setzende, sich gegen an Ländern verfolgen, die Drogengebrauch, Sexarbeit Hintergründe erläu- Der Film ist auf der Schwule und andere LGBTI Communities richt- und Homosexualität kriminalisieren.” tern. Website w w w.posi- ende Gesetzgebung, dass Menschen mit einem tiv-schwanger.de frei erhöhten Ansteckungsrisiko durch HIV-Program- Wir wollen uns mit unserem Schwerpunktthema Frau Dr. Annette Ha- zugänglich. me nicht erreicht werden können. „Diskriminierung” auf Hierzulande konzentrieren. berl, Leiterin des größ- Wie und wo findet Diskriminierung statt, was ten Mutter-Kind-Zen- Und in anderen Regionen führen geschlechter- können Menschen, die mit HIV leben dagegen trums für HIV-positive spezifische Ungleichheiten dazu, dass Mädchen tun, aber wir wollen auch der Frage nachgehen, Frauen in Frankfurt, und Frauen überdurchschnittlichen HIV-Risiken wie Menschen ohne HIV gegen Diskriminierung und Frau Dr. Susanne ausgesetzt sind. vorgehen können. Usadel vom Infektio- logikum der Univer- sitätsklinik Freiburg erklären medizinische 10 11
Die Broschüre „Informatio- meinsam diese Broschüre das, was du erlebt hast Diskriminierung ist, wird fektion, deiner sexuellen Identität oder wegen nen zu HIV für die medizini- veröffentlicht, die wichtige man dich dazu beraten. etwas ganz anderem? Wir helfen dir und unter- sche Praxis”, herausgegeben Informationen rund um das stützen dich! von der DAH, richtet sich an Thema HIV gibt. Komm zu uns! (Katjana und Hartmut) Ärzt*innen und medizini- Darüber hinaus wird auf den Du wurdest diskriminiert wegen deiner HIV-In- sches Fachpersonal. notwendigen Infektionsschutz in der Praxis eingegangen und Diskriminierung ist alltäglich Bei der medizinischen Ver- Regeln des Datenschutzes und sorgung von Menschen mit der Schweigepflicht werden HIV kommt es immer wieder dargelegt. Die Broschüre zeigt zu Fragen, Unsicherheiten auf, wie die Versorgung von In den Köpfen dominieren Bilder aus den 80ern. Ob im Gesundheitswesen, als Kundinnen von und Ängsten. Die Bundesärz- Menschen mit HIV bedürfnis- Dienstleistungen, als Arbeitnehmerinnen oder im Privatleben – auch in Deutschland begegnen tekammer und die Deutsche gerecht und diskriminierungs- HIV-Positive häufig Vorurteilen und werden vielfach benachteiligt. Aidshilfe haben deshalb ge- frei gestaltet werden kann. Die Deutsche Aidshilfe hilft, sich dagegen zur Informationsmaterialien, kooperieren mit anderen Diskriminierung fühlt sich scheiße an! Wehr zu setzen. Wir sprachen mit Kerstin Diskriminierungsstellen und z.B. Ärzteorganisati- Mörsch, Ansprechpartnerin in der Kontaktstelle onen. Wir arbeiten selbstverständlich eng mit der zu HIV-bezogener Diskriminierung. Community zusammen und bieten Workshops zum Das Wort Diskriminierung stammt vom lateinischen Verb discriminare ab und bedeutet so viel wie: Empowerment an. „trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden” Frau Mörsch, wie würden Sie Ihre Arbeit in wenigen Sätzen beschreiben? Auf Ihrem Blog schreiben Sie, dass Und genau so fühlt es sich auch an, wenn man aus dem Wir ein DU. Nicht das Verbindende steht Bei mir melden sich Menschen mit HIV, die Diskri- Diskriminierung hierzulande nicht mehr so diskriminiert wird. Man fühlt sich abgetrennt von im Mittelpunkt, wir Frauen, wir Menschen, wir minierung erfahren haben. Ich berate und begleite massiv sei, sondern eher auf eine schleichende anderen, ab- und ausgegrenzt; als Sonderling und Männer, wir Kinder, sondern immer das Indivi- sie. Auch lokale Aidshilfen können anonymisiert Art erlebt werde. Wie ist das gemeint? anders als die anderen, anders als die vermeint- duelle, das Einzigartige. Diskriminierungsfälle melden. Ich dokumentiere alle In den 1980er Jahren gab es gewissermaßen eine lich „Normalen”. Was kannst du tun, wenn du diskriminiert wirst? Fälle und biete Unterstützung und Fortbildungen Hysterie, der man durch Aufklärung entgegenge- für Beraterinnen an. Zudem leisten wir politische wirkt hat. Heute bedeutet eine HIV-Infektion kein Diskriminierung hinterlässt ein Gefühl der Wert- Benenne es! Arbeit, um Diskriminierung abzubauen, etwa auf Todesurteil mehr. Menschen mit HIV können ein losigkeit, der Entwertung, Hilflosigkeit und Wut. Ganz wichtig ist es, die Diskriminierung zu be- struktureller Ebene. Dazu erstellen wir geeignete gesundes Leben führen, sofern sie Zugang zu Be- Meist ist man emotional Ohnmächtig, weiß nicht nennen: Das ist Diskriminierend! Ich werde auf mehr was man sagen soll oder fügt sich der Dis- Grund von Alter/Aussehen/Geschlecht/Religion/ kriminierung und entwertet sich selbst. Sätze Hautfarbe etc. diskriminiert. wie: „Ich weiß ja, dass ich schlecht bin, es meine Du bist nicht schuld oder verantwortlich dafür, Schuld ist, ich einfach nicht richtig bin” destabi- dass du in manchen Bereichen anders bist! Schuld lisieren das eigene Selbstwertgefühl, macht es ist derjenige Mensch, der dich nicht akzeptiert klein und schwach. und sogar gegen das Grundgesetz verstößt, wenn er dich benachteiligt oder deine Würde angreift. Wir alle kennen dieses Gefühl, wir alle wurden schon diskriminiert. Zu dick, zu dünn, zu klein, Suche dir Unterstützung! zu groß, zu arm, zu ungeschickt, zu laut, zu leise Du musst das nicht alleine durchstehen! Sprich alles kann falsch sein. Auch Religion, Herkunft, mit deinen Freunden und deiner Familie darüber, Sprache, sexuelle Identität, Neigungen, Abhän- was dir passiert ist. Wende dich an eine Bera- gigkeiten oder Krankheiten spielen immer wieder tungsstelle. Dort wird man dich beraten, unter- eine große Rolle bei Diskriminierung. stützen und dir ggf. auch bei rechtlichen Schritten Diskriminierung zielt auf das Trennende hin, macht helfen. Auch wenn du dir gar nicht sicher bist, ob 12 13
eines Patienten mit HIV ein roter Punkt geklebt Bewerbungsgespräch bringt die Betroffenen in die Dieses Gesetz bietet Diskriminierungsschutz, z.B. im oder bei einer Schwangeren wird im Mutterpass Bredouille: Was kommt auf mich zu, wenn die das Arbeitsleben. Seit 2012 ist es – nach einem Urteil eingetragen, dass sie HIV-positiv ist, oder sogar rausfinden? Stress, der überhaupt nicht sein müsste. des Bundesarbeitsgerichts – auch auf Menschen im Untersuchungsheft des Kindes. Das ist nicht mit HIV anwendbar. erlaubt, denn solche Dokumente werden evtl. auch Was sind die Folgen? im Kindergarten oder in der Kita benötigt. Die sozi- Diskriminierung hat immer Folgen über das konkrete Was müsste passieren, um Diskriminierung alen Implikationen sind dem Gesundheitspersonal Erleben hinaus. Wer das häufiger erlebt, meidet viel- wirksamer begegnen zu können? häufig nicht bewusst. Vorherrschend ist der Gedan- leicht Arztbesuche, nimmt Gesundheitsleistungen Für Patienten ist es nicht leicht, ihre Rechte geltend ke: Wir haben es hier mit einer Krankheit zu tun, nicht mehr in Anspruch. Diskriminierung beeinträch- zu machen. Eine Beschwerde bedeutet auch einen die höchst gefährlich und bedrohlich ist, und das tigt die Gesundheit. Um weiteren Diskriminierungen „langen Marsch durch die Institutionen”. Diskrimi- wird über die persönlichen Rechte der Menschen aus dem Weg zu gehen, geben viele Menschen mit nierungsfälle im Gesundheitswesen müssten z.B. gesetzt. Menschen mit HIV haben aber ein Recht HIV ihre Infektion nicht mehr an, z.B. beim Zahnarzt. von einer unabhängigen Beschwerdestelle geprüft darauf, ihren Status nur demjenigen mitzuteilen, Menschen entwickeln Strategien, sich zu schützen. werden, die Patientenrechte auch durchsetzen der das unbedingt wissen sollte. kann. Hier braucht es eine stärkere Gesetzgebung Wie können sich Menschen mit HIV wehren? im Sinne der Patienten. Holger Wicht Wie sieht es in anderen Bereichen aus, etwa im Es ist wichtig, die eigenen Erfahrungen ernst zu Außerdem gibt es im Allgemeinen Gleichbehand- Berufsleben? nehmen und sich Unterstützung zu suchen, sei es lungsgesetz (AGG) kein Verbandsklagerecht. Auch Menschen mit HIV gelten in fast allen Bundeslän- bei anderen Menschen aus der Community oder das wäre sinnvoll, damit wir als Organisationen dern als z.B. nicht polizeidiensttauglich, d.h. sie bei Aidshilfen. Gemeinsam kann man dann weitere klagen können. Das würde die Last von den Schul- Kerstin Mörsch Bildnachweis: Dirk Hetzel können sich nicht bei der Polizei bewerben oder Schritte in Angriff nehmen. Wird z.B. eine Behand- tern der Einzelnen nehmen. Außerdem ist die Frist ihre gesundheitliche Eignung wird sehr kritisch lung aufgrund der HIV-Infektion verweigert, kann von zwei Monaten, um Ansprüche nach dem AGG handlung haben – sie arbeiten, gehen zum Arzt, gesehen. Argumentiert wird mit den schweren man dagegen vorgehen. So gibt es die Möglichkeit. geltend zu machen, viel zu kurz. Wenn es hier Än- nehmen Dienstleistungen in Anspruch. Dabei er- Nebenwirkungen der Medikamente, der Gefahr der eine Beschwerde bei der Ärztekammer einzureichen, derungen gäbe, würde man der Realität von Dis- fahren sie häufig Vorurteile, Benachteiligungen ... Frühverrentung, der Gefährdung der Kollegen. Eine oder den Rechtsweg zu beschreiten. kriminierung sehr viel gerechter werden. völlig unrealistische Einschätzung zum Leben mit Nicht zuletzt ist Aufklärung wichtig, damit die Leute … zum Beispiel? HIV heute und zu den Übertragungsrisiken! Vor zwei Auf welche gesetzlichen Vorgaben stützen Sie die Bilder aus den 80ern aus dem Kopf kriegen. Da Beim Zahnarzt gibt es dann z.B. Randtermine, bei Monaten gab es nun erstmals ein Urteil des Ver- sich, um bei Diskriminierungsfällen zu müssen wir kontinuierlich dranbleiben. der Physiotherapie werden die Menschen nur mit waltungsgerichts Hannover und ein HIV-positiver intervenieren? Handschuhen angefasst. Sobald sie im Anamnese- Bewerber musste als Bewerber zugelassen werden. Das kommt natürlich auf den Fall an. Da ist zum (Quelle: BUKO Pharma-Kampagne und bogen ankreuzen, dass sie eine Infektionskrankheit Wir hoffen sehr, dass bei allen Bundesländern ein einen die Datenschutzrichtlinie, das Arztgeheimnis Aktionsbündnis gegen Aids: HIV/Aids global – haben, aktivieren manche Ärzte und Praxen extreme Umdenken stattfindet, denn das ist bitter nötig. oder auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Was zu tun bleibt. Pharma-Brief Spezial 1/2019) Vorsichtsmaßnahmen. Auch an manchen Pflegeschulen ist es üblich, dass Dabei reichen die Basishygienemaßnahmen völlig sich Auszubildende vom Hausarzt bestätigen lassen aus. Darauf weist das Robert-Koch-Institut seit vielen Jahren hin. Hinzu kommt, dass die meisten müssen, dass sie frei von Infektionskrankheiten sind. Das ist ein Dilemma für Menschen mit HIV. Eine Chance kein Arschloch zu sein ����� Von Mareice Kaiser Menschen, die von ihrer HIV-Infektion wissen, er- Dabei ist die rechtliche Seite klar: Der Dienstherr In der aktuellen Diskussion um Meinungsfreiheit heißt es häufig, unsere Debattenkultur sei elitär. folgreich behandelt werden. Ihre Viruslast ist nicht darf nur Gesundheitsinformationen erfragen, die Doch bei diskriminierungsfreier Sprache geht es nicht um Bildung, sondern um die Offenheit, anderen mehr nachweisbar, bei ihnen kann sich niemand relevant sind für die Berufsausübung. Für den wirklich zuzuhören. mehr anstecken. Hier gibt es noch einen gewaltigen Pflegeberuf spielt eine HIV-Infektion keine Rolle! Aufklärungsbedarf bei medizinischem Personal. Nur in einzelnen Bereichen, etwa bei verletzungs- Wie laut es in einem Schweinestall ist, wusste bezeichnet, das Thema „Studium” war ein rotes trächtigen chirurgischen Tätigkeiten, muss die ich schon als Kind. Welche Welt Bücher eröffnen Tuch. Das Geld, das mein hart arbeitender Vater In welchen Bereichen tritt Diskriminierung am Viruslast unter der Nachweisgrenze liegen. Den- können, erst sehr viel später. Wo ich aufgewach- verdiente, reichte immer gerade so und eben häufigsten auf? noch werden Bewerberinnen mit HIV häufig nicht sen bin, gibt es mehr Schweine als Bücher und nicht für Extrawürste oder rote Tücher. Als „bil- Insbesondere das Gesundheitswesen ist ein pro- eingestellt oder bei Auftreten einer HIV-Infektion mehr Kühe als Menschen. Dass ich aufs Gym- dungsfern” würden Einige das Umfeld, in dem ich blematischer Bereich. Da wird etwa auf die Akte im patientenfernen Bereich eingesetzt. Schon ein nasium gehen wollte, wurde als „Extrawurst” aufwuchs, bezeichnen. Ich bin ein Arbeiterkind, 14 15
sage ich heute. Den Begriff musste ich auch erst nachhakt, stellt sich meist raus, dass Kritik und betroffen sind, Menschen, die von Sexismus einmal lernen. Widerspruch mit Meinungsverbot gleichge- betroffen sind. Sie sagen: So wollen wir nicht In unserer Straße wohnte auch meine Freundin setzt wird”, twitterte die Soziologin Franziska bezeichnet werden, das tut uns weh. Oder auch: Anika. Zuerst lebte sie dort mit ihrer Mutter und Schutbach. Wir kommen in den Wörtern nicht vor, wir brau- ihrem Vater. Irgendwann mit zwei Müttern, denn Laut unserem Grundgesetz können wir alles chen neue. die Frau, die ich als ihren Vater kennengelernt sagen, was nicht die Würde eines anderen Die sich daraus ergebene neue Vielfalt der Spra- hatte, war eigentlich ihre Mutter. Das erzählte sie Menschen verletzt. Und das ist der Punkt: Man che ist für uns alle eine große Chance. Wir können uns – also dem ganzen Dorf – bei einem Dorffest. sollte nicht alles sagen, wenn man kein Arsch- mit der Entwicklung unserer Sprache mit mehr Ich weiß noch, dass meine Eltern mir erklärten, loch sein will. Menschen kommunizieren als bisher. Unsere dass Anikas Vater sich dazu entschieden habe, Wenn man das nicht sein will, ist es eigentlich gar Welt wird größer und auch die der anderen. Wir als Frau zu leben und jetzt Anikas Mutter sei und nicht so schwer: Es braucht keinen besonderen schließen nicht mehr aus, sondern schließen einen anderen Namen habe. Bildungsabschluss, kein Hochschulstudium und Menschen ein. Zu Anika habe ich heute keinen Kontakt mehr, keinen Doktortitel, es braucht einfach nur eine Wir haben die Möglichkeit, Menschen sicht- und deshalb kann ich sie oder ihre Mütter nicht fragen, Frage: „Wie ist es gut für dich?” Und dann die hörbar zu machen. Dadurch, dass wir Worte wie das damals für sie war. Ich weiß nicht, wie Offenheit, die Antwort wirklich hören zu wollen verwenden – und auf andere verzichten. Wir es sich angefühlt hat, die Transition in unserem und sich dementsprechend zu verhalten. Das brauchen dafür gar nicht so viel. Wir brauchen kleinen Dorf zu verbringen. ist die Grundlage dafür, diskriminierungsfreie dafür nur die Offenheit, mit Verunsicherungen Was ich aber weiß: Die Leute aus unserem Dorf Sprache zu nutzen. umzugehen, zu unseren Verunsicherungen zu hielten sich an die Bitte, Anikas zweite Mutter bei Übrigens: Arschloch ist zwar eine Beleidigung, stehen. Auch mal zu fragen: „Ist das so in Ord- ihrem neuen Namen anzusprechen. Und zwar alle. dabei aber nicht diskriminierend. Diskriminie- nung?” Und dann Offenheit für Kritik. Mareice Kaiser Bildnachweis: Leah Kunz rende Sprache erkennt man daran, dass sie eine Vielleicht ist es so nicht in Ordnung, dann pro- „Das fühlt sich dann an, als könne man bestimmte Gruppe mit negativen Eigenschaften bieren wir es anders. Dass wir Fehler machen, Zum Beispiel Menschen, die auf leichte Sprache nicht mehr alles sagen. belegt. Meist sind das Gruppen, die eh schon von wenn wir etwas neu machen, ist okay. angewiesen sind. leichte Sprache richtet sich an Dabei kann man einfach nur nicht mehr Benachteiligungen betroffen sind. Eine benach- Es geht dann darum, uns bei den Menschen, die Menschen mit Lernschwierigkeiten, ist aber für jeden Scheiß sagen, ohne mit einem Echo teiligte Gruppe von Arschlöchern gibt es meines wir mit unseren Fehlern möglicherweise diskri- alle gut. Für Menschen mit Demenz, für Kinder rechnen zu müssen.” Wissens nach nicht. Schade eigentlich. miniert haben, zu entschuldigen. Und darum, aus und für Menschen, die unsere Sprache lernen. Ich war vielleicht zehn Jahre alt und mir wäre ihnen zu lernen. Und nicht darum, diskriminieren- Diese Menschen werden oft nicht gehört, weil Die Frage, wie man heute sprechen soll, stellen überhaupt nicht in den Sinn gekommen, Anikas de Formulierungen, Narrative oder Bildsprache sie sich von Artikeln nicht angesprochen fühlen sich aktuell viele Menschen. „Wie war nochmal zweite Mutter nicht als solche anzusprechen. immer und immer wieder zu reproduzieren, wie (weil sie nicht angesprochen sind). Politik und das korrekte Wort?” steht über einem Artikel der Klar, am Anfang war das ungewohnt, ich stolper- es zurzeit viele Medien tun. Medien richten sich zumeist an Menschen, die Zeit zum Thema Meinungsfreiheit. Die These: te noch manchmal über den alten Namen oder schwierige Sprache verstehen. Dabei macht es Unsere Debattenkultur sei elitär und schließe sagte, wenn ich mit Anika sprach, „dein Papa” Wir haben die Möglichkeit, Menschen alle Debatten gerechter, wenn wir probieren, sie Menschen aus bildungsfernen Milieus aus. Das statt „deine Mama.” Aber dann entschuldigte ich sicht- und hörbar zu machen. verständlicher zu formulieren. sehe ich anders. mich dafür. Nach kurzer Zeit hatte ich mich daran Ein Versuch: Viele Menschen wollen ihre Meinung Das Gefühl der Ausgeschlossenheit resultiert gewöhnt. Meine Sprache hatte sich angepasst. In den zuletzt erschienen Artikeln wird gern eine nicht sagen. Sie haben Angst davor. Aber: Es ist aus einem Unwohlsein. Menschen, die viele Jahre Genau wie es unsere Sprache macht, wenn wir Zahl aus einer Umfrage von Allensbach zitiert, nicht verboten, die eigene Meinung zu sagen. ihres Lebens sprachen, wie ihnen der Schnabel versuchen, diskriminierungsfreier zu sprechen. sie soll für die „Angst vor Meinungsäußerung” Warum haben viele Menschen Angst davor? Sie gewachsen war, bekommen heute Widerspruch Immer mehr Stimmen werden in den Medien und stehen: 78 Prozent der Deutschen glauben, man denken: Vielleicht haben andere Menschen eine zu hören, werden gar kritisiert. Das fühlt sich dann der Politik sicht- und hörbar, die lange Zeit nicht müsse in der Öffentlichkeit mit Kommentaren zu andere Meinung? Diese Meinung könnten sie dann an, als könne man nicht mehr alles sagen. Dabei gesehen und gehört wurden. Diesen Stimmen „einigen oder vielen” Themen vorsichtig sein. Ich auch sagen. Das nennt man Kritik. kann man einfach nur nicht mehr jeden Scheiß haben wir es zu verdanken, dass wir immer mehr finde das wunderbar! Ja, wir sollten vorsichtig „Übrigens: Arschloch ist zwar eine Beleidigung, sagen, ohne mit einem Echo rechnen zu müssen. und immer weiter nachdenken können, wie wir sein miteinander. In jeder Hinsicht, auch sprach- dabei aber nicht diskriminierend. Diskriminie- „Die Klage von angeblichen Meinungsverboten sprechen wollen. lich. Übrigens mit allen. rende Sprache erkennt man daran, dass sie eine kommt auffallend oft von Leuten, die es gewohnt Menschen, die von Rassismus betroffen sind, Die Debatte, wie wir sie führen, schließt nämlich bestimmte Gruppe mit negativen Eigenschaften waren, unwidersprochen zu bleiben. Wenn man Menschen, die von Behindertenfeindlichkeit tatsächlich Menschen aus. belegt. Meist sind das Gruppen, die eh schon von 16 17
Benachteiligungen betroffen sind. Eine benach- verbringen, war vermutlich nicht leicht. Was aber ersten Menschen mit dem Erreger ansteckten, 2 Verstoßen und geächtet teiligte Gruppe von Arschlöchern gibt es meines leicht war, war, es ihr leichter zu machen. Es ging gelangte das Virus wohl in den 1960er Jahren Frauen mit HIV/Aids leiden beispielsweise in vie- Wissens nach nicht. Schade eigentlich.” um ein paar Worte, neue Formulierungen. Kurz über aus der Region zurückkehrende Arbeits- len Ländern darunter, dass ihnen gesellschaftlich Man kann also auch sagen: Manche Menschen ungewohnt, irgendwann dann selbstverständlich. kräfte nach Haiti. Als später in den USA erste geächtete Verhaltensweisen wie Untreue oder haben Angst vor Kritik. Aber: Es ist gut, wenn Das konnte nicht nur die – zugegeben sehr klei- Fälle publik wurden, wurden Haitianer schnell als Promiskuität unterstellt werden.5 Häufig werden viele verschiedene Menschen mitreden. Es ist ne – Bildungselite in unserem Dorf, das konnten angebliche Überträger diskriminiert. Ein ähnlich sie darum von ihren Ehepartnern und Familien gut, wenn verschiedene Meinungen gesagt alle. Landwirtinnen, Lehrer, Hausmänner, Kran- geprägtes Muster von Schuldzuweisungen betraf verstoßen. Gender ist generell ein wichtiges werden. Und wenn sie gehört werden. Unsere kenpfleger und zehnjährige Kinder. in den 1980er Jahren auch schwule Männer. Im Element, denn Frauen und Mädchen leiden nicht Sprache ist ein großer Schatz. Wir können mit ihr Dass wir alles sagen dürfen, heißt noch lange Rückgriff auf behördlich eingeteilte „Hochrisi- nur meist stärker unter den sozialen Folgen der erklären, aufklären, philosophieren, einschließen, nicht, dass wir alles sagen sollten. Wir haben kogruppen”, entstand schnell der abwertende Erkrankung, sie sind tendenziell auch stärker ausschließen, verletzen und um Entschuldigung mit unserer Sprache die Möglichkeit, Menschen Begriff „4H Club” (Homosexuelle, Haitianerinnen, gefährdet, sich überhaupt anzustecken. bitten. „Sprache ist ein machtvolles Instrument”, nicht zu diskriminieren. Wir können so formu- Heroinnutzer*innen und Menschen mit Hämo- Bei drogengebrauchenden Menschen wird HIV/ sagt die Autorin Kübra Gümüay. lieren, dass wir verstanden werden. Wir können philie).3 Ausdruck dessen war auch die mediale Aids nicht selten als Strafe für ein angeblich Die, die dieses Instrument gut spielen können, sprechen, ohne zu verletzen. Unsere Sprache Stimmungsmache um einen kanadischen Flug- moralisch verwerfliches Verhalten angesehen.6 sind in der Verantwortung, Sprache bewusst ermöglicht uns, kein Arschloch zu sein. Warum begleiter, der in den1980iger Jahren als „Patient HIV-positive Frauen, die intravenös Drogen zu nutzen. Als trans*Person das Jahr vor der sollten wir es dann trotzdem tun? Zero” durch die US-Presse ging – eine ebenso nutzen, sind insofern doppelt stigmatisiert und Geschlechtsangleichung in unserem Dorf zu Quelle: taz vom 03.12.2019 perfide, wie unzutreffende Bezeichnung.4 Zum erfahren ganz besonders starke Benachteiligung. einen war der Mann nicht der erste Mensch mit Unterschieden wird zwischen sich überlagernden HIV in den USA. Zum anderen wurde ihm gerade Stigmatisierungen, die miteinander zusammen- Solidarität statt Ausgrenzung in konservativer Berichterstattung so quasi eine hängen und solchen, die voneinander unabhängig moralische Schuld für die nationale Epidemie sind und nebeneinander existieren (Mehrfach- untergeschoben, wohl vor allem, da er Sex mit stigmatisierung). Das Zusammenspiel ist kom- Sozio-politischer Wandel ist elementar im globalen Kampf gegen HIV Männern hatte. plex: „Mehrfach- und sich überlagernde Stigmati- sierungen können sich addieren oder verstärken, cen mobilisiert, wie der Kampf gegen HIV/Aids. Stigma ist ein Ausdruck ablehnender Einstel- eine Stigmatisierung kann aber auch eine andere Nach unzähligen verpassten Chancen in der lungs- und Bewertungsmuster, etwa massiver überdecken oder als weniger schwerwiegend Anfangsphase wurden so doch große Erfolge Vorbehalte gegen bestimmte Bevölkerungs- erscheinen lassen – vielfältige Zusammenhänge errungen, besonders im medizinischen Feld. gruppen, oft gepaart mit Fehlinformationen und sind möglich.”7 so die Deutsche AIDS-Hilfe. Zwar ist zeitnah keine Heilung von Aids in Sicht,1 einer (irrationalen) Angst vor Ansteckung. Dis- doch die Therapie wurde deutlich verbessert und kriminierung erfolgt dann durch entsprechende Weitreichende Implikationen neue Diagnostika bieten entscheidende Vorteile. Handlungen wie Ausgrenzung, Repression oder Ebenso divers wie die Erscheinungen von Stigma Bei der Prävention abseits von Kondomen & Co, Gewaltbereitschaft gegenüber Menschen mit und Diskriminierung sind die möglichen Folgen: Bildnachweis: Gerd Altmann bei Pixabay hat nicht zuletzt die Präexpositionsprophylaxe HIV/Aids. Sie erfahren negative Konsequenzen Der Verlust von Arbeit, Wohnraum und sozialen (PrEP) neue Wege aufgezeigt. nicht nur infolge des verbreiteten Stigmas von Bindungen, die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Medizinische Fortschritte haben das Gesicht von Um bezahlbare Preise und eine gute Verfügbar- Krankheit im Allgemeinen, sondern auch durch Missbrauch, eine schlechtere Gesundheitsversor- HIV/Aids verändert, Diagnostik und Prävention keit dieser Innovationen wird bis heute gerungen. ein spezifisches Stigma speziell dieser Erkran- gung, um nur einige Aspekte zu nennen. Ausge- erleichtert und die Erkrankung gut behandelbar Aber eine wirksame Bekämpfung der Krankheit kung. Denn HIV/Aids wird mit bestimmten Be- hen können Stigmatisierungen von Familie und gemacht. Doch Innovationen allein genügen nicht, erfordert mehr. Sie muss auch auf gesellschaft- völkerungsgruppen in Verbindung gebracht, die Verwandten, der Community oder Akteuren aus um eine Welt ohne Aids zu erreichen. Ein großes lichen und politischen Wandel setzen, um Aus- per se häufig Ausgrenzung und Diskriminierung Verwaltung, Polizei oder Gesundheitseinrichtun- Hindernis im Kampf gegen die Immunschwäche- grenzung und Diskriminierung zu vermeiden und erleben. Die Bewertungsmuster und Vorurteile gen. Oft verinnerlichen Betroffene die Vorurteile krankheit bleiben Vorurteile, Diskriminierung und so den Zugang zu einer optimalen Versorgung variieren allerdings sehr stark und sind abhängig so sehr, dass sich Scham- oder Schuldgefühle Kriminalisierung. Sie versperren Millionen von Be- sicherzustellen. von regionalen oder lokalen Kontexten, etwa der Bahn brechen und massive Selbstzweifel er- troffenen den Zugang zu Diagnose und Therapie. Häufigkeit der Erkrankung, der Hauptübertra- wachsen.8 Das führt dann häufig zu schlechten Wenige Themen globaler Gesundheit haben in Stigmatisiert von Anfang an gungswege aber auch von Faktoren wie Religion Therapieergebnissen oder auch dazu, dass ein so kurzer Zeit so viele Menschen und Ressour- Aus dem Kongobecken, wo sich wahrscheinlich die oder Bildung. HIV-Test gar nicht erst in Angriff genommen wird. 18 19
5 Avert (2018) HIV stigma and discrimmation. www.avert. Singapore with HIV www.reuters.com/article/s-singapo- für eine Infektion. Wiederum werden sie nach org/professionals/hiv-social-issues/stigma-discrimination re-health/u-s-citizen-leaks-data-on-14200-people-in-sin- einer Infektion aufgrund eben jener Hürden und [Zugriff 7102019] gapore-with-hiv-idUSKCN1PM17t 6 WHO (2009) lntegrating gender into HIV/AIDS programmes 10 L ANCET HIV (2018) HIV criminalisation is bad policy based des zusätzlichen Stigmas am schlechtesten er- in the health sector. Tool to improve responsiveness to on bad sience, 5, p 473 [Zugriff 12.02.2019] reicht. Hier besteht im Kampf gegen HIV/Aids ein women‘s needs. www.who.int/gender/documents/gen- 11 UNAIDS (2018) Global AIDS Update 2018. M1les to go - massiver Nachholbedarf. UNAIDS konstatierte der_hiv_guidelines_en.pdf [Zugriff 7.10.2019] Closing Gaps. Breaking Barriers. Righting lnjustices. www. 7 Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (2012) Positive Stimmen verschaf- unaids.org/sites/default/files/media_asset/miles-to- jüngst, dass Menschen in Haft, Sexarbeiter*in- fen sich Gehör. Die Umsetzung des PLHIV Stigma Index in go_en.pdf [Zugriff 2 3-09 .2019] nen, Drogengebrauchende, Transgender, sowie Deutschland. www.aidshilfe.de/sites/default/files/docu- 12 Washington Post (2019) LGBT rights threatened in Brazil Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) in ments/positive%20stimmen%20Doku.pdf [Zugriff 7102019] under new far-right president. www.washingtonpost. 8 Pantelic M.et al. (2019) lt‘s not „all in your head”: critical com/world/the_americas/lgbt-rights-under-attack- den globalen Bemühungen am meisten zurück- knowledge gaps on internalized HIV stigma and a call for in-brasil-under-new-far-right-president/2019/02/17/ gelassen wurden.11 integrating social and structural conceptualizations. BMC b24e1dcc-1b28-11e9-b8e6-567190c2fd08_story.html Das bedeutet nicht, dass bestimmte Bevölke- lnfectious Diseases; 19, p 2 [Zugriff 7.10.2019] Bildnachweis: Gerd Altmann bei Pixabay rungsgruppen isoliert begleitet werden sollten. 9 Reuters (2019) US. citizen leaks data on 14,200 people in Quelle: Pharma-Brief Spezial 1/2019 Eine besonders extreme Ausprägung von Diskri- Im schlechtesten Falle befördert dies nämlich das minierung ist die Kriminalisierung. Das erste Land, Stigma. Ganzheitliche Ansätze sind vonnöten, die Brief einer Mutter an Eltern das eine spezifische Strafgesetzgebung bezüg- die unterschiedlichen Lebensrealitäten im Blick lich HIV/Aids erließ, waren die USA im Jahr 1987, haben und dabei stets das Menschenrecht auf viele Nationen folgten. Noch heute existieren Gesundheit in den Mittelpunkt stellen. vielerorts Gesetze und Vorschriften, die – unter Das gilt umso mehr angesichts des Erstarkens „Ich denke gern daran, wie die Hebamme in den ersten Stunden nach der Geburt unseres intersexuel- dem Vorwand, die öffentliche Gesundheit zu von Populismus und Nationalismus. In Brasilien len Kindes mit uns umgegangen ist. Sie hat uns völlig undramatisch darauf hingewiesen, dass am schützen – Menschen mit HIV/Aids marginali- zum Beispiel, lange ein absoluter Vorreiter in Geschlecht unseres Kindes etwas ungewöhnlich aussieht, aber erst einmal beschwichtigend gesagt, sieren und diskriminieren. Entsprechend groß Sachen HIV/Aids-Bekämpfung, schaffte die neue so etwas könne vorkommen. ist in vielen Ländern die Angst davor, dass der Regierung unter dem rechtsextremen Präsiden- eigene Status publik wird. Und diese Furcht ist ten Bolsonaro zügig Fakten: So wurde etwa die Und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt mit das heute selbstverständlich zu unserem Leben durchaus berechtigt: Ende Januar 2019 musste Leitung der HIV-Präventions Task Force entlas- Sicherheit schon grob einordnen konnte, wor- dazu gehört, hätte ich uns damals noch nicht etwa das Gesundheitsministerium im konservativ sen, offenbar wegen einer Aufklärungskampagne, um es sich handelte. Dennoch hat sie uns auf zugetraut. Vieles konnte ich noch nicht einmal geprägten Singapur einräumen, dass (positive) die auf Transgender zielte.12 diese Weise eine unbelastete erste Begegnung denken. Wir haben dazu gelernt und das können Testergebnisse samt Namen und weiterer sen- Solidarität mit HIV-positiven Menschen und mit unserem Kind ermöglicht. In alle Menschen, die mit einer beson- sitiver Daten von fast 15.000 Personen geleakt Menschen mit Aids und die Überwindung von die weitere Orientierung nach der deren Herausforderung konfrontiert wurden.9 Stigma sind unerlässlich im Kampf gegen die Geburt hat sie sich nicht wirklich sind. Mein Kind ist ein liebenswerter, Repressalien erreichen aber das genaue Gegenteil Krankheit. Denn medizinischer Fortschritt kann eingebracht. Und dennoch habe ich aufgeweckter, lebensfroher kleiner von dem, was sie proklamieren: Die Bereitschaft Menschen nicht umfassend erreichen, wenn der dieses unaufgeregte Annehmen Kerl. Es steht mitten im Leben, fest Einzelner zum Testen nimmt ab, eine Behand- soziale Fortschritt ausbleibt. (MK) unseres Kindes, so wie es auf die verankert in seiner Familie. Es hat lung wird schwieriger und dadurch eine weitere Welt gekommen war, als sehr ange- Freunde wie Du und ich und un- Übertragung des Virus wahrscheinlicher. Außer- 1 S owohl im Falle des berühmten „Berliner Patienten”, bei nehm in Erinnerung. Wenn ich etwas terscheidet sich nur in dieser einen dem seit der Behandlung kein Virus mehr nachweisbar ist, dem erzeugt die Fokussierung auf bestimmte als auch später beim „Londoner Patienten” sprechen viele weitergeben dürfte an Familien, die kleinen Weise von uns anderen: Gruppen ein falsches Gefühl der Sicherheit. Die Analysen statt von einer „Heilung” zurückhaltender von heute ein Kind bekommen haben, das Merkmale dass eben sein Geschlecht bei der Geburt nicht Fachzeitschrift The Lancet resümierte daher kurz einem „langfristigen Rückzug”. Beide Fälle sind zudem als beider Geschlechter aufweist, wäre es vor allem eindeutig festgestellt werden konnte. risikoreiche Ausnahmetherapien zu sehen, da jeweils parallel und bündig: „HIV-Kriminalisierung ist schlechte Krebserkrankungen vorlagen. die große Zuversicht, die ich gewonnen habe. Zu- Politik, basierend auf schlechter Wissenschaft.”10 2 Fana Nuno Bet al (2014) The early spread and epidemic versicht, dass das Glück des Lebens nicht darin Eine meiner Fragen war damals, ob Geschlecht ignition of HIV-1 in human populations. Science; 346, p 56 besteht, ohne Hindernisse hindurch zu schreiten, wohl anerzogen sei oder natürlich empfunden 3 Farmer P (2006) Aids and Accusation. Haiti and the geo- Beachten statt isolieren graphy of blame Berkeley und Los Angeles: University of sondern auf dem Weg durch diese Hindernisse wird. Heute würde ich sagen, dass mein Kind ein Vorurteile und Ausgrenzung können andererseits Cahfornia Press zu sich selbst und zueinander zu finden. ganz eigenes Empfinden von seinem Geschlecht 4 N YT (2016) H.I.V. amved m the US long before „Patient die Ansteckung begünstigen. Denn das Stigma hat. Das Empfinden ist ganz unabhängig vom Zero”. www.nytimes.com/2016/10/27/health/hiv-pati- macht HIV-negative Menschen aus bestimmten ent-zero-genetic-analysis.html [Zugriff 4.10.2019] Vieles, was ich nach der Geburt unseres Kindes Aussehen und ebenso unabhängig davon, ob ich Bevölkerungsgruppen besonders vulnerabel befürchtet hatte, ist nicht eingetreten. Vieles, meinem Kind einen Mädchen- oder Jungennamen 20 21
Ganz gleich wie groß dieser gesellschaftliche Spielraum auch sein mag, wenn die zugewiese- ne Geschlechtsrolle vom Kind nicht als passend empfunden wird, hilft das alles nichts. Deshalb bin ich besonders froh über unsere Entscheidung, immer offen über die unklare Geschlechtszuge- hörigkeit unseres Kindes zu sprechen. Bis heute wurde uns dafür von allen Seiten nur Verständ- nis entgegengebracht. Es hat nie Anfeindungen gegeben, weder im Kindergarten, noch auf dem Spielplatz, noch in der Schule. Darum sagt unser Kind: „Ich bin beides!” – aber auch, dass es sich eher bei den Jungs zugehörig fühlt. Wir haben ihm damals einen androgynen Zweit- namen gegeben: Kirn, Luca, Jona, Sascha, etc. standen alle zur Auswahl. Heute denke ich, dass es klug gewesen wäre, solch einen Namen als Rufnamen zu wählen. Es wäre der Situation Auf gute Zusammenarbeit! angemessen gewesen. Das Leben so annehmen, wie es ist. Das wäre gebe. Das Kind kann und wird sich dazu äußern, heute mein Motto bei der Geburt eines in- Arbeitgeber*innen erklären: Menschen mit HIV sind Kolleg*innen wie alle anderen. wie es sich geschlechtlich einordnet – sofern tersexuellen Kindes. Aber dafür war ich zu dem es den Eindruck hat, dass die Familie ihm den Zeitpunkt als mein Kind geboren wurde noch zu Mehr als 70 namhafte Arbeitgeber*innen haben abschätzigen Bemerkungen bis zum Verlust des Raum dafür gibt. festgelegt, auf das, was ich mir schon vor der 2019 die Deklaration #positivarbeiten gegen Arbeitsplatzes. Der Grund liegt in irrationalen Geburt vorgestellt hatte. Diskriminierung von Menschen mit HIV im Ängsten vor einer HIV-Übertragung, Unwissen- Ich habe gelernt, dass männlich und weiblich Arbeitsleben unterzeichnet. Initiiert wurde die heit und Vorurteilen. dabei nicht zwei deutlich voneinander getrenn- Ich hatte mir ein Bild davon gemacht, wie das Aktion von IBM und der Deutschen Aidshilfe. te Schubladen sind, sondern eher zwei Pole, die Leben mit meinen Kindern wohl sein würde. Ich Mit der Deklaration signalisieren die Arbeitge- ineinander übergehen. Ähnlich, wie Tempera- konnte das nicht einfach so ablegen. Aber das Die Botschaft: Menschen mit HIV sind Kolleg*in- ber*innen: Du bist bei uns willkommen! Sie be- turen zwischen kalt und warm, trotz genauer Leben ist einfach kein Wunschkonzert – es ent- nen wie alle anderen. „Einen ganz normalen greifen die Aktion dabei als Teil von „Diversity‘‘: Ein Thermometeranzeige, subjektiv verschieden faltet sich in ungeahnter Weise. Das gilt nicht nur kollegialen Umgang steht nichts im Wege”, offenes Klima und Vielfalt nutzen den Individuen empfunden werden. in Bezug auf mein intersexuelles Kind. Vieles ist betonte DAH-Vorstand Winfried Holz bei der wie den Unternehmen. anders, einiges ist besser, manches ist schwerer Erstunterzeichnung am Vortag des Deutsch-Ös- Ich bin froh, dass wir uns früh entschieden haben, als ich es mir ausgemalt hatte – aber so ist das terreichischen Aids-Kongresses (DÖAK) im Juni in „Die Rückendeckung meiner Unternehmensfüh- den Menschen um uns herum offen zu sagen: wahre Leben – voller Überraschungen – und es Hamburg. Dessen Präsident Prof. Dr. Hans-Jür- rung bedeutet für mich ein proaktives Bekenntnis: „Wir wissen es einfach nicht.” Dennoch haben wir ist gut so!” gen Stellbrink erklärte: „Im Arbeitsalltag ist HIV Du bist genau so richtig, wie du bist!”, betont Jörg uns entschieden, unser Kind in einer weiblichen (Quelle: irrelevant.” Beißel, offen HIV-positiver Mitarbeiter bei SAP. Rolle zu erziehen. Damals habe ich das als sehr Intersexuelle M enschen e.V., Bundesverband) SAP hat Informationen zur Initiative im Unterneh- erleichternd empfunden. Das war uns empfohlen Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung kön- men von vornherein international gestreut. Dank worden und es schien uns die Geschlechtsrolle zu nen Menschen mit HIV leben und arbeiten wie IBM ist die Idee in Tschechien und Österreich auf- sein, die in unserer Gesellschaft einen sehr großen alle anderen, sind genauso leistungsfähig und gegriffen worden. Bei der Welt-Aids-Konferenz Spielraum von eher burschikos bis hin zu sehr nicht häufiger krank. Sie werden aber häufig mit 2020 in San Francisco soll nun der Startschuss feminin zulässt. Aber auch das habe ich gelernt: Vorurteilen und Zurückweisung konfrontiert – von für weitere Länder fallen. 22 23
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