Dokumentation des Fachgespräches am 14. März 2019

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Dokumentation des Fachgespräches am 14. März 2019
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                Dokumentation des Fachgespräches am 14. März 2019

                                Forschung und Praxis diskutieren seit einiger Zeit intensiv über die Rückkehr   Neue Räume für
                                der Produktion in die Stadt. Hintergrund sind der technologische Wandel und
                                Digitalisierungsprozesse, die eine stadtverträglichere, emissionsärmere Pro-    die produktive Stadt
                                duktion wieder möglich erscheinen lassen. Wie wirken sich die damit verbun-
                                denen Veränderungen in der Produktion auf die Städte und ihr Umland aus?
                                Was bedeutet dies für Kommunen und Regionen? Diese Fragen diskutierten
                                Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen im BBSR am
                                14. März 2019.

                                Zentrale Ergebnisse des Fachgespräches:
                                „„Die Schnittstelle zwischen Stadt und Fabrik bietet sowohl Chancen für
                                   Nachverdichtung und Nutzungsmischung als auch Potenziale der effektiven
                                   Nutzung von Stoff- und Energieflüssen.
                                „„Urbane Produktion beschränkt sich derzeit weitgehend auf Manufaktur-
                                  tätigkeiten.
                                „„Technischer Wandel und Digitalisierung führen aktuell nicht zu einer
                                  geringeren Nachfrage nach Flächen für neue Produktionsstandorte.
                                „„Unternehmen entscheiden sich für attraktive und städtische Produktions-
                                  standorte, weil sie hier ihre Fachkräfte finden. Weiche Standortfaktoren
                                  spielen bei der Gewinnung von Fachkräften eine große Rolle.
                                „„Wenn Stadt und Produktion zusammenkommen, wird der Moderations-
                                  bedarf von Nutzungskonflikten zunehmen. Dies gilt vor allem für Ballungs-
                                  gebiete mit bestehendem Flächendruck.
                                „„Für eine stadtverträgliche Nutzungsmischung müssen verschiedenen Fach-
                                  disziplinen intensiv zusammenarbeiten. Dafür ist eine stärkere Vernetzung
                                  von Akteuren notwendig.
Dokumentation des Fachgespräches am 14. März 2019
2                                           Neue
                                            NeueRäume
                                                 Räumefür
                                                       fürdie
                                                           dieproduktive Stadt||Vorwort
                                                               produktiveStadt  Beitrag

    Vorwort

    Liebe Leserinnen und Leser,

    Städte sind Zentren der Arbeit und ökonomisch bedeutsame Quellen von Inno-
    vation und Wertschöpfung. Fabriken, Werkstätten und Bürogebäude mit den
    dazugehörigen Infrastrukturen prägen seit jeher das städtebauliche Erschei-
    nungsbild und die Wahrnehmung einer Stadt. Bezeichnungen wie Bäckergasse

                                                                                          BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
    oder Schusterstraße weisen ebenso wie „Autostadt“ Wolfsburg, „Wissen-
    schaftsstadt“ Darmstadt oder „Klingenstadt“ Solingen auf die Symbiose von
    Stadt und Arbeit hin.

    Ökonomischer Fortschritt, Arbeitsweisen und Stadtentwicklung beeinflussen
    sich gegenseitig. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts und dem Einsetzen der
    vierten industriellen Revolution durchdringt der digitale Wandel alle Lebensbe-
    reiche der Menschen in einer bislang unbekannten Intensität und Geschwindig-
    keit – und führt zu neuen Chancen und Herausforderungen für das gesellschaft-
    liche Leben, für Produktion und Wertschöpfung in der Stadt.

    Städte müssen ihre Wirtschaftsstruktur und Flächennutzung an neue techno-
    logische Entwicklungen anpassen. Sie müssen klären, wo zukünftig Standorte
    für welche Art wirtschaftlicher Tätigkeit zu planen sind, wie städtische Arbeits-
    welten möglichst konfliktfrei in den Stadtraum integriert werden können und
    wie sich Veränderungen der Arbeitswelt auf das Lebensumfeld der Menschen
    auswirken. Neue Technologien eröffnen Chancen für Nutzungsmischung, Nach-
    verdichtung oder Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebote. Gleichzeitig
    gibt es Risiken: Dazu zählen Funktionsverluste in Stadt- und Ortsteilzentren, die
    Polarisierung in den Städten sowie regionale Disparitäten.

    Um Trends der neuen Arbeitswelt und deren Auswirkungen auf die Städte zu
    diskutieren, haben wir Expertinnen und Experten zu einem Fachgespräch nach
    Bonn geladen. Die vorliegende Veröffentlichung dokumentiert die Ergebnisse
    des Fachgesprächs.

    Ich wünsche eine interessante Lektüre.

    Dr. Markus Eltges
    Leiter des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung
Dokumentation des Fachgespräches am 14. März 2019
Neue Räume für die produktive Stadt | Einführung                                                                                   3

                                (Neue) Räume für die produktive Stadt?
                                Eine Einführung

                                Die Art, wie und wo wir heute und         Im internationalen Vergleich hat das      Dr. Katharina Hackenberg
                                künftig arbeiten, ist im Umbruch.         verarbeitende Gewerbe in Deutsch-         Dr. Andrea Jonas
                                Neue Technologien ermöglichen eine        land eine hohe Bedeutung: Etwa ein        Projektleiterinnen im Bundesinstitut
                                                                                                                    für Bau-, Stadt- und Raumforschung
                                emissionsarme, stadtverträgliche          Fünftel der Beschäftigten können
                                Produktion und eröffnen somit Chan-       diesem Wirtschaftssektor zugeordnet
                                cen für die Integration von Fabriken      werden. Die meisten Arbeitsplätze
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                in das vorhandene Siedlungsgefüge.        liegen im Maschinenbau und in der
                                Eine Reurbanisierung der Smart            Herstellung von Kraftwagen und
                                Factory und eine Abkehr von der seit      Kraftwagenteilen. Zusätzlich zählen
                                Jahrzehnten favorisierten Funktions-      die Herstellung von Nahrungsmitteln
                                trennung erscheint dadurch möglich.       und Getränken oder Metallerzeugung
                                Vor diesem Hintergrund diskutieren        zum verarbeitenden Gewerbe. Der
                                Wissenschaft und Praxis über die          Umsatz verdeutlicht die große Bedeu-
                                „produktive Stadt“ (vgl. DASL 2018,       tung des verarbeitenden Gewerbes
                                Erbstößer 2016, IAT/Stadtraumkon-         noch deutlicher: Dieser liegt bei circa
                                zepte 2017, Landeshauptstadt Stutt-       einem Drittel aller Wirtschaftsbe-
                                gart 2015, Läpple 2018, StadtBauwelt      reiche. Sowohl die Umsätze als auch
                                2016). Die Stadt Wien spricht bereits     die Beschäftigenzahlen sind im Zuge
                                von einem Paradigmenwechsel –             der guten konjunkturellen Lage der
                                „Integrieren statt verdrängen“ – und      letzten Jahre angestiegen (Destatis
                                richtet ihre Wirtschaftsflächen stra-     2019).
                                tegisch neu aus (Stadtentwicklung
                                Wien 2019).                               Der technologische Wandel und
                                                                          die Digitalisierung werden die
                                Sowohl die „urbane Produktion“ als        Arbeitswelt verändern (BBSR 2017).
                                auch die „produktive Stadt“ sind          Das Institut für Arbeits- und Berufs-
                                keine eindeutig definierten Begriffe.     forschung (2018) geht davon aus,
                                Das Institut Arbeit und Technik           dass die Digitalisierung zwar kaum
                                versteht unter urbaner Produktion         Auswirkungen auf das Gesamtniveau
                                „die Herstellung und Verarbeitung         der Beschäftigung haben wird, dass
                                materieller Güter in dicht besiedelten    es aber zu größeren Veränderungen         Beschäftigte nach Wirtschaftssektoren
                                Gebieten, die in der Regel in un-         zwischen Branchen, Berufen und            (2018)
                                mittelbarer Nähe zum Wohnort der          Anforderungsniveaus kommen wird                                     1%
                                                                                                                                                           21 %
                                Unternehmerinnen und Unternehmer,         (IAB 2018: 1). Die Autoren der Studie
                                Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter          sehen einen durch die Digitalisierung
                                und/oder Kundeninnen und Kunden           verursachten Beschäftigungsabbau
                                entsteht. Unternehmerinnen und            insbesondere im verarbeitenden
                                Unternehmer agieren dabei weitest-        Gewerbe und rechnen bundesweit
                                                                                                                                                                  7%
                                gehend eigenwirtschaftlich“ (IAT/         mit einem Verlust von circa 122.000
                                Stadtraumkonzept 2017: 11). Für die       Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2035.         71 %
                                nachfolgenden Ausführungen wird           Zu einem vergleichbaren Ergebnis
                                der Begriff „urbane Produktion“ an        kommt auch eine aktuelle Studie
                                diese Definition und angelehnt an die     der OECD. In Deutschland sind mehr
                                statistische Abgrenzung des verar-        Arbeitsplätze von einem hohen                    Primärer Sektor
                                beitenden Gewerbes nach Definition        Automatisierungs- bzw. Änderungs-                Verarbeitendes Gewerbe
                                des Statistischen Bundesamtes             risiko betroffen als im internationalen
                                                                                                                           Übriger sekundärer Sektor
                                (Wirtschaftszweig C „Verarbeitendes       Vergleich. Im OECD-Durchschnitt sind
                                                                                                                           Tertiärer Sektor
                                Gewerbe“) verwendet (Destatis 2008:       14 Prozent der Jobs von Automati-
                                7ff).                                     sierung bedroht, in Deutschland liegt     Quelle: Statistisches Bundesamt
Dokumentation des Fachgespräches am 14. März 2019
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der Anteil hingegen bei 18,4 Prozent.    „Nachhaltige Weiterentwicklung von        nischen Universität Braunschweig
Dieses höhere Risiko wird unter          Gewerbegebieten“ vor. Hierbei geht        wiesen auf die synergetischen
anderem auf den höheren Anteil an        es um die städtebauliche Erneuerung       Vorteile einer stadtverträglichen Pro-
Arbeitsplätzen im verarbeitenden         und nachhaltige Weiterentwicklung         duktion hin. Neben wirtschaftlichen
Gewerbe zurückgeführt (OECD 2019).       bestehender Gewerbegebiete. Das           Funktionen, wie Wertschöpfung und
                                         Vorhaben soll vertiefte Erkenntnisse      Arbeitsplätze, können beispielsweise
Welche räumlichen Konsequenzen           über die städtebaulichen Problem­         Mehrfachnutzungen von Verkehrs-
und Veränderungen der techno-            lagen, Veränderungsprozesse und die       flächen, Versorgungseinrichtungen
logische Wandel in Industrie und         Bedeutung bestehender Gewerbe­            sowie öffentlichen Angeboten für
Gewerbe mit sich bringt, ist bisher      gebiete liefern.                          Erholung und Bildung positive Effekte
nur wenig untersucht. Gornig und                                                   für Produktion und Stadtraum dar-
Werwatz (2018) haben industrielle        Einblicke in das Forschungsvorha-         stellen.
Betriebsgründungen ausgewertet           ben „Nachdenken über die Stadt

                                                                                                                             BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
und sehen erste Anzeichen einer          von übermorgen“ gab Dr. Marion            Jörg Winkelbrandt, Dr. Reinald
Reurbanisierung der Industrie            Klemme, Referatsleiterin „Stadtent-       Wüstefeld und Jens Breuer von der
in Deutschland. Ihre Untersuchung        wicklung“ im BBSR. Anhand von             Arbeitsgemeinschaft Industriebau e.V.
zeigt im Zeitraum 2012 bis 2016 eine     Szenarien für Gewerbegebiete wur-         (AGI) stellten in ihrem Vortrag „Planen
höhere Gründungsintensität in Agglo-     den verschiedene Einflussfaktoren         für Produktionsnetzwerke – Anforde-
merationsräumen als in den übrigen       der Digitalisierung und der verän-        rungen an die Standortentwicklung
Regionen. Auffallend ist dabei, dass     derten Arbeitswelt, wie zum Beispiel      im Industriebau“ dar, welche Aspekte
Gründungen auch in Städten und           Automatisierung, Robotik, künstliche      aus Sicht von Industriebetrieben bei
Verdichtungsräumen stattfinden, die      Intelligenz und ihre räumlichen Aus-      der Standortplanung wichtig sind. Sie
derzeit keinen überdurchschnittlich      wirkungen aufgezeigt.                     beschrieben die Chancen neuer klein-
hohen Anteil an Beschäftigten in                                                   teiliger Produktionen oder solcher mit
Gewerbe und Industrie aufweisen,         Stefan Werrer, Inhaber des Labors         hoher Wertschöpfung in verdichteten
wie z. B. Berlin, Leipzig/Dresden oder   für urbane Orte und Prozesse und          Strukturen, die jedoch kaum größere
das Rhein-Main Gebiet. Dies könnte       Professor an der FH Aachen, Fachbe-       Arbeitsplatzzahlen erzeugen.
gegebenfalls räumliche Strukturen        reich Architektur, betonte in seinem      Aktuelle rechtliche Regularien stehen
verändern.                               Beitrag „Die produktive Stadt – mehr      arbeitsplatzintensiven Produktionen
                                         als ein Suchkonzept?“ die vielfältigen    in unmittelbarer Nähe von Wohn-
Im hier dokumentierten Fachge-           – insbesondere städtebaulichen –          nutzungen derzeit entgegen, sodass
spräch diskutierten die Experten über    Möglichkeiten einer stadtverträg­         auch weiterhin ein hoher Bedarf
die Frage nach den (neuen) Räumen        licheren Produktion, die sich durch       zur Weiterentwicklung bestehender
für die produktive Stadt.                technologischen Fortschritt und           Gewerbegebiete und zur Schaffung
                                         Digitalisierung ergeben. Er sprach        neuer Flächen für Gewerbezwecke
Im Mittelpunkt standen dabei             sich dafür aus, von Beginn an neue        besteht.
folgende Fragen:                         urbane Arbeitsformen und lokale
                                         Ökonomie bei der Quartiersentwick-        Trotz der unterschiedlichen Blick-
„„Was sind derzeit und zukünftig         lung miteinzuplanen und somit eine        winkel auf das Thema der „urbanen
  raum- und flächenrelevante             inklusive Stadt mit unterschiedlichen     Produktion“ waren sich die Experten
  Trends der Produktion?                 Wohnmilieus, Arbeitswelten und            in folgenden Aspekten einig:
„„Welche Branchen sind vom tech-         Lernarenen zu ermöglichen. Dabei
  nologischen Wandel besonders           entstehende Konflikte gilt es mit mehr    „„Die Schnittstelle zwischen Stadt
  betroffen?                             Mut zu gestalten.                           und Fabrik bietet sowohl Chancen
„„Welche Räume sind vom tech-                                                        für Nachverdichtung und Nut-
  nologischen Wandel besonders           Die Potenziale einer urbanen Pro-           zungsmischung als auch Potenzi-
  betroffen?                             duktion und einer urbanen Fabrik be-        ale der effektiveren Nutzung von
„„Wie können Kommunen und                schrieben auch Max Juraschek und            Stoff- und Energieflüssen urbaner
  Regionen auf diesen Wandel im          Professor Dr. Christoph Herrmann in         Fabriken für die Stadt.
  Rahmen ihrer Flächennutzungs-          ihrem Beitrag „Urbane Fabriken –          „„Bislang gibt es kaum empirische
  oder Regionalplanung reagieren?        Potentiale und Herausforderungen            Belege für eine Rückkehr der
                                         der Produktion in der Stadt“. Die           Produktion in die Stadt und kaum
Einleitend stellte Bernd Breuer,         Experten vom Institut für Werkzeug-         erkennbare Mengeneffekte.
Projektleiter im Referat „Stadtent-      maschinen und Fertigungstechnik,          „„Urbane Produktion beschränkt
wicklung“ des BBSR, das aktuelle         Fachbereich Nachhaltige Produktion          sich derzeit weitgehend auf
ExWoSt-Forschungsvorhaben                und Life Cycle Engineering, der Tech-       Manufakturtätigkeiten.
Dokumentation des Fachgespräches am 14. März 2019
Neue Räume für die produktive Stadt | Einführung                                                                      5

                                „„Technischer Wandel und Digita-          „„Zudem sind differenzierte Analy-      teiligen Vernetzungen von Produk­
                                  lisierung führen derzeit nicht zu         sen nötig, um städtische Pro-         tionsstandorten wird die Abhängig-
                                  einer geringeren Nachfrage nach           duktions- und Gewerbeflächen          keit zwischen Produktion und Logistik
                                  Flächen für neue Produktions-             zu typisieren und hinsichtlich        immer größer.
                                  standorte.                                ihrer Potenziale und Herausfor-
                                „„Der Fachkräftemangel ist für              derungen für eine integrierte         Deutlich wurde schließlich, dass
                                  Unternehmen ein zentraler Grund,          Stadtentwicklung zu bewerten.         soziale Komponenten stärker in
                                  an attraktiven und städtischen                                                  der Diskussion um die produktive
                                  Standorten zu produzieren, wo-          Diskutiert wurde die Frage nach einer   Stadt berücksichtigt werden sollten.
                                  durch weiche Standortfaktoren           Anpassung des städtebaulichen           Dies umfasst sowohl die Frage,
                                  bei der Gewinnung von Fachkräf-         Instrumentariums, um mehr Produk-       wer potenzielle Arbeitnehmer der
                                  ten von hoher Bedeutung sind.           tion in der Stadt und eine stärkere     urbanen Fabrik sein können als auch
                                „„Wenn Stadt und Produktion               Nutzungsmischung zu ermöglichen.        die Frage, welche Quartiere für eine
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                  zusammenkommen, wird der Mo-            Dabei wurde deutlich, dass das          Mischnutzung aus Produktion und
                                  derationsbedarf von Nutzungs-           Instrumentarium auch heute schon        Wohnen in Betracht kommen.
                                  konflikten zunehmen. Dies gilt          eine Mischnutzung erlaubt, dass die
                                  vor allem für Ballungsgebiete mit       bestehenden Möglichkeiten aber          Das Fachgespräch ist der Auftakt für
                                  bestehendem Flächendruck.               bislang nicht ausgeschöpft werden.      eine interdisziplinäre Auseinander-
                                „„Für eine stadtverträgliche Nut-         Die neue Gebietskategorie der „Ur-      setzung mit Themen einer sich rasant
                                  zungsmischung müssen ver-               banen Gebiete“ lässt eine Produktion    ändernden Arbeits- und Produktions­
                                  schiedenen Fachdisziplinen bei          in Gebieten mit Wohnfunktion nur        welt und deren stadträumlichen
                                  der Planung sowie der Um- und           sehr eingeschränkt zu. Aus Unterneh-    Konsequenzen. Dabei wird es auch
                                  Neugestaltung von städtischen           menssicht ist das „Heranrücken“ von     um die Fragen gehen, ob es sich bei
                                  Produktionsstandorten intensiv          Wohnnutzungen an Standorte des          der „produktiven Stadt“ um eine viel
                                  zusammenarbeiten. Dafür ist eine        verarbeitenden Gewerbes im Zuge         diskutierte und planerisch sinnvolle
                                  stärkere Vernetzung von Ak-             der Stadterweiterung problematisch,     Idee handelt, die bislang jedoch kaum
                                  teuren, wie zum Beispiel Unter-         da dies aufgrund von Emissions-         wahrnehmbare Mengeneffekte zeigt,
                                  nehmen, Planern und Anwohnern           schutzregeln oftmals die Produkti-      oder ob zukünftig größere Verände-
                                  notwendig.                              onsmöglichkeiten einschränkt. Daher     rungen in der Stadtentwicklung zu
                                „„Vertiefende Untersuchungen              wurde sich dafür ausgesprochen,         erwarten sind, die neue Raumstruk-
                                  sind notwendig um die Unter-            auch weiterhin abgeschlossene           turen und Nutzungsmuster mit sich
                                  schiede zwischen größeren und           Standorte am Stadtrand vorzusehen.      bringen. Neben der Auseinanderset-
                                  kleineren Gewerbetreibenden zu                                                  zung mit stadt- und raumplanerischen
                                  berücksichtigen. Große Konzerne         Auch die engen Verflechtungen           Themen bedarf es zur Klärung dieser
                                  verfügen häufig über ausreichend        zwischen urbanen und suburbanen         Frage auch einer stärkeren interdis-
                                  Flächenpotenziale, während eine         Räumen sollten berücksichtigt wer-      ziplinären Betrachtung zum Beispiel
                                  aktive Standortpolitik vor allem für    den, etwa bei Logistikflächen. Durch    mit Blick auf industrielle und gewerb-
                                  kleinere oder mittlere Unterneh-        die zunehmende Arbeitsteilung und       liche Standortanforderungen und
                                  men wichtig ist.                        die damit einhergehenden klein-         -planungen.
6                                                     Neue Räume für die produktive Stadt | (Neue) Räume für die produktive Stadt?

Literatur

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Veroeffentlichungen/Sonderveroeffent           Wochenbericht 47/2018. Deutsches Institut        aus der Zwischenstadt. Urbanisierung durch
lichungen/2017/smart-cities-neue-              für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW),             Migration und Nutzungsmischung. Transcript
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                                                                                                                                                 BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
&v=2, letzter Zugriff: 10.10.2019)             documents/publikationen/73diw_01.c.607763.
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6. Hochschultag der Nationalen Stadt-          forschung, 2018: Regionale Branchenstruktur      Vergleich. Beschäftigungsausblick 2019.
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Destatis, 2019: Sozialversicherungspflichtig   pdf, letzter Zugriff: 10.10.2019)                StadtBauwelt, 2016: Die Produktive Stadt.
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destatis.de, letzter Zugriff: 10.10.2019)      konzept, 2017: Produktion zurück ins             Stadtentwicklung Wien, 2019: Fachkonzept
                                               Quartier? Neue Arbeitsorte in der                Produktive Stadt. Wien. (abrufbar unter:
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Ausgabe 2008 (WZ 2008). Wiesbaden.             und Gleichstellung des Landes Nordrhein-         fachkonzept-produktive-stadt.html, letzter
(abrufbar unter: https://www.destatis.de/      Westfalen. Gelsenkirchen/Dortmund.               Zugriff: 10.10.2019).
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gliederung-klassifikation-wz-3100130089004.    Stadtplanung und Stadterneuerung (Hrsg.),
pdf?__blob=publicationFile&v=2, letzter        2015: Symposium „Die produktive Stadt“.
Zugriff: 10.10.2019)                           Dokumentation. Stuttgart. (abrufbar
Neue Räume für die produktive Stadt | Nachhaltige Weiterentwicklung von Gewerbegebieten                                 7

                                ExWoSt-Forschungsfeld:
                                Nachhaltige Weiterentwicklung von Gewerbegebieten

                                Seit 2015 führt das BBSR das For-         Dementsprechend ist nicht jeder          Bernd Breuer
                                schungsfeld „Nachhaltige Weiter-          Produktionsbetrieb in jedes Stadt-       Projektleiter im Bundesinstitut
                                                                                                                   für Bau-, Stadt- und Raumforschung
                                entwicklung von Gewerbegebieten“          quartier verträglich zu integrieren.
                                mit neun städtebaulichen Modell-          Nicht alle industriellen Agglomerati-
                                vorhaben durch. Forschungsfeld und        onen werden in nutzungsgemischte
                                Modellvorhaben finden im Rahmen           Stadtquartiere wandelbar sein.
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                des Ressortforschungsprogramms
                                „Experimenteller Wohnungs- und            In dem Forschungsfeld geht es um
                                Städtebau (ExWoSt)“ statt. ExWoSt-        Gewerbegebiete, deren Entwicklung
                                Modellvorhaben sind Forschungs-           wesentlich in den 1960er- bis 1980er-
                                und Entwicklungsvorhaben in der           Jahren geprägt wurde und in denen
                                städtebaulichen Realität. Der Zweck       verarbeitendes Gewerbe auch künftig
                                besteht darin, unter Realbedingungen      die vorherrschende Nutzung darstellt.
                                städtebauliche Ansätze und inno-
                                vative Problemlösungen zu entwi-          Das ExWoSt-Forschungsfeld
                                ckeln und zu erproben. Aufgabe der        fokussiert auf großräumige Produk-
                                Modellvorhaben ist es auch, über-         tionsstrukturen in der Stadt, eben
                                tragbare Erfahrungen für ähnliche         auf bestehende Gewerbegebiete.
                                städtebauliche Konstellationen            Eine vorgeschaltete Studie hat-
                                und Aufgabenstellungen nutzbar zu         te gezeigt, dass im Segment der
                                machen.                                   Gewerbegebiete aus den 1960er- bis
                                                                          1980er-Jahren der Forschungs- und
                                Im Vordergrund des nachfolgend            Entwicklungsbedarf am größten
                                beschriebenen Forschungsvorhabens         ist. Im Mittelpunkt steht somit das
                                steht die städtebauliche Erneuerung       Aufgabenfeld des Erhalts und der
                                und nachhaltige Weiterentwicklung         städtebaulichen Qualifizierung von
                                bestehender Gewerbegebiete. Das           Gewerbegebieten, die dem Ende
                                übergreifende Ziel des Forschungs-        ihres ersten Entwicklungszyklus ent-
                                feldes ist, bessere Kenntnis von          gegengehen. Das Erkenntnisinteresse
                                den städtebaulichen Problemlagen,         richtet sich auf
                                Veränderungsprozessen und der
                                Bedeutung bestehender Gewerbe-            „„Industrieareale mit großbetrieb-
                                gebiete zu erlangen. Der Bund hat           lichen Strukturen sowie
                                ein besonders Interesse an pra-           „„Gewerbegebiete mit Handwerk,
                                xisgestützten Erkenntnissen über            kleinen bis mittleren Produktions-
                                geeignete städtebauliche Konzepte,          stätten und
                                Maßnahmen und Verfahren sowie             „„Gewerbemischquartiere mit
                                über instrumentelle und institutionelle     diversen Betriebsarten, teils auch
                                Implikationen.                              mit anderen Funktionen durch-
                                                                            setzt.
                                Untersuchungs-
                                gegenstand                                Damit stehen genau jene unschein-
                                                                          baren, abseitigen und wenig bis gar
                                Für die Eingrenzung der Untersu-          nicht beachteten Stadträume der
                                chung auf bestehende Gewerbege-           gewerblichen Produktion im Fokus,
                                biete spielten folgende Aspekte eine      die als „vergessene Stadträume“
                                Rolle: Aufgrund berechtigter Schutz-      apostrophiert werden, zugleich
                                interessen ist nicht jede Güterpro-       aber fachlichen Klärungsbedarf und
                                duktion und Materialverarbeitung an       städtebaulichen Erneuerungsbedarf
                                allen urbanen Standorten möglich.         bergen. Jenseits urbanistischer
8                                 Neue Räume für die produktive Stadt | Nachhaltige Weiterentwicklung von Gewerbegebieten

Themenkonjunkturen widmet sich das        Bestehende Gewerbegebiete sind            Neue Nutzungen
ExWoSt-Forschungsfeld also einem          durch ein breites Spektrum an             in bestehenden
lange unterschätzten, gleichwohl          Nutzungen und Branchen und damit          Produktionsräumen
aber bedeutendem Zukunftsthema.           zugleich durch sensible Nutzungs-
                                          nachbarschaften geprägt: Güterher-        Bestehende Gewerbegebiete weisen
Es ist evident, dass bestehende           stellung und -verarbeitung, Logistik,     vielfach überkommene Raum- und
Gewerbegebiete ein spezifischer           Ver- und Entsorgung, Dienstleistung       Bausubstanz auf. Nichtsdestotrotz
Ausschnitt städtischer Arbeits- und       und Administration, Handel, Gas-          sind Exoten und Pioniere bereits an
Wirtschaftswelten sind. Zugleich re-      tronomie und Beherbergung, Sport,         den existierenden Gewerbestand-
präsentieren die Gewerbebestands-         Kultur, Unterhaltung und religiöse        orten angekommen. Auch in den
gebiete an und für sich bereits ein       Einrichtungen, bis hin zu Wohnnut-        Gebieten der ExWoSt-Modellvorha-
weites Feld heterogener Strukturen.       zungen. Vor allem produktionsge-          ben sind neue Nutzungen in alten
                                          prägte Bereiche zeichnen sich durch       Produktionsräumen und auf Flächen

                                                                                                                            BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
                                          betriebliche Emissionen aus: Erschüt-     konventioneller Betriebe eingezogen,
Heterogene Strukturen                     terungen, Lärm, Staub, chemische          beispielsweise:
                                          Stoffe, Wärmestrahlung.
Das Forschungsfeld deckt eine                                                       „„Machwerkstätten Tatcraft GmbH,
große Bandbreite an Regions- und          Ebenso groß ist die Bandbreite an           Frankfurt a. M. – Seckbach
Gebietsstrukturen, an städtebau-          Räumen und Bauwerken in Gewerbe­          „„KleRo GmbH für Roboterautoma­
lichen Ausgangslagen, Problem- und        bestandsgebieten. Dort finden sich          tion, Berlin – Lichtenberg
Aufgabenstellungen ab. Es werden          großförmige Fabrikations- und             „„Spitzengastronomie im Kessel-
Modellvorhaben in großen und              Lagerhallen, Stockwerksfabriken,            haus einer ehemaligen Textil­
kleineren Großstädten wie auch in         kleinteilige Betriebsgebäude, teils in      fabrik, Karlsruhe – Grünwinkel
Mittelstädten durchgeführt, ebenso in     Gewerbehöfen, teils mehrgeschos-          „„Betonmanufaktur für Schmuck,
prosperierenden und schrumpfenden         sige Bürogebäude, großflächige La-          Dekor und Einrichtung, Concrete
Kommunen. Einige Modellvorhaben-          ger- und Verkaufsräume des Handels,         Jungle Betonmanufaktur GbR,
gebiete liegen am Stadtrand, andere       Sonderbauwerke der technischen              Frankfurt a. M. – Seckbach
befinden sich an integrierten Stand-      Infrastruktur und mehr. Hingegen
orten, teils am Innenstadtrand.           sind Gebäude für Sozialinfrastruktur      Die Strukturen und Prozesse in den
                                          und Versorgung die Ausnahme; oft          ExWoSt-Modellvorhaben zeigen,
Zu den Modellvorhaben gehören             gibt es jedoch kleine Schlichtbauten      dass sich der Bestand an Betriebs­
sowohl große Industrie- und Gewer-        mit Kiosk oder Imbiss.                    anlagen und Produktionsräumen
begebiete als auch mittlere Gewerbe-                                                durch ein hohes Maß an Persistenz
mischgebiete und Kleingewerbege-          Bei aller funktionalen, räumlichen und    auszeichnet. Auf der anderen Seite
biete. Die Verkehrsanbindungen sind       baulichen Heterogenität haben die         finden sich aber auch Beispiele für
sehr unterschiedlich: Im Einzelfall be-   bestehenden Gewerbegebiete unter          die Praktikabilität kreativer Nutzung
steht kein direkter Anschluss an eine     anderem folgende Gemeinsamkeiten:         und innovativer Produktionstechnik
Bundesstraße; andere Gebiete haben                                                  in bestehenden Produktionsräumen.
nicht nur einen Autobahnanschluss,        „„starke Überbauung                       Gleichwohl wird auf lange Sicht die
sondern auch Schienenanschlüsse           „„flächenhafte Versiegelung               überragende Herausforderung in
oder liegen gar in Hafennähe. Die         „„ungenutzte Dachflächen                  Gewerbebestandsgebieten in der
Gebietsgrößen variieren ebenfalls                                                   baulichen und technischen Instand-
stark: Das kleinste Modellvorhaben        Die flächenzehrende Überbauung            setzung und Modernisierung sowie in
hat eine Fläche von rund 40 ha, das       und Versiegelung sind zugleich            der städtebaulichen und infrastruktu-
größte etwa 770 ha, die Mehrzahl          bedeutende Herausforderungen              rellen Erneuerung bestehen.
zwischen 100 und 200 ha. Die Anzahl       und Potenzial für eine nachhaltige
der ansässigen Unternehmen liegt          Weiterentwicklung der Gewerbege-          Die Auswertung diverser Sekundär-
zwischen 50 und 1.000 Betrieben, die      biete. Ungenutzte Dachflächen bieten      quellen aus Forschung und Praxis
der Beschäftigten zwischen 1.000 und      Potenzial für Sekundärnutzungen wie       hat gezeigt, dass kleinere, sied-
22.000.                                   das Abstellen von Fahrzeugen aber         lungsstrukturell integrierte Gewer-
                                          auch für umwelt- und klimawirksame        begebiete Optionen für eine städ-
                                          Zwecke wie Grünflächen oder Solar-        tebauliche Transformation etwa zu
                                          anlagen.                                  hybriden Gewerbequartieren bieten.
Neue Räume für die produktive Stadt | Nachhaltige Weiterentwicklung von Gewerbegebieten                                                             9
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                Modellvorhabengebiet in Frankfurt am Main – Fechenheim Nord/Seckbach                                                             Foto: Thorsten Becker

                                Eine Weiterentwicklung zu Gewerbe­                  Weitere Informationen: BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.),
                                transformationsgebieten würde nicht                 2019:
                                nur eine hybride Funktionsperspek-                  Nachhaltige Weiterentwicklung von Gewerbegebieten, Ergebnisse der Modellvorhaben.
                                tive innerhalb dieser Stadträume                    ExWoSt-Informationen 49/4, Bonn.
                                eröffnen, sondern zugleich auch                     Kostenfreier Download unter: www.bbsr.bund.de
                                Potenziale für deren städtebauliche                 Druckausgabe ist kostenfrei zu beziehen unter: silvia.wicharz@bbr.bund.de,
                                Verknüpfung mit benachbarten Stadt-                 Stichwort: ExWoSt-Info 49/4
                                quartieren bieten. Die Grenzen und
                                Möglichkeiten solcher städtebau-
                                lichen Transformations- und Verknüp-
                                fungsstrategien für die Gebiete selbst
                                und für die angrenzenden Stadträume
                                sind im Rahmen weiterer Studien
                                näher zu untersuchen.
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Gewerbegebiete in der Stadt von übermorgen

Dr. Marion Klemme                 Wenn wir über die Stadt von über-         nicht mehr ortsgebunden und lassen
Referatsleiterin im               morgen nachdenken, dann wird deut-        sich kurzfristig, räumlich flexibel
Bundesinstitut für Bau-, Stadt-
und Raumforschung
                                  lich, dass verschiedene Trends das        aufbauen. Zum Basisangebot eines
                                  Leben und Arbeiten in der Stadt wie       Gewerbe­gebietes gehören einfache
                                  auch die Stadt selbst stark verändern     und flexible Produktionsgebäude, die
                                  werden. Klimawandel, Digitalisierung      „wandernden Fabriken“ auch kurz­
                                  und Migration sind (nur einige dieser)    fristig einen Standort bieten.
                                  Themen, die zeigen, dass wir es mit

                                                                                                                     BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
                                  höchst komplexen Entwicklungen zu         Kleinere, saubere Produktionsanla-
                                  tun haben, die von Ort zu Ort sehr un-    gen und 3-D-Druck haben in frei ge-
                                  terschiedlich wirken können. Politik      wordenen Innenstadtlagen Platz ge-
                                  und Verwaltung stehen ebenso wie          funden: Individualisierte Konsumgüter
                                  Organisationen und Unternehmen vor        werden vor Ort produziert (gedruckt
                                  der Aufgabe, mit veränderten Anfor-       oder endmontiert) und in kürzester
                                  derungen an Flächennutzungen in der       Zeit an den Endkunden übergeben.
                                  Stadt umzugehen.                          Getrieben wird dieser Bereich durch
                                                                            die weitere Ausdifferenzierung der
                                  Schauen wir uns als Beispiel die          Gesellschaft, die vermehrt hochin-
                                  Gewerbegebiete an: Sie entstanden         dividualisierte Kundenwünsche und
                                  vielfach Mitte der 1970er Jahre, vor-     damit Mikromärkte („batch-size-1“
                                  zugsweise im suburbanen Raum. Sie         Produktion) entstehen lässt. Saubere,
                                  sind mehr oder weniger einheitlich        leise, hochtechnisierte Produktion
                                  geplant und gebaut und weisen einen       rückt wieder näher an die Ballungs-
                                  hohen Anteil an Dienstleistungsunter-     räume heran.
                                  nehmen auf, mit eher wenig Schnitt-
                                  stellen zu angrenzenden Wohnbe-           Der Einsatz künstlicher Intelligenz
                                  bauungen. Wenn nun verschiedene           ersetzt in signifikantem Maße
                                  gesellschaftliche, technische,            menschliche Arbeit: Gewerbegebiete
                                  demografische oder wirtschaftliche        kommen fast ohne Menschen aus,
                                  Trends auf die Gewerbegebiete von         denn Produktion, Lagerung, Versand
                                  morgen und übermorgen prallen, wie        und Verwaltung laufen größtenteils
                                  sehen diese Räume dann aus, wie           automatisch und aus der Ferne
                                  funktionieren sie? Im Folgenden geht      gesteuert ab. Büroflächen verschwin-
                                  es nicht um Zukunftsvorhersagen,          den aus den Gewerbegebieten. Die
                                  sondern vielmehr um das Aufzeigen         wenigen verbleibenden Tätigkeiten
                                  von Entwicklungsmöglichkeiten. Es         werden in integrierte Lagen bzw. ins
                                  ist ein gedankliches Experiment, um       Homeoffice verlegt. Es wird, wo es
                                  unsere Vorstellungskraft ins Über-        möglich ist, vertikal gelagert, sodass
                                  morgen zu lenken.                         der Flächenbedarf hier insgesamt
                                                                            zurückgeht. Auf den frei gewordenen
                                  Automatisierung, Robotik, Digita-         Flächen ehemaliger Büros und Park-
                                  lisierung und Algorithmisierung           plätze entstehen ökologisch hoch-
                                  bestimmen Produktions- und Logi-          wertige Grünflächen.
                                  stikabläufe: Kombinierbare (Mini-)
                                  Roboter unterstützen eine massive         Aktiver Umweltschutz und Klimaan-
                                  Flexibilisierung der Produktions- und     passung prägen das Alltagsgeschäft:
                                  Montageprozesse. Produktionsstra-         Kreislaufwirtschaft mit regionalem
                                  ßen sind vernetzt, kurzfristig umpro-     Fokus und umweltfreundlichen
                                  grammierbar und können sehr unter-        Herstellungsprozessen sind grund­
                                  schiedliche Produkte hintereinander       legende Vorgaben in einem Gewerbe­
                                  herstellen. Produktionsabläufe, insbe-    gebiet. Recycling und Rückführung
                                  sondere die relativ sauberen, sind        von Rohstoffen werden konsequent
Neue Räume für die Produktive Stadt | Gewerbegebiete in der Stadt von übermorgen                                                              11

                                mitgedacht. Umfassende Umwelt­                   verarbeiten und sich an wechselnde            verteilt. Das kann über Lastenfahr­
                                aufagen, steigendes Gesundheitsbe­               Bedingungen anpassen, ermöglichen             räder, Elektrofahrzeuge, U­Bahnen
                                wusstsein sowie Transparenz­ und                 den Gebäuden neue Funktionen.                 oder auch Drohnen erfolgen.
                                Nachhaltigkeitsansprüche begründen               Scanner erfassen die molekulare
                                diese Haltung im Gewerbe. Als Folge              Ebene von Materialien und erkennen            Soweit ein paar gedankliche
                                des Klimawandels treten immer mehr               frühzeitig Optimierungs­ bzw. Repara­         Zukunftsübungen. Angesichts der
                                Extremwetterereignisse auf, die einen            turbedarf. Aufgrund von Ressourcen­           Komplexität und des Zusammen­ und
                                Umbau auf Ebene der Stadttechnik                 knappheit und hoher Energiekosten             Wechselspiels von Trends sind pau­
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                und des Städtebaus erfordert haben.              setzen sich Baumaterialien durch, die         schale Zukunftsvorhersagen weder
                                Nicht angepasste Gewerbegebiete                  ökologisch abbaubar oder wiederver­           möglich noch hilfreich. Gleichwohl
                                können aufgrund von Starkregener­                wertbar sind.                                 können erste Thesen zu denkbaren
                                eignissen, Stürmen und Hitzeperioden                                                           Wirkungen im Raum helfen, sich auf
                                nicht mehr existieren.                           Die Stadt koordiniert ihre kom-               das Übermorgen vorzubereiten. Jede
                                                                                 plette Versorgung mit Gütern über             Stadt und damit auch jeder einzelne
                                Gewerbegebiete werden sich                       spezifsche Hubs: Zur Vermeidung               Stadtraum haben ganz eigene Kapazi­
                                sukzessive baulich erneuern: Ein                 von Stadtverkehren und Emissionen             täten, um mit Trends umzugehen. Der
                                wesentlicher Treiber ist hier u. a. die          wird die Stadt integriert beliefert; für      Blick auf übermorgen ist unerlässlich,
                                Weiterentwicklung von Baustoffen                 einzelne Zusteller ist der Zugang ge­         um bereits heute zu diskutieren, wie
                                (smart materials). Außenfassa­                   sperrt. Lieferungen kommen gebün­             wir zukünftig leben und arbeiten wol­
                                den, die Energie produzieren und                 delt in den Hubs an und werden von            len. Denn: Zukunft ist gestaltbar.
                                speichern oder die Informationen                 dort unter Effzienzaspekten weiter

                                Der vollautomatisierte Gewerbepark der Zukunft

                                                                                                                                  Weitere Informationen: BBSR –
                                                                                                                                  Bundesinstitut für Stadt­, Bau­ und
                                                                                                                                  Raumforschung (Hrsg.), 2019:

                                                                                                                                  Nachdenken über die Stadt
                                                                                                                                  von übermorgen.
                                                                                                                                  BBSR­Online­Publikation, 11/2019,
                                                                                                                                  Bonn.

                                                                                                                                  Kostenfreier Download unter:
                                                                                                                                  www.bbsr.bund

                                                                                                                                  Es ist geplant, in einem weiteren Projekt
                                                                                                                                  Arbeitsmaterialien zu entwickeln,
                                                                                                                                  die von Kommunen in Deutschland
                                                                                                                                  eigenständig für die Durchführung von
                                                                                                                                  Zukunftsdiskursen genutzt werden
                                                                                                                                  können. Weitere Informationen werden
                                                                                                                                  zu Projektstart auf der Internetseite des
                                                                                                           Quelle: BBSR 2019      BBSR zur Verfügung gestellt.
12                                       Neue Räume für die produktive Stadt | Die produktive Stadt – mehr als ein Suchkonzept?

Die produktive Stadt – mehr als ein Suchkonzept?

Professor Stefan Werrer                      Der Begriff „produktive Stadt“ greift      wird folglich über die Möglichkeiten
Inhaber des Labors für urbane Orte           die Transformationstendenzen in            einer Re-Industrialisierung der Städte
und Prozesse
                                             Wirtschaft und Gesellschaft auf,           nachgedacht. Diese „materielle Wen-
Professor an der FH Aachen,                  thematisiert neue Formen des Arbei-        de“ begreift die Produktion in ihren
Fachbereich Architektur
                                             tens mit flexibleren und urbaneren         vielfältigen Formen wieder als eine
                                             Produktionsformen, mit wechselnden         für die Städte notwendige ökono-
                                             Kooperations- und Kollaborations-          mische Basis.
                                             mustern und eröffnet einen neuen

                                                                                                                                  BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
                                             „produktiven Blick“ auf die Stadt.         Ein neuer Blick
                                                                                        auf Raumtypen und
                                             Vor dem Hintergrund einer wachsen-         Flächenpotenziale
                                             den Kritik an der postindustriellen
                                             Stadt stellt die produktive Stadt ein      Der aktuelle Diskurs verändert den
                                             Suchkonzept für die Neuorientierung        Blick auf die Stadtlandschaft. Die pro-
                                             und Neuerfindung der Stadt dar             duktive Stadt ermöglicht das Nach-
                                             (Läpple 2016). Der Wandel der ökono-       denken über eine produktive und
                                             mischen Basis vieler Städte – von          soziale Mischung an sehr hybriden
                                             einer industriellen in eine wissens-       Standorten und in unterschiedlichen
                                             und kulturbasierte Ökonomie – und          Quartiersformaten. Typologische An-
                                             die damit einhergehende Transfor-          sätze können auf unterschiedlichen
                                             mation des städtischen Raumes in           Maßstabsebenen mit Strahlkraft auf
                                             Wohn- und Konsumräume sowie                ihr jeweiliges Umfeld identifiziert
                                             Standorte hochwertiger Dienst-             werden. Nachfolgend seien einzelne
                                             leistungen führte entscheidend             „produktive Stadtbausteine“ be-
                                             zur (positiven) Neubewertung des           spielhaft genannt, die an vielen Orten
                                             Produktionsbegriffs. Heute werden          standortbezogen entwickelt werden
                                             die De-Industrialisierung der Städte       könnten:
                                             und die Verlagerung der industriellen
                                             Produktion an die Peripherien oder in      „„Gemischte Wohnquartiere in
                                             das Ausland zunehmend als Verlust            Kombination mit urbaner Produk-
                                             wahrgenommen. An vielen Orten                tion;

     Kernfragen und Handlungsempfehlungen I
     Wie werden Städte produktiver?

     „„Neue Technologien und Digitalisierungsprozesse ermöglichen zunehmend stadtverträgliche Produktionen in einem
        urban gewachsenen Kontext
     „„Die steigende Nachfrage nach lokal und handwerklich hergestellten Produkten sowie die zunehmende Individualisierung
        des Massenkonsums unterstützen diesen Trend
     „„Ziel der Planung sollte nicht mehr die Vermeidung, sondern die Moderation von Nutzungskonflikten sein

     „„Etablierung des planungsrechtlichen Begriffs produzierendes Gewerbe

     „„Weiterentwicklung der Gebietskategorien der BauNVO
Neue Räume für die produktive Stadt | Die produktive Stadt – mehr als ein Suchkonzept?                                      13

                                „„Transformationsquartiere, die            ner produzieren. Dabei ergeben sich
                                  über Zwischennutzungen Raum              neue Koopera­tionen und Partner-
                                  für innovative urbane Prozesse           schaften. Auf diese Weise kann eine
                                  bieten;                                  inklusive Stadt aus unterschiedlichen
                                „„Hybride Wissens-Produktions-             Wohnmilieus, Arbeitswelten und
                                  quartiere für Forschung und              Lernarenen entstehen, die Möglich-
                                  Entwicklung;                             keitsräume für das notwendige
                                „„Urbane Gewerbequartiere mit              Entwerfen und Austesten von neuen
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                  Aufenthaltsqualität;                     produktiven Strukturen nach dem
                                „„Urbane Katalysatoren als ge-             Prinzip „Learning by doing“ bietet.
                                  mischt genutzte Stadtbausteine;
                                „„Eine experimentelle Start-up- und        Mehr als ein
                                  Produktionskultur mit Coworking          Suchkonzept!
                                  Spaces, FabLabs und Inkuba-
                                  toren als neue Elemente einer            Die produktive Stadt eignet sich
                                  Quartiers­infrastruktur.                 darüber hinaus in besonderem
                                                                           Maße für eine kooperative Entwick-
                                Quartiersentwicklungen sollten             lung von Visionen und Ideen zur
                                daher von Anfang an neue urbane            Zukunft unserer Städte. Produktive
                                Arbeitsformen und lokale Ökonomien         Nutzungen bereichern die über
                                einplanen. Die unter dem Schlagwort        Jahrzehnte zusehends segregierten
                                „Industrie 4.0“ zusammengefassten          Stadtquartiere. Aktuelle Planungen
                                Transformationstendenzen der Indus-        machen deutlich, dass sich die
                                trieproduktion wie urbane Manufak-         Nutzungen der neuen Arbeitswelt in
                                turen, vernetzte Produktion, FabLabs       ihren räumlichen Strukturen je nach
                                oder Kleinfabriken der Recycling-          Projektpartnerschaft verändern und
                                branche könnten eine Rückkehr neu-         weiterentwickeln. Die immer größer
                                er städtischer Industrien in kleinteilig   werdenden Flächenkonkurrenzen
                                gemischte Quartiere ermöglichen.           von Wohnen und Arbeiten können
                                In Zukunft werden wir also in vielen       nur durch eine intensive, kooperative
                                Arbeitsbereichen flexibler und urba-       Raumnutzung überwunden werden.

                                  Kernfragen und Handlungsempfehlungen II
                                  Wie werden Wirtschaftsflächen städtischer?

                                  „„Wirtschaftsflächen müssen nach Lage, Struktur und Besatz differenziert betrachtet werden

                                  „„Transformationsprozesse in meist größeren, bisher gewerblich geprägten Arealen bieten Räume für innovative urbane
                                      Prozesse
                                  „„Der durch die Digitalisierung ermöglichte Wandel von Produktionsweisen, Konsummustern und Warenströmen und
                                      damit auch von Raumbedürfnissen und Ansprüchen an Wirtschaftsflächen lässt stadtverträgliche Produktion zu
                                  „„Durch Nachverdichtung und Nutzungsmischung der häufig rein funktional und logistisch gedachten Produktions- und
                                      Gewerbestandorte nutzen Städte ihr Potenzial als attraktives Wissenschafts- und Arbeitsmilieu und werden im Wettbe-
                                      werb um die „klügsten Köpfe“ und Fachkräfte attraktiver
                                  „„Mögliche Ansätze liegen in der Übertragung von Instrumenten des Stadtumbaus und der Innenentwicklung auf Wirt-
                                      schaftsflächen (z. B. Förderung von Handwerkerhöfen/Produktionszentren bzw. Gewerbe-Genossenschaften, Schutz vor
                                      Verdrängung von produktivem Gewerbe)
14                                         Neue Räume für die produktive Stadt | Die produktive Stadt – mehr als ein Suchkonzept?

     Kernfragen und Handlungsempfehlungen III
     Wie können Kommunen und Regionen agieren?

     „„Integration der Themen Arbeit und Produktion im Rahmen gesamtstädtischer bzw. regionaler Strategien in ressortüber-
        greifenden (v. a. Stadtplanung, Stadtentwicklung, Liegenschaften und Wirtschaftsförderung) und regionalen Koopera­
        tionen
     „„Ausweisung Urbaner Gebiete (MU) nicht nur zur Etablierung neuer Wohnstandorte, sondern auch zur Integration von
        Arbeiten und Produktion in Wohnquartieren
     „„Aktive/aktivierende Bodenvorratspolitik (z. B. revolvierender Grundstücksfonds) und Einsatz des Erbbaurechts auch auf
        Wirtschaftsflächen
     „„Aktivierung relevanter Akteure/Unternehmen mit konkretem Ortsbezug statt institutioneller Interessensvertretung

                                                                                                                                              BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
     „„Erweiterung der bisher nur auf die Nacht- bzw. Wohnbevölkerung ausgerichteten Partizipationsprozesse um Formate,
        die die Tages- bzw. Arbeits­bevölkerung einbeziehen

Dabei bietet es sich an, Nutzungs­
mischung in Quartieren zu organisie-
ren und Quartiere nutzungsorientiert
zu entwickeln, so dass eine inklusive
Stadt mit unterschiedlichen Wohn­
milieus, Arbeitswelten und Lernare-
nen entstehen kann. All dies erfordert
Mut zum Experiment oder einfach
gesagt: mehr Mut zur Stadt!

                                               Werksviertel München                                                     Foto: Stefan Werrer

Literatur
Geipel, K, 2016: Stadt = Wohnen und            gemischt genutzte Stadt. PLANERIN 03_18,    unter: https://www.stuttgart.de/img/mdb/
Gewerbe. Stimmt die Formel? Stadtbauwelt       S. 54–56.                                   item/634517/127802.pdf, letzter Zugriff:
211, Bauwelt 35/2016, S. 20–21.                                                            10.10.2019)
                                               Landeshauptstadt Stuttgart, Amt für
Gwildis, F.; Werrer, S, 2018: Produktive       Stadtplanung und Stadterneuerung (Hrsg.),   Läpple, D, 2016: Produktion zurück in die
Stadt in produktiven Quartieren –              2015: Symposium „Die produktive Stadt“.     Stadt. Ein Plädoyer. Stadtbauwelt 211,
Handlungsstrategie und Leitbild für eine       Dokumentation. Stuttgart. (abrufbar         Bauwelt 35/2016, S. 22–29.
Neue Räume für die produktive Stadt | Urbane Fabriken                                                                          15

                                Urbane Fabriken – Potenziale und Herausforderungen
                                der Produktion in der Stadt

                                Produktion und die Herstellung von        Herausforderungen eines städtischen     M. Sc. Max Juraschek
                                Gütern sind wichtige Bestandteile         Fabrikationsstandortes. Ein zentrales   Professor Dr.-Ing. Christoph Herrmann
                                einer nachhaltigen Stadt. In Deutsch-     Problem urbaner Fabriken ist die        Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungs-
                                land proftiert die Ökonomie von           zeitlich asynchrone Planungsakti-       technik / Nachhaltige Produktion und Life Cycle
                                                                                                                  Engineering, Technische Universität Braunschweig
                                innovativen, produzierenden Unter-        vität innerhalb und außerhalb des
                                nehmen. Urbane Fabriken als Orte          Werkszauns. Während Neu- und Um-
BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019

                                dieser Aktivitäten in Städten müssen      planung in einer Fabrik in der Regel
                                daher den Anforderungen einer nach-       von sich ändernden Anforderungen
                                haltigen (urbanen) Entwicklung Rech-      der Produktion oder unterstützender
                                nung tragen (Juraschek et al. 2018a).     Unternehmenseinheiten ausgehen,
                                Zeitgleich ist auch die Planung der       sind die umgebenden Systeme wie
                                Stadt gefordert, urbane Produktion in     beispielsweise die Verkehrs- oder
                                den Quartieren zu ermöglichen und         Energieinfrastruktur oft unter ande-
                                die daraus entstehenden Potenziale        ren Voraussetzung in zeitlich großem
                                zu nutzen.                                Abstand geplant worden.

                                Herausforderungen                         Diese zeitliche Diskrepanz in den
                                urbaner Fabriken                          Planungsaktivitäten kann sowohl zu
                                                                          Konfikten als auch zu ungenutzten
                                Fabriken und Produktionsstandorte         Synergieeffekten zwischen urbaner
                                im urbanen Umfeld sind oftmals mit        Fabrik und ihrer Umgebung führen.
                                negativen Assoziationen belegt. Sie       Eine Lösungsstrategie stellt ein Ak-
                                werden als Quelle von Emissionen          teurs- bzw. Stakeholder-Management
                                und Verkehr wahrgenommen und              dar. Ausgehend von dem Kern einer
                                als störend im Stadtbild empfunden.       urbanen Fabrik – dem Produktions-
                                Viele Fabriken, die heute in der Stadt    system – gilt es, je nach Aktivität
                                in Betrieb sind, waren ursprünglich       und Aufgabe die jeweils durch eine
                                für den Betrieb außerhalb der Stadt       Maßnahme betroffenen Akteure
                                geplant und errichtet. Im Zuge der        zu aktivieren oder zu integrieren.
                                Urbanisierung und des Wachstums           Besonderen Einfuss können unter
                                der Städte wurden diese Fabriken zu       anderem die Mitarbeitenden und
                                „ungeplanten“ urbanen Fabriken, die       direkten Dienstleistenden einer
                                nun mit einer Vielzahl von Heraus-        Fabrik ausüben. Über die Grenze
                                forderungen konfrontiert werden.          des Unternehmens hinaus bestehen
                                Aus Fabriksicht liegen diese Heraus-      Austauschbeziehungen unter ande-
                                forderungen in den Limitierungen,         rem mit Anwohnenden, Wohn- und
                                die aus der Konkurrenz mit anderen,       Gewerbeeigentümern, dem lokalen
                                im urbanen Raum existierenden             Wertschöpfungsnetz bis hin zu
                                Nutzungen resultieren. Neben der          regionalen und überregionalen Ver-
                                zum Teil negativen Wahrnehmung            waltungseinheiten, Politikakteuren
                                und den daraus entstehenden               und Interessensverbänden (vgl. auch
                                Konfikten mit Anwohnenden gibt es         Juraschek et al. 2018b).
                                weitere Herausforderungen. So sind
                                die eingeschränkte Verfügbarkeit          Die positive urbane
                                von Erweiterungsfächen in Ver-            Fabrik
                                bindung mit hohen Flächenkosten,
                                Einschränkungen durch Regulierung         Werden die Potenziale der spezi-
                                und Vorgaben oder die Nutzung der         fschen Gegebenheiten genutzt, kann
                                gegebenenfalls überlasteten urbanen       eine urbane Fabrik ein positiver Ort
                                (Verkehrs-)Infrastruktur wesentliche      und produktiver Stadtbaustein sein.
16                                                                     Neue Räume für die produktive Stadt | Urbane Fabriken

Neben den wirtschaftlichen Beiträ-        Die Ressourcen der urbanen Produktion
gen durch die Wertschöpfung schaf-
fen Fabriken zumeist gut bezahlte
Arbeitsplätze und soziale Sicherheit.
Entwicklungen der letzten Jahrzehnte
haben dazu geführt, dass Aus-
tauschpotenziale nicht ausgeschöpft
werden und Konflikte entstehen. So
zielt die dominierende Effizienzstrate-
gie meist darauf ab, „Dinge weniger
schlecht zu machen“. Emissionen
werden reduziert, Lärmquellen etwas

                                                                                                                                          BBSR-Berichte KOMPAKT 01/2019
leiser gemacht und Verkehrsflüsse
vermindert. Diese Denkweise stößt
zunehmend an ihre Grenzen und
kann durch eine Effektivitätsstrategie
ersetzt werden. Das Ziel heißt dann
„Dinge gut zu machen“ und in eine
positive Wirkung zu wandeln. Im An-
wendungsfall urbaner Fabriken erge-
ben sich die passenden Maßnahmen
und Konzepte nicht isoliert, sondern
vielmehr aus Wechselwirkungen mit
                                                                                                         Quelle: Juraschek et al. 2018c
dem Umfeld und der Umwelt.

Die Quelle effizienz- und effektivi-
tätssteigernder Potenziale für Fabrik     ist die Übernahme urbaner Funk­             In den letzten Jahren wird in diesem
und Stadt liegt in der gemeinsamen        tionen durch Produktionsstandorte           Bereich zunehmend geforscht und
Nutzung von benötigten Ressourcen.        in der Stadt. Eine Fabrik kann neben        experimentiert.
Vorteile wie Kundennähe, die Nut-         ihren wirtschaftlichen Funktionen
zung der Innovationsstärke urbaner        (Wertschöpfung, Arbeitsplätze etc.)         Positive urbane Produktion ist kein
Räume, die Steigerung der Attraktivi-     auch weitere Aktivitäten für die            isoliertes Ziel – hier können die
tät als Arbeitgeber und die damit ein-    umgebende Stadt anbieten, die sich          Grenzen der Disziplinen überwunden,
hergehende einfachere Rekrutierung        dabei synergetisch vorteilhaft auf          Schnittstellenkompetenzen aufgebaut
von Fachkräften, die Nutzung urbaner      den Unternehmenserfolg und das              und gemeinsame Lösungen erarbeitet
Infrastruktur oder die Möglichkeit        Stadtquartier auswirken können.             werden. Das Ziel nachhaltiger urba-
Produkt-Dienstleistungs-Systeme           Beispiele hierfür sind, neben Mehr-         ner Produktion sollte sein, Produkte
anzubieten, werden aus der Unter-         fachnutzungen von Verkehrsflächen           so zu produzieren, dass sie und ihre
nehmenssicht als Vorteile städtischer     oder Versorgungseinrichtungen, die          zugehörigen Produktionssysteme
Produktionsstandorte häufiger             Bereitstellung von Erholungs- oder          einen positiven Beitrag für die Stadt
genannt. Für die strukturierte Analyse    Bildungsangeboten aus der Fabrik für        der Zukunft leisten und gleichzeitig
und die gezielte Planung urbaner          die Öffentlichkeit.                         den Unternehmenserfolg urbaner
Produktion sowie deren Integration in                                                 Fabriken sichern.
städtische Systeme ist ein einheit-       Unternehmensinteressen, wie
liches Bezugssystem notwendig.            beispielsweise das Erschließen von
Als Basis können die gemeinsam            Marktpotenzialen durch die Nähe zu
genutzten Ressourcen* dienen, in          Kunden und Mitarbeitenden, werden
denen sich die Wirkungen von Stadt        durch bestehende Planungsmetho-
und Fabriksystem manifestieren.           den bisher nur unzureichend unter-
                                          stützt. Es werden daher Technologien
Mit diesem Verständnis können neue,       und Prinzipien benötigt, die die grund-     * Eine Ressource ist ein Mittel, um eine Hand-
                                                                                        lung zu tätigen oder einen Vorgang ablaufen
effektive Verbindungen von Stadt und      legenden Fragen der gegenseitigen             zu lassen und kann dabei ein materielles
                                                                                        oder immaterielles Gut sein, wobei jede
Produktion aktiv gestaltet werden. Ein    Beeinflussung der Systeme Stadt und           Ressource in unterschiedlichem Maß an Zeit
vielversprechendes Anwendungsfeld         Fabrik erfassen und nutzen können.            und Kapital gebunden ist.
Neue Räume für die produktive Stadt | Urbane Fabriken                                                                                            17

                                Literatur
                                Juraschek, M.; Bucherer, M.; Schnabel, F.;         Juraschek, M.; Thiede, S.; Herrmann, C.,       Juraschek, M.; Kreuz, F.; Bucherer, M.;
                                Hoffschröer, H.; Vossen, B.; Kreuz, F.;            2018b: Urbane Produktion: Potenziale           Sonntag, R.; Schnabel, F.; Hoffschröer, H.;
                                Herrmann, C., 2018a: Urban Factories and           und Herausforderungen der Produktion           Vossen, B.; Söfker-Rieniets, S.; Thiede,
                                Their Potential Contribution to the                in Städten. In: Corsten, H.; Gössinger,        S.; Herrmann, C., 2018c: Die Ressourcen
                                Sustainable Development of Cities.                 R.; Spengler, T. S. (Hrsg.): Handbuch          der urbanen Fabrik: Definitionen und
                                In: Procedia CIRP, 69 (May), S. 72–77.             Produktions- und Logistikmanagement in         Erläuterungen aus dem Forschungsprojekt
                                (abrufbar unter: https://doi.org/10.1016/j.        Wertschöpfungsnetzwerken (S. 1113–1133).       Urban Factory. Braunschweig. (abrufbar
                                procir.2017.11.067, letzter Zugriff: 10.10.2019)   Berlin, Boston: De Gruyter. (abrufbar unter:   unter: https://doi.org/10.24355/dbbs.084-
                                                                                   https://doi.org/10.1515/9783110473803-055,     201812131337-0, letzter Zugriff: 10.10.2019)
                                                                                   letzter Zugriff: 10.10.2019)
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