DU SOLLST NICHT FALSCH ZEUGNIS REDEN WIDER DEINEN NÄCHSTEN - Rabenmutter von Katharina Kern

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              Zigaretten
              zum Nachtisch
             von Patty Kim Hamilton

                                       Rabenmutter
                                       von Katharina Kern

DU SOLLST NICHT
FALSCH ZEUGNIS REDEN
WIDER DEINEN NÄCHSTEN
Szenen zu Wahrheit, Lüge und Fiktion
DU SOLLST NICHT FALSCH ZEUGNIS                                         An der Berliner Universität der Künste (UdK) studiert mittlerweile der 15.
                                                                         Jahrgang angehender Autor*innen im Studiengang „Szenisches Schreiben“

  REDEN WIDER DEINEN NÄCHSTEN                                            unter der Leitung des Autors und Dramaturgen John von Düffel. Inzwischen
                                                                         gehen über zehn Koblenzer Theaterarbeiten auf die nunmehr sechsjährige
                  Szenen zu Wahrheit, Lüge und Fiktion                   Kooperation zwischen dem Studiengang und dem Theater Koblenz zurück,
In Kooperation mit dem Studiengang Szenisches Schreiben der UdK Berlin   darunter „The Magic Roundabout – Fiktives über einen wahren Fall“ (2015)
                                                                         und „Das Grundgesetz – Szenen einer vorläufigen Verfassung“ (2017).
          „Zigaretten zum Nachtisch“ von Patty Kim Hamilton
                                                                         Für diese Spielzeit haben sich nun die Student*innen Sarah Amanda Dulge-
                            Anna    Jana Gwosdek
                                                                         ris, Patty Kim Hamilton, Katharina Kern, Elisabeth Pape, Lena Reißner, Rosa
                              Til   Jona Mues
                                                                         Rieck, Sofiya Sobkowiak, Ivana Sokola, Jona Spreter und Lisa Wentz in eine
                                                                         sprachlich-theatralische Auseinandersetzung mit dem 8. Gebot des Deka-
                  „Rabenmutter“ von Katharina Kern                       logs begeben: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“.
                              mit   Cynthia Thurat                       Eine Forderung, die in Zeiten zunehmender Fake News und boomender Ver-
                                                                         schwörungstheorien aktueller ist denn je.
                    Inszenierung    Markus Dietze
                        Kostüme     Claudia Rüll Calame-Rosset           Es geht also in den insgesamt neun Stücken, die in den vergangenen Mona-
                           Musik    Søren Nils Eichberg                  ten entstanden sind, um: die Lüge. Deshalb aber eben auch um: die Wahrheit.
                     Dramaturgie    Margot Weber                         Wer lügt? Und warum? Weshalb empfinden manche Menschen ihre Lüge
                                                                         trotzdem als Wahrheit? Und wie richtet man sich mit einer Lüge das Leben ein
                         Kamera     David Finn                           – und was für Folgen hat das für andere?

                          Schnitt   Thiemo Hehl                          Die Autor*innen schauen auf Geschwisterbeziehungen und toxische Mut-
                                                                         ter-Tochter-Konflikte, auf schreckliche Ereignisse mit tödlichem Ausgang,
                 Regie-Mitarbeit                                         aber auch auf solche, die lediglich bei einer Tasse Tee im Garten zur Sprache
                                    Marie-Theres Schmitt
                 Schnittassistenz                                        kommen. Sie betrachten große Lebenslügen, aber auch kleine Alltagsflun-
                                    Britta Bischof
                                                                         kereien. Sie sezieren willentlich Verdrängtes, aber auch Unbewusstes und
                       Inspizienz   Thomas Gruber
                                                                         Unterbewusstes. Sie blicken auf Hilflosigkeit und Überforderung. Und den
                        Soufflage   Sabine Jungk
                                                                         Horror, der daraus erwachsen, und die Rache, die damit einhergehen kann.

                                                                         In der Mehrzahl handelt es sich um Zwei-Personen-Stücke, es gibt aber auch
         Alle Mitwirkenden finden Sie im Abspann des Films.              zwei Monologe („Rabenmutter“, „Gethsemane“) sowie ein Werk, „beretta
                                                                         kaliber 22“, das sich, als Textfläche, einer offeneren Form bedient.
     Erstsendung am 9. Mai 2021 auf stream.theater-koblenz.de
                                                                         Die Uraufführung hatten wir für dieses Frühjahr im Theater geplant. Pan-
                                                                         demiebedingt können wir die Werke aber nun leider nicht vor einem Live-
                                                                         Publikum spielen. Deshalb haben wir beschlossen, sie zu verfilmen. Dabei
                                                                         haben wir jeweils zwei Stücke zu einem Film zusammengefasst. Er wird als
                                                                         fünfteilige Serie im Wochenrhythmus auf unserem hauseigenen Stream-
                                                                         ing-Portal stream.theater-koblenz.de zu sehen sein. Jeder Film wird von
                                                                         einem eigenen Programmheft begleitet.
Patty Kim Hamilton ist Theaterautorin,
                           Regisseurin, Dramaturgin und Studen-
                           tin im Studiengang Szenisches Schrei-
                           ben. Ihren Bachelor in Theater- und Per-
                           formancewissenschaften erhielt sie an
                           der Stanford Universität, wo sie auch
                           den Sherifa Omade Edoga-Preis für so-
                           zialfokussierte Arbeit bekam. Als Auto-
                           rin-in-Residence an der Shakespeare
                           Academy in Stratford hat sie ihr Thea-
                           terstück „Peeling Oranges“ entwickelt.
                           Ihr Stück „Ich hätte gern zu meiner
                           Lebzeit kein Krieg“ wurde zum Deutsch-
                           land-Festival am Stadttheater Bremer-
                           haven eingeladen. Ihr Stück „when it
                           hurts // this body is just a house“ war
                           Semi-Finalist auf der 2020 Eugene
                           O‘Neill Playwrights Conference und Teil
                           von Cimientos 2021 – IATI Theater, ei-
                           nem New Yorker Projekt für Theater-
                           stückentwicklung. Sie arbeitete unter
                           anderem an einer Netflix-Serie mit und
                           als Regieassistentin bei Gob Squad,
                           einem postdramatischen deutsch-eng-
                           lischen Performance-Kollektiv. Ihr Ins-
                           tagram-Account ist unter instagram.
                           com/grumpy.love zu finden.

Zigaretten zum Nachtisch
Der Zauber der Jugendliebe
                          Wenn eine langjährige Beziehung gescheitert ist, besinnen sich die Ex-Partner oft auf das, was vor-
                          her war. Facebook oder StayFriends, vielleicht sogar Xing und LinkedIn sind gute Netzwerke, um aus
                          den Augen verlorene Lieben wiederzufinden und schnell und unauffällig abzuklären, ob man dort
                          zumindest theoretisch wieder anknüpfen könnte.

                          Und noch etwas kommt hinzu: „Wenn Menschen, die einen Partner suchen, nach langer Zeit ihre Ju-
                          gendliebe wiedersehen, sind sie bereit, den anderen zu idealisieren, weil sie sich an die guten alten
                          Zeiten erinnern und alles andere verdrängen oder vergessen haben“, sagt die Frankfurter Paarthe-
                          rapeutin Christine Backhaus. Dann sei es oft nur noch ein kleiner Schritt, um sich zu verlieben: „Man
                          hat sich auf den Moment gefreut, will sich besonders gut darstellen. Das Wiedersehen fällt auf den
                          fruchtbaren Boden positiver Erinnerung, und man hat sich erst mal viel zu erzählen.“

                          Nach Meinung von Christine Backhaus sind es tatsächlich meist eher die Umstände als echte Pro-
                          bleme mit dem Partner, die dazu führen, dass junge Menschen sich trennen: „Oft hat einer von bei-
                          den woanders einen Studienplatz bekommen, oder beide wollten noch was anderes ausprobieren.
                          Sie sehen nicht, wie kostbar das ist, was sie haben.“

                          Backhaus kennt viele Frauen, die sich an ihre Jugendliebe erinnern – erst recht, wenn die nachfol-
                          gende Partnerschaft unglücklich oder in die Brüche gegangen sei. Frauen wie Männern erscheine
                          die Jugendliebe dann als jemand, an den sie schöne Erinnerungen hätten und bei dem sie so sein
                          könnten, wie sie eigentlich sind. Viele redeten dann von Seelenverwandtschaft oder blindem Ver-
                          ständnis.

                          Tatsächlich ist eine Jugendliebe jedoch nicht in jedem Fall so ohne weiteres wieder aktivierbar. Die
                          Idee, dass mit der Jugendliebe alles wieder so werde, wie man es gern hätte, nur weil man das schon
                          einmal erlebt hat, sei trügerisch. Denn mit dem Auffrischen der Jugendliebe verhindere jeder der
                          Partner, seine eigene Entwicklung genauer in Augenschein zu nehmen. „Ich lenke mich ab, lasse mir
                          die Dinge erfüllen, die ich selbst nicht gut hinkriege. Statt mich zu fragen: Warum ist es mir in mei-
                          ner alten Partnerschaft so schwer gefallen, glücklich zu sein? Ich nehme meine emotionalen Be-
                          hinderungen mit in die nächste Partnerschaft“, sagt Backhaus.

                          Was das Wiederfinden der ersten Liebe so besonders macht, ist, dass dadurch ein jugendlicher Zu-
                          stand, also das ursprüngliche Selbst, wieder aktualisiert wird, sagt die Psychologin. „Beide Partner
                          haben auch keine Lust mehr, eine Ritterrüstung anzulegen und sich zu verstellen. Sie besinnen sich
                          darauf, was ihnen guttut und was sie wirklich wollen.“ Denn in der Phase, in der man die Jugend-
                          liebe kennengelernt habe, habe man noch nicht so viele Rollen drauf gehabt. „Man war näher bei
                          sich, wie ein Rohdiamant, ungeschliffen.“

                          Katrin Hummel
Jona Mues, Jana Gwosdek
Zurück zum Ex: Was steckt dahinter?
Ist es wirklich das Gefühl der Zusammengehörigkeit oder doch eher Angst vorm Alleinsein, die einen in die ver-
trauten Arme treibt? Die Hamburger Therapeutin Ursula Böhm, die selbst eine Scheidung bewältigt hat, sagt:
„Wer die anstrengenden Phasen einer Trennung wirklich durchlaufen und mit der Sache abgeschlossen hat,
empfindet später kaum das Bedürfnis, die Liebe wieder aufleben zu lassen. Meist handelt es sich um Bezie-
hungen, die trotz räumlicher Trennung keinen Abschluss gefunden haben.“ Jung rät Ex-Partnern, die es un-
bedingt noch einmal miteinander versuchen wollen, zu einer klar begrenzten Testphase und einem detaillier-
ten, schriftlichen Vertrag. „Darin sollte man richtig schön kleinkariert festhalten, was jeder vom anderen er-
wartet und wie er sich die Beziehung wünscht. Möglicherweise stellt sich schon beim Verfassen des Vertrages
heraus, dass trotz noch vorhandener Gefühle die Basis für ein gemeinsames Leben einfach nicht mehr da ist.“

Manchmal kehren wir auch zu den Anfängen unserer Liebes-Biografie zurück: Wer in einem stressigen (Bezie-
hungs-)Alltag steckt oder gerade eine Trennung verwinden muss, erinnert sich oft gerade an die erste große
Liebe. „Von ihr geht ein ganz spezieller Zauber aus. Sie wird oft als besonders gewaltig und intensiv erlebt – und
erinnert“, sagt Familientherapeutin Böhm. Ja, wäre es nicht wunderschön, wenn man sich wiederträfe und es
noch mal miteinander versuchte? Genau diese Gefühlslage hat der Liedermacher Peter Cornelius getroffen und
mit seinem Song über das Wiedersehen mit seiner Jugendliebe einen Klassiker geschaffen: „Komm wir strei-
chen fünfzehn Jahr, hol’n jetzt alles nach, als ob dazwischen einfach nix war.“

Aber so ist es eben nicht. Gerade zwischen später Jugend und mittlerem Erwachsenenalter findet in der Bio-
grafie eines Menschen besonders viel statt: Berufsfindung, vielleicht ein neuer Lebensmittelpunkt, Familien-
gründung. Nicht umsonst nennen Soziologen diese Zeit die „Rushhour des Lebens“. Und: Entwicklungspsy-
chologen wissen heute, dass sich unser Charakter viel später verfestigt als lange angenommen. Nicht mit 30,
sondern mit 50 beginnt unsere Persönlichkeit, statisch zu werden. Bis dahin befinden wir uns in einem steten
Veränderungsprozess. Wir sind also mit 40 mitnichten mehr die, die wir mit 20 waren. „Auch wenn das inten-
sive Liebesgefühl von einst bei einem Wiedersehen als verbindendes Element noch abrufbar ist – dass die
Liebeskoordinaten Jahrzehnte später noch passen, ist eher unwahrscheinlich“, weiß Böhm aus langer Bera-
tungserfahrung. Wer seine Jugendliebe wiedertrifft, mag kurzfristig das intensive Gefühl des damaligen „magic
moments“ reaktivieren können, für eine ernsthafte Beziehung reicht das jedoch nur selten aus.

„Eine Liebesbeziehung verläuft in Zyklen“, erklärt die Paartherapeutin Böhm. Es beginnt mit der Phase des Ver-
liebtseins, auf die eine Zeit der Ernüchterung folgt, in der wir Seiten an dem Partner kennenlernen, die uns
nicht gefallen. Darauf reagieren wir mit Rückzug, um uns dann nach und nach wieder anzunähern. „Sehr viele
Paare, die sich trennen, tun dies im Moment der Ernüchterung“, weiß Böhm aus der Praxis. Beim zweiten Ver-
such müsste es ihnen gelingen, diese zu überwinden, um den nächsten Schritt zu einer gereiften Beziehung tun
zu können. „Aber das passiert nur in absoluten Ausnahmefällen. Die Wahrscheinlichkeit, auch beim zweiten
Versuch Schiffbruch zu erleiden, ist ziemlich hoch“, hat die Paartherapeutin beobachtet.

Almut Siegert

                                                                                                                     Jona Mues
Ich finde es schön,                                       Das mache ich doch gern
  Je älter sie wird,     dass wir noch so gut                                                 für dich!
desto besser wird es        befreundet sind.               Ich liebe dich sehr.
      mit ihr.

    ALLES
                                                                                       Ich mag es,
                                                                                  Zeit mit ihr zu verbringen.
                                                                                       Ich habe sie gern.

                                                                                             Ich habe einen
                                                                                          wirklich tollen Job!

      LÜGE!
Bald schaffen wir’s
  aber echt mal
auf ein Bier

   Ich könnte dir
        nie wehtun.

                         Du bist immer
                                                 Wir arbeiten an uns, gerade.
                                                      Also, jeder für sich.
                                                                                                    Wir sind
                                                                                                  sehr glücklich!

                                                                                          Es gibt so viel zu tun ...
                                                                                         der Tag vergeht immer
Es liegt nicht an dir,     eingeladen.             Nach etwas Zeit                                 so schnell
es liegt an mir                                  wollen wir nochmal schauen.
Katharina Kern wurde 1996 in Wiesbaden geboren und wuchs in einer Kleinstadt
bei Köln auf. Ab 2016 studierte sie Literarisches Schreiben am Literaturinstitut
Leipzig, ab 2018 war sie Austauschstudentin an der Universität der Künste Ber-
lin im Studiengang Szenisches Schreiben. 2020 schloss sie ihr Studium am Li-
teraturinstitut mit dem Stück „Mutterboden“ ab und wurde im 15. Jahrgang
Szenisches Schreiben immatrikuliert. 2020 schrieb sie „Narben“ – ein spar-
tenübergreifendes Stück zwischen Schauspiel und Tanz – für das Staatstheater
Braunschweig. Außerdem erhielt sie den Sonderpreis des Kinder- und Jugend-
theaterpreises des BMFSFJ. Gemeinsam mit Rosa Rieck und Lena Reißner ar-
beitet sie als „DIEZEN kollektiv“ an Theatertexten und Inszenierungen in Berlin.

Worum geht’s in Ihrem Stück?
Nach der Geburt stellen sich die erwarteten Muttergefühle nicht ein. Eine Frau
erzählt, wie sie und ihre Tochter in den darauffolgenden Jahren mit der Situation
umgehen.



Fällt Ihnen das Schreiben leicht?
Ich denke, verglichen mit anderen Beschäftigungen fällt mir das Schreiben leicht,
und obwohl es mir leicht fällt, fällt es mir oft schwer. Das regelmäßige Sezie-
ren von Ereignissen und dem eigenen Körper irgendwo in den Ereignissen sollte
aber auch nicht leicht sein. Schreiben ist, glaube ich, die Beschäftigung, die mich
maßgeblich zusammenhält. Obwohl ich weiß, dass es vielleicht noch andere Be-
schäftigungen gegeben hätte, die mich maßgeblich zusammengehalten hätten,
bin ich sehr glücklich darüber, in einem Raum zu sein, in dem ich schreiben darf.

Wie würden Sie sich für Menschen beschreiben, die Sie nicht kennen?
Als ich letztens einen neuen Ausweis beantragte, wurde ich nach meiner Augen-
farbe gefragt. Ich sagte: braun-grün. Ich frage mich immer noch, woher das Ge-
fühl, zu lügen, im Moment meiner Antwort kam. Ich überprüfe meine Augenfar-
be nicht häufig, aber ich denke, ab einem gewissen Alter ändert sie sich nicht
mehr? Diese Unsicherheit in den selbstverständlichsten Dingen. In dieser Unsi-
cherheit liegt etwas, das ich sehr schätze. In meiner Iris liegt zwischen braun-grü-
nen Nuancen eventuell ein dunkler Ring, der sich der Kategorisierung entzieht.

                                                                                       Rabenmutter
Ruhm oder Geld?
Wie viel Geld?
Die narzisstische Mutter
Narzisstische Mütter geben uns das Gefühl, nicht geliebt zu
werden, nicht, weil sie sich selbst zu sehr lieben, sondern weil
sie so damit beschäftigt sind, sich selbst als wichtig, fehler-
frei und außergewöhnlich darzustellen, dass für alle anderen
nur wenig Platz bleibt.

Der für Töchter so zerstörerische Narzissmus findet sich am
äußersten Ende des breiten Verhaltensspektrums, das wir
als narzisstisch bezeichnen. Eine leicht narzisstische Person
mag zwar eitel und auffallend selbstbezogen sein, in Gesprä-
chen dominieren und Signale ignorieren, dass ihre Umwelt
oder ihr „Publikum“ unruhig wird. Wenn sie jedoch mit ihrem
Tun konfrontiert wird, kann es durchaus sein, dass sie sich
entschuldigt.

Ein hochgradig narzisstischer Mensch entschuldigt sich je-
doch selten – die Psychologen nennen dieses Krankheitsbild
narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS). Zwei typische
Merkmale dieser Störung sind die massive Selbstüberschät-
zung der Betroffenen und ihr unersättlicher Hunger nach
Aufmerksamkeit. Menschen mit NPS verhalten sich hoch-
dramatisch, emotional und manchmal seltsam. Hochgradig
narzisstische Mütter sind gestört und haben einen zerstöre-
rischen Einfluss auf ihre Töchter.

Eine Mutter mit NPS lässt nicht zu, dass irgendjemand ihr
perfektes Selbstbild in Frage stellt. Sie ist unbesiegbar. Über
jeden Vorwurf erhaben. So wie der große, mächtige Zauberer
Oz eine Fassade für die unzulängliche, ach so menschliche
Figur hinter dem Vorhang ist, verbirgt die Fassade der hoch-
gradig narzisstischen Mutter ihren zutiefst unsicheren Kern.
Dieses wackelige innere Gerüst schützt sie, indem sie alles
abwehrt, das sie zwingen würde, sich genau zu betrachten
oder in Frage zu stellen. Für sie ist es undenkbar, zuzugeben,
dass ihre Fassade Risse hat, vielleicht, weil sie ahnt, dass
dann das ganze Kartenhaus zusammenfallen würde.

Susan Forward

                                                                   Arne von Schilling, Markus Dietze, Cynthia Thurat
Kinder narzisstischer Eltern
                 Jemand, der sich mit Narzissmus auskennt, ist der Hamburger Psychiater und Psychothera-
                 peut Claas-Hinrich Lammers, Ärztlicher Direktor an der Asklepios Klinik Ochsenzoll. Er gilt
                 als einer der deutschen Experten auf dem Gebiet und wenn man ihn fragt, was genau dieser durch
                 Donald Trump so populär gewordene Begriff bedeutet, antwortet er erst einmal: „Es ist schwer,
                 darüber zu sprechen, ohne in ein abwertendes Urteil abzugleiten: Ist halt narzisstisch. Worü-
                 ber die Leute sich aufregen, ist – um im Krankheitsbild zu bleiben – das, was man histrionisch
                 nennt: ein bisschen übertrieben sein, gemocht werden wollen. Das ist nicht der Kern von Nar-
                 zissmus.“ Es gebe einen durchaus gesunden Narzissmus, zu dem positive Eigenschaften wie
                 Durchsetzungsvermögen und Karriereorientierung gehörten: „Narzisstische Menschen sind
                 wagemutiger und innovativer.“

                 Wenn man aber vom krankhaften Narzissmus spreche, beziehe sich das auf Menschen, die
                 absolut im Mittelpunkt stehen müssten. „Die haben diese irrsinnige Anspruchshaltung: Man
                 muss immer besser und erfolgreicher sein, als man eigentlich ist. Das, was man glaubt zu sein,
                 und was man glaubt, wie andere einen sehen müssten, entspricht aber oft nicht der Realität.
                 So jemand läuft herum und sagt: Ich bin unangreifbar, ich kann alles besser, und jeder, der
                 ihm in die Quere kommt, wird abgewertet.“ Zweitens, sagt Lammers, gebe es eine deutliche
                 Empathiearmut bei diesen Menschen, das sei noch charakteristischer. Sie könnten sich in an-
                 dere Menschen weder einfühlen noch hineindenken, beziehungsweise wollten das, wie neuere
                 Studien zeigten, auch gar nicht. „Es ist ihnen egal, wie andere Menschen sich fühlen. Das macht
                 Interaktion mit ihnen unglaublich schwer.“

                 Was bedeutet das für die Kinder narzisstischer Eltern? „Für Kinder ist das ganz heikel“, sagt
                 Lammers. „Durch die Mutter lernt ein Kind sich selbst kennen. Wenn es zur Mutter kommt
                 und ihr sagt: ‚Alles ist doof, alle in der Klasse ärgern mich‘, und die Mutter sagt: ‚Das muss ja
                 schlimm für dich sein. Erzähl mir, was ist da los?‘ – dann fühlt sich das Kind verstanden und
                 unterstützt und kann sich positiv entwickeln. Wenn die Mutter sagt: ‚Da kann ich auch nichts
                 machen‘, dann kann diese unempathische Aussage dazu führen, dass das Kind sich unverstan-
                 den und ungeliebt fühlt.“ Das könne sich in einem geringen Selbstwertgefühl niederschlagen
                 und in einer Neigung, anderen Menschen nicht mehr von den eigenen Problemen zu erzählen.
                 Für ein Kind werde es dann schwierig, einen vertrauensvollen und offenen Kontakt zu ande-
                 ren aufzubauen. „Aber so lange jemand nicht darunter leidet, hat ein Psychiater in dem Fall
                 diagnostisch nichts zu tun.“

                 Doch es gibt ja Leidtragende. Die Kinder. Nur erkennt man die Schäden nicht. Kinder, die ge-
                 schlagen werden, haben blaue Flecken. Was Narzissten an einer Seele anrichten können, sieht
                 man nicht.

                 Annett Heide
Cynthia Thurat
Textnachweise
Katrin Hummel, Der Zauber der Jugendliebe, ist eine gekürzte Fassung des Artikels
„Wir hatten uns nie vergessen“, in: FAZ, 3. Februar 2017
Almut Siegert, Zurück zum Ex, ist eine gekürzte Fassung des Artikels
„Der Zauber alter Liebe“, in: Für Sie 2/2010
Susan Forward, Die narzisstische Mutter, aus: dies., „Wenn Mütter nicht lieben“,
Goldmann 2015
Annett Heide, Kinder narzisstischer Eltern, ist eine gekürzte Fassung des Artikels
„Meine Mutter hat es mir vorenthalten, mich zu lieben“, in: Die Zeit, 17. Februar 2019

Überschriften sind zum Teil redaktionell hinzugefügt.
Die Rechtschreibung folgt der jeweiligen Vorlage.

Bildnachweise
Autorinnenfotos: Daniel Nartschick
Szenenfotos: Matthias Baus, Arek Głębocki

Intendant:   Markus Dietze (V.i.S.d.P.)
Redaktion:   Margot Weber
Grafik:      Anja Merfeld
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