DUZ TRANSFER - Lebenswichtige Life Sciences - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN - Hochschulallianz für den Mittelstand

 
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DUZ TRANSFER
      WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN

Lebenswichtige
Life Sciences
DUZ TRANSFER - Lebenswichtige Life Sciences - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN - Hochschulallianz für den Mittelstand
36 I 07/20 DUZ TRANSFER I EDITORIAL

EDITORIAL
                                                                       Die Corona-Pandemie ist für Gesellschaft und Politik eine enorme Herausforderung.
                                                                       Dabei erhält die Forschung und Entwicklung im Bereich der Life Sciences in den ers-
                                                                       ten Monaten der Krise eine besondere Aufmerksamkeit. Natürlich steht und stand die
                                                                       Entwicklung eines Impfstoffs an virologischen und biotechnologischen Instituten und
                                                                       Fachbereichen im medialen Fokus. Es wird aber zunehmend deutlich, dass die anwen-
                                                                       dungsorientierte Forschung und der Technologietransfer der Hochschulen für ange-
    Foto: Tim David Müller-Zitzke

                                                                       wandte Wissenschaften gemeinsam mit der regionalen Wirtschaft parallel zur Impf-
                                                                       stoffentwicklung im Rahmen der Pandemiebekämpfung hinaus einen essenziellen
                                                                       Beitrag leisten.

                                                                       Die vorliegende Ausgabe von DUZ Transfer gibt Ihnen Einblicke in die Vielfalt der Life
                                                                       Sciences. Prof. Dr. Christiane Zell zeigt im Interview den Wandel des Lehr- und For-
                                     Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff   schungsgebiets auf – von einer beschreibenden hin zu einer gestaltenden und nutzen-
                                       Der Rektor der Hochschule
                                                                       den Rolle. Auch die immer größere wirtschaftliche Bedeutung der Life Sciences führt
                                     Bremerhaven hat zum 1. März
                                    2020 den Vorstandsvorsitz der      dazu, dass Hochschulen die Biotechnologie und andere Lebenswissenschaften ausbau-
                                           Hochschulallianz für den    en. Durch weitere Beiträge in dieser Ausgabe wird deutlich, dass vor allem durch die
                                          Mittelstand übernommen.      fachübergreifende Zusammenarbeit neue Potenziale erschlossen werden. So werden
                                                                       unter anderem Biotechnologie und Elektrochemie kombiniert, um ein neues Verfahren
                                                                       zur Umwandlung von CO2 und elektrischer Energie in Erdgas zu entwickeln. Die Life
                                                                       Sciences bieten auf vielfältige Weise Lösungen für viele globale Herausforderungen.

                                                                       Angesichts der globalen Aufgaben freue ich mich, dass die Hochschulallianz für den
                                                                       Mittelstand sich als neuer Partner im europäischen informellen Netzwerk der Hoch-
                                                                       schulverbände für angewandte Wissenschaften UAS4EUROPE nun auch in Brüssel da-
                                                                       für einsetzt, die Sichtbarkeit und Bedeutung der Hochschulen für angewandte Wissen-
                                                                       schaften für die Europäische Forschungslandschaft zu unterstreichen. Schließlich wird
                                                                       bereits viel auf internationaler Ebene auch im Bereich der Life Sciences bewirkt, wie Sie
                                                                       in dieser Ausgabe selbst feststellen können.

                                                                       Ich wünsche Ihnen spannende Impulse. Bleiben Sie gesund!
                                                                       Ihr Peter Ritzenhoff

INHALT
37 „ES MUSS SEHR VIEL MEHR                                                42 LEGIONELLEN AUF DER SPUR                 47 AUS MOLKE BIOGAS GEWINNEN
PASSIEREN“                                                                Wasserhygiene: Hochschule                   Gasgewinnung: Hochschule Offenburg
Die Lebenswissenschaften könnten                                          Bremerhaven
ihr Potenzial noch sehr viel besser                                                                                   48 METHANOGENE – MIT CO2 WIRD
entfalten, wenn Deutschland weitaus                                       44 HYGIENISCH SICHERE SCHALTER              MEHR DARAUS
mehr in die informationstechnolo-                                         Oberflächendesinfektion:                    Energiegewinnung: TH Mittelhessen
gische Infrastruktur investieren                                          TH Lübeck
würde, sagt Alfred Pühler, einer der                                                                                  49 POLYPHENOLE – ZU WERTVOLL
Pioniere der Gen- und Biotechnologie                                      45 FORSCHUNGSTALENT IN DER                  ZUM WEGWERFEN
                                                                          MARZIPANSTADT                               Lebensmittel: TH Lübeck
40 „LIFE SCIENCES VERÄNDERN                                               Johanna Gasser: TH Lübeck
DIE WELT“                                                                                                             50 PHOSPHOR AUS KLÄRSCHLAMM
Für die Offenburger Biotechnologiepro-                                    46 VON DER IDEE BIS ZUM                     Rohstoffrückgewinnung:
fessorin Christiane Zell haben Lebens-                                    KLINIKEINSATZ                               TH Mittelhessen
wissenschaften die gleiche transforma-                                    Medizintechnik: Hochschule                  51 HAFM: UAS4EUROPE-MITGLIED
tive Kraft wie die Digitalisierung                                        Hamm-Lippstadt                              52 IMPRESSUM
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XXXXXXXXX I DUZ TRANSFER 07/20 I 37

„ES MUSS SEHR VIEL
MEHR PASSIEREN“
Die Lebenswissenschaften in Deutschland brauchen eine moderne
informationstechnologische Infrastruktur, um ihr Potenzial besser
ausschöpfen zu können, fordert Leopoldina-Mitglied Alfred Pühler

INTERVIEW: VERONIKA RENKES
Der erste „Zukunftsreport Wissenschaft“, den die Nationa-     den Ausbau wissensintensiver Dienstleistungen und innova-
le Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlich-      tiver forschungsbasierter Industriezweige.“ Allerdings kamen
te, war den „Lebenswissenschaften im Umbruch“ gewidmet.       die Experten zu einer ernüchternden Diagnose: „Deutschland
Das 2014 erschienene Papier strich die Bedeutung der Le-      ist auf die rasanten Entwicklungen rund um die Omics-Tech-
benswissenschaften als Leitdisziplin des 21. Jahrhunderts     nologien weder in technologischer noch informationstechni-
heraus: „Wie auch andere Wissenschaftsbereiche verän-         scher Hinsicht ausreichend vorbereitet.“ Eine Maßnahme, die
dern sich derzeit die Lebenswissenschaften – dazu gehö-       hier Abhilfe schaffen soll, ist der Aufbau von de.NBI. Das seit
ren Biologie, Biochemie, Gentechnologie, Ernährungswis-       2015 vom Bundesforschungsministerium geförderte Deut-
senschaften, Medizin und Pharmazie – dramatisch durch         sche Netzwerk für Bioinformatik-Infrastruktur stellt allen
den Einsatz neuer Technologien. Mithilfe bioanalytischer      Forschenden in den Lebenswissenschaften eine Infrastruktur
Hochdurchsatzverfahren, sogenannter Omics-Technologien        zur Verfügung, die die Analyse umfangreicher Datenmengen
wie Genomics, Transcriptomics, Proteomics oder Metabo-        mit Bioinformatik erleichtert.
lomics können in kurzer Zeit riesige Datenmengen über Le-
bensprozesse gewonnen werden. Daraus erhofft man sich         Herr Professor Pühler, warum benötigen wir ein solches
weitreichende Erkenntnisse über Ursachen von Erkrankungen     Netzwerk für die Lebenswissenschaften wie de.NBI?
und darauf aufbauend die Entwicklung zielgerichteter Thera-   Die Lebenswissenschaften ermöglichen mithilfe der Omics-
pien, neue Einsichten zur gesunden Ernährung oder Innovati-   Technologien, dass wir das zelluläre Geschehen zum Beispiel
onen in der Biotechnologie und Bioökonomie. Diese Technolo-   bei Krebs insgesamt umfassender und detaillierter verste-
gien bieten auch ein großes ­Wertschöpfungspotenzial, durch   hen. Man geht in den Lebenswissenschaften vom isolierten
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38 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: HINTERGRUND

                                                       Blick einer Disziplin zu einem längst fälligen Gesamt-
                                                       blick über. Dieser umfassende Blick ist überall da
                                                       notwendig, wo Zellen eine wichtige Rolle einnehmen
                                                       und wo die Wissenschaft anwendungsorientiert der
                                                       Bevölkerung Rede und Antwort stehen muss. Dazu
                                                       zählen: Die Landwirtschaft, wo die Züchtung heute
                                                       ohne Omics-Technologien nicht mehr auskommt. Die
                                                       Biotechnologie, wo man auf Omics-Daten aufbauend
                                                       Produktionsorganismen entwickelt. Die Medizin,
                                                       wo man mit Omics-Technologien analysiert, was in
                                                       einem Zellgewebe schief-läuft. Das führt hin bis zur
                                                       personalisierten Medizin, wo die Omics-Technologien
                                                       es ermöglichen, für eine spezifische Erkrankung
                                                       passende Medikamente zu entwickeln.

                                                       2014 stellte die Leopoldina im „Zukunftsreport Wis-
                                                       senschaft“ fest, dass Deutschland bei den Omics-
                                                       Technologien hinterherhinkt. Und heute?
                                                       Der Report wies auf zwei Schwachstellen hin, die
                                                       immer noch aktuell sind: Die Omics-Technologien
                                                       stehen nicht flächendeckend zur Verfügung und
                                                       vor allem auch nicht die Auswertung der erzeug-
                                                       ten Daten. Aber beides ist für die Forschung in den
                                                       Lebenswissenschaften essenziell: Denn um Omics-
                                                       Technologien zu nutzen, braucht man kosteninten-
                                                       sive Instrumente, die sich viele Hochschulen nicht
                                                       leisten können. Deshalb muss man Zentren bilden,
                                                       die Omics-Technologien für diejenigen zugänglich
                                                       machen, die über solche Analyseinstrumente und
                                                       -methoden nicht verfügen. Heute, sechs Jahre nach
                                                       Erscheinen des Zukunftsreports, muss man konsta-
                                                       tieren: Die Omics-Technologien wurden nicht so ge-
                                                       fördert, wie es notwendig wäre. Das, was letztendlich
                                                       initiiert werden konnte, verlief sehr zäh. So dauerte
                                                       es mehrere Jahre, bis die Deutsche Forschungsge-
                                                       meinschaft Sequenzier-Zentren in Kiel, Dresden, Köln
                                                       und Tübingen geschaffen hat. Denn das gewichtige
                                                       Gegenargument des Bundesforschungsministeriums
                                                       zu dieser zentralen Forderung der Leopoldina lautete:
                                                       „Diese Technologie ist doch bereits in vielen anderen
                                                       Ländern angesiedelt und wird außerdem von Indus-
                                                       trieunternehmen­angeboten. Nutzt doch das Angebot
                                                       dieser Industrieunternehmen.“ Eine Folge davon: Die-
                                                       se vier Zentren sind unterfinanziert und sollen jetzt
                                                       in die große Humansequenzierung einsteigen. Mein
                                                       Fazit: Es muss in Deutschland sehr viel mehr passie-
                                                       ren, um den Anschluss an andere Länder zu finden.

                                                       Warum sind bundes- und europaweite Netzwerke
                                                       effektiver als Insellösungen?
                                                       Der Zugang zu Forschungsinfrastrukturen ist bei
                                                       Insellösungen vielen Forschern verschlossen, nur
                                                       handverlesene Wissenschaftler profitieren davon. Um
                                                       die Lebenswissenschaften voranzubringen, benötigen
                                                       wir aber Netzwerke, die möglichst viele Wissenschaft-
                                                       ler bis hin zum Nachwuchs nutzen können. Zudem
                                                       kann man verteilte Netze dynamischer gestalten. So
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LIFE SCIENCES: HINTERGRUND I DUZ TRANSFER 07/20 I 39

vereinen wir unter dem Dach von de.NBI zurzeit insgesamt                                       de.NBI-Cloud haben wir das hierzulande vorhandene akade-
40 Projekte, die in acht Servicezentren mit unterschiedlichen                                  mische Cloud-Wissen zusammengebunden und die de.NBI-
Schwerpunkten zusammengefasst sind. Die Zentren stellen                                        Cloud als verteilte Struktur an sechs Standorten errichtet. Die
dem Netzwerk ihre Softwarelösungen und Tools zur Verfü-                                        de.NBI-Cloud ist auf bioinformatische Analysen ausgerichtet
gung und beraten Forscherinnen und Forscher, mit welchem                                       und wird zentral gesteuert. Da sie als Infrastruktur konzipiert
Tools sie arbeiten sollten, wie man diese anwendet, was man                                    ist, steht sie nicht nur de.NBI-Mitgliedern, sondern allen For-
mit den Ergebnissen machen kann und welche Daten sich für                                      schenden aus den Lebenswissenschaften zur Analyse ihrer
eine Analyse eignen. Die Tools sind so konstruiert, dass sie                                   Daten zur Verfügung. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Nutzer
leicht anwendbar sind und auch von Forschern genutzt wer-                                      Diplomand, Doktorand, Postdoc oder Professor ist.
den können, die keine Kenntnisse in Bioinformatik mitbrin-
gen. Zudem bieten wir passende Trainingskurse an.                                              Warum ist eine solche Infrastruktur im Bereich der
                                                                                               Lebenswissenschaften wichtig für den Standort Deutschland?
Warum ist es wichtig, dass diese Datenkompetenz bei den                                        Die durch das de.NBI-Netzwerk etablierte Infrastruktur funk-
staatlichen Hochschulen und Forschungsinstitutionen                                            tioniert auch bei Krisen sofort. So konnte sich de.NBI umge-
liegt und nicht allein in Unternehmen?                                                         hend an der Auswertung von COVID-19-Forschungsdaten be-
Die Erkenntnisse auf diesem Gebiet müssen von den Forsche-                                     teiligen. Eine Umfrage im de.NBI-Netzwerk hat ergeben, dass
rinnen und Forschern der Lebenswissenschaften weiterge-                                        de.NBI an nahezu 30 COVID-19-Forschungsprojekten beteiligt
trieben werden. Über die Omics-Technologien erhält man                                         ist. Die vom de.NBI-Netzwerk bearbeiteten Forschungspro-
riesige Datenmengen, mit denen man so nichts anfangen                                          jekte decken das gesamte Spektrum der Corona-Forschung
kann, auch als Big-Data-Problem bekannt. Diese Datenmen-                                       ab. Die beteiligten infektiösen Viren werden z. B. einer
gen müssen von den Programmen aufgearbeitet werden, um                                         Sequenzanalyse unterzogen und Modelle für die zukünftige
zu validen Ergebnissen zu gelangen. Die Wissenschaftler sind                                   Ausbreitung entworfen. Weiterhin werden Wechselwirkungen
darauf angewiesen, damit sie ihre Forschung vorantreiben                                       der infektiösen Viren mit menschlichem Gewebe studiert
können, wie bei den aktuellen Covid-19-Erkrankungen: So                                        und auftretende Krankheitsverläufe untersucht. Ein weiterer
kann man aus einer Speichelprobe das Virusgenom sequen-                                        Schwerpunkt ist die Medikamentenentwicklung. Zur Ana-
zieren, womit man die Signatur und damit Stellen im Virus-                                     lyse von COVID-19-Forschungsdaten nutzt das Netzwerk die
genome mit Mutationen erfasst. Danach prüft man, ob solche                                     erprobten de.NBI-Computerprogramme und greift vor allem
Mutationen bereits in anderen Virusgenomen gefunden wur-                                       auf die angebotene Rechnerstruktur der de.NBI-Cloud zurück.
den. Aus einer solchen Analyse lassen sich Aussagen über die                                   Das de.NBI-Netzwerk hat durch seine Beiträge zur Corona-
Verbreitung von Viren ableiten. Nehmen wir als jüngstes Bei-                                   Forschung nachgewiesen, dass die etablierte Infrastruktur als
spiel den Corona-Ausbruch in Gütersloh, wo behauptet wurde,                                    schnelle Eingreiftruppe zur Analyse von großen Datenmen-
„die Viren, die man bei Tönnies gefunden hat, kommen aus                                       gen in den Lebenswissenschaften zur Verfügung steht. //
Bulgarien und Rumänien“. Mittels einer Signaturanalyse lässt
sich eine solche Hypothese leicht überprüfen.

Und die Rolle der Unternehmen?
Es gibt Unternehmen, die Sequenzierdienste anbieten,                                           PROF. DR. ALFRED PÜHLER
allerdings ohne eine Analyse der erstellten Sequenzdaten.
Forschende können mit reinen Sequenzdaten meist wenig                                                                          gilt als einer der Pionie-
anfangen und brauchen zur Analyse der Daten bioinformati-                                                                      re der modernen Gen-
sche Unterstützung, zum Beispiel durch das de.NBI-Netzwerk,                                                                    technik, Biotechnologie
welches spezielle Expertise für die gesamten Lebenswissen-                                                                     und Genomforschung.
                                                                 Foto: Universität Bielefeld

schaften bereit hält. Einzelne Unternehmen können dies
                                                                                                                               So war er maßgeblich an
nicht leisten.
                                                                                                                               der ­Entschlüsselung der
Brauchen Sie zur Auswertung solcher Datenmengen aber                                                                           Genomsequenz mehrerer
nicht Supercomputer-Ressourcen, wie sie etwa das                                                                               Mikroorganismen beteiligt.
Forschungszentrum Jülich vorhält?                                                                                              1979 wurde Pühler auf den
Supercomputer erweisen sich für viele Naturwissenschaften                                      Lehrstuhl für Genetik an die Universität Bielefeld berufen,
als unumgänglich. Für die Lebenswissenschaften mit vielen                                      wo er bis 2008 tätig war. Nach seiner Pensionierung wech-
unterschiedlichen Analyseansätzen sind jedoch andere                                           selte er als Senior Research Professor an das Center for
Rechnerstrukturen vorteilhafter. Das de.NBI-Netzwerk hat                                       Biotechnology der Uni Bielefeld, das er mit aufgebaut hat.
deshalb eine eigene Rechnerstruktur auf Cloud-Basis einge-                                     Zudem ist er Koordinator des vom BMBF seit 2015 geför-
richtet. Diese neu eingerichtete de.NBI-Cloud hat den Vorteil,                                 derten Deutschen Netzwerks für Bioinformatik-Infrastruk-
dass sie komplett vom de.NBI-Projekt getragen wird und
                                                                                               tur – de. NBI und Mitglied der Leopoldina.
damit sicherstellt, dass die gerechneten Forschungsdaten in
Deutschland gehalten werden können. Zur Etablierung der
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40 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: POTENZIALE

                     „LIFE SCIENCES
                       VERÄNDERN
                        DIE WELT“
         Für die Offenburger Wissenschaftlerin Christiane Zell haben
        Lebenswissenschaften die gleiche transformative Kraft wie die
   Digitalisierung. Was Hochschulen für angewandte Wissenschaften zum
              Wandel beitragen können, erklärt sie im Interview
                                                INTERVIEW: RAINER DETTMAR

Frau Professorin Zell, Sie lehren Biologie, Bioinformatik,     technologie, ist eine Schlüsseltechnologie. Die sprung-
­Biotechnik sowie Biologische Verfahren an der Fakultät        haften Fortschritte im Verständnis biologischer Prozesse
 Maschinenbau und Verfahrenstechnik der Hochschule             schaffen ganz neue Einsatzgebiete und Gestaltungsmög-
 Offenburg. Was macht Ihr Fach, die Biotechnologie, zu         lichkeiten. Man denke an Geneditierungsverfahren wie
 einem spannenden Studien- und Forschungsgebiet?               die Genschere CRISPR/Cas in Kombination mit modernen
 Die faszinierenden Inhalte. Man lernt zu verstehen, was       Analyse- und Datenauswertungsmethoden. Es gibt ganz
 das Leben und die Lebewesen ausmacht, wie sie mit und         neue Chancen zur Gestaltung biologischer Prozesse und
 in ihrer Umwelt agieren. Und man lernt, wie man dieses        zur Bewältigung globaler Herausforderungen. Die Life
 ­Wissen nutzen kann, um zum Beispiel umweltschonen-           Sciences besitzen eine ähnlich transformative Kraft wie
  der zu produzieren oder Medikamente zu entwickeln.           die Digitalisierung. Für Deutschland als Hochtechnolo-
  Biotech-nologie ist Zukunftstechnologie. Sie hat eine        giestandort sind sie von elementarer Bedeutung, denn sie
  zentrale Bedeutung für nachhaltige Produktion, für die       stärken die Wettbewerbsfähigkeit und schaffen Arbeits-
  Gesundheit und die Ernährung einer wachsenden Welt-          plätze. Sie sind ein Wachstums- und Wirtschaftsmotor.
  bevölkerung.Schon das Studium ist sehr spannend. Es
  gibt viele anwendungsbezogene Praktika, Kleingruppen         Welche Forschungsfragen stellen sich an Fachhochschu-
  im Labor, Projektarbeit mit industriellen Partnern. Letzte   len und Hochschulen für angewandte Wissenschaften in
  Woche sagte mir ein Student im Biotechnik-Praktikum:         der Corona-Pandemie?
  Es ist spannend, dass das theoretisch Gelernte wirklich      In den ersten Monaten der Pandemie fand Forschung
  funktioniert – das Einklonieren eines Gens in ein Bakte-     eher dort statt, wo ohnehin an entsprechenden The-
  rium oder der Nachweis von Mikroorganismen durch PCR         men geforscht wird, also an virologischen Instituten
  (englisch: Polymerase Chain Reaction, deutsch Polymera-      oder dort, wo diagnostische Tests hergestellt wurden.
  se-Kettenreaktion).                                          Doch mit einiger Verzögerung werden sich viele weitere
                                                               Forschungsgruppen mit dem Thema Covid-19 befassen.
Worin besteht die Bedeutung der Lebenswissenschaften           Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben aber
für unsere heutige Welt – für Wissenschaft, Wirtschaft,        schon vorher zu Methoden geforscht und gelehrt, die
Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen?                                sich jetzt im Kontext der Corona-Krise einsetzen las-
Es gibt zentrale gesellschaftliche Herausforderungen wie       sen. Man muss nur den Forschungsschwerpunkt etwas
die wachsende Weltbevölkerung und den entsprechend             ändern. Ein schönes Beispiel habe ich kürzlich im Podcast
zunehmenden Bedarf an Energie und Nahrungsmitteln,             ­„Coronavirus-Update“ von Prof. Dr. Christian Drosten
die umwelt- und klimaschonend produziert werden                 gehört. Die Methoden, die er im Zusammenhang mit einer
müssen. Die neuen Möglichkeiten der Life Sciences               topaktuellen Corona-Studie nannte, kennen unsere Bio-
beziehungsweise der Biotechnologie liefern Grundlagen           technologie-Studierenden bereits aus Vorlesungen und
für eine nachhaltige Produktion und den Übergang von            Praktika. Natürlich nicht die Forschungsinhalte selbst,
erdöl- zu biobasierten Verfahren. Die Gesundheitsversor-        aber die Methoden: PCR- und Antikörpertests gehören
gung einer alternden Gesellschaft ist eine große Aufgabe.       bei uns ebenso zum Standard-Studienprogramm wie die
Hier schaffen Life Sciences Grundlagen für eine immer           Herstellung komplementärer DNA oder das Einbringen
stärker wissensbasierte und individualisierte Medizin           der Information für das grün fluoreszierende Protein
und eine erfolgreiche Prävention. Mein Fach, die Bio-           in Plasmid-DNA von Bakterien und das anschließende
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LIFE SCIENCES: POTENZIALE I DUZ TRANSFER 07/20 I 41

                                                                                                                                     Foto: Hochschule Offenburg
„Life Sciences verändern die Welt“, davon ist Prof. Dr. Christiane Zell überzeugt

Exprimieren dieser DNA. In der von Christian Drosten be-                Energiewende. Das Forschungsprojekt EBIPREP zur Her-
schriebenen Studie kamen solche Methoden zum Einsatz,                   stellung von Wertstoffen aus Holzhackschnitzeln ist ein
um genetisch veränderte ­Coronaviren herzustellen, die                  Schritt zur Bioökonomie. Auch die Entwicklung bioba-
nach Infektion menschlicher Zellen eine grüne Fluores-                  sierter und biologisch abbaubarer Kunststoffe oder die
zenz verursachen. So konnte man feststellen, in welchen                 Herstellung von Ersatzgewebe im 3D-Druck fallen mir in
Geweben sich Coronaviren gut vermehren – vor allem die                  diesem Zusammenhang ein.
Nasenschleimhaut scheint sehr empfänglich zu sein.
                                                                        Wie gut sind die Life Sciences an Fachhochschulen und
 Wo ist lebenswissenschaftliche Forschung besonders                     Hochschulen für angewandte Wissenschaften aufge-
 relevant?                                                              stellt?
 Life Sciences verändern die Welt. Das sieht man in der                 Unsere Hochschulen zeichnen sich ja durch ihren Anwen-
 Medizin: Die biologischen Daten aus modernen Hoch-                     dungsbezug aus. Die Lebenswissenschaften haben sich
 durchsatzverfahren und zunehmend auch durch Künst-                     extrem gewandelt – von einer beschreibenden hin zu ei-
 liche Intelligenz unterstützte Auswertungsverfahren                    ner gestaltenden und nutzenden Rolle. Ihre immer größe-
 ermöglichen ein immer besseres Verständnis von Krank-                  re wirtschaftliche Bedeutung führt dazu, dass Hochschu-
 heit beziehungsweise Gesundheit und sind Basis für neue                len die Biotechnologie und andere Lebenswissenschaften
 Medikamente und individualisierte Therapien. Moderne                   ausbauen. Die Hochschule Offenburg zum Beispiel hat
 diagnostische Verfahren und Auswertungsmethoden                        den Ausbau der Life Sciences als strategisches Ziel fest-
 ermöglichen sowohl die Identifizierung eines mit einer                 gelegt und bietet neben Medizintechnik und Biomechanik
 Krankheit in Zusammenhang stehenden Gens als auch die                  seit zwei Jahren einen Bachelor- und einen internationa-
 genaue Ermittlung der Wirksamkeit eines Medikaments.                   len kooperativen Masterstudiengang im Bereich Biotech-
 Das erspart auch unnötige Therapien: Bei einer präzisen                nologie an. Gleichzeitig werden Forschungsfelder in den
 Diagnose werden nur jene Menschen behandelt, die von                   Life Sciences aus- und aufgebaut.
 einer Behandlung auch profitieren. So werden bestimmte
 Medikamente heute nur nach Diagnose des tatsächlich                    Können Sie interessante Anwendungen nennen, die in
 behandelbaren Subtyps von Brustkrebs eingesetzt. Ein                   ­Kooperation mit der Industrie entwickelt wurden?
 anderes Beispiel: Man kann mit modernen biotechnolo-                    Hochinteressant finde ich die Charakterisierung von
 gischen Tests feststellen, wie schnell bestimmte Medika-                Tumorzellen, um sie mit zielgerichteten Therapien zu
 mentengruppen wie Antidepressiva, Herzrhythmusme-                       behandeln. An einer solchen Thematik haben wir in
 dikamente oder Bluthochdruckmittel verstoffwechselt                     einem Kooperationsprojekt mit dem Institut für Mikro-
 werden. So ­lassen sich Dosen genauer bestimmen und                     systemtechnik IMTEK der Universität Freiburg und drei
 Nebenwirkungen reduzieren. In Deutschland allein ster-                  Partnerunternehmen gearbeitet. Mit mehreren lebens-
 ben laut der Firma Roche jährlich 16 000 Menschen an                    mittelverarbeitenden Betrieben in der Region überlegen
­Medikamentennebenwirkungen.                                             wir, wie industrielle Abfallstoffe für die Produktion von
                                                                         Wertstoffen oder Bio-energie genutzt werden können,
Die Life Sciences können aber auch für viele andere glo-                 statt sie aufwendig zu entsorgen. Mit anderen regionalen
bale Herausforderungen Lösungen bieten: Unser Projekt                    Herstellern wiederum arbeiten wir an der Entwicklung
BioMeth (siehe Bericht Seite 47) etwa ist ein Beitrag zur                diagnostischer Kits für die Medizin. //
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42 I 07/20 DUZ TRANSFER I XXXXXX

LEGIONELLEN AUF DER SPUR
Mit einem Schnelltest will Biotechnologieexperte Carsten Harms von der
Hochschule Bremerhaven ein Problem der Wasserhygiene bekämpfen

Die mikrobielle Verunreinigung von Trink- und Prozesswasser      WENIGER ENERGIE, WENIGER CHEMIE
rückt immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Vor allem
Legionellen stellen eine Gefahr dar. Der Temperaturbereich,      „Die konventionelle Wasserhygiene beruht zum einen auf ei-
in dem sie wachsen – 20 bis 50 Grad Celsius, optimal 35 bis 46    ner thermischen Hygienisierung und zum anderen auf einer
Grad – erhöht das Risiko ihres Vorkommens in öffentlichen         chemischen Reinigung der Rohrleitungen, um eingetragene
und industriellen Kläranlagen sowie in Verdunstungskühl-          Mikroorganismen am Wachstum zu hindern oder abzutö-
anlagen, Kühltürmen oder Nassabscheidern von Prozesswas-          ten“, erklärt Carsten Harms. Durch eine schnelle, sensitive
ser. Dem Legionellen-Problem widmet sich ein Projekt von          und quantitative Analysemethode könnten die Systemtem-
Prof. Dr. Carsten Harms, der an der Hochschule Bremer-            peratur abgesenkt und Chemikalien bedarfsgerechter ein-
haven Biotechnologie und Angewandte Molekulargenetik              gesetzt werden. Im Arbeitsblatt W 551 des Deutschen Vereins
lehrt. Der Leiter des Bremerhavener Institute for Applied         des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) werden die seit 2004
Molecular Biology (BIAMOL) und des Bioanalytik-Labors             notwendigen technischen Maßnahmen und Schutzvorkeh-
der Hochschule Bremerhaven entwickelt ein Schnell-                rungen in Trinkwasser-Installationen beschrieben. Seit De-
nachweissystem für die Bakterienanalyse in Trink- und             zember 2012 ist zudem eine alle drei Jahre wiederkehrende
Prozesswasser, das von der BIS Bremerhaven gefördert              Legionenellenprüfung für alle öffentlichen Einrichtungen
wird. Seine Methodik beschreibt Carsten Harms als „Kom-           und Mehrfamilienhäuser vorgeschrieben, die Durchfluss-
bination aus Anreicherung der gefährlichen Bakterien              Trinkwassererwärmer besitzen. Allein mehr als zwei Millio-
durch funktionalisierte Kügelchen, sogenannte Beads, mit          nen Mehrfamilienhäuser fallen darunter.
der Anbindung an fluoreszenzmarkierte Biomoleküle und
der fluoreszenzoptischen Detektion mittels Durchfluss-           Im Juli 2017 reagierte der Gesetzgeber mit einer Neufassung
zytometrie“. Der Schnellnachweis soll der erste Schritt zu       der „42. Bundesimmissionsschutzverordnung zu Legionellen
einer Quantifizierung bakterieller Krankheitserreger in          in Verdunstungskühlanlagen“ auf die Gefahr durch Verduns-
Trink- und Prozesswasser sein und wird nach den beste-           tungskühlanlagen, Kühltürme und Nassabscheider (Pro-
henden Richtlinien zur Untersuchung von Trinkwasser mit          zesswasser). Diese müssen nun alle drei Monate auf Legio-
Einhaltung der Grenzwerte entwickelt. Kooperationspart-          nellenbefall untersucht werden. Prozesswassersysteme sind
ner ist die Bremer Firma OLS OMNI Life Science.                  in vielen Industriezweigen in großer Menge zu finden: in der
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LIFE SCIENCES: WASSERHYGIENE I DUZ TRANSFER 07/20 I 43

Lebensmittel-, Recycling- und Papierindustrie ebenso wie in      Durchflusszytometrie spezifisch und zeiteffizient analysiert
großen Kühlanlagen. Oft sind sie in offenen Kreisläufen im       werden. Das Ergebnis sind quantitative Informationen über
Einsatz, sodass sich stetig kleinste Wassertröpfchen (Aero-      jede einzelne analysierte Zelle. Zudem könne eine „Lebend-
sole) bilden können – Bakterien inklusive.                       tot-Differenzierung durch Fluoreszenzfärbung“ durchge-
                                                                 führt werden. So könnten nicht nur Fragen nach der Ge-
„Legionellen sind ein natürlicher Bestandteil des Wassers        samtkontamination von Wasser mit lebenden und toten
 und gelangen aus den Quellen der Trinkwasserversorgung          Bakterien beantwortet werden. Basierend auf der Vermeh-
 in die Leitungsnetze“, erläutert Carsten Harms. „Sie gefähr-    rung lebender Bakterien könnten auch differenzierte Aus-
 den den Menschen nicht durch Trinken, sondern durch Ae-         wertungen vorgenommen werden.
 rosole, die zum Beispiel beim Duschen eingeatmet werden.“
 In Warmwasserkreisläufen ist die Gefahr der exponentiellen      Auch bei kommunalen Wasserversorgern erkennt Carsten
 Ausbreitung von Mikroorganismen besonders hoch – und            Harms enormes Einsparpotenzial: „Alle diese Versorger ha-
 damit auch das Risiko für Angestellte durch die Übertragung     ben mehrmals wöchentlich Vorfälle durch defekte Leitun-
 pathogener Bakterien in Aerosolen. Auch bei gesunden Men-       gen. In der Regel wird nach der Reparatur so lange gespült,
 schen können sie zu Legionellose führen, einer schweren         bis die mikrobiologische Untersuchung mit negativem Er-
 Lungenentzündung, die bisweilen tödlich verläuft.               gebnis vorliegt“, so der Biologe. Ein sicherer Schnelltest wäre
                                                                 also auch hier sehr ressourcenschonend. //
DIE LANGE SUCHE NACH DER QUELLE

Normalerweise wird das Legionellenwachstum bei Tempe-
raturen oberhalb von 55 Grad Celsius gehemmt. Ab 60 Grad
kommt es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts zum Ab-
sterben. Allerdings können sich Legionellen in natürlichen
Wirten wie Amöben recht gut gegen Desinfektionsmaßnah-
men und ungünstige Umwelteinflüsse schützen. Zudem sind
sie in der Lage, längere Phasen im VNBC-Zustand zu überste-
hen: „viable but nonculturable“ (lebensfähig, aber nicht kul-
tivierbar). In dieser Art Ruhezustand können sie nur schwer
mikrobiologisch nachgewiesen werden, sind aber weiterhin
eine Gefahr.

„Eine kontinuierliche Überwachung speziell der Anlagen,
 die zu einer massiven Verbreitung von Legionellen führen
 können, ein sogenanntes Online-Monitoring, ist aktuell zu
 aufwendig“, erklärt Carsten Harms. „Die mikrobiologische
 Analyse auf Legionella pneumophila dauert bis zu zwölf
 Tage.“ Auch sei sie zu teuer, um flächendeckend eingesetzt
 zu werden. Rund zehn Monate dauerte es, bis das Klärwerk
 einer Papierfabrik in Düren 2018 für stark erhöhte Legionel-
 lenwerte in der Ruhr verantwortlich gemacht werden konn-
 te. Die Quellen für Legionellen-Ausbrüche in Bremen 2016
 und Jülich 2014 wurden nie gefunden. „Durch ein einfaches,
 kostengünstiges und schnelles Online-Monitoring würde die
 aufwendige Suche nach Infektionsherden entfallen“, sagt
 Carsten Harms. Statt umweltbelastender Biozidbehandlung
 oder energieaufwendigem periodischem Erhitzen auf über
 60 Grad Celsius – in Österreich sogar 65 – könne „bei aufkei-
                                                                                                                                    Fotos: Hochschule Bremerhaven

 mender Belastung“ direkt gegengesteuert werden.

SCHNELLES WISSEN ÜBER JEDE ZELLE

Die Idee des Bremerhavener Forschers: Durch Kombination
einer Anbindung an die bakterienspezifischen Biomoleküle
und die Größendetektion der dazugehörigen Beads sowie der        Wasserhygiene: Prof. Dr. Carsten Harms entwickelt einen Schnell-
fluoreszenzoptischen Detektion sollen die Bakterien mittels      test für die Bakterienanalyse in Trink- und Prozesswasser
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44 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: OBERFLÄCHENDESINFEKTION

               HYGIENISCH SICHERE SCHALTER,
               GRIFFE, TASTEN – EIN TRAUM!
                   Mikrobiologen der Technischen Hochschule Lübeck und der Medizintechnikhersteller Dräger arbeiten
                   an Oberflächen, die Krankheitserregern keine Chance zum Anhaften geben

                                                              auf einer Fläche von wenigen Quadrat-      seine Abschlussarbeit im Studiengang
                                                              zentimetern Tausende von Bakterien         Angewandte Chemie kontaminierte
                                                              sitzen können, die auch mal bis zu ei-     er standardisiert Testoberflächen mit
                                                              nem halben Jahr lebensfähig bleiben,       multiresistenten Bakterien und ermit-
                                                              dann erscheint aus hygienischer Sicht      telte am Ende der Testzeit die Anzahl
                                                              schon der Schalter eines medizini-         der überlebenden Bakterien auf diesen
                                                              schen Gerätes im Krankenhaus als po-       Oberflächen. Für das mehrmonatige
                                                              tenziell lebensbedrohlich“, so die Fach-   Projekt arbeitete Wippermann mit der
                                                              ärztin für Medizinische Mikrobiologie.     Drägerwerk AG & Co. KGaA zusammen.

                                                              Hersteller von Medizingeräten wie die      Ließ sich bereits eine wirksame Ober-
                                                              Lübecker Firma Dräger wissen um die        fläche finden? „Wir sind sicherlich
                                                              Gefahr und richten ihr Augenmerk des-      auf dem richtigen Weg“, sagt Dagmar
                                                              halb seit Langem auf „Hygienic Design“:    ­Willkomm. „Man darf aber nicht ver-
                                                              Geräte sollen so gebaut und gestaltet       gessen, dass eine solche Oberfläche
                                                              sein, dass sie Bakterien und Viren mög-     nicht nur wirksam sein muss, sondern
                                                              lichst wenig Anhaftungsbereiche bie-
Fotos: TH Lübeck

                                                                                                          auch bezahlbar und alltagstauglich.
                                                              ten und sich zudem gut reinigen und         Das ist so ähnlich wie bei Leitstruktu-
                                                              desinfizieren lassen. Raue Oberflächen,     ren in der pharmazeutischen Industrie:
                                                              schlecht zu reinigende Nischen und          Bis ein marktfähiges Produkt daraus
                   Prof. Dr. Dagmar Willkomm: Mikrobiologin   scharfe Ecken sind in der Gestaltung        wird, ist noch eine Menge Entwick-
                                                              tabu. Eine neuere Entwicklung ist es        lungsarbeit erforderlich.“ Fest stehe
                   Die Übertragung von Infektionser-          auch, Oberflächen so zu beschichten,        jedenfalls, dass von einem solchen Ko-
                   regern durch Kontakt mit kontami-          dass sie die Anhaftung von Bakterien        operationsprojekt alle Mitwirkenden
                   nierten Oberflächen ist ein wichtiges      erst gar nicht zulassen oder, besser        profitieren. „Wir bringen hier unsere
                   Thema im Gesundheitswesen – nicht          noch, Bakterien abtöten. Viele Firmen       Kompetenzen aus ganz unterschiedli-
                   erst seit Covid-19. Durch Berühren, Be-    versuchen aktuell solche „mikrobizi-        chen Bereichen zusammen: das mikro-
                   husten, Beniesen, Bespritzen oder Se-      den Oberflächen“ zu entwickeln. Ob          biologische Know-how und unsere dazu
                   dimentation gelangen Bakterien oder        diese für medizinische Geräte tauglich      sehr gut ausgestatteten Labore von TH-
                   Viren auf eine Oberfläche und werden       sind, muss allerdings erst mikrobiolo-      Seite, die technische Sichtweise, die
                   bei deren Berührung auf einen ande-        gisch getestet werden. Das Schwieri-        Anwendungsperspektive und das Ma-
                   ren Menschen übertragen. Dieser er-        ge bei einer solchen Testmethode: Sie       terialscouting seitens der Kollegen von
                   krankt an dem Erreger oder überträgt       soll lebensnahe Bedingungen schaffen.       Dräger. Dazu ein Bachelorstudent, der
                   ihn auf eine weitere Person, die viel-     Idealerweise sollte sie die Übertragung     am Ende seines Studiums über ein
                   leicht ebenfalls daran erkrankt. Dieser    durch einen menschlichen Fingerab-          hohes Maß an Fachkompetenz verfügt
                   gefürchtete Mechanismus der „noso-         druck nachahmen. Die Methode muss           und als unvoreingenommener Neuling
                   komialen Infektionen“ fällt besonders      so gut standardisiert sein, dass sich       auf dem Gebiet eine Menge innova-
                   dann auf, wenn man es mit multire-         auch geringfügig erhöhte Absterbera-        tiver Ideen hat – das ist einfach eine
                   sistenten Erregern zu tun hat: Bakte-      ten der aufgebrachten Bakterien auf         sehr gelungene Kombination“, so die
                   rien, die resistent gegen sehr viele der   einer Testoberfläche nachweisen las-        ­Mikrobiologin.
                   heute verfügbaren Antibiotika sind         sen. Und so einfach, dass sie von ver-
                   und nur wenige Therapieoptionen für        schiedenen Anwendern in verschiede-        „Derartige Oberflächen haben ein im-
                   einen daran erkrankten Patienten zu-       nen Labors mit identischem Ergebnis        menses Nutzungspotenzial, nicht nur
                   lassen – manchmal gar keine.               durchgeführt werden kann.                  im medizinischen Bereich“, erklärt Dag-
                                                                                                         mar Willkomm. „Stellen Sie sich vor, bei
                   Prof. Dr. Dagmar Willkomm, seit 2017       In Dagmar Willkomms Mikrobiolo-            einer Pandemie wüsste man: Der Griff
                   Inhaberin des Lehrstuhls für Mikro-        gielabor an der TH Lübeck konnte der       des Einkaufswagens und das Tastatur-
                   biologie und In-vitro-Diagnostik an        Student Dominik Wippermann eine            feld für die Kartenzahlung an der Su-
                   der Technischen Hochschule (TH) Lü-        derartige Methode zur Testung von          permarktkasse sind safe – ein Traum!
                   beck, sucht Wege aus dem Dilemma:          Oberflächen auf ihre Bakterien abtö-       Vielleicht sind wir ja bei der nächsten
                   „Wenn man sich vergegenwärtigt, dass       tende Wirkung weiterentwickeln. Für        Pandemie so weit.“ //
LIFE SCIENCES: NACHWUCHS I DUZ TRANSFER 07/20 I 45

               FORSCHUNGSTALENT IN DER
               MARZIPANSTADT
                   Mit ihrer Arbeit über Polyphenole aus Reststoffen gewann die Lübecker Doktorandin Johanna Gasser
                   den „Phytochemical Analysis Young Scientist Prize“. Jetzt schreibt sie ihre Dissertation

                                                              an meiner Dissertation, die ich die-       Kosmetikindustrie gefragt sind. Das
                                                              ses Jahr an der Uni Bremen abgeben         Bundesministerium für Bildung und
                                                              ­werde.“                                   Forschung unterstützt das Projekt im
                                                                                                         Rahmen der Förderlinie Ingenieur-
                                                              Prof. Dr. Peter Spiteller vom Institut     nachwuchs des Programms Forschung
                                                              für Organische und Analytische Che-        an Fachhochschulen. //
                                                              mie der Universität Bremen ist Gassers
                                                              Doktorvater in einem kooperativen
                                                              Promotionsverfahren. Die Hauptpro-
                                                              jektarbeit dafür führt die Forscherin
                                                              im Centrum Industrielle Biotechnolo-
                                                              gie der Technischen Hochschule (TH)
                                                              Lübeck durch, wo sie von Prof. Dr.
                                                              ­Veronika Hellwig betreut wird.

                                                              In Südtirol geboren und zur Schule ge-
                                                              gangen, hatte Johanna Gasser an der
Fotos: TH Lübeck

                                                              Universität Innsbruck ihren Bache-
                                                              lor- und Masterabschluss in Chemie
                                                              erlangt und sich damit 2015 auf die
                   Johanna Gasser: Ausgezeichnete             Promotionsstelle bei Hellwig bewor-
                   Nachwuchswissenschaftlerin der TH Lübeck   ben. „Schon in Innsbruck hatte ich an
                                                              Naturstoffen geforscht – es ging um
                   „Es ist schön zu erfahren, dass andere     Abbauprodukte von Chlorophyll. Da
                   spannend finden, was ich mache“, sagt      passte die ausgeschriebene Promoti-
                   Johanna Gasser über den „Phytoche-         onsstelle in Lübeck ideal. Und die Stadt
                   mical Analysis Young Scientist Prize“.     gefiel mir natürlich auch.“
                   Den brachte sie vor einem Jahr vom
                   „Young Scientists’ Meeting 2019“ der       Im Labor Instrumentelle Analytik der
                   Phytochemical Society of Europe mit        TH Lübeck stellt Gassers Arbeit seit
                   nach Lübeck. Mit einem Vortrag über        2016 eine tragende Säule des Projekts
                   Polyphenole aus Reststoffen der Mar-       VEREMA (siehe Beispiel Seite 49). „Die-
                   zipanproduktion hatte Gasser in Buda-      ses Kürzel steht für die Verwertung
                   pest die Jury überzeugt. Neben Gasser      von Reststoffen aus der Marzipanpro-
                   präsentierten 33 weitere Nachwuchs-        duktion“, erklärt die Doktorandin. „Das
                   wissenschaftler ihre Arbeiten zur Bio-     neue Verfahren sollte zeigen, welche
                   chemie, zu molekularen Aspekten und        wertvollen Produkte sich aus Reststof-
                   zur Pharmakologie von bioaktiven Na-       fen der Lebensmittelproduktion ge-
                   turstoffen.                                winnen lassen.“

                   Doch nicht nur bei den hochrangigen        Für ihre Promotion hat Johanna Gasser
                   Wissenschaftlern, die sich in Ungarns      in Brühwasser aus der Marzipanpro-
                   Hauptstadt versammelt hatten, stieß        duktion sowie abgelöster Mandelhaut
                   Gassers Thema auf Interesse. Welche        biologisch aktive Substanzen identifi-
                   internationale Reputation ihr Preis        ziert, deren chemische Struktur mas-
                   besitzt, kann Gasser an den zahlrei-       senspektrometrisch aufgeklärt und
                   chen Konferenzeinladungen ablesen,         das biologische Potenzial der Stoffe
                   die sie in den letzten Monaten erreich-    getestet. Ihr Forschungsschwerpunkt
                   ten. „Das ist großartig, aber nicht jede   liegt dabei auf Polyphenolen – anti-
                   Einladung kann ich auch annehmen“,         oxidativ und antimikrobiell wirkenden
                   erklärt sie. „Denn ich schreibe gerade     Naturstoffen, die in der Pharma- und
46 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: MEDIZINTECHNIK

VON DER IDEE BIS
ZUM KLINIKEINSATZ
Medizintechnik-Experten der Hochschule Hamm-Lippstadt sind an der Entwicklung innovativer
Produkte beteiligt und helfen dabei, dass sie erfolgreich am Markt eingeführt werden

                                         Produkt, das die Therapie dieser Patien-   ten zahlreiche Patienten erfolgreich
                                         ten verbessern soll, wurde mittlerweile    behandelt werden“, freut sich Jürgen
                                         von der fasciotens GmbH auf den Markt      Trzewik. „Die Abschlussarbeit von
                                         gebracht. Die innovative Firma wurde       Herrn Behle beschreibt den langen
                                         2016 von den Chirurgen Dr. Gereon Lill     Weg von einer innovativen Idee bis hin
                                         und Dr. Frank Beyer gegründet. Ihre        zur erfolgreichen Markteinführung
                                         Vision: die Behandlung offener Abdo-       und ersten erfolgreichen Patientenan-
                                         men grundlegend zu erneuern und zu         wendung. Ein überaus komplexes und
                                         verbessern. Als Krankenpfleger am          umfangreiches Thema, das man als Be-
                                         Kölner St. Elisabeth Krankenhaus hatte     treuer nur sehr selten begleiten kann.
                                         Behle sowohl Lill als auch das medizini-   Ein echtes Highlight“, so Trzewik.
                                         sche Problem kennengelernt. Als Lill ihm
                                         von der Produktidee berichtete, befand     Aber wahrscheinlich wird er Ähnliches
                                         er sich im vierten Semester des Bache-     bald wieder erleben: Im Rahmen des
                                         lorstudiengangs Biomedizinische Tech-      Forschungsprojekts fasciotens Pediat-
                                         nologie und belegte den Schwerpunkt        ric sucht die Hochschule Hamm-Lipp-
                                         Medizintechnik bei Prof. Dr. ­   Jürgen    stadt zusammen mit der fasciotens
                                         Trzewik. „Die Inhalte des Studiums und     GmbH und der Everwand & Fell GmbH
                                         die Vorlesungen von Professor Trzewik      einen innovativen Lösungsansatz zur
                                         halfen mir bei der Entwicklung und         Versorgung von Bauchwanddefekten
                                         Zulassung des Produkts wesentlich          bei Neugeborenen. Unter Leitung von
                                         weiter“, erinnert sich der heutige Pro-    Jürgen Trzewik entwickeln zwei wis-
                                         duktmanager bei fasciotens.                senschaftliche Mitarbeiter Messstän-
                                                                                    de zur Exploration und Validierung
                                         Ausgestattet mit einem Innovations-        des Verfahrens. Das Projekt wird mit
                                         gutschein des Landes Nordrhein-West-       160 000 Euro durch das Zentrale In-
                                         falen über 10 000 Euro, machte sich        novationsprogramm Mittelstand (ZIM)
                                         Stefan Behle 2018 an die Entwicklung       des Bundesministeriums für Wirt-
                                         der Zulassungsstrategie von fasciotens     schaft und Energie gefördert. //
                                         Abdomen: Mit dem Medizinprodukt
                                         lässt sich die Bauchwandfaszie mit-
                                         samt des Haut- und Unterhautfettge-
„Innovationen in der Medizintechnik      webes vom Körper weg (nach ventral)
sind wichtig für den Fortschritt der     ziehen. So verhindert es bei der Thera-
medizinischen Versorgung“, sagt Ste-     pie offener Abdomen die Faszienretrak-
fan Behle. „Bei Nischenprodukten, die    tion und schafft eine Vergrößerung des
nur bei wenigen Patienten angewen-       intraabdominellen Volumens. Dabei
det werden, ist es dennoch schwierig,    stützt es sich während der Behandlung
Kooperationspartner zu finden.“ Auch     auf dem Brustkorb und dem vorde-
für das Medizinprodukt, das Behle für    ren Beckenring des Patienten ab. „Als
seine Masterarbeit im Studiengang        lebensrettende Maßnahme wird bei den
„Biomedizinisches Management und         Patienten der Bauch geöffnet – für Tage,
Marketing“ der Hochschule Hamm-          Wochen, manchmal sogar Monate“,
Lippstadt mitentwickelte, zeigten eta-   erklärt Stefan Behle. Dabei schrumpft
                                                                                                                                   Foto: HS Hamm Lippstadt

blierte Firmen zwar durchaus Interes-    die Bauchdecke und der Bauch lässt
se, doch kam es nicht zur Kooperation    sich nicht mehr verschließen. „20 bis
oder Produktion.                         40 Prozent der Patienten mit offenem
                                         Abdomen sterben letztlich – einer der
Dabei werden pro Jahr rund 22 000 Pa-    Gründe, warum wir dieses Produkt           Hospitation im Bethesda Krankenhaus Ber-
tienten mit einem offenen Abdomen        unbedingt entwickeln wollten.“             gedorf: Dr. Gereon Lill, Stefan Behle, Prof. Dr.
(Bauch) in Europa behandelt. Und das     „Seit Zulassung des Produkts konn-         Jürgen Trzewik und Henning Niebuhr (v.l.n.r.)
LIFE SCIENCES: GASGEWINNUNG I DUZ TRANSFER 07/20 I 47

                             AUS MOLKE
                             BIOGAS GEWINNEN
                             In einer Ziegenkäsefabrik sucht ein Offenburger Forscherteam Speicherlösungen für die
                             Energiewende. Sein Erfolgsrezept: biologische Methanisierung

                        „Die Energiewende gelingt nur, wenn wir es schaffen, die re-          Aber es wäre noch mehr drin: „Rohbiogas verfügt über einen
                         generativ erzeugte Energie auch zu speichern“, sagt Prof. Dr.        viel zu niedrigen Methangehalt, um es direkt ins Erdgasnetz
                         Christiane Zell, die Biotechnologie an der Hochschule Offen-         einspeisen zu können“, erklärt Forscherin Zell. „In Biogasan-
                         burg lehrt (siehe auch Interview ab Seite 40). Das Problem:          lagen entsteht nur bis zu 70 Prozent Methan. Der Rest ist stö-
                         Mal weht der Wind oder scheint die Sonne, mal nicht. Die             rendes CO2, das abgetrennt werden muss.“ Die Versuchsanlage
                         Einspeisung aus beiden Quellen ins Stromnetz schwankt ent-           könnte dieses Problem lösen. Denn hier wird das CO2 genutzt,
                         sprechend. Und die Kapazitäten existierender Pump-, Druck-           um die Biomasse in weiteres Methan umzuwandeln. „Indem
                         luft- oder Batteriespeicher reichen nicht, um überschüssige          wir externen Wasserstoff einspeisen, den wir mit Überschuss-
                         Energie aufzunehmen, wenn sie anfällt. „Das Erdgasnetz ist           strom herstellen, gewinnen wir 97 Prozent Methan in der Bio-
                         der einzige Speicherort in Deutschland, der geeignet wäre“,          gasanlage“, erklärt Christiane Zell. Diese höhere Effizienz habe
                         glaubt Christiane Zell. „Es ist groß genug, um die Energie-          nicht nur für die Molkerei einen Vorteil, die energiereicheres
                         menge aufzunehmen: mehr als 200 Terawattstunden. Und es              Gas verbrennen kann. Man könnte das Gas auch ins Erdgas-
                         überzieht ganz Deutschland.“ Damit komme die Energie auch            netz einspeisen.
                         dorthin, wo sie gebraucht wird – „aber nur, wenn sie gasförmig
                         vorliegt, am besten als Methan“.                                     Das 2018 gestartete Projekt ist auf 30 Monate angelegt. Den
                                                                                              größten Teil der Gesamtkosten von knapp 490 000 Euro trägt
                                                                                              die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Projektpartner neben
                                                                                              Monte Ziego sind die Wehrle Umwelt GmbH aus Emmendingen
                                                                                              und die Ecobel GmbH aus dem schweizerischen Rüschlikon.

                                                                                              Einen Knackpunkt der aktuellen Forschung beschreibt Chris-
                                                                                              tiane Zell so: „Wie bringt man Wasserstoff dazu, sich in einem
                                                                                              flüssigen Medium wie Molke zu lösen? Einfach reinblubbern
                                                                                              – das funktioniert nicht. Wir arbeiten deshalb an einem Bega-
                                                                                               sungssystem über Membranen.“ Ob und wann das Verfahren
Foto: Hochschule Offenburg

                                                                                              marktreif werde, sei eine Frage der Wirtschaftlichkeit. „Im
                                                                                              Labormaßstab funktioniert es“, so die Wissenschaftlerin. „Ob
                                                                                               sich das Verfahren in größerem Maßstab rechnet, hängt stark
                                                                                              von den Rahmenbedingungen ab: Je höher die CO2-Bepreisung
                                                                                               steigt, desto höher die Wirtschaftlichkeit unserer Methanisie-
                                                                                              rung. Klimaschutz ist wahnsinnig wichtig – die technischen
                             Zwei Schritte sind laut Zell erforderlich, um aus Energieüber-   Möglichkeiten zur CO2-Reduktion sind da. Jetzt muss die
                             schüssen Methan zu machen: „Die elektrische Energie wird         Politik handeln.“ //
                             zunächst genutzt, um in einem elektrolytischen Prozess aus
                             Wasser Wasserstoff zu gewinnen. Anschließend wird dieser
                             zusammen mit Kohlenstoffdioxid in Methan umgewandelt,
                             mithilfe von Mikroorganismen.“

                             Seit 2013 forschen Professorin Zell und ihr Kollege Prof. Dr.
                             Ulrich Hochberg von der Fakultät Maschinenbau und Verfah-
                             renstechnik im Projekt BioMeth an der biologischen Metha-
                             nisierung. Nun möchten sie ihre im Labor entwickelte Power-
                             to-Gas-Technologie im industriellen Maßstab testen. Die dafür
                                                                                                                                                             Foto: Hochschule Offenburg

                             nötige Pilot-Biogasanlage steht in der Käserei Monte Ziego in
                             Teningen, knapp 50 Kilometer südlich von Offenburg. Deren
                             Geschäftsführer Martin Buhl möchte Monte Ziego zu Deutsch-
                             lands erster „Nullenergie-Käserei“ machen. Neben einer Solar-
                             stromanlage hat Buhl 2014 eine Biogasanlage eröffnet, die mit
                             Molke betrieben wird, einem Nebenprodukt der Käseproduk-         Zunächst im Labor in kleinem Maßstab entwickelt:: die Power-
                             tion. „Molke ist sonst kaum zu verwerten, sie lässt sich aber    to-Gas-Technologie (Foto oben); Doktorand Philipp Huber: im
                             hervorragend zu Biogas vergären“, so Martin Buhl.                Biotechnologischen Labor der Hochschule Offenburg
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Foto: Hochschule Mittelhessen

                                Teamwork: Prof. Dr. Dirk Holtmann (r.) und Doktorand Marc Pfitzer auf der Suche nach neuem Anwendungspotenzial von Methanogenen

                                METHANOGENE - MIT CO2 WIRD MEHR
                                DARAUS
                                Ein Projekt, in dem die Technische Hochschule Mittelhessen und die Technische Universität Dresden
                                zusammenarbeiten, kombiniert Biotechnologie und Elektrochemie, um neue Potenziale zu erschließen

                                Eine nachhaltige, bio-basierte Wirt-        – mit 340 000 Euro gefördert – wird          mehrere Pilotanlagen gebaut, unter
                                schaft, „deren vielfältiges Angebot die     von Prof. Dr. Dirk Holtmann vom Gie-         anderem in Dänemark.
                                Welt ausreichend und gesund ernährt         ßener Fachbereich Life Science Engi-
                                sowie mit hochwertigen Produkten            neering geleitet. Es beschäftigt sich        „Zur Produktion von Chemikalien und
                                aus nachwachsenden Rohstoffen ver-          mit der Entwicklung neuer und der            Treibstoffen nutzt die Bioökonomie
                                sorgt“ – dieses Ziel verfolgt die Bun-      Optimierung bestehender Kultivie-            zukünftig nicht nur nachwachsende
                                desregierung mit der „Nationalen For-       rungsprinzipien von Methanogenen,            Rohstoffe, sondern auch regenerative
                                schungsstrategie Bioökonomie 2030“.         methanbildenden Mikroben, die in             elektrische Energiequellen“, erklärt
                                Ein Projekt, an dem die Technische          den weitverbreiteten Biogasanlagen           Dirk Holtmann. „Die Bioelektrosyn-
                                Hochschule Mittelhessen beteiligt           bislang als effiziente Produzenten von       these ist eine ideale Plattform, Prozes-
                                ist, könnte ein Schritt zur Umsetzung       Bio-Methan eingesetzt werden. Hier           se mit hoher Energie- und Rohstoffef-
                                dieser Vision sein. Die Projektpartner      kommen diese Organismen in den na-           fizienz sowie mit hoher Flexibilität zur
                                möchten einerseits den Power-to-            türlichen Lebensgemeinschaften vor.          Pufferung von Stromspitzen zu etab-
                                Gas-Prozess optimieren, zum anderen         Das Team um Dirk Holtmann versucht           lieren. Der Einsatz von CO2 als Rohstoff
                                eine Basis für die industrielle Herstel-    nun, das Anwendungspotenzial von             erweitert die Rohstoffbasis für die
                                lung höherwertiger biotechnologi-           Methanogenen über die Methanpro-             Produktionsprozesse und reduziert
                                scher Produkte schaffen. Ein Beispiel       duktion hinaus zu erweitern.                 gleichzeitig die CO2-Emissionen“, so
                                dafür wäre Isopren, das bei der Her-                                                     der Forscher. Das Ziel in diesem Pro-
                                stellung von Kautschuk eingesetzt           Auf drei Jahre ist das Projekt zur bio-      jekt sei es, nach den drei Jahren neue
                                wird. Aber auch andere Grundstoffe,         logischen Methanisierung angelegt,           Verfahren so weit entwickelt zu ha-
                                die Bestandteile von Terpentin oder         für das Dirk Holtmann mit dem Insti-         ben, dass diese von Unternehmen in
                                von Geruchs- und Geschmacksstoffen          tut für Mikrobiologie der Technischen        Praxisanwendungen getestet werden
                                sind, kommen infrage.                       Universität Dresden zusammenar-              können. Laut Dirk Holtmann besitzt
                                                                            beitet. Weitere Kooperationspartner          die Kombination von Biotechnologie
                                Das gesamte Projekt wird vom Bun-           sind die Universitäten Kiel und Tübin-       und Elektrochemie „sehr großes Po-
                                desministerium für Bildung und For-         gen sowie die Electrochea GmbH. Das          tenzial, einen entscheidenden Beitrag
                                schung (BMBF) im Rahmen der Na-             Münchener Start-up hat ein neuarti-          für die notwendige Sektorenkopplung
                                tionalen Forschungsstrategie mit            ges Verfahren zur Umwandlung des             zu leisten“ – die Vernetzung der Ener-
                                insgesamt zwei Millionen Euro unter-        Klimagases CO2 und elektrischer Ener-        giewirtschaft mit der produzierenden
                                stützt. Das hessische Forschungsteam        gie in Erdgas entwickelt und bereits         Industrie. //
LIFE SCIENCES: LEBENSMITTEL: I DUZ TRANSFER 07/20 I 49

         POLYPHENOLE – ZU WERTVOLL
              ZUM WEGWERFEN
        An der Technischen Hochschule Lübeck wird ein Verfahren entwickelt, das aus Resten der
           Marzipanproduktion Stoffe gewinnt, die von anderen Industrien gebraucht werden

Bei der Herstellung von Marzipan werden Mandelkerne über-        triezweigen Antioxidantien zukünftig am besten eingesetzt
brüht, gehäutet, gemahlen und mit Zucker zu Marzipanroh-         und vermarktet werden können. Für Veronika Hellwig steht
masse verarbeitet. Die Mandelhaut und das Brühwasser, die        fest: „Die Gewinnung von antioxidativen Inhaltsstoffen muss
dabei als Reststoffe anfallen, werden bislang entweder zur       künftig nicht in der Marzipanproduktionsstätte, sondern
Biogasproduktion oder als Futter- und Düngemittel verwen-        kann auch direkt beim Endnutzer wie etwa einer Kosmetikfir-
det. „Doch sowohl in der Mandelhaut als auch im Brühwasser       ma oder einem Arzneimittelhersteller durchgeführt werden.“
stecken noch wertvolle Substanzen, die in der Pharma- oder
Kosmetikindustrie durchaus gefragt sind“, stellt die Lübecker    Dass die bisherigen Abnehmer, insbesondere Biogasanla-
Chemikerin Prof. Dr. Veronika Hellwig fest. Vor allem Polyphe-   genbetreiber, die Reststoffe aus der Marzipanfabrik künftig
nole hat die Wissenschaftlerin dabei im Auge: Die Antioxidan-    vermissen könnten, glaubt die Chemikerin nicht: „Antibak-
tien schützen den menschlichen Körper vor freien Radikalen,      terielle Wirkstoffe sind in der Methanproduktion doch eher
die Körperzellen schädigen. Polyphenole in Gesundheitspro-       kontraproduktiv. Die Polyphenole sind anderswo viel besser
dukten, Kosmetik, Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln          aufgehoben.“ //
sind in der Lage, die aggressiven Sauerstoffverbindungen zu
neutralisieren.

Wie sich Polyphenole und andere wertvolle Stoffe aus Man-
delhaut und Brühwasser gewinnen lassen, erforscht Vero-
nika Hellwig seit 2015 im Projekt VEREMA der Technischen
Hochschule (TH) Lübeck. VEREMA steht für Verwertung von
Reststoffen aus der Marzipanproduktion. Im Labor für Instru-
mentelle Analytik der TH wurden aus der Mandelhaut und
dem Brühwasser einer Lübecker Marzipanfabrik zunächst Ge-
mische aus mehreren Hundert Einzelsubstanzen gewonnen.
Anschließend wurden die Extrakte in ihre Einzelsubstanzen
aufgetrennt und auf ihr Verwertungspotenzial hin getestet.

„Bei dem Verfahren, das wir entwickeln, ist es wichtig, dass
                                                                                                                                   Foto: TH Lübeck
 die stoffliche Zusammensetzung der Reststoffe auch reprodu-
 zierbar ist. Und es muss auch dann funktionieren, wenn Frak-
 tionen verschiedener Hersteller zusammenkommen“, erklärt
 Veronika Hellwig. Außerdem dürfe der Produktionsprozess
 nicht gestört werden. Und wenn möglich sollte das Verfahren
 auf andere Produktionsprozesse der Lebensmittelindustrie
 übertragbar sein. „Bei Trester zum Beispiel könnte es auch
 funktionieren“, so die Forscherin.

Im Rahmen der Förderlinie Ingenieurnachwuchs des Pro-
gramms Forschung an Fachhochschulen wird das Projekt
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter-
stützt. Eine tragende Säule von Verema nämlich ist die Pro-
motion der jungen Chemikerin Johanna Gasser (siehe Porträt
Seite 45). Mit Gassers Dissertation in diesem Sommer ist das
Kapitel Reststoff-Analyse für die Marzipanindustrie abge-
schlossen. Hellwig: „Wir haben erreicht, was wir wollten. Wir
wissen jetzt, welche Stoffe sich finden lassen, wofür sie gut
                                                                                                                                  Foto: TH Lübeck

sind und ab wann sich das Verfahren wirtschaftlich rechnet.“

Nachdem Hellwig und ihr Team die Wirksamkeit der gefun-
denen Substanzen ermittelt hatten, erstellten sie ein wirt-      Im Labor: die Chemikerin Prof. Dr. Veronika Hellwig (oben) und
schaftliches Konzept, aus dem hervorgeht, in welchen Indus-      Doktorandin Johanna Gasser
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