DUZ TRANSFER - Lebenswichtige Life Sciences - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN - Hochschulallianz für den Mittelstand
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36 I 07/20 DUZ TRANSFER I EDITORIAL EDITORIAL Die Corona-Pandemie ist für Gesellschaft und Politik eine enorme Herausforderung. Dabei erhält die Forschung und Entwicklung im Bereich der Life Sciences in den ers- ten Monaten der Krise eine besondere Aufmerksamkeit. Natürlich steht und stand die Entwicklung eines Impfstoffs an virologischen und biotechnologischen Instituten und Fachbereichen im medialen Fokus. Es wird aber zunehmend deutlich, dass die anwen- dungsorientierte Forschung und der Technologietransfer der Hochschulen für ange- Foto: Tim David Müller-Zitzke wandte Wissenschaften gemeinsam mit der regionalen Wirtschaft parallel zur Impf- stoffentwicklung im Rahmen der Pandemiebekämpfung hinaus einen essenziellen Beitrag leisten. Die vorliegende Ausgabe von DUZ Transfer gibt Ihnen Einblicke in die Vielfalt der Life Sciences. Prof. Dr. Christiane Zell zeigt im Interview den Wandel des Lehr- und For- Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff schungsgebiets auf – von einer beschreibenden hin zu einer gestaltenden und nutzen- Der Rektor der Hochschule den Rolle. Auch die immer größere wirtschaftliche Bedeutung der Life Sciences führt Bremerhaven hat zum 1. März 2020 den Vorstandsvorsitz der dazu, dass Hochschulen die Biotechnologie und andere Lebenswissenschaften ausbau- Hochschulallianz für den en. Durch weitere Beiträge in dieser Ausgabe wird deutlich, dass vor allem durch die Mittelstand übernommen. fachübergreifende Zusammenarbeit neue Potenziale erschlossen werden. So werden unter anderem Biotechnologie und Elektrochemie kombiniert, um ein neues Verfahren zur Umwandlung von CO2 und elektrischer Energie in Erdgas zu entwickeln. Die Life Sciences bieten auf vielfältige Weise Lösungen für viele globale Herausforderungen. Angesichts der globalen Aufgaben freue ich mich, dass die Hochschulallianz für den Mittelstand sich als neuer Partner im europäischen informellen Netzwerk der Hoch- schulverbände für angewandte Wissenschaften UAS4EUROPE nun auch in Brüssel da- für einsetzt, die Sichtbarkeit und Bedeutung der Hochschulen für angewandte Wissen- schaften für die Europäische Forschungslandschaft zu unterstreichen. Schließlich wird bereits viel auf internationaler Ebene auch im Bereich der Life Sciences bewirkt, wie Sie in dieser Ausgabe selbst feststellen können. Ich wünsche Ihnen spannende Impulse. Bleiben Sie gesund! Ihr Peter Ritzenhoff INHALT 37 „ES MUSS SEHR VIEL MEHR 42 LEGIONELLEN AUF DER SPUR 47 AUS MOLKE BIOGAS GEWINNEN PASSIEREN“ Wasserhygiene: Hochschule Gasgewinnung: Hochschule Offenburg Die Lebenswissenschaften könnten Bremerhaven ihr Potenzial noch sehr viel besser 48 METHANOGENE – MIT CO2 WIRD entfalten, wenn Deutschland weitaus 44 HYGIENISCH SICHERE SCHALTER MEHR DARAUS mehr in die informationstechnolo- Oberflächendesinfektion: Energiegewinnung: TH Mittelhessen gische Infrastruktur investieren TH Lübeck würde, sagt Alfred Pühler, einer der 49 POLYPHENOLE – ZU WERTVOLL Pioniere der Gen- und Biotechnologie 45 FORSCHUNGSTALENT IN DER ZUM WEGWERFEN MARZIPANSTADT Lebensmittel: TH Lübeck 40 „LIFE SCIENCES VERÄNDERN Johanna Gasser: TH Lübeck DIE WELT“ 50 PHOSPHOR AUS KLÄRSCHLAMM Für die Offenburger Biotechnologiepro- 46 VON DER IDEE BIS ZUM Rohstoffrückgewinnung: fessorin Christiane Zell haben Lebens- KLINIKEINSATZ TH Mittelhessen wissenschaften die gleiche transforma- Medizintechnik: Hochschule 51 HAFM: UAS4EUROPE-MITGLIED tive Kraft wie die Digitalisierung Hamm-Lippstadt 52 IMPRESSUM
XXXXXXXXX I DUZ TRANSFER 07/20 I 37 „ES MUSS SEHR VIEL MEHR PASSIEREN“ Die Lebenswissenschaften in Deutschland brauchen eine moderne informationstechnologische Infrastruktur, um ihr Potenzial besser ausschöpfen zu können, fordert Leopoldina-Mitglied Alfred Pühler INTERVIEW: VERONIKA RENKES Der erste „Zukunftsreport Wissenschaft“, den die Nationa- den Ausbau wissensintensiver Dienstleistungen und innova- le Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlich- tiver forschungsbasierter Industriezweige.“ Allerdings kamen te, war den „Lebenswissenschaften im Umbruch“ gewidmet. die Experten zu einer ernüchternden Diagnose: „Deutschland Das 2014 erschienene Papier strich die Bedeutung der Le- ist auf die rasanten Entwicklungen rund um die Omics-Tech- benswissenschaften als Leitdisziplin des 21. Jahrhunderts nologien weder in technologischer noch informationstechni- heraus: „Wie auch andere Wissenschaftsbereiche verän- scher Hinsicht ausreichend vorbereitet.“ Eine Maßnahme, die dern sich derzeit die Lebenswissenschaften – dazu gehö- hier Abhilfe schaffen soll, ist der Aufbau von de.NBI. Das seit ren Biologie, Biochemie, Gentechnologie, Ernährungswis- 2015 vom Bundesforschungsministerium geförderte Deut- senschaften, Medizin und Pharmazie – dramatisch durch sche Netzwerk für Bioinformatik-Infrastruktur stellt allen den Einsatz neuer Technologien. Mithilfe bioanalytischer Forschenden in den Lebenswissenschaften eine Infrastruktur Hochdurchsatzverfahren, sogenannter Omics-Technologien zur Verfügung, die die Analyse umfangreicher Datenmengen wie Genomics, Transcriptomics, Proteomics oder Metabo- mit Bioinformatik erleichtert. lomics können in kurzer Zeit riesige Datenmengen über Le- bensprozesse gewonnen werden. Daraus erhofft man sich Herr Professor Pühler, warum benötigen wir ein solches weitreichende Erkenntnisse über Ursachen von Erkrankungen Netzwerk für die Lebenswissenschaften wie de.NBI? und darauf aufbauend die Entwicklung zielgerichteter Thera- Die Lebenswissenschaften ermöglichen mithilfe der Omics- pien, neue Einsichten zur gesunden Ernährung oder Innovati- Technologien, dass wir das zelluläre Geschehen zum Beispiel onen in der Biotechnologie und Bioökonomie. Diese Technolo- bei Krebs insgesamt umfassender und detaillierter verste- gien bieten auch ein großes Wertschöpfungspotenzial, durch hen. Man geht in den Lebenswissenschaften vom isolierten
38 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: HINTERGRUND Blick einer Disziplin zu einem längst fälligen Gesamt- blick über. Dieser umfassende Blick ist überall da notwendig, wo Zellen eine wichtige Rolle einnehmen und wo die Wissenschaft anwendungsorientiert der Bevölkerung Rede und Antwort stehen muss. Dazu zählen: Die Landwirtschaft, wo die Züchtung heute ohne Omics-Technologien nicht mehr auskommt. Die Biotechnologie, wo man auf Omics-Daten aufbauend Produktionsorganismen entwickelt. Die Medizin, wo man mit Omics-Technologien analysiert, was in einem Zellgewebe schief-läuft. Das führt hin bis zur personalisierten Medizin, wo die Omics-Technologien es ermöglichen, für eine spezifische Erkrankung passende Medikamente zu entwickeln. 2014 stellte die Leopoldina im „Zukunftsreport Wis- senschaft“ fest, dass Deutschland bei den Omics- Technologien hinterherhinkt. Und heute? Der Report wies auf zwei Schwachstellen hin, die immer noch aktuell sind: Die Omics-Technologien stehen nicht flächendeckend zur Verfügung und vor allem auch nicht die Auswertung der erzeug- ten Daten. Aber beides ist für die Forschung in den Lebenswissenschaften essenziell: Denn um Omics- Technologien zu nutzen, braucht man kosteninten- sive Instrumente, die sich viele Hochschulen nicht leisten können. Deshalb muss man Zentren bilden, die Omics-Technologien für diejenigen zugänglich machen, die über solche Analyseinstrumente und -methoden nicht verfügen. Heute, sechs Jahre nach Erscheinen des Zukunftsreports, muss man konsta- tieren: Die Omics-Technologien wurden nicht so ge- fördert, wie es notwendig wäre. Das, was letztendlich initiiert werden konnte, verlief sehr zäh. So dauerte es mehrere Jahre, bis die Deutsche Forschungsge- meinschaft Sequenzier-Zentren in Kiel, Dresden, Köln und Tübingen geschaffen hat. Denn das gewichtige Gegenargument des Bundesforschungsministeriums zu dieser zentralen Forderung der Leopoldina lautete: „Diese Technologie ist doch bereits in vielen anderen Ländern angesiedelt und wird außerdem von Indus- trieunternehmenangeboten. Nutzt doch das Angebot dieser Industrieunternehmen.“ Eine Folge davon: Die- se vier Zentren sind unterfinanziert und sollen jetzt in die große Humansequenzierung einsteigen. Mein Fazit: Es muss in Deutschland sehr viel mehr passie- ren, um den Anschluss an andere Länder zu finden. Warum sind bundes- und europaweite Netzwerke effektiver als Insellösungen? Der Zugang zu Forschungsinfrastrukturen ist bei Insellösungen vielen Forschern verschlossen, nur handverlesene Wissenschaftler profitieren davon. Um die Lebenswissenschaften voranzubringen, benötigen wir aber Netzwerke, die möglichst viele Wissenschaft- ler bis hin zum Nachwuchs nutzen können. Zudem kann man verteilte Netze dynamischer gestalten. So
LIFE SCIENCES: HINTERGRUND I DUZ TRANSFER 07/20 I 39 vereinen wir unter dem Dach von de.NBI zurzeit insgesamt de.NBI-Cloud haben wir das hierzulande vorhandene akade- 40 Projekte, die in acht Servicezentren mit unterschiedlichen mische Cloud-Wissen zusammengebunden und die de.NBI- Schwerpunkten zusammengefasst sind. Die Zentren stellen Cloud als verteilte Struktur an sechs Standorten errichtet. Die dem Netzwerk ihre Softwarelösungen und Tools zur Verfü- de.NBI-Cloud ist auf bioinformatische Analysen ausgerichtet gung und beraten Forscherinnen und Forscher, mit welchem und wird zentral gesteuert. Da sie als Infrastruktur konzipiert Tools sie arbeiten sollten, wie man diese anwendet, was man ist, steht sie nicht nur de.NBI-Mitgliedern, sondern allen For- mit den Ergebnissen machen kann und welche Daten sich für schenden aus den Lebenswissenschaften zur Analyse ihrer eine Analyse eignen. Die Tools sind so konstruiert, dass sie Daten zur Verfügung. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Nutzer leicht anwendbar sind und auch von Forschern genutzt wer- Diplomand, Doktorand, Postdoc oder Professor ist. den können, die keine Kenntnisse in Bioinformatik mitbrin- gen. Zudem bieten wir passende Trainingskurse an. Warum ist eine solche Infrastruktur im Bereich der Lebenswissenschaften wichtig für den Standort Deutschland? Warum ist es wichtig, dass diese Datenkompetenz bei den Die durch das de.NBI-Netzwerk etablierte Infrastruktur funk- staatlichen Hochschulen und Forschungsinstitutionen tioniert auch bei Krisen sofort. So konnte sich de.NBI umge- liegt und nicht allein in Unternehmen? hend an der Auswertung von COVID-19-Forschungsdaten be- Die Erkenntnisse auf diesem Gebiet müssen von den Forsche- teiligen. Eine Umfrage im de.NBI-Netzwerk hat ergeben, dass rinnen und Forschern der Lebenswissenschaften weiterge- de.NBI an nahezu 30 COVID-19-Forschungsprojekten beteiligt trieben werden. Über die Omics-Technologien erhält man ist. Die vom de.NBI-Netzwerk bearbeiteten Forschungspro- riesige Datenmengen, mit denen man so nichts anfangen jekte decken das gesamte Spektrum der Corona-Forschung kann, auch als Big-Data-Problem bekannt. Diese Datenmen- ab. Die beteiligten infektiösen Viren werden z. B. einer gen müssen von den Programmen aufgearbeitet werden, um Sequenzanalyse unterzogen und Modelle für die zukünftige zu validen Ergebnissen zu gelangen. Die Wissenschaftler sind Ausbreitung entworfen. Weiterhin werden Wechselwirkungen darauf angewiesen, damit sie ihre Forschung vorantreiben der infektiösen Viren mit menschlichem Gewebe studiert können, wie bei den aktuellen Covid-19-Erkrankungen: So und auftretende Krankheitsverläufe untersucht. Ein weiterer kann man aus einer Speichelprobe das Virusgenom sequen- Schwerpunkt ist die Medikamentenentwicklung. Zur Ana- zieren, womit man die Signatur und damit Stellen im Virus- lyse von COVID-19-Forschungsdaten nutzt das Netzwerk die genome mit Mutationen erfasst. Danach prüft man, ob solche erprobten de.NBI-Computerprogramme und greift vor allem Mutationen bereits in anderen Virusgenomen gefunden wur- auf die angebotene Rechnerstruktur der de.NBI-Cloud zurück. den. Aus einer solchen Analyse lassen sich Aussagen über die Das de.NBI-Netzwerk hat durch seine Beiträge zur Corona- Verbreitung von Viren ableiten. Nehmen wir als jüngstes Bei- Forschung nachgewiesen, dass die etablierte Infrastruktur als spiel den Corona-Ausbruch in Gütersloh, wo behauptet wurde, schnelle Eingreiftruppe zur Analyse von großen Datenmen- „die Viren, die man bei Tönnies gefunden hat, kommen aus gen in den Lebenswissenschaften zur Verfügung steht. // Bulgarien und Rumänien“. Mittels einer Signaturanalyse lässt sich eine solche Hypothese leicht überprüfen. Und die Rolle der Unternehmen? Es gibt Unternehmen, die Sequenzierdienste anbieten, PROF. DR. ALFRED PÜHLER allerdings ohne eine Analyse der erstellten Sequenzdaten. Forschende können mit reinen Sequenzdaten meist wenig gilt als einer der Pionie- anfangen und brauchen zur Analyse der Daten bioinformati- re der modernen Gen- sche Unterstützung, zum Beispiel durch das de.NBI-Netzwerk, technik, Biotechnologie welches spezielle Expertise für die gesamten Lebenswissen- und Genomforschung. Foto: Universität Bielefeld schaften bereit hält. Einzelne Unternehmen können dies So war er maßgeblich an nicht leisten. der Entschlüsselung der Brauchen Sie zur Auswertung solcher Datenmengen aber Genomsequenz mehrerer nicht Supercomputer-Ressourcen, wie sie etwa das Mikroorganismen beteiligt. Forschungszentrum Jülich vorhält? 1979 wurde Pühler auf den Supercomputer erweisen sich für viele Naturwissenschaften Lehrstuhl für Genetik an die Universität Bielefeld berufen, als unumgänglich. Für die Lebenswissenschaften mit vielen wo er bis 2008 tätig war. Nach seiner Pensionierung wech- unterschiedlichen Analyseansätzen sind jedoch andere selte er als Senior Research Professor an das Center for Rechnerstrukturen vorteilhafter. Das de.NBI-Netzwerk hat Biotechnology der Uni Bielefeld, das er mit aufgebaut hat. deshalb eine eigene Rechnerstruktur auf Cloud-Basis einge- Zudem ist er Koordinator des vom BMBF seit 2015 geför- richtet. Diese neu eingerichtete de.NBI-Cloud hat den Vorteil, derten Deutschen Netzwerks für Bioinformatik-Infrastruk- dass sie komplett vom de.NBI-Projekt getragen wird und tur – de. NBI und Mitglied der Leopoldina. damit sicherstellt, dass die gerechneten Forschungsdaten in Deutschland gehalten werden können. Zur Etablierung der
40 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: POTENZIALE „LIFE SCIENCES VERÄNDERN DIE WELT“ Für die Offenburger Wissenschaftlerin Christiane Zell haben Lebenswissenschaften die gleiche transformative Kraft wie die Digitalisierung. Was Hochschulen für angewandte Wissenschaften zum Wandel beitragen können, erklärt sie im Interview INTERVIEW: RAINER DETTMAR Frau Professorin Zell, Sie lehren Biologie, Bioinformatik, technologie, ist eine Schlüsseltechnologie. Die sprung- Biotechnik sowie Biologische Verfahren an der Fakultät haften Fortschritte im Verständnis biologischer Prozesse Maschinenbau und Verfahrenstechnik der Hochschule schaffen ganz neue Einsatzgebiete und Gestaltungsmög- Offenburg. Was macht Ihr Fach, die Biotechnologie, zu lichkeiten. Man denke an Geneditierungsverfahren wie einem spannenden Studien- und Forschungsgebiet? die Genschere CRISPR/Cas in Kombination mit modernen Die faszinierenden Inhalte. Man lernt zu verstehen, was Analyse- und Datenauswertungsmethoden. Es gibt ganz das Leben und die Lebewesen ausmacht, wie sie mit und neue Chancen zur Gestaltung biologischer Prozesse und in ihrer Umwelt agieren. Und man lernt, wie man dieses zur Bewältigung globaler Herausforderungen. Die Life Wissen nutzen kann, um zum Beispiel umweltschonen- Sciences besitzen eine ähnlich transformative Kraft wie der zu produzieren oder Medikamente zu entwickeln. die Digitalisierung. Für Deutschland als Hochtechnolo- Biotech-nologie ist Zukunftstechnologie. Sie hat eine giestandort sind sie von elementarer Bedeutung, denn sie zentrale Bedeutung für nachhaltige Produktion, für die stärken die Wettbewerbsfähigkeit und schaffen Arbeits- Gesundheit und die Ernährung einer wachsenden Welt- plätze. Sie sind ein Wachstums- und Wirtschaftsmotor. bevölkerung.Schon das Studium ist sehr spannend. Es gibt viele anwendungsbezogene Praktika, Kleingruppen Welche Forschungsfragen stellen sich an Fachhochschu- im Labor, Projektarbeit mit industriellen Partnern. Letzte len und Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Woche sagte mir ein Student im Biotechnik-Praktikum: der Corona-Pandemie? Es ist spannend, dass das theoretisch Gelernte wirklich In den ersten Monaten der Pandemie fand Forschung funktioniert – das Einklonieren eines Gens in ein Bakte- eher dort statt, wo ohnehin an entsprechenden The- rium oder der Nachweis von Mikroorganismen durch PCR men geforscht wird, also an virologischen Instituten (englisch: Polymerase Chain Reaction, deutsch Polymera- oder dort, wo diagnostische Tests hergestellt wurden. se-Kettenreaktion). Doch mit einiger Verzögerung werden sich viele weitere Forschungsgruppen mit dem Thema Covid-19 befassen. Worin besteht die Bedeutung der Lebenswissenschaften Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben aber für unsere heutige Welt – für Wissenschaft, Wirtschaft, schon vorher zu Methoden geforscht und gelehrt, die Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen? sich jetzt im Kontext der Corona-Krise einsetzen las- Es gibt zentrale gesellschaftliche Herausforderungen wie sen. Man muss nur den Forschungsschwerpunkt etwas die wachsende Weltbevölkerung und den entsprechend ändern. Ein schönes Beispiel habe ich kürzlich im Podcast zunehmenden Bedarf an Energie und Nahrungsmitteln, „Coronavirus-Update“ von Prof. Dr. Christian Drosten die umwelt- und klimaschonend produziert werden gehört. Die Methoden, die er im Zusammenhang mit einer müssen. Die neuen Möglichkeiten der Life Sciences topaktuellen Corona-Studie nannte, kennen unsere Bio- beziehungsweise der Biotechnologie liefern Grundlagen technologie-Studierenden bereits aus Vorlesungen und für eine nachhaltige Produktion und den Übergang von Praktika. Natürlich nicht die Forschungsinhalte selbst, erdöl- zu biobasierten Verfahren. Die Gesundheitsversor- aber die Methoden: PCR- und Antikörpertests gehören gung einer alternden Gesellschaft ist eine große Aufgabe. bei uns ebenso zum Standard-Studienprogramm wie die Hier schaffen Life Sciences Grundlagen für eine immer Herstellung komplementärer DNA oder das Einbringen stärker wissensbasierte und individualisierte Medizin der Information für das grün fluoreszierende Protein und eine erfolgreiche Prävention. Mein Fach, die Bio- in Plasmid-DNA von Bakterien und das anschließende
LIFE SCIENCES: POTENZIALE I DUZ TRANSFER 07/20 I 41 Foto: Hochschule Offenburg „Life Sciences verändern die Welt“, davon ist Prof. Dr. Christiane Zell überzeugt Exprimieren dieser DNA. In der von Christian Drosten be- Energiewende. Das Forschungsprojekt EBIPREP zur Her- schriebenen Studie kamen solche Methoden zum Einsatz, stellung von Wertstoffen aus Holzhackschnitzeln ist ein um genetisch veränderte Coronaviren herzustellen, die Schritt zur Bioökonomie. Auch die Entwicklung bioba- nach Infektion menschlicher Zellen eine grüne Fluores- sierter und biologisch abbaubarer Kunststoffe oder die zenz verursachen. So konnte man feststellen, in welchen Herstellung von Ersatzgewebe im 3D-Druck fallen mir in Geweben sich Coronaviren gut vermehren – vor allem die diesem Zusammenhang ein. Nasenschleimhaut scheint sehr empfänglich zu sein. Wie gut sind die Life Sciences an Fachhochschulen und Wo ist lebenswissenschaftliche Forschung besonders Hochschulen für angewandte Wissenschaften aufge- relevant? stellt? Life Sciences verändern die Welt. Das sieht man in der Unsere Hochschulen zeichnen sich ja durch ihren Anwen- Medizin: Die biologischen Daten aus modernen Hoch- dungsbezug aus. Die Lebenswissenschaften haben sich durchsatzverfahren und zunehmend auch durch Künst- extrem gewandelt – von einer beschreibenden hin zu ei- liche Intelligenz unterstützte Auswertungsverfahren ner gestaltenden und nutzenden Rolle. Ihre immer größe- ermöglichen ein immer besseres Verständnis von Krank- re wirtschaftliche Bedeutung führt dazu, dass Hochschu- heit beziehungsweise Gesundheit und sind Basis für neue len die Biotechnologie und andere Lebenswissenschaften Medikamente und individualisierte Therapien. Moderne ausbauen. Die Hochschule Offenburg zum Beispiel hat diagnostische Verfahren und Auswertungsmethoden den Ausbau der Life Sciences als strategisches Ziel fest- ermöglichen sowohl die Identifizierung eines mit einer gelegt und bietet neben Medizintechnik und Biomechanik Krankheit in Zusammenhang stehenden Gens als auch die seit zwei Jahren einen Bachelor- und einen internationa- genaue Ermittlung der Wirksamkeit eines Medikaments. len kooperativen Masterstudiengang im Bereich Biotech- Das erspart auch unnötige Therapien: Bei einer präzisen nologie an. Gleichzeitig werden Forschungsfelder in den Diagnose werden nur jene Menschen behandelt, die von Life Sciences aus- und aufgebaut. einer Behandlung auch profitieren. So werden bestimmte Medikamente heute nur nach Diagnose des tatsächlich Können Sie interessante Anwendungen nennen, die in behandelbaren Subtyps von Brustkrebs eingesetzt. Ein Kooperation mit der Industrie entwickelt wurden? anderes Beispiel: Man kann mit modernen biotechnolo- Hochinteressant finde ich die Charakterisierung von gischen Tests feststellen, wie schnell bestimmte Medika- Tumorzellen, um sie mit zielgerichteten Therapien zu mentengruppen wie Antidepressiva, Herzrhythmusme- behandeln. An einer solchen Thematik haben wir in dikamente oder Bluthochdruckmittel verstoffwechselt einem Kooperationsprojekt mit dem Institut für Mikro- werden. So lassen sich Dosen genauer bestimmen und systemtechnik IMTEK der Universität Freiburg und drei Nebenwirkungen reduzieren. In Deutschland allein ster- Partnerunternehmen gearbeitet. Mit mehreren lebens- ben laut der Firma Roche jährlich 16 000 Menschen an mittelverarbeitenden Betrieben in der Region überlegen Medikamentennebenwirkungen. wir, wie industrielle Abfallstoffe für die Produktion von Wertstoffen oder Bio-energie genutzt werden können, Die Life Sciences können aber auch für viele andere glo- statt sie aufwendig zu entsorgen. Mit anderen regionalen bale Herausforderungen Lösungen bieten: Unser Projekt Herstellern wiederum arbeiten wir an der Entwicklung BioMeth (siehe Bericht Seite 47) etwa ist ein Beitrag zur diagnostischer Kits für die Medizin. //
42 I 07/20 DUZ TRANSFER I XXXXXX LEGIONELLEN AUF DER SPUR Mit einem Schnelltest will Biotechnologieexperte Carsten Harms von der Hochschule Bremerhaven ein Problem der Wasserhygiene bekämpfen Die mikrobielle Verunreinigung von Trink- und Prozesswasser WENIGER ENERGIE, WENIGER CHEMIE rückt immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Vor allem Legionellen stellen eine Gefahr dar. Der Temperaturbereich, „Die konventionelle Wasserhygiene beruht zum einen auf ei- in dem sie wachsen – 20 bis 50 Grad Celsius, optimal 35 bis 46 ner thermischen Hygienisierung und zum anderen auf einer Grad – erhöht das Risiko ihres Vorkommens in öffentlichen chemischen Reinigung der Rohrleitungen, um eingetragene und industriellen Kläranlagen sowie in Verdunstungskühl- Mikroorganismen am Wachstum zu hindern oder abzutö- anlagen, Kühltürmen oder Nassabscheidern von Prozesswas- ten“, erklärt Carsten Harms. Durch eine schnelle, sensitive ser. Dem Legionellen-Problem widmet sich ein Projekt von und quantitative Analysemethode könnten die Systemtem- Prof. Dr. Carsten Harms, der an der Hochschule Bremer- peratur abgesenkt und Chemikalien bedarfsgerechter ein- haven Biotechnologie und Angewandte Molekulargenetik gesetzt werden. Im Arbeitsblatt W 551 des Deutschen Vereins lehrt. Der Leiter des Bremerhavener Institute for Applied des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) werden die seit 2004 Molecular Biology (BIAMOL) und des Bioanalytik-Labors notwendigen technischen Maßnahmen und Schutzvorkeh- der Hochschule Bremerhaven entwickelt ein Schnell- rungen in Trinkwasser-Installationen beschrieben. Seit De- nachweissystem für die Bakterienanalyse in Trink- und zember 2012 ist zudem eine alle drei Jahre wiederkehrende Prozesswasser, das von der BIS Bremerhaven gefördert Legionenellenprüfung für alle öffentlichen Einrichtungen wird. Seine Methodik beschreibt Carsten Harms als „Kom- und Mehrfamilienhäuser vorgeschrieben, die Durchfluss- bination aus Anreicherung der gefährlichen Bakterien Trinkwassererwärmer besitzen. Allein mehr als zwei Millio- durch funktionalisierte Kügelchen, sogenannte Beads, mit nen Mehrfamilienhäuser fallen darunter. der Anbindung an fluoreszenzmarkierte Biomoleküle und der fluoreszenzoptischen Detektion mittels Durchfluss- Im Juli 2017 reagierte der Gesetzgeber mit einer Neufassung zytometrie“. Der Schnellnachweis soll der erste Schritt zu der „42. Bundesimmissionsschutzverordnung zu Legionellen einer Quantifizierung bakterieller Krankheitserreger in in Verdunstungskühlanlagen“ auf die Gefahr durch Verduns- Trink- und Prozesswasser sein und wird nach den beste- tungskühlanlagen, Kühltürme und Nassabscheider (Pro- henden Richtlinien zur Untersuchung von Trinkwasser mit zesswasser). Diese müssen nun alle drei Monate auf Legio- Einhaltung der Grenzwerte entwickelt. Kooperationspart- nellenbefall untersucht werden. Prozesswassersysteme sind ner ist die Bremer Firma OLS OMNI Life Science. in vielen Industriezweigen in großer Menge zu finden: in der
LIFE SCIENCES: WASSERHYGIENE I DUZ TRANSFER 07/20 I 43 Lebensmittel-, Recycling- und Papierindustrie ebenso wie in Durchflusszytometrie spezifisch und zeiteffizient analysiert großen Kühlanlagen. Oft sind sie in offenen Kreisläufen im werden. Das Ergebnis sind quantitative Informationen über Einsatz, sodass sich stetig kleinste Wassertröpfchen (Aero- jede einzelne analysierte Zelle. Zudem könne eine „Lebend- sole) bilden können – Bakterien inklusive. tot-Differenzierung durch Fluoreszenzfärbung“ durchge- führt werden. So könnten nicht nur Fragen nach der Ge- „Legionellen sind ein natürlicher Bestandteil des Wassers samtkontamination von Wasser mit lebenden und toten und gelangen aus den Quellen der Trinkwasserversorgung Bakterien beantwortet werden. Basierend auf der Vermeh- in die Leitungsnetze“, erläutert Carsten Harms. „Sie gefähr- rung lebender Bakterien könnten auch differenzierte Aus- den den Menschen nicht durch Trinken, sondern durch Ae- wertungen vorgenommen werden. rosole, die zum Beispiel beim Duschen eingeatmet werden.“ In Warmwasserkreisläufen ist die Gefahr der exponentiellen Auch bei kommunalen Wasserversorgern erkennt Carsten Ausbreitung von Mikroorganismen besonders hoch – und Harms enormes Einsparpotenzial: „Alle diese Versorger ha- damit auch das Risiko für Angestellte durch die Übertragung ben mehrmals wöchentlich Vorfälle durch defekte Leitun- pathogener Bakterien in Aerosolen. Auch bei gesunden Men- gen. In der Regel wird nach der Reparatur so lange gespült, schen können sie zu Legionellose führen, einer schweren bis die mikrobiologische Untersuchung mit negativem Er- Lungenentzündung, die bisweilen tödlich verläuft. gebnis vorliegt“, so der Biologe. Ein sicherer Schnelltest wäre also auch hier sehr ressourcenschonend. // DIE LANGE SUCHE NACH DER QUELLE Normalerweise wird das Legionellenwachstum bei Tempe- raturen oberhalb von 55 Grad Celsius gehemmt. Ab 60 Grad kommt es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts zum Ab- sterben. Allerdings können sich Legionellen in natürlichen Wirten wie Amöben recht gut gegen Desinfektionsmaßnah- men und ungünstige Umwelteinflüsse schützen. Zudem sind sie in der Lage, längere Phasen im VNBC-Zustand zu überste- hen: „viable but nonculturable“ (lebensfähig, aber nicht kul- tivierbar). In dieser Art Ruhezustand können sie nur schwer mikrobiologisch nachgewiesen werden, sind aber weiterhin eine Gefahr. „Eine kontinuierliche Überwachung speziell der Anlagen, die zu einer massiven Verbreitung von Legionellen führen können, ein sogenanntes Online-Monitoring, ist aktuell zu aufwendig“, erklärt Carsten Harms. „Die mikrobiologische Analyse auf Legionella pneumophila dauert bis zu zwölf Tage.“ Auch sei sie zu teuer, um flächendeckend eingesetzt zu werden. Rund zehn Monate dauerte es, bis das Klärwerk einer Papierfabrik in Düren 2018 für stark erhöhte Legionel- lenwerte in der Ruhr verantwortlich gemacht werden konn- te. Die Quellen für Legionellen-Ausbrüche in Bremen 2016 und Jülich 2014 wurden nie gefunden. „Durch ein einfaches, kostengünstiges und schnelles Online-Monitoring würde die aufwendige Suche nach Infektionsherden entfallen“, sagt Carsten Harms. Statt umweltbelastender Biozidbehandlung oder energieaufwendigem periodischem Erhitzen auf über 60 Grad Celsius – in Österreich sogar 65 – könne „bei aufkei- Fotos: Hochschule Bremerhaven mender Belastung“ direkt gegengesteuert werden. SCHNELLES WISSEN ÜBER JEDE ZELLE Die Idee des Bremerhavener Forschers: Durch Kombination einer Anbindung an die bakterienspezifischen Biomoleküle und die Größendetektion der dazugehörigen Beads sowie der Wasserhygiene: Prof. Dr. Carsten Harms entwickelt einen Schnell- fluoreszenzoptischen Detektion sollen die Bakterien mittels test für die Bakterienanalyse in Trink- und Prozesswasser
44 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: OBERFLÄCHENDESINFEKTION HYGIENISCH SICHERE SCHALTER, GRIFFE, TASTEN – EIN TRAUM! Mikrobiologen der Technischen Hochschule Lübeck und der Medizintechnikhersteller Dräger arbeiten an Oberflächen, die Krankheitserregern keine Chance zum Anhaften geben auf einer Fläche von wenigen Quadrat- seine Abschlussarbeit im Studiengang zentimetern Tausende von Bakterien Angewandte Chemie kontaminierte sitzen können, die auch mal bis zu ei- er standardisiert Testoberflächen mit nem halben Jahr lebensfähig bleiben, multiresistenten Bakterien und ermit- dann erscheint aus hygienischer Sicht telte am Ende der Testzeit die Anzahl schon der Schalter eines medizini- der überlebenden Bakterien auf diesen schen Gerätes im Krankenhaus als po- Oberflächen. Für das mehrmonatige tenziell lebensbedrohlich“, so die Fach- Projekt arbeitete Wippermann mit der ärztin für Medizinische Mikrobiologie. Drägerwerk AG & Co. KGaA zusammen. Hersteller von Medizingeräten wie die Ließ sich bereits eine wirksame Ober- Lübecker Firma Dräger wissen um die fläche finden? „Wir sind sicherlich Gefahr und richten ihr Augenmerk des- auf dem richtigen Weg“, sagt Dagmar halb seit Langem auf „Hygienic Design“: Willkomm. „Man darf aber nicht ver- Geräte sollen so gebaut und gestaltet gessen, dass eine solche Oberfläche sein, dass sie Bakterien und Viren mög- nicht nur wirksam sein muss, sondern lichst wenig Anhaftungsbereiche bie- Fotos: TH Lübeck auch bezahlbar und alltagstauglich. ten und sich zudem gut reinigen und Das ist so ähnlich wie bei Leitstruktu- desinfizieren lassen. Raue Oberflächen, ren in der pharmazeutischen Industrie: schlecht zu reinigende Nischen und Bis ein marktfähiges Produkt daraus Prof. Dr. Dagmar Willkomm: Mikrobiologin scharfe Ecken sind in der Gestaltung wird, ist noch eine Menge Entwick- tabu. Eine neuere Entwicklung ist es lungsarbeit erforderlich.“ Fest stehe Die Übertragung von Infektionser- auch, Oberflächen so zu beschichten, jedenfalls, dass von einem solchen Ko- regern durch Kontakt mit kontami- dass sie die Anhaftung von Bakterien operationsprojekt alle Mitwirkenden nierten Oberflächen ist ein wichtiges erst gar nicht zulassen oder, besser profitieren. „Wir bringen hier unsere Thema im Gesundheitswesen – nicht noch, Bakterien abtöten. Viele Firmen Kompetenzen aus ganz unterschiedli- erst seit Covid-19. Durch Berühren, Be- versuchen aktuell solche „mikrobizi- chen Bereichen zusammen: das mikro- husten, Beniesen, Bespritzen oder Se- den Oberflächen“ zu entwickeln. Ob biologische Know-how und unsere dazu dimentation gelangen Bakterien oder diese für medizinische Geräte tauglich sehr gut ausgestatteten Labore von TH- Viren auf eine Oberfläche und werden sind, muss allerdings erst mikrobiolo- Seite, die technische Sichtweise, die bei deren Berührung auf einen ande- gisch getestet werden. Das Schwieri- Anwendungsperspektive und das Ma- ren Menschen übertragen. Dieser er- ge bei einer solchen Testmethode: Sie terialscouting seitens der Kollegen von krankt an dem Erreger oder überträgt soll lebensnahe Bedingungen schaffen. Dräger. Dazu ein Bachelorstudent, der ihn auf eine weitere Person, die viel- Idealerweise sollte sie die Übertragung am Ende seines Studiums über ein leicht ebenfalls daran erkrankt. Dieser durch einen menschlichen Fingerab- hohes Maß an Fachkompetenz verfügt gefürchtete Mechanismus der „noso- druck nachahmen. Die Methode muss und als unvoreingenommener Neuling komialen Infektionen“ fällt besonders so gut standardisiert sein, dass sich auf dem Gebiet eine Menge innova- dann auf, wenn man es mit multire- auch geringfügig erhöhte Absterbera- tiver Ideen hat – das ist einfach eine sistenten Erregern zu tun hat: Bakte- ten der aufgebrachten Bakterien auf sehr gelungene Kombination“, so die rien, die resistent gegen sehr viele der einer Testoberfläche nachweisen las- Mikrobiologin. heute verfügbaren Antibiotika sind sen. Und so einfach, dass sie von ver- und nur wenige Therapieoptionen für schiedenen Anwendern in verschiede- „Derartige Oberflächen haben ein im- einen daran erkrankten Patienten zu- nen Labors mit identischem Ergebnis menses Nutzungspotenzial, nicht nur lassen – manchmal gar keine. durchgeführt werden kann. im medizinischen Bereich“, erklärt Dag- mar Willkomm. „Stellen Sie sich vor, bei Prof. Dr. Dagmar Willkomm, seit 2017 In Dagmar Willkomms Mikrobiolo- einer Pandemie wüsste man: Der Griff Inhaberin des Lehrstuhls für Mikro- gielabor an der TH Lübeck konnte der des Einkaufswagens und das Tastatur- biologie und In-vitro-Diagnostik an Student Dominik Wippermann eine feld für die Kartenzahlung an der Su- der Technischen Hochschule (TH) Lü- derartige Methode zur Testung von permarktkasse sind safe – ein Traum! beck, sucht Wege aus dem Dilemma: Oberflächen auf ihre Bakterien abtö- Vielleicht sind wir ja bei der nächsten „Wenn man sich vergegenwärtigt, dass tende Wirkung weiterentwickeln. Für Pandemie so weit.“ //
LIFE SCIENCES: NACHWUCHS I DUZ TRANSFER 07/20 I 45 FORSCHUNGSTALENT IN DER MARZIPANSTADT Mit ihrer Arbeit über Polyphenole aus Reststoffen gewann die Lübecker Doktorandin Johanna Gasser den „Phytochemical Analysis Young Scientist Prize“. Jetzt schreibt sie ihre Dissertation an meiner Dissertation, die ich die- Kosmetikindustrie gefragt sind. Das ses Jahr an der Uni Bremen abgeben Bundesministerium für Bildung und werde.“ Forschung unterstützt das Projekt im Rahmen der Förderlinie Ingenieur- Prof. Dr. Peter Spiteller vom Institut nachwuchs des Programms Forschung für Organische und Analytische Che- an Fachhochschulen. // mie der Universität Bremen ist Gassers Doktorvater in einem kooperativen Promotionsverfahren. Die Hauptpro- jektarbeit dafür führt die Forscherin im Centrum Industrielle Biotechnolo- gie der Technischen Hochschule (TH) Lübeck durch, wo sie von Prof. Dr. Veronika Hellwig betreut wird. In Südtirol geboren und zur Schule ge- gangen, hatte Johanna Gasser an der Fotos: TH Lübeck Universität Innsbruck ihren Bache- lor- und Masterabschluss in Chemie erlangt und sich damit 2015 auf die Johanna Gasser: Ausgezeichnete Promotionsstelle bei Hellwig bewor- Nachwuchswissenschaftlerin der TH Lübeck ben. „Schon in Innsbruck hatte ich an Naturstoffen geforscht – es ging um „Es ist schön zu erfahren, dass andere Abbauprodukte von Chlorophyll. Da spannend finden, was ich mache“, sagt passte die ausgeschriebene Promoti- Johanna Gasser über den „Phytoche- onsstelle in Lübeck ideal. Und die Stadt mical Analysis Young Scientist Prize“. gefiel mir natürlich auch.“ Den brachte sie vor einem Jahr vom „Young Scientists’ Meeting 2019“ der Im Labor Instrumentelle Analytik der Phytochemical Society of Europe mit TH Lübeck stellt Gassers Arbeit seit nach Lübeck. Mit einem Vortrag über 2016 eine tragende Säule des Projekts Polyphenole aus Reststoffen der Mar- VEREMA (siehe Beispiel Seite 49). „Die- zipanproduktion hatte Gasser in Buda- ses Kürzel steht für die Verwertung pest die Jury überzeugt. Neben Gasser von Reststoffen aus der Marzipanpro- präsentierten 33 weitere Nachwuchs- duktion“, erklärt die Doktorandin. „Das wissenschaftler ihre Arbeiten zur Bio- neue Verfahren sollte zeigen, welche chemie, zu molekularen Aspekten und wertvollen Produkte sich aus Reststof- zur Pharmakologie von bioaktiven Na- fen der Lebensmittelproduktion ge- turstoffen. winnen lassen.“ Doch nicht nur bei den hochrangigen Für ihre Promotion hat Johanna Gasser Wissenschaftlern, die sich in Ungarns in Brühwasser aus der Marzipanpro- Hauptstadt versammelt hatten, stieß duktion sowie abgelöster Mandelhaut Gassers Thema auf Interesse. Welche biologisch aktive Substanzen identifi- internationale Reputation ihr Preis ziert, deren chemische Struktur mas- besitzt, kann Gasser an den zahlrei- senspektrometrisch aufgeklärt und chen Konferenzeinladungen ablesen, das biologische Potenzial der Stoffe die sie in den letzten Monaten erreich- getestet. Ihr Forschungsschwerpunkt ten. „Das ist großartig, aber nicht jede liegt dabei auf Polyphenolen – anti- Einladung kann ich auch annehmen“, oxidativ und antimikrobiell wirkenden erklärt sie. „Denn ich schreibe gerade Naturstoffen, die in der Pharma- und
46 I 07/20 DUZ TRANSFER I LIFE SCIENCES: MEDIZINTECHNIK VON DER IDEE BIS ZUM KLINIKEINSATZ Medizintechnik-Experten der Hochschule Hamm-Lippstadt sind an der Entwicklung innovativer Produkte beteiligt und helfen dabei, dass sie erfolgreich am Markt eingeführt werden Produkt, das die Therapie dieser Patien- ten zahlreiche Patienten erfolgreich ten verbessern soll, wurde mittlerweile behandelt werden“, freut sich Jürgen von der fasciotens GmbH auf den Markt Trzewik. „Die Abschlussarbeit von gebracht. Die innovative Firma wurde Herrn Behle beschreibt den langen 2016 von den Chirurgen Dr. Gereon Lill Weg von einer innovativen Idee bis hin und Dr. Frank Beyer gegründet. Ihre zur erfolgreichen Markteinführung Vision: die Behandlung offener Abdo- und ersten erfolgreichen Patientenan- men grundlegend zu erneuern und zu wendung. Ein überaus komplexes und verbessern. Als Krankenpfleger am umfangreiches Thema, das man als Be- Kölner St. Elisabeth Krankenhaus hatte treuer nur sehr selten begleiten kann. Behle sowohl Lill als auch das medizini- Ein echtes Highlight“, so Trzewik. sche Problem kennengelernt. Als Lill ihm von der Produktidee berichtete, befand Aber wahrscheinlich wird er Ähnliches er sich im vierten Semester des Bache- bald wieder erleben: Im Rahmen des lorstudiengangs Biomedizinische Tech- Forschungsprojekts fasciotens Pediat- nologie und belegte den Schwerpunkt ric sucht die Hochschule Hamm-Lipp- Medizintechnik bei Prof. Dr. Jürgen stadt zusammen mit der fasciotens Trzewik. „Die Inhalte des Studiums und GmbH und der Everwand & Fell GmbH die Vorlesungen von Professor Trzewik einen innovativen Lösungsansatz zur halfen mir bei der Entwicklung und Versorgung von Bauchwanddefekten Zulassung des Produkts wesentlich bei Neugeborenen. Unter Leitung von weiter“, erinnert sich der heutige Pro- Jürgen Trzewik entwickeln zwei wis- duktmanager bei fasciotens. senschaftliche Mitarbeiter Messstän- de zur Exploration und Validierung Ausgestattet mit einem Innovations- des Verfahrens. Das Projekt wird mit gutschein des Landes Nordrhein-West- 160 000 Euro durch das Zentrale In- falen über 10 000 Euro, machte sich novationsprogramm Mittelstand (ZIM) Stefan Behle 2018 an die Entwicklung des Bundesministeriums für Wirt- der Zulassungsstrategie von fasciotens schaft und Energie gefördert. // Abdomen: Mit dem Medizinprodukt lässt sich die Bauchwandfaszie mit- samt des Haut- und Unterhautfettge- „Innovationen in der Medizintechnik webes vom Körper weg (nach ventral) sind wichtig für den Fortschritt der ziehen. So verhindert es bei der Thera- medizinischen Versorgung“, sagt Ste- pie offener Abdomen die Faszienretrak- fan Behle. „Bei Nischenprodukten, die tion und schafft eine Vergrößerung des nur bei wenigen Patienten angewen- intraabdominellen Volumens. Dabei det werden, ist es dennoch schwierig, stützt es sich während der Behandlung Kooperationspartner zu finden.“ Auch auf dem Brustkorb und dem vorde- für das Medizinprodukt, das Behle für ren Beckenring des Patienten ab. „Als seine Masterarbeit im Studiengang lebensrettende Maßnahme wird bei den „Biomedizinisches Management und Patienten der Bauch geöffnet – für Tage, Marketing“ der Hochschule Hamm- Wochen, manchmal sogar Monate“, Lippstadt mitentwickelte, zeigten eta- erklärt Stefan Behle. Dabei schrumpft Foto: HS Hamm Lippstadt blierte Firmen zwar durchaus Interes- die Bauchdecke und der Bauch lässt se, doch kam es nicht zur Kooperation sich nicht mehr verschließen. „20 bis oder Produktion. 40 Prozent der Patienten mit offenem Abdomen sterben letztlich – einer der Dabei werden pro Jahr rund 22 000 Pa- Gründe, warum wir dieses Produkt Hospitation im Bethesda Krankenhaus Ber- tienten mit einem offenen Abdomen unbedingt entwickeln wollten.“ gedorf: Dr. Gereon Lill, Stefan Behle, Prof. Dr. (Bauch) in Europa behandelt. Und das „Seit Zulassung des Produkts konn- Jürgen Trzewik und Henning Niebuhr (v.l.n.r.)
LIFE SCIENCES: GASGEWINNUNG I DUZ TRANSFER 07/20 I 47 AUS MOLKE BIOGAS GEWINNEN In einer Ziegenkäsefabrik sucht ein Offenburger Forscherteam Speicherlösungen für die Energiewende. Sein Erfolgsrezept: biologische Methanisierung „Die Energiewende gelingt nur, wenn wir es schaffen, die re- Aber es wäre noch mehr drin: „Rohbiogas verfügt über einen generativ erzeugte Energie auch zu speichern“, sagt Prof. Dr. viel zu niedrigen Methangehalt, um es direkt ins Erdgasnetz Christiane Zell, die Biotechnologie an der Hochschule Offen- einspeisen zu können“, erklärt Forscherin Zell. „In Biogasan- burg lehrt (siehe auch Interview ab Seite 40). Das Problem: lagen entsteht nur bis zu 70 Prozent Methan. Der Rest ist stö- Mal weht der Wind oder scheint die Sonne, mal nicht. Die rendes CO2, das abgetrennt werden muss.“ Die Versuchsanlage Einspeisung aus beiden Quellen ins Stromnetz schwankt ent- könnte dieses Problem lösen. Denn hier wird das CO2 genutzt, sprechend. Und die Kapazitäten existierender Pump-, Druck- um die Biomasse in weiteres Methan umzuwandeln. „Indem luft- oder Batteriespeicher reichen nicht, um überschüssige wir externen Wasserstoff einspeisen, den wir mit Überschuss- Energie aufzunehmen, wenn sie anfällt. „Das Erdgasnetz ist strom herstellen, gewinnen wir 97 Prozent Methan in der Bio- der einzige Speicherort in Deutschland, der geeignet wäre“, gasanlage“, erklärt Christiane Zell. Diese höhere Effizienz habe glaubt Christiane Zell. „Es ist groß genug, um die Energie- nicht nur für die Molkerei einen Vorteil, die energiereicheres menge aufzunehmen: mehr als 200 Terawattstunden. Und es Gas verbrennen kann. Man könnte das Gas auch ins Erdgas- überzieht ganz Deutschland.“ Damit komme die Energie auch netz einspeisen. dorthin, wo sie gebraucht wird – „aber nur, wenn sie gasförmig vorliegt, am besten als Methan“. Das 2018 gestartete Projekt ist auf 30 Monate angelegt. Den größten Teil der Gesamtkosten von knapp 490 000 Euro trägt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Projektpartner neben Monte Ziego sind die Wehrle Umwelt GmbH aus Emmendingen und die Ecobel GmbH aus dem schweizerischen Rüschlikon. Einen Knackpunkt der aktuellen Forschung beschreibt Chris- tiane Zell so: „Wie bringt man Wasserstoff dazu, sich in einem flüssigen Medium wie Molke zu lösen? Einfach reinblubbern – das funktioniert nicht. Wir arbeiten deshalb an einem Bega- sungssystem über Membranen.“ Ob und wann das Verfahren Foto: Hochschule Offenburg marktreif werde, sei eine Frage der Wirtschaftlichkeit. „Im Labormaßstab funktioniert es“, so die Wissenschaftlerin. „Ob sich das Verfahren in größerem Maßstab rechnet, hängt stark von den Rahmenbedingungen ab: Je höher die CO2-Bepreisung steigt, desto höher die Wirtschaftlichkeit unserer Methanisie- rung. Klimaschutz ist wahnsinnig wichtig – die technischen Zwei Schritte sind laut Zell erforderlich, um aus Energieüber- Möglichkeiten zur CO2-Reduktion sind da. Jetzt muss die schüssen Methan zu machen: „Die elektrische Energie wird Politik handeln.“ // zunächst genutzt, um in einem elektrolytischen Prozess aus Wasser Wasserstoff zu gewinnen. Anschließend wird dieser zusammen mit Kohlenstoffdioxid in Methan umgewandelt, mithilfe von Mikroorganismen.“ Seit 2013 forschen Professorin Zell und ihr Kollege Prof. Dr. Ulrich Hochberg von der Fakultät Maschinenbau und Verfah- renstechnik im Projekt BioMeth an der biologischen Metha- nisierung. Nun möchten sie ihre im Labor entwickelte Power- to-Gas-Technologie im industriellen Maßstab testen. Die dafür Foto: Hochschule Offenburg nötige Pilot-Biogasanlage steht in der Käserei Monte Ziego in Teningen, knapp 50 Kilometer südlich von Offenburg. Deren Geschäftsführer Martin Buhl möchte Monte Ziego zu Deutsch- lands erster „Nullenergie-Käserei“ machen. Neben einer Solar- stromanlage hat Buhl 2014 eine Biogasanlage eröffnet, die mit Molke betrieben wird, einem Nebenprodukt der Käseproduk- Zunächst im Labor in kleinem Maßstab entwickelt:: die Power- tion. „Molke ist sonst kaum zu verwerten, sie lässt sich aber to-Gas-Technologie (Foto oben); Doktorand Philipp Huber: im hervorragend zu Biogas vergären“, so Martin Buhl. Biotechnologischen Labor der Hochschule Offenburg
48 I 07/20 DUZ TRANSFER I XXXXXX Foto: Hochschule Mittelhessen Teamwork: Prof. Dr. Dirk Holtmann (r.) und Doktorand Marc Pfitzer auf der Suche nach neuem Anwendungspotenzial von Methanogenen METHANOGENE - MIT CO2 WIRD MEHR DARAUS Ein Projekt, in dem die Technische Hochschule Mittelhessen und die Technische Universität Dresden zusammenarbeiten, kombiniert Biotechnologie und Elektrochemie, um neue Potenziale zu erschließen Eine nachhaltige, bio-basierte Wirt- – mit 340 000 Euro gefördert – wird mehrere Pilotanlagen gebaut, unter schaft, „deren vielfältiges Angebot die von Prof. Dr. Dirk Holtmann vom Gie- anderem in Dänemark. Welt ausreichend und gesund ernährt ßener Fachbereich Life Science Engi- sowie mit hochwertigen Produkten neering geleitet. Es beschäftigt sich „Zur Produktion von Chemikalien und aus nachwachsenden Rohstoffen ver- mit der Entwicklung neuer und der Treibstoffen nutzt die Bioökonomie sorgt“ – dieses Ziel verfolgt die Bun- Optimierung bestehender Kultivie- zukünftig nicht nur nachwachsende desregierung mit der „Nationalen For- rungsprinzipien von Methanogenen, Rohstoffe, sondern auch regenerative schungsstrategie Bioökonomie 2030“. methanbildenden Mikroben, die in elektrische Energiequellen“, erklärt Ein Projekt, an dem die Technische den weitverbreiteten Biogasanlagen Dirk Holtmann. „Die Bioelektrosyn- Hochschule Mittelhessen beteiligt bislang als effiziente Produzenten von these ist eine ideale Plattform, Prozes- ist, könnte ein Schritt zur Umsetzung Bio-Methan eingesetzt werden. Hier se mit hoher Energie- und Rohstoffef- dieser Vision sein. Die Projektpartner kommen diese Organismen in den na- fizienz sowie mit hoher Flexibilität zur möchten einerseits den Power-to- türlichen Lebensgemeinschaften vor. Pufferung von Stromspitzen zu etab- Gas-Prozess optimieren, zum anderen Das Team um Dirk Holtmann versucht lieren. Der Einsatz von CO2 als Rohstoff eine Basis für die industrielle Herstel- nun, das Anwendungspotenzial von erweitert die Rohstoffbasis für die lung höherwertiger biotechnologi- Methanogenen über die Methanpro- Produktionsprozesse und reduziert scher Produkte schaffen. Ein Beispiel duktion hinaus zu erweitern. gleichzeitig die CO2-Emissionen“, so dafür wäre Isopren, das bei der Her- der Forscher. Das Ziel in diesem Pro- stellung von Kautschuk eingesetzt Auf drei Jahre ist das Projekt zur bio- jekt sei es, nach den drei Jahren neue wird. Aber auch andere Grundstoffe, logischen Methanisierung angelegt, Verfahren so weit entwickelt zu ha- die Bestandteile von Terpentin oder für das Dirk Holtmann mit dem Insti- ben, dass diese von Unternehmen in von Geruchs- und Geschmacksstoffen tut für Mikrobiologie der Technischen Praxisanwendungen getestet werden sind, kommen infrage. Universität Dresden zusammenar- können. Laut Dirk Holtmann besitzt beitet. Weitere Kooperationspartner die Kombination von Biotechnologie Das gesamte Projekt wird vom Bun- sind die Universitäten Kiel und Tübin- und Elektrochemie „sehr großes Po- desministerium für Bildung und For- gen sowie die Electrochea GmbH. Das tenzial, einen entscheidenden Beitrag schung (BMBF) im Rahmen der Na- Münchener Start-up hat ein neuarti- für die notwendige Sektorenkopplung tionalen Forschungsstrategie mit ges Verfahren zur Umwandlung des zu leisten“ – die Vernetzung der Ener- insgesamt zwei Millionen Euro unter- Klimagases CO2 und elektrischer Ener- giewirtschaft mit der produzierenden stützt. Das hessische Forschungsteam gie in Erdgas entwickelt und bereits Industrie. //
LIFE SCIENCES: LEBENSMITTEL: I DUZ TRANSFER 07/20 I 49 POLYPHENOLE – ZU WERTVOLL ZUM WEGWERFEN An der Technischen Hochschule Lübeck wird ein Verfahren entwickelt, das aus Resten der Marzipanproduktion Stoffe gewinnt, die von anderen Industrien gebraucht werden Bei der Herstellung von Marzipan werden Mandelkerne über- triezweigen Antioxidantien zukünftig am besten eingesetzt brüht, gehäutet, gemahlen und mit Zucker zu Marzipanroh- und vermarktet werden können. Für Veronika Hellwig steht masse verarbeitet. Die Mandelhaut und das Brühwasser, die fest: „Die Gewinnung von antioxidativen Inhaltsstoffen muss dabei als Reststoffe anfallen, werden bislang entweder zur künftig nicht in der Marzipanproduktionsstätte, sondern Biogasproduktion oder als Futter- und Düngemittel verwen- kann auch direkt beim Endnutzer wie etwa einer Kosmetikfir- det. „Doch sowohl in der Mandelhaut als auch im Brühwasser ma oder einem Arzneimittelhersteller durchgeführt werden.“ stecken noch wertvolle Substanzen, die in der Pharma- oder Kosmetikindustrie durchaus gefragt sind“, stellt die Lübecker Dass die bisherigen Abnehmer, insbesondere Biogasanla- Chemikerin Prof. Dr. Veronika Hellwig fest. Vor allem Polyphe- genbetreiber, die Reststoffe aus der Marzipanfabrik künftig nole hat die Wissenschaftlerin dabei im Auge: Die Antioxidan- vermissen könnten, glaubt die Chemikerin nicht: „Antibak- tien schützen den menschlichen Körper vor freien Radikalen, terielle Wirkstoffe sind in der Methanproduktion doch eher die Körperzellen schädigen. Polyphenole in Gesundheitspro- kontraproduktiv. Die Polyphenole sind anderswo viel besser dukten, Kosmetik, Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln aufgehoben.“ // sind in der Lage, die aggressiven Sauerstoffverbindungen zu neutralisieren. Wie sich Polyphenole und andere wertvolle Stoffe aus Man- delhaut und Brühwasser gewinnen lassen, erforscht Vero- nika Hellwig seit 2015 im Projekt VEREMA der Technischen Hochschule (TH) Lübeck. VEREMA steht für Verwertung von Reststoffen aus der Marzipanproduktion. Im Labor für Instru- mentelle Analytik der TH wurden aus der Mandelhaut und dem Brühwasser einer Lübecker Marzipanfabrik zunächst Ge- mische aus mehreren Hundert Einzelsubstanzen gewonnen. Anschließend wurden die Extrakte in ihre Einzelsubstanzen aufgetrennt und auf ihr Verwertungspotenzial hin getestet. „Bei dem Verfahren, das wir entwickeln, ist es wichtig, dass Foto: TH Lübeck die stoffliche Zusammensetzung der Reststoffe auch reprodu- zierbar ist. Und es muss auch dann funktionieren, wenn Frak- tionen verschiedener Hersteller zusammenkommen“, erklärt Veronika Hellwig. Außerdem dürfe der Produktionsprozess nicht gestört werden. Und wenn möglich sollte das Verfahren auf andere Produktionsprozesse der Lebensmittelindustrie übertragbar sein. „Bei Trester zum Beispiel könnte es auch funktionieren“, so die Forscherin. Im Rahmen der Förderlinie Ingenieurnachwuchs des Pro- gramms Forschung an Fachhochschulen wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter- stützt. Eine tragende Säule von Verema nämlich ist die Pro- motion der jungen Chemikerin Johanna Gasser (siehe Porträt Seite 45). Mit Gassers Dissertation in diesem Sommer ist das Kapitel Reststoff-Analyse für die Marzipanindustrie abge- schlossen. Hellwig: „Wir haben erreicht, was wir wollten. Wir wissen jetzt, welche Stoffe sich finden lassen, wofür sie gut Foto: TH Lübeck sind und ab wann sich das Verfahren wirtschaftlich rechnet.“ Nachdem Hellwig und ihr Team die Wirksamkeit der gefun- denen Substanzen ermittelt hatten, erstellten sie ein wirt- Im Labor: die Chemikerin Prof. Dr. Veronika Hellwig (oben) und schaftliches Konzept, aus dem hervorgeht, in welchen Indus- Doktorandin Johanna Gasser
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