Ehe Familie - Erzbistum München
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Ehe-, Familien- und Lebensberatung Erzdiözese München und Freising Ehe Familie Partnerschaft Jahresbericht 2020
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, Nach dem ersten Lockdown wurde sehr sichtbar und spürbar, wie wichtig der unmittelbare zwi- mit diesem Jahr 2020, dem Corona-Jahr, liegt eine schenmenschliche Kontakt ist: viele Klienten*innen Zeit hinter uns, in der vieles in Frage gestellt, eini- waren froh, endlich wieder in die Beratungsstelle ges unmöglich, und dabei die Verletzbarkeit unseres kommen zu können. Andere waren dankbar, ein Lebens deutlich geworden ist. Genau so deutlich anderes Beratungsformat in Anspruch nehmen zu hat sich gezeigt, wie sehr wir Menschen angewie- können, weil sie entweder nicht mobil waren oder sen sind auf persönliche Begegnungen und ihnen zeitlich nur ein sehr begrenzter Spielraum zu gelebte und verlässliche soziale Beziehungen. Verfügung stand. Wir Eheberater*innen konnten zu Beginn des Lock- Unsere Beratungsformen sind vielfältiger geworden – downs unserer gewohnten Arbeitsweise – der Prä- der Einstieg in das Blended Counseling ist gelungen. senzberatung – nicht mehr nachkommen und waren selbst – genauso wie unsere Klienten*innen – gefor- Dabei wurde aber auch schnell deutlich, dass die dert durch Homeoffice, Homeschooling, Homebe- Face-to-Face Beratung eine ganz eigene und uner- treuung. Die tiefe Verunsicherung im Lockdown, setzliche Qualität hat. Existenzsorgen, das Alleinsein, die Kontaktbeschrän- kungen, die Sorge um Familienmitglieder und So schauen wir auf ein Jahr zurück, in dem manches Freunde kostete alle – uns Berater*innen wie unse- nicht möglich war, wir vieles absagen mussten – ren Klienten*innen – viel Kraft und war für alle eine auch unsere Jubiläumsfeier anlässlich des 50jähri- große Herausforderung. Für manche Klienten*innen gen Bestehens der Ehe-, Familien- und Lebensbera- waren wir dabei oft ein wichtiger und manchmal tung in der Erzdiözese – und dennoch hat uns diese der einzige Bezugspunkt im Lockdown. Zeit auch vorangebracht: So werden wir Anfang 2021 mit der Online-Beratung der EFL in unserer Diözese In der EFL haben wir rasch und zeitnah Alternativen beginnen können. zur ausschließlichen Präsenzberatung gesucht; wir haben unsere telefonische Erreichbarkeit ausgewei- Mein großer Dank gilt unserem Träger, dem Erzbis- tet, mit Telefonberatung begonnen, und darüber tum München und Freising, das die Hauptlast der hinaus wurde uns die Videoberatung ermöglicht. Finanzierung trägt, ferner dem Bayerischen Minis- Die Coronapandemie hat uns Berater*innen gefor- terium für Familie, Arbeit und Soziales, den Land- dert, neue und andere Beratungsformen auszupro- kreisen und Kommunen, die durch ihre Zuschüsse bieren, Erfahrungen zu sammeln und diese wieder unsere Arbeit unterstützen. Und natürlich den Kli- in die Arbeit einfließen zu lassen. Die Freude daran, entinnen und Klienten, die Beratung in Anspruch Neues auszuprobieren und sich mit wachem Inter- genommen haben, unser Angebot schätzen und esse auf andere Arbeitsformen einzulassen, ist der auch durch ihre Spenden ihre Anerkennung für die großen Bereitschaft der Kollegen*innen zu danken, Beratungstätigkeit der Ehe-, Familien- und Lebens- sich all diesen Anforderungen zu stellen. beratung zum Ausdruck gebracht haben. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, Der erste Beitrag von Herrn Fuchs „Familien unter unterschiedliche Beratungsformen bereit zu haben, Druck während der Corona-Pandemie“ verdeut- um für Menschen gerade in so schwierigen Zeiten licht die vielfältigen Anforderungen, die Familien zu als psychologischer Fachdienst der Kirche zur Verfü- bewältigen haben und welches Konfliktpotential gung zu stehen. dies für die Familie, aber auch gesamtgesellschaft- lich mit sich bringt. 3
Der Artikel von Frau Reimer „Ehe-, Familien- und Das „Projekt Trennungsambivalenz in der Paar- Lebensberatung in der Coronazeit – Erfahrungen beratung“ beschreibt die Studie, die die Ehe-, mit Telefonberatung und neuen Beratungsfor- Familien- und Lebensberatung in Zusammenarbeit men“ gibt einen Einblick, wie wir selbst Lernende mit dem Institut für Kommunikationstherapie und sind und unser fachliches Angebot weiterentwickeln. angewandte Forschung in Partnerschaft und Fami- lie 2020 durchgeführt hat. Frau Dr. Lorenz und Herr Frau Goldrian und Frau Überall beschreiben in Dr. Thurmaier zeigen erste Ergebnisse und Konse- „Öffentlichkeitsarbeit in Zeiten der Pandemie“ quenzen für die EFL Arbeit auf. wie gefragt die EFL als Ansprechpartnerin in den unterschiedlichen Medien ist und, dass wir hier Der Artikel von Herrn Dr. Thurmaier „Qualifizie- auch ein Angebot für Ratsuchende sind. rung und Qualitätssicherung Präventive Ange- bote“ gibt einen Überblick über die geplanten Fort- In der Ausführung „Männersensible und männ- und Weiterbildungsangebote. lichkeitsreflektierende Beratung“ berichtet Frau Rusnak von der Fortbildung auf Landesebene für Frau Dr. Hensel beschreibt in ihrem Bericht „Die Beratungsfachkräfte. interaktive Paar-App „Paaradies““ das Projekt Paaradies und die Website damit-die-liebe-bleibt.de. Der Beitrag von Herrn Dahlinger „Statistische Daten aus dem Jahr 2020“ gibt einen statistischen Einblick in unserer Arbeit, die Vielfältigkeit der EFL Beratung Wir wünschen Ihnen ein reges Interesse am Lesen und die Herausforderungen durch die Pandemie. der Fachbeiträge. Margret Schlierf Msgr. Dr. Siegfried Kneißl Leiterin der Ehe-, Familien- und Erzb. Ordinariat München Lebensberatung der Erzdiözese HA Beratung im Ressort München und Freising Caritas und Beratung 4
Inhalt Vorwort 3 Familien unter Druck während der Corona-Pandemie Stephan Fuchs 6 Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der Coronazeit – Erfahrungen mit Telefonberatung und neuen Beratungsformen Christine Reimer 10 Öffentlichkeitsarbeit in Zeiten der Pandemie Anjeli Goldrian und Isabelle Überall 14 „Männersensible und männlichkeitsreflektierende Beratung“ Sabine Rusnak 17 Statistische Daten aus dem Jahr 2020 Klaus Dahlinger, Thomas Ranzinger, Margret Schlierf 19 Projekt Trennungsambivalenz in der Paarberatung Dr. Mirjam Lorenz und Dr. Franz Thurmaier 27 Bereich „Qualifizierung und Qualitätssicherung Präventive Angebote“ Dr. Franz Thurmaier 31 Die interaktive Paar-App „Paaradies“ Dr. Sandra Hensel 35 Adressen der Beratungsstellen in der Erzdiözese München und Freising 37 5
Familien unter Druck während der Corona-Pandemie Abstract Umgestaltung gesellschaftlicher Funktionssysteme ging in den Familien mit einschneidenden organi- Der folgende Artikel wirft ein besonderes Augen- satorischen Konsequenzen einher. Existenzängste merk auf Familien und Paare in der Corona-Pan- oder finanzielle Mehrbelastungen verstärkten in demie. Die mit der Pandemie einhergehenden den Familien die psychische Belastung. Durch die Einschränkungen wirken expandierend auf Schulschließungen fanden sich Eltern plötzlich in bestehende Konflikte in Partnerschaften. Durch der Rolle als Lehrer/Lehrerin wieder, während sie eine Auswahl bisheriger Studien wird beschrie- auch zugleich im Homeoffice ihre Arbeitskraft dem ben, wodurch und in welchem Ausmaß diese jeweiligen Betrieb zur Verfügung stellten. Eine Konflikte verstärkt werden. Die veränderten Omnipräsenz, die Eltern an ihre Grenzen und darü- Lebensumstände während der Corona-Pandemie ber hinausbringt. Vor allem alleinerziehende Mütter begünstigen häusliche Gewalt. Die dezidierte und Väter stellt dies oft vor unlösbare Aufgaben. Darstellung der Fall- und Meldezahlen im Bereich Gut 60 % der Eltern gaben an, neben der Arbeit im der Partnerschaftsgewalt gibt eine Übersicht Homeoffice mehr als 3 Stunden zusätzlich für die über die steigende Entwicklung, die zudem eine Beschulung der eigenen Kinder aufbringen zu müs- hohe Dunkelziffer birgt. sen (Vodafone-Stiftung, 2020). Hinzu kommen viele Abstimmungen, die mit der Schule getroffen wer- Seit Beginn der Corona-Pandemie sind Belastungen den müssen oder die Koordination mit dem Zu- und in allen Lebensbereichen spürbar. Sie stellt Paare Rücklauf der Aufgaben. Aber auch im ersten und Familien vor außergewöhnliche und teils völlig Moment banal erscheinende Themen, wie der Weg- neue Herausforderungen. Selbst neue Begrifflichkei- fall des Schulessens, stellt vor allem einkommens- ten mussten sich für Manches erst finden. Die schwache Familien vor Probleme. In einer breiten 6
Elternbefragung der Uni Koblenz-Landau gab rund Im familiären Kontext findet während der Corona- ein Viertel der befragten Eltern an, dass sich die Pandemie eine deutliche Zunahme an neuen Aufga- Beziehung zu den eigenen Kindern im Homeschoo- ben und Herausforderungen statt. Aufgrund der Ein- ling deutlich verschlechtert habe. Die Hälfte der schränkungen, die mit der Pandemie einher gehen, befragten Eltern bewerteten die Kommunikation, fehlt Eltern und Kindern die Möglichkeit einer wie etwa die Übermittlung der Aufgaben durch die adäquaten Kompensation, um dieser Belastung jeweilige Schule, als unzureichend (Universität Kob- etwas entgegenzusetzen. Gewohnte Freizeitgestal- lenz-Landau, HOMEschooling 2020-Studie). Die Auf- tung, Sport, Kinobesuch, soziale Kontakte oder gabenübermittlung findet an Grundschulen zu 69 % andere Möglichkeiten der Stressbewältigung sind in und an Gymnasien zu 81 % (Vodafone-Stiftung, 2020) der Krise eingeschränkt oder nicht verfügbar. Laut über E-Mail statt. Eine Rückforderung der Aufgaben einer Studie der Krankenkasse DAK mit Forschern erfolgt nur punktuell und auch dann oft nicht über des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kin- den digitalen Weg. Digitaler Präsenzunterricht fin- des- und Jugendalters am Universitätsklinikum det an Grundschulen zu 7 % und an Gymnasien ledig- Hamburg-Eppendorf (UKE) soll bei Kindern und lich zu 26 % statt. Die Hälfte der Lehrkräfte gab an, Jugendlichen die Nutzung von Onlinespielen um dass digitale Präsenzzeiten nicht stattfinden (N-TV, 75 % und die Nutzung sozialer Netzwerke um rund 15.05.2020). Diese Defizite versuchen Eltern auszu- 66 % zugenommen haben (DAK Internetsuch-Studie, gleichen, was zu einer enormen Mehrbelastung 2020). Auch habe laut einer Forsa-Umfrage im Auf- führt. Sicher fehlt auch an vielen Schulen eine trag der kaufmännischen Krankenkassen ergeben, adäquate digitale Infrastruktur. Schulen waren dass ein Viertel der befragten Personen im Alter ebenfalls nicht ausreichend auf ein solches Szenario zwischen 16 und 69 Jahren mehr oder deutlich mehr vorbereitet. Oft liegt es am Engagement der einzel- Alkohol zu sich nahmen als vor der Pandemie (Wirt- nen Lehrkräfte und der Schule, in welchem Umfang schafts-Woche, Dezember 2020). Die Herausforde- und in welcher Qualität ein digitaler Unterricht rungen und Schwierigkeiten auf der einen Seite und stattfinden kann (Robert Bosch Stiftung, Juni 2020). die fehlenden oder dysfunktionalen Kompensations- Hinzu kommt, dass die digitale Ausstattung der möglichkeiten auf der anderen Seite verstärken die Schüler oft lückenhaft ist. Laut statistischem Bun- individuelle psychische Belastung und somit auch desamt besaß die Hälfte (46 %) der Familien mit die Konflikte in Familien. einem Kind und einem Nettoeinkommen unter 2000,00 Euro/Monat kein Tablet. Bei einem Ein- Diese zunehmende Anspannung war in der Bera- kommen von 5000,00 bis 18000,00 Euro/Monat tungsarbeit deutlich spürbar und spitzte sich bis waren es 18 % der Haushalte. Bei Laptops und Note- Ende 2020 zu. Paare berichteten, dass sie sich am books besaßen Familien mit besonders geringem Anfang der Krise psychisch noch gut gewappnet Einkommen (18 %) kein solches Gerät und bei Fami- fühlten. Gegen Ende des letzten Jahres sei die per- lien mit besonders hohem Einkommen lag der manente Dauerbelastung und das einhergehende Anteil bei nur 7 % (Stat. Bundesamt 29. Juli 2020). Gefühl der Erschöpfung immer spürbarer geworden. Familien mit besonders niedrigem Einkommen Die Konflikte hätten deutlich zugenommen und sei- besaßen im Schnitt 2 Computer und Familien mit en häufiger stärker eskaliert. Auch berichteten viele besonders hohem Einkommen 4 Computer. Die qua- Paare, dass ihnen eine Affektkontrolle immer litative Ausstattung der Computer, also eine schwieriger gefallen sei und dass sie häufiger bestimmte Mindestanforderung, die nötig ist, um Gewaltfantasien entwickelten. Solche Grenzerfah- hürdenlos am digitalen Unterricht teilzunehmen, rungen können verunsichernd und destabilisierend ist hier nicht berücksichtigt. Der technischen Aus- wirken. Die permanente Bedrohungslage und die stattung steht auch ein technisches Wissen um die Angst, dass man sich selbst, die Kinder oder vorer- Bedienbarkeit der Geräte und der Software gegen- krankte Familienmitglieder anstecken könnte, führt über. Die Strukturveränderungen wirken auf die bei vielen Paaren zusätzlich sukzessiv zu mehr Kluft, die zwischen bildungsnahen und bildungsfer- Erschöpfung. Dies hat auch eine höhere Konfliktbe- nen Familien besteht, wie ein Brennglas. Somit reitschaft zur Folge. Eine weitere Konsequenz des- zeichnet sich hier ein deutliches Gefälle ab, das ins- sen ist, dass mit einer Zunahme von psychischen besondere einkommensschwachen und bildungsfer- Erkrankungen, wie Angsterkrankungen oder Trau- nen Familien das Recht auf Teilhabe und Bildung mafolgestörungen gerechnet werden muss. So gab erschwert oder unmöglich macht. Eine sozial die Krankenkasse KKH an, dass sich die Anzahl an bedingte Ungleichheit verstärkt sich somit. Krankmeldungen im ersten Halbjahr 2020 wegen 7
seelischer Leiden im Vergleich zum Vorjahr um 80 % Zahlen gibt Aufschluss, dass es auch jenseits der erhöht habe (KKH, August 2020). Insbesondere bei Coronapandemie einen Anstieg von häuslicher Frauen habe sich der Krankenstand zum Vorjahr Gewalt zu verzeichnen gibt. Zur Begriffsklärung sei stark erhöht. gesagt, dass es sich bei Gewalt in Zusammenhang mit Partnerschaften nicht um einen einzelnen Diese Faktoren stellen Familien und Paare vor enor- Straftatbestand handelt. Es summieren sich darun- me Herausforderungen und begünstigen einen Kon- ter eine Vielzahl an verschiedenen Straftatbestän- trollverlust und einen Anstieg drohender Gewaltbe- den. In den Bereich psychische Gewalt fällt u.a. reitschaft in Konflikten. Durch die Corona-Pandemie Bedrohung, Stalking oder Nötigung und in den steht Partnerschaftsgewalt insgesamt mehr in der Bereich physische Gewalt u.a. Freiheitsberaubung, öffentlichen Aufmerksamkeit. Es wurden in den Zwangsprostitution, Körperverletzung, Mord, Tot- Bundesländern 2020 Trendmeldungen abgefragt. schlag oder Vergewaltigung. Die Ermittlungen für Hier waren die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr diese Statistik werden von den Ländern geführt, im eher fallend oder nicht signifikant erhöht. Jedoch BKA dann zusammengeführt und ausgewertet. sind solche Zahlen mit großer Vorsicht zu bewerten, da eine Feinauswertung bisher nicht erfolgt ist oder Laut der 2019 insgesamt gemeldeten Fälle waren auch nicht möglich ist. So fallen z.B. auch „Streitig- 81 % Frauen und 19 % Männer von Gewalt in Zusam- keiten bei Familienfeiern“ darunter, die aufgrund menhang mit Partnerschaften betroffen. Die pro- des Ausbleibens solcher Feierlichkeiten auch zum zentuale Verteilung der weiblichen und männlichen Rückgang gemeldeter Fälle geführt haben könnte. Opfer differiert zwischen den einzelnen Deliktarten Die begünstigenden Faktoren für Gewalt sind durch deutlich. So spiegelt diese Zahl u.a. das Verhältnis die Coronabeschränkungen erhöht, somit müsste bei Delikten der Körperverletzung wider, nicht aber dies eigentlich zu einer Erhöhung der Meldezahlen bei sexuell motivierten Straftaten. Hier beträgt das führen. Andererseits fehlt jedoch auch die Kontrolle Geschlechterverhältnis 98 % weiblich vs. 2 % männ- durch Beobachtungen aus dem sozialen Umfeld, lich. 50 % der Opfer lebten mit dem Täter im gemein- z.B. durch Ärzte, Freunde oder Nachbarn, was mög- samen Haushalt. Es wird vermutet, dass die Dunkel- licherweise für einen Rückgang der Meldetätigkeit ziffer um einiges höher liegt, dass sich 75-80 % der verantwortlich sein könnte. Zudem fehlt es Opfern Opfer aus Angst, Scham oder finanzieller Abhängig- mit den Coronabeschränkungen an Möglichkeiten, keit keine Hilfe holen (Weißer Ring, Presse 2019). Im sich unbemerkt Hilfe zu suchen. Dies könnten eben- Vergleich zu 2018 sind die im Jahr 2019 gemeldeten falls Gründe für die gerade rückläufigen Zahlen sein Fälle (141.792) um 0,7 % gestiegen. Es ist seit 2015 (Partnerschaftsgewalt, Kriminalstatistische Aus- eine steigende Tendenz (+11 %) erkennbar. Vor allem wertung, Berichtsjahr 2019). in der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung ist eine Zunahme (+6,7 %) der Opferzahlen sichtbar. In Anders sieht es bei dem deutschlandweit eingerich- allen Bereichen überwiegen deutlich die weiblichen teten Hilfetelefon aus. Hier ist die Zahl der wöchent- Opfer. Es nimmt auch die Anzahl der männlichen lichen Anrufe im Vergleich zum Vorjahr um 20 % Opfer zu. Dies wirkt sich jedoch nicht auf das pro- gestiegen. Auch haben die Anfragen aus dem sozia- zentuale Verhältnis zwischen weiblichen und männ- len Umfeld der Opfer zugenommen. Leider lassen lichen Opfern aus, da insgesamt die gemeldeten sich nur schwer Schlüsse ziehen, ob dies gleichzu- Fälle zugenommen haben. Das durchschnittliche setzen ist mit einem generellen Anstieg von Gewalt- Alter der Täter war zwischen 30-40 Jahren. Die Her- delikten, da möglicherweise durch stärkere Bewer- kunft der Täter spielte dabei weniger eine Rolle als bung der Beratungsstellen oder der Programme Faktoren, die Gewalt begünstigen, wie u.a. eigene auch mehr Hilfe nachgefragt wird – wie z. B. durch Gewalterfahrungen oder Überforderungen in ver- die Initiative des Bundesministeriums für Familie, schiedenen Lebensbereichen. Einen erheblichen Senioren, Frauen und Jugend „Stärker als Gewalt“ Einfluss hat Alkohol. Etwa 25 % der gemeldeten (Partnerschaftsgewalt, Kriminalstatistische Aus- Taten fanden unter Einfluss von Alkohol statt. Auf wertung, Berichtsjahr 2019). alle Zahlen trifft jedoch zu, dass die Dunkelziffer sehr hoch vermutet wird. Somit wäre auch eine Ver- Vom Bund und den Ländern wurde Mitte 2020 die schiebung u.a. in der Altersspanne der Täter mög- Kriminalstatistik zur Partnerschaftsgewalt veröf- lich. Es gilt auch als inzwischen gesichert, dass sich fentlicht. Der Erhebungszeitraum umfasst das Jahr während der Corona-Pandemie die Fallzahlen im 2019. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Bereich der häuslichen Gewalt im Vergleich zu 8
ohnehin jährlich steigenden Meldezahlen deutlich gewinnen. In einem Bundesförderprogramm werden erhöht haben trotz der gegenläufigen Trendmeldun- in den nächsten Jahren 120 Millionen Euro für Pro- gen der Bundesländer von 2020. So wurde in einer gramme, den Ausbau und die Vergrößerung der vor- großen repräsentativen Onlinebefragung der TU handenen Beratungsangebote bereitgestellt. Die Ini- München belegt, dass rund 3 % der Frauen in tiative „Stärker als Gewalt“ wächst kontinuierlich mit Deutschland in der Zeit der strengen Kontaktbe- einer zunehmenden Zahl an unterstützenden Ein- schränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt richtungen. Auf europäischer Ebene ist eine europa- wurden. Bei 3,6 % der Frauen fand eine Vergewalti- weite Notrufnummer in Planung. Viele Beratungs- gung durch den eigenen Partner statt. In 6,5 % aller stellen haben ihr Beratungssetting deutlich Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. erweitert. Neben der Präsenzberatung ist die Tele- Waren die Frauen in Quarantäne oder hatten die fon- oder Videoberatung fester Bestandteil. Auch die Familien finanzielle Sorgen lagen die Zahlen deut- Onlineberatung über Chat oder E-Mail etabliert sich lich höher (Partnerschaftsgewalt, Kriminalstatisti- zunehmend. In besonderen Krisenzeiten, wie wir sie sche Auswertung, Berichtsjahr 2019). derzeit mit der Corona-Pandemie erleben, sind Bera- tungsangebote mit unterschiedlichen Settings (Prä- Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es immer noch zu wenig senz, Online, Telefon) unabdingbar, um Menschen Hilfsangebote für Opfer und Täter. Derzeit wird ver- gut begleiten zu können. sucht, durch ein Monitoring vergangener Statistiken und eine geschlechts- und länderübergreifende reprä- sentative Befragung aktueller Fälle bessere Daten zu Stephan Fuchs 9
Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der Coronazeit – Erfahrungen mit Telefonberatung und neuen Beratungsformen Abstract Für uns als Ehe-, Familien- und Lebensberatung stellte sich mit dem Lockdown die Frage, wie wir In dem Beitrag geht es darum, wie sich die Ehe-, als Beratungsdienst für die Klienten*innen gut Familien- und Lebensberatung der Erzdiözese erreichbar bleiben, in welcher Form sie Beratung in München und Freising mit der Einführung von Anspruch nehmen können, während wir zugleich telefonischer Beratung und anderen neuen dem Infektionsschutz gerecht werden. Um hier Beratungsformen auf die Erfordernisse durch unseren Auftrag zu erfüllen und zusätzlich für die die Coronakrise einstellte. Es wird beschrieben, Bewältigung der Krise zur Verfügung zu stehen, welche Auswirkungen dies auf die fachliche wurde mit Beginn des ersten Lockdowns das Bera- Ausgestaltung von Beratung hat und welche tungsangebot erweitert und erstmalig Beratung am Erfahrungen damit im letzten Jahr gewonnen Telefon regulär als Alternative zu einem Gespräch werden konnten. vor Ort angeboten. Moderne Modelle zur Unternehmensentwicklung Wie wurde es umgesetzt, wie gestaltet sich Bera- betonen die Bedeutung des Ausprobierens, von Trial tung am Telefon, welche Erfahrungen wurden darü- and Error, dem Lernen aus eigener Erfahrung, der ber hinaus gemacht? User Experience. Ein bekannt gewordenes Experi- ment für Gruppen ist die Aufgabe, in einer vorgege- benen Zeit aus mehreren Spaghetti, Marshmellows Wie wurde es umgesetzt? und Klebeband einen möglichst hohen, stabilen Turm zu bauen. Kindergartenkinder schnitten in der Regel Die Klienten*innen melden sich bei der Ehe-, Famili- erfolgreicher ab als Student*innen oder en- und Lebensberatung weiterhin regulär telefo- Teilnehmer*innen aus der Berufsgruppe der BWL. nisch an. Bei diesem Erstkontakt wird seit Einfüh- Während die Kinder sofort anfingen an dem Turm zu rung auf die ergänzende Möglichkeit für Beratung bauen, um dann früh aus den Problemen und ihren per Telefon hingewiesen. Bei der Wahl des Bera- Erfahrungen zu lernen, verwendeten die meisten tungssettings haben die Klienten*innen damit mehr Erwachsenen-Vergleichsgruppen mehr Zeit für die Einflussmöglichkeiten und wägen gemeinsam mit Planung und Fehler fielen dadurch erst später auf. der Fachkraft die verschiedenen Bedingungen Unternehmen werden dazu ermutigt, Ideen früh als gegeneinander ab. Die Krise beschäftigt und belas- Prototypen zu entwerfen und zeitnah die eigenen tet die Menschen unterschiedlich und es gibt indivi- Erfahrungen bei der Entwicklung einzubauen. duelle Bedürfnisse diesbezüglich. Nicht zuletzt aus diesem Grund stellte es sich als sehr sinnvoll her- Die Corona-Krise in diesem Jahr katapultierte uns in aus, dass unterschiedliche Formen der Beratung zur allen gesellschaftlichen Bereichen quasi über Nacht Verfügung stehen und individuell das passende in eine derartige experimentelle Situation. Sie Beratungssetting gefunden wird. Im Unterschied brachte uns unfreiwillig dazu, ungewohnt schnell zur Telefonseelsorge oder zum Kontakt über ein Kri- und ohne längere vorausgehende Planung neue Ide- sentelefon schließen sich in der Regel einem ersten en zu erproben. Es musste sofort mit der Umset- Beratungsgespräch weitere Termine mit derselben zung begonnen werden und diese mit eigenen Beraterin bzw. demselben Berater an. Das heißt, Erfahrungen vor Ort abgeglichen und darauf hier gibt es eine Bindung zu einer/einem festen reagiert werden. Wir wurden auch ermutigt, die fachlichen Ansprechpartner*in, und es entsteht in vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen und mit die- der Regel ein Beratungsprozess mit mehreren sen Mitteln kreative Lösungen zu finden. Das Maß Gesprächen über einen längeren Zeitraum hinweg. an Schöpferkraft und Flexibilität der Menschen setz- te in Erstaunen und gibt Anlass zu Zuversicht. 10
Besonders Eltern mit Kindern und Menschen mit geringer Mobilität profitierten von der neuen Mög- lichkeit der telefonischen Beratung, ohne auf einen längeren Beratungsprozess verzichten zu müssen. Auch für viele Berufstätige wurde es damit erleich- tert, einen Termin zu finden. Alle Klienten*innen, die bereits vor dem Lockdown in der Beratungsstelle waren und sich in einem Beratungsprozess befan- den, wurden kontaktiert. In einzelnen Fällen wurden Klienten*innen auch nach Abschluss einer Beratung von den entsprechenden Berater*innen angerufen, um sich aktiv nach ihrer Situation in der Krise zu erkundigen und sie über die Möglichkeit zu telefoni- scher Beratung zu informieren. Durchweg führte die- ses aktive Nachfragen – quasi ausnahmsweise eine „aufsuchende“ Beratung – zu sehr positiven Reaktio- nen von Seiten der Klienten*innen und das Interesse an ihnen als Person und für ihre jeweilige Situation wurde mit sehr viel Dankbarkeit aufgenommen. Tatsächlich entschieden sich mehr Einzelne für tele- fonische Beratung als Paare. Letztere wollten öfter warten, bis eine Beratung vor Ort wieder stattfin- den konnte. Dies war ab Mai mit einem entspre- chenden Hygienekonzept der Fall. Bei den Einzelbe- ratungen ging es inhaltlich mitunter um aktuelle Belastungen in der Krise, aber auch um partner- schaftliche oder familiäre Probleme. Getrennt leben- de Elternpaare konnten auch die Möglichkeit einer „Telefonkonferenz“ in Anspruch nehmen, bei der bei- de Klienten*innen sich getrennt jeweils an ihrem Ort befinden und gleichzeitig mit der/dem Berater*in telefonieren. Gerade zu Beginn der Coro- nakrise waren getrennte Familien stark gefordert, den Kontakt der Kinder mit beiden Elternteilen ver- lässlich herzustellen. Die ersten Versuche mit Videoberatung kamen Ende Mai hinzu. Für Paare ist dies eine sinnvolle Ergän- zung, um zusammen, aber mit räumlicher Distanz zur/zum Berater*in, Gespräche wahrnehmen zu können. Tatsächlich wurde die Anpassung der tech- nischen Ausstattung mit viel Einsatz vorangetrie- ben: es wurden teilweise Headsets bestellt, Laptops und Software für Videoberatung angeschafft und eingerichtet. Außerdem wurden – dies allerdings schon von lan- ger Hand geplant – Schulungen durchgeführt und die Ausstattung zur Verfügung gestellt für Online- beratung, also Beratung per Mail, Messanger Dienst oder Chat. 11
Dies alles erforderte viele finanzielle Ressourcen, Paares kann beispielsweise eine Beraterin oder ein aber auch ein großes Maß an Flexibilität, Lernbe- Berater die Klienten*innen bitten, jeweils die Kör- reitschaft, Fehlertoleranz und Offenheit für neue persprache des Partners bzw. der Partnerin in der Wege bei den Fachkolleg*innen. jetzigen Situation zu beschreiben. Dies bringt wei- tere Informationen, Anlass zu neuen Hypothesen, eine Verlangsamung und Ausgangspunkte für den Wie gestaltet sich Beratung am Telefon? weiteren Prozess. Die Beratungsarbeit an den Stellen zeichnete sich Wir Berater*innen mussten uns außerdem damit bis vor der Coronakrise durch einen direkten Kon- auseinandersetzen, wie wir die Klienten*innen bei takt mit den Ratsuchenden vor Ort aus. Die einer Paarberatung am Telefon gut darin unterstüt- Berater*innen sind darin geschult, im persönlichen zen können, dass eine angenehme Gesprächsatmo- Face-to-Face-Kontakt während des Gesprächs eine sphäre gelingt. Vor allem in emotional aufwühlen- tragfähige Berater*in-Klienten*innen-Beziehung den Gesprächssequenzen kann es passieren, dass aufzubauen, die Basis für jeden gelungenen Bera- sich die Gesprächspartner*innen gegenseitig unter- tungsprozess. Insbesondere in der Arbeit mit Paa- brechen und gleichzeitig sprechen. Hier gibt es gute ren, bei der mit der Triangularität und größeren Erfahrungen mit einvernehmlichen Absprachen im Komplexität in der Gesprächssituation umgegangen Vorfeld und einem besonders frühen Intervenieren werden muss, braucht es hier ein fachlich geschul- durch den/die Berater*in, um ein destruktives „Auf- tes und reflektiertes Vorgehen. schaukeln“ zu verhindern. Die Kommunikation ist am Telefon erschwert, wo Während bei einer Face-to-face-Beratung an der Informationsquellen wie Mimik, Gestik, Körperhal- Beratungsstelle bereits für Räumlichkeiten gesorgt tungen und Bewegungen fehlen. Die Bedeutung ist, in denen ein ungestörtes Gespräch stattfinden und der Gebrauch der eigenen Stimme (Stimmlage, kann, ist dies bei einer Telefonberatung erst zu klä- -variation, Sprechgeschwindigkeit, Atmung, Pau- ren: Haben die Klienten*innen einen angenehmen sen, Hervorhebungen, etc.) rückte für alle Ort? Haben sie sich Zeit reserviert? Inwiefern ist ein Berater*innen verstärkt in den Vordergrund der ungestörtes Sprechen möglich, ohne dass andere eigenen fachlichen Reflexion, da sie nahezu das Familienmitglieder des Haushaltes mithören? Sind alleinige Medium darstellt, mit dem Inhalte und die Klienten*innen konzentriert oder noch mit Bindungsangebote transportiert werden. Manche anderen Dingen beschäftigt? etc. Die Fragen danach Lücken können hier nur geschlossen werden, indem bieten zugleich eine natürliche Gelegenheit des diese explizit angesprochen werden. So kann es bei- Joinings, zur Kontaktaufnahme und zum Vertrau- spielsweise für beide Seiten wichtig sein, die Bedeu- ensaufbau bei Gesprächsbeginn. tung einer Pause zu erfahren: denkt das Gegenüber gerade über etwas nach oder ist es auf der Suche Allgemein werden am Anfang einer Beratung die nach Formulierungen, gibt es eine Ablenkung, wird Klienten*innen immer auch mündlich und mög- etwas aufgeschrieben, was findet zwischen einem lichst schriftlich über den Umgang mit dem Daten- Paar aktuell nonverbal statt? Hier gibt es unzählige schutz des Beratungsdienstes informiert. Diese Ein- Gründe und ebenso viele Interpretationsmöglichkei- willigung der Klienten*innen erfolgt gewöhnlich ten. Zum Handwerkszeug in der Beratung gehört durch Unterschrift. Bei Telefon- und Videoberatung es, eben diese Hypothesen immer wieder zu prüfen. erfordert diese Formalität durch das Versenden per Da sich am Telefon in beide Richtungen mehr Pro- Post einen größeren Sach- und Zeitaufwand für bei- jektionsflächen und Spielräume für Vorannahmen de Seiten. bieten, gestaltet sich dies ungleich aufwändiger als im Gespräch vor Ort. Welche Erfahrungen wurden darüber Zugleich findet dadurch aber auch eine Verlangsa- hinaus gemacht? mung im Gesprächsverlauf statt und es bringt die Chance mit sich, dass manche Vorgänge von den Als vielleicht größte Einschränkung wurde aus fach- Klienten*innen erstmals bewusst wahrgenommen licher Sicht die reduzierte Auswahl des methodi- werden. Bei einer telefonischen Beratung eines schen Vorgehens erlebt, wenn am Telefon nahezu 12
ausschließlich auf sprachliche Mittel zurückgegrif- weiter unter anderem durch einen begleitenden fen werden muss. Hier entfallen viele Möglichkeiten Arbeitskreis zu den verschiedenen Beratungsformen der Veranschaulichung und des Erlebens. Das Ver- fortgesetzt, der in diesem Sommer ins Leben geru- schicken von Anregungen z.B. in schriftlicher Form fen wurde. Mit Freude, Anstrengung, Kreativität, oder ein Hinweis auf ein Video oder Podcast konnte durch echtes Interesse, den Menschen beiseite zu hier mitunter das Gespräch sinnvoll ergänzen und stehen, ein kollegiales Zusammenhalten, institutio- Abwechslung bringen. Es liefert jedoch kaum Ersatz nelle Ermutigung zum Erproben und durch die indi- für erlebnisorientierte Interventionen im Rahmen viduelle Reflexion des eigenen Handelns ist hier viel eines Beratungsprozesses. gelungen. Der dazugewonnene Erfahrungsschatz wird auch nach Beendigung der Coronakrise mit Hingegen wurde von Seiten der Berater*innen die einfließen. Er hat den Weg bereitet zu Blended hohe Fokussierung am Telefon auf das Gespräch Counseling, also einer Verzahnung der verschiede- auch als gewinnbringend für die inhaltliche Arbeit nen Beratungsformen, so dass jeweils die Vorteile erlebt. Viele Kolleg*innen berichteten von der Erfah- der verschiedenen Formen bewusst eingesetzt wer- rung, dass es bei einer telefonischen Beratung mit- den können. unter leichter als bei einer Vor-Ort-Beratung oder Videoberatung fiel, sehr genau zuzuhören, mitzu- fühlen und das Thema konsequenter zu verfolgen. Christine Reimer Knatz und Schumacher beschreiben in ihrem Buch „Mediale Dialogkompetenz“ Anforderungen und Geschehnisse in der Psyche der beratenden Person während einer Beratung: „Es geht um die Fähigkeit, Quellen: Emotionen zu meistern, Werte zu jonglieren, Bedürfnisse zu reflektieren, Karten der Realität zu l Knatz, Birgitt & Schumacher Stefan, Mediale respektieren und vertiefende Fragen zu stellen“ Dialogkompetenz – Umgang mit schwierigen (Knatz & Schumacher, 2019, S. 11). Das Setting am Gesprächssituationen am Telefon, Springer, 2019 Telefon kann offensichtlich für diese innerlich ablau- fenden Prozesse in der Person dem/der Berater*in l Vortrag „Wie kommt Neues in die Welt? – Hal- förderliche Bedingungen schaffen und diese gut tung der Theorie U zur Gestaltung von Verände- unterstützen. Vermutlich geschieht dies dadurch, rungsprozessen von Dr. Martin Kempen im dass manche „Ablenkung“ durch visuelle Informati- Rahmen der Fachtagung für Stellenleiterinnen on fehlt oder man nicht unbewusst sofort auf die und Stellenleiter der Ehe-, Familien- und Lebens- Mimik oder Körpersprache des Gegenübers beim beratung – Fachdienst der katholischen Kirche Sprechen reagiert. Vielleicht unterstützen hier auch in Bayern, Landesarbeitsgemeinschaft der das Zurückgreifen auf eigene Notizen oder eine als Fachreferenten am 10. Juli 2019 nah empfundene und gute Sprachqualität beim Telefonieren mit einem Headset. l „Onlineberatung“ Schulung mit Referent Mag. Gerhard Hintenberger am 8. und 9. Oktober 2020 Die Ehe-, Familien- und Lebensberatung nutzte das Krisenjahr für eine Menge neuer Erfahrungen mit l Interne Zusammenstellung von Grundlagen und verschiedenen Beratungszugängen. Ein beherzter Erfahrungsberichten zu Beratung am Telefon Einstieg in neue Beratungsformen ist geschafft. Es durch Melanie Schreyer vom 11.5.2020 wurde aus der Notwendigkeit heraus in kürzester Zeit Neues aufgebaut, in die Wege geleitet und erprobt, was auch einen bleibenden Wert für die Entwicklung des Beratungsangebots besitzt. Sicher- lich konnte mehr Gespür entstehen, wo Möglichkei- ten und Grenzen der verschiedenen Beratungsfor- men liegen. Es ist gelungen, die Erfahrungswerte auch einer fachlichen Reflexion zu unterziehen und mit dem bestehenden Wissen zu verbinden. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen und wird auch 13
Öffentlichkeitsarbeit in Zeiten der Pandemie Abstract Thematisch gestaltete sich das vergangene Jahr folgendermaßen: Das vergangene Jahr war für uns alle ab dem Frühjahr stark geprägt durch die Corona Pande- Das erste Quartal begann mit einem Beitrag anläss- mie. Alle Presseanfragen zum Thema Partner- lich des Valentinstages. Für Viele ist dieser Tag schaft und Familie standen unter dem Aspekt, Anlass dem geliebten Menschen etwas schenken zu inwiefern Corona diese Lebensbereiche beein- wollen. Genau daraus aber ergibt sich für Paare mit- flusst. In unseren Beiträgen war es uns unter ein Konflikt zwischen Schenken Müssen und zunächst wichtig aufzuzeigen, dass diese kol- Schenken wollen, verbunden mit einem gewissen lektive Ausnahmesituation individuell sehr Konsum Verdruss. Aus diesem Grund war es uns unterschiedlich verarbeitet werden kann. Tole- wichtig alternative Impulse der Zuneigung zu for- ranz und Akzeptanz waren in dieser Zeit mulieren, in der Hoffnung zum Achtsamen Schen- wesentliche Fähigkeiten, um mit der Krise ken (*) zu motivieren. umzugehen. Mithilfe von konkreten Impulsen versuchten wir Mut zu machen, die Schwierig- Es folgte ein Interview, welches die Chancen und keiten konstruktiv zu bewältigen. Risiken von Online Dating Portalen und Partner- schaft (****) psychologisch beleuchtete. Im Jahr 2020 hatten wir wieder sehr viele unter- schiedliche Themen und Anfragen in Bearbeitung, In der beginnenden Fastenzeit beschäftigten wir um auf unser Beratungsangebot in gewohnter Form uns mit dem Thema wie es gelingen kann, Langzeit- aufmerksam zu machen. Das bedeutet, es gab Live beziehungen lebendig zu halten oder anders formu- Interviews, Studioaufzeichnungen, Texte für die Homepage des EOM, sowie Redaktionskonferenzen. Eine große Herausforderung stellten dann ab März die Corona Pandemie und der Lockdown dar. Das bedeutete für uns nicht nur eine Veränderung der Inhalte, sondern auch ein Setting Wechsel. Statt der üblichen Begegnungen mit Journalisten und Medienanstalten, fanden die Interviews nun telefo- nisch statt oder mussten auf Audio Dateien aufge- zeichnet werden. Darüber hinaus war es notwendig die Kontakte, bedingt durch Homeoffice Regelun- gen, kurzfristige Ausfälle durch Erkrankungen oder Quarantäne, immer wieder neu zu organisieren und abzusprechen. Eine weitere Erschwernis bildeten die sich oft kurz- fristig veränderten Corona Regelungen auf Bun- des- und Länderebene. Das bedeutete für unsere Arbeit, dass wir zu jedem Zeitpunkt über diese politischen Entscheidungen informiert sein muss- ten, um unsere Beiträge entsprechend anzupassen oder neu zu formulieren. Daraus ergab sich zudem die Notwendigkeit einer hohen zeitlichen Flexibili- tät aller Beteiligten. 14
liert, ihnen immer wieder eine „Frischzellenkur“ zu Ergänzend wurde für die Alleinstehenden das „ABC- gönnen. Viele praktische Tipps sollten dazu beitra- Modell der psychischen Widerstandsfähigkeit“ gen, die Frühlingsgefühle in Langzeitbeziehun- (*),(**) erklärt. Selbstverständlich dient es auch Paa- gen (*) zu fördern. ren und Familien zur Unterstützung. Noch im März, mit dem Beginn der Pandemie, war Die Kontaktbeschränkungen der Pandemie bedeute- das Beziehungsleben stark belastet. Daher bot sich ten für uns alle einen Verlust an Freiheit und gleich- das Thema Partnerschaft in Zeiten von Corona zeitig die Notwendigkeit neue Wege zu gehen, um (***) an. Hier ging es zunächst darum, die besonde- Zuneigung zu zeigen. Am Beispiel des Muttertags ren Herausforderungen durch den ersten Lockdown (***) entwickelten wir kreative Ideen zur Förderung zu reflektieren. Im zweiten Schritt wurden konkrete der Familienbeziehungen. Im Mai 2020 war die Möglichkeiten der Bewältigung entwickelt. aktuelle Regelung, dass man 1 Person im Freien tref- fen durfte. Von Reisen wurde aus Infektionsschutz- Das zweite Quartal begann mit einer Kooperation gründen abgeraten. So war es notwendig, neue zwischen Münchner Insel, Telefonseelsorge und Wege zu gehen, der Mutter gegenüber Zuneigung Ehe-, Familien- und Lebensberatung. auszudrücken. Hilfreich waren Absprachen zwi- schen den Geschwistern bezüglich der Besuchsmög- Unter dem Motto „So kommen Sie besser durch lichkeiten. Geschenke (wie z.B. ein Gutschein für die Quarantäne“ (*),(**) standen alle drei Einrich- eine Essenseinladung, sobald es wieder möglich tungen Rede und Antwort. Aus den unterschiedli- sein wird) oder Blumen (auch um den Blumenhan- chen Perspektiven konnten differenzierte Anregun- del zu unterstützen) sind Ausdruck von Dankbar- gen zum Thema Stressmanagement für Paare keit. Darüber hinaus kann man seine Liebe in Form vermittelt werden. Auch für die Familien wurden von Briefen, Telefonaten oder Skype Kontakten zum Strategien zur Bewältigung der häuslichen Quaran- Ausdruck bringen. Natürlich gelten diese Formen täne vorgestellt. der Zuwendung auch zu allen anderen Anlässen im Jahr (wie z.B. Geburtstage, Namenstage, Feier-, oder Jahrestage). Diese Fürsorgearbeit wird in der Regel von den Frauen in der Familie übernommen. Daher kann es sehr entlastend sein, wenn Männer sich auch um die Pflege der familiären Beziehungen kümmern. Im besten Fall könnte diese Pandemie dazu führen sich bewusst zu werden, wie wichtig menschliche Begegnungen im Alltag sind und wie sehr wir Alle Nähe und Zuneigung brauchen. Diese Aspekte sind Grundpfeiler der psychischen Gesund- heit. Wichtig war es uns durch die konkreten Bei- spiele zu vermitteln, dass eine Kontakteinschrän- kung kein Kontaktabbruch bedeuten muss. In einem Interview zum Thema Maskenpflicht (***) wurde die Fragestellung, wie das soziale Miteinan- der trotzdem weiter gelingen kann, noch weiter vertieft. Verschiedene Fragen wurden dazu beantwortet: Wie beeinflusst das Tragen der Maske die Kommu- nikation? Da wir sprachlich nicht mehr so gut zu verstehen sind, müssen wir lauter sprechen. Darü- ber hinaus ist der mimische Ausdruck sehr einge- schränkt, sodass wir unser Gegenüber oft nur schwer einschätzen können. Aber das Gute ist, dass sich ein Lächeln auch über die Augen überträgt. 15
Wie können Kleinkinder auf das Tragen von Masken Stichwort „Blended Counseling“ wurden sowohl die ihrer Eltern vorbereitet werden? Die Haltung der strukturellen, als auch die beraterischen Herausfor- Eltern zu dieser Maßnahme beeinflusst die Akzep- derungen mit den daraus resultierenden neuen tanz der Kinder zum Tragen der Maske. Oder anders Beratungsformen (Telefon- und Videoberatung) gesprochen, die Erwachsenen können als positives beschrieben. Vorbild dienen. Es ist sinnvoll das Tragen der Maske altersgerecht zu vermitteln. Bei Babys und Kleinkin- Zum Jahresende befassten wir uns mit der Frage, dern hilft ein spielerischer Umgang, indem die Mas- wie der Glaube über diese schwierige Zeit hinweg- ke wie ein neues Spielzeug eingeführt wird. Ab dem helfen kann und inwiefern Rituale Trost spenden. Grundschulalter kann die Maske auch kreativ gestal- Veranschaulicht wurde dieser Aspekt in der konkre- tet werden, wodurch die Kinder diese eventuell lie- ten Gestaltung des Weihnachtsfestes (***), welches ber tragen. Bei den Jugendlichen ist ein differenzier- im letzten Jahr verändert gefeiert werden musste. teres Erklärungsmodell sinnvoll. Durch die regelmäßige Teilnahme an den Redakti- In der Sendung „Stichwort Kirche“ (***) war es uns onskonferenzen konnten wir unsere Themen auf der möglich kurz und knackig die Ehe-Familien- und Homepage des EOM platzieren. Darüber hinaus Lebensberatung vorzustellen. waren wir kontinuierlich auf den Social Media Kanälen (facebook und instagram), wie auch über In den Sommermonaten drehten sich die Beiträge podcasts vertreten. rund um die Lebensbereiche Urlaub und Entspan- nung in Zeiten von Corona (*),(***) Was gehörte in Interviews wurden auf folgenden Sendern ausge- dieser Saison alles in den Urlaubs- bzw. Notfallkof- strahlt: Münchner Kirchenradio, Antenne Bayern, fer um sicher zu reisen, war die zentrale Frage. Rei- Radio Arabella, Radio Charivari, Top FM, Radio sen in Zeiten der Pandemie erfordern eine wesent- Alpenwelle, Radio Oberland und Bayernwelle lich umfangreichere und differenziertere Planung Südost. und Vorbereitung. Paare und Familien müssen sich bereits im Vorfeld viel intensiver über potenzielle Es ist davon auszugehen, dass uns die Pandemie Risiken und unterschiedliche Bedürfnisse austau- mit ihren Auswirkungen auch im Jahr 2021 im schen: z.B. die sich stetig ändernden Reise- und Bereich der Öffentlichkeitsarbeit weiter beschäfti- Quarantäne Bestimmungen, Stornierungsmodalitä- gen wird. ten, Infrastruktur und ärztliche Versorgung am Urlaubsort, Abklärung von Rücktransport Möglich- keiten, aber auch die Frage, wie kann Erholung Anjeli Goldrian, Isabelle Überall trotz all der Maßnahmen gelingen. Sowohl im Urlaub, als auch im Alltag ist es wichtig, trotz aller Einschränkungen, immer wieder Inseln der Ent- spannung zu schaffen, statt sich permanent mit Nachzulesen bzw. -hören unter dem Negativen zu beschäftigen: z.B. gute Gesprä- che, liebevoller Umgang miteinander / Achtsamkeit (*): Homepage der Ehe-, Familien- und mit dem eigenen Körper, gesunde Ernährung, aus- Lebensberatung reichend Schlaf, Bewegung in der Natur / Kraftquel- len am Wohn- und Arbeitsplatz z.B. mittels Fotos (**): Homepage des Erzbistums München und Musik. und Freising Im letzten Quartal konnten wir anlässlich ihres (***): Radiosender und Social Media Kanäle – 50-jährigen Bestehens, die Ehe-, Familien- und facebook, instagram, Münchner Kirchen Lebensberatung im Wandel der Zeit (**),(***) aus- radio, Antenne Bayern, Radio Arabella, Radio führlich auf verschiedenen Plattformen und in Soci- Charivari, Top FM, Radio Alpenwelle, Radio al Media Kanälen darstellen. Oberland, Bayernwelle Südost Es folgte eine umfassende Zusammenschau über (****): Münchner Kirchenzeitung, Ausgabe 2/2020 Beratung im Krisenjahr (**),(***). Unter dem 16
„Männersensible und männlichkeits- reflektierende Beratung“ Fortbildung für Beratungsfachkräfte Männer in Beratung im Rahmen durch miterlebte Gewalt zwischen den Eltern trau- des Projektes Gewaltschutz und matisiert werden (Gefährdung des Kindeswohls!). Gewaltschutzprävention Da alle Formen von Gewalt destruktiv sind, ist es Abstract notwendig, Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz vor häuslicher Gewalt auch an Männern so Im Rahmen des Modellprojekts „Häusliche und/ zu etablieren, dass das Phänomen von häuslicher oder sexualisierte Gewalt gegen Männer“ des Gewalt an Männern bekannt und die Hilfsangebote Bayerischen Staatsministeriums für Familie, leicht zu finden und niederschwellig erreichbar sind. Arbeit und Soziales (StMAS) richtet der Landes- ArbeitsKreis für Ehe-, Partnerschafts-, Familien- Im Rahmen des Modellprojekts „Häusliche und/oder und Lebensberatung in Bayern in den Jahren sexualisierte Gewalt gegen Männer“ des Bayeri- 2020 und 2021 eine trägerübergreifende Qualifi- schen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und zierungsmaßnahme für Beratungsfachkräfte Soziales (StMAS), das zum Gesamtkonzept ‚Gewalt- aus. Die Fortbildung dient der Sensibilisierung prävention und Gewaltschutz‘ der Bayerischen für die männliche Identitätsentwicklung und Staatsregierung gehört, richtet der LandesArbeits- den daraus resultierenden Auswirkungen auf die Kreis für Ehe-, Partnerschafts-, Familien- und Lebens- und Beziehungsgestaltung. Lebensberatung in Bayern in den Jahren 2020 und 2021 eine trägerübergreifende Qualifizierungsmaß- Partnergewalt ist ein weitverbreitetes Phänomen. nahme für Beratungsfachkräfte der Ehe-, Partner- Dabei richten sich die Gewalttaten in Partnerschaf- schafts-, Familien- und Lebensberatung aus. Ziel ist ten überwiegend gegen Frauen, aber auch Männer es, eine möglichst flächendeckende, zusätzliche sind davon betroffen. Während im Bewusstsein der Qualifizierung unseres Fachpersonales für die Bera- Öffentlichkeit dem Thema ‚Häusliche Gewalt an tung von Männern und im Besonderen von Män- Frauen‘ inzwischen ein relativ beständiger Platz ein- nern, die von häuslicher und/oder sexualisierter geräumt wird und diverse Hilfeangebote für betrof- Gewalt betroffen sind, zu erreichen. fene Frauen geschaffen wurden, ist das Thema ‚Gewalt an Männern‘ nicht wirklich im öffentlichen Für die Erzdiözese München und Freising nahmen Bewusstsein präsent und weitgehend tabuisiert, an der Qualifizierungsmaßnahme bisher acht obwohl der Anteil der männlichen Opfer bei Part- Kolleg*innen teil. nerschaftsgewalt laut kriminalstatistischer Auswer- tung des Bundeskriminalamtes steigend ist. In dem dreitägigen Workshop mit Björn Süfke als Referent beschäftigten sich die Teilnehmer*innen Es gibt unterschiedliche Formen von Gewalt inner- mit folgenden Inhalten: halb von Partnerschaften: psychisch, physisch, sexu- ell, ökonomisch, digital. Sie wird in heterosexuellen 1. Männliche Rollenbilder und Stereotypen, Männ- und homosexuellen Beziehungen ausgeübt, und sie lichkeitsanforderungen; psychologische Entwick- tritt als gegenseitige Gewalt auf, in der beide Part- lung von Jungen; typische männliche Bindungs- ner sowohl Opfer als auch Täter sind, und einseitig muster, Bindungsverhalten und Bez ieh ungs- als Gewalt eines Partners dem anderen gegenüber. muster; Diskriminierung von Männern Jede Form von Gewalt kann Auswirkungen auf die 2. Männer im Beratungssetting: männertypische körperliche und seelische Gesundheit des betroffe- Kommunikationsformen, Art der therapeutischen nen Partners haben. Kinder sind immer direkt oder Beziehung; Erkenntnisse der gendersensiblen indirekt von häuslicher Gewalt betroffen, weil sie Psychodiagnostik, der Psychotherapie und des 17
Beratungssettings; typische Übertragungs- und Jahrzehnten die traditionellen Männlichkeitsvorstel- Gegenübertragungsphänomene; Erkennen von lungen in die Krise geraten. Die traditionellen Rol- und Umgang mit typischen männlichen Abwehr- lenvorstellungen werden in Frage gestellt, so dass mechanismen und Bewältigungsstrategien sich Männer oft in einer doppelten Krise befinden: die Anforderungen der traditionellen Männlichkeit 3. Gewalt und Opferschaft in der Lebensbiographie führen sie an ihre Grenzen, zugleich sind sie in ihren von Männern; Opferschaft von Männern bei häus- Partnerschaften mit Forderungen nach mehr Flexi- licher Gewalt; Bedürfnisse und Ressourcen von bilität konfrontiert. All dies führt oft zu einer exis- Männern bei der Wahrnehmung, Beendigung und tentiellen Verunsicherung bei Männern. Bewältigung von Gewaltwiderfahrnissen, insbe- sondere bei häuslicher Gewalt; Erfahrungen in Für Therapie und Beratung mit Männern werden im der Unterstützung von Männern, die von Gewalt Workshop Interventionen der liebevollen Konfronta- betroffen sind. tion geübt, die Männern eine wertschätzende, aber auch direkte Auseinandersetzung mit sich, ihren Der Workshop sensibilisierte die Teilnehmer*innen Bedürfnissen und Wünschen und ihrer Geschichte für das grundlegende Problem der männlichen Iden- ermöglichen und eine Entfaltung der eigenen Iden- titätsentwicklung: Männliche Identität entwickelt tität fördern. sich in unserer Gesellschaft und auch in den meis- ten anderen Kulturen in Abgrenzung von weiblicher Die Teilnehmer*innen erlebten die Fokussierung auf Identität. Männer sollen deswegen beispielsweise die ‚Männer in der Beratung‘ als Perspektivenerweite- stark, überlegen, hilfreich etc. sein. Da Gefühle der rung und somit als lehrreich und hilfreich, sie konn- weiblichen Identität zugeordnet werden, haben ten vom Praxisbezug der Fortbildung sehr profitieren. Männer einen erschwerten Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen, was zu einer Entfrem- dung von ihrer eigenen Identität führt. Durch die Sabine Rusnak Frauenbewegung sind in den letzten Jahren und 18
Statistische Daten aus dem Jahr 2020 1. Überblick durchgeführt. Viele geplante Kurse mussten pande- miebedingt abgesagt werden. Von 3 Kolleginnen 5560 Personen nahmen im Jahr 2020 das Angebot wurden 310 Onlineberatungsstunden durchgeführt. der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensbera- tungsstellen (EFL) in der Erzdiözese München und Tabelle 3: Co-Beratungsstunden (à 50 Min.) Freising in Anspruch. h Tabelle 1: Statistischer Vergleich für die Gesamtheit der Ratsuchenden Einzelberatung 53 2019 2020 Paarberatung 92 Anzahl der Personen 6.179 5.560 Familienberatung 5 Gesamtzahl der Fälle 3.959 3.609 Bei hochstrittigen Paaren, die vom Jugendamt oder vom Gericht an die Beratungsstellen überwiesen Wie Tabelle 1 zeigt, gab es im Vergleich zum letzten wurden, führten oftmals 2 Beraterinnen oder Bera- Jahr eine Abnahme in der Zahl der beratenen Perso- ter die Beratungen durch, bei denen die Trennung nen. Insgesamt kamen über 600 Personen weniger der Paare begleitet und Umgangsregelungen für die an die EFL als ein Jahr zuvor. Auf die Gründe für die- Kinder erarbeitet wurden. In der Summe waren dies sen pandemiebedingten Rückgang wird im 2. 150 Stunden (siehe Tabelle 3). Abschnitt detailliert eingegangen werden. Tabelle 2: Beratungsstunden (à 50 Min.) 2. Beratung in Zeiten von COVID-19 h Die massiven Einschnitte, die 2020 mit der Pande- mie verbunden waren, werden sehr deutlich, wenn Einzelberatung 15.102 man sich die Veränderungen in den Beratungsleis- tungen einschließlich der durchgeführten und abge- Paarberatung 12.795 sagten Beratungsstunden anschaut. Es zeigt sich, dass in der ersten Schockphase der Pandemie, als in Familienberatung 238 den Nachrichten erst die Bilder von den Särgen aus Gruppenberatung 90 Bergamo und später aus New York gezeigt wurden, die Beratungen massiv zurückgingen. Eine Verände- Onlineberatung 310 rung in den Beratungsleistungen in einem solchen Ausmaß gab es bislang in der Geschichte der EFL Gesamt 28.535 noch nie und erst recht keine derart gravierenden Rückgänge, weder im Zuge der deutschen Einheit noch nach 9/11 oder während der Finanzkrise. Im Tabelle 2 informiert über die unterschiedlichen Grunde fand das Gegenteil von dem statt, was nor- Beratungssettings. An den Beratungsstellen wurden malerweise erwartet werden würde: in einer extre- überwiegend Einzelberatungen (15102 Stunden) und men Stresssituation zogen sich die Menschen Paarberatungen (12795 Stunden) angeboten. Der zurück und aus Angst, sich anzustecken, vermieden Anteil der Familien- und Gruppenangebote lag bei sie es, sich Hilfe zu suchen. Dieses Phänomen konn- 238 und 90 Stunden. Die Gruppenberatungen te nicht nur bei der EFL beobachtet werden, sondern umfassten 4 Gruppen mit insgesamt 90 Beratungs- auch in Arztpraxen, in anderen Beratungsstellen, in stunden. Es wurden ein KOMKOM Kurs, ein KOM- Kliniken und bei niedergelassenen Therapeuten. SPL Kurs sowie zwei Kurse „Kinder im Blick“ 19
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