Einflussfaktoren und Prävention von Linksextremismus
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EXTREMISMUSPRÄVENTION Einflussfaktoren und Prävention von Linksextremismus dem Item „Wirklich frei können wir nur Laura Treskow & Dirk Baier dann sein, wenn der ganze Staat ab- geschafft wird“ erfasst. Zur Messung Auf Initiative des Landespräventionsrats Niedersachsen haben das Kriminolo- militanter, gewaltbefürwortender gische Forschungsinstitut Niedersachsen und das Institut für Delinquenz und Einstellungen kamen Items wie „Ge- Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gen die Unterdrückung durch Staat eine Analyse zum Phänomen des Linksextremismus in Niedersachsen durchge- und Polizei muss man gezielt Gewalt führt, dessen primäres Anliegen darin bestand, Einflussfaktoren und Präven- einsetzen“ oder „Ich finde es in Ord- tionsmöglichkeiten dieses Phänomens zu untersuchen (Treskow/Baier 2020). nung, wenn die Gebäude oder Luxus- Im Folgenden werden ausgewählte Befunde der Analyse vorgestellt, wobei autos der weltweiten Großunterneh- vor allem auf die Ergebnisse von Befragungsstudien sowie die Folgerungen men und Wirtschaftsbosse beschädigt für die Prävention eingegangen wird.1 werden“ zum Einsatz. Linksextremes Verhalten wurde über Aussagen wie „Ich habe in den letzten zwölf Mona- der Forderung nach einer von sozialer ten ein Auto oder Haus angezündet, Gleichheit geprägten Gesellschafts- um gegen die Großunternehmer und Das Linksextremismus-Konzept ordnung die Normen und Regeln ei- Millionäre zu protestieren“ oder „… je- Wird zunächst die Definition des nes modernen demokratischen Ver- manden geschlagen und verletzt, weil Bundesamts für Verfassungsschutz fassungsstaates ablehnen“, zu fassen.2 er rechts war“ gemessen.3 (o. J.) herangezogen, so sind diejenigen Das angestrebte gesellschaftliche Abbildung 1 stellt den Anteil an Be- Einstellungen, Positionen, Bestrebun- Gegenmodell zur Demokratie besteht fragten dar, die sich zustimmend zu gen und Handlungen als linksextrem entweder in einer weitestgehend den Einstellungsskalen geäußert ha- zu kategorisieren, die sich „gegen die selbstverwalteten, herrschaftsfrei- ben bzw. die mindestens eine Form freiheitliche demokratische Grundord- en Gesellschaft (Anarchismus) oder des linksextremen Verhaltens aus- nung [richten und] die auf einer Ver- im Kommunismus. Ein weiteres zen geführt haben. Den Items zur Erfas- absolutierung der Werte von Freiheit trales Element des Linksextremismus sung der Einstellungen konnte von „1 und (sozialer) Gleichheit beruhen, wie ist zudem die Legitimation bis hin zur – stimmt nicht“ bis „7 – stimmt genau“ sie sich insbesondere in den Ideen von tatsächlichen Anwendung von Gewalt zugestimmt werden; als Zustimmung Anarchismus und Kommunismus aus- als (notwendiges) Mittel zur Zielerrei- wurden Werte über 4,0 eingestuft. drücken“. Diese weit gefasste Linksex- chung. Anarchismus/Kommunismus Die Zustimmung zum Anarchismus tremismus-Konzeption ist allerdings und Gewaltanwendung (im Sinne von ist zunächst von 9,6 auf 11,5 % ge- nicht unumstritten, weil unklar bleibt, linker Militanz) bilden demnach die stiegen und anschließend wieder auf welche Indikatoren noch demokrati- Kerndimensionen des Linksextremis- 9,6 % gefallen ist. Zum Jahr 2019 geht sche Einstellungen und Handlungen mus. der Zustimmungsanteil dann deut- abbilden und ab welchem Grad der Zu- lich zurück (1,8 % Zustimmung).4 An- stimmung zu radikalen Einstellungen archistische Ideen werden von jungen diese als linksextremistisch zu kate- Linksextremismus im Licht gorisieren sind. Für Pfahl-Traughber von Befragungsstudien 1 An dieser Stelle möchten die Autorin und der Autor dem Landespräventionsrat Niedersachsen und hier (2020, S. 23) lässt sich der Linksextre- besonders Herrn Thomas Müller für die Förderung mismus wie folgt kennzeichnen: Ers- Seit dem Jahr 2013 wird im Zwei-Jah- und Begleitung des Projekts danken. tens geht es um alle politischen Auf- res-Abstand vom Kriminologischen 2 Weitere Definitionen betonen das Merkmal der frei- heitsberaubenden Kollektivierung (Schroeder und fassungen und Handlungen, die der Forschungsinstitut Niedersachsen Deutz-Schroeder, 2019, S. 27 f), eingebettet in einen „radikal-egalitären Politikentwurf“ (Backes, 2008) Gleichheit eine herausgehobene Posi- eine Repräsentativbefragung von 3 Vgl. für die ausführlichen Messinstrumente Treskow tion im eigenen politischen Selbstver- Schülerinnen und Schülern der neun- und Baier (2020). Zusätzlich konnten in der Analyse ständnis zuweisen. Zweitens richten ten Jahrgangsstufe, mit jeweils ca. von Treskow und Baier (2020) Daten einer Erwachse- nenbefragung berücksichtigt werden; diese werden sich die damit einhergehenden Bestre- 10.000 Befragten, im Bundesland Nie- hier allerdings nicht in die Betrachtung einbezogen. bungen gegen die Normen und Regeln dersachsen durchgeführt. Bis dato Hinzuweisen ist zudem darauf, dass die Messinstru- mente der Jugendbefragung im Jahr 2019 teilweise eines modernen demokratischen Ver- liegen vier Erhebungen der Trendbe- von den Instrumenten der vorherigen Jahre abwichen. fassungsstaates. Drittens sind vor al- fragung vor, die für die Analyse des 4 Hier ist zu beachten, dass dieser Anteil nicht direkt vergleichbar ist mit den Vorgängerjahren, insofern im lem die angewandten Mittel, insbeson- Linksextremismus herangezogen wer- Jahr 2019 Anarchismus teilweise mit anderen Items dere der Gewalteinsatz zu betrachten. den können – zu Einstellungen ebenso erfasst wurde. Wenn die Auswertungen aber auf das kompatible Item beschränkt werden („Wirklich frei Unter Linksextremismus sind demnach wie zu Verhaltensweisen. können wir nur dann sein, wenn der ganze Staat ab- letztlich „alle politischen Auffassun- Die Einstellung des Anarchismus geschafft wird“), dann ergibt sich ebenfalls ein starker Rückgang, insofern 2019 nur noch 3,0 % der Jugendli- gen und Bestrebungen, die im Namen wurde in allen Befragungen bspw. mit chen dieser Aussage zustimmten. 12 forum kriminalprävention 1/2021
EXTREMISMUSPRÄVENTION sellschaftlichen Ordnung abwen- det. ■■ Ebenfalls eine Rolle spielt der Me- dienkonsum. Zumindest in den Be- fragungen der Jahre 2013 bis 2017 kann dabei einerseits der Zusam- menhang zwischen Gewaltmedi- enkonsum (z. B. Horrorfilme sehen, Gewaltspiele spielen) und Linksex- tremismus betrachtet werden. Die Auswertungen zeigen, dass ein häufigerer Gewaltmedienkonsum die Zustimmung zu linksextremen Einstellungen ebenso verstärkt wie die Ausübung linksextremen Ver- haltens. Andererseits wurde auch der spezifisch linksorientierte Me- dienkonsum erhoben. Hierbei soll- ten die Jugendlichen einschätzen, Abbildung 1: Zustimmung zu linksextremen Einstellungen und Verhalten (in %; gewichtete Daten) wie häufig sie linke Zeitungen lesen, Texte von im linken Milieu geschätz- Menschen insofern immer seltener milienbezogene Faktoren kaum mit ten Autoren lesen, Musik linker geteilt. Für die anderen beiden Indi- Linksextremismus in Beziehung ste- Gruppen hören oder Internetsei- katoren findet sich hingegen kein ent- hen. Männliche Befragte befürworten ten mit linkem Inhalt besuchen. sprechend starker Rückgang: Die Zu- allerdings signifikant häufiger militan- Jede Form des linksorientierten stimmung zu militanten Einstellungen te Einstellungen; eine höhere Bildung Medienkonsums wurde dabei mit liegt in jedem Erhebungsjahr bei etwa schützt hingegen tendenziell vor an- Beispielen illustriert (Zeitungen: 5 Prozent. Für das linksextreme Ver- archistischen und militanten Einstel- z. B. Junge Welt, Texte: z. B. Mao, halten ergibt sich ein leichter Rück- lungen. Zusätzlich gilt, dass elterliche Musik: z. B. Rasta Knast, Internet- gang von 2,4 auf 1,5 %, gefolgt von ei- Zuwendung und elterliches Kontroll- seiten: z. B. Indymedia). Je häufiger nem leichten Anstieg auf 1,7 %. Dies verhalten Schutzfaktoren linksex junge Menschen derartige Medien bedeutet, dass zwar nur ein kleiner tremer Einstellungen sind. Der Sozial- konsumieren, umso stärker stim- Teil der Jugendlichen eine Gewaltbe- status, die Vereinszugehörigkeit, die men sie anarchistischen und mi- reitschaft zeigt (hinsichtlich Einstel- Religiosität oder die regionale Her- litanten Einstellungen zu. Zusätz- lungen wie Verhalten); dieser Anteil kunft spielen für die Zustimmung lich ergibt sich ein bedeutsamer ist über die Jahre hinweg aber mehr zum Linksextremismus hingegen kei- Zusammenhang mit dem linksex- oder weniger gleich geblieben. ne Rolle. tremen Verhalten. Der linksorien- Geprüft wurden zudem die Korre- Bedeutsame Risikofaktoren finden tierte Medienkonsum ist daher alles lationen zwischen den Einstellungs- sich hingegen in den Sozialisationsbe- in allem recht folgenreich sowohl skalen und dem Verhaltensindex. Die reichen Freunde, Schule und Medien, für die Einstellungen als auch das Einstellungsskalen korrelieren in mitt- Persönlichkeit und Verhaltensauffäl- Verhalten. Da sich Jugendliche lerer Höhe miteinander.5 Dies bedeu- ligkeiten: über den eigenen Medienkonsum tet, dass beide Einstellungen nicht ■■ Einen engen Zusammenhang gibt austauschen und über diese Inhal- identisch sind und separat hinsicht- es bspw. zwischen der Bekannt- te informieren, kann auch hier die lich möglicher Einflussfaktoren be- schaft mit delinquenten Freun- Gruppenzugehörigkeit ein nicht zu trachtet werden sollten. Gleiches gilt den und Linksextremismus. Wenn vernachlässigender Faktor sein. mit Blick auf das Verhalten: Die Kor- Befragte entsprechende Freund- Werden verschiedene Merkma- relationen der Einstellungsskalen mit schaften haben, dann geht dies le der Persönlichkeit betrachtet, so dem Verhaltensindex fallen eher nied- mit einer höheren Zustimmung zu zeigt sich zunächst, dass Empathie für riger aus.6 linksextremen Einstellungen und linksextreme Einstellungen bedeut- Neben der Verbreitung linksextre- einem häufigeren Ausüben links- sam ist: Je höher dieses Merkmal aus- mer Einstellungsmuster und Verhal- extremen Verhaltens einher. geprägt ist, desto niedriger fällt die tensweisen ist von besonderem In- ■■ Für den Schulbereich gilt daneben, Zustimmung zur Militanz und – etwas teresse, welche Einflussfaktoren die dass erstens schlechtere Schulleis- weniger – zum Anarchismus aus. Auf Hinwendung zu diesen begünstigen tungen mit einer Befürwortung Verhaltensebene hat Empathie aller- können. Hierzu wurde eine ganze Rei- des Linksextremismus einherge- dings keine Wirkung. Dies ist aber für he bivariater Korrelationsanalysen be- hen. Zweitens reduziert eine hö- das Merkmal der niedrigen Selbstkon- rechnet. Die niedersachsenweiten Be- here Schulbindung insbesondere fragungen eignen sich aufgrund ihres die Zustimmung zu linksextremen 5 Der Korrelationskoeffizient r liegt zwischen .41 und .49 Mehr-Themen-Charakters dazu, eine Einstellungen. Drittens findet sich (je nach Erhebungsjahr). Vielzahl an Einflussfaktoren zu prü- Gleiches auch für die Interventions- 6 Die Korrelationen zwischen Anarchismus und linksex- tremem Verhalten liegen zwischen .04 und .14, zwi- fen. Eine Auswahl der Ergebnisse ist bereitschaft der Lehrkräfte. Positi- schen Militanz und Verhalten zwischen .14 und .23. in Tabelle 1 dargestellt.7 ve schulische Erfahrungen haben 7 Die Auswertungen wurden getrennt für die Jahre 2013 bis 2017 und 2019 durchgeführt, weil 2019 teilwei- Hinzuweisen ist zunächst darauf, also zur Folge, dass man sich weni- se andere Messinstrumente zur Erfassung von Links dass sozio-demografische sowie fa- ger stark von der bestehenden ge- extremismus eingesetzt wurden. 13
EXTREMISMUSPRÄVENTION 2013–2017 2019 Anarchismus Militanz Verhalten Anarchismus Militanz Verhalten Delinquente Freunde .18 .24 .18 .11 .18 .16 Schulleistungen .13 .15 Schulbindung –.20 –.18 –.12 –.18 –.10 Interventionsbereitschaft Lehrkräfte –.16 –.19 –.12 –.16 –.10 Gewaltmedienkonsum .15 .24 .11 n. e. n. e. n. e. Linksorientierter Medienkonsum .14 -18 .18 .13 .14 Empathie/Perspektivübernahme –.10 –.18 –.17 Selbstkontrolle: Risikosuche .24 .26 .14 .12 .23 .13 Männlichkeitsnormen .23 .36 .15 .17 .25 .16 Verschwörungsmentalität n. e. n. e. n. e. .24 .25 .10 Linke Orientierungen .50 .56 .12 .40 .45 .12 Alkoholkonsum in letzten 12 Monaten .11 .15 .13 Konsum illeg. Drogen in letzten 12 M. .18 .18 .20 .10 .18 .15 Schulschwänzen .11 .12 .15 .17 .10 Delinquenz in letzten 12 Monaten .14 .19 .20 .19 .16 n. e. – in der jeweiligen Befragung nicht erhoben Tabelle 1: Einflussfaktoren des Linksextremismus (Pearson r; gewichtete Daten; abgebildet: r ≥ .10; zur Interpretation: Nach Cohen (1988) werden Zusammenhänge bei Werten ab r=0,10 als schwach, ab r=0,30 als mittelstark und ab r=0.50 als stark eingestuft) trolle, erfasst über die hohe Risikosu- eingestuft werden können. Für diese lysen zur Erklärung linksextremen che, der Fall. Je höher die Risikosuche Orientierungen zeigen sich die über Verhaltens durchgeführt. Diese las- ausgeprägt ist, umso mehr stimmen alle Auswertungen hinweg stärksten sen sich wie folgt zusammenfassen: Befragte linksextremen Einstellungen Korrelationen mit den linksextremen Der Weg zur linksextremen Gewalt zu und desto eher führen sie linksex- Einstellungen. Allerdings fällt der Zu- scheint über verschiedene Wege zu tremes Verhalten aus. Die (fehlende) sammenhang mit dem linksextremen verlaufen. Selbstkontrolle ist damit ein entschei- Verhalten wiederum deutlich schwä- Aus der bestehenden Literatur ist dender Einflussfaktor des Linksextre- cher aus. bereits bekannt, dass Delinquenzver- mismus. Zusätzlich sind in Tabelle 1 Auswer- halten mit verschiedenen Formen von Ein zur niedrigen Selbstkontrolle tungen zum Einfluss verschiedener Extremismus zusammenhängen kann vergleichbares Bild zeigt sich für die Verhaltensauffälligkeiten dargestellt. (z. B. Manzoni et al., 2019). In den Ana- Zustimmung zu Männlichkeitsnor- Diese belegen, dass der Konsum ille- lysen konnte damit übereinstimmend men (z. B. „Ein Mann sollte bereit sein, galer Drogen (Cannabis, Ecstasy usw.) eine Art „Delinquenzpfad“ identifiziert Frau und Kinder mit Gewalt zu verteidi- sowie die Ausübung delinquenter Ver- werden, nach dem Personen, die ei- gen“). Solche mit Gewalt assoziierten haltensweisen (Ladendiebstahl, Sach- nen delinquenten Lebensstil zeigen Männlichkeitsvorstellungen haben beschädigung, Körperverletzung) mit (sich mit delinquenten Freunden um- zur Folge, dass linksextreme Einstel- linksextremen Verhalten bedeutsam geben, Drogen konsumieren, selbst lungen häufiger akzeptiert werden korrelieren. Beide Faktoren stehen delinquentes Verhalten ausführen), und ebenfalls häufiger linksextremes auch mit linksextremen Einstellun- auch eher zu linksextremem Verhalten Verhalten ausgeführt wird. gen in Beziehung. Zusätzlich zeigen neigen. Dieser delinquente Lebensstil Das Merkmal der Verschwörungs- sich auch – insgesamt etwas schwä- ist den Ergebnissen bisheriger For- mentalität wurde nur in der Befra- chere – Zusammenhänge für den Alko- schungen entsprechend weitestge- gung des Jahres 2019 erfasst. Entspre- holkonsum und das Schulschwänzen. hend durch Sozialisationserfahrungen chend der in Tabelle 1 dargestellten Ein häufigerer Alkoholkonsum erhöht in verschiedenen Bereichen geprägt Korrelationen gilt, dass eine stärker die Zustimmung zu linksextremen und Ausdruck spezifischer Personen- ausgeprägte Verschwörungsmentali- Einstellungen. Ein häufigeres Schul- eigenschaften. Delinquenz kann dem- tät insbesondere die Zustimmung zu schwänzen geht mit einer stärkeren nach als Risikofaktor für Linksextre- linksextremen Einstellungen erhöht; Befürwortung linksextremer Einstel- mismus identifiziert werden. der Zusammenhang mit dem Verhal- lungen einher. Anderseits scheint es ebenfalls ten fällt demgegenüber jedoch deut- Die durchgeführten Auswertungen eine Art „Ideologiepfad“ zu geben, lich schwächer aus. sind bivariat und dürfen nicht als Kau- der eher für junge Menschen gilt, die Ebenfalls dargestellt ist der Zu- salitäten interpretiert werden, da sie biografisch weniger belastet bzw. sammenhang zwischen dem Einstel- auf Querschnittsbefragungen beru- weniger in delinquente Milieus inte- lungsmaß der linken Orientierungen hen. Zukünftig sollte daher verstärkt griert sind. Die Auswertungen haben und dem Linksextremismus. Als lin- längsschnittliche Forschung durchge- gezeigt, dass Jugendliche, die links- ke Orientierungen wurden Items zu- führt werden, um weitere Erkenntnis- extrem militante Einstellungen auf- sammengefasst, die anti-repressive, se zu den Einflussfaktoren des Links- rechterhalten bzw. sich mit linksori- anti-kapitalistische, anti-faschistische extremismus zu erarbeiten. entierten Medien beschäftigen, eher und anti-militärische Haltungen er- Zusätzlich zu den bivariaten Aus- zu Gewalt greifen. Für diese Personen fassen, die noch nicht als linksextrem wertungen wurden multivariate Ana- spielen ideologische Aspekte eine be- 14 forum kriminalprävention 1/2021
EXTREMISMUSPRÄVENTION deutsamere Rolle als für Personen, die te bzw. -maßnahmen, die sich genuin dem „Delinquenzpfad“ folgen. Links- dem Linksextremismus widmen: Für Folgerungen für die Prävention extreme Gewalttäter bzw. Gewalttä- die Jahre 2014/2015 wurden von den terinnen sind, etwas überspitzt dar- Autoren insgesamt 721 Extremismus- Die Folgerungen der Analyse für gestellt, entweder „ganz normale“ präventionsprojekte identifiziert, die Prävention können entlang der delinquente Jugendliche oder aber von denen sich nur vier Prozent ex- bekannten Dreiteilung der Präventi- aus ideologischer Überzeugung her- plizit der Linksextremismuspräventi- onsarbeit diskutiert werden: Ein uni- aus handelnde Personen. on zuwendeten. Zu den vorhandenen verseller Ansatz bietet sich an, wenn Allerdings gibt es insbesonde- Projekten konstatiert Kober (2019, S. breite Teile der Gesellschaft erreicht re zwischen einem delinquenten Le- 6) zugleich: „Zu keinem Projekt der werden sollen, um diese vor verschie- bensstil und der Befürwortung von Linksextremismusprävention liegt ein denen Formen des Extremismus (und Militanz ein gegenseitiges Stärkungs- öffentlich zugänglicher Evaluations- damit auch des Linksextremismus) verhältnis. Für die Befürwortung lin- bericht vor“, i. d. R. deshalb, weil kei- zu bewahren. Ein selektiver Ansatz ker Militanz spielen Erfahrungen in ne Evaluation erfolgte. zielt darauf ab, Personen(gruppen) Sozialisationsbereichen sowie Per- In der dem Beitrag zugrunde lie- mit erhöhtem Risiko mit spezifische- sönlichkeitsmerkmale ebenfalls eine genden Analyse wurden anhand einer ren Maßnahmen zu erreichen. Ein in- Rolle. Für diese, ebenso wie für den systematischen Dokumentenanalyse dizierter Ansatz widmet sich Perso- linksorientierten Medienkonsum, sind und einer zusätzlichen E-Mail-Abfra- nen(gruppen) mit hohem Risiko bzw. aber zusätzlich andere Faktoren von ge bei Projektträgen insgesamt 30 ersten Vorzeichen der Radikalisie- Bedeutung: In den Auswertungen hat Projekte identifiziert, die sich den Be- rung. Schließlich sind auch Interventi- sich bspw. gezeigt, dass Demokratie- reichen „Linksextremismus“, „Linke onen bei bereits radikalisierten Perso- zufriedenheit negativ mit linksextre- Militanz“, „freiheitsfeindlicher Links- nen zu berücksichtigen, bspw. in Form men Einstellungen korreliert. Zudem radikalismus“, „linker Extremismus“ der Ausstiegsbegleitung und weiter- gibt es Korrelationen zwischen lin- oder Ähnlichem widmen. In Bezug führenden Rehabilitationsangebots. ken Orientierungen und linksextre- auf diese Projekte hat sich Folgendes Hinsichtlich möglicher Folgerun- men Einstellungen. Dies kann derart gezeigt: Die aktuellen Präventionsbe- gen in Bezug auf den Bereich der uni- zusammengefasst werden, dass jun- strebungen sind zu einem großen An- versellen Prävention sind folgende As- ge Menschen, die von der Demokratie teil (20 von 30 Projekten) in der uni- pekte bedeutsam: enttäuscht sind (Demokratieunzufrie- versellen Prävention angesiedelt und ■■ Es bieten sich phänomenübergrei- denheit), eher auch antikapitalisti- zeichnen sich durch eine hohe inhalt- fende Ansätze zur Prävention des sche, antirepressive, antimilitärische liche Vielfalt aus. Vornehmlich werden Linksextremismus an. Ein phäno- usw. Haltungen ausbilden, die eine ge- die Zielgruppen der Jugendlichen so- menübergreifender Ansatz behan- wisse Grundlage für eine weitere Ra- wie der Multiplikatorinnen und Multi- delt keine spezifische Form eines dikalisierung bilden. Dies bedeutet plikatoren adressiert, die potenziell Extremismus, sondern kann auf der jedoch nicht, dass sich alle links den- mit gefährdeten Gruppen in Kontakt Ebene der allgemeinen Demokratie- kenden Jugendlichen hin zu Militanz kommen. Übergeordnetes Ziel ist es förderung, der politischen Bildung, und Gewalt radikalisieren. Eine erhöh- dabei, ideologiegeleitetes, demokra- der Akzeptanzsteigerung demokra- te Wahrscheinlichkeit konnte durch tiefeindliches Verhalten zu verhindern tischer Werte und der Toleranzstei- die Analysen jedoch aufgezeigt wer- bzw. Multiplikatorinnen und Multipli- gerung bzw. des Vorurteilabbaus den. katoren im Umgang mit potenziell ge- ansetzen. Solche Maßnahmen kön- fährdeten Personen zu schulen. nen bereits im Kinder- und Jugend- Inhaltlich finden Methoden der po- alter erfolgen und in zentralen So- Die aktuelle litischen Bildungsarbeit Anwendung, zialisationskontexten wie Schulen Präventionslandschaft die die Resilienz gegenüber extre- und Vereinen durchgeführt wer- mistischen Ideologien fördern und den. Nicht nur die Wissenschaft, son- die Empfänglichkeit für Angebote ■■ Ein phänomenübergreifender An- dern auch die Präventionspraxis extremistischer Gruppen verringern satz kann sich zugleich auf die Prä- sieht sich mit verschiedenen Her- sollen: Das Bewusstsein für demo- vention einer spezifischen Sub- ausforderungen durch die noch un- kratische Werte soll gestärkt, demo- dimension des Linksextremismus genaue Begriffsdefinition konfron- kratische Argumentationskultur er- beziehen, die als Brückennarrativ tiert. Eine ungenaue Begrifflichkeit lernt und die Artikulation friedlichen zu anderen Extremismen dient. erschwert die Konzeption eines Prä- Protests soll vermittelt werden. Durch Zu denken ist hier bspw. an Phäno- ventionsprojektes. Diese bedarf einer die Steigerung der Partizipation in mene wie Antisemitismus, Antife- eindeutigen Problemdefinition; d. h. der Gesellschaft und der Mitgestal- minismus, Verschwörungsdenken es muss zu Beginn einer Präventions- tung des Nahraumes soll Demokratie usw. Die Prävention entsprechen- maßnahme geklärt werden, welchen für die Jugendlichen praktisch erleb- der Vorurteile bzw. Orientierungen Einstellungen und Verhaltensweisen bar gemacht werden. Hierbei nehmen beugt nicht nur dem Linksextremis- vorgebeugt werden soll. Im Bereich das Internet oder die sozialen Medien mus, sondern zusätzlich weiteren des Linksextremismus steht die Prä- noch eine eher untergeordnete Rolle Extremismusformen vor. ventionsarbeit zudem aufgrund der ein, da vielmehr auf die reale und nicht ■■ Präventionsarbeit im Bereich des begrenzten wissenschaftlichen Er- digitale Lebenswelt der Jugendlichen Linksextremismus sollte sich zu- kenntnisse zu den Einflussfaktoren Bezug genommen wird. Zukünftig dem für diesen Extremismus rele- erst am Anfang. Wie die Studie von sollten Internet und soziale Medien vanten gesellschaftlichen Proble- Gruber und Lützinger (2017) gezeigt aber verstärkt in der Präventionsar- men widmen, so z. B. den Themen hat, gibt es kaum Präventionsprojek- beit adressiert werden. soziale Ungleichheit, Ungerechtig- 15
EXTREMISMUSPRÄVENTION keit, (strukturelle) Diskriminierung sam sind für die Extremismusprä- einer gesamtgesellschaftlichen Prä- u. a. m. vention. An diese Erkenntnis schließt ventionsstrategie gegen Linksextre- ■■ Die Anerkennung des politischen sich die Folgerung an, dass Gewalt- mismus. Interesses Jugendlicher und jun- prävention weiterhin umfassend im Interventionsmaßnahmen sind ger Erwachsener kann eine Stei- Schul- und Freizeitbereich zu fördern im Feld des Linksextremismus bis- gerung des subjektiven Bedeut- ist, wobei sich solche eine Förderung lang kaum existent. Wenn sich regi- samkeitsgefühls zur Folge haben, auf die effektiven Maßnahmen fo- onal eine Szene radikalisiert, wie dies ihr Selbstbewusstsein stärken so- kussieren sollte. Für den Bereich der bspw. in Berlin oder Leipzig der Fall ist, wie Resilienz gegenüber extremis- selektiven und indizierten Präventi- wird meist mit Repression versucht, tischen Ideologien erzeugen. Durch on lässt sich Folgendes formulieren: die Szene zu beeinflussen. Der Erfolg eine Förderung des bereits beste- Um vulnerable Jugendliche zu errei- repressiver Maßnahmen ist dabei be- henden politischen Interesses von chen, müssen diese zunächst identifi- grenzt. Interventionsprojekte sehen Jugendlichen kommt diesen ein po- ziert werden. Dies können am ehesten sich mit der zentralen Herausforde- sitives Gefühl der Bedeutsamkeit in jene Personen, die mit Jugendlichen rung konfrontiert, dass sie die Ziel- der Gesellschaft zu, was wiederum arbeiten – im schulischen wie im au- gruppe nur ausgesprochen schwer er- vor einer Hinwendung zu extre- ßerschulischen Bereich. Diese Perso- reichen. Bislang wird im Wesentlichen mistischen Einstellungen und Ver- nen sind daher als Multiplikatorinnen versucht, intervenierend mittels Aus- halten schützen kann. In diesem und Multiplikatoren dahingehend aus- steigerprogrammen zu agieren. Dies Sinne braucht es immer wieder an zubilden, eine Radikalisierung frühzei- erscheint jedoch nicht als vielverspre- aktuelle Themenfelder der Jugend- tig zu erkennen und adäquat auf die- chender Weg, u. a. aufgrund der Dis- lichen anknüpfende Partizipations- se zu reagieren. Ein regelstrukturelles tanz gegenüber staatlichen Akteuren, angebote. Angebot aus speziellen Schulungen welche gewöhnlich die Programme ■■ Prävention von Extremismus all- und Trainings ist daher zu empfeh- organisieren. Hinsichtlich der Frage, gemein, Linksextremismus im Be- len. Eine Implementierung der Schu- wie geeignete Intervention im Bereich sonderen, muss verstärkt in den lungen und Trainings in die berufliche des Linksextremismus beschaffen sozialen Medien stattfinden. Der Aus- und Fortbildung wäre besonders sein könnte, bedarf es daher in ers- Medienkonsum erweist sich als re- wünschenswert. ter Linie weiterer wissenschaftlicher levanter Risikofaktor für eine Radi- Ein indirekter selektiver Ansatz be- Forschung, die bspw. systematisch die kalisierung. Hier müssen Präventi- trifft die polizeiliche Einsatzgestal- Ausstiegsverläufe und -prozesse aus onsprojekte ansetzen. Im Bereich tung bei Demonstrationen im öffent- der Szene untersuchen könnte. Derar- des islamistischen Extremismus fin- lichen Raum, weil ein bedeutsamer tige Desistance-Forschung hat im Be- den sich nachweislich wirksame An- Anteil der polizeilich registrierten reich der allgemeinen Kriminalität in gebote für Gegen- und alternative Straftaten im Bereich linksextremer der Vergangenheit zu wichtigen Ein- Narrative. Diese sind auch für den Gewalt die Konfrontation mit der Po- sichten bspw. in Bezug auf die Rolle Linksextremismus zu entwickeln. lizei zumeist bei Protestaufzügen aus- von Familienbeziehungen oder der Zudem wird es zukünftig umso macht. Obwohl die Polizei immer wie- Berufstätigkeit geführt. Die Ergeb- mehr nötig sein, bspw. in Form von der versucht, bei solchen Ereignissen nisse dürften sich nicht eins zu eins digital aufsuchender Sozialarbeit, mit Deeskalationsstrategien zu arbei- auf den Extremismusbereich übertra- Jugendliche in den Sozialen Medien ten, kommt es dennoch zu gewalt- gen lassen, weshalb zusätzliche Stu- zu erreichen und vor einer Radika- samen Auseinandersetzungen. Die- dien zum Ausstieg aus dem Extremis- lisierung zu schützen. Hierfür sind se als Repression von linksextremer mus notwendig erscheinen. mit Pilotprojekten die notwendi- Seite klassifizierten Auseinanderset- Laura Treskow, wissenschaftliche Mitarbeiterin und gen Grundlagen zu schaffen. zungen können einerseits dazu füh- Doktorandin am Kriminologischen Forschungsinstitut ■■ Für die Umsetzung langfristig an- ren, dass sich Personen weiter radi- Niedersachsen gelegter Präventionsmaßnahmen kalisieren; andererseits dienen sie Kontakt: Laura.Treskow@kfn.de Prof. Dr. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und empfiehlt es sich zudem, einer- bislang unbeteiligten jungen Men- Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewand- seits mit Multiplikatorinnen und schen als Identifikationsmoment und te Wissenschaften Multiplikatoren zusammenzuarbei- damit ggf. als Auslöser für einen Ein- Kontakt: Baid@zhaw.ch ten und andererseits auf pädagogi- stieg in die radikalere linke Szene, da sche Fachkräfte aus den Bereichen das polizeiliche Vorgehen bspw. als Literatur Soziale Arbeit, (Sozial-)Pädagogik ungerecht empfunden wird. Eine Fol- Backes, U. (2008). Linksextremismus im vereinten u. a. m. zu setzen. Für diese Perso- gerung mit Blick auf die Polizei lau- Deutschland. Bundeszentrale für Politische Bil- dung. Online abrufbar unter: https://www.bpb.de/ nengruppen sind daher entspre- tet daher, dass sie sich dieser mög- politik/extremismus/linksextremismus/33615/links chende Weiterbildungsangebote lichen Folgen des eigenen Wirkens extremismus-im-vereinten-deutschland?p=all. Bundesamt für Verfassungsschutz (o. J.). Linksex- dauerhaft anzubieten. bewusst sein sollte und weiterhin al- tremismus. Online verfügbar unter: https://www. Zudem ist zu beachten, dass Ex- les tun sollte, um Eskalationen, die im verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-linksex tremismus/aussteiger-programm-linksextremismus. tremismus teilweise vergleichbare Nachhinein als ungerechtfertigt und Cohen, J. (1988). Statistical power analysis for the be- Ursachen aufweist wie nicht extre- ungerecht bewertet werden können, havioral sciences (2nd ed.). Hillsdale, N. J.: L. Erlbaum mistische Gewalteinstellungen bzw. zu vermeiden. Workshops mit Polizis- Associates. Gmeiner, J., Micus, M. (2018). Radikalismus der Tat. Lin- nicht extremistisches Gewaltverhal- ten unterschiedlicher Hierarchiestu- ke Militanz oder die Ethnologie der (Post-)Autono- ten (Stichwort „Delinquenzpfad“). fen oder andere Maßnahmen, über die men. In: Institut für Demokratieforschung (Hrsg.), Werkstattbericht der Forschungs- und Dokumentati- Dies bedeutet, dass Gewaltpräven- ein Bewusstsein für Erscheinungsfor- onsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extre- tionsprojekte, von denen eine Rei- men und Ursachen linksextremen En- mismen in Niedersachsen (FoDEx). Göttingen, S. 2–18. he nachgewiesenermaßen effektiver gagements geschaffen wird, erschei- Gruber, F., Lützinger, S. (2017). Extremismuspräven- tion in Deutschland – Erhebung und Darstellung der Programme existiert, auch bedeut- nen daher als ein möglicher Baustein Präventionslandschaft. Bundeskriminalamt. 16 forum kriminalprävention 1/2021
EXTREMISMUSPRÄVENTION Kober, M. (2019). Evaluation von Ansätzen zur Präven- Scherr, A. (2020). Legitime Gesellschaftskritik oder Ex- sachsen, seiner sozialwissenschaftlichen Erfassung tion von linker Militanz und Linksextremismus. Eine tremismus? In: Meinhardt, A.-K., Redlich, B. (Hrsg.), sowie seiner generellen und spezifischen Präventi- Übersichtsarbeit. Nationales Zentrum für Kriminal- Linke Militanz. Frankfurt/Main: Wochenschau Ver- on. Hannover, Zürich: Kriminologisches Forschungs- prävention. lag, S. 78–90. institut Niedersachsen & Zürcher Hochschule für An- Mannewitz, T., Thieme, T. (2020). Gegen das System. Schroeder, K., Deutz-Schroeder, M. (2015). Gegen Staat gewandte Wissenschaften. Linker Extremismus in Deutschland. Bonn: Bundes- und Kapital – für die Revolution! Linksextremismus zentrale für politische Bildung. in Deutschland – eine empirische Studie. Frankfurt/ Pfahl-Traughber, A. (2020). Linksextremismus in Main: Peter Lang Verlag. Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme. Treskow, L., Baier, D. (2020). Wissenschaftliche Analy- 2. aktualisierte Auflage. Springer VS. Wiesbaden. se zum Phänomen des Linksextremismus in Nieder- 17
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