Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
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Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten | Ausgabe 2-2018 | www.ngg.net einigkeit Das Magazin der NGG Arbeitszeit: Da reden wir mit!
EDITORIAL Von Grenzen, Galliern und Bock auf gute Arbeit Endlich Sommer, das bedeutet lang ersehnte freie Tage für viele von uns. Es bedeutet auch, dass wir mit großen Schritten auf den Gewerkschaftstag zugehen. Vom 5. bis 9. November 2018 werden in Leipzig die Weichen für die kommenden fünf Jahre gestellt. Welche inhaltlichen Schwerpunkte die NGG dann setzt, das wird nicht zuletzt Foto: Peter Bisping an der Basis, in den NGG-Regionen, bestimmt. Mehr dazu ab Seite 6. Ab Seite 8 geht es um ein Zukunftsthema, das für uns bereits gesetzt ist: Die Gestaltung der Arbeitszeiten. Sowohl die Digitalisierung als auch der Vorstoß der Arbeitgeber im Gastgewerbe bringen das Ar- beitszeitgesetz immer wieder auf die Agenda. Ein simples Aufwei- chen zu Lasten der Beschäftigten wird es mit uns nicht geben. Wir werden mitreden und gemeinsam die Arbeitswelt neu ge- stalten. Denn Flexibilität hat zwei Seiten – nicht nur die des Unternehmens, sondern insbesondere auch die der Beschäftigten. Dass man dem Fachkräftemangel in der Hotellerie nicht mit immer längeren Arbeitszeiten begegnen kann, zeigt ab Seite 22 unser Bran- chenthema. Für unser Porträt hat die Redaktion ein „gallisches Dorf“ am Rhein besucht: In Köln hat sich in den vergangenen Monaten eine Hochburg im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen bei den Restaurantlieferdiensten entwickelt. Semih Yalcin, Betriebsratsvorsit- zender bei Foodora, gibt uns ab Seite 18 einen Einblick in eine Bran- che, die bisher als gewerkschaftlich kaum zu organisieren galt. Semihs Geschichte steht beispielhaft für viele aktive Mitglieder in allen NGG-Regionen. Besonders freut mich, dass wir in diesem Heft so viele junge Kolleginnen und Kollegen zeigen können, die so richtig Bock darauf haben, die Zukunft der Arbeit mitzugestalten! Guido Zeitler Stellvertretender NGG-Vorsitzender einigkeit 2-2018 3
Foto: NGG, Denise Schott ; Fotos rechts: Uwe Völkner / Fotoagenut FOX 6 Titelthema: Arbeitszeit. Schon heute arbeiten immer mehr Beschäftigte im- mer flexibler – bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Ein Aufweichen des Arbeitszeitgesetzes setzt falsche Akzente für die Zukunft der Arbeit 14 Bock auf Zukunft: Auf der Bun- deskonferenz der jungenNGG in Gladenbach wurde drei Tage lang mit Herzblut Gewerk- schaftsarbeit gemacht FOKUS | POLITIK MENSCHEN NGG AKTIV 6 Arbeitszeit: 17 Mein Arbeitsplatz 14 jungeNGG Da reden wir mit! Immer mehr Schlechte Laune kommt nicht in die Bundeskonferenz in Gladenbach: Arbeit, immer weniger Personal? Tüte: Stippvisite bei der Backwa- Diskutieren, wählen, arbeiten und Arbeitszeit braucht Grenzen und renspezialistin Heike Brombach feiern: Drei Tage im April, die es in richtige Antworten von Arbeitgebern sich hatten und Politik 18 Porträt Auf welcher Seite willst Du stehen? 28 Gleichstellung Foodora-Fahrradkurier Semih Wenn die Arbeit neu verteilt wird: BRANCHE Yalcin über die erste Betriebs- Neues aus der „:was uns zusteht. ratsgründung bei einem Restau- Initiative Lohngerechtigkeit” 22 Flexibel bis zum Umfallen? rant-Lieferdienst Die Hotellerie-Branche leidet unter 29 DGB-Kongress dem Fachkräftemangel. Die Arbeit- 26 Jubilare NGG hat mit starker Stimme auf geber müssen endlich umsteuern Wir gratulieren! dem Parlament der Arbeit mit- entschieden 4 einigkeit 2-2018
IN DIESER AUSGABE Foto: Uwe Völkner / FotoagenturFOX 18 Zu Besuch bei den Ridern im gal- lischen Dorf: Der Kölner Foodora- Betriebsratsvorsitzende Semih 22 Der Gast ist König, rund um die Uhr. Über immer flexiblere Arbeitszeiten, Fachkräftemangel 30 Dieses Team bleibt unerschüt- terlich: Sven Hildebrandt, Claus-Peter Wolf und Silvia Yalcin über Steine, die nur sehr und den Vormarsch der Digitali- Hermann aus der NGG-Region langsam ins Rollen kommen sierung in der Hotellerie Schwarzwald-Hochrhein KOPF UND BAUCH NGG VOR ORT KURZ NOTIERT 21 Einigkeit ist ... 30 NGG-Regionen vorgestellt 29 Meldungen … Integration. Egal, woher man Der Spagat ist machbar: Claus-Pe- kommt oder wie viel man verdient: ter Wolf leitet vorübergehend gleich 34 Ausblick Beim Athleten-Club „Einigkeit“ zwei NGG-Regionen als Geschäfts- Elmshorn darf jeder und jede in führer. Das kostet Kraft und bringt 35 Solidaritätsfonds den Boxring steigen Kilometer auf den Tacho 35 Impressum 32 Frische Rezepte für Gute Arbeit Genießer-Rezepte zum Nachkochen 33 Vorlesen & Nachlesen „einigkeit“ im Netz Das Magazin der NGG digital lesen, als App und im Web. Hier gibt es weitere interessante Features: Bildergalerien, Videos und weiterführende Berichte. einigkeit 2-2018 5
Fotos: Frank Scheffka NGG-Basisdemokratie: In allen 50 Regionen der NGG haben Delegiertenkonferenzen stattgefunden, auf denen die Themen für die kommenden fünf Jahre vorbereitet, Anträ- ge diskutiert, der Regionsvorstand und die Delegierten für die Landesbezirkskonferenz sowie für den Gewerkschaftstag gewählt wurden. Dieter Nickel (Bild li.), Geschäfts- führer der Region Bremen Elbe-Weser, begrüßt die Teilnehmenden in Zeven. Erste Weichen gestellt! Eine Vielzahl von politischen Fragen und gesellschaftlichen Herausforderungen werden in den kommenden fünf Jahren die Arbeit der NGG prägen: Arbeitszeit, Digitalisierung, Gleichstellung – Welche Punkte werden wir künftig setzen, welche Forderungen gegenüber Politik und Arbeitgebern formulieren? Darüber entscheiden die Delegierten vom 5. bis 9. November 2018 auf dem Gewerkschaftstag in Leipzig. Doch vorher sind die Mitglieder gefragt. Dele- haben wir schon im Februar 2017 bespro- legierten sind bei strahlendem Sonnenschein gierte müssen gewählt und Anträge formu- chen. In dem Moment ging die Planung wohl aus allen Teilen der weitläufigen Region nach liert, eingebracht und diskutiert werden (sie- schon los.“ Silke Linde, seit 19 Jahren Ver- Zeven gekommen, um sowohl den Regions- he Kasten). Dafür waren die NGG-Mitglieder waltungsangestellte in der Region Bre- vorstand als auch 16 Abgesandte für die in diesem Frühjahr in allen 50 NGG-Regio- men-Weser-Elbe, hat an diesem Morgen an Landesbezirkskonferenz und fünf für den nen zu Delegiertenkonferenzen eingeladen. einem der langen Tische neben dem Gewerkschaftstag zu wählen. „Die Region Wie viel Arbeit und Engagement die Kollegin- DMK-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Udo Bremen-Weser-Elbe hat etwa 7500 Mitglie- nen und Kollegen vor Ort in die Organisation Eckhoff Platz genommen. Als Mitglied im der. In der Zeit von Dezember 2017 bis März ihrer Regionalkonferenzen steckten, zeigen Regionsvorstand war er von Anfang an in die 2018 wurden sie alle zu Mitgliederversamm- wir an der Region Bremen-Weser-Elbe. Die Planung der Konferenz eingebunden. In den lungen in die Betriebe eingeladen, um sich „einigkeit“ hat die Vorbereitungen in Bremen vergangenen Wochen standen die beiden auf die Regionskonferenz vorzubereiten und begleitet und war in Zeven dabei. täglich im Kontakt. Einladungen mussten Delegierte und ihre Vertreter für Zeven zu geschrieben, Busse für die Anfahrt der Teil- wählen“, erklärt Thorsten Zierdt, der als Ge- 9. April 2018, Kantine im Deutschen Milch- nehmenden organisiert werden. So langsam werkschaftssekretär für DMK in Zeven zu- kontor DMK, Zeven löst sich Silke Lindes Anspannung: Die Tech- ständig ist. Heute bleibt er im Hintergrund, „Dass wir die Konferenz hier beim Deutschen nik funktioniert, Verpflegung steht auf den schüttelt Hände, sucht den Kontakt, ist An- Milchkontor DMK abhalten wollen, das Tischen, die Stimmung ist gut. 88 von 99 De- sprechpartner für Betriebsräte. Von Kellogg‘s 6 einigkeit 2-2018
FOKUS | POLITIK über Coca-Cola bis Vitakraft: Die vergange- nen Jahre waren in der Region zwischen Ein Antrag auf dem Weg Weser und Elbe geprägt von Stellenabbau und Betriebsschließungen. Gerade erst hat nach Leipzig das Traditionsunternehmen Hachez verkün- Zu den fünf Delegierten der Region Bre- det, die Schokoladenproduktion von der Foto: Frank Scheffka men-Weser-Elbe für den Gewerkschafts- Hansestadt nach Polen zu verlagern. Regi- tag in Leipzig gehört auch DMK-Betriebs- onsgeschäftsführer Dieter Nickel führt den rat Benjamin Haxel (rechts im Bild). Vor Delegierten in Zeven noch einmal vor Augen, der Regionalkonferenz hat der Vater von dass hier von 2013 bis 2017 3000 Arbeits- Zwillingen gemeinsam mit Gewerk- plätze in der Lebensmittelindustrie verloren- • Erhöhung des Personalschlüssels von schaftssekretärin Iris Münkel einen An- gegangen sind. Er stimmt die Konferenzteil- Erziehern zu Kindern in den Kinder- trag zur besseren Vereinbarkeit von Be- nehmer auf die aktuellen Themen der NGG tageseinrichtungen ruf und Familie formuliert. Haxel will er- wie Betriebsratswahlen, sachgrundlose Be- • tarifliche Regelungen für „Eltern- reichen, dass die NGG eine Kampagne fristung, Mindestlohn und Arbeitszeit ein. Arbeitszeit“, einschließlich der Rück- ins Leben ruft, die die Bedürfnisse von Regionsvorstand Stefan Röper (Anheu- kehr von Teil- auf Vollzeit Eltern mit Kindern in den Vordergrund ser-Busch InBev Deutschland Brauerei Beck stellt. & Co) skizziert im Anschluss die politischen Unter dem Arbeitstitel „Familie muss in Herausforderungen der kommenden fünf Kernthemen der Kampagne sollen sein: den Vordergrund“ wird Haxels Antrag Jahre. Mit Erfolg: Später wird er von der • steuerliche Besserstellung von Eltern nun den Weg durch die Instanzen neh- Konferenz ohne Gegenstimmen als Vorstand mit Kindern durch geringere Lohn- men. Nächster Schritt: Über den Regi- wiedergewählt. Mittags ist alles reibungslos steuer onsvorstand wird das Papier in die Lan- gelaufen: Wahlen, Ehrungen, Verabschie- • Verlängerung der Elternzeit und desbezirkskonferenz eingebracht und dungen. Silke Linde ist zufrieden und froh, Gleichziehen des Elterngeldanspruchs dort Anfang Juni diskutiert und, so hofft „dass die nächste Regionskonferenz erst sowie eine Erhöhung des Elterngeldes Benny Haxel, auch verabschiedet. Dann wieder in fünf Jahren zu organisieren ist!“ • gebührenfreie Betreuungsplätze in könnte der Antrag auf dem Gewerk- Kindertageseinrichtungen schaftstag beraten werden. Auch der NGG-Hauptvorstand hat beraten: In seiner März-Sitzung hat er einstimmig Michaela Rosenberger, Freddy Adjan und Guido Zeitler als seine Kandidatin und seine Kandidaten für den Geschäftsführenden Hauptvorstand vorgeschlagen. Sie stellen sich den Delegierten auf dem Gewerkschaftstag in Leipzig zur Wahl. Foto: Peter Bisping Foto: NGG Foto: NGG Michaela Rosenberger ist seit 2013 NGG- Freddy Adjan ist derzeit Vorsitzender des Guido Zeitler wurde vom Beirat im März Vorsitzende und kandidiert erneut für das NGG-Landesbezirks Bayern und war als 2017 zum stellvertretenden NGG-Vorsitzen- höchste Amt der Gewerkschaft NGG. Sie Tarifexperte schon bundesweit tätig: 2015 den gewählt. Verantwortlich ist er nicht nur für stemmt nicht nur als „Teamoberhaupt“ den und 2017 war er Verhandlungsführer in den Finanzen, Sozial- und Seniorenpolitik, die jun- komplexen Prozess der Organisationsent- Tarifrunden Coca-Cola. Sehr erfolgreich war geNGG, Berufliche Bildung und die IT, son- wicklung und hat die NGG in Grundsatzfra- auch der Abschluss für die Milchwirtschaft dern auch für das Hotel- und Gaststättenge- gen wie der Gleichstellung, Lohngerechtig- Bayern im September 2017. Das setzt sich werbe. Hier gilt es immer wieder, die Angriffe keit und Ernährungspolitik positioniert, son- 2018 mit dem Abschluss für die Brauwirt- der Arbeitgeber auf das Arbeitszeitgesetz ab- dern sorgt auch dafür, dass die NGG eine schaft und die Mittelstandsbrauereien fort. zuwehren. Auf dem DGB-Kongress hat er in starke Stimme im DGB, gegenüber der Poli- Auch für das bayerische Gastgewerbe hat er der Antragsberatungskommission geschuftet tik und auf internationalem Parkett ist. ein sattes Lohnplus durchgesetzt. und geschwitzt. einigkeit 2-2018 7
Arbeitszeit: Da reden wir mit! Der Druck am Arbeitsplatz nimmt zu. Immer mehr Arbeit, mit immer weniger Personal, in immer kürzerer Zeit. Das geht auf Dauer auf die Gesundheit. Dabei bräuchten die Beschäftigten gerade jetzt Zeit und Energie, um sich für die Herausforderungen der Digitalisierung, der Industrie 4.0, weiter zu qualifizieren. Zu allem Überfluss fordern etliche Arbeitgeber, insbesondere im Gastgewerbe, noch mehr Flexibilität. Sie wollen das Arbeitszeitgesetz aufweichen und die tägliche, gesetzlich erlaubte Höchstarbeitszeit von zehn auf 13 Stunden ausweiten. Die Arbeitgeber begründen ihre Forderung beitszeitgesetz abgesichert sind. Allerdings nach einer Ausweitung der täglichen wird der Druck auf unsere Tarifverträge und Höchstarbeitszeit damit, dass die bisherige die Betriebsräte insgesamt steigen, je mehr Obergrenze vor dem Hintergrund der Globa- Branchen und je mehr tarifungebundene lisierung und Digitalisierung nicht mehr zeit- Unternehmen, wie im Gastgewerbe oder im gemäß sei. Doch was bedeutet das für die Bäckerhandwerk, einknicken und mit neuen Beschäftigten? Arbeiten rund um die Uhr? flexiblen Arbeitszeiten arbeiten lassen. Für Immer verfügbar? Immer erreichbar? Fakt uns wird es künftig darauf ankommen, tarif- ist: Wir brauchen das Arbeitszeitgesetz mit liche Branchenregelungen noch besser ab- seinen verbindlichen Regeln mehr denn je, zusichern und Flexibilisierung nur unter Ein- um die Beschäftigten und ihre Gesundheit beziehung der NGG und der Betriebsräte vor überlangen Arbeitszeiten zu schützen! zuzulassen.“ Arbeitszeit braucht Grenzen! Und Arbeitszeit und deren Gestaltung ist eine der Kernaufga- Flexibilität? Ja, gerne! Aber im Sinne der ben von Betriebsräten und Gewerkschaften. Beschäftigten Das betont auch Michaela Rosenberger, Schon heute arbeiten viele Beschäftigte in NGG-Vorsitzende: „Die gute Nachricht ist, den von NGG betreuten Branchen sehr flexi- dass in Tarifverträgen Passagen aus dem Ar- bel, auch dank einer Vielzahl von gemein- sam mit der NGG ausgearbeiteten Schicht- modellen. Allerdings orientiert sich diese Flexibilität bisher meist an den Bedürfnissen der Arbeitgeber, den Erfordernissen der Pro- Foto: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX duktion und (saisonaler) Marktschwankun- gen. Rosenberger: „Wir brauchen Flexibili- tät, aber im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie müssen Erziehung und Pflege so vereinbaren können, dass ih- nen der Druck genommen wird. Damit sie motiviert und gesund bleiben. Und da brau- Wenn sie die Wahl hätten, würden die meisten chen wir von der Politik Unterstützung statt Beschäftigten lieber kürzer als länger arbeiten. verdächtig vage gehaltener Passagen zu ‚Ex- 8 einigkeit 2-2018
FOKUS | POLITIK Fotos: NGG - Denise Schott 9. Mai in Mainz: Protestaktion des NGG-Landesbezirks Südwest gegen überlange Arbeitszeiten im Gastgewerbe und für 160 Euro mehr Lohn in der Tarifrunde 2018. perimentierräumen‘, wie es im Koalitionsver- trag zur möglichen Reform des Arbeitszeit- gesetzes heißt.“ Flexibilität im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist auch das Ziel des aktu- ellen Tarifabschlusses der IG Metall. Er soll den Beschäftigten, die Kinder erziehen, An- gehörige pflegen oder in Schicht arbeiten, die Möglichkeit geben, zwischen „mehr Geld und mehr Selbstbestimmung bei der Ar- beitszeit“ zu wählen. „Die IG Metall hat mit ihrem Abschluss sicherlich einen ganz neu- en Impuls gesetzt. Während das Thema Ar- beitszeit bislang vornehmlich von den Arbeit- » Wir sind ein Drei-Schicht- Betrieb. Wochenendarbeit ist da gebern besetzt war, die erst versucht haben, normal. Es muss doch darum die Arbeitszeit zu verlängern, dann, sie zu gehen, die Gesundheit der Be- flexibilisieren, rücken in der jetzigen Debatte die Wünsche der Beschäftigten wieder in schäftigten zu erhalten. Ich den Fokus. Das ist neu, und das ist gut so! wünsche mir da ein stufenwei- Inwieweit der doch recht komplexe Ab- ses Abschmelzen der Arbeitszeit schluss der IG Metall auch Inspiration sein kann für die NGG-Branchen, müssen wir für Ältere, also ab 60 Jahren. « uns genau ansehen. Und zwar gemeinsam Stephan Heiß, Gesamtbetriebsratsvorsitzender mit Betriebsräten, in den Tarif- Arla Foods, Bad Wörishofen einigkeit 2-2018 9
(A)typische Arbeitszeiten Arbeitszeitsouveränität Arbeitszeitreport Deutschland 2016, BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Wochenende Kein Einfluss auf Arbeitszeitgestaltung 59% 42% 74% 52% Quelllen: DGB-Index Gute Arbeit, Sonderauswertung 2012-2016 / Quelle: DGB-Index Gute Arbeit, Sonderauswertung 2012-2016 Abend/Nacht Arbeit selbständig einteilen/planen 29% 32% 45% 35% Lebensmittel-/ Lebensmittel-/ Deutschland Gastgewerbe Getränkeherstellung Getränkeherstellung insgesamt Gerade Beschäftigte im Gastgewerbe und in der Lebensmittel- und Getränkeherstellung arbeiten häufig am Wochenende und abends oder nachts. Bundesweit arbei- ten nur 22 Prozent am Wochenende. 74 Prozent haben keinen Einfluss darauf, wann sie anfangen und aufhören. Allerdings können 45 Prozent entscheiden, welche Aufgaben sie wann erledigen. Dies ist das Ergebnis einer Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit. Befragt wurden 747 Beschäftigte der beiden Branchen. kommissionen oder auch in Form von Be- wurde Anfang Februar auch in München auf Arbeitszeitgesetz schützt schäftigtenbefragungen“, so Rosenberger. einer Konferenz des NGG-Landesbezirks Bayern mit rund 100 Betriebsräten der - Nach der achten Arbeitsstunde Bevor die NGG jedoch die Beschäftigten fra- Milchwirtschaft deutlich. steigt das Risiko von Unfällen. gen kann, was sie sich in Sachen Arbeitszeit - Lange Arbeitszeiten machen wünschen, muss erst einmal klar sein, wie „Wie lang ist mein Arbeitstag? Wann habe ich krank. Der Anteil der Beschäftig- die Realität in den Betrieben bei dem Thema frei, wann muss ich zur Arbeit? Was ist mit ten mit gesundheitlichen Be- aktuell ist. NGG hat daher die Studie „Ar- meinem Wochenende? Was ist mit Mehrar- schwerden steigt schon bei zwei beitszeiten in der Nahrungsmittelbranche: beit? Gibt es einen Ausgleich in extra freier Überstunden pro Woche.* Probleme und Handlungsfelder der tarifli- Zeit für besonders belastende Arbeitszeiten? - Lange Arbeitszeiten bedeuten chen und betrieblichen Arbeitszeitregulie- Wie können wir für Entlastung sorgen, wenn Stress. rung“ in Auftrag gegeben. Untersucht wer- die Arbeitsbelastung immer weiter zunimmt?“ den sollen tarifliche und betriebliche Arbeits- Freddy Adjan, Vorsitzender des NGG-Lan- Die Realität* zeitregulierungen in der alkoholfreien Ge- desbezirks Bayern, ist sich sicher: „Das sind - Durchschnittliche Wochenarbeits- tränkeindustrie, der Brauwirtschaft, Zucker-, nur einige der Fragen, die uns und die Be- zeit: 43,5 Stunden. Süßwaren- und Brotindustrie sowie im Hotel- triebsräte beim Thema Arbeitszeit umtreiben. - Wunscharbeitszeit bei Vollzeit: und Gaststättengewerbe. Endgültige Antworten hierauf gibt es noch 36 Stunden. nicht. Die müssen wir gemeinsam erarbeiten, - 19 Prozent der Beschäftigten Ihr seid die Experten auch in den Tarifkommissionen.“ machen unbezahlte Überstunden. An der von NGG in Auftrag gegebenen Ar- - 2016: eine Milliarde unbezahlte beitszeitstudie werden natürlich auch die Be- Unsere neue Währung ist die Zeit Überstunden. triebsräte beteiligt, denn sie sind die Expertin- Wie sie vor Ort im Betrieb die Arbeitszeit aktiv nen und Experten und werden tagtäglich mit mitgestalten können, diskutierten die Be- *Arbeitszeitreport Deutschland 2016 diesbezüglichen Wünschen und Nöten ihrer triebsräte gleichermaßen kreativ und kontro- Kolleginnen und Kollegen konfrontiert. Das vers in verschiedenen Arbeitsgruppen. Deut- 10 einigkeit 2-2018
FOKUS | POLITIK Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur Fox Ideen gibt es genug: Wenn es um Arbeitszeitgestaltung geht, sind die Betriebsräte die Expertinnen und Experten. Die Vorschläge und Wünsche reichen von „gesun- de Schichtmodelle” über „Rückkehrrecht in Vollzeit”, „lebensabschnittsgemäße Arbeitszeiten”, „Recht auf Teilung eines Arbeitsplatzes” bis hin zu „mehr Urlaub”. lich wurde: Schon jetzt wollen viele, und bei- brauchen wieder eine gesetzlich finanzierte leibe nicht nur die Älteren, mehr Zeitsouverä- Altersteilzeit.“ nität. Sie wollen die Möglichkeit haben, bei Bedarf Arbeitszeit zu verkürzen oder auch Ich bin dann mal offline Mehrarbeit in Zeit statt in Geld „ausbezahlt“ Im Zeitalter der Digitalisierung müsste „Ich bin zu bekommen. Es geht nicht nur darum, dann mal weg“ sicherlich um „Ich bin dann mehr Zeit für die Familie, also für Erziehung mal offline“ ergänzt werden, um der Entgren- oder Pflege zu haben, sondern es vollzieht zung von Arbeit beim mobilen Arbeiten unter- sich gerade bei den Jüngeren ein Mentalitäts- wegs oder im Homeoffice und der damit oft- wechsel. Sie wollen nicht mehr nur noch le- mals einhergehenden Selbstausbeutung bis ben, um zu arbeiten. Sie wollen mehr Le- hin zum Burnout entgegenzuwirken. Das zeigt bensqualität. Freie Zeit und Zeit für Hobbys auch eine aktuelle Betriebsrätebefragung der gehören dazu. Hans-Böckler-Stiftung, wonach 58 Prozent der Befragten der Ansicht sind, dass der be- » Lilly Neumann, Betriebsratsmitglied bei triebliche Gesundheitsschutz an die neuen Hochland Schongau: „Bei uns geht das teil- digitalen Bedingungen der Arbeitszeit an- Die IG Metall hat ein Modell weise schon. Unsere neue Währung ist die gepasst werden muss. entwickelt, dass man freie Zeit. Aber mein Traum wäre ein Rechtsan- spruch darauf, dass jemand sich auch mal Nach den NGG-Regionskonferenzen und den Tage zusätzlich bekommt, ein halbes Jahr für eine Weltreise oder den anlaufenden Landesbezirkskonferenzen zeich- wenn es eine besondere Belas- Jakobsweg ausklinken kann, frei nach dem net sich ab, dass die Gestaltung der Arbeits- tung gibt. Das könnte ich mir Motto 'Ich bin dann mal weg'. Letztlich muss zeiten in der Digitalisierung ein zentrales The- es dahin gehen, dass die wöchentliche Ar- ma auf dem Gewerkschaftstag werden wird auch für uns vorstellen. « beitszeit reduziert und das dann in einem Ta- und eine spannende Antragsberatung erwar- Heike Förster, stellvertretende Betriebsratsvor- rifvertrag gebündelt werden kann. Und wir ten lässt. Die „einigkeit“ bleibt dran. sitzende bei Bayernland, Bayreuth einigkeit 2-2018 11
Foto: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger machte auf der Münchener Arbeitszeitkonferenz deutlich, dass die Beschäftigten Branchen schon flexibel genug seien. Jetzt gehe es darum, dass ihre Wünsche bei der Arbeitszeitgestaltung stärker berücksichtigt werden. Flexibilität gestalten Aus Sicht der NGG-Vorsitzenden Michaela Rosenberger spricht nichts gegen flexiblere Arbeitszeiten, wenn sie im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden. Welche Rolle spielt das Thema Arbeitszeit für die NGG? risiko nach der achten Stunde überproportional an. Genau Arbeitszeit ist neben dem Entgelt unser Kernthema. Daher das soll das Arbeitszeitgesetz verhindern. Schließlich ist es wollen wir es nicht zulassen, dass sich die Arbeitgeber – ins- ein Schutzgesetz. besondere im Gastgewerbe – mit ihrer Forderung nach einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes durchsetzen. Sie for- Was tut die NGG, um die Arbeitszeiten zu gestalten? dern mit dem Verweis auf Digitalisierung, die täglich erlaub- Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die untersucht, te Höchstarbeitszeit auszuweiten. Das und auch die wie die tariflichen und betrieblichen Arbeitszeitregelungen schwammigen Formulierungen im Koalitionsvertrag, wo von in der Nahrungsmittelbranche derzeit aussehen. Und wir 'Experimentierräumen' die Rede ist, lehnen wir ab. wollen in Befragungen wie aktuell in der Milchwirtschaft Bayern herausfinden, was sich die Beschäftigten wünschen. Was spricht gegen flexiblere Arbeitszeiten? Die Ergebnisse gilt es, zu diskutieren und in tarifliche Rege- Gegen Flexibilität ist erstmal nichts einzuwenden. Aber sie lungen einfließen zu lassen. Natürlich haben bei dem The- muss für alle Beteiligten gelten und nicht nur den Bedürfnis- ma auch die Betriebsräte ein Wörtchen mitzureden. Sie be- sen der Arbeitgeber entgegenkommen. Auch die Beschäf- stimmen schon jetzt in Betriebsvereinbarungen über pass- tigten wollen bei den Arbeitszeiten mitreden und sie mit ih- genaue Lösungen mit. Wichtig ist, dass Flexibilisierung kein ren privaten Bedürfnissen in Einklang bringen. Was wir aller- Teufelswerk ist, sondern etwas Gutes – wenn wir sie mitge- dings ablehnen, ist, dass tägliche Arbeitszeiten von mehr als stalten. Wir müssen sie dazu nutzen, angesichts immer stär- zehn Stunden künftig per Gesetz erlaubt sind. Das macht kerer Arbeitsverdichtung für Entlastung zu sorgen, indem die Menschen auf Dauer krank. Außerdem steigt das Unfall- wir den passenden tariflichen Rahmen schaffen. 12 einigkeit 2-2018
FOKUS | POLITIK Arbeitszeit 2 18 Länger geht immer!? ... Jedenfalls, wenn es nach den Vorstellungen des Arbeitgeberverbands Dehoga geht. Der fordert, das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen und die erlaubte Höchstarbeitszeit im Gastgewerbe von zehn auf 13 Stunden pro Tag auszuweiten. Die „einigkeit” hat sich in der Branche umgehört und verschiedene Stimmen hierzu eingefangen. Foto: Uwe Völkner / Fotoagntur FOX Foto: Frank Dursthoff Foto: privat Felix Neumann, Thomas Kohn, Frank Rosin, auszubildender Hotelfachmann, Gesamtbetriebsratsvorsitzender TV- und Sternekoch, NH Collection Berlin Mitte PACE (Catering) Restaurantbetreiber „Rosin” Da Klassenkameraden von mir sowieso Die Tarifverträge im Hotel- und Gaststätten- Sicher, flexible Arbeitszeiten sind gut. Ich schon diese Stundenzahl leisten, ist es kein gewerbe bieten bereits ausreichend Flexibili- habe dennoch die Sorge, dass die Branche Wunder, dass die Arbeitgeber das legalisie- tät. Weder für Veranstaltungen – ob Hochzeit das wieder ausnutzt. Die Geschichte mit ren wollen. Wahrscheinlich werden die 13 oder Firmenfeier – noch für Biergartenbetrie- Hochzeiten und Geburtstagen ist doch nur Stunden dann auch nur mit dem Gehalt von be sind 13-Stunden-Schichten notwendig. eine perfide Ausrede. Wenn flexible Arbeits- unseren jetzigen acht Stunden entgolten, da- Das Problem liegt einzig und allein an man- zeiten in der Gastronomie eingeführt werden mit die Personalkosten nicht steigen. gelnder Organisation der Arbeitgeber. sollen, z.B. vier Tage zwölf Stunden am Tag, dann muss ja für den fünften Arbeitstag trotz- Kaum ein junger Mensch wird nach dieser 13-Stunden-Schichten im Hotel- und Gast- dem ein extra Mitarbeiter eingestellt werden. Gesetzesänderung noch begeistert sein, in stättengewerbe sind sowohl beschäftigten- Das ist eine Milchmädchenrechnung. der Großhotellerie und Großgastronomie zu als auch familienfeindlich und werden nur arbeiten. Die Bilanz ist dann: kaum Zeit für den Fachkräftemangel verstärken, da sie die Wer als Profi Topleistung bringen möchte und Freunde und Familie – elf Stunden Ruhezeit Branche nur noch unattraktiver machen. muss, der sollte auch die Bedingungen dafür inklusive Schlafen, Überstunden. Es wird bei erhalten. Ein Fußballbundesligaspieler spielt 13 Stunden nicht aufhören – und ein echt Wenn wir die Berufe im Gastgewerbe attrak- ja auch nicht zwei Spiele hintereinander an schlechtes Gehalt für diese Arbeit. Applaus tiver machen wollen, müssen wir für famili- einem Tag und muss dabei 100 Prozent Leis- für die Arbeitgeber, denn sie sind auf dem enfreundliche, planbare Arbeitszeiten sor- tung bringen. Gastronomie wurde oft mit mi- besten Weg, den schlechten Ruf ihrer Bran- gen, die nicht krank machen. Die Pläne des serabler Bezahlung und horrenden Überstun- che zu bekräftigen und den Fachkräfteman- Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes den für die Mitarbeiter betrieben. Das muss gel noch zu fördern. laufen auf das genaue Gegenteil hinaus. sich ändern. einigkeit 2-2018 13
NGG AKTIV Zukunft ist, was wir draus machen! Unter diesem Motto hat die jungeNGG Ende April drei Tage lang im hessischen Gladenbach die Weichen für die Zukunft gestellt: 83 Delegierte und ihre Gäste diskutierten in Workshops Themen wie Berufsausbildung, Tarifpolitik, Arbeiten 4.0, Rollenbilder. Aber vor allem die Zukunft der jungenNGG „NGG 2020“ und die Mitgliedergewinnung standen im Fokus. Besonders intensiv diskutiert wurden die Anträge zur Zukunft der Ausbildung, sachgrundlosen Befristung und die Abgrenzung vom Rechtspopulismus. Die Nächte am Lagerfeuer waren kurz und Das Präsidium: Michael, Jenny und Daniel leiteten spannend: diskutieren, netzwerken, feiern. professionell und souverän durch die Konferenz. Drei Tage lang: jung – rebellisch – solidarisch. Die jungeNGG lebt davon, dass die Leute mitma- Der Geschäftsbericht – als Plakat – ist ungewöhn- Fazit im Workshop Arbeiten 4.0: Zukunft muss Wetter und Stimmung waren super. chen: Der Poetry Slam war dafür ein toller Einstieg. lich. Michaela und Guido sind begeistert. gestaltet werden. Philipp Hoffmann wird künftig die jungeNGG „Ihr seid die politischste Jugendorganisation im DGB mit einem starken Kampfgeist”, bescheinigte der DGB-Jugendsekretär Patrick Bauer gibt den Staffelstab an im Hauptvorstand vertreten. Michael Wagner der jungenNGG. Der Abstimmungsmarathon und intensive Diskussionen bestätigten dies. Philipp weiter.
„Steht zu Eurer Meinung, seid selbstbewusst“, dazu Sieben Workshops begleiteten die Antragsberatung Spannende Diskussion im Workshop von Anne: Wie Lisa war nicht nur im Workshop Tarifpolitik aktiv. Sie musste niemand zwei Mal aufgefordert werden. – und auch Petrus war wohl gesonnen. gewinnen wir Azubis und junge Beschäftigte? arbeitet auch in der Tarifkommission. Wichtige Anträge und tolle Debatten: Die jungeNGG Mit dem A 001 „Zukunft der Ausbildung“ ging die Lieferdienstfahrer Keno fordert ein Eindrucksvolles Ergebnis des Workshops Tarifpolitik: mischt sich ein. Antragsberatung gleich in die Vollen. Ende der sachgrundlosen Befristung. Vernetzt Euch! Denn nur gemeinsam sind wir stark! Guido, Michaela und Jan haben der jungenNGG Nach heißer Diskussion: Der Antrag „Keinen Fußbreit für jederzeit ihre Unterstützung zugesichert. die AfD in unserer Gewerkschaft“ ist angenommen. Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX Zum Gewerkschaftstag delegiert: Ramona, Jenny, Paul, Botschaften für den Gladenbacher Himmel: Eine klare Bitte der NGG-Vorsitzenden: „Wir wünschen Der Antragsberatungskommission mit Clemens, Magda, Philipp und Manuel. uns von Euch eine noch stärkere Stimme. Im Gastgewerbe könnten wir den Laden rocken.“ Fernando und Florian rauchten mitunter die Köpfe.
NGG AKTIV Anzeige Es tut sich was Es tut sich was im Gastgewerbe: In Bremen wurde erstmals ein kompletter Entgelt- tarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe für allgemeinverbindlich erklärt. Damit gilt dieser Tarifvertrag für ca. 20.000 Beschäftigte im Land Bremen. Auch diejenigen, die bislang nicht von einem Tarifvertrag profitiert haben, bekommen mehr Geld: mindestens 9,56 Euro pro Stunde, bei einer Fachausbildung 11,51 Euro. Und in Berlin gibt es nach 15 Jahren wieder einen neuen Manteltarifvertrag. Er tritt zum 1. Januar 2019 in Kraft und regelt unter anderem Urlaub und Jahres- sonderzahlung. Außerdem gilt – nach einer Übergangsfrist – in allen tarifgebunde- nen Unternehmen wieder eine 38-Stunden-Woche. Gesundheits- Warnstreik wirkt wochen im BZO Wie wirkungsvoll Warnstreiks sein können, hat sich einmal mehr Mitte Mai gezeigt: Für die rund 7000 Beschäftigten der Nährmittelindustrie Südwest hat die NGG eine Zwei Wochen mit einem zweistufige Lohnerhöhung ausgehandelt: drei Prozent zum 1. Mai 2018 und weite- Rahmenprogramm zum re 2,5 Prozent ab 1. April 2019. Der Tarifver- Thema Gesundheit: handlung vorausgegangen waren Warn- Mehr Informationen online streiks unter anderem beim Pizzahersteller 6. bis 10. August 2018, www.ngg.net/wagner Nestlé Wagner im saarländischen Nonnwei- 19. bis 23. November 2018 ler. 650 Beschäftigte beteiligten sich dort am ersten Warnstreik in der Firmengeschichte. Anregungen zu Bewegung, Ernährung und Entspan- nung bereichern in diesen Wochen die laufenden Seminare: BR1, BR2, Arbeits- recht 1, BEM2, Beschwer- den/Konflikte! Sei dabei, bei unserem neuen Angebot! Foto: NGG Bildungszentrum Oberjosbach info@bzo.de www.bzo.de ó Binnen einer Woche traten weitere 80 Beschäftigte von Nestlé Wagner der NGG bei. Telefon 06127 9056-0 Mensch vor Marge! Mit Menschenketten unter dem Motto „Mensch vor Marge!” rund um die deut- sche Unilever-Zentrale in Hamburg und das Werk in Heilbronn haben NGG und Bildungspartner der Gewerkschaft Beschäftigte Ende April gegen geplante Stellenstreichungen und Verlagerungen Nahrung-Genuss-Gaststätten beim Konsumgüterriesen protestiert. Der niederländische Konzern will in Ham- burg dutzende Jobs streichen und die Sparte für Großverbraucher vom ba- den-württembergischen Heilbronn in die rund 620 Kilometer entfernte Deutsch- landzentrale nach Hamburg verlagern. Betroffen hiervon wären rund 80 Be- schäftigte. Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger wirft dem Management „Gewinn-Gier” vor. 16 einigkeit 2-2018
MEIN ARBEITSPLATZ Schlechte Laune kommt nicht in die Tüte Heike Brombach ist Bäckereifachverkäuferin bei MALZERS Backstube. Es gehört zu ihrem Markenzei- chen als engagierte Backwarenspezialistin, freundlich und vor allem humorvoll mit ihren Kunden in der Filia- le Duisburg-Angerbogen umzugehen. „Die Anrede ‚junger Mann’ oder ‚junge Frau’ kommt nicht immer gut an“, weiß die 53-Jährige, die gebürtig aus der Sächsischen Schweiz stammt. „Da bleibe ich freundlich, das ist die Hauptsache. Ich scherze gern mit meinen Kun- den, zum Teil kennen wir uns ja schon seit Jahren.“ Heike Brombach ist gelernte Fachverkäuferin für Fleisch und Fleischwaren und hat in der Gastronomie gearbeitet, be- vor sie 1999 ihrer Schwester ins Ruhrgebiet folgte. Seit- dem arbeitet sie bei MALZERS. Die Großbäckerei mit Hauptsitz in Gelsenkirchen betreibt mit 2500 Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern 145 Filialen im Ruhrgebiet. Die eine oder andere hat auch Heike Brombach in den ver- gangenen 19 Jahren kennengelernt. Noch heute springt sie gerne ein, wenn irgendwo „Not am Mann“ ist. „Ich liebe die Abwechslung und schaue gern über den Teller- rand. Auf der anderen Seite hat sich unser Beruf auch enorm gewandelt. Wir sind quasi permanent im Stress. Da fällt das Abschalten nach der Schicht manchmal nicht leicht“, so Brombach. Bäckereifachverkäuferinnen – bei MALZERS arbeiten übrigens inzwischen auch viele männ- liche Kollegen im Verkauf – müssen heute nicht nur zu- meist an sieben Tagen Brot- und Backwaren verkaufen, sie bereiten gleichzeitig Heißgetränke und Snacks zu und backen kontinuierlich frische Brötchen. „Die Kunden ver- trauen auf unsere Produktkenntnis. Ich berate jeden auf Wunsch über Inhaltsstoffe oder Getreidearten“, erklärt Heike Brombach und erzählt, dass auch die Hygienevor- schriften viel strenger geworden sind. Foto: Uwe Völkner / FotoagenturFOX Gerade wurde sie zum wiederholten Mal in den Betriebs- rat bei MALZERS Backstube gewählt. „Obwohl wir hier im Ruhrgebiet ein Vorzeigeunternehmen sind, liegt mir die Gewerkschaftsarbeit sehr am Herzen. Was bewegen kann BU man nur gemeinsam.“ Sie lacht und steckt dem nächsten „jungen Mann“ ein Dinkelbrötchen in die Tüte. einigkeit 2-2018 17
» Es kam der Punkt, da musste ich entscheiden, auf welcher Seite ich stehen will.« Semih Yalcin, Betriebsratsvorsitzender Foodora Köln Mehr Informationen online 18 einigkeit 2-2018 www.ngg.net/deliveroo-br
MENSCHEN | PORTRÄT Wir sind ein gallisches Dorf Das kleine rebellische Dorf in Gallien entpuppt sich bei näherem Hinsehen als veritable Großstadt am Rhein! Was den Kampf um Mitbestimmung und bessere Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten angeht, ist Köln das Zentrum der Aktivitäten. Hier lebt und arbeitet auch Semih Yalcin, Betriebsratsvorsitzender beim Lieferservice Foodora. „Und die Branche lässt sich doch organisieren!“ Semih system zu profitieren oder gegen die schlechten Arbeits- Yalcin ist stolz, erreicht zu haben, was viele für unmöglich bedingungen zu kämpfen. Anders als Deliveroo arbeitet hielten: Seit Juli 2017 gibt es bei Foodora in der Rhein-Me- Foodora zwar mit festangestellten Fahrern, jedoch sind tropole einen neunköpfigen Betriebsrat. Dabei galten die die Verträge zumeist auf zwölf Monate befristet. Der Stun- Beschäftigten von Foodora, Deliveroo und Co. trotz kata- denlohn liegt bei neun Euro. Arbeitsmaterialien wie Klei- strophaler Arbeitsbedingungen bislang als schwer zu or- dung, Fahrrad oder Handy müssen selbst gestellt wer- ganisieren. Die Einsätze kommen über eine App aufs den. Winterkleidung oder Regenschutz werden teilweise Handy, die Kollegen kennen sich kaum, der gemeinsame nicht zur Verfügung gestellt. Verschleiß und Reparaturen Arbeitsplatz ist die Straße. Die Endkunden können über tragen die Fahrer selbst. Die Rider sind hohem Zeitdruck App oder Webseite des Berliner Start-ups Foodora bei ausgesetzt. Ein Algorithmus bestimmt den Takt der Ein- Restaurants bestellen, die keinen Bring-Service anbieten. sätze. Persönliche Ansprechpartner gibt es nicht. Der Foodora übernimmt die Zahlungsabwicklung und liefert Kontakt läuft über einen Chat. Kein Wunder: Die Fluktua- mittels Fahrradkurier innerhalb von 30 Minuten bis an die tion ist immens. Deliveroo arbeitet nur noch mit Freelan- Haustür. 30 Prozent des Bestellwertes müssen die Res- cern. Der Betriebsrat wurde ausgehebelt, indem alle be- taurants dafür an den Dienstleister abgeben. fristeten Verträge ausgelaufen sind (siehe Seite 29). Auf welcher Seite willst Du stehen? Gute Arbeit überzeugt In 36 deutschen Städten ist Foodora mit fast 2600 Fahr- „Das alles wird einem ja als sportlicher und cooler Ar- radkurieren aktiv. Einer davon ist Semih Yalcin. Soldat, beitsplatz verkauft, dabei riskieren wir unsere Gesund- Hilfskoch, Bauarbeiter und DHL-Verlader: Der Mas- heit“, so Yalcin. „Mein Vater wurde als Mitarbeiter einer ter-Student gehörte bereits zu den erfahrenen Jobbern, Kaufhauskette ‚abgewickelt’, und meine Mutter hat sich als er sich 2016 entschloss, Foodora-Kurier zu werden. als Bäckereifachverkäuferin auch bessere Arbeitsbedin- „Ich war ein erfolgreicher Fahrer“, berichtet er. „Dann bot gungen gewünscht. Das war zusätzlich Motivation, mich man mir Anfang 2017 an, Rider-Captain zu werden. auf die Seite der Beschäftigten zu stellen.“ Yalcin gründet Plötzlich gab es Aufstiegschancen.“ Zu dem Zeitpunkt schließlich mit Gleichgesinnten und Unterstützung der hatte der 29-Jährige aber längst schon durchschaut, wel- NGG einen Betriebsrat. Als Vorsitzender kann er inzwi- cher Leistungs- und Verhaltenskontrolle die Fahrer aus- schen schon auf Erfolge verweisen: „Die Ausstattung der Foto: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX gesetzt sind. „Wir werden nicht nur per GPS kontrolliert, Fahrer wurde verbessert und man merkt so langsam, sondern tragen auch das volle Risiko beim Fahren. Sorg- dass wir Veränderungen anschieben können. Durch gute faltspflicht von Seiten des Arbeitgebers? Fehlanzeige!“ Arbeit wollen wir immer mehr Rider überzeugen. Denn Der Kölner stand vor der Entscheidung, vom Belohnungs- von allein wird hier absolut nichts besser!“ einigkeit 2-2018 19
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KOPF UND BAUCH Foto: NGG Kampf und Freundschaft gehören beim AC Einigkeit Elmshorn zusammen (v.l.n.r.): Orkun Er, Giovanni Casarano, Giacomo Casarano, Luca Neubauer und Hartmut Rex. Einigkeit … ist Integration „100 Pfund einarmig drücken“: Das war im Gründungsjahr 1893, also vor 125 Jahren, die Bedingung, um in den damaligen Arbeitersportverein Athleten-Klub „Einigkeit“ Elmshorn aufgenommen zu werden. Im Vordergrund stan- den Ringen, Gewichtheben und Tauziehen. Heute ist im AC Einigkeit Boxen neben Fitness die Kernsportart. Mitma- chen kann jeder und jede: egal, woher jemand kommt oder wie viel jemand verdient. Es ist kein dunkler, muffiger Boxklub, in dem trainiert wird, Freundschaft und vor sondern die große, hell erleuchtete Olympia-Halle in allem Fairness zu- Elmshorn, nahe Hamburg. Und doch sind die Kom- sammengehören.“ mandos beim Warmmachen wohl die gleichen: laut und streng, gekämpft wird nur im Boxring, der mitten in der „Freundschaften ent- Sporthalle aufgebaut ist. Selbst wer zum ersten Mal dabei stehen hier quer ist, wird gleich hart rangenommen: egal, ob Mann oder durch alle Schichten Wer 1893 Vereinsmitglied werden Frau, Junge oder Mädchen, Wettkampf- oder Fitnessbo- und Nationalitäten“, wollte, musste „100 Pfund einarmig xer. „Da zeigt sich schnell, wer genug Biss hat. Wir nen- weiß Rex: „Bei uns drücken” können. nen das Boxerherz. Denn, wenn man kämpft, muss man kann jeder mitma- auch einstecken können. Tränen gehören, wenn auch chen. Der Sport macht alle gleich. Da trainiert der Rektor selten, dazu“, erklärt Hartmut Rex (74), seit 44 Jahren zusammen mit dem Sonderschüler und der Syrer mit dem Vorsitzender des Vereins, der sich seit 1981 „Athle- Afghanen. Das ist unsere Form der Integration.“ ten-Club Einigkeit Elmshorn von 1893 e.V.“ nennt. Rex ist die Seele des ACE und schon seit seinem achten Lebens- jahr dabei: „Unser Verein macht Kinder stark.“ Der Einigkeit macht stark! 13-Jährige Giacomo Casarano, der hier mit seinem Vater Giovanni trainiert, kann das nur bestätigen: „Man kriegt Für die Gewerkschaften steht „Einigkeit“ seit jeher für mehr Kraft und wird konzentrierter, dank Training. Das ist Zusammenhalt im Kampf um bessere Arbeits- und Le- ein bisschen so wie Vokabeln lernen.“ Und auch die bei- bensbedingungen. Auch außerhalb der Arbeitswelt ha- den Freunde Luca Neubauer (20) und Orkun Er (20) mei- ben sich Menschen unter dem Namen Einigkeit zu- nen: „Man wird körperlich flinker und mental ruhiger, be- sammengeschlossen. Die Redaktion stellt sie vor. kommt mehr Selbstvertrauen und lernt, dass Kampf und einigkeit 2-2018 21
Arbeit im Hotel: Flexibel bis zum Umfallen? „Wir bewirten seit Jahren immer mehr Gäste mit der gleichen Anzahl von Beschäftigten!“ Thomas Klein, Betriebs- ratsvorsitzender im Maritim Hotel Köln, ist Quereinsteiger. Ursprünglich hat der engagierte Betriebsrat Elektriker gelernt und ist eher auf Umwegen in die Hotellerie gekommen. Seit mehr als 15 Jahren Betriebsrat, gilt Klein als erfahrener Kenner einer Branche, die wie keine zweite von der Fluktuation der Beschäftigten betroffen ist. Für Thomas Klein ist klar, die immensen Nachwuchssor- arbeiterakquise und -bindung der Fachkräftemangel in gen in der Hotellerie können nur durch eines beseitigt der Hotellerie stetig weiter wachsen wird. Die als ungüns- werden: „Die Arbeitgeber müssen endlich umsteuern und tig geltenden Arbeitsbedingungen werden mit den Schlag- dafür sorgen, dass es wieder attraktiver wird, in unserer worten lange Arbeitszeiten, Wochenendarbeit, geringes Branche zu arbeiten. Stattdessen fordern sie immer flexi- Lohnniveau und niedrige Personalausstattung beschrie- blere Arbeitszeiten. Mir scheint, der Deutsche Hotel- und ben. Da scheint die Forderung des Dehoga nach einem Gaststättenverband Dehoga lebt mit der Fluktuation!“ Verzicht auf die Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten wenig hilfreich. „Damit möchte der Dehoga Einsätze bis Nicht nur im Kölner Maritim sieht man dringenden Hand- zu 13 Stunden täglich umsetzen können“, glaubt auch lungsbedarf. Der von der Hans-Böckler-Stiftung heraus- der stellvertretende NGG-Vorsitzende Guido Zeitler: „Alle gegebene „Branchenmonitor Hotellerie“ kam bereits arbeitsmedizinischen Fakten sprechen klar gegen so lan- 2016 zum Schluss, dass ohne attraktive Modelle zur Mit- ge Arbeitszeiten.“ Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX Der Gast ist König: Die Maritim Hotelgesellschaft betreibt mit 4500 Beschäftigten 34 First-class-Häuser in Deutschland. 22 einigkeit 2-2018
BRANCHE Menschen im Hotel: Vom Empfang bis zum Room-Service: Für die Kolleginnen und Kollegen in der Hotellerie steht der Gast im Mittelpunkt – nicht selten bis zur persönlichen Belastungsgrenze. International sind die Maritim Hotels in sieben Ländern mit 14 Häusern vertreten. Adieu Privatleben? sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den letzten Arbeiten am Limit der persönlichen Belastbarkeit? Das gilt Jahren gestiegen, dennoch arbeiten laut Bundesarbeits- für die meisten der mehr als zwei Millionen Beschäftigten ministerium etwa zwei Drittel der Kolleginnen und Kolle- im Gastgewerbe. Davon sind allein eine Million Teilzeit- gen im Hotel- und Gaststättengewerbe im Niedriglohnbe- und Mini-Jobber. In der Hotellerie waren Ende 2017 reich. Hier sind es vor allem die Reinigungskräfte – häufig knapp 500.000 Menschen beschäftigt. Im Kölner Maritim in Arbeitnehmerüberlassung – die unter hohem Druck Hotel geht der Betriebsrat gemeinsam mit dem Arbeitge- und schlechten Konditionen ihre Arbeit verrichten. Das ber die Verbesserung der Arbeitsbedingungen aktiv an. Kölner Maritim Hotel ist auf Tagungen und Großveranstal- „Wir haben eine Betriebsvereinbarung, darin ist zum Bei- tungen spezialisiert, dennoch arbeitet man im Bereich spiel die Anrechnung von Umkleidezeiten als Arbeitszeit Events mit Personaldienstleistern. „Großveranstaltungen festgeschrieben. Ruhezeiten sind ebenso geregelt wie die können wir mit Bordmitteln allein nicht mehr darstellen. Mitbestimmung beim Abbau von Überstunden. Dafür ha- Nicht zuletzt deshalb geht der Trend in der Branche zum ben wir ein Ampelsystem entwickelt, das Alarm schlägt, Abbau im kostenintensiven Bereich F&B (Food und Beve- wenn ein Mitarbeiter zu viele Stunden auf dem Konto hat.“ rages). Die Hotels konzentrieren sich zunehmend auf das Im Test laufe gerade ein Dienstplanprogramm, so Klein, Wesentliche: die Übernachtungen. Während Sie im Res- der auch Gesamtbetriebsratsvorsitzender ist und stolz da- taurant 60 Prozent Personalkosten haben, sind es bei der rauf, dass auch dank seiner Arbeit viele Kolleginnen und Logis nur 14“, so Klein. Kollegen im Maritim Köln in der Gewerkschaft NGG orga- nisiert sind. Dennoch: Personal ist rar, die Fluktuation vor allem bei den Jungen hoch. Jobs im In- und Ausland sei- Branchenteilnehmer und Branchenkonzentration in der en eben gut zu bekommen und die Identifikation mit dem Arbeitgeber bei vielen nicht mehr besonders hoch. HOTELLERIE Hotel Umsatz Personal Vertrieb In Kooperation mit dem Beratungsunternehmen SoWiTra und gefördert durch den DGB hat Klein vor sechs Mona- ten ein Projekt aufgesetzt, bei dem Lösungen für eine bes- Accorhotels 1.032,5 Mio. 20.761 342 Betriebe, sere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erarbeitet wer- 44.902 Zimmer den. Ziel ist es, die körperliche Beanspruchung durch Best Western 674,1 Mio. 11.837 195 Betriebe, Hotels 8.551 Zimmer Schichtarbeit zu reduzieren. „Wir stellen die Anfangszei- Deutschland ten auf den Prüfstand. Die Ergebnisse präsentieren wir GmbH regelmäßig den Beschäftigen. Wir müssen alle ins Boot Intercontinental 559,6 Mio.* 4.310 71 Betriebe, *Schätzwerte | QUELLE: Emons 2016, Tabelle S. 5 Grafik: Bettina Nagl-Wutschke / designagl Hotels Group 14.500 Zimmer (2013) nehmen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. (IHG) Starwood 443,7 Mio.* 1.639 27 Betriebe, Hotels & 7.000 Zimmer* Die Schere öffnet sich weiter Resorts Dabei sind die Zahlen der Branche exzellent: Der Touris- Worldwide Inc. mus boomt – und damit auch die Hotelbranche. Mit 27,4 Steigenberger 422,7 Mio. 4.371 72 Betriebe, Hotels AG 12.673 Zimmer Millionen Übernachtungen gab es im Februar 2018 zum Maritim 368,8 Mio. 2.185 36 Betriebe, Beispiel ein sattes Plus von sechs Prozent gegenüber dem Hotelgesell- 10.924 Zimmer Vorjahresmonat (Quelle: destatis.de.) Zwar ist die Zahl der schaft mbH einigkeit 2-2018 23
454 Betten hält das Maritim Köln für seine Gäste bereit. Anders als in anderen Hotels sind hier fast 90 Prozent der 280 Mitarbeiter fest angestellt. Bei großen Events arbeitet das Kölner Maritim mit Personaldienstleistern zusammen. Herausforderung Digitalisierung Eine im Auftrag der NGG erstellte, noch nicht veröffent- Gleichzeitig verändert sich die Branche unter dem Einfluss lichte Studie befasst sich nun erstmals mit dem Einfluss der sogenannten Megatrends Globalisierung, Nachhaltig- der Digitalisierung auf die Tourismuswirtschaft. Danach keit, Mobilität und Digitalisierung in rasantem Tempo. Die sind an der Schnittstelle zum Kunden digitalisierte Vor- Herausforderungen auf den Punkt gebracht: Der Gast von gänge nicht mehr wegzudenken. Vor allem Buchungen heute ist mobiler, schneller, digitaler und informierter als und Reservierungen werden zunehmend digital getätigt – jemals zuvor. liegt doch der Anteil der Onlinebuchungen inzwischen bei 45 Prozent. Gleichzeitig sehen sich die Hoteliers der Macht der Bu- chungs- und Bewertungsportale ebenso ausgesetzt wie Schutzfunktion mehr denn je gefragt dem Aufkommen der sogenannten Sharing Economy, der Darüber hinaus kommen während des Aufenthalts elekt- „Ökonomie des Teilens“, die mit Airbnb als ihrem größten ronische Schlüssel, Bestell- und Bezahlsysteme sowie der Vertreter maßgeblich in Konkurrenz zu klassischen Hote- digitale Check-In, der in Deutschland aufgrund des Mel- langeboten tritt. Daraus resultiert vor allem für Herbergen degesetzes nur eingeschränkt möglich ist, zum Einsatz. im unteren Preisspektrum und für Ferienwohnungen ein Manche Hotels bieten ihren Kunden auch die Nutzung existenzbedrohender Verdrängungswettbewerb. einer mobilen App an, mit der etwa Informationen zu Bu- chung, Anreise und Aufenthalt abgerufen werden kön- nen. Von Kundenbindungsprogrammen bis zum Bewer- tungsportal läuft auch nach dem Aufenthalt heute schon Gästeübernachtungen das meiste digital. Neben Facebook und Co. wird auch die Sammlung und Auswertung von Kundendaten gezielt für in deutschen Beherbergungsbetrieben von 2014 bis 2017* das Marketing und die individuelle Betreuung genutzt. Noch orientiert sich in der Hotellerie die Digitalisierung also in erster Linie an den Bedürfnissen und Interessen des Gastes. Für die Beschäftigten werden vor allem Pro- Übernachtungen in- und ausländischer Gäste gramme zur Dienstplangestaltung eingesetzt. Kleinere 2017 +3% 459,6 Hotels scheuen allerdings oft die hohen Kosten, die mit 2016 447,3 ihrer Einführung verbunden sind. Auch die elektronische Arbeitszeiterfassung ist nicht überall verbreitet. „Der digi- 2015 436,4 tale Empfang ist im Maritim noch kein Thema, ebenso Grafik: Bettina Nagl-Wutschke / designagl 2014 424 haben wir keine Roboter, die Betten machen oder Zimmer säubern“, sagt Thomas Klein, der solche Anwendungen * in Mio. eher in der Hotellerie mit drei Sternen und weniger sieht. In der Mitarbeiterverwaltung sei die Digitalisierung aller- dings auch in Köln auf dem Vormarsch. QUELLE: Statistisches Bundesamt (Destatis) Für die Betriebsräte ist der digitale Wandel eine große He- rausforderung. Dabei geht es nicht zwangsläufig um Be- 24 einigkeit 2-2018
BRANCHE Von der Hygiene bis zum Speiseplan: Auch im Hintergrund müssen alle Abläufe minutiös geplant werden. Ohne Teamwork geht hier nichts, denn die Personaldecke ist dünn. Für Hotelrestaurants wird das Überleben zunehmend schwieriger, denn viele Gäste nutzen lieber das gastronomische Angebot außerhalb ihrer Herberge. schäftigungsrückgang. Sie müssen vielmehr das Heft des Handelns in der Hand behalten und den komplexen Pro- zess aktiv mitgestalten. Zum einen ihre Kollegen auf sich verändernde Anforderungen vorbereiten: Das Beherrschen von digitalen Anwendungen wird in fast allen Bereichen im Hotel zur Schlüsselqualifikation werden. Zum anderen aber 2,2 MIO. MENSCHEN müssen sie versteckte Kontrollmöglichkeiten, wie sie in elektronischen Bestell- und Bezahlsystemen enthalten in 230.000 Unternehmen | sind, identifizieren. Solche Anwendungen eignen sich zur Erstellung von Bewegungsprofilen, die minutiöse Arbeits- Mehr als die Hälfte in und Leistungskontrollen ermöglichen. Hier sind die Be- TEILZEIT | triebsräte gefragt, Gestaltungswillen zu zeigen und gleich- zeitig den gläsernen Mitarbeiter zu verhindern. 2015 wurde ein UMSATZ von 84 MRD. EURO erzielt, davon zwei Drittel in der GASTRONOMIE, ein Drittel im Beherbergungs- gewerbe | 2016 übernachteten 172 MIO. GÄSTE in Beherbergungsbetrieben | im Quelle: statista.com Durchschnitt blieben sie 2,6 NÄCHTE Quereinsteiger Thomas Klein ist Betriebsratsvorsitzender im Maritim. einigkeit 2-2018 25
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