Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...

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Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten | Ausgabe 2-2018 | www.ngg.net

einigkeit                                                                Das Magazin der NGG

Arbeitszeit:
Da reden wir mit!
Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
einigkeit*

*... ist Integration.
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EDITORIAL

                      Von Grenzen,
                      Galliern und
                      Bock auf gute Arbeit
                      Endlich Sommer, das bedeutet lang ersehnte freie Tage für viele von
                      uns. Es bedeutet auch, dass wir mit großen Schritten auf den
                      Gewerkschaftstag zugehen. Vom 5. bis 9. November 2018 werden in
                      Leipzig die Weichen für die kommenden fünf Jahre gestellt. Welche
                      inhaltlichen Schwerpunkte die NGG dann setzt, das wird nicht zuletzt
Foto: Peter Bisping

                      an der Basis, in den NGG-Regionen, bestimmt. Mehr dazu ab Seite 6.

                      Ab Seite 8 geht es um ein Zukunftsthema, das für uns bereits gesetzt
                      ist: Die Gestaltung der Arbeitszeiten. Sowohl die Digitalisierung als
                      auch der Vorstoß der Arbeitgeber im Gastgewerbe bringen das Ar-
                      beitszeitgesetz immer wieder auf die Agenda. Ein simples Aufwei-
                      chen zu Lasten der Beschäftigten wird es mit uns nicht
                      geben. Wir werden mitreden und gemeinsam die Arbeitswelt neu ge-
                      stalten. Denn Flexibilität hat zwei Seiten – nicht nur die des
                      Unternehmens, sondern insbesondere auch die der Beschäftigten.

                      Dass man dem Fachkräftemangel in der Hotellerie nicht mit immer
                      längeren Arbeitszeiten begegnen kann, zeigt ab Seite 22 unser Bran-
                      chenthema. Für unser Porträt hat die Redaktion ein „gallisches Dorf“
                      am Rhein besucht: In Köln hat sich in den vergangenen Monaten
                      eine Hochburg im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen bei den
                      Restaurantlieferdiensten entwickelt. Semih Yalcin, Betriebsratsvorsit-
                      zender bei Foodora, gibt uns ab Seite 18 einen Einblick in eine Bran-
                      che, die bisher als gewerkschaftlich kaum zu organisieren galt.

                      Semihs Geschichte steht beispielhaft für viele aktive Mitglieder in
                      allen NGG-Regionen. Besonders freut mich, dass wir in diesem Heft
                      so viele junge Kolleginnen und Kollegen zeigen können, die so richtig
                      Bock darauf haben, die Zukunft der Arbeit mitzugestalten!

                      Guido Zeitler
                      Stellvertretender NGG-Vorsitzender

                                                                                          einigkeit 2-2018    3
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Foto: NGG, Denise Schott ; Fotos rechts: Uwe Völkner / Fotoagenut FOX

6    Titelthema: Arbeitszeit. Schon heute arbeiten immer mehr Beschäftigte im-
     mer flexibler – bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Ein Aufweichen des
     Arbeitszeitgesetzes setzt falsche Akzente für die Zukunft der Arbeit
                                                                                                                                                                   14   Bock auf Zukunft: Auf der Bun-
                                                                                                                                                                        deskonferenz der jungenNGG
                                                                                                                                                                        in Gladenbach wurde drei Tage
                                                                                                                                                                        lang mit Herzblut Gewerk-
                                                                                                                                                                        schaftsarbeit gemacht

        FOKUS | POLITIK                              MENSCHEN                                                                                                       NGG AKTIV
   6 Arbeitszeit:                                 17 Mein Arbeitsplatz                                                                                 14 jungeNGG
		Da reden wir mit! Immer mehr                    	Schlechte Laune kommt nicht in die                                                              		 Bundeskonferenz in Gladenbach:
        Arbeit, immer weniger Personal?               Tüte: Stippvisite bei der Backwa-                                                                             Diskutieren, wählen, arbeiten und
        Arbeitszeit braucht Grenzen und               renspezialistin Heike Brombach                                                                                feiern: Drei Tage im April, die es in
        richtige Antworten von Arbeitgebern                                                                                                                         sich hatten
        und Politik                               18 Porträt
                                              		Auf welcher Seite willst Du stehen?                                                                   28 Gleichstellung
                                                 Foodora-Fahrradkurier Semih                                                                          		 Wenn die Arbeit neu verteilt wird:
 BRANCHE
		                                               Yalcin über die erste Betriebs-                                                                                    Neues aus der „:was uns zusteht.
                                                 ratsgründung bei einem Restau-                                                                                     Initiative Lohngerechtigkeit”
     22 Flexibel bis zum Umfallen?               rant-Lieferdienst
		Die Hotellerie-Branche leidet unter                                                                                                                 29 DGB-Kongress
   dem Fachkräftemangel. Die Arbeit-           26 Jubilare                                                                                            		 NGG hat mit starker Stimme auf
   geber müssen endlich umsteuern             		  Wir gratulieren!                                                                                                  dem Parlament der Arbeit mit-
                                              		                                                                                                                    entschieden

 4      einigkeit 2-2018
Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
IN DIESER AUSGABE

                                                                                                                                        Foto: Uwe Völkner / FotoagenturFOX
18     Zu Besuch bei den Ridern im gal-
       lischen Dorf: Der Kölner Foodora-
       Betriebsratsvorsitzende Semih
                                                    22        Der Gast ist König, rund um
                                                              die Uhr. Über immer flexiblere
                                                              Arbeitszeiten, Fachkräftemangel
                                                                                                30   Dieses Team bleibt unerschüt-
                                                                                                     terlich: Sven Hildebrandt,
                                                                                                     Claus-Peter Wolf und Silvia
       Yalcin über Steine, die nur sehr                       und den Vormarsch der Digitali-        Hermann aus der NGG-Region
       langsam ins Rollen kommen                              sierung in der Hotellerie              Schwarzwald-Hochrhein

 KOPF UND BAUCH
		                                                    NGG VOR ORT
                                                     		                                              KURZ NOTIERT
    21 Einigkeit ist ...                                  30 NGG-Regionen vorgestellt            29 Meldungen
		… Integration. Egal, woher man                    		Der Spagat ist machbar: Claus-Pe-
   kommt oder wie viel man verdient:                    ter Wolf leitet vorübergehend gleich     34 Ausblick
   Beim Athleten-Club „Einigkeit“                       zwei NGG-Regionen als Geschäfts-
   Elmshorn darf jeder und jede in                      führer. Das kostet Kraft und bringt       35 Solidaritätsfonds
   den Boxring steigen                                  Kilometer auf den Tacho
                                                                                                  35 Impressum
   32 Frische Rezepte für Gute Arbeit
		Genießer-Rezepte
		 zum Nachkochen

   33 Vorlesen & Nachlesen
		

                           „einigkeit“ im Netz
                           Das Magazin der NGG digital lesen, als App und im Web.
                           Hier gibt es weitere interessante Features: Bildergalerien,
                           Videos und weiterführende Berichte.

                                                                                                                 einigkeit 2-2018   5
Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
Fotos: Frank Scheffka

NGG-Basisdemokratie: In allen 50 Regionen der NGG haben Delegiertenkonferenzen stattgefunden, auf denen die Themen für die kommenden fünf Jahre vorbereitet, Anträ-
ge diskutiert, der Regionsvorstand und die Delegierten für die Landesbezirkskonferenz sowie für den Gewerkschaftstag gewählt wurden. Dieter Nickel (Bild li.), Geschäfts-
führer der Region Bremen Elbe-Weser, begrüßt die Teilnehmenden in Zeven.

     Erste Weichen gestellt!
       Eine Vielzahl von politischen Fragen und gesellschaftlichen Herausforderungen werden in den kommenden fünf Jahren die Arbeit der
     NGG prägen: Arbeitszeit, Digitalisierung, Gleichstellung – Welche Punkte werden wir künftig setzen, welche Forderungen gegenüber Politik
     und Arbeitgebern formulieren? Darüber entscheiden die Delegierten vom 5. bis 9. November 2018 auf dem Gewerkschaftstag in Leipzig.

     Doch vorher sind die Mitglieder gefragt. Dele-       haben wir schon im Februar 2017 bespro-               legierten sind bei strahlendem Sonnenschein
     gierte müssen gewählt und Anträge formu-             chen. In dem Moment ging die Planung wohl             aus allen Teilen der weitläufigen Region nach
     liert, eingebracht und diskutiert werden (sie-       schon los.“ Silke Linde, seit 19 Jahren Ver-          Zeven gekommen, um sowohl den Regions-
     he Kasten). Dafür waren die NGG-Mitglieder           waltungsangestellte in der Region Bre-                vorstand als auch 16 Abgesandte für die
     in diesem Frühjahr in allen 50 NGG-Regio-            men-Weser-Elbe, hat an diesem Morgen an               Landesbezirkskonferenz und fünf für den
     nen zu Delegiertenkonferenzen eingeladen.            einem der langen Tische neben dem                     Gewerkschaftstag zu wählen. „Die Region
     Wie viel Arbeit und Engagement die Kollegin-         DMK-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Udo                Bremen-Weser-Elbe hat etwa 7500 Mitglie-
     nen und Kollegen vor Ort in die Organisation         Eckhoff Platz genommen. Als Mitglied im               der. In der Zeit von Dezember 2017 bis März
     ihrer Regionalkonferenzen steckten, zeigen           Regionsvorstand war er von Anfang an in die           2018 wurden sie alle zu Mitgliederversamm-
     wir an der Region Bremen-Weser-Elbe. Die             Planung der Konferenz eingebunden. In den             lungen in die Betriebe eingeladen, um sich
     „einigkeit“ hat die Vorbereitungen in Bremen         vergangenen Wochen standen die beiden                 auf die Regionskonferenz vorzubereiten und
     begleitet und war in Zeven dabei.                    täglich im Kontakt. Einladungen mussten               Delegierte und ihre Vertreter für Zeven zu
                                                          geschrieben, Busse für die Anfahrt der Teil-          wählen“, erklärt Thorsten Zierdt, der als Ge-
     9. April 2018, Kantine im Deutschen Milch-           nehmenden organisiert werden. So langsam              werkschaftssekretär für DMK in Zeven zu-
     kontor DMK, Zeven                                    löst sich Silke Lindes Anspannung: Die Tech-          ständig ist. Heute bleibt er im Hintergrund,
     „Dass wir die Konferenz hier beim Deutschen          nik funktioniert, Verpflegung steht auf den           schüttelt Hände, sucht den Kontakt, ist An-
     Milchkontor DMK abhalten wollen, das                 Tischen, die Stimmung ist gut. 88 von 99 De-          sprechpartner für Betriebsräte. Von Kellogg‘s

      6       einigkeit 2-2018
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FOKUS | POLITIK

über Coca-Cola bis Vitakraft: Die vergange-
nen Jahre waren in der Region zwischen                        Ein Antrag auf dem Weg
Weser und Elbe geprägt von Stellenabbau
und Betriebsschließungen. Gerade erst hat
                                                              nach Leipzig
das Traditionsunternehmen Hachez verkün-
                                                              Zu den fünf Delegierten der Region Bre-
det, die Schokoladenproduktion von der

                                                                                                                                                                   Foto: Frank Scheffka
                                                              men-Weser-Elbe für den Gewerkschafts-
Hansestadt nach Polen zu verlagern. Regi-
                                                              tag in Leipzig gehört auch DMK-Betriebs-
onsgeschäftsführer Dieter Nickel führt den
                                                              rat Benjamin Haxel (rechts im Bild). Vor
Delegierten in Zeven noch einmal vor Augen,
                                                              der Regionalkonferenz hat der Vater von
dass hier von 2013 bis 2017 3000 Arbeits-
                                                              Zwillingen gemeinsam mit Gewerk-
plätze in der Lebensmittelindustrie verloren-                                                                          •	Erhöhung des Personalschlüssels von
                                                              schaftssekretärin Iris Münkel einen An-
gegangen sind. Er stimmt die Konferenzteil-                                                                               Erziehern zu Kindern in den Kinder-
                                                              trag zur besseren Vereinbarkeit von Be-
nehmer auf die aktuellen Themen der NGG                                                                                   tageseinrichtungen
                                                              ruf und Familie formuliert. Haxel will er-
wie Betriebsratswahlen, sachgrundlose Be-                                                                              •	tarifliche Regelungen für „Eltern-
                                                              reichen, dass die NGG eine Kampagne
fristung, Mindestlohn und Arbeitszeit ein.                                                                                Arbeitszeit“, einschließlich der Rück-
                                                              ins Leben ruft, die die Bedürfnisse von
Regionsvorstand Stefan Röper (Anheu-                                                                                      kehr von Teil- auf Vollzeit
                                                              Eltern mit Kindern in den Vordergrund
ser-Busch InBev Deutschland Brauerei Beck
                                                              stellt.
& Co) skizziert im Anschluss die politischen                                                                           Unter dem Arbeitstitel „Familie muss in
Herausforderungen der kommenden fünf                          Kernthemen der Kampagne sollen sein:                     den Vordergrund“ wird Haxels Antrag
Jahre. Mit Erfolg: Später wird er von der                     •	steuerliche Besserstellung von Eltern                 nun den Weg durch die Instanzen neh-
Konferenz ohne Gegenstimmen als Vorstand                         mit Kindern durch geringere Lohn-                     men. Nächster Schritt: Über den Regi-
wiedergewählt. Mittags ist alles reibungslos                     steuer                                                onsvorstand wird das Papier in die Lan-
gelaufen: Wahlen, Ehrungen, Verabschie-                       •	Verlängerung der Elternzeit und                       desbezirkskonferenz eingebracht und
dungen. Silke Linde ist zufrieden und froh,                      Gleichziehen des Elterngeldanspruchs                  dort Anfang Juni diskutiert und, so hofft
„dass die nächste Regionskonferenz erst                          sowie eine Erhöhung des Elterngeldes                  Benny Haxel, auch verabschiedet. Dann
wieder in fünf Jahren zu organisieren ist!“                   •	gebührenfreie Betreuungsplätze in                     könnte der Antrag auf dem Gewerk-
                                                                 Kindertageseinrichtungen                              schaftstag beraten werden.

Auch der NGG-Hauptvorstand hat beraten:
In seiner März-Sitzung hat er einstimmig Michaela Rosenberger, Freddy Adjan und Guido Zeitler als seine Kandidatin und seine Kandidaten
für den Geschäftsführenden Hauptvorstand vorgeschlagen. Sie stellen sich den Delegierten auf dem Gewerkschaftstag in Leipzig zur Wahl.

                                                                                                                                                                                          Foto: Peter Bisping
                                                Foto: NGG

                                                                                                           Foto: NGG

Michaela Rosenberger ist seit 2013 NGG-                     Freddy Adjan ist derzeit Vorsitzender des                  Guido Zeitler wurde vom Beirat im März
Vorsitzende und kandidiert erneut für das                   NGG-Landesbezirks Bayern und war als                       2017 zum stellvertretenden NGG-Vorsitzen-
höchste Amt der Gewerkschaft NGG. Sie                       Tarifexperte schon bundesweit tätig: 2015                  den gewählt. Verantwortlich ist er nicht nur für
stemmt nicht nur als „Teamoberhaupt“ den                    und 2017 war er Verhandlungsführer in den                  Finanzen, Sozial- und Seniorenpolitik, die jun-
komplexen Prozess der Organisationsent-                     Tarifrunden Coca-Cola. Sehr erfolgreich war                geNGG, Berufliche Bildung und die IT, son-
wicklung und hat die NGG in Grundsatzfra-                   auch der Abschluss für die Milchwirtschaft                 dern auch für das Hotel- und Gaststättenge-
gen wie der Gleichstellung, Lohngerechtig-                  Bayern im September 2017. Das setzt sich                   werbe. Hier gilt es immer wieder, die Angriffe
keit und Ernährungspolitik positioniert, son-               2018 mit dem Abschluss für die Brauwirt-                   der Arbeitgeber auf das Arbeitszeitgesetz ab-
dern sorgt auch dafür, dass die NGG eine                    schaft und die Mittelstandsbrauereien fort.                zuwehren. Auf dem DGB-Kongress hat er in
starke Stimme im DGB, gegenüber der Poli-                   Auch für das bayerische Gastgewerbe hat er                 der Antragsberatungskommission geschuftet
tik und auf internationalem Parkett ist.                    ein sattes Lohnplus durchgesetzt.                          und geschwitzt.

                                                                                                                                               einigkeit 2-2018    7
Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
Arbeitszeit:
Da reden wir mit!
  Der Druck am Arbeitsplatz nimmt zu. Immer mehr Arbeit, mit immer weniger Personal, in immer kürzerer Zeit. Das geht auf Dauer auf die
Gesundheit. Dabei bräuchten die Beschäftigten gerade jetzt Zeit und Energie, um sich für die Herausforderungen der Digitalisierung, der
Industrie 4.0, weiter zu qualifizieren. Zu allem Überfluss fordern etliche Arbeitgeber, insbesondere im Gastgewerbe, noch mehr Flexibilität.
Sie wollen das Arbeitszeitgesetz aufweichen und die tägliche, gesetzlich erlaubte Höchstarbeitszeit von zehn auf
13 Stunden ausweiten.

Die Arbeitgeber begründen ihre Forderung                                                 beitszeitgesetz abgesichert sind. Allerdings
nach einer Ausweitung der täglichen                                                      wird der Druck auf unsere Tarifverträge und
Höchstarbeitszeit damit, dass die bisherige                                              die Betriebsräte insgesamt steigen, je mehr
Obergrenze vor dem Hintergrund der Globa-                                                Branchen und je mehr tarifungebundene
lisierung und Digitalisierung nicht mehr zeit-                                           Unternehmen, wie im Gastgewerbe oder im
gemäß sei. Doch was bedeutet das für die                                                 Bäckerhandwerk, einknicken und mit neuen
Beschäftigten? Arbeiten rund um die Uhr?                                                 flexiblen Arbeitszeiten arbeiten lassen. Für
Immer verfügbar? Immer erreichbar? Fakt                                                  uns wird es künftig darauf ankommen, tarif-
ist: Wir brauchen das Arbeitszeitgesetz mit                                              liche Branchenregelungen noch besser ab-
seinen verbindlichen Regeln mehr denn je,                                                zusichern und Flexibilisierung nur unter Ein-
um die Beschäftigten und ihre Gesundheit                                                 beziehung der NGG und der Betriebsräte
vor überlangen Arbeitszeiten zu schützen!                                                zuzulassen.“
Arbeitszeit braucht Grenzen! Und Arbeitszeit
und deren Gestaltung ist eine der Kernaufga-                                             Flexibilität? Ja, gerne! Aber im Sinne der
ben von Betriebsräten und Gewerkschaften.                                                Beschäftigten
Das betont auch Michaela Rosenberger,                                                    Schon heute arbeiten viele Beschäftigte in
NGG-Vorsitzende: „Die gute Nachricht ist,                                                den von NGG betreuten Branchen sehr flexi-
dass in Tarifverträgen Passagen aus dem Ar-                                              bel, auch dank einer Vielzahl von gemein-
                                                                                         sam mit der NGG ausgearbeiteten Schicht-
                                                                                         modellen. Allerdings orientiert sich diese
                                                                                         Flexibilität bisher meist an den Bedürfnissen
                                                                                         der Arbeitgeber, den Erfordernissen der Pro-
                                                   Foto: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX

                                                                                         duktion und (saisonaler) Marktschwankun-
                                                                                         gen. Rosenberger: „Wir brauchen Flexibili-
                                                                                         tät, aber im Sinne der Arbeitnehmerinnen
                                                                                         und Arbeitnehmer. Sie müssen Erziehung
                                                                                         und Pflege so vereinbaren können, dass ih-
                                                                                         nen der Druck genommen wird. Damit sie
                                                                                         motiviert und gesund bleiben. Und da brau-
Wenn sie die Wahl hätten, würden die meisten                                             chen wir von der Politik Unterstützung statt
Beschäftigten lieber kürzer als länger arbeiten.                                         verdächtig vage gehaltener Passagen zu ‚Ex-

 8        einigkeit 2-2018
Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
FOKUS | POLITIK
Fotos: NGG - Denise Schott

                             9. Mai in Mainz: Protestaktion des NGG-Landesbezirks Südwest gegen überlange Arbeitszeiten im Gastgewerbe und
                             für 160 Euro mehr Lohn in der Tarifrunde 2018.

                                               perimentierräumen‘, wie es im Koalitionsver-
                                               trag zur möglichen Reform des Arbeitszeit-
                                               gesetzes heißt.“

                                               Flexibilität im Sinne der Arbeitnehmerinnen
                                               und Arbeitnehmer ist auch das Ziel des aktu-
                                               ellen Tarifabschlusses der IG Metall. Er soll
                                               den Beschäftigten, die Kinder erziehen, An-
                                               gehörige pflegen oder in Schicht arbeiten,
                                               die Möglichkeit geben, zwischen „mehr Geld
                                               und mehr Selbstbestimmung bei der Ar-
                                               beitszeit“ zu wählen. „Die IG Metall hat mit
                                               ihrem Abschluss sicherlich einen ganz neu-
                                               en Impuls gesetzt. Während das Thema Ar-
                                               beitszeit bislang vornehmlich von den Arbeit-
                                                                                                      » Wir sind ein Drei-Schicht-
                                                                                                      Betrieb. Wochenendarbeit ist da
                                               gebern besetzt war, die erst versucht haben,           normal. Es muss doch darum
                                               die Arbeitszeit zu verlängern, dann, sie zu
                                                                                                      gehen, die Gesundheit der Be-
                                               flexibilisieren, rücken in der jetzigen Debatte
                                               die Wünsche der Beschäftigten wieder in                schäftigten zu erhalten. Ich
                                               den Fokus. Das ist neu, und das ist gut so!            wünsche mir da ein stufenwei-
                                               Inwieweit der doch recht komplexe Ab-
                                                                                                      ses Abschmelzen der Arbeitszeit
                                               schluss der IG Metall auch Inspiration sein
                                               kann für die NGG-Branchen, müssen wir                  für Ältere, also ab 60 Jahren. «
                                               uns genau ansehen. Und zwar gemeinsam                  Stephan Heiß, Gesamtbetriebsratsvorsitzender
                                               mit Betriebsräten, in den Tarif-                       Arla Foods, Bad Wörishofen

                                                                                                                           einigkeit 2-2018     9
Einigkeit - Arbeitszeit: Da reden wir mit! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung-Genuss ...
(A)typische Arbeitszeiten                                                                                                                                   Arbeitszeitsouveränität

                                                                           Arbeitszeitreport Deutschland 2016, BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
             Wochenende                                                                                                                                                  Kein Einfluss auf Arbeitszeitgestaltung

                  59%                     42%                                                                                                                                74%                   52%

                                                                           Quelllen: DGB-Index Gute Arbeit, Sonderauswertung 2012-2016 /

                                                                                                                                                                                                                                  Quelle: DGB-Index Gute Arbeit, Sonderauswertung 2012-2016
             Abend/Nacht                                                                                                                                                 Arbeit selbständig einteilen/planen

                  29%                     32%                                                                                                                                45%                   35%

                                        Lebensmittel-/                                                                                                                     Lebensmittel-/         Deutschland
                 Gastgewerbe          Getränkeherstellung                                                                                                                Getränkeherstellung       insgesamt

 Gerade Beschäftigte im Gastgewerbe und in der Lebensmittel- und Getränkeherstellung arbeiten häufig am Wochenende und abends oder nachts. Bundesweit arbei-
 ten nur 22 Prozent am Wochenende. 74 Prozent haben keinen Einfluss darauf, wann sie anfangen und aufhören. Allerdings können 45 Prozent entscheiden, welche
 Aufgaben sie wann erledigen. Dies ist das Ergebnis einer Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit. Befragt wurden 747 Beschäftigte der beiden Branchen.

                                                         kommissionen oder auch in Form von Be-                                                                                wurde Anfang Februar auch in München auf
Arbeitszeitgesetz schützt                              schäftigtenbefragungen“, so Rosenberger.                                                                                einer Konferenz des NGG-Landesbezirks
                                                                                                                                                                               Bayern mit rund 100 Betriebsräten der
-	Nach der achten Arbeitsstunde                       Bevor die NGG jedoch die Beschäftigten fra-                                                                             Milchwirtschaft deutlich.
   steigt das Risiko von Unfällen.                     gen kann, was sie sich in Sachen Arbeitszeit
-	Lange Arbeitszeiten machen                          wünschen, muss erst einmal klar sein, wie                                                                               „Wie lang ist mein Arbeitstag? Wann habe ich
   krank. Der Anteil der Beschäftig-                   die Realität in den Betrieben bei dem Thema                                                                             frei, wann muss ich zur Arbeit? Was ist mit
   ten mit gesundheitlichen Be-                        aktuell ist. NGG hat daher die Studie „Ar-                                                                              meinem Wochenende? Was ist mit Mehrar-
   schwerden steigt schon bei zwei                     beitszeiten in der Nahrungsmittelbranche:                                                                               beit? Gibt es einen Ausgleich in extra freier
   Überstunden pro Woche.*                             Probleme und Handlungsfelder der tarifli-                                                                               Zeit für besonders belastende Arbeitszeiten?
-	Lange Arbeitszeiten bedeuten                        chen und betrieblichen Arbeitszeitregulie-                                                                              Wie können wir für Entlastung sorgen, wenn
   Stress.                                             rung“ in Auftrag gegeben. Untersucht wer-                                                                               die Arbeitsbelastung immer weiter zunimmt?“
                                                       den sollen tarifliche und betriebliche Arbeits-                                                                         Freddy Adjan, Vorsitzender des NGG-Lan-
Die Realität*                                          zeitregulierungen in der alkoholfreien Ge-                                                                              desbezirks Bayern, ist sich sicher: „Das sind
-	Durchschnittliche Wochenarbeits-                    tränkeindustrie, der Brauwirtschaft, Zucker-,                                                                           nur einige der Fragen, die uns und die Be-
   zeit: 43,5 Stunden.                                 Süßwaren- und Brotindustrie sowie im Hotel-                                                                             triebsräte beim Thema Arbeitszeit umtreiben.
-	Wunscharbeitszeit bei Vollzeit:                     und Gaststättengewerbe.                                                                                                 Endgültige Antworten hierauf gibt es noch
   36 Stunden.                                                                                                                                                                 nicht. Die müssen wir gemeinsam erarbeiten,
-	19 Prozent der Beschäftigten                        Ihr seid die Experten                                                                                                   auch in den Tarifkommissionen.“
   machen unbezahlte Überstunden.                      An der von NGG in Auftrag gegebenen Ar-
-	2016: eine Milliarde unbezahlte                     beitszeitstudie werden natürlich auch die Be-                                                                           Unsere neue Währung ist die Zeit
   Überstunden.                                        triebsräte beteiligt, denn sie sind die Expertin-                                                                       Wie sie vor Ort im Betrieb die Arbeitszeit aktiv
                                                       nen und Experten und werden tagtäglich mit                                                                              mitgestalten können, diskutierten die Be-
*Arbeitszeitreport Deutschland 2016                    diesbezüglichen Wünschen und Nöten ihrer                                                                                triebsräte gleichermaßen kreativ und kontro-
                                                       Kolleginnen und Kollegen konfrontiert. Das                                                                              vers in verschiedenen Arbeitsgruppen. Deut-

  10       einigkeit 2-2018
FOKUS | POLITIK

                                                                                                                                                                  Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur Fox
Ideen gibt es genug: Wenn es um Arbeitszeitgestaltung geht, sind die Betriebsräte die Expertinnen und Experten. Die Vorschläge und Wünsche reichen von „gesun-
de Schichtmodelle” über „Rückkehrrecht in Vollzeit”, „lebensabschnittsgemäße Arbeitszeiten”, „Recht auf Teilung eines Arbeitsplatzes” bis hin zu „mehr Urlaub”.

lich wurde: Schon jetzt wollen viele, und bei-       brauchen wieder eine gesetzlich finanzierte
leibe nicht nur die Älteren, mehr Zeitsouverä-       Altersteilzeit.“
nität. Sie wollen die Möglichkeit haben, bei
Bedarf Arbeitszeit zu verkürzen oder auch            Ich bin dann mal offline
Mehrarbeit in Zeit statt in Geld „ausbezahlt“        Im Zeitalter der Digitalisierung müsste „Ich bin
zu bekommen. Es geht nicht nur darum,                dann mal weg“ sicherlich um „Ich bin dann
mehr Zeit für die Familie, also für Erziehung        mal offline“ ergänzt werden, um der Entgren-
oder Pflege zu haben, sondern es vollzieht           zung von Arbeit beim mobilen Arbeiten unter-
sich gerade bei den Jüngeren ein Mentalitäts-        wegs oder im Homeoffice und der damit oft-
wechsel. Sie wollen nicht mehr nur noch le-          mals einhergehenden Selbstausbeutung bis
ben, um zu arbeiten. Sie wollen mehr Le-             hin zum Burnout entgegenzuwirken. Das zeigt
bensqualität. Freie Zeit und Zeit für Hobbys         auch eine aktuelle Betriebsrätebefragung der
gehören dazu.                                        Hans-Böckler-Stiftung, wonach 58 Prozent
                                                     der Befragten der Ansicht sind, dass der be-

                                                                                                               »
Lilly Neumann, Betriebsratsmitglied bei              triebliche Gesundheitsschutz an die neuen
Hochland Schongau: „Bei uns geht das teil-           digitalen Bedingungen der Arbeitszeit an-                   Die IG Metall hat ein Modell
weise schon. Unsere neue Währung ist die             gepasst werden muss.
                                                                                                               entwickelt, dass man freie
Zeit. Aber mein Traum wäre ein Rechtsan-
spruch darauf, dass jemand sich auch mal             Nach den NGG-Regionskonferenzen und den                   Tage zusätzlich bekommt,
ein halbes Jahr für eine Weltreise oder den          anlaufenden Landesbezirkskonferenzen zeich-               wenn es eine besondere Belas-
Jakobsweg ausklinken kann, frei nach dem             net sich ab, dass die Gestaltung der Arbeits-
                                                                                                               tung gibt. Das könnte ich mir
Motto 'Ich bin dann mal weg'. Letztlich muss         zeiten in der Digitalisierung ein zentrales The-
es dahin gehen, dass die wöchentliche Ar-            ma auf dem Gewerkschaftstag werden wird                   auch für uns vorstellen. «
beitszeit reduziert und das dann in einem Ta-        und eine spannende Antragsberatung erwar-                 Heike Förster, stellvertretende Betriebsratsvor-
rifvertrag gebündelt werden kann. Und wir            ten lässt. Die „einigkeit“ bleibt dran.                   sitzende bei Bayernland, Bayreuth

                                                                                                                                      einigkeit 2-2018      11
Foto: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX

                                      Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger machte auf der Münchener Arbeitszeitkonferenz deutlich, dass die Beschäftigten Branchen schon flexibel genug
                                      seien. Jetzt gehe es darum, dass ihre Wünsche bei der Arbeitszeitgestaltung stärker berücksichtigt werden.

                                               Flexibilität gestalten
                                                 Aus Sicht der NGG-Vorsitzenden Michaela Rosenberger spricht nichts gegen flexiblere Arbeitszeiten, wenn sie im
                                               Sinne der Beschäftigten gestaltet werden.

                                               Welche Rolle spielt das Thema Arbeitszeit für die NGG?                risiko nach der achten Stunde überproportional an. Genau
                                               Arbeitszeit ist neben dem Entgelt unser Kernthema. Daher              das soll das Arbeitszeitgesetz verhindern. Schließlich ist es
                                               wollen wir es nicht zulassen, dass sich die Arbeitgeber – ins-        ein Schutzgesetz.
                                               besondere im Gastgewerbe – mit ihrer Forderung nach einer
                                               Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes durchsetzen. Sie for-             Was tut die NGG, um die Arbeitszeiten zu gestalten?
                                               dern mit dem Verweis auf Digitalisierung, die täglich erlaub-         Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die untersucht,
                                               te Höchstarbeitszeit auszuweiten. Das und auch die                    wie die tariflichen und betrieblichen Arbeitszeitregelungen
                                               schwammigen Formulierungen im Koalitionsvertrag, wo von               in der Nahrungsmittelbranche derzeit aussehen. Und wir
                                               'Experimentierräumen' die Rede ist, lehnen wir ab.                    wollen in Befragungen wie aktuell in der Milchwirtschaft
                                                                                                                     Bayern herausfinden, was sich die Beschäftigten wünschen.
                                               Was spricht gegen flexiblere Arbeitszeiten?                           Die Ergebnisse gilt es, zu diskutieren und in tarifliche Rege-
                                               Gegen Flexibilität ist erstmal nichts einzuwenden. Aber sie           lungen einfließen zu lassen. Natürlich haben bei dem The-
                                               muss für alle Beteiligten gelten und nicht nur den Bedürfnis-         ma auch die Betriebsräte ein Wörtchen mitzureden. Sie be-
                                               sen der Arbeitgeber entgegenkommen. Auch die Beschäf-                 stimmen schon jetzt in Betriebsvereinbarungen über pass-
                                               tigten wollen bei den Arbeitszeiten mitreden und sie mit ih-          genaue Lösungen mit. Wichtig ist, dass Flexibilisierung kein
                                               ren privaten Bedürfnissen in Einklang bringen. Was wir aller-         Teufelswerk ist, sondern etwas Gutes – wenn wir sie mitge-
                                               dings ablehnen, ist, dass tägliche Arbeitszeiten von mehr als         stalten. Wir müssen sie dazu nutzen, angesichts immer stär-
                                               zehn Stunden künftig per Gesetz erlaubt sind. Das macht               kerer Arbeitsverdichtung für Entlastung zu sorgen, indem
                                               die Menschen auf Dauer krank. Außerdem steigt das Unfall-             wir den passenden tariflichen Rahmen schaffen.

                                       12      einigkeit 2-2018
FOKUS | POLITIK

Arbeitszeit 2 18
Länger geht immer!?
  ... Jedenfalls, wenn es nach den Vorstellungen des Arbeitgeberverbands Dehoga geht. Der fordert, das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen
und die erlaubte Höchstarbeitszeit im Gastgewerbe von zehn auf 13 Stunden pro Tag auszuweiten. Die „einigkeit” hat sich in der Branche
umgehört und verschiedene Stimmen hierzu eingefangen.

                                                                                                              Foto: Uwe Völkner / Fotoagntur FOX

                                                                                                                                                                                                    Foto: Frank Dursthoff
                                               Foto: privat

Felix Neumann,                                                Thomas Kohn,                                                                         Frank Rosin,
auszubildender Hotelfachmann,                                 Gesamtbetriebsratsvorsitzender                                                       TV- und Sternekoch,
NH Collection Berlin Mitte                                    PACE (Catering)                                                                      Restaurantbetreiber „Rosin”

Da Klassenkameraden von mir sowieso                           Die Tarifverträge im Hotel- und Gaststätten-                                         Sicher, flexible Arbeitszeiten sind gut. Ich
schon diese Stundenzahl leisten, ist es kein                  gewerbe bieten bereits ausreichend Flexibili-                                        habe dennoch die Sorge, dass die Branche
Wunder, dass die Arbeitgeber das legalisie-                   tät. Weder für Veranstaltungen – ob Hochzeit                                         das wieder ausnutzt. Die Geschichte mit
ren wollen. Wahrscheinlich werden die 13                      oder Firmenfeier – noch für Biergartenbetrie-                                        Hochzeiten und Geburtstagen ist doch nur
Stunden dann auch nur mit dem Gehalt von                      be sind 13-Stunden-Schichten notwendig.                                              eine perfide Ausrede. Wenn flexible Arbeits-
unseren jetzigen acht Stunden entgolten, da-                  Das Problem liegt einzig und allein an man-                                          zeiten in der Gastronomie eingeführt werden
mit die Personalkosten nicht steigen.                         gelnder Organisation der Arbeitgeber.                                                sollen, z.B. vier Tage zwölf Stunden am Tag,
                                                                                                                                                   dann muss ja für den fünften Arbeitstag trotz-
Kaum ein junger Mensch wird nach dieser                       13-Stunden-Schichten im Hotel- und Gast-                                             dem ein extra Mitarbeiter eingestellt werden.
Gesetzesänderung noch begeistert sein, in                     stättengewerbe sind sowohl beschäftigten-                                            Das ist eine Milchmädchenrechnung.
der Großhotellerie und Großgastronomie zu                     als auch familienfeindlich und werden nur
arbeiten. Die Bilanz ist dann: kaum Zeit für                  den Fachkräftemangel verstärken, da sie die                                          Wer als Profi Topleistung bringen möchte und
Freunde und Familie – elf Stunden Ruhezeit                    Branche nur noch unattraktiver machen.                                               muss, der sollte auch die Bedingungen dafür
inklusive Schlafen, Überstunden. Es wird bei                                                                                                       erhalten. Ein Fußballbundesligaspieler spielt
13 Stunden nicht aufhören – und ein echt                      Wenn wir die Berufe im Gastgewerbe attrak-                                           ja auch nicht zwei Spiele hintereinander an
schlechtes Gehalt für diese Arbeit. Applaus                   tiver machen wollen, müssen wir für famili-                                          einem Tag und muss dabei 100 Prozent Leis-
für die Arbeitgeber, denn sie sind auf dem                    enfreundliche, planbare Arbeitszeiten sor-                                           tung bringen. Gastronomie wurde oft mit mi-
besten Weg, den schlechten Ruf ihrer Bran-                    gen, die nicht krank machen. Die Pläne des                                           serabler Bezahlung und horrenden Überstun-
che zu bekräftigen und den Fachkräfteman-                     Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes                                            den für die Mitarbeiter betrieben. Das muss
gel noch zu fördern.                                          laufen auf das genaue Gegenteil hinaus.                                              sich ändern.

                                                                                                                                                                          einigkeit 2-2018    13
NGG AKTIV

Zukunft ist, was wir draus machen!
Unter diesem Motto hat die jungeNGG Ende April drei Tage lang im hessischen Gladenbach die Weichen für die Zukunft gestellt: 83 Delegierte und ihre Gäste diskutierten in
Workshops Themen wie Berufsausbildung, Tarifpolitik, Arbeiten 4.0, Rollenbilder. Aber vor allem die Zukunft der jungenNGG „NGG 2020“ und die Mitgliedergewinnung standen
im Fokus. Besonders intensiv diskutiert wurden die Anträge zur Zukunft der Ausbildung, sachgrundlosen Befristung und die Abgrenzung vom Rechtspopulismus.

                                                         Die Nächte am Lagerfeuer waren kurz und               Das Präsidium: Michael, Jenny und Daniel leiteten
                                                         spannend: diskutieren, netzwerken, feiern.            professionell und souverän durch die Konferenz.

Drei Tage lang: jung – rebellisch – solidarisch.        Die jungeNGG lebt davon, dass die Leute mitma-          Der Geschäftsbericht – als Plakat – ist ungewöhn-     Fazit im Workshop Arbeiten 4.0: Zukunft muss
Wetter und Stimmung waren super.                        chen: Der Poetry Slam war dafür ein toller Einstieg.    lich. Michaela und Guido sind begeistert.             gestaltet werden.

Philipp Hoffmann wird künftig die jungeNGG         „Ihr seid die politischste Jugendorganisation im DGB mit einem starken Kampfgeist”, bescheinigte der DGB-Jugendsekretär   Patrick Bauer gibt den Staffelstab an
im Hauptvorstand vertreten.                        Michael Wagner der jungenNGG. Der Abstimmungsmarathon und intensive Diskussionen bestätigten dies.                        Philipp weiter.
„Steht zu Eurer Meinung, seid selbstbewusst“, dazu   Sieben Workshops begleiteten die Antragsberatung    Spannende Diskussion im Workshop von Anne: Wie     Lisa war nicht nur im Workshop Tarifpolitik aktiv. Sie
musste niemand zwei Mal aufgefordert werden.         – und auch Petrus war wohl gesonnen.                gewinnen wir Azubis und junge Beschäftigte?        arbeitet auch in der Tarifkommission.

Wichtige Anträge und tolle Debatten: Die jungeNGG        Mit dem A 001 „Zukunft der Ausbildung“ ging die           Lieferdienstfahrer Keno fordert ein    Eindrucksvolles Ergebnis des Workshops Tarifpolitik:
mischt sich ein.                                         Antragsberatung gleich in die Vollen.                     Ende der sachgrundlosen Befristung.    Vernetzt Euch! Denn nur gemeinsam sind wir stark!

Guido, Michaela und Jan haben der jungenNGG                                                                                                              Nach heißer Diskussion: Der Antrag „Keinen Fußbreit für
jederzeit ihre Unterstützung zugesichert.                                                                                                                die AfD in unserer Gewerkschaft“ ist angenommen.
                                                                                                                                                                                                                     Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX

Zum Gewerkschaftstag delegiert: Ramona, Jenny, Paul,     Botschaften für den Gladenbacher Himmel: Eine klare Bitte der NGG-Vorsitzenden: „Wir wünschen    Der Antragsberatungskommission mit Clemens,
Magda, Philipp und Manuel.                               uns von Euch eine noch stärkere Stimme. Im Gastgewerbe könnten wir den Laden rocken.“            Fernando und Florian rauchten mitunter die Köpfe.
NGG AKTIV

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                                       Es tut sich was
                                       Es tut sich was im Gastgewerbe: In Bremen wurde erstmals ein kompletter Entgelt-
                                       tarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe für allgemeinverbindlich erklärt.
                                       Damit gilt dieser Tarifvertrag für ca. 20.000 Beschäftigte im Land Bremen. Auch
                                       diejenigen, die bislang nicht von einem Tarifvertrag profitiert haben, bekommen
                                       mehr Geld: mindestens 9,56 Euro pro Stunde, bei einer Fachausbildung 11,51
                                       Euro. Und in Berlin gibt es nach 15 Jahren wieder einen neuen Manteltarifvertrag.
                                       Er tritt zum 1. Januar 2019 in Kraft und regelt unter anderem Urlaub und Jahres-
                                       sonderzahlung. Außerdem gilt – nach einer Übergangsfrist – in allen tarifgebunde-
                                       nen Unternehmen wieder eine 38-Stunden-Woche.

  Gesundheits-                         Warnstreik wirkt
 wochen im BZO                         Wie wirkungsvoll Warnstreiks sein können, hat sich einmal mehr Mitte Mai gezeigt:
                                       Für die rund 7000 Beschäftigten der Nährmittelindustrie Südwest hat die NGG eine
  Zwei Wochen mit einem                zweistufige Lohnerhöhung ausgehandelt: drei Prozent zum 1. Mai 2018 und weite-
  Rahmenprogramm zum                   re 2,5 Prozent ab 1. April 2019. Der Tarifver-
    Thema Gesundheit:                  handlung vorausgegangen waren Warn-
                                                                                        Mehr Informationen online
                                       streiks unter anderem beim Pizzahersteller
  6. bis 10. August 2018,
                                                                                              www.ngg.net/wagner
                                       Nestlé Wagner im saarländischen Nonnwei-
19. bis 23. November 2018              ler. 650 Beschäftigte beteiligten sich dort am
                                       ersten Warnstreik in der Firmengeschichte.
 Anregungen zu Bewegung,
   Ernährung und Entspan-
  nung bereichern in diesen
    Wochen die laufenden
 Seminare: BR1, BR2, Arbeits-
   recht 1, BEM2, Beschwer-
        den/Konflikte!
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     neuen Angebot!

                                                                                                                              Foto: NGG
 Bildungszentrum Oberjosbach
   info@bzo.de www.bzo.de
                    ó

                                       Binnen einer Woche traten weitere 80 Beschäftigte von Nestlé Wagner der NGG bei.
      Telefon 06127 9056-0

                                       Mensch vor Marge!
                                       Mit Menschenketten unter dem Motto „Mensch vor Marge!” rund um die deut-
                                       sche Unilever-Zentrale in Hamburg und das Werk in Heilbronn haben NGG und
Bildungspartner der Gewerkschaft       Beschäftigte Ende April gegen geplante Stellenstreichungen und Verlagerungen
   Nahrung-Genuss-Gaststätten          beim Konsumgüterriesen protestiert. Der niederländische Konzern will in Ham-
                                       burg dutzende Jobs streichen und die Sparte für Großverbraucher vom ba-
                                       den-württembergischen Heilbronn in die rund 620 Kilometer entfernte Deutsch-
                                       landzentrale nach Hamburg verlagern. Betroffen hiervon wären rund 80 Be-
                                       schäftigte. Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger wirft dem Management
                                       „Gewinn-Gier” vor.

  16      einigkeit 2-2018
MEIN ARBEITSPLATZ

                                     Schlechte Laune
                                     kommt nicht in
                                     die Tüte
                                        Heike Brombach ist Bäckereifachverkäuferin bei
                                     MALZERS Backstube. Es gehört zu ihrem Markenzei-
                                     chen als engagierte Backwarenspezialistin, freundlich
                                     und vor allem humorvoll mit ihren Kunden in der Filia-
                                     le Duisburg-Angerbogen umzugehen.

                                     „Die Anrede ‚junger Mann’ oder ‚junge Frau’ kommt nicht
                                     immer gut an“, weiß die 53-Jährige, die gebürtig aus der
                                     Sächsischen Schweiz stammt. „Da bleibe ich freundlich,
                                     das ist die Hauptsache. Ich scherze gern mit meinen Kun-
                                     den, zum Teil kennen wir uns ja schon seit Jahren.“ Heike
                                     Brombach ist gelernte Fachverkäuferin für Fleisch und
                                     Fleischwaren und hat in der Gastronomie gearbeitet, be-
                                     vor sie 1999 ihrer Schwester ins Ruhrgebiet folgte. Seit-
                                     dem arbeitet sie bei MALZERS. Die Großbäckerei mit
                                     Hauptsitz in Gelsenkirchen betreibt mit 2500 Mitarbeite-
                                     rinnen und Mitarbeitern 145 Filialen im Ruhrgebiet. Die
                                     eine oder andere hat auch Heike Brombach in den ver-
                                     gangenen 19 Jahren kennengelernt. Noch heute springt
                                     sie gerne ein, wenn irgendwo „Not am Mann“ ist. „Ich
                                     liebe die Abwechslung und schaue gern über den Teller-
                                     rand. Auf der anderen Seite hat sich unser Beruf auch
                                     enorm gewandelt. Wir sind quasi permanent im Stress. Da
                                     fällt das Abschalten nach der Schicht manchmal nicht
                                     leicht“, so Brombach. Bäckereifachverkäuferinnen – bei
                                     MALZERS arbeiten übrigens inzwischen auch viele männ-
                                     liche Kollegen im Verkauf – müssen heute nicht nur zu-
                                     meist an sieben Tagen Brot- und Backwaren verkaufen,
                                     sie bereiten gleichzeitig Heißgetränke und Snacks zu und
                                     backen kontinuierlich frische Brötchen. „Die Kunden ver-
                                     trauen auf unsere Produktkenntnis. Ich berate jeden auf
                                     Wunsch über Inhaltsstoffe oder Getreidearten“, erklärt
                                     Heike Brombach und erzählt, dass auch die Hygienevor-
                                     schriften viel strenger geworden sind.
Foto: Uwe Völkner / FotoagenturFOX

                                     Gerade wurde sie zum wiederholten Mal in den Betriebs-
                                     rat bei MALZERS Backstube gewählt. „Obwohl wir hier im
                                     Ruhrgebiet ein Vorzeigeunternehmen sind, liegt mir die
                                     Gewerkschaftsarbeit sehr am Herzen. Was bewegen kann         BU
                                     man nur gemeinsam.“ Sie lacht und steckt dem nächsten
                                     „jungen Mann“ ein Dinkelbrötchen in die Tüte.

                                                                                                   einigkeit 2-2018   17
» Es kam der Punkt,
da musste ich entscheiden,
auf welcher Seite ich
stehen will.«
Semih Yalcin,
Betriebsratsvorsitzender Foodora Köln

                                        Mehr Informationen online
18       einigkeit 2-2018                www.ngg.net/deliveroo-br
MENSCHEN | PORTRÄT

                                      Wir sind
                                      ein gallisches Dorf
                                        Das kleine rebellische Dorf in Gallien entpuppt sich bei näherem Hinsehen als veritable Großstadt am Rhein! Was
                                      den Kampf um Mitbestimmung und bessere Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten angeht, ist Köln das Zentrum
                                      der Aktivitäten. Hier lebt und arbeitet auch Semih Yalcin, Betriebsratsvorsitzender beim Lieferservice Foodora.

                                      „Und die Branche lässt sich doch organisieren!“ Semih          system zu profitieren oder gegen die schlechten Arbeits-
                                      Yalcin ist stolz, erreicht zu haben, was viele für unmöglich   bedingungen zu kämpfen. Anders als Deliveroo arbeitet
                                      hielten: Seit Juli 2017 gibt es bei Foodora in der Rhein-Me-   Foodora zwar mit festangestellten Fahrern, jedoch sind
                                      tropole einen neunköpfigen Betriebsrat. Dabei galten die       die Verträge zumeist auf zwölf Monate befristet. Der Stun-
                                      Beschäftigten von Foodora, Deliveroo und Co. trotz kata-       denlohn liegt bei neun Euro. Arbeitsmaterialien wie Klei-
                                      strophaler Arbeitsbedingungen bislang als schwer zu or-        dung, Fahrrad oder Handy müssen selbst gestellt wer-
                                      ganisieren. Die Einsätze kommen über eine App aufs             den. Winterkleidung oder Regenschutz werden teilweise
                                      Handy, die Kollegen kennen sich kaum, der gemeinsame           nicht zur Verfügung gestellt. Verschleiß und Reparaturen
                                      Arbeitsplatz ist die Straße. Die Endkunden können über         tragen die Fahrer selbst. Die Rider sind hohem Zeitdruck
                                      App oder Webseite des Berliner Start-ups Foodora bei           ausgesetzt. Ein Algorithmus bestimmt den Takt der Ein-
                                      Restaurants bestellen, die keinen Bring-Service anbieten.      sätze. Persönliche Ansprechpartner gibt es nicht. Der
                                      Foodora übernimmt die Zahlungsabwicklung und liefert           Kontakt läuft über einen Chat. Kein Wunder: Die Fluktua-
                                      mittels Fahrradkurier innerhalb von 30 Minuten bis an die      tion ist immens. Deliveroo arbeitet nur noch mit Freelan-
                                      Haustür. 30 Prozent des Bestellwertes müssen die Res-          cern. Der Betriebsrat wurde ausgehebelt, indem alle be-
                                      taurants dafür an den Dienstleister abgeben.                   fristeten Verträge ausgelaufen sind (siehe Seite 29).

                                      Auf welcher Seite willst Du stehen?                            Gute Arbeit überzeugt
                                      In 36 deutschen Städten ist Foodora mit fast 2600 Fahr-        „Das alles wird einem ja als sportlicher und cooler Ar-
                                      radkurieren aktiv. Einer davon ist Semih Yalcin. Soldat,       beitsplatz verkauft, dabei riskieren wir unsere Gesund-
                                      Hilfskoch, Bauarbeiter und DHL-Verlader: Der Mas-              heit“, so Yalcin. „Mein Vater wurde als Mitarbeiter einer
                                      ter-Student gehörte bereits zu den erfahrenen Jobbern,         Kaufhauskette ‚abgewickelt’, und meine Mutter hat sich
                                      als er sich 2016 entschloss, Foodora-Kurier zu werden.         als Bäckereifachverkäuferin auch bessere Arbeitsbedin-
                                      „Ich war ein erfolgreicher Fahrer“, berichtet er. „Dann bot    gungen gewünscht. Das war zusätzlich Motivation, mich
                                      man mir Anfang 2017 an, Rider-Captain zu werden.               auf die Seite der Beschäftigten zu stellen.“ Yalcin gründet
                                      Plötzlich gab es Aufstiegschancen.“ Zu dem Zeitpunkt           schließlich mit Gleichgesinnten und Unterstützung der
                                      hatte der 29-Jährige aber längst schon durchschaut, wel-       NGG einen Betriebsrat. Als Vorsitzender kann er inzwi-
                                      cher Leistungs- und Verhaltenskontrolle die Fahrer aus-        schen schon auf Erfolge verweisen: „Die Ausstattung der
Foto: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX

                                      gesetzt sind. „Wir werden nicht nur per GPS kontrolliert,      Fahrer wurde verbessert und man merkt so langsam,
                                      sondern tragen auch das volle Risiko beim Fahren. Sorg-        dass wir Veränderungen anschieben können. Durch gute
                                      faltspflicht von Seiten des Arbeitgebers? Fehlanzeige!“        Arbeit wollen wir immer mehr Rider überzeugen. Denn
                                      Der Kölner stand vor der Entscheidung, vom Belohnungs-         von allein wird hier absolut nichts besser!“

                                                                                                                                                     einigkeit 2-2018   19
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                                      „Super Service, bedarfsgerechte Angebote und
                                      oben drauf noch ein Beitragsvorteil durch die
                                      Mitgliedschaft in der NGG: Das ist DEIN PLUS!“

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KOPF UND BAUCH

                                                                                                                                Foto: NGG
Kampf und Freundschaft gehören beim AC Einigkeit Elmshorn zusammen (v.l.n.r.): Orkun Er, Giovanni Casarano, Giacomo Casarano,
Luca Neubauer und Hartmut Rex.

Einigkeit … ist Integration
  „100 Pfund einarmig drücken“: Das war im Gründungsjahr 1893, also vor 125 Jahren, die Bedingung, um in den
damaligen Arbeitersportverein Athleten-Klub „Einigkeit“ Elmshorn aufgenommen zu werden. Im Vordergrund stan-
den Ringen, Gewichtheben und Tauziehen. Heute ist im AC Einigkeit Boxen neben Fitness die Kernsportart. Mitma-
chen kann jeder und jede: egal, woher jemand kommt oder wie viel jemand verdient.

Es ist kein dunkler, muffiger Boxklub, in dem trainiert wird,    Freundschaft und vor
sondern die große, hell erleuchtete Olympia-Halle in             allem Fairness zu-
Elmshorn, nahe Hamburg. Und doch sind die Kom-                   sammengehören.“
mandos beim Warmmachen wohl die gleichen: laut und
streng, gekämpft wird nur im Boxring, der mitten in der          „Freundschaften ent-
Sporthalle aufgebaut ist. Selbst wer zum ersten Mal dabei        stehen hier quer
ist, wird gleich hart rangenommen: egal, ob Mann oder            durch alle Schichten
                                                                                        Wer 1893 Vereinsmitglied werden
Frau, Junge oder Mädchen, Wettkampf- oder Fitnessbo-             und Nationalitäten“, wollte, musste „100 Pfund einarmig
xer. „Da zeigt sich schnell, wer genug Biss hat. Wir nen-        weiß Rex: „Bei uns drücken” können.
nen das Boxerherz. Denn, wenn man kämpft, muss man               kann jeder mitma-
auch einstecken können. Tränen gehören, wenn auch                chen. Der Sport macht alle gleich. Da trainiert der Rektor
selten, dazu“, erklärt Hartmut Rex (74), seit 44 Jahren          zusammen mit dem Sonderschüler und der Syrer mit dem
Vorsitzender des Vereins, der sich seit 1981 „Athle-             Afghanen. Das ist unsere Form der Integration.“
ten-Club Einigkeit Elmshorn von 1893 e.V.“ nennt. Rex ist
die Seele des ACE und schon seit seinem achten Lebens-
jahr dabei: „Unser Verein macht Kinder stark.“ Der                Einigkeit macht stark!
13-Jährige Giacomo Casarano, der hier mit seinem Vater
Giovanni trainiert, kann das nur bestätigen: „Man kriegt          Für die Gewerkschaften steht „Einigkeit“ seit jeher für
mehr Kraft und wird konzentrierter, dank Training. Das ist        Zusammenhalt im Kampf um bessere Arbeits- und Le-
ein bisschen so wie Vokabeln lernen.“ Und auch die bei-           bensbedingungen. Auch außerhalb der Arbeitswelt ha-
den Freunde Luca Neubauer (20) und Orkun Er (20) mei-             ben sich Menschen unter dem Namen Einigkeit zu-
nen: „Man wird körperlich flinker und mental ruhiger, be-         sammengeschlossen. Die Redaktion stellt sie vor.
kommt mehr Selbstvertrauen und lernt, dass Kampf und

                                                                                                                    einigkeit 2-2018        21
Arbeit im Hotel: Flexibel
         bis zum Umfallen?
            „Wir bewirten seit Jahren immer mehr Gäste mit der gleichen Anzahl von Beschäftigten!“ Thomas Klein, Betriebs-
         ratsvorsitzender im Maritim Hotel Köln, ist Quereinsteiger. Ursprünglich hat der engagierte Betriebsrat Elektriker
         gelernt und ist eher auf Umwegen in die Hotellerie gekommen. Seit mehr als 15 Jahren Betriebsrat, gilt Klein als
         erfahrener Kenner einer Branche, die wie keine zweite von der Fluktuation der Beschäftigten betroffen ist.

         Für Thomas Klein ist klar, die immensen Nachwuchssor-               arbeiterakquise und -bindung der Fachkräftemangel in
         gen in der Hotellerie können nur durch eines beseitigt              der Hotellerie stetig weiter wachsen wird. Die als ungüns-
         werden: „Die Arbeitgeber müssen endlich umsteuern und               tig geltenden Arbeitsbedingungen werden mit den Schlag-
         dafür sorgen, dass es wieder attraktiver wird, in unserer           worten lange Arbeitszeiten, Wochenendarbeit, geringes
         Branche zu arbeiten. Stattdessen fordern sie immer flexi-           Lohnniveau und niedrige Personalausstattung beschrie-
         blere Arbeitszeiten. Mir scheint, der Deutsche Hotel- und           ben. Da scheint die Forderung des Dehoga nach einem
         Gaststättenverband Dehoga lebt mit der Fluktuation!“                Verzicht auf die Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten
                                                                             wenig hilfreich. „Damit möchte der Dehoga Einsätze bis
         Nicht nur im Kölner Maritim sieht man dringenden Hand-              zu 13 Stunden täglich umsetzen können“, glaubt auch
         lungsbedarf. Der von der Hans-Böckler-Stiftung heraus-              der stellvertretende NGG-Vorsitzende Guido Zeitler: „Alle
         gegebene „Branchenmonitor Hotellerie“ kam bereits                   arbeitsmedizinischen Fakten sprechen klar gegen so lan-
         2016 zum Schluss, dass ohne attraktive Modelle zur Mit-             ge Arbeitszeiten.“

                                                                                                                                          Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX

         Der Gast ist König: Die Maritim Hotelgesellschaft betreibt mit 4500 Beschäftigten 34 First-class-Häuser in Deutschland.

22   einigkeit 2-2018
BRANCHE

Menschen im Hotel: Vom Empfang bis zum Room-Service: Für die Kolleginnen und Kollegen in der Hotellerie steht der Gast im Mittelpunkt – nicht selten bis zur
persönlichen Belastungsgrenze. International sind die Maritim Hotels in sieben Ländern mit 14 Häusern vertreten.

             Adieu Privatleben?                                                     sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den letzten
             Arbeiten am Limit der persönlichen Belastbarkeit? Das gilt             Jahren gestiegen, dennoch arbeiten laut Bundesarbeits-
             für die meisten der mehr als zwei Millionen Beschäftigten              ministerium etwa zwei Drittel der Kolleginnen und Kolle-
             im Gastgewerbe. Davon sind allein eine Million Teilzeit-               gen im Hotel- und Gaststättengewerbe im Niedriglohnbe-
             und Mini-Jobber. In der Hotellerie waren Ende 2017                     reich. Hier sind es vor allem die Reinigungskräfte – häufig
             knapp 500.000 Menschen beschäftigt. Im Kölner Maritim                  in Arbeitnehmerüberlassung – die unter hohem Druck
             Hotel geht der Betriebsrat gemeinsam mit dem Arbeitge-                 und schlechten Konditionen ihre Arbeit verrichten. Das
             ber die Verbesserung der Arbeitsbedingungen aktiv an.                  Kölner Maritim Hotel ist auf Tagungen und Großveranstal-
             „Wir haben eine Betriebsvereinbarung, darin ist zum Bei-               tungen spezialisiert, dennoch arbeitet man im Bereich
             spiel die Anrechnung von Umkleidezeiten als Arbeitszeit                Events mit Personaldienstleistern. „Großveranstaltungen
             festgeschrieben. Ruhezeiten sind ebenso geregelt wie die               können wir mit Bordmitteln allein nicht mehr darstellen.
             Mitbestimmung beim Abbau von Überstunden. Dafür ha-                    Nicht zuletzt deshalb geht der Trend in der Branche zum
             ben wir ein Ampelsystem entwickelt, das Alarm schlägt,                 Abbau im kostenintensiven Bereich F&B (Food und Beve-
             wenn ein Mitarbeiter zu viele Stunden auf dem Konto hat.“              rages). Die Hotels konzentrieren sich zunehmend auf das
             Im Test laufe gerade ein Dienstplanprogramm, so Klein,                 Wesentliche: die Übernachtungen. Während Sie im Res-
             der auch Gesamtbetriebsratsvorsitzender ist und stolz da-              taurant 60 Prozent Personalkosten haben, sind es bei der
             rauf, dass auch dank seiner Arbeit viele Kolleginnen und               Logis nur 14“, so Klein.
             Kollegen im Maritim Köln in der Gewerkschaft NGG orga-
             nisiert sind. Dennoch: Personal ist rar, die Fluktuation vor
             allem bei den Jungen hoch. Jobs im In- und Ausland sei-                    Branchenteilnehmer und
                                                                                        Branchenkonzentration in der
             en eben gut zu bekommen und die Identifikation mit dem
             Arbeitgeber bei vielen nicht mehr besonders hoch.                          HOTELLERIE                                                     Hotel
                                                                                                                                                     Umsatz
                                                                                                                                                   Personal
                                                                                                                                                   Vertrieb
             In Kooperation mit dem Beratungsunternehmen SoWiTra
             und gefördert durch den DGB hat Klein vor sechs Mona-
             ten ein Projekt aufgesetzt, bei dem Lösungen für eine bes-
                                                                                       Accorhotels        1.032,5 Mio.   20.761   342 Betriebe,
             sere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erarbeitet wer-                                                             44.902 Zimmer

             den. Ziel ist es, die körperliche Beanspruchung durch                     Best Western       674,1 Mio.     11.837   195 Betriebe,
                                                                                       Hotels                                     8.551 Zimmer
             Schichtarbeit zu reduzieren. „Wir stellen die Anfangszei-                 Deutschland
             ten auf den Prüfstand. Die Ergebnisse präsentieren wir                    GmbH

             regelmäßig den Beschäftigen. Wir müssen alle ins Boot                     Intercontinental   559,6 Mio.*    4.310    71 Betriebe,
                                                                                                                                                               *Schätzwerte | QUELLE: Emons 2016, Tabelle S. 5

                                                                                                                                                                                                                 Grafik: Bettina Nagl-Wutschke / designagl

                                                                                       Hotels Group                               14.500 Zimmer (2013)
             nehmen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende.                                (IHG)

                                                                                       Starwood           443,7 Mio.*    1.639    27 Betriebe,
                                                                                       Hotels &                                   7.000 Zimmer*
             Die Schere öffnet sich weiter                                             Resorts
             Dabei sind die Zahlen der Branche exzellent: Der Touris-                  Worldwide Inc.

             mus boomt – und damit auch die Hotelbranche. Mit 27,4                     Steigenberger      422,7 Mio.     4.371    72 Betriebe,
                                                                                       Hotels AG                                  12.673 Zimmer
             Millionen Übernachtungen gab es im Februar 2018 zum
                                                                                       Maritim            368,8 Mio.     2.185    36 Betriebe,
             Beispiel ein sattes Plus von sechs Prozent gegenüber dem                  Hotelgesell-                               10.924 Zimmer
             Vorjahresmonat (Quelle: destatis.de.) Zwar ist die Zahl der               schaft mbH

                                                                                                                                                  einigkeit 2-2018                                                                                           23
454 Betten hält das Maritim Köln für seine Gäste bereit. Anders als in anderen Hotels sind hier fast 90 Prozent der 280 Mitarbeiter fest angestellt. Bei großen
Events arbeitet das Kölner Maritim mit Personaldienstleistern zusammen.

            Herausforderung Digitalisierung                                                                              Eine im Auftrag der NGG erstellte, noch nicht veröffent-
         Gleichzeitig verändert sich die Branche unter dem Einfluss                                                      lichte Studie befasst sich nun erstmals mit dem Einfluss
         der sogenannten Megatrends Globalisierung, Nachhaltig-                                                          der Digitalisierung auf die Tourismuswirtschaft. Danach
         keit, Mobilität und Digitalisierung in rasantem Tempo. Die                                                      sind an der Schnittstelle zum Kunden digitalisierte Vor-
         Herausforderungen auf den Punkt gebracht: Der Gast von                                                          gänge nicht mehr wegzudenken. Vor allem Buchungen
         heute ist mobiler, schneller, digitaler und informierter als                                                    und Reservierungen werden zunehmend digital getätigt –
         jemals zuvor.                                                                                                   liegt doch der Anteil der Onlinebuchungen inzwischen bei
                                                                                                                         45 Prozent.
         Gleichzeitig sehen sich die Hoteliers der Macht der Bu-
         chungs- und Bewertungsportale ebenso ausgesetzt wie                                                             Schutzfunktion mehr denn je gefragt
         dem Aufkommen der sogenannten Sharing Economy, der                                                              Darüber hinaus kommen während des Aufenthalts elekt-
         „Ökonomie des Teilens“, die mit Airbnb als ihrem größten                                                        ronische Schlüssel, Bestell- und Bezahlsysteme sowie der
         Vertreter maßgeblich in Konkurrenz zu klassischen Hote-                                                         digitale Check-In, der in Deutschland aufgrund des Mel-
         langeboten tritt. Daraus resultiert vor allem für Herbergen                                                     degesetzes nur eingeschränkt möglich ist, zum Einsatz.
         im unteren Preisspektrum und für Ferienwohnungen ein                                                            Manche Hotels bieten ihren Kunden auch die Nutzung
         existenzbedrohender Verdrängungswettbewerb.                                                                     einer mobilen App an, mit der etwa Informationen zu Bu-
                                                                                                                         chung, Anreise und Aufenthalt abgerufen werden kön-
                                                                                                                         nen. Von Kundenbindungsprogrammen bis zum Bewer-
                                                                                                                         tungsportal läuft auch nach dem Aufenthalt heute schon

            Gästeübernachtungen
                                                                                                                         das meiste digital. Neben Facebook und Co. wird auch die
                                                                                                                         Sammlung und Auswertung von Kundendaten gezielt für
            in deutschen Beherbergungsbetrieben von 2014 bis 2017*                                                       das Marketing und die individuelle Betreuung genutzt.

                                                                                                                         Noch orientiert sich in der Hotellerie die Digitalisierung
                                                                                                                         also in erster Linie an den Bedürfnissen und Interessen
                                                                                                                         des Gastes. Für die Beschäftigten werden vor allem Pro-
                       Übernachtungen in- und ausländischer Gäste
                                                                                                                         gramme zur Dienstplangestaltung eingesetzt. Kleinere
            2017        +3%                                     459,6
                                                                                                                         Hotels scheuen allerdings oft die hohen Kosten, die mit
            2016                                            447,3                                                        ihrer Einführung verbunden sind. Auch die elektronische
                                                                                                                         Arbeitszeiterfassung ist nicht überall verbreitet. „Der digi-
            2015                                          436,4
                                                                                                                         tale Empfang ist im Maritim noch kein Thema, ebenso
                                                                             Grafik: Bettina Nagl-Wutschke / designagl

            2014                                          424                                                            haben wir keine Roboter, die Betten machen oder Zimmer
                                                                                                                         säubern“, sagt Thomas Klein, der solche Anwendungen
                                                                 * in Mio.
                                                                                                                         eher in der Hotellerie mit drei Sternen und weniger sieht.
                                                                                                                         In der Mitarbeiterverwaltung sei die Digitalisierung aller-
                                                                                                                         dings auch in Köln auf dem Vormarsch.

           QUELLE: Statistisches Bundesamt (Destatis)
                                                                                                                         Für die Betriebsräte ist der digitale Wandel eine große He-
                                                                                                                         rausforderung. Dabei geht es nicht zwangsläufig um Be-

24       einigkeit 2-2018
BRANCHE

Von der Hygiene bis zum Speiseplan: Auch im Hintergrund müssen alle Abläufe minutiös geplant werden. Ohne Teamwork geht hier nichts, denn die Personaldecke
ist dünn. Für Hotelrestaurants wird das Überleben zunehmend schwieriger, denn viele Gäste nutzen lieber das gastronomische Angebot außerhalb ihrer Herberge.

             schäftigungsrückgang. Sie müssen vielmehr das Heft des
             Handelns in der Hand behalten und den komplexen Pro-
             zess aktiv mitgestalten. Zum einen ihre Kollegen auf sich
             verändernde Anforderungen vorbereiten: Das Beherrschen
             von digitalen Anwendungen wird in fast allen Bereichen im
             Hotel zur Schlüsselqualifikation werden. Zum anderen aber                            2,2 MIO. MENSCHEN
             müssen sie versteckte Kontrollmöglichkeiten, wie sie in
             elektronischen Bestell- und Bezahlsystemen enthalten                               in 230.000 Unternehmen |
             sind, identifizieren. Solche Anwendungen eignen sich zur
             Erstellung von Bewegungsprofilen, die minutiöse Arbeits-
                                                                                                    Mehr als die Hälfte in
             und Leistungskontrollen ermöglichen. Hier sind die Be-                                           TEILZEIT |
             triebsräte gefragt, Gestaltungswillen zu zeigen und gleich-
             zeitig den gläsernen Mitarbeiter zu verhindern.                                                 2015 wurde
                                                                                                         ein UMSATZ von
                                                                                                  84 MRD. EURO erzielt,
                                                                                                 davon zwei Drittel in der
                                                                                                        GASTRONOMIE,
                                                                                             ein Drittel im Beherbergungs-
                                                                                            gewerbe | 2016 übernachteten
                                                                                                       172 MIO. GÄSTE
                                                                                          in Beherbergungsbetrieben | im
                                                                                                                                                        Quelle: statista.com

                                                                                                     Durchschnitt blieben
                                                                                                        sie 2,6 NÄCHTE

             Quereinsteiger Thomas Klein ist Betriebsratsvorsitzender im Maritim.

                                                                                                                                    einigkeit 2-2018       25
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