STAATSCOMPLIANCE - UPDATE 2018: FÜR EINEN PARADIGMENWECHSEL IN DER STEUERPOLITIK - Argumente zu Marktwirtschaft und Politik - Stiftung Marktwirtschaft

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STAATSCOMPLIANCE - UPDATE 2018: FÜR EINEN PARADIGMENWECHSEL IN DER STEUERPOLITIK - Argumente zu Marktwirtschaft und Politik - Stiftung Marktwirtschaft
STAATSCOMPLIANCE
  2                         – UPDATE 2018:
    Das Mandat der Preisstabilität

FÜR EINEN PARADIGMENWECHSEL IN DER STEUERPOLITIK

Argumente
zu Marktwirtschaft
und Politik

Nr. 143 | November 2018

Barbara Bültmann-Hinz
STAATSCOMPLIANCE - UPDATE 2018: FÜR EINEN PARADIGMENWECHSEL IN DER STEUERPOLITIK - Argumente zu Marktwirtschaft und Politik - Stiftung Marktwirtschaft
Compliance-Ampel                                                                               Staatscompliance – Update 2018

Compliance-Ampel 2018

Die Anforderungen des Staates gegenüber dem Steuer-           sungsrechtlich geschützten Sphären dar. Die Stiftung Markt-
pflichtigen, sich „adäquat“ rechtstreu zu verhalten, werden   wirtschaft überprüft im Rahmen der „Compliance-Ampel“
immer höher, ohne dass dem eine entsprechende Selbstver-      regelmäßig die Fortschritte anhand der unten genannten
pflichtung des Staates gegenüberstünde. So hält der Staat     fünf Kriterien. Die „Compliance-Ampel 2018“ berücksichtigt
seine eigenen Regeln oft nicht ein, obwohl er dies vom Bür-   Veränderungen seit der ersten Auflage der Staatscompliance
ger verlangt. Das Steuerrecht eignet sich im Besonderen als   2016 und bewertet neuere Entwicklungen des Steuerrechts
Gradmesser für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger       – die jedoch leider keine wesentlichen Fortschritte und damit
– stellt es doch aus Sicht des Bürgers und aus Sicht der      auch keine bessere Bewertung im Vergleich zu 2016 bewirkt
Unternehmen einen einschneidenden Eingriff in die verfas-     haben.

Kriterium Gesetzgebung                                                  Bewertung: Die vermehrte Orientierung am Miss-
Kontinuität, ordnungsgemäße Gesetzgebungsverfahren                      brauchsfall zu Lasten des ordentlichen Steuerbürgers
sowie die Ausrichtung der Gesetzgebung und die Häufig-                  setzt sich fort, verbunden mit einem Hang des Gesetzge-
keit der Gesetzesänderung sind wesentliche Kriterien für                bers zur Überregulierung (z.B. nationale Anzeigepflicht für
eine faire Gesetzgebung.                                                Steuergestaltungen) und zunehmender Steuerbürokratie.
                                                                        Der Gesetzgeber verhält sich wenig rechtstreu, wenn er
                                                                        die Steuerprogression befürwortet, die entsprechende
                                                                        progressive Entlastung jedoch ablehnt.

Kriterium Rechtssicherheit                                              Bewertung: Das BMF hält an der Praxis der Nichtanwen-
Rechtssicherheit ist für den Standort Deutschland von                   dungserlasse fest. Ein echter Rechtsanspruch auf ver-
höchster Bedeutung. Im Steuerrecht sind diesbezügliche                  bindliche Auskunft fehlt nach wie vor. Erste Erfahrungen
Orientierungspunkte die Häufigkeit von Nichtanwen-                      mit der Fristenregelung zeigen keine Beschleunigung
dungserlassen, das Vorgehen im Rahmen der Betriebs-                     – zumal das Verstreichen der Frist ohne Konsequenzen
prüfungen, das Recht auf verbindliche Auskunft, verbun-                 bleibt. Die Forderung nach mehr Rechtssicherheit bei der
den mit echten Fristen und die Gesetzesauslegung.                       umsatzsteuerlichen Organschaft ist aufgrund der Einbe-
                                                                        ziehung von Personengesellschaften noch dringlicher.

Kriterium Daten und Digitalisierung                                     Bewertung: Der Umfang der von den Steuerpflichtigen
Der Umfang und der Schutz der zur Verfügung gestellten                  zu erhebenden Daten nimmt stetig zu, ohne entspre-
Daten und die Beschränkung des Datenzugriffs sind we-                   chende Gegenleistung. Deutschland fällt bei der Digi-
sentliche Punkte für den Steuerpflichtigen. Die Zulieferung             talisierung seiner Verwaltung im europäischen Vergleich
von Daten an die Finanzverwaltung muss auch mit Vortei-                 weiter zurück, oft fehlt es an der technischen Umsetzung.
len für den Steuerpflichtigen verbunden sein. Die Erhebung              Positiv ist die Forderung nach einer Prüfung der Digital-
sollte sich an den ohnehin verfügbaren Daten orientieren,               tauglichkeit von Gesetzen im Koalitionsvertrag.
um den Steuerpflichtigen nicht übermäßig zu belasten.

                                                                        Bewertung: Die Verfahrensdauer bleibt zu lang, um effek-
Kriterium Verfahren
                                                                        tiven Rechtsschutz zu bieten. Wenn nicht die Ungleichbe-
Die Dauer der Verfahren ist von höchster Bedeutung für
                                                                        handlung, so wird zumindest die Höhe der Zinsen derzeit
Rechtssicherheit und Ressourcenplanung in den Unter-
                                                                        diskutiert. Bürokratieabbau bedeutet auch das Vermeiden
nehmen. Der Aufwand zur Erfüllung steuerlicher Pflichten
                                                                        neuer Bürokratie (z.B. Anzeigepflicht).
muss begrenzt sein. Kriterien sind Zinsen, Fristen, Ver-
teilung von Aufwand und Risiken, Waffengleichheit etc.

                                                                        Bewertung: Es fehlen weitreichende Auskunftsansprü-
Kriterium Transparenz
                                                                        che bzw. Informationspflichten. Die Regelungen der Da-
Transparenz für mehr Akzeptanz beinhaltet u.a. die Ein-
                                                                        tenschutzgrundverordnung sind hier ebenfalls nicht aus-
beziehung der Betroffenen, Auskunftsanspruch für Steu-
                                                                        reichend. Der Staat hält sich zudem sehr bedeckt bei der
erpflichtige über vorliegende Daten und übermittelte Da-
                                                                        Zurverfügungstellung steuerlicher Daten.
ten (Informationsaustausch).
Staatscompliance – Update 2018                                                                                                    Vorwort

Vorwort

Die Interessenlage von Staat und Steuerpflichtigen scheint oft          ser beinhaltet die Forderung nach einem rechtstreuen Staat
gegensätzlich zu sein. Der eine setzt die Regeln (mitunter zu           und die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen
seinem Vorteil) und schafft immer neue Hürden, um vermu-                Rechts- und Fiskalstaat und der Beseitigung der größten
tete Steuervermeidung zu verhindern. Der andere fühlt sich              Ärgernisse im Steuerrecht zugunsten eines kooperativen
gegängelt, mit übermäßiger Bürokratie und Regulierung bela-             Steuersystems zum Nutzen von Staat und Bürger. Die Stif-
stet und versucht (dem Anschein nach) steuerrechtliche Re-              tung Marktwirtschaft behandelt das Thema in Form eines
gelungen zu umgehen, um in seinem Wirtschaften nicht über-              politischen Monitorings und bewertet die Einhaltung der
mäßig eingeschränkt zu werden. Dies führt wiederum dazu,                Staatscompliance in den zentralen Bereichen Gesetzge-
dass der Staat Steuerpflichtige und vor allem Unternehmen               bung, Rechtssicherheit, Daten/Digitalisierung, Verfahren
quasi unter Generalverdacht stellt, sich der Besteuerung                und Transparenz.
weitmöglichst entziehen zu wollen, worauf er mit weiteren                     Eine Rückkehr zum vertrauensvollen Miteinander, konse-
Repressionen reagiert. Das Titelbild illustriert die unterschied-       quente Rechtsstaatlichkeit und die Besinnung auf eine maß-
liche Sichtweise: Strampelt sich der Bürger ab, um den ste-             volle Steuerpolitik mit dem Ziel, den Standort Deutschland
tig wachsenden Anforderungen gerecht zu werden – oder                   und das Vertrauen zwischen Staat und Bürger zu stärken,
versucht er sich den Regelungen zu entziehen? Übersehen                 liegt im allseitigen Interesse.
wird dabei, dass ein effizientes, transparentes und einfaches
Steuersystem im Interesse beider läge und Kooperation oft               Die Stiftung Marktwirtschaft bedankt sich für die zahlreichen
sinnvoller ist als Konfrontation.                                       wertvollen Reaktionen, Anregungen und Informationen aus
      Darüber hinaus mutet der Steuerstaat in seinem Han-               der steuerberatenden und unternehmenssteuerlichen Pra-
deln oft widersprüchlich an. So erschweren komplexe und                 xis. Die Forderung nach einem complianten Staat setzt sich
unverständliche Gesetze die Befolgung des Rechts und eine               durch.1
Gesetzgebung, die vorrangig den Missbrauch im Blick hat,
behindert ordentliche Steuerpflichtige zu oft in ihrem Wirt-            Wir wünschen eine anregende Lektüre und freuen uns über
schaften und fördert so die Ausweichreaktionen, die sie ei-             Ihr Interesse und Ihre Rückmeldungen.
gentlich verhindern möchte. Wird tatsächliche oder vermu-
tete Niedrigbesteuerung verurteilt, so schützt der Staat die
Steuerpflichtigen nur unzureichend vor Doppelbesteuerung
oder zu hoher Steuerbelastung. Das Bedürfnis des Steuer-
pflichtigen nach Rechtssicherheit wird mit unlauterem Ge-
staltungswillen verwechselt. Transparenz wird von Unter-
nehmen und Steuerpflichtigen gefordert – verbunden mit
erheblichem Bürokratieaufwand, während der Staat sich
selbst wenig transparent verhält.                                       Prof. Dr. Michael Eilfort       Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen
      Vor diesem Hintergrund hat die Stiftung Marktwirt-                Vorstand                        Vorstand
schaft den Begriff der „Staatscompliance“ geprägt. Die-                 der Stiftung Marktwirtschaft    der Stiftung Marktwirtschaft

1   Vgl. z.B. Bäuml et al. (2017).

                                                                    3
STAATSCOMPLIANCE – UPDATE 2018:
FÜR EINEN PARADIGMENWECHSEL IN DER STEUERPOLITIK

Barbara Bültmann-Hinz
Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Nr. 143

Inhaltsverzeichnis

    Vorwort 03

1   Die Forderung nach einem rechtstreuen Staat 05
2   Standortbestimmung: Internationaler Vergleich 06
3   Der Staat als Gesetzgeber 09
    3.1 Zwischenbilanz 09
    3.2 Qualität der Gesetze 10
    3.3 Paradigmenwechsel in der Steuergesetzgebung 11
    3.4 Überregulierung vermeiden – die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen 12
    3.5 Administrierbarkeit als Maßstab des materiellen Steuerrechts 14
    3.6 Gleicher Maßstab für alle – von Steuerprogression, Regression und Solidaritätszuschlag 15
4   Rechtssicherheit 17
    4.1 Zwischenbilanz 17
    4.2 Die verbindliche Auskunft als zentrales Instrument für mehr Rechtssicherheit 18
5   Daten/Digitalisierung 21
    5.1 Zwischenbilanz 21
    5.2 Die Digitalisierung der Verwaltung 22
6   Verfahren 23
    6.1 Zwischenbilanz 23
    6.2 Zinsen im Steuerrecht 24
    6.3 Steuerbürokratie abbauen – neue Bürokratie vermeiden 25
7   Transparenz 26
    7.1 Zwischenbilanz 26
    7.2 Nachvollziehbare Regelungen für mehr Akzeptanz 26
    7.3 Daten in der öffentlichen Verwaltung 27
8   Exkurs: Der Staat als „unehrlicher Haushälter“ 27
9   Ein Lösungsansatz: Strukturelle Reformen statt Korrektur der Korrektur 28
    9.1 Der Vorteil struktureller Reformen 28
    9.2 Grundsteuer 28
    9.3 Niedrigzinsen und betriebliche Altersvorsorge 28
    9.4 Förderung von Wohneigentum 29
    9.5 Rückführung der §§ 8c, 8d KStG auf eine reine Missbrauchsbekämpfung 30

Literaturverzeichnis 31

Executive Summary 32

© 2018

Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.)
Charlottenstraße 60
                                                                               Die Publikation ist auch über den QR-Code
10117 Berlin
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Telefax: +49 (0)30 206057-57                              ISSN: 1612 – 7072
www.stiftung-marktwirtschaft.de                           Titelbild: © samuraitop – 123rf.com / Montage
Staatscompliance – Update 2018                                                           Die Forderung nach einem rechtstreuen Staat

1           Die Forderung nach einem rechtstreuen Staat

„Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben             bürokratischen Belastungen von Unternehmen und Steuer-
nicht alle den gleichen Horizont.“      Konrad Adenauer               pflichtigen.
                                                                            Die Einhaltung einer Staatscompliance – d.h. die Forde-
Der Staat muss sich an seine eigenen Regeln halten. Dieses            rung nach einem rechtstreuen Staat – kann zwar keine Steu-
an sich selbstverständliche Prinzip ist scheinbar in Verges-          erreform ersetzen, aber zur Standortattraktivität beitragen
senheit geraten. Sogar noch mehr: der Staat hält sich nicht           und gleichzeitig das Verhältnis zwischen Staat und Bürger
nur nicht an seine eigenen Regeln, er erschwert Unterneh-             verbessern.
men und Steuerpflichtigen dazu noch die Regelbefolgung.                     Diese Publikation bewertet den Status der Staatscom-
Dies belastet das Verhältnis zwischen Staat und Bürger – und          pliance in Deutschland anhand der Kriterien Gesetzgebung,
den Standort Deutschland.                                             Rechtssicherheit, Verfahren, Daten und Transparenz. Dabei
     Wenn es um mögliche steuerpolitische Impulse geht,               erfolgt zunächst eine kurze Einordnung Deutschlands als
richtet sich der Blick deutscher Steuerpflichtiger in den letz-       Steuerstandort im internationalen Vergleich. Dann werden
ten Jahren ohnehin vermehrt begehrlich ins Ausland. Denn              die einzelnen Kriterien der Staatscompliance2 dargelegt. Da-
während andere Länder – namentlich USA, Frankreich und                bei erfolgt in jedem Abschnitt vorangestellt unter dem Punkt
Großbritannien – umfassende Steuerreformen und Steuer-                Zwischenbilanz ein Überblick über die Kritikpunkte der letz-
senkungen durchführen oder zumindest in Aussicht stellen,             ten Ausgabe der Staatscompliance 2016 sowie die steuer-
beschäftigt sich die deutsche Steuerpolitik eher mit der Si-          rechtliche Weiterentwicklung und deren Bewertung. In einem
cherung des Besteuerungssubstrats, kleinteiligen Steuer-              weiteren Schritt werden neu hinzugekommene Aspekte und
rechtsänderungen und mit zunehmenden steuerlichen und                 Entwicklungen berücksichtigt, erläutert und bewertet.

    Begriff „Staatscompliance“:
    Seit einigen Jahren fordert die Stiftung Marktwirtschaft unter dem Schlagwort „Staatscompliance“ Rechtstreue und regel-
    konformes Verhalten für staatliches Handeln.3 Der Begriff „Compliance“ richtet sich üblicherweise an Unternehmen und
    Steuerpflichtige, während der Staat die Regeln festlegt und deren Einhaltung überwacht. Doch gerade aus dieser umfas-
    senden Rolle des Staates ergibt sich eine Verantwortung, bei Regelsetzung und -durchsetzung Waffengleichheit zu bewahren
    und eigenen Interessen nicht übermäßig gegenüber den Belangen des Steuerpflichtigen den Vorzug zu geben. Nichtan-
    wendungserlasse, unterschiedliche steuerliche Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen, Reportingpflichten
    ohne Auskunftsrechte sind nur einige Beispiele für die zweierlei Maßstäbe, die der (Steuer-)Staat anlegt, wenn es um sein
    Verhalten und nicht um das Handeln des Steuerpflichtigen geht. Der Staat verhält sich in seiner Regelsetzung auch häufig
    widersprüchlich: So wird z.B. einerseits die Digitalisierung des Steuervollzugs vorangetrieben, andererseits konterkariert
    die (zunehmende) materiell-rechtliche Komplexität der Regelungen eine echte digitale Vollziehbarkeit. Die Gesetzgebung
    muss sich wieder auf die Struktur der Gesetze besinnen und Rechtssicherheit und Effizienz des Besteuerungsverfahrens in
    den Vordergrund rücken, statt ausufernde Missbrauchsgesetzgebung mit ausufernden Korrekturtatbeständen zu vermengen.
    Die Qualität des Steuerrechts und des Steuersystems prägen die Beziehung der Bürger zu ihrem Staat und die allgemeine
    Steuermoral.4 Ein transparentes und nachvollziehbares Steuersystem trägt entscheidend zur Steuerehrlichkeit bei.

2   Vgl. Bültmann (2016).
3   Vgl. Bültmann (2017).
4   Vgl. Birk et al. (2017).

                                                                  5
Standortbestimmung: Internationaler Vergleich                                                                          Staatscompliance – Update 2018

2           Standortbestimmung: Internationaler Vergleich

Steuern sind im internationalen Wettbewerb ein wichtiger                         unter den G7-Staaten, was die steuerliche Belastung der Un-
Standortfaktor. Dabei gehen von Steuersätzen und Steuer-                         ternehmen betrifft, einsamer Spitzenreiter.
vergünstigungen die offensichtlichsten Impulse aus.                                    In einem Vergleich der Steuersätze der wichtigsten Steu-
    Ein Vergleich mit anderen EU-Staaten bzw. großen In-                         erarten innerhalb der Europäischen Union (EU) ist ein Trend
dustrienationen zeigt, dass Deutschland bei der steuerlichen                     zu sinkenden Unternehmenssteuersätzen festzustellen, wäh-
Belastung von Unternehmensgewinnen inzwischen fast                               rend die Einkommensteuersätze der EU-155 im Schnitt in
an der Spitze liegt (vgl. Abbildung 1), insbesondere auf-                        etwa gleich geblieben sind – nach einem vorübergehenden
grund der Steuersenkungen in den USA und in Belgien. Auch                        leichten Absinken in der Mitte der 2000er Jahre. Deutlich ist
Frankreich, derzeitiger Spitzenreiter, hat steuerliche Entlas-                   hingegen ein Anstieg der Umsatzsteuersätze zu beobachten
tungen beschlossen. Damit wird Deutschland mittelfristig                         (vgl. Abbildung 2).

    Abbildung 1:
    Unternehmenssteuersätze 2018 im internationalen Vergleich
    Quelle: OECD (2018).

     40

     35

     30

     25

     20

     15

     10

       5

       0
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                                                                        de

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                                                                        en

                                                                         ei

                                                                           )
                                                                        nd

                                                                        nd

                                                                       len

                                                                       ien

                                                                         n
                                                                       ich

                                                                        nd

                                                                        en

                                                                                                                                                 nd

                                                                                                                                                  rn
                                                                      ich
                                                                       ar
                        ic

                      pa

                         e

                       lie

                                                                       ic

                                                                     hie
                      an

                                                                      ak
                        ri
                     bu

                                                                                                                                               ga
                     lgi

                                                                    eg

                                                                    ed

                                                                    au
                                                                   lan
                   nla

                                                                    tla

                                                                  nla

                                                                  ttla

                                                                                                                                             Irla
         De kre

                                                                  rre

                                                                   an

                                                                  Po

                                                                   en

                                                                    re
                                                                     U
                      a

                                                                    m
                   Ita

                                                                   ür
                  Ja

                                                     Sc Slow
                   hl

                                                                 ec
                  nt

                                                                                                                                            Un
                 Be

                  m

                                                                nig
                                                                Es

                                                                Lit
                                                                rw

                                                               hw
                                                                ne

                                                               ow
                                                                (Z
                                                                er
                 he

                                                               Fin
                                                                te

                                                               Le
                an

                (O

                                                              ch
                                                            Ös

                                                            Dä

                                                            Kö
            iec

                                                            eiz
                                                            Sc

                                                            Sl
             Fr

             ut

           Lu

                                                           Ts
          da

                                                          Ni

                                                        hw
         Gr

                                                        in.
        na

                                                      re
      Ka

                                                    Ve

                                                        Kombinierter Unternehmenssteuersatz (in Prozent)

5     EU-15 wird als Begriff für die Länder verwendet, die der Europäischen Union bis April 2004 beigetreten sind: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland,
      Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien und das Vereinigte Königreich.

                                                                             6
Staatscompliance – Update 2018                                                                           Standortbestimmung: Internationaler Vergleich

                                                                                                                            Abbildung 2:
    120%                                                                                                                    Entwicklung der
                                                                                                                            Steuersätze der
                                                                                                                            wichtigsten Steuern
    100%
                                                                                                                            in der EU-15 (2000–2017)

    80%                                                                                                                     Basisjahr 2000 = 100%
                                                                                                                            Quelle: ZEW Mannheim basierend
                                                                                                                            auf Daten der Europäischen
    60%                                                                                                                     Kommission (2017).

    40%
           2000       2002        2004       2006       2008        2010         2012      2014       2016

                           Gewinnsteuer             Einkommensteuer               Umsatzsteuer

      Im internationalen Steuerwettbewerb sind allerdings                         steuer, Abgaben und Umsatzsteuer) nachzukommen, die An-
nicht nur Steuersätze, sondern auch Bürokratieumfang,                             zahl der Steuerzahlungen sowie ein sog. Post-Filing-Index.7
Rechts- und Planungssicherheit und die Qualität staat-                                   Deutschland schneidet im Vergleich zu Ländern wie der
lichen Handelns von Bedeutung.6 Die Weltbank gibt jedes                           Schweiz, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich
Jahr den Paying Taxes Index heraus, der steuerliche Para-                         und selbst den USA schlechter ab (vgl. Abbildung 3). Auffäl-
meter verschiedener Standorte miteinander vergleicht. In den                      lig ist insbesondere der vergleichsweise hohe Zeitaufwand
Index gehen folgende Indikatoren ein: Die Abgabenquote, die                       für die Erfüllung der Steuererklärungspflichten in Deutschland.
Zeit, die durchschnittlich aufgewendet werden muss, um den                        Nur Polen und Italien weisen innerhalb der EU einen höheren
wesentlichen Steuererklärungspflichten (Gewinnsteuer, Lohn-                       Zeitaufwand für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten auf.

6   Vgl. Bräutigam et al. (2018) zu den verschiedenen Dimensionen des Steuerwettbewerbs.
7   Dieser basiert auf vier Bestandteilen: Zeitaufwand für eine Umsatzsteuererstattung (in Stunden); Zeitaufwand, um eine Umsatzsteuererstattung zu er-
    halten (in Wochen); Zeitaufwand, um einen versehentlichen Fehler in einer Körperschaftsteuererklärung zu korrigieren (inklusive einer eventuellen entspre-
    chenden Steuerprüfung) (in Stunden) und die Zeitdauer einer eventuellen Betriebsprüfung im Bereich der Körperschaftsteuer bis zur Erledigung (in Wochen).

                                                                             7
Standortbestimmung: Internationaler Vergleich                                                                                           Staatscompliance – Update 2018

                                                                                                                                           Abbildung 3:
  100                                                                                                                             300      Steuerbürokratie
                                                                                                                                           im Vergleich
   80                                                                                                                             250
                                                                                                                                           Quelle: Weltbank/PWC 2018.
                                                                                                                                  200
   60
                                                                                                                                  150
   40
                                                                                                                                  100
   20                                                                                                                             50

     0                                                                                                                            0

                                                                                         nd
           nd

                       nd

                               nd

                                         ei z

                                                         de

                                                        ich

                                                          en

                                                        i en

                                                                     A

                                                                                 h

                                                                                                    n

                                                                                                            h

                                                                                                                      n

                                                                                                                            n
                                                                                 ic

                                                                                                    le

                                                                                                           eic

                                                                                                                   pa

                                                                                                                           lie
                                                                   US
                                                      ed
                                                     lan
         Irla

                  nla

                              tla

                                     hw

                                                                                         a
                                                      re

                                                     an

                                                                              re

                                                                                                 Po

                                                                                                                          Ita
                                                                                                                  Ja
                                                                                      hl

                                                                                                         kr
                                                   nig

                                                                             r
                            Es

                                                   hw

                                                  Sp
                                             er
                 Fin

                                                                          te
                                    Sc

                                                                                    sc

                                                                                                       an
                                           ed

                                                                         Ös
                                                Kö

                                                Sc

                                                                                                     Fr
                                                                                  ut
                                          Ni

                                                                               De
                                                    in.
                                                  re
                                                Ve

                Paying Taxes Index (1 - 100, linke Skala)            Zeitaufwand (Stunden pro Jahr, rechte Skala)

     Vergleicht man wiederum den Trend der Entwicklung der                                        rung notwendigen Arbeitsstunden festzustellen ist, während
für die Erstellung der Steuererklärung notwendigen Arbeits-                                       in Deutschland im gleichen Zeitraum der Zeitaufwand sogar
stunden in Deutschland mit dem Durchschnitt der EU-15 seit                                        gestiegen ist (vgl. Abbildung 4). Dies könnte auf die wachsen-
2005 zeigt sich, dass bei den EU-15 durchschnittlich eine                                         de Komplexität des Steuerrechts bzw. auf die mangelnde Nut-
deutliche Reduktion der für die Erstellung der Steuererklä-                                       zung der Möglichkeiten der Digitalisierung zurückzuführen sein.

                                                                                                                                           Abbildung 4:
  250                                                                                                                                      Entwicklung der für die
                                                                                                                                           Erstellung der Steuer-
  200
                                                                                                                                           erklärung notwendigen
  150                                                                                                                                      Arbeitsstunden

  100                                                                                                                                      Quelle: Weltbank/PWC 2018.

   50

     0
                2005                2007                  2009    2011                   2013                    2015            2017

                                                    Deutschland            EU-15-Durchschnitt

   • Im internationalen Steuerwettbewerb sind die deutschen Steuersätze vergleichsweise hoch.
   • Deutschland schneidet auch im Hinblick auf den Aufwand zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten auffallend schlecht ab.
   • Deutschland fällt als attraktiver Steuerstandort weiter zurück.

                                                                                             8
Staatscompliance – Update 2018                                                                                             Der Staat als Gesetzgeber

3           Der Staat als Gesetzgeber

„Wenn man Zehntausend Vorschriften erlässt, vernichtet man                          Die Gesetzgebungskompetenz steht Bund und/oder
jede Achtung für das Gesetz.“           Winston Churchill                     den Ländern zu (Art. 105 Grundgesetz). Die Gesetzesvor-
                                                                              lagen, die durch die Bundesregierung, den Bundesrat oder
                                                                              aus der Mitte des Bundestages eingebracht werden, werden
3.1         Zwischenbilanz                                                    regelmäßig im Bundesfinanzministerium oder in den Länder-
                                                                              finanzministerien erarbeitet. Über die Gesetzesvorlagen ent-
                                                                              scheiden Bundestag und Bundesrat überwiegend gemein-
Als Gesetzgeber fungiert der Staat als Regelsetzer, d.h.                      sam. Aus der Situation, dass der Staat in unterschiedlichen
er setzt den Rechtsrahmen, in dem sich Steuerpflichtige                       Funktionen eingebunden wird, erwächst eine besondere
und Verwaltung bewegen. Bei Einhaltung der Staatscompli-                      Verantwortung, bei der Rahmensetzung die Waffengleich-
ance sollte der Staat als Rechtsetzer ein faires und ausgewo-                 heit zwischen Staat und Steuerpflichtigen zu wahren, welcher
genes Regelwerk schaffen und sich selbst keine ungebühr-                      der Gesetzgeber in Teilen nicht gerecht wird.
lichen Vorteile schaffen.

    Box 1:
    Zwischenbilanz Gesetzgebung Staatscompliance 2016–2018

    Thema               Forderung/Kritik 2016        Entwicklungen             Bewertung der Rechtsentwicklung

    Gesetzgebung        Die Gesetzgebung             Der neue § 8d                            Die neue Regelung des § 8d KStG soll Gesell-
    für den             richtet sich am Miss-        KStG ergänzt § 8c                        schaften in Gründung die Verlustnutzungsmög-
    ordentlichen        brauchsfall aus, zu          KStG.                                    lichkeiten erweitern. Die Norm ist jedoch zu eng
    Steuerbürger        Lasten des ordent-           § 8c Satz 1 KStG                         gefasst, so dass der Anwendungsbereich minimal
                        lichen Steuerpflich-         verfassungswidrig.        ist. Die Beschränkung der Verlustnutzungsmöglichkeiten bleibt
                        tigen, der in seinem         Neuregelung des           gerade für neugegründete Gesellschaften ein Hinderungsgrund.
                        Wirtschaften behindert       § 50 i EStG.              Positiv ist die ersatzlose Aufhebung der bislang geltenden quo-
                        wird (z.B. Verlustnut-                                 talen Verlustuntergangsnorm des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG als
                        zung des § 8c KStG                                     Reaktion auf das Urteil des BVerfG.8
                        und § 50 i EStG).

    Konstanz            Forderung nach               Die Abgeltungsteu-                       Das System der Besteuerung von Kapitalerträgen
    und Planungs-       mehr Konstanz in der         er auf Zinserträge                       steht vor einschneidenden Veränderungen. Damit
    sicherheit          Gesetzgebung für             soll abgeschafft                         verbundene Rechtsunsicherheiten und Kosten der
                        größere Planungs- und        werden.                                  Systemanpassung belasten den Steuerpflichtigen.
                        Rechtssicherheit.

    Kalte               Vollständige Besei-          Der Gesetzgeber                        Es fehlt weiterhin ein Automatismus im Hinblick auf
    Progression         tigung der Wirkung           hat die Anhebung                       die Beseitigung der Wirkung der kalten Progres-
                        der kalten Progres-          der GWG-Grenze                         sion. Der Koalitionsvertrag 2018 zwischen Union
                        sion (Automatismus)          beschlossen (mit                       und SPD beinhaltet zumindest die Absicht, an der
                        und Anpassung von            dem Gesetz zur            Praxis des alle zwei Jahre erstellten Berichts zur Entwicklung der
                        Pausch- und Freibe-          Einführung der            kalten Progression festzuhalten mit anschließender Bereinigung
                        trägen.                      Lizenzschranke).          des Einkommensteuertarifs. Zudem soll eine Anpassung der
                                                                               pauschalen Steuerfreibeträge für Menschen mit Behinderung
                                                                               geprüft werden.
                                                                               Die Anhebung der Grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter ist
                                                                               zu begrüßen, auch wenn betragsmäßig eine weitere Anhebung
                                                                               sachgerecht wäre.

                    Deutliche                Leichte                 Keine Veränderung bzw.             Leichte                     Deutliche
Legende:            Verbesserung             Verbesserung            neutrale Entwicklung               Verschlechterung            Verschlechterung

8    Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum „Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit
     Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“, BT-Drs. 19/5595.

                                                                          9
Der Staat als Gesetzgeber                                                                                                    Staatscompliance – Update 2018

                                                                                      weniger für Laien. Dazu sind Gesetze oft nachbesserungsbe-
3.2          Qualität der Gesetze                                                     dürftig und in der Umsetzung bürokratie- und kostenintensiv
                                                                                      und oft wenig vollzugstauglich. Die Geschwindigkeit, mit der
                                                                                      Gesetze erlassen werden und die zunehmende Komplexi-
Die Qualität der Steuergesetze lässt häufig zu wünschen üb-                           tät der gesetzlichen Regelungen führen – fast zwangsläufig
rig. Gesetze sind zu lang, unsystematisch, kompliziert, wenig                         – zu einer abnehmenden Qualität der Gesetze. Unklarheiten
verständlich für professionelle Rechtsanwender und noch                               und Zweifelsfragen gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen,

  Abbildung 5:
  Ausgewählte Urteile des Bundesverfassungsgerichts
  Quelle: Eigene Darstellung.

      Vermögensteuer:10                                           Rückwirkung im
      Erhebung nicht mit                Häusliches                Steuerrecht II:15                                           Kernbrennstoff-
                                        Arbeitszimmer:13                                        Erbschaftsteuer II:17
      dem Gleichheits-                                            Absenkung                                                   steuer:20
      satz vereinbar                    Neuregelung               Beteiligungsquote             Erhebung nicht mit
                                                                                                                              Das Kernbrenn-
      wegen der Privile-                verfassungswidrig         teilweise verfas-             dem GG vereinbar
                                                                                                                              stoffsteuergesetz
      gierung bestimmter                wegen Verstoß             sungswidrig.                  wegen der Privile-
                                                                                                                              ist mit dem Grund-
      Vermögensarten.                   gegen den Gleich-                                       gierung bestimmter
                                                                                                                              gesetz unvereinbar
      Wird seit 1997                    heitssatz.                                              Vermögensarten.
                                                                                                                              und nichtig.
      nicht mehr erhoben.

                             7. Nov. 2006     9. Dez. 2008        7. Juli 2010                                          29. März 2017         10. April 2018

        22. Juni 1995                                        6. Juli 2010                  17. Dezember 2014                     17. April 2017

                                                                                                             Verlustnutzung:18
      Erbschaftsteuer I:11                             Rückwirkung im                                        Regelung des §8c              Grundsteuer:21
      Erhebung nicht mit                               Steuerrecht I:14           Rückwirkung im             Satz 1 KStG (jetzt
                                Pendlerpauschale:12                                                                                        Vorschriften zur
      dem Grundge-                                     Verlängerung der           Steuerrecht III:16         §8c Abs. 1 Satz 1
                                Verfassungs-                                                                                               Einheitsbewertung
      setz vereinbar.                                  Spekulationsfrist          Teilweise                  KStG) zum (anteiligen)        verfassungs-
                                widrigkeit der
      Die Privilegierung                               bei Grundstücks-           verfassungswidrig.         Verlustuntergang bei          widrig. Frist zur
                                Neuregelung der
      bestimmter Ver-           Pendlerpauschale       veräußerungsge-                                       Anteilseignerwechsel          Neuregelung bis
      mögensarten auf           wegen Verstoßes        schäften teilweise                                    verfassungswidrig. Frist      31.12.2019. Um-
      Bewertungsebene           gegen den Gleich-      verfassungswidrig.                                    zur Neuregelung bis           setzungsfrist nach
      ist verfassungs-          heitssatz.             Verstoß gegen                                         31.12.2018 mit Rück-          Neuregelung fünf
      widrig.                                          Vertrauensschutz.                                     wirkung 1.1.2008.19           Jahre.

9  BVerfG Urteil vom 10.04.2018, - 1 BvL 11/14 -, - 1 BVL 12/14 -, 1 BvL 1/15 -, - 1 BvR 639/11 -, - 1 BvR 889/12.
10 BVerfG, Beschluss vom 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BStBl. 1995 II, S. 655.
11 BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006 - 2 BvL 1/07.
12 BVerfG Urteil vom 09.12.2008, - 1 BvL 11/14 -, - 1 BVL 12/14 -, 1 BvL 1/15 -, - 1 BvR 639/11 -, - 1 BvR 889/12.
13 BVerfG, Beschluss vom 06.07.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268-286.
14 BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, BVerfGE 127, 1-31.
15 BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05, BVerfGE 127, 61-87.
16 BVerfG; Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31-60.
17 BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12 – BVerfGE 138, 136 – 255.
18 BVerfG, Beschluss vom 29.03.2017, 2 BvL 6/11 – BVerfGE 145, 106 – 170. Eine weitere Entscheidung des BVerfG zu § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG wird noch erwartet.
19 Das Jahressteuergesetz 2018 sah ursprünglich eine gesetzliche Neuregelung in Form einer Anwendung des § 8c Abs.1 Satz 1 KStG erst ab dem 1.1.2016
   vor. Der Regierungsentwurf des nun in „Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Ände-
   rung weiterer steuerlicher Vorschriften“ umbenannten Gesetzes sieht diese Regelung nun nicht mehr vor.
20 BVerfG, Beschluss vom 13.04.2017, 2 BvL 6/13 – BverfGE 145, 171 – 248.
21 BVerfG, Urteil vom 10.04.2018, 1 BvL 11/14, 1 BvR 889/12, 1 BvR 639/11, 1 BvL 1/15, 1 BvL 12/14 – www.bundesverfassungsgericht.de.

                                                                                 10
Staatscompliance – Update 2018                                                                               Der Staat als Gesetzgeber

der neue Regelungen im Rahmen der Steuererklärung oder                  lichen Belastung entziehen kann. Problematisch wird die-
Steuervoranmeldung o.ä. anwenden muss – meist bevor                     se zunehmende Tendenz zur Missbrauchsgesetzgebung
Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen Interpretati-                 dann, wenn der Steuerpflichtige quasi unter „General-
onshilfen bieten.                                                       verdacht“ gestellt wird. Gesetze, die vorrangig den Miss-
      Gänzlich unnötig und oft irreführend sind sprachliche             brauch im Blick haben, sind oft so weit gefasst, dass auch
Fehler oder falsche Verweisungen. Dennoch benötigt es                   der ordentliche Steuerpflichtige in den Anwendungsbereich
teilweise erhebliche Zeit bis derart offensichtliche Fehler kor-        der Gesetzesnorm gerät. So können wirtschaftlich sinn-
rigiert werden. Noch langwieriger sind Änderungen in der                volle Verhaltensweisen verhindert oder „bestraft“ werden.
Sache. So hat es der Gesetzgeber beispielsweise lange Zeit              Ein Beispiel hierfür ist die Verlustnutzung des § 8c Satz 1
versäumt, die offensichtliche Verfassungswidrigkeit der Ein-            KStG, der zwischenzeitlich vom BVerfG als verfassungs-
heitswerte als Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer                  widrig erklärt wurde.24 Das BVerfG hatte insbesondere kri-
anzugehen und stattdessen das Urteil des Bundesverfas-                  tisiert, dass die Verlustnutzungsbeschränkung des § 8c
sungsgerichts (BVerfG) vom 10. April 2018 abgewartet.                   Satz 1 KStG die Grenzen der zulässigen Typisierung über-
      Die mangelnde Qualität der Gesetze lässt sich auch an             schritten hat, indem diese lediglich an die Übertragung von
den Urteilen des BVerfG ablesen (vgl. Abbildung 5). Dabei               mehr als 25 Prozent der Anteile anknüpft, ohne dass ein
mutiert das BVerfG immer mehr zum Impuls- und Ideengeber                tatsächlicher Missbrauch erkennbar ist.25 Nicht jede Anteils-
einer ansonsten statischen Steuerpolitik und zum „Repara-               übertragung ist per se missbräuchlich. Im Gegenteil dienen
turbetrieb“.22                                                          Anteilskäufe z.B. der Erweiterung des Geschäftsfeldes. Zwi-
                                                                        schenzeitlich hat der Gesetzgeber als Reaktion auf das Urteil
                                                                        des BVerfG die kritisierte Regelung des quotalen Verlustunter-
     • Unsicherheiten dürfen nicht zu Lasten des Steuer-                gangs aufgehoben – die Regelung zum vollständigen Verlust-
       pflichtigen gehen.                                               untergang (§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG) hingegen beibehalten.
     • Die Qualität der Gesetze muss im Interesse von mehr                    Der Generalverdacht der missbräuchlichen Steuer-
       Rechtssicherheit Priorität haben.                                gestaltung entspricht anscheinend auch zunehmend der
                                                                        öffentlichen Wahrnehmung. Dabei ist mitnichten jede Steu-
                                                                        ergestaltung missbräuchlich. Bei grenzüberschreitenden
                                                                        Sachverhalten ist Steuergestaltung oft die einzige Möglich-
                                                                        keit, erhebliche steuerliche Nachteile durch Doppelbesteue-
3.3         Paradigmenwechsel in der Steuer-
                                                                        rung zu vermeiden. Bei inländischen Sachverhalten basiert
            gesetzgebung
                                                                        die Möglichkeit, steuersparend zu agieren häufig sogar auf
                                                                        bewusstem gesetzgeberischem Willen (z.B. Privilegierung
Die deutsche Steuergesetzgebung ist derzeit stark auf den               von Betriebsvermögen im Erbschaftsteuerrecht). Eine Ver-
(potentiellen) Missbrauch ausgerichtet, d.h. die Gesetzge-              sachlichung der politischen Debatte wäre hier zuträglich. Eine
bung geht nicht in erster Linie vom ordentlichen Steuerpflich-          Besteuerung nach moralischem Empfinden ist mit dem
tigen aus, sondern vorrangig von demjenigen, der Steuern                Rechtsstaat nicht vereinbar.
vermeiden will.23 Diese Entwicklung ist – nicht nur, aber auch
– internationalen Entwicklungen wie dem BEPS-Projekt (Base
Erosion and Profit Shifting Project) der OECD (Organisation                • Das Steuerrecht bedarf eines Paradigmenwech-
for Economic Co-Operation and Development) und den                           sels: die Steuergesetzgebung darf den Steuer-
Schwierigkeiten bei der Besteuerung digitaler Geschäftsmo-                   pflichtigen nicht unter Generalverdacht stellen.
delle geschuldet.                                                          • Wirtschaftlich sinnvolles Verhalten darf nicht durch
      Diese Missbrauchsorientierung erscheint auf den                        das Steuerrecht behindert werden.
ersten Blick unbedenklich, schließlich basiert unser Steuer-               • Eine Besteuerung nach moralischem Empfinden ist
system und dessen Akzeptanz darauf, dass die Steuerlast                      mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar.
gerecht verteilt ist und sich keiner ungebührlich der steuer-

22   Vgl. Handelsblatt vom 10.04.2018.
23   Vgl. Bültmann (2016).
24   Vgl. Bültmann (2016).
25   Vgl. BVerfG (2017).

                                                                   11
Der Staat als Gesetzgeber                                                                                         Staatscompliance – Update 2018

                                                                              Beispiele hierfür sind:
3.4        Überregulierung vermeiden – die
           Anzeigepflicht für Steuergestaltungen                              • Lizenzschranke: über die BEPS-Empfehlung zu Aktions-
                                                                                punkt 5 „unfairer Steuerwettberb“ hinaus hat Deutschland
                                                                                mit Wirkung ab 2018 ein teilweises Abzugsverbot für Li-
Im Zuge zunehmender Internationalisierung und Digitalisierung                   zenzzahlungen zwischen verbundenen Unternehmen
nehmen internationale Vereinbarungen auch im Steuerrecht                        gemäß § 4j EStG in das Einkommensteuergesetz aufge-
an Bedeutung zu. Aus gutem Grund lassen sich doch viele                         nommen.27 Mit der Regelung soll die Verschiebung von
unerwünschte Verwerfungen und Probleme nur international                        Gewinnen mittels Lizenzzahlungen in Länder mit Steuer-
lösen. Der deutsche und auch der europäische Steuergesetz-                      vergünstigungen in Form von Patentboxen o.ä. verhindert
geber greift allerdings internationalen Entwicklungen gerne                     werden.
vor, um Standards zu setzen. Dies ist nicht immer sinnvoll,
denn der Steuerpflichtige kann so durch ungünstige steuer-                    • Digitalsteuer: Die EU-Kommission hat bereits im März
liche Regelungen und zunehmende Bürokratie belastet                             Pläne zu einer Digitalsteuer vorgelegt. Mittelfristig soll die
werden und im internationalen Vergleich einen Wettbewerbs-                      Besteuerung der digitalen Wirtschaft über eine digitale
nachteil erleiden. Der Staat wird hier seiner Aufgabe als fairer                Betriebsstätte ermöglicht werden. Mit den Plänen zur Di-
Rechtssetzer nicht gerecht und stellt sein Fiskalinteresse über                 gitalsteuer steht die EU bislang weitgehend alleine da.
legitime Interessen der Steuerpflichtigen.                                      Das Projekt erscheint verfehlt und droht Europa als Stand-
      Ein Beispiel ist das BEPS-Projekt. Dieses wurde ur-                       ort und die heimischen Unternehmen zu belasten. Es ist
sprünglich von der OECD ins Leben gerufen, um den Bestre-                       fraglich, ob digitale Geschäftsmodelle überhaupt per se
bungen internationaler Unternehmen zur Reduzierung der                          niedriger besteuert werden. Und wenn ja, ob diese nied-
steuerlichen Bemessungsgrundlage und zur Gewinnverlage-                         rige Besteuerung nicht auf einer bewussten steuerlichen
rung (Base Erosion and Profit Shifting) entgegenzuwirken. Auf                   Förderung innovativer Geschäftsmodelle durch Patentbo-
internationaler Ebene (OECD und G20) herrschte Einigkeit,                       xen, Forschungsförderung etc. beruht, die durch eine Di-
dass diesen Bestrebungen nur in internationaler Zusammen-                       gitalsteuer konterkariert würden und ob diese Digitalsteuer
arbeit Einhalt geboten werden kann. Die OECD hat daraufhin                      überhaupt die Unternehmen treffen würde, die wettbe-
einen Aktionsplan mit 15 Punkten erarbeitet und abgestimmt.                     werbsverzerrend vermeintlich zu wenig Steuern bezahlen.
Eine Pflicht zur Umsetzung besteht jedoch für die unterzeich-                   Abhilfe gegen Steuervermeidung schafft nur ein internati-
nenden Staaten lediglich für die sog. Mindeststandards.26 Zur                   onal abgestimmtes Vorgehen, etwa durch Durchsetzung
Umsetzung der ersten Aktionspunkte hat die EU die soge-                         von Umsatzsteueransprüchen und die Prüfung neuer Kon-
nannte Anti-Tax-Avoidance-Directive (ATAD) I und II auf den                     zepte wie das einer digitalen Betriebsstätte oder einer Da-
Weg gebracht, die nun in den Mitgliedsstaaten umgesetzt                         tensteuer.28
werden sollen. Bereits ATAD I und II gehen im Hinblick auf
die getroffenen Regelungen inhaltlich, aber auch in der zeit-                 • Country-by-Country Reporting: Das Country-by-Country
lichen Umsetzungsverpflichtung über den BEPS-Aktionsplan                        Reporting ist Teil des BEPS-Maßnahmenpakets (Aktions-
hinaus. Zusätzlich plant auch der deutsche Gesetzgeber Re-                      punkt 13) und beinhaltet die Erstellung länderbezogener
gelungen, die wiederum weiter greifen als die Pläne der EU                      Berichte über Gewinne, Steuern und Wirtschaftstätigkeit
– zum Nachteil der deutschen Steuerpflichtigen.                                 multinational tätiger Unternehmen zur Meldung an und

26 Zu den Mindeststandards zählen die Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken (Aktionspunkt 5), Verhinderung von Abkommensmissbrauch (Aktionspunkt 6),
   Country-by-Country Reporting (Aktionspunkt 13) Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit in Verständigungs- und Schiedsverfahren (Aktionspunkt 14).
27 Vgl. Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken in Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.06.2017 (BGBl. 2017 I, S. 2074).
28 Vgl. Fuest (2018) und Bültmann/Lenz (2018).

                                                                         12
Staatscompliance – Update 2018                                                                                               Der Staat als Gesetzgeber

  zum automatischen Austausch zwischen Steuerbehörden.                               chen sind z.B. der Erwerb verlustreicher Unternehmen
  Das Country-by-Country Reporting zum Zwecke des Aus-                               zur Nutzung der Verluste oder Ringgeschäfte durch
  tauschs zwischen Steuerbehörden kann der Offenlegung                               Einbeziehung zwischengeschalteter funktionsloser Un-
  von Steuervermeidung oder -verlagerung dienlich sein. Für                          ternehmen. Die allgemeinen und auch einige besondere
  den Steuerpflichtigen ist der Aufwand allerdings erheblich,                        Kennzeichen führen jedoch nur dann zu einer Melde-
  zumal das Formblatt der OECD zum Teil nicht auf beste-                             pflicht, wenn das Modell den „main-benefit“-Test erfüllt,
  hende Informationen zurückgreift, sondern die Daten vom                            d.h. der Nachweis erbracht werden kann, dass der oder
  Steuerpflichtigen extra ermittelt werden müssen. Verfehlt                          einer der Hauptvorteile des Modells das Erreichen eines
  ist jedoch der Ruf nach einem öffentlichen Country-by-                             Steuervorteils ist.
  Country Reporting in der EU bzw. in Deutschland. Werden
  sensible Daten nicht nur den Steuerbehörden, sondern der                         - Die Meldepflicht ist in zwei Stufen angelegt. Zunächst
  Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, ist dies aus mehrerlei                       erfolgt eine Meldung durch den Intermediär oder Steu-
  Hinsicht problematisch: Zum einen können sich Konkur-                              erpflichtigen an die nationale Steuerbehörde, dann soll
  renten Vorteile verschaffen. Zum anderen besteht Verhet-                           die Information vierteljährlich über eine zentrale Daten-
  zungspotential, wenn Steuerdaten ungefiltert und ohne                              bank mit den Mitgliedstaaten ausgetauscht werden. Ein
  Erklärung veröffentlicht werden.                                                   Verstoß gegen die Meldepflicht soll sanktioniert werden.

• Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestal-                            - Für Intermediäre, die nach nationalem Recht einem Be-
  tungen: Über die Empfehlungen der OECD hinaus gehen                                rufsprivileg unterliegen, gegen welches die Meldepflicht
  auch die Bestrebungen im Hinblick auf eine Anzeige-                                verstoßen würde (z.B. Rechtsanwälte, Steuerberater
  pflicht für Steuergestaltungen. Basierend auf dem nicht                            oder Wirtschaftsprüfer) besteht eine Befreiung von der
  verpflichtend umzusetzenden Aktionspunkt 12 des OECD                               Meldepflicht. Diese geht dann auf andere Intermediäre
  BEPS-Projekts zur Vermeidung aggressiver Steuergestal-                             bzw. den Steuerpflichtigen über.
  tung, hat sich die EU im März 2018 über die Einführung
  einer Anzeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestal-                         - Die Richtlinie ist bis zum 31.12.2019 durch die Mitglied-
  tungen für Intermediäre geeinigt und die entsprechende                             staaten in nationales Recht umzusetzen.
  Richtlinie im Mai 2018 verabschiedet:29
                                                                                • Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen: Be-
  - Gemäß der Richtlinie sollen sog. Intermediäre30 und                           reits die Richtlinie der EU ist höchst umstritten. Knack-
    Steuerpflichtige verpflichtet werden, den jeweiligen Steu-                    punkt ist unter anderem der Bestimmtheitsgrad bzw.
    erbehörden Informationen über bestimmte grenzüber-                            Unbestimmtheitsgrad der Regelungen. Um möglichst alle
    schreitende Steuergestaltungen zu melden.                                     auch noch nicht bekannten denkbaren Steuergestaltungen
                                                                                  zu erfassen, ist die Meldepflicht so weit gefasst, dass sie
  - Ob grenzüberschreitende Modelle meldepflichtig sind,                          notwendigerweise nicht bestimmt genug ist.31 Deutsch-
    bestimmt sich nach bestimmten allgemeinen oder be-                            land geht mit seinem Vorstoß bezüglich einer Meldepflicht
    sonderen Kennzeichen (sog. Hallmarks). Allgemeine                             für rein nationale Steuergestaltungen weit über die EU-
    Kennzeichen sind z.B. Modelle, bei denen der Steuer-                          Vorgabe hinaus. Die nationale Anzeigepflicht soll dem
    pflichtige zur Vertraulichkeit über das Modell verpflichtet                   Steuergesetzgeber zeitnah die Möglichkeit geben, auf be-
    wird oder wenn eine Beteiligung an der Steuerersparnis                        deutsame und insbesondere haushaltsrelevante Steuerge-
    für den Intermediär vereinbart wird. Besondere Kennzei-                       staltungen zu reagieren.32

29 Vgl. Europäische Kommission (2018).
30 Intermediäre sind Personen, die grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle konzipieren, vermarkten, organisieren oder zur Nutzung bereitstellen (vgl.
   Art. 1 Abs. 1 (b) 21 der Richtlinie).
31 Vgl. Osterloh-Konrad et al. (2016).
32 Vgl. Medien Information des Finanzministeriums Schleswig-Holstein vom 19.06.2018, https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/VI/Presse/PI/
   PDF/2018/180621_shareDeals.pdf?_blob=publicationFile&V>2, zuletzt abgerufen am 11.11.2018.

                                                                           13
Der Staat als Gesetzgeber                                                                          Staatscompliance – Update 2018

• Die Meldepflicht(en) sind aus mehrerlei Hinsicht abzuleh-           tigen, ohne ihnen im Gegenzug Rechtssicherheit und Pla-
  nen:                                                                nungssicherheit zu vermitteln. Wer dennoch eine nationale
                                                                      Anzeigepflicht befürwortet sollte die Umsetzung der EU-
  - Eine weitreichende Meldepflicht droht aufgrund der ho-            Richtlinie abwarten und von ersten Erfahrungen profitieren.
    hen Zahl an potentiellen Meldungen zu einem bürokra-              Bewährt sich die Regelung wider Erwarten, kann man sie un-
    tischen Ungetüm zu werden.                                        ter Umständen auf nationale Gestaltungen ausweiten.

  - Notwendigerweise ist eine weitreichende Meldepflicht
    unbestimmt und führt zu Rechtsunsicherheiten.
                                                                         • Keine nationale Anzeigepflicht für Steuergestal-
                                                                           tungen.
  - Um Mehrfachmeldungen zu vermeiden, müsste die
                                                                         • Keine überbordende Regulierung und keine Allein-
    Meldepflicht eng begrenzt werden und genau geregelt
                                                                           gänge bei Themen, die nur international abge-
    werden, wer eine Steuergestaltung melden muss. Eine
                                                                           stimmt sinnvoll gelöst werden können. Anderen-
    Beschränkung auf wenige relevante Modelle ist ge-
                                                                           falls drohen Wettbewerbsnachteile.
    setzlich wenig greifbar. Bereits der „main-benefit“-Test
    der EU-Richtlinie kann nicht verhindern, dass an sich
    vollkommen unbedenkliche steuerliche Gestaltungen
    meldepflichtig sind.

  - Der Bundesfinanzhof (BFH)33 und das Bundesverfas-
    sungsgericht (BVerfG) urteilen in ständiger Rechtspre-            3.5      Administrierbarkeit als Maßstab des
    chung, dass „es grundsätzlich jedem Steuerpflichtigen                      materiellen Steuerrechts
    freisteht, seine Angelegenheiten so einzurichten, dass er
    möglichst wenig Steuern zu zahlen hat.“34 Wird die Mel-
    depflicht zu weit gefasst, droht im Widerspruch zu dieser         Gesetzliche Regelungen müssen in der Praxis umsetzbar
    Rechtsprechung jegliche Steuergestaltung kriminali-               sein – mit vertretbarem administrativen Aufwand. An der
    siert zu werden.                                                  Komplexität steuerlicher Regelungen krankt zunehmend die
                                                                      Administrierbarkeit von Gesetzen. Der Gesetzgeber führt die
  - Die Haftung bei fehlerhafter oder unterbliebener Mel-             wachsende Komplexität regelmäßig auf die immer komple-
    dung ist problematisch.                                           xeren und internationaleren Lebenssachverhalte zurück,
                                                                      die dem Steuerrecht zugrunde liegen. Dieser Argumentation
  - Die bisherigen Steuersparmodelle waren längst be-                 kann jedoch nur bedingt gefolgt werden. Die Gesetze werden
    kannt, doch die Politik ist trotz Kenntnis – siehe cum-ex         vor allem deswegen immer komplexer, weil der Gesetzgeber
    – lange untätig geblieben. Es scheint daher unverhältnis-         versucht, durch ausufernde Regelungen Missbrauch zu anti-
    mäßig, eine zusätzliche nationale Anzeigepflicht in Kraft         zipieren und dem vermuteten Missbrauch Herr zu werden. So
    zu setzen, die die Steuerpflichtigen bürokratisch belastet        schafft er über Regelungslücken und Ähnliches immer neue
    und den Standort Deutschland weniger attraktiv werden             Einfallstore für Steuergestaltungsmöglichkeiten oder macht
    lässt. Die Relation zwischen Aufwand und möglichem                diese vielfach erst notwendig. Aufgrund der ausufernden
    Nutzen weist ein krasses Missverhältnis auf. Die Rege-            Missbrauchsgesetzgebung35 wird inzwischen wirtschaft-
    lung ist einseitig und bietet dem Steuerpflichtigen weder         lich sinnvolles Verhalten durch steuerrechtliche Regelungen
    die Rechtssicherheit einer verbindlichen Auskunft noch            be- oder gar verhindert. Dies erfolgt zum Nachteil der „or-
    effektiven Schutz vor Mehrbelastung (Zinsen o.ä.).                dentlichen“ Steuerpflichtigen – und im Übrigen auch der
                                                                      Verwaltung, die mit der äußert knappen Personaldecke den
Die geplante nationale Anzeigepflicht für Steuergestaltungen          ordnungsgemäßen Vollzug der Gesetze nicht gewährleisten
erscheint insgesamt verfehlt. Sie belastet die Steuerpflich-          kann.

33 Vgl. z.B. BFH (1964).
34 Vgl. BVerfG (1959).
35 Bültmann-Hinz (2018).

                                                                 14
Staatscompliance – Update 2018                                                                                            Der Staat als Gesetzgeber

      Ein Beispiel hierfür ist das neue Erbschaftsteuerrecht.                 oder nicht. Die Frage nach Steuergerechtigkeit und der ad-
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte die Vorgänger-                    äquaten Verteilung der steuerlichen Lasten wird sehr unter-
regelung insbesondere der Begünstigung der Übertragung                        schiedlich bewertet. In Deutschland ist die Besteuerung nach
von Betriebsvermögen als verfassungswidrig angesehen36                        der Leistungsfähigkeit, d.h. dass jeder nach Maßgabe seiner
und dem Gesetzgeber zum wiederholten Mal eine Neure-                          individuellen ökonomischen Verhältnisse zur Finanzierung
gelung aufgegeben. Der Gesetzgeber schreckte vor einer                        staatlicher Leistungen beitragen soll, als Ausfluss aus dem
umfassenden Reform zurück – zugunsten eines „minimalin-                       Gleichheitssatz des Art. 3 Grundgesetz, das vorherrschende
vasiven“ Eingriffs, der die bestehende Regelung nur insoweit                  Prinzip.37 Das bedeutet, dass die Einkommens- bzw. Vermö-
anpassen sollte, als sie das BVerfG beanstandet hatte. Dank                   gensverhältnisse für die Verteilung steuerlicher Lasten berück-
aufwändiger Unternehmensbewertungen, der neu hinzugetre-                      sichtigt werden. Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips
tenen Bedürftigkeitsprüfungen, komplizierten Abgrenzungen                     ist z.B. die Steuerprogression im Einkommensteuerrecht.
von verschonungswürdigem Vermögen, der erforderlichen                               Dieses im Grunde akzeptierte und etablierte Besteue-
Analyse gesellschaftsrechtlicher Regelungen und langen Vor-                   rungsprinzip führt allerdings immer dann zu Diskussionen,
und Nachbehaltensfristen ist die reformierte Erbschaftsteuer                  wenn es um steuerliche Entlastungen geht. Denn denknot-
inzwischen kaum noch handhabbar. Dies gilt insbesondere                       wendigerweise profitiert derjenige, der durch eine steuerliche
auch für die Verwaltung, die derart komplexe Regelungen                       Maßnahme besonders belastet wird, auch besonders von
kaum umsetzen kann und insbesondere mit den langen Vor-                       steuerlichen Entlastungen.
und Nachbehaltensfristen an die Grenzen ihrer Belastung ge-                         Ein Beispiel hierfür ist der Solidaritätszuschlag. Der
rät. Darunter leiden Rechtssicherheit und der Vollzug.                        Solidaritätszuschlag wird als Ergänzungsabgabe zur Einkom-
                                                                              mens- und Körperschaftsteuer erhoben (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6
                                                                              GG).38 Die (Wieder-)Einführung des Solidaritätszuschlags
                                                                              1995 war Teil des Maßnahmenpakets zur Abdeckung der be-
    • Echte strukturelle Reformen sollten im Hinblick auf
                                                                              sonderen finanziellen Belastungen der Wiedervereinigung.39
      Rechtssicherheit und Vollzug Vorrang haben.
                                                                              Obwohl der Solidaritätszuschlag per se nicht befristet und die
    • Kein Erlass nicht administrierbarer Gesetze für einen
                                                                              Mittelverwendung nicht zweckgebunden ist,40 hat die Politik
      glaubwürdigeren Gesetzgeber.
                                                                              bei Einführung41 und auch in den Jahren danach stets das
                                                                              Versprechen abgegeben, beim Solidaritätszuschlag hande-
                                                                              le es sich um eine vorübergehende Maßnahme. Auch aus
                                                                              der Gesetzesbegründung und der Konzeption des Art. 106
                                                                              Abs. 1 Nr. 6 GG ergibt sich, dass die Erhebung einer Ergän-
3.6        Gleicher Maßstab für alle –                                        zungszulage für einen konkreten Mehrbedarf gedacht ist und
           von Steuerprogression, Regression und                              nicht zur Deckung eines allgemeinen, strukturellen Mehrbe-
           Solidaritätszuschlag                                               darfs genutzt werden darf.42 Mit Auslaufen des Solidarpakts II
                                                                              ist zu erwarten, dass das Gericht seine Beurteilung ändern
                                                                              wird.43 Der Koalitionsvertrag sieht nun eine teilweise Abschaf-
Die Prinzipien der gewählten Besteuerungen sollten konse-                     fung des Solidaritätszuschlags für das Ende der Legislatur-
quent verfolgt werden. Der Gesetzgeber kann hier kein Rosi-                   periode vor. Dies ist aus mehrerlei Hinsicht problematisch.
nenpicken ausüben – je nachdem, ob ihm das Ergebnis gefällt                   Zum einen bricht die Politik ein gegebenes Versprechen, den

36 BVerfG Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136-255.
37 Demgegenüber steht das sog. Äquivalenzprinzip, wonach sich die Steuer nach dem Nutzen bemisst, den der einzelne Steuerpflichtige aus den staatlichen
   Leistungen zieht.
38 Auf Basis von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG kann der Bund zur Deckung eines zusätzlichen Finanzbedarfs eine Ergänzungsabgabe erheben, vgl. Kube (2017).
39 Vgl. BT-DS 12/4801.
40 Vgl. Kube (2017).
41 „[…] Die Bundesregierung schlägt deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 1995 einen – mittelfristig zu überprüfenden – Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und
   Körperschaftsteuer für alle Steuerpflichtigen vor […]“, vgl. BT-Drs. 12/4401, S. 51.
42 Vgl. Kube (2017).
43 Vgl. Kube (2017).

                                                                         15
Der Staat als Gesetzgeber                                                                               Staatscompliance – Update 2018

                                                                                                            Abbildung 6:
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                                                                                                            2018 Grundtabelle
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                              Durchschnittsteuersatz         Grenzsteuersatz

Solidaritätszuschlag nur vorübergehend zu erheben, darun-                gerechtfertigt, dass der Abgeordnete sich im Sinne der Ge-
ter leidet die Glaubwürdigkeit. Zum anderen ist eine fortge-             waltenteilung nicht für seine Ausgaben vor der Verwaltung
setzte Erhebung des Solidaritätszuschlags über 2019 hinaus               rechtfertigen soll. Dies kann man nachvollziehbar finden, in
verfassungsrechtlich nicht gedeckt. Zudem aber scheut die                jedem Fall ist es aber ein eklatanter Widerspruch zur son-
Politik vor allem die Umkehr der Steuerprogression. Wer die              stigen Nachweispflicht für Ausgaben und Werbungskosten.
Steuerprogression will, muss auch die Regression, d.h. die               Zumal es die Pauschale auch ermöglicht, Ausgaben steuer-
entsprechende progressive Entlastung, ertragen.                          frei zu finanzieren, die ansonsten in der Steuererklärung nicht
      Diese Diskussion zieht sich durch sämtliche Pläne zur              oder nur begrenzt abzugsfähig sind (z.B. Kinderbetreuungs-
steuerlichen Entlastung in der Einkommensteuer, sei es bei               kosten).
einer Erhöhung der Kinderfreibeträge, sei es bei Tarifkorrek-
turen. Derjenige, der mehr Steuern zahlt, profitiert spiegelbild-
lich von Entlastungen. Beim Solidaritätszuschlag wird dies                  • Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit be-
umso deutlicher, als geringe Einkommen von der Erhebung                       dingt eine entsprechende progressive Entlastung.
des Solidaritätszuschlags gänzlich befreit sind. Mit zwei-                  • Will die Politik die Systematik und Akzeptanz des
erlei Maß misst der Gesetzgeber auch bei der steuerfreien                     Steuersystems nicht in Frage stellen, muss sie beide
Kostenpauschale für Abgeordnete. Diese erhalten über ihre                     Prinzipien vertreten und konsequent durchsetzen.
Diäten hinaus eine steuerfreie Pauschale in Höhe von derzeit                • Das Rechtsstaatlichkeitsgebot erlaubt kein Rosi-
52.000 Euro im Jahr, z.B. zum Unterhalt eines Wahlkreis-                      nenpicken.
büros. Während der Steuerpflichtige über den Werbungs-                      • Die vollständige Abschaffung des Solidaritätszu-
kostenpauschbeitrag von 1.000 Euro hinaus jeden Betrag                        schlags ist zwingend notwendig, um glaubwürdig
einzeln belegen muss, haben Abgeordnete hier wesentlich                       zu bleiben.
mehr Spielraum. Die Steuer- und „Beleg“freiheit wird damit

                                                                    16
Staatscompliance – Update 2018                                                                                          Rechtssicherheit

4           Rechtssicherheit

„Jede neue Steuer hat etwas erstaunlich ungemütliches für             Pflichten geben. Dem Steuerpflichtigen darf die Regelbefol-
denjenigen, der sie zahlen oder auch nur auslegen soll.“              gung nicht unnötig erschwert werden. Das Steuerrecht bietet
                                          Otto von Bismarck           jedoch viel Auslegungsspielraum, so dass die Rechtslage
                                                                      für den Steuerpflichtigen auch unter Zuhilfenahme von Aus-
                                                                      legungshilfen und steuerlicher Beratung oft nicht klar erkenn-
4.1         Zwischenbilanz
                                                                      bar ist. Der Steuerpflichtige trägt dann das Auslegungsrisiko,
                                                                      verbunden mit ggf. erheblichen finanziellen Folgen. Verständ-
Die Prinzipien Rechtssicherheit und Berechenbarkeit                   lichere Gesetze und schnelle Rechtssicherheit in Zweifelsfäl-
staatlichen Handelns gehören zu den Grundwerten un-                   len ist für den Steuerpflichtigen daher von immenser Bedeu-
seres Rechtssystems. Es darf keine Zweifel über Rechte und            tung.

    Box 2:
    Zwischenbilanz Rechtssicherheit Staatscompliance 2016–2018

    Thema           Kritik/Forderung 2016              Neuere Entwicklungen               Bewertung der Rechtsentwicklung

    Normen-         Steuergesetze sind komplex         Keine Veränderung.                              Keine Veränderung.
    klarheit        und unverständlich. Rechtsun-
                    sicherheiten gehen zu Lasten
                    des Steuerpflichtigen, der die
                    Gesetze anwenden muss bevor
                    Interpretationshilfen zur Verfü-
                    gung stehen.

    Verwaltungs-    Verwaltungsvorschriften kon-       Weiterführende Erläuterungen                   Der umfangreiche, koor-
    vorschriften    kretisieren den Gesetzeswort-      und die Klärung von Einzelfra-                 dinierte Ländererlass zum
                    laut und legen in Zweifelsfragen   gen durch Erlasse zur Erläu-                   Erbschaftsteuergesetz ist ein
                    die Verwaltungsauffassung dar,     terung der Verwaltungsauffas-                  weiteres Beispiel, wie sinnhaft
                    bieten aber nicht die Rechts-      sung sind hilfreich, ersetzen      Verwaltungsanweisungen in Einzelfragen
                    sicherheit einer gesetzlichen      jedoch nicht den gesetzgebe-       sein können, dabei jedoch häufig über den
                    Regelung.                          rischen Willen und schaffen nur    gesetzgeberischen Willen hinausgehen.
                                                       bedingt Rechtssicherheit.

    Nicht-          Die Zulässigkeit der Praxis der    Im Regierungsprogramm 2013                      Das Thema der Nichtanwen-
    anwendungs-     Nichtanwendungserlasse, mit        war die Absicht verankert,                      dungserlasse scheint auf der
    erlasse         denen die Finanzverwaltung die     Nichtanwendungserlasse re-                      Prioritätenliste nach hinten zu
                    Grundsätze eines höchstrich-       striktiv zu handhaben. Dennoch                  rücken. Das Bundesfinanzmi-
                    terlichen Urteils als nicht über   ergingen weiterhin Nichtanwen-     nisterium hält weiterhin an der Praxis der
                    den entschiedenen Einzelfall       dungserlasse. Das Regierungs-      Nichtanwendungserlasse fest.
                    hinaus anwendbar erklärt, ist      programm 2018 behandelt die
                    höchst strittig.                   Thematik nicht.

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