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HNO Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie Deutsche Akademie für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie Elektronischer Sonderdruck für K. Kral Ein Service von Springer Medizin HNO 2014 · 62:367–373 · DOI 10.1007/s00106-013-2832-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 K. Kral · B. Streicher · I. Junge · R. Lang-Roth Phonologische Entwicklung bei Kindern mit Cochleaimplantat(en) Diese PDF-Datei darf ausschließlich für nichtkommerzielle Zwecke verwendet werden und ist nicht für die Einstellung in Repositorien vorgesehen – hierzu zählen auch soziale und wissenschaftliche Netzwerke und Austauschplattformen. www.HNO.springer.de
Originalien HNO 2014 · 62:367–373 K. Kral · B. Streicher · I. Junge · R. Lang-Roth DOI 10.1007/s00106-013-2832-y Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Uniklinik Köln, Online publiziert: 1. März 2014 Cochlear Implant Centrum Köln © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Redaktion P.K. Plinkert, Heidelberg Phonologische Entwicklung bei Kindern B. Wollenberg, Lübeck mit Cochleaimplantat(en) Phonologische Entwicklung zeitpunkten überwunden werden. Es tre- Beidseits gehörlose Kinder mit CI ten im Alter von 2;0–4;11 Jahren verschie- Grundlagen dene physiologische phonologische Pro- Aktuell liegen im deutschsprachigen zesse zur Vereinfachung der Aussprache Raum wenige Untersuchungen zur pho- Ein Phonem ist die kleinste bedeutungs- auf, wie z. B. die Tilgung unbetonter Sil- nologischen Entwicklung von Kindern unterscheidende Einheit [3, 10], und es ben (TUS: z. B. „Nane“ statt „Banane“) mit CI vor. Trotz einer guten technischen existieren im Deutschen 23 Konsonanten, oder die Reduktion von Konsonantenver- Versorgung und optimaler Einstellung der 13 Vokale und 3 Diphtonge [10]. Die pho- bindungen (RKV: z. B. „Tecka“ statt „Tre- Sprachprozessoren scheint die Sprachent- nologischen Systeme, auch aus derselben cker“). Hingegen liegt eine phonologische wicklung [14], insbesondere die phonolo- Sprachfamilie, unterscheiden sich teilwei- Verzögerung dann vor, wenn mindestens gische Entwicklung bei Kindern mit CI ei- se stark, sodass Untersuchungen zur pho- einer dieser Prozesse mindestens 6 Mo- nige Besonderheiten und eine hohe Varia- nologischen Entwicklung aus andersspra- nate länger besteht als im Normalkollek- bilität aufzuweisen [8]. In einzelnen Stu- chigen Ländern nur ansatzweise übertrag- tiv. Pathologische Prozesse sind Verein- dien, auch an deutschsprachigen Kin- bar sind [4]. fachungen, die in der regulären Sprach- dern, wird unter Berücksichtigung des Im Lauf der Sprachwicklung lernen entwicklung nicht vorkommen. Hierzu Lebensalters von Auffälligkeiten in der Kinder, die Einzellaute (Phone) der Mut- zählt exemplarisch die Rückverlagerung phonologischen Entwicklung berichtet. tersprache zu bilden, und das Lautinven- von Alveolaren (RVA: z. B. „Kelefong“ Bei Zugrundelegung des Höralters wur- tar des Kindes wächst an. Es lernt, Pho- statt „Telefon“). Zeigt das Kind mindes- de in 2 Untersuchungen mit normal hö- ne in Lautverbindungen zu verwenden, tens einen pathologischen Prozess, ist dies renden Kindern eine vergleichbare Ent- die in der Muttersprache vorkommen. Im nach Fox [10] eine konsequente phonolo- wicklung festgestellt [2, 15]. Dagegen lie- Anschluss werden die Objekt-Laut-Zu- gische Störung. Insbesondere die patholo- ßen sich in einer anderen Untersuchung ordnung und die Fähigkeit zur Bildung gischen Prozesse machen eine therapeu- die von Fox [9, 10] aufgeführten Alters- der Phone in der entsprechenden Rei- tische Intervention erforderlich [5]. Wei- angaben zur Überwindung der phonolo- henfolge in einem Wort erworben. Damit terhin kann eine inkonsequente phono- gischen Prozesse nicht ohne Einschrän- können die Phone nun phonemisch ein- logische Störung auftreten. Hierbei setzt kungen auf Kinder mit CI übertragen, gesetzt werden [10]. das Kind bei einem Wort eine wechselnde auch nicht bei Zugrundelegung des Hör- Nach Fox [10] ist das Phoneminventar Aussprache (z. B. für „Trecker“ die Äuße- alters [8]. Die phonologische Entwicklung im Deutschen im Alter von 4;6–4;11 Jah- rungen „Treta“ und „Teta“) ein [9]. war – bezogen auf das Höralter – verzö- ren vollständig erworben (bei Zugrunde- Zur Einschätzung der phonologi- gert, und einige Prozesse, wie die Reduk- legung des 90%-Kriteriums). Zuerst wer- schen Entwicklung hat Fox in Anleh- tion von Konsonantenverbindungen, Til- den die Phoneme /m/, /b/, /d/, /t/ und /n/ nung an Dodd für den deutschsprachi- gung von Konsonanten, Tilgung von Sil- erworben (1;6–1;11 Jahre), wohingegen gen Raum das Verfahren „Psycholingu- ben, Vorverlagerungen und Rückverlage- z. B. das /sch/ ein Laut ist, der erst später istische Analyse kindlicher Sprechstörun- rungen, traten gehäuft auf [8]. erworben wird (4;6–4;11 Jahre). gen“ (PLAKSS) entwickelt [9]. Dies er- In einer weiteren deutschsprachigen Im Verlauf der normalen Sprachent- möglicht die altersabhängige Überprü- Untersuchung wurde die Aussprache von wicklung zeigen Kinder phonologische fung der phonologischen Entwicklung. 24 schwerhörigen Kindern (gering- bis Prozesse, die zu unterschiedlichen Alters- hochgradig, davon 2 Kinder mit CI) mit HNO 5 · 2014 | 367
Originalien Tab. 1 Alter bei Erstanpassung zum Testzeitpunkt 1 auf den Befunden des eingebundenen So- Alter bei Erstanpassung Anzahl der Kinder Durchschnittswert des Lebensalters (Jahre; zialpädiatrischen Zentrums (SPZ), ausge- Monate) schlossen. 36 Monate 5 8;3 schen 1;3 und 10;4 Jahren auf (n=33, davon Anzahl der Kinder zum Zeitpunkt T1 nach Einteilung in 4 Altersgruppen bei Erstanpassung und Angabe des m=15, w=18). Das durchschnittliche Hör- durchschnittlichen Lebensalters zum Zeitpunkt der Testdurchführung. alter mit CI betrug 4;11 Jahre. Das jüngs- te Kind war zum Zeitpunkt der Erstan- Tab. 2 Anzahl der Kinder in den Gruppen 1, 2 und 3 zum Testzeitpunkt 0 und Testzeitpunkt 1 passung 5 Monate, das älteste Kind 5 Jah- Höralter zu T0 Anzahl der Kinder zu T0 Anzahl der Kinder zu T1 re alt. Die Altersverteilung zum Zeitpunkt Gruppe 1 2;0–2;11 Jahre 3 6 der Erstanpassung ist in . Tab. 1 darge- Gruppe 2 3;0–3;11 Jahre 10 12 stellt. Gruppe 3 4;0–4;11 Jahre 9 7 Es waren 14 Kinder zwei-, oder mehr- Anzahl der Kinder in den 3 Höraltergruppen zu T0 und T1, ausgehend von der Einteilung in die Höraltergruppen sprachig. Einseitig mit einem CI waren 2;0–2;11, 3;0–3;11 und 4;0–4;11 Jahre Höralter zu T0. 9%, beidseitig 65% und bimodal (mit Hör- gerät und CI) 26% versorgt. Die Implanta- 24 Kindern mit einer spezifischen Sprach- ein signifikant häufigeres Auftreten von te verteilten sich auf 3 Firmen: Advanced entwicklungsstörung (SSES) im Alter zwi- initialer Plosivierung, Reduktion finaler Bionics 9%, Med-El 26% und Cochlear schen 5;1 und 6;11 Jahren verglichen. Die Konsonanten, Reduktion initialer Konso- 65%. Alle Kinder erhielten nach Implan- Analyse der fehlgebildeten Laute der Kin- nantenverbindungen und Tilgung unbe- tation Hör-Sprach-Therapie nach audi- der mit einer geringgradigen Schwerhö- tonter Silben fest [7]. tiv-verbalen-Prinzipien. Zusätzlich wur- rigkeit ergab im Mittel 5, die der mittel- den einige Kinder sprachtherapeutisch/ gradig schwerhörigen Kinder 4 und die Studiendesign logopädisch gefördert. der hochgradig schwerhörigen Kinder 6 Die Gruppe T0 bestand aus 31 Kin- inkorrekt gebildete Laute. Die beiden Kin- Hypothese und Fragestellung dern zwischen 2;1 und 10;7 Jahren mit der mit CI hatten mit 8 inkorrekt gebilde- einem Höralter von 0;6–9;4 Jahren. Das ten Lauten die meisten Fehlbildungen. Im Die vorliegende Untersuchung soll klären, Kollektiv wurde in 3 Höraltergruppen Vergleich zu den Kindern mit einer SSES ob und in welchem Zeitraum Kinder mit (. Tab. 2) unterteilt. ergaben sich nahezu identische Häufig- CI phonologische Prozesse überwinden keiten von Fehlbildungen. Am häufigsten und welche Auffälligkeiten sich im Ver- Material und Methoden traten Ersetzungen (Substitutionen) und gleich zu hörenden Kindern zeigen. Es Auslassungen (Elisionen) auf. Bei den wird die Hypothese aufgestellt, dass Kin- Das Testmaterial PLAKSS [9] besteht aus schwerhörigen Kindern waren die Fri- der mit CI bezogen auf ihr Höralter eine einem Bildbenennungsverfahren mit 99 kative (Zischlaute) am meisten von einer verzögerte phonologische Entwicklung Items und einem 25-Wörter-Test zur Fest- Fehlbildung betroffen [12]. aufweisen. stellung einer phonologischen Inkonse- Eine amerikanische Studie verglich die Es wurde die Entwicklung der Aus- quenz. Das Wortmaterial entspricht dem phonologischen Muster von 6 Kindern sprache durch Testung mit der PLAKSS kindlichen Wortschatz und enthält alle mit CI mit der phonologischen Entwick- zu 2 Zeitpunkten analysiert. wesentlichen Laute und Lautverbindun- lung hörender Kinder (Spontansprach- gen der deutschen Sprache [9]. analysen). Die Autoren unterschieden Untersuchungskollektiv Die Testdurchführung wurden durch entwicklungsgemäße und nicht entwick- den Untersucher in der Untersuchungs- lungsgemäße Muster, die mit den physio- Ausgewertet wurden die Testergebnisse situation schriftlich festgehalten und ge- logischen und pathologischen Prozessen der PLAKSS aus den Jahren 2012 (T1) und filmt (Canon GL1 3CCD Mini DV Cam- nach Fox [9, 10] vergleichbar sind. Das 2010 (T0), die im Abstand von 15 Mona- corder). durchschnittliche Lebensalter der 6 Pro- ten erhoben wurden. Die Daten wurden In die Auswertung gingen die Video- banden betrug 5 Jahre, das Implanta- in der Routinenachsorge im Cochlear Im- aufnahme und die schriftlichen Aufzeich- tionsalter 2;4 Jahre, das Höralter 2;8 Jah- plant Centrum gewonnen. Eingeschlos- nungen der Untersucher ein, die durch 2 re. Es lagen sowohl entwicklungsgemäße sen wurden deutschsprachige (ein- oder voneinander unabhängige Untersucher als auch nichtentwicklungsgemäße Mus- mehrsprachig), beidseitig hochgradig, an ausgewertet wurde. Die aufgezeichneten ter vor. Das am häufigsten vorkommende Taubheit grenzend schwerhörige Kinder, Äußerungen des Kindes wurden mit der Muster war die „initiale Plosivierung“ und die ein- oder beidseitig mit einem CI ver- Mitschrift abgeglichen und mithilfe des bei den nichtentwicklungsgemäßen Mus- sorgt waren. Das Alter lag zwischen 2 und IPA (Internationales Phonetisches Alpha- tern die „regressive Assimilation“. Im Mat- 11 Jahren, Patienten mit bekannten geis- bet) transkribiert und in den Protokollbo- ched-Pair-Vergleich stellten die Autoren tigen Behinderungen wurden, basierend gen übertragen. Es wurden die im Manual 368 | HNO 5 · 2014
Originalien Zusammenfassung · Abstract angegeben Werte für hörende Kinder zur HNO 2014 · 62:367–373 DOI 10.1007/s00106-013-2832-y Auswertung verwendet und auf das jewei- © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 lige Höralter bezogen. K. Kral · B. Streicher · I. Junge · R. Lang-Roth Nach Auswertung der Daten erfolg- Phonologische Entwicklung bei Kindern mit Cochleaimplantat(en) te ein Vergleich mit den zuvor erhobe- nen Daten, um Veränderungen in den Zusammenfassung verschiedenen Altersgruppen über einen Hintergrund. In der Sprachentwicklung zei- dem Höralter (ab Zeitpunkt der Erstanpas- gen hörende Kinder verschiedene phonologi- sung gemessenes Alter) entsprechend. Die Zeitraum von 1;3 Jahren festzustellen. Die sche Prozesse, die zu unterschiedlichen Zeit- am häufigsten vorkommenden phonolo- statistische Auswertung erfolgte mit den punkten überwunden werden. Die Prozes- gischen Prozesse waren die Reduktion von Programmen: IBM SPSS Statistics 21 und se stellen Vereinfachungen in der Ausspra- Konsonantenverbindungen sowie Vorverla- Microsoft Office Excel 2007. che dar. Im deutschsprachigen Raum liegen gerungen. Im Vergleich hatten 83% der Pro- noch keine sicheren Daten vor, ob sich die- banden zu T1 weniger nicht höraltergemäße se Entwicklungsschritte auch auf gehörlose phonologische Prozesse als zu T0. Ergebnisse Kinder mit Cochleaimplantaten (CI) übertra- Schlussfolgerung. Die phonologische Ent- gen lassen. wicklung bei Kindern mit CI verläuft nicht Testzeitpunkt 1 Material und Methoden. Die phonologische höraltergemäß und strukturell anders als bei Entwicklung bei gehörlosen Kindern mit CI hörenden Kindern. In der Gesamtgruppe traten zwischen wurde mit der Psycholinguistischen Analyse 0 und 17 phonologische Prozesse (Me- kindlicher Sprechstörungen (PLAKSS) unter- Schlüsselwörter sucht und ausgewertet (Testzeitpunkt 1= T1, Cochleaimplantate · Phonologische dian: 3; 0,5–6) auf, die im individuel- n=33) und mit der im Jahr zuvor durchge- Entwicklung · Phonologische Prozesse · len Höralter der Kinder nicht mehr auf- führten PLAKSS-Diagnostik (Testzeitpunkt 0= Hörschädigung · Sprachentwicklung treten dürfen bzw. pathologische Prozes- T0, n=31) verglichen. se darstellen. Insgesamt 76% der Kinder Ergebnisse. Zu T1 war bei 76% der Gesamt- wiesen eine dem Höralter nicht entspre- gruppe die phonologische Entwicklung nicht chende phonologische Entwicklung auf, und bei 24% dieser auffälligen Kinder lag eine inkonsequente phonologische Stö- Phonological development in children with cochlear implant(s) rung vor. Die 5 häufigsten Prozesse zäh- Abstract len zu den physiologischen Prozessen: Re- Background. Normal-hearing children show did not correspond to their hearing age (as duktion von Konsonantenverbindungen signs of various phonological processes dur- measured from the time of the first CI im- (67%), Vorverlagerung (58%), Tilgung fi- ing language development. These process- plantation). The most frequently observed es represent simplifications of articulation, phonological processes were the reduction naler Konsonanten (39%), Sonosierung/ which are overcome at different time points. of consonant clusters and fronting. Howev- Entstimmung (24%) und Plosivierung For the German language, there are current- er, 83% of the group had fewer phonological (24%). Neben den verzögerten physiolo- ly no reliable data regarding whether these processes inappropriate to their hearing age gischen Prozessen zeigten sich auch ei- developmental stages also apply to deaf chil- at T1 than they did at T0. nige pathologische Prozesse. Hier traten dren with cochlear implants (CI). Conclusion. The phonological development insbesondere Vokalfehler (21%), Nasalie- Materials and methods. Phonological de- of children with CI is not equivalent to their velopment in deaf children with CI was ex- hearing age and is structured differently to rung (18%) und intrusive Vokale (18%) auf amined and evaluated with the PLAKSS (“Psy- that of normal-hearing children. (. Abb. 1). cholinguistischen Analyse kindlicher Sprech- 25 Kinder lassen sich in die 3 Höralter- störungen“). The results of this analysis (time Keywords gruppen einteilen (. Tab. 2). Höralter- of test 1= T1, n=33) were compared to those Cochlear implants · Phonological gruppe 1 weist im Median 4 Prozesse (2,5– of a PLAKSS diagnostic evaluation performed development · Phonological processes · 1 year previously (time of test 0= T0, n=31). Hearing impairment · Language 6), Höraltergruppe 2 im Median 7 Prozes- Results. At T1, 76% of the whole group development se (1,5–11,5) und Höraltergruppe 3 im Me- showed a phonological development that dian 2 phonologische Prozesse (0–5) auf. Im statistischen Gruppenvergleich zeigte sich im Kruskal-Wallis-Test kein signifi- kanter Unterschied zwischen den 3 Höral- gleich (Kruskall-Wallis-Test) keine Signi- Median 2,5, zuvor 6 nicht dem Höralter tergruppen (p>0,5). fikanz der Unterschiede (p>0,5). angemessene bzw. pathologische Prozes- In der Unterteilung nach Alter bei Erst- se vor (. Abb. 2). anpassung zeigt sich, dass die im 1. Le- Vergleich mit Testzeitpunkt 0 Bei 83% der Kinder kam es innerhalb bensjahr versorgten Kinder im Median von 15 Monaten zu einer Verbesserung. weniger auffällige Prozesse zeigen (Me- Der Vergleich der Anzahl der phonolo- Im Wilcoxon-Test war die Abnahme der dian: 1) als die 3 anderen Gruppen (12–24 gischen Prozesse im Abstand von 15 Mo- phonologischen Prozesse von T0 zu T1 auf Monate: Median 2,5; 25–36 Monate: Me- naten zeigte Folgendes: 24 Probanden der dem Niveau (p36 Monate: Median 3). Auch hier Gruppe zu T1 wurden bereits zu T0 mit gische Prozesse traten zu T0 bei 75% der zeigt sich im statistischen Gruppenver- der PLAKSS untersucht. Zu T1 lagen im Kinder auf, zu T1 nur noch bei 37,5%. 370 | HNO 5 · 2014
Auftretende phonologische Prozesse cken sich mit den Ergebnissen aus ande- ren Studien [2, 8, 15]. Anders als bei einer Reduktion von Konsonantenverbindungen Vorverlagerung ausschließlich verzögerten Entwicklung Tilgung finaler Konsonanten zu erwarten, traten tendenziell gehäuft Son/Ent Plosivierung Prozesse auf, die regulär früh überwun- Vokalfehler den wurden (. Abb. 2). Somit scheint Deaffrizierung Tilgung unbetonter Silben die phonologische Entwicklung bei Kin- Nasalierung dern mit CI auch strukturell anders zu Intrusive Konsonanten / Vokale Tilgung finaler Konsonantenverbindungen verlaufen. Frikativierung Es traten sowohl physiologische Pro- Tilgung initialer Konsonantenverbindungen zesse mit einer Verzögerung auf, als auch Rückverlagerung von Alveolaren Tilgung von Vokalen pathologische Prozesse, die daher als pho- Tilgung initialer Konsonanten nologische Störung zu betrachten sind. Rückverlagerung von Sibilanten Laterale Approximation Ein höheres Höralter scheint sich positiv Rückverlagerung von /t d n/ auf die phonologische Entwicklung aus- Glottale Ersetzung Tilgung betonter Silben zuwirken, so zeigten die Kindern in allen Onset Prozess 3 Höraltergruppen zu T0 im Mittel mehr Assimilation phonologische Prozesse als zu T1. Das be- 0% 20% 40% 60% 80% deutet, dass die Kinder mit CI zwar später als normal hörende Kinder einzelne Pro- Abb. 1 8 Verzögerte und pathologische phonologische Prozesse in prozentualer Häufigkeit zum Test- zeitpunkt 1. Physiologische Prozesse grün, pathologische Prozesse rot, Son/Ent Sonosierung/Entstim- zesse überwinden, sie aber dennoch hin- mung (Lebensalter der Kinder: 4;1–9;11 Jahre) ter sich lassen und nicht zwingend aus einer Verzögerung eine lang anhaltende Entwicklung der Prozessanzahl über 15 Monate Störung entsteht. Nach den Kriterien von n = 24 Fox [9, 10] wären viele Prozesse schon als 16 Verzögerung und damit als behandlungs- Min bedürftig zu betrachten. Im Hinblick auf 14 Median die nicht höraltergemäße phonologische Mittelwert 12 Entwicklung ist in einer weiteren Unter- Max suchung zu klären, ob die Kinder ein 10 homogenes oder heterogenes Profil auf Prozessanzahl anderen linguistischen Ebenen aufwei- 8 sen. In der Gruppe der Kinder, die unter 6 12 Monaten mit einem CI versorgt wur- den, war die phonologische Entwicklung 4 Abb. 2 9 Vergleich der am unauffälligsten. Diese Tendenz zeigt Anzahl der Prozesse sich auch in anderen Studien. Eine eng- 2 im Mittelwert, Medi- lischsprachige Studie, in der die Produk- 0 an, Minimum und Ma- tion von Lauten an verschiedenen Wort- T0 T1 ximum zu den Testzeit- positionen untersucht wurde, kam man punkten T0 und T1 zum Ergebnis, dass die Kinder, die vor dem 3. Geburtstag mit einem CI versorgt Die Reduzierung der phonologischen Diskussion wurden, sich im Bereich der Lautentwick- Auffälligkeiten (. Abb. 2) ist auch bei der lung innerhalb der ersten 2 Hörjahre na- Betrachtung der einzelnen Höraltergrup- Die Probanden wiesen eine große He- hezu vergleichbar mit hörenden Kindern pen (. Abb. 3) nachzuweisen. Aus den 24 terogenität in Bezug auf das Lebensalter entwickelten [6]. Der Zeitpunkt der Ver- Kindern des Gesamtkollektivs zu T0 und und das Alter bei Erstanpassung auf. Ein sorgung scheint somit auch für die pho- T1 entsprachen 19 Kinder der Einteilung Großteil der Kinder mit CI war, gemessen nologische Entwicklung eine entscheiden- der Höraltergruppen. Aufgrund der ge- am Höralter, in der phonologischen Ent- de Rolle zu spielen. ringen Probandenanzahl je Untergruppe wicklung nicht altersgemäß. Die Zeitfens- Eine weitere Frage ist, welche Faktoren wurden keine weiteren statistischen Be- ter der hörenden Kinder ließen sich nicht noch für eine nicht höraltergemäße pho- rechnungen durchgeführt. auf die Entwicklungszeitfenster der Kin- nologische Entwicklung bei Kindern mit der mit CI übertragen. Mit zunehmen- CI verantwortlich sind. So könnten die dem Höralter wurden auch zunehmend Verarbeitung der auditiven Signale und phonologische Prozesse überwunden. der Grad der auditiven Reifung eine Rolle Die hier beschriebenen Ergebnisse de- spielen. Nach Briscoe et al. [1] bestehen bei HNO 5 · 2014 | 371
Originalien Entwicklung in den drei Höraltergruppen higkeit und Tilgung finaler Konsonanten 16 aufweist. Andere Studien weisen auch da- rauf hin [6], dass der Erwerb der Auslau- Min te verzögert verläuft. Als Erklärungsan- 14 Median sätze wurden die schlechtere Hörfähigkeit Mittelwert von Auslauten sowie die häufig komple- 12 xere Aufführung diskutiert [6]. Auch auf Max die Bedeutung der Fähigkeit der Phonem- 10 diskrimination für die weitere Sprachent- Prozessanzahl wicklung wird verwiesen [14]. 8 In weiteren Untersuchungen sollte ge- zielt die phonologische Entwicklung früh mit einem CI versorgter Kinder (
Fachnachrichten 14. Ortmann M, Knief A, Deuster D et al (2013) Neural Leipziger Studie Einhaltung ethischer Richtlinien correlates of speech processing in prelingually de- afened children and adolescents with cochlear im- zu Langzeitfolgen von Krebs Interessenkonflikt. K. Kral, B. Streicher, I. Junge und plants. PLoS One 8(7):e67696. doi:10.1371/journal. R. Lang-Roth geben an, dass kein Interessenkonflikt pone.0067696 besteht. In Deutschland leben über 2 Millionen 15. Peter K (2010) Phonetisch-phonologische Sprach- entwicklung hörgeschädigter Kinder mit unter- Menschen, bei denen eine Krebsdiagnose Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen schiedlicher Versorgung. Forum Hals-Nasen-Oh- bis zu zehn Jahre zurückliegt. Die Spät- und Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustim- renheilkd 12:197–200 mung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang Langzeitfolgen einer Krebserkrankung 16. Stollman MH, Kapteyn TS, Sleeswijk BW (1994) Ef- mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration fects of time-scale modification of speech on the führen zu neuen Herausforderungen in der von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten speech recognition threshold in noise for hearing- Gesundheitsversorgung und in der Reha- Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten impaired and language-impaired children. Scand liegt eine Einverständniserklärung vor. bilitation. Nun startet ein dreijähriges For- Audiol 23:39–46 schungsprojekt, das die körperlichen und psychischen Spät- und Langzeitfolgen von Literatur Krebserkrankungen erfasst. Dazu sollen etwa 800 Menschen befragt werden, bei 1. Briscoe J, Bishop DV, Norbura CF (2001) Phonologi- denen die Krebsdiagnose 5 bzw. 10 Jahre cal processing, language and litracy: a comparison of children with mild to moderate hearing loss and zurückliegt. those with specific language impairment. J Child Psychol Psychiatry 42:329–340 „Bislang wissen wir noch zu wenig über 2. Buhler HC, DeThomasis B, Chute P et al (2007) An Analysis of phonological process use in young chil- die körperlichen und psychosozialen Lang- dren with cochlear implants. Volta Rev 107:55–74 zeit- und Spätfolgen der Erkrankung und 3. Bußmann H (2002) Lexikon der Sprachwissen- in welchem Ausmaß diese den Alltag der schaft, 3. Aufl. Kröner, Stuttgart 4. Caselli MC, Rinaldi P, Varuzza C et al (2012) Coch- Patienten beeinträchtigen“, sagt Prof. Anja lear implant in the second year of life: lexical and Mehnert, Leiterin der Sektion Psychosoziale grammatical outcomes. J Speech Lang Hear Res Onkologie an der Abteilung Medizinische 55:382–394 5. Dodd BJ, Iacano T (1989) Phonological disorders in Psychologie und Medizinische Soziologie children: changes in phonological process use du- der Universität Leipzig. ring treatment. Br J Disord Commun 24:333–351 6. Ertmer DJ, Kloiber DT, Jung J et al (2012) Consonat production accuracy in young cochlear implant re- Die Wissenschaftler interessiert, welche cipients: developmental sound classes and word onkologischen und psychoonkologischen position effects. Am J Speech Lang Pathol 21:342– Versorgungsangebote Krebspatienten 5 353 7. Flipsen P, Parker R (2008) Phonological patterns in bzw. 10 Jahre nach der Akutbehandlung the conversational speech of children with cochle- in Anspruch nehmen und wie zufrieden ar implants. J Commun Disord 41:337–357 sie damit sind. „Wir wollen herausfinden, 8. Fritz TA, Bekermann A, Lang-Roth R et al (2011) Phonologische Entwicklung hörgeschädigter Kin- wodurch die seelische und körperliche der mit Cochlea-Implantat im Höralter von 0 bis 9 Gesundheit nach einer Krebserkrankung Jahren. In: 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der gestärkt werden kann“, erklärt die Projekt- Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädau- diologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH, Zü- leiterin Dr. Heide Götze. rich, 09.-11.09.2011. Medical Science GMS Publi- shing House, Düsseldorf, Doc11dgpp05. https:// Das Projekt wird gefördert durch die Stif- egms.de/en/meetings/dgpp2011/11dgpp05. shtml tung Swiss Bridge. Die Stiftung unterstützt 9. Fox AV (2009) PLAKSS Psycholinguistische Analyse Projekte in der Onkologie, die darauf ab- kindlicher Sprechstörungen. Manual, 4. Aufl. Pear- zielen, die medizinische Versorgung von son Assessment & Information GmbH, Frankfurt/M 10. Fox AV (2009) Kindliche Aussprachestörungen, Krebspatienten zu verbessern. 5. Aufl. Schulz-Kirchner, Idstein 11. Grogan ML, Barker EJ, Dettmann SJ et al (1995) Quelle: Universität Leipzig, Phonetic and phonological changes in the connec- ted speech of children using a cochlear implantat. www.uni-leipzig.de Ann Otol Rhinol Laryngol 166(Suppl):390–393 12. 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