Energie & Umwelt Fukushima ohne Ende - 3 Jahre nach dem Super-GAU in Japan Atommüll: "Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist" Was der ...
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Energie & Umwelt Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 1/2014 Fukushima ohne Ende > 3 Jahre nach dem Super-GAU in Japan > Atommüll: «Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist» > Was der Atomstrom wirklich kostet
INHALTSVERZEICHNIS SCHWERPUNKTTHEMA: Fukushima und kein Ende 4 Fukushima: 3 Jahre nach dem Super-GAU Am 11. März 2011 bebte an der japanischen Ostküste die Erde. Die Folge: ein Tsunami, schwere Störfälle und insgesamt drei Kernschmelzen in den Reaktoren 1 bis 3 des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi. 150’000 Einwoh nerInnen mussten das Gebiet zum Teil dauerhaft verlassen. Die Regierung, die Behörden, der Betreiber Tepco und vor allem die Bevölkerung sehen sich auch nach drei Jahren mit gravierenden Problemen konfrontiert. 8 Japans Ex-Premier korrigiert seine atompolitischen Fehler Als Premierminister war Junichiro Koizumi ein eifriger Befürworter der Atomenergie. Heute ist er ein vehementer Gegner, der für diese Mission seinen Ruhestand opfert. Die Ursache seines Engagements ist nicht etwa die Havarie in Fukushima, sondern die ungelöste Atommüll-Frage. 10 Welche Zukunft hat die Atomenergie? Seit Fukushima gibt es ein AKW-Sterben – aber das gab es schon vorher. In den kommenden Jahren wird sich das noch akzentuierter zeigen, vor allem in den westlichen Industriestaaten und ganz speziell in Europa. Demgegenüber findet ein Ausbau der Atomenergienutzung nur ausserhalb der OECD-Länder, Impressum vor allem in China und Russland, statt. ENERGIE & UMWELT Nr. 1, März 2014 Herausgeberin: 12 Tiefenlagersuche: «Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist» Schweizerische Energie-Stiftung SES, Sihlquai 67, Viele und wesentliche Sicherheitsfragen zu den potenziellen Tiefenlagern sind 8005 Zürich, Telefon 044 275 21 21, Fax 044 275 21 20 nach wie vor nicht beantwortet. Für die SES ist klar: Die «Regionale Partizipa info @ energiestiftung.ch, www.energiestiftung.ch Spenden-Konto: 80-3230-3 tion» zu den Standorten für Oberflächenanlagen ist ein verkehrtes, verfrühtes Redaktion & Layout: Rafael Brand, Scriptum, Vorgehen. Findet via Regionalkonferenzen wirklich echte Mitsprache statt – Telefon 041 870 79 79, info @ scriptum.ch oder ist das Partizipationsverfahren nur Pseudo-Demokratie? Redaktionsrat: Jürg Buri, Rafael Brand, Tina Berg, Florian Brunner, 14 Die ewige Suche nach einem sicheren Endlager Felix Nipkow, Bernhard Piller, Katia Schär AKW produzieren immer weiter Strom und Atommüll, obwohl es auch nach Re-Design: fischerdesign, Würenlingen über 40 Jahren Forschung keine sichere Lösung für die Entsorgung von radio Korrektorat: Vreni Gassmann, Altdorf aktivem Abfall gibt. Die Suche nach einer Lösung und die unfassbar lange Zeit Druck: ropress, Zürich, Auflage: 10’700, erscheint 4 x jährlich dauer, bis der Müll für Mensch und Umwelt nicht mehr gefährlich ist, werden in einem neuen Kinofilm und einer Ausstellung thematisiert. Abdruck mit Einholung einer Genehmigung und unter Quellenangabe und Zusendung eines Beleg exemplares an die Redaktion erwünscht. 16 SES-Studie: Atomvollkosten – was der Atomstrom wirklich kostet Abonnement (4 Nummern): In der Diskussion um die Energiewende stehen die Kosten im Mittelpunkt. Oft Fr. 30.– Inland-Abo wird behauptet, die Erneuerbaren seien «teuer». Fakt aber ist: Erneuerbarer Fr. 40.– Ausland-Abo Fr. 50.– Gönner-Abo Strom ist heute schon billiger als Atomstrom. Wie eine SES-Studie zeigt, müsste eine kWh Atomstrom mindestens 16 bis 59 Rappen kosten. SES-Mitgliedschaft (inkl. E & U-Abonnement) Fr. 400.– Kollektivmitglieder Fr. 100.– Paare / Familien 18 Will Deutschland die Energiewende ausbremsen? Fr. 75.– Verdienende Kaum im Amt, präsentierte der neue deutsche SPD-Bundesminister für Wirt Fr. 30.– Nichtverdienende schaft und Energie, Sigmar Gabriel, die neuen Eckpunkte zur Reform der E&U-Artikel von externen AutorInnen können und Energiewende. Nur wenn die Förderbeiträge für erneuerbaren Strom gekürzt dürfen von der SES-Meinung abweichen. und die Betreiber von neuen Solaranlagen für den Eigenverbrauch zusätzlich Das E&U wird auf FSC-Papier, klimaneutral und mit zahlen, bleibe die Energiewende bezahlbar. erneuerbarer Energie gedruckt. 20 l News l Aktuelles l Kurzschlüsse l 22 Artikel-Serie: Wir sind Teil der Energiewende Schon während des Geographiestudiums wurde Sonja Lüthi vom Thema Energie gepackt und seitdem hat sie das Thema nicht mehr losgelassen. Seit ihrer Dissertation bis zur heutigen Arbeit bei der Energiefachstelle St. Gallen stehen die erneuerbaren Energien im Zentrum ihres Lebens. 2 Energie & Umwelt 1/2014
EDITORIAL Tschernobyl, Fukushima, Mühleberg? Von JÜRG BURI Das gibt Platz im Netz für den heimischen und sau Geschäftsleiter SES beren Wasser-, Wind- und Sonnenstrom, also Platz für die eigentliche Stromwende! Vor drei Jahren sind in Fukushi Aber auch dieser Frühling wird warm werden. Beson ma drei Reaktorkerne durchge ders im Kanton Bern. Dort kann die Bevölkerung am schmolzen. Noch heute fliesst 18. Mai per Volksabstimmung ihr uraltes Atomkraft radioaktives Wasser ins Meer. werk in Mühleberg endlich vom Netz nehmen. Ein Die Gefahr, dass die Brennelementbecken zusammen Ja ist eigentlich logisch wenn man bedenkt, dass die brechen, ist noch immer akut. Die Menschen rund um Abschalt-Ankündigung der BKW keine Verbindlichkeit Fukushima sorgen sich um ihre Kinder, insbesondere hat und die Sicherheitsmängel selbst unserer atom um die entarteten Zellteilungen in ihren Schilddrüsen. freundlichen Aufsichtsbehörde ENSI Angst machen. Ihre Häuser in der evakuierten Zone haben sie längst abgeschrieben. Ihre Jobs haben sie mehrheitlich verlo Uns bleibt zu hoffen, dass das Berner Volk die realen ren. Das Leben mit der unsichtbaren Strahlengefahr Gefahren in Mühleberg richtig einzuschätzen weiss macht müde und lähmt. Kann ich diesen Salat wirk und dem Hin und Her zwischen BKW und Atomaufsicht lich essen? Ist der Fisch in der Kinderkrippe meiner endlich ein Ende bereitet. Denn weder Bundesrätin Tochter wirklich nicht verstrahlt? In etwa so fühlt Leuthard noch das Parlament wollen die nuklearen sich heute das Leben rund um Fukushima an. Risiken unserer Oldtimer-AKW wirklich ernst nehmen und minimieren. Lieber haben sie blindes Vertrauen Die Hasel hat bei uns schon geblüht. Etwas zu früh, ins ENSI, eine Aufsichtsbehörde, die mit Wahr gerade als wir uns gegen die «Masseneinwanderung» scheinlichkeitsmodellen à la Finanzmarktaufsicht und für die moderne Sklaverei entschieden haben. Die funktioniert und so tut, als ob das mit Fukushima bau Abstimmung im zu warmen Winter führte auch zu gleiche AKW Flugzeugabstürze, schwerste Erdbeben frostigen Verhältnissen im Stromhandel. Die EU hat und grösste Hochwasser überstehen würde – und selber nach dem Verdikt gegen den Personenverkehr die weiss, dass dem nicht so ist. Verhandlungen über den freien Elektronenverkehr mit der Schweiz sistiert. Das hat nicht nur die Tempe Wir geben Fukushima und seinen Opfern in diesem ratur bei den Stromhändlern ins Fiebrige getrieben. Heft Platz, damit sie nicht vergessen gehen. Im Ge Auch höchste Beamte sahen plötzlich gar die hiesige genzug verlangen wir vom Parlament ein neues Kern Stromwende in Gefahr. energiegesetz ohne Gummiformeln und mit Laufzeit begrenzung. Damit verhindern wir, dass Mühleberg Gut kommt bald der Frühling. Und eigentlich auch oder Beznau in der Weltpresse plötzlich ganz gross gut, wenn die dreckigen und billigsten Überschuss raus kommen. elektronen aus den deutschen und französischen Gross kraftwerken nicht mehr so billig in die Schweiz und Ich wünsche Ihnen viel Frühling. < in unsere Pumpspeicher transportiert werden können. Energie & Umwelt 1/2014 3
DIE LAGE IN FUKUSHIMA IST NOCH NICHT UNTER KONTROLLE Fukushima: 3 Jahre nach dem Super-GAU Am 11. März 2011 bebte an der japanischen Ostküste die Erde. Die Folge: Ein Tsunami, schwere Störfälle und insgesamt drei Kernschmelzen in den Reaktoren 1 bis 3 des Atom- kraftwerks Fukushima Daiichi. 150’000 EinwohnerInnen mussten das Gebiet zum Teil dauerhaft verlassen. Die Regierung, die Behörden, der Betreiber Tepco und vor allem die Bevölkerung sehen sich auch nach drei Jahren mit gravierenden Problemen konfrontiert. Von FLORIAN BRUNNER Vertuschungen, Lügen, Lecks, neue Gefahren wie Projektleiter Atomenergie&Strom Taifune und Erdbeben, Probleme mit den Wasser kreisläufen und der Kühlung der Abklingbecken sowie Kostensteigerungen. Drei Jahre nach der Katastrophe in Fukushima sind die schlimmsten Befürchtungen wahr Tepco1, die Betreibergesellschaft der havarierten geworden: Die Behörden haben die Lage noch Atomreaktoren in Fukushima, sieht sich mit vielen immer nicht im Griff. Vorwürfen über Vertuschungsmanöver und Lügen Hat nach dem Erdbeben die Notabschaltung konfrontiert (siehe Textbox), sodass nun auch die noch funktioniert und konnte wegen der Unterbre japanische Aufsichtsbehörde NRA an der Fähigkeit chung der Kühlkreisläufe die anstehende Kettenreak des Tepco-Managements zweifelt, AKW sicher zu tion gestoppt werden, so waren die darauffolgenden betreiben. Finanziell befindet sich das Unternehmen – durch den Tsunami ausgelösten – Störfälle mehr fast am Boden. Die andauernde Pannenserie bei den heitlich nicht mehr zu bewältigen. Es ist hinlänglich Aufräumarbeiten kostet Unsummen. Hinzu kommen bekannt, dass die bei einer Kettenreaktion entstehen steigende Kosten für Erdöl- und Gasimporte, mit de Strahlung und die Spaltprodukte in hohen Dosen denen Tepco die (Energie-)Verluste aus den stillgelegten für Mensch und Tier schon nach kurzer Zeit tödlich AKW kompensiert. Aber auch die erneuerbaren sein können oder langfristig Krebs auslösen. Deshalb Energien, in die Tepco nicht investiert, verspüren in muss eine Kettenreaktion im Reaktor von der Umwelt Japan nun ein wenig Aufwind. So wurde auf dem abgeschirmt werden – was in Fukushima noch immer Meer ein erster riesiger Solarpark gebaut. nicht gelungen ist. Seit dem folgenschweren Desaster in Fukushima sind Über die Behörden, die Kosten mittlerweile alle 50 Reaktoren im Lande ausser und fehlende Experten Betrieb. Tepco braucht dringend Geld. Die Betreiber Die drei Jahre nach der nuklearen Katastrophe beim gesellschaft hat sich durch die Atomruine bereits AKW Daiichi waren geprägt von Pleiten und Pannen: Verluste von 27 Milliarden Dollar eingehandelt und ist immer wieder auf Geldspritzen aus Steuermitteln angewiesen. Das Unternehmen ist mittlerweile weit gehend verstaatlicht und sieht sich mit hohen Kosten für die Beseitigung der Schäden in Fukushima sowie für Entschädigungen konfrontiert. Die Entschädigungs zahlungen für die 150’000 Menschen und die Auf räumarbeiten bei der Atomruine sind durch die Geld sorgen von Tepco akut gefährdet. Wie in der Schweiz haben auch in Japan AKW keine Haftpflichtversiche rungen, die den Namen verdienen. Letztlich bezahlen also der Staat bzw. die SteuerzahlerInnen. In welchem Bereich die Kosten für die Aufräumar beiten liegen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Da die Kosten bei einem nuklearen Unfall jeweils Foto: Fabian Biasio über einen sehr langen Zeitraum anfallen, ist deren Berechnung sehr schwierig. Ein halbes Jahr nach der Katastrophe rechnete die japanische Regierung mit Kosten von über 50 Milliarden Franken – ohne die Messstelle einer NGO: Eine Strahlenkarte zeigt die radioaktive Verseuchung in Fukushima. Entsorgung der Abfälle, die gesundheitlichen Spätfol 4 Energie & Umwelt 1/2014
Foto: Wikimedia (US Navy) Matrosen dekontaminieren das Schiff beim Einsatz vor der Küste Japans. gen sowie die Dekontamination mit einzuberechnen. Schneider warnt in einem der wenigen unabhängigen Für Letztere schätzt die japanische Forschungsorga und globalen Atomberichte (World Nuclear Industry nisation AIST2 die Kosten auf 53 Milliarden Franken Status Report4) vor den weiteren Entwicklungen und (die Regierung ging für diese Arbeiten von 9 Milliar Gefahren in Fukushima. Ein Problem sei vor allem, den Franken aus). Mycle Schneider, unabhängiger dass die Regierung und die Aufsichtsbehörde die Nuklear- und Energiepolitik-Experte, bezeichnet die Firma Tepco alleine vor Ort arbeiten lassen. Tepco ist von der japanischen Regierung erwarteten Kosten ein Stromversorgungsunternehmen und kein Spe als «Witz». Die Schäden werden die genannte Zahl zialist für Aufräumarbeiten in einer hoch kontami zweifellos übersteigen. nierten Desasterzone. Bei der anstehenden Stilllegung des AKW in Fukushima wird nun deutlich, dass Japan « Auch wenn noch niemand die genauen Kosten grundsätzlich total überfordert ist und dass das tech nische Know-how für die Aufräumarbeiten fehlt. Ein voraussagen kann: Tatsache ist, es wird letzten Endes eine astronomische Summe sein. » Grund dafür ist unter anderem der Mangel an Ex perten. Und weil Japan vor allem die Probleme mit dem radioaktiv verseuchten Wasser nicht in den Griff Ebenfalls kurz nach der Katastrophe wurden denn die bekommt, wurden nun erstmals auch internationale Gesamtkosten für die Aufräumarbeiten von der Non- Experten um Hilfe gebeten. Für die weitere Zukunft profit-Forschungsinstitution JCER3 auf 180 Milliarden könnte es jedoch kritisch werden, was die Fachleute Franken geschätzt. Und der japanische Ökonom und betrifft, die im zerstörten Kraftwerk arbeiten können. Professor Masatake Uezone der Universität Shimane So werden die meisten demnächst ihre Strahlen schliesslich geht gar von Gesamtkosten (ohne Erd höchstdosis erreichen. Eine internationale Task-Force, beben und Tsunami) von bis zu 940 Milliarden Franken bestehend aus den besten Wissenschaftlern der Welt, aus, je nachdem wie gross die Gebiete sind, die man ist dringend erforderlich. dekontaminieren muss und wer wie lange Entschä digungszahlungen erhalten soll. Auch wenn noch 1 Tokyo Electric Power Company niemand die genauen Kosten voraussagen kann: 2 National Institute of Advanced Industrial Science and Technology Tatsache ist, es wird letzten Endes eine astronomische 3 Japan Center for Economic Research Summe sein. 4 Siehe auch: www.worldnuclearreport.org Energie & Umwelt 1/2014 5
Foto: Noriko Hayashi / Greenpeace Radioaktiver Müll (Erde, Dreck, Gras) wird zwischen Wohnhaus und Strasse zwischengelagert. Grosse Gefahren rund ums Wasser onnen radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer, bis T Fukushima birgt für die Stilllegung viele hoch kom 2015 insgesamt über 600’000 Tonnen. Dieses treibt plexe Herausforderungen. So ist etwa das Dreifache über den Pazifischen Ozean direkt auf die US-West der in Tschernobyl freigesetzten Menge an Radio küste zu. Deshalb hat das US-Gesundheitsministerium aktivität aus den drei zerstörten Reaktorkernen aus 14 Millionen Jod-Tabletten bestellt (um die Schild gewaschen worden. Diese befindet sich nun in über drüsen vor der Aufnahme von Radioaktivität zu 400’000 m3 Wasser. Die Lagerung, Behandlung und schützen). Die in Fukushima freigesetzte Radioaktivität Entsorgung solcher Mengen kontaminierten Wassers könnte das Leben entlang der gesamten Westküste stellt eine enorme Herausforderung dar, der Tepco Nordamerikas noch jahrzehntelang negativ beeinflus kaum gewachsen ist. Immer wieder wird von Pleiten sen. Bereits heute beklagen sich US-Matrosen, die und Pannen berichtet und die Fakten sind beängsti auf einem Flugzeugträger vor der Küste Japans den gend. Seit Beginn der Katastrophe werden Millionen Opfern zu Hilfe eilten, über negative Auswirkungen Liter verstrahltes Wasser (auch ausgewaschenes oder auf ihre Gesundheit wie Krebs und Schilddrüsen- zur Kühlung der Brennelemente der Reaktoren ver Erkrankungen. Verseuchtes Meerwasser ist während wendetes und kontaminiertes Wasser) in Tanks auf des Einsatzes in das Versorgungssystem des Schiffs dem Gelände zwischengelagert – Tanks, die immer geflossen, damit wurde nicht nur geduscht, es wurde wieder lecken. Dabei treten mehrere Tonnen an auch gefiltert und getrunken. Die Matrosen verklagen radioaktiv kontaminiertem Wasser unkontrolliert nun das Betreiberunternehmen Tepco aufgrund ihrer aus den Lagertanks aus. Dieses gelangt in den Keller Krebserkrankungen. der Reaktoren und vermischt sich mit dem ebenfalls hoch radioaktiv verseuchten Grundwasser, welches Schwierige Aufräumarbeiten von unten hineindrückt. Und täglich kommt neues Die starke Strahlung erschwert die Aufräumarbeiten Wasser hinzu. rund um die Reaktoren. Gegen Ende des Jahres 2013 wurde beim AKW Fukushima in Proben, die aus « Die in Fukushima freigesetzte Radioaktivität könnte das dem Grundwasser entnommen wurden, eine Rekord- Strahlung gemessen. Im November 2013 wurde ausser Leben entlang der gesamten Westküste Nordamerikas noch jahrzehntelang negativ beeinflussen. » dem nach einiger Verzögerung mit dem bislang ge- fährlichsten Schritt beim Rückbau begonnen. Wegen akuter Erdbebengefahr müssen 400 Tonnen radio Das Wasser stellt in Fukushima das grösste Problem aktiver Brennstoff geborgen werden. Die Bergung dar. Aus undichten Stellen fliessen jeden Tag 300 der 1500 gebrauchten und ungebrauchten Brennele 6 Energie & Umwelt 1/2014
Foto: Fabian Biasio Ewig werden die Plastiksäcke nicht halten: vorläufiges Zwischenlager für verstrahlte Erde. mente aus dem schwer beschädigten Reaktorblock 4 ärten von Wohnhäusern oder in vorläufigen Lagern G ist ein äusserst riskanter und gefährlicher Prozess, bei aufgetürmt unter freiem Himmel. dem absolutes Neuland betreten wird. Tepco versuchte dies zwar als Routinearbeit darzu Die Lügen der Betreiber und Behörden stellen, die Bergung gleicht jedoch eher einem atoma ren Drahtseilakt. Denn die Brennelemente liegen Immer wieder wurde gelogen, um das Ausmass der Katastrophe herunterzuspielen. zum Teil ineinander verkeilt in den beschädigten In einem Bericht von Tepco und der Aufsichtsbehörde am 15.3.11, also vier Tage Abklingbecken, die bei einem weiteren Erdbeben nach der Katastrophe, wurde behauptet, es hätte keine Kernschmelze gegeben, obwohl es bereits am Abend des 11.3.11 in drei Reaktoren zum Super-GAU ge einzustürzen drohen. Ein schwerwiegendes Unfall kommen war. szenario und Risiko während der Bergung besteht Und in Zukunft wird es wohl noch schwieriger zu erfahren sein, was sich in der darin, dass die hochgradig radioaktiven Brennele Atomruine von Fukushima überhaupt abspielt(e), denn Ende 2013 wurde das Ge- mente versehentlich an die Luft gelangen, dabei heimhaltungsgesetz eingeführt, das die Sicherheit von AKW zur Verschlusssache können sie sich entzünden und gigantische Mengen macht. Das japanische Parlament hat trotz grosser Proteste aus der Bevölke- Radioaktivität freisetzen. Allerdings sind die gebrauch rung dem neuen Gesetz zugestimmt. Damit werden von nun an zum Schutz der ten Brennelemente mittlerweile so weit abgekühlt, nationalen Sicherheit Verletzungen von bestimmten Geheimnissen hart bestraft. dass die Nachzerfallswärme nicht mehr ausreicht, Es wird befürchtet, dass Informationen über die Atomenergie und vor allem über eine erneute Kettenreaktion auszulösen. Da die ganze die Atomkatastrophe in Fukushima nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen und Aktion jedoch in den verstrahlten Reaktoren stattfin noch mehr vertuscht werden. det, müssen die Arbeiter mehrere Schichten Schutz kleider und Handschuhe tragen, was bei der heiklen Bedienung der Bergungskräne nicht gerade hilfreich Wie weiter ist. Insgesamt soll die Bergung etwa ein Jahr dauern. Es bleibt noch viel zu tun in Fukushima und in Japan. Unzählige Fragen bleiben offen: Wohin mit dem Die Aufräumarbeiten beinhalten auch die Dekonta verseuchten Wasser? Kann man den Behörden und minierung der obersten Schichten von Böden bzw. Betreibern glauben? Ist die Ruine vor einem weiteren Landflächen wie Reisfelder und Gärten. Wo und wie Erdbeben geschützt? Wer zahlt die ganzen Aufräum die verseuchte Erde und der anfallende Schutt zwischen arbeiten? Und vor allem: wohin mit dem Atommüll? gelagert werden sollen, ist nach wie vor unklar. Momen Fukushima hat uns gezeigt: AKW sind hochgefährlich tan geschieht dies meist direkt in den Wohngebieten, und der Ausstieg aus dieser Art der Energieproduktion etwa 1 Meter unter dem Boden vergraben in den muss schleunigst vollzogen werden. < Energie & Umwelt 1/2014 7
AKW-GEGNER IN JAPAN Japans Ex-Premier korrigiert seine atompolitischen Fehler Als Premierminister war Junichiro Koizumi ein eifriger Befürworter der Atomenergie. Heute ist er ein vehementer Gegner, der für diese Mission seinen Ruhestand opfert. Die Ursache seines Engagements ist nicht etwa die Havarie in Fukushima, sondern die ungelöste Atommüll-Frage. Von KATIA SCHÄR und KAORI TAGIKAWA* lager Onkalo – finnisch für Versteck – in Olkiluoto. Für eine sichere Lagerung von hoch radioaktivem Müll für 100’000 Jahre ist es konzipiert, aber Koizumi Rechtsnational und neoliberal, ein Verehrer von zeigte sich alles andere als begeistert. Für ihn sind Wagner, erklärter Fan von Elvis und Freund von George die Zeiträume, mit denen für die Endlager gerechnet W. Bush. Ein extrovertierter Politiker, der auch schon werden muss, jenseits jeglicher Vorstellungskraft und mit «Hitler vor der Nazizeit» verglichen worden ist – viel zu lange. Ein Projekt dieser Tragweite müsse be das ist Junichiro Koizumi, der während seiner Amts gleitet werden. «In 300 Jahren soll die Sicherheit zeit nie da gewesene Popularitätswerte erreicht hat. nochmals neu bewertet werden», zitiert ihn die Tages Der heute 72-jährige Ökonom reihte nach einer einzigen zeitung Mainichi Shinbun. «Bis dann sind aber alle Niederlage als 27-jähriger Neuling einen politischen heute noch Lebenden tot.» Erfolg nach den anderen, stieg die Karriereleiter empor und wurde 2001 zum Premierminister ge Belogen und betrogen wählt. Er, der in seinem Leben kaum anderes als Poli Ein vergleichbares Projekt zum finnischen Endlager tik gemacht hat, verkündete nach fünfeinhalb Jahren sei in Japan, geologisch und geografisch, nicht reali Amtszeit, Politik sei nicht sein einziger Lebensinhalt, sierbar. «Es gibt keinen Ort in Japan, wo wir unseren legte sein Amt nieder und übernahm erst Jahre später Müll lagern können. Die einzig denkbare Option ist wieder eine «öffentliche» Aufgabe. also die ‹Null-Atomstrom-Lösung›.» Der Ex-Premier, der einst propagierte, nur durch Atomstrom könne Koizumi fordert den sein Land die klimarelevanten C02-Emissionen redu Atomausstieg zieren, fühlt sich heute von den Energieversorgungs Nach sieben Jahren ohne politische unternehmen belogen und betrogen. Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom/Agência Brasil Auftritte gelangt Koizumi seit letz tem Jahr wieder an die Öffentlich «Experten haben uns gesagt, Atomkraft sei sicher, keit. Er hat eine neue Mission: Der sei günstig und der einzige Weg, wenn wir auf Kohle einst dogmatische Verfechter der verzichten wollen – und wir haben ihnen all die Jahre Atomenergie, während dessen Amts geglaubt», ereiferte er sich in einem Interview mit der zeit vier neue AKW ans Netz gingen, «Morgensonne-Zeitung». Kein Land dürfe Atomkraft wendet sich gegen den amtieren produzieren, ohne ein Endlager für hoch radioaktiven den Premierminister Shinzo Abe, Müll zu haben, sagte er in einer Rede in Nagoya vor dessen politischer Mentor er einst 2500 Zuhörern. Und im Erdbebenland Japan sei ein war, und fordert den sofortigen solches zu bauen unmöglich. Auch politisch: Die ja Junichiro Koizumi, Japans Ex-Premier Atomausstieg. panische Regierung hat in der Vergangenheit bei den Gemeinden nachgefragt, wer denn eine Endlagerstätte Koizumis Wandlung vom Saulus zum Paulus – hier ist haben wolle. Keine hat sich gemeldet. Jetzt werde der dieser Vergleich wirklich angebracht – steht durch Staat Standorte bestimmen, entschied die Regierung aus im Zusammenhang mit dem Super-GAU in Fukshi letzten Dezember. ma Daiichi. Diese «elende Realität» hat ihn schockiert, aber nicht zu einer Rückkehr in die politische Öffent Nicht zögern, eigene Fehler zu korrigieren lichkeit bewogen. Auslöser war letztlich eine Fernseh Koizumi, der als Politiker für seine Prinzipientreue dokumentation des staatlichen Fernsehsenders NHK bekannt war, sagt heute: «Man soll nie zögern, eigene über die Endlagerung von Atommüll. Koizumi begann Fehler zu korrigieren.» Japan müsse und könne sich zu recherchieren und begab sich schliesslich im letz ohne Atomstrom weiterentwickeln. Das sei kein un ten Sommer mit Vertretern der AKW-Konstrukteure möglicher, sondern ein umsetzbarer Traum, den etwa Toshiba, Hitachi und Mitsubishi auf eine Reise nach Deutschland – das er ebenfalls im Sommer besucht Finnland. Ihr Ziel: das sich im Bau befindliche End hat – bereits verwirkliche, schreibt Koizumi seinem 8 Energie & Umwelt 1/2014
politischen Weggefährten Morihi ro Hosokawa. Und wann sei der Moment günstiger als jetzt, wenn alle AKW vom Netz seien. «Japan ist das einzige Land mit Atomkraft werken, von denen kein einziges in Betrieb ist – und das dennoch nicht stillsteht», proklamierte er dieser Tage in Tokio. Zurzeit schliesst Japan seine Lücke in der Energieversorgung mit der Einfuhr von Gas für ihre teilweise eingemotteten Wärmekraftwerke. Gas ist allerdings in Japan doppelt so teuer wie in Europa – und als Folge davon ist Japans einst vor bildliche Handelsbilanz ins Minus Foto: Masatake Uezono gerutscht. Dies ist auch für Koizu mi kein Zustand. Er jedoch setzt auf die Erneuerbaren: «Wenn in Europa schon so viel erneuerbarer Strom produziert wird, kann Japan das auch.» Friedlich Demonstrierende für die Energieautonomie-Initiative in der Präfektur Shimane. Erneuerbare sollen Atom- strom ersetzen orden, beobachtete der langjährige Atomgegner und w Japan könne seinen Atomstrom komplett durch er ehemalige Botschafter Japans in der Schweiz, Mit neuerbare Energien ersetzen und aufhören, Atom suhei Murata. Anstelle des Anti-AKW-Kandidaten Mo müll zu produzieren, davon ist er überzeugt. Selbst rihiro Hosokawa wurde der Atombefürworter Yoichi wenn die kühnsten Vorstellungen über moderne Masuzoe gewählt. Technologien wahr würden, dank derer die Strahlung des Mülls zeitlich enorm reduziert werden könnte – Koizumis Chance auf politische Unterstützung seiner die Zeiträume blieben immer zu riesig, um ein End Kampagne «Atomkraft – Nein danke» ist vorerst ge lager kontrollieren zu können. Und es würde an der scheitert. Er bedauert es. Aber Koizumi gibt nicht auf: Tatsache nichts ändern, dass ein Endlager in Japan «Ich kämpfe weiter für ein AKW-freies Japan.» < niemals realisiert werden könnte. * Kaori Tagikawa lebt in Bern, ist Fachjournalistin und schreibt über Energie und Japan. Koizumi, der nie mehr zurück in die Politik möchte, hat sich ein politisches Ziel gesetzt: die Japane Anti-AKW-Bewegung in Japan: ein Beispiel aus Shimane rinnen und Japaner vom Atom Im zentralistischen Japan erlaubt die Verfassung den Präfekturen eine mehrheitlich autonome Selbstver- ausstieg zu überzeugen. Ein hehres waltung und Gesetzgebung. Darauf stützt sich die Anti-AKW-Bewegung «Bürgernetzwerk AKW und Ener- und eigentlich gar nicht so unmög giethemen Shimane» der gleichnamigen Provinz im Südosten des Landes. Sie fordert ein regionales Gesetz liches Ziel, denn laut einer Umfrage für die Energieautonomie, das sich vor allem am Atomaustieg und am Ausbau der Produktion erneuerbarer der Presseagentur Kyodo sind 60 % Energien orientiert und die Weichen für eine energieeffizientere Gesellschaft stellt. der Japaner gegen das Wiederauf Vor allem die 200’000 EinwohnerInnen der Präfekturhauptstadt Matsue fühlen sich durch die Nähe der fahren der Reaktoren. beiden Reaktoren des Atomkraftwerks Shimane, nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt, zunehmend unsicher. Doch nichts gelernt? Anfang Februar, als es darum ging, Bei der Bevölkerung fällt das Anliegen auf fruchtbaren Boden: Innerhalb von zwei Monaten hat die Anti- bei der Wahl des Gouverneurs der AKW-Bewegung über 90’000 Unterschriften gesammelt – achtmal mehr, als für eine solche Initiative erfor- derlich ist. «Die Gesetzesvorlage stösst auf grosse Sympathie. Fast alle, die wir mit unserer Aktion erreichen Präfektur Tokio die politischen Wei konnten, haben unterschrieben», erzählt Takehiko Hobo, Vorsitzender des Bürgernetzwerks. Die Region chen dafür zu stellen, hatten jedoch wolle ihr Energiekonzept selbst festlegen. die Probleme der Atomenergie und die Folge der Reaktorkatastrophe Nun liegt der Ball beim Parlament, denn das politische Instrument der Volksinitiative und eine direkte De- bei den Wählern nicht mehr erste mokratie wie in der Schweiz gibt es in Japan nicht. Hobo hat aber wenig Hoffnung: «Gouverneur und Par- Priorität. Auch in den Medien sei lament möchten die Energiepolitik nicht autonom regeln, sondern den Kurs der Zentralregierung halten.» Und die fährt bekanntlich nicht mehr zwingend auf der Atomausstiegsschiene. Diese Aktion ist Teil einer extrem wenig über die Unfall- ganzen Reihe von Versuchen von Bürgerinitiativen, ein Anti-AKW-Gesetz durchzubringen – alle ohne Erfolg. reaktoren in Fukushima berichtet Energie & Umwelt 1/2014 9
WELCHE ZUKUNFT HAT DIE ATOMENERGIE? Gibt es ein AKW-Sterben nach Fukushima? Ja klar! Seit Fukushima gibt es ein AKW-Sterben – aber das gab es schon vorher. In den kommenden Jahren wird sich das noch akzentuierter zeigen, vor allem in den westlichen Industrie- staaten und ganz speziell in Europa. Demgegenüber findet ein Ausbau der Atomenergie- nutzung nur ausserhalb der OECD-Länder, vor allem in China und Russland, statt. Von BERNHARD PILLER bevölkerung mit der grünen Atomausstiegsinitiative SES-Projektleiter noch die Möglichkeit, eine Laufzeitbeschränkung von 45 Jahren einzuführen. Vernünftigerweise müsste man davon ausge Das etwas zögerliche Vorgehen beim Atomabschied hen, dass nach einem solch katastrophalen nach einem Atomunfall konnte schon früher beo Atomunfall wie am 11. März 2011 in Fukushi bachtet werden. Als Folge des GAUs am 26. April 1986 ma weltweit die Anzahl der sich in Betrieb in Tschernobyl stieg nur Italien definitiv und real aus befindlichen AKW von Jahr zu Jahr drastisch der Nutzung der Atomenergie aus, am 1. Juli 1990 zurückgehen sollte. Dem ist aber nicht so. Einzig war der Ausstieg vollzogen und die vier italienischen Deutschland hat nach Fukushima den beschlossenen Reaktoren abgestellt. Atomausstieg massiv beschleunigt. Waren vor März 2011 in Deutschland noch 17 Reaktoren am Netz, Der Atomabschied der alten Welt sind es heute nur noch neun. Am 31.12.2022 wird der Doch das AKW-Sterben findet trotzdem statt. Die letzte Reaktor abgeschaltet sein. Bedeutung der Atomenergie sinkt nämlich weltweit In der Schweiz hat die Regierung bisher nur einen ganz unabhängig von Fukushima seit vielen Jahren, «Atomausstieg light» beschlossen, also ohne verbind vor allem in der EU. Von den Anfang 2014 weltweit liche Abschaltdaten, sondern nur mit einem vorläu 431 in Betrieb stehenden AKW stehen 322 in den figen Verbot von Neubauten. Das muss vom Parla westlichen Industriestaaten Europas, Nordamerikas ment noch bestätigt werden. Letztlich hat die Stimm sowie in Japan und Südkorea. Und die Atomenergie wird weiter an Bedeutung verlieren, denn in diesen Ländern, in denen diese bis anhin eine dominante Rolle gespielt hat, gibt es heute nur gerade 13 Reaktor-Neubaustellen (Südkorea 4, USA 3, Slowakei und Japan je 2 sowie Frankreich und Finnland je 1). Die restlichen 109 Reaktoren befinden sich in Schwellenländern wie China oder Russland, in denen teils Diktaturen oder Pseudodemokratien herrschen. Und dort stehen die übrigen 50 sich im Bau befind lichen Reaktoren. Das AKW-Sterben kann mit weiteren Zah len belegt werden: In der EU27 plus CH Foto: Paul Langrock/Zenit/Greenpeace waren Anfang dieses Jahres 131 Reaktoren in Betrieb. Das Maximum mit 177 Reak toren war im Jahr 1989. Seit 1990 wurden immerhin 64 AKW vom Netz, aber nur 18 neue ans Netz genommen. In den letzten 24 Jahren wurden also drei Mal mehr Reaktoren abgestellt als neue in Betrieb genommen – auch wenn man die in Deutschland nach Fukushima abgeschal Das AKW Biblis in Deutschland: abgeschaltet und stillgelegt nach Fukushima im März 2011. teten acht Reaktoren abzieht. 10 Energie & Umwelt 1/2014
Setzt sich diese Entwicklung fort, wird die Bedeutung eitere abgeschaltet werden. Wie der schweizerische w der Atomenergie in den klassischen Industriestaaten leidet der amerikanische AKW-Park an Überalterung. in den kommenden Jahren weiter rasch abnehmen. Die 100 Reaktoren weisen ein Durchschnittsalter Neben den Atomausstiegsbeschlüssen von Deutsch von gut 34 Jahren auf, ein Fünftel davon ist älter als land, Belgien und Spanien wird die Zahl der AKW in 40 Jahre. den kommenden zehn Jahren wegen des hohen Alters vieler AKW in den USA, in Grossbritannien und Frank Ganz wichtig: Es gingen in den letzten Jahren prak reich nochmals markant sinken. Denn das Durch tisch keine Neuen ans Netz. Nur vier seit 1990 und schnittsalter der heute weltweit in Betrieb stehenden seit 1996 kein einziges mehr. Zwar lagen im Mai 2013 AKW liegt bei stattlichen 29 Jahren. bei der amerikanischen Atomsicherheitsbehörde NRC 18 Zulassungsanträge für insgesamt 28 Reaktoren auf Lange Bauzeiten dem Tisch. Ob und wann diese je realisiert werden, Die zum Teil sehr lange Bauzeit bei neuen AKW kann steht jedoch in den Sternen. Das würde auch ganz im Moment die Abwärtsentwicklung nicht aufhalten. schön teuer. Denn auch in den USA erleben die neuen Die durchschnittliche Bauzeit der 34 AKW, die welt Erneuerbaren inzwischen einen veritablen «Take off». weit zwischen 2003 und Juli 2013 neu in Betrieb gin Insofern ist klar, dass der Atomstromanteil in den gen, betrug 9,4 Jahre. In Europa wird in nächster USA auch in den kommenden Jahren sinken wird. Im Zukunft kaum ein AKW schneller gebaut werden. 1995 lag er beim Maximum von 22,5 %, heute liegt er Olkiluoto, der sich in Bau befindliche EPR-Reaktortyp bei 19 %. in Finnland, ist seit 2005, Flamanville in Frankreich Auch Grossbritannien gehört zu den Ländern mit seit 2007 im Bau; beide werden frühestens 2016 in Be dem ältesten AKW-Park, und so ist es kein Wunder, trieb gehen. In der gesamten EU sind momentan nur dass sich die konservative Regierung neue Reaktoren gerade vier AKW im Bau. Alle weiteren in der EU wünscht. Grossbritannien zählt aber auch zu den geplanten AKW (4 in Grossbritannien, in Rumänien Ländern mit dem höchsten Anteil stillgelegter und Tschechien je 2 und je 1 in Bulgarien und Frank Reaktoren – 29 an der Zahl. Nur 16 Reaktoren sind reich) sind vom Spatenstich weit entfernt. Eine Reali noch in Betrieb, und elf davon werden noch bis 2020 sierung der fünf osteuropäischen ist höchst unsicher. vom Netz genommen! Ob und wann die Neubaupläne Zurzeit sind die Planungsarbeiten sistiert – wegen der britischen Regierung wirklich realisiert werden, fehlender Wirtschaftlichkeit und weil diverse Projekt bleibt aber abzuwarten (siehe Textbox). partner ausgestiegen sind. Es gab und gibt ein AKW-Sterben, bereits vor Fuku Zwei Beispiele shima. Aber Aussterben wird die Spezies leider Die USA bauen ebenfalls ihren Atompark ab, aber trotzdem nicht. Die Zukunft der Atomenergie liegt in sehr langsam: Heute sind nur noch 100 Reaktoren am China, Indien und Russland. Dort stehen zwei Drittel Netz, 1990 waren es noch 108 Reaktoren. Erst letztes der AKW-Baustellen – und weitere neue Atomkraft Jahr gingen drei Reaktoren definitiv vom Netz. Es ist werke sind geplant. Die Risiken werden die gleichen jedoch absehbar, dass in den kommenden Jahren hohen sein! Tschernobyl lässt grüssen ... < Grossbritannien plant und subventioniert Atomkraftproduktion von heute 12 Gigawatt auf 75 Gigawatt gesteigert Atomkraft-Renaissance werden, meint Andrew Sherry, Leiter des Dalton Nuclear Institute der University of Manchester. Grossbritannien war einst Champion in der industriellen Nutzung von Atomenergie: 1957 eröffnete die Queen höchstpersönlich das weltweit Der Widerstand gegen das neue AKW ist bescheiden: Selbst South West erste AKW im Nordwesten Englands. Jetzt strebt die britische Regie- Against Nuclear (SWAN) bleibt seit Ankündigung des Deals mit EDF rung erneut einen Rekord an: In Hinkley Point, südwestlich von Bristol, ruhig. Generell sind in Grossbritannien die AtombefürworterInnen den ist ein neues AKW geplant, das mit rund 24 Milliarden Franken die -gegnerInnen weit überlegen. Und so ist auch David Camerons zweiter höchsten Baukosten pro jährlich p roduziertem Megawatt aus nicht Streich, im Rahmen des Infrastruktur-Investitionsplanes 2013 zwölf erneuerbaren Quellen haben wird – und die längste Bauzeit dazu. Milliarden Franken für den Bau eines neuen AKW im walisischen Wylfa aufzuwenden, gern gesehen. Der Minister für Wales, David Jones, sieht Und mit Rekordverdächtigem geht es weiter: Energie de France (EDF), darin einen enormen wirtschaftlichen Gewinn für die Gegend, nament- die das AKW baut, soll über die nächsten 35 Jahre einen garantierten lich wegen der Schaffung von Arbeitsplätzen. Allerdings stellt sich Abnahmepreis von rund 140 Franken pro Megawattstunde erhalten. schon heute die Frage, wo die 3500 Bauarbeiter wohnen sollen – und Eine Megawattstunde wird in England zurzeit für 72 Franken gehan- die Ansässigen fürchten, dass die Kosten für Immobilien explodieren delt. Analysten nennen dies einen «ökonomischen Wahnsinn». Da zu- würden. Auch der Strom aus Wylfa wird staatlich subventioniert werden: sätzliche 15 Milliarden Franken Kreditbürgschaft ausgerichtet werden, Die Regierung Cameron hat einen Fixpreis, welcher der Inflation hat EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger diesen Handel auch angepasst werden wird, von 135 Franken pro Megawattstunde garan schon als Rückschritt in die Sowjetzeiten bezeichnet. tiert. D iese m assive Unterstützung des Atomstroms könnte Gross Die Begründung für Grossbritanniens Atomrenaissance, zumindest britannien bei seiner Atom-Renaissance allerdings zum Verhängnis in Bezug auf den Bau von Hinkley Point C, ist grün: Erklärtes Ziel ist, werden: Zurzeit prüft die EU, ob dies überhaupt noch mit den Regeln bis 2050 den CO2-Austoss um 80% zu vermindern. Dazu müsse die für staatliche Beihilfen konform ist. Katia Schär Energie & Umwelt 1/2014 11
DIE TIEFENLAGER-SUCHE: ECHTE MITSPRACHE ODER NUR PSEUDO-DEMOKRATIE? «Ehrlich bleiben bei dem, was ungeklärt ist» Viele und wesentliche Sicherheitsfragen zu den potenziellen Tiefenlagern sind nach wie vor nicht beantwortet. Für die SES ist klar: Die «Regionale Partizipation» zu den Standorten für Oberflächenanlagen ist ein verkehrtes, verfrühtes Vorgehen. Findet via Regional konferenzen wirklich echte Mitsprache statt – oder ist das so genannte Partizipations verfahren nur Pseudo-Demokratie? Das E&U hat nachgefragt. Von RAFAEL BRAND der SES – ist das Partizipationsverfahren zu den Ober flächenanlagen-Standorten ein verkehrtes, verfrühtes Vorgehen. Als 1978 am Wellenberg erste Sondierboh Die Schweizerische Suche nach einem Atommüll rungen erfolgten, hiess es seitens der Nagra, kristal lager gilt – international gesehen – heute als lines Gestein sei für ein Endlager am besten geeignet. vorbildhaft. Mit dem Atomausstieg und weil der Nun ist die sicherste Lösung der Opalinuston. Das zeigt: Bau von neuen AKW vom Tisch ist, besteht kei Welches die sicherste Lösung, das beste Wirtgestein, nerlei Druck für eine schnelle (Schein-)Lösung. der beste Standort ist, ändert sich – und ist nicht zu Im Gegenteil: Oberste Priorität hat noch immer, letzt auch eine Frage des politischen Widerstands. dass die beste und sicherste Lösung gefunden wird! Ein Atommülllager also, das grösstmögliche Sicher Werden über die Regionalkonferenzen also vor allem heit und Flexibilität in Aussicht stellt, nach neustem die Fühler ausgestreckt, um herauszufinden, wo ein Wissensstand modifizierbar und für die zig Generati Tiefenlager politisch machbar ist? Bringen die RKs onen, die nach uns folgen, fair und vertretbar ist. echte Mitsprache, ist die Suche nach einem Tiefen Denn Atommüll ist und bleibt für die unbegreifbare lager überhaupt ergebnisoffen? Zeitdauer von 1 Million Jahre gefährlich. Was bringen die Regionalkonferenzen? Nagra: Wir wissen wie entsorgen «Offiziell geht es darum, den sichersten Standort für Für die Nagra ist die Entsorgungsfrage gelöst: «Wir ein Tiefenlager zu finden. Viele RK- Mitglieder haben wissen, wie wir (..) radioaktive Abfälle entsorgen und aber kein echtes Vertrauen in den Prozess. In Sicher wie wir ein sicheres Tiefenlager bauen können. Alle heitsfragen begegnen sich Regionen und Experten entscheidenden sicherheitstechnischen Fragen sind nicht auf Augenhöhe», erklärt Othmar Schwank, vor beantwortet», heisst es auf der Nagra-Website. Ja, der mals Geschäftsführer, nun Prozessbegleiter der Regio Bundesrat hat die Entsorgungsnachweise 1988 und nalkonferenz Südranden (SH): «Die Regionen müssen 2006 gutgeheissen. Doch die Entsorgung ist alles an sich auf einen oder mehrere am wenigsten ungeeignete dere als gelöst (siehe Textbox). Standorte für Oberflächenanlagen festlegen, bevor Bevor zentrale Sicherheitsaspekte zu den möglichen weitere, wichtige Abklärungen zu den Tiefenlagern Tiefenlagern nicht geklärt sind – so die klare Meinung erfolgt sind. Das Pferd wird so vom Schwanz her auf gezäumt.» Doch die Regionalkonferenzen haben für Othmar Schwank durchaus auch positive Aspekte: Regionale Partizipation: Im Januar 2012 hat die Nagra 20 mögliche Standorte «Das Verfahren ist grundsätzlich ein offenes. Mit für Oberflächenanlagen vorgeschlagen. Gemeinden und Betroffene können im sprache ist möglich, aber natürlich nur in begrenztem Rahmen von so genannten Regionalkonferenzen nun ihre Fragen und Standpunkte Ausmass wie im Sachplan definiert.» einbringen. Geprüft werden raumplanerische und sozioökonomische Aspekte. Für Lukas Spuhler, Mitglied k züri und der RK Nörd lich Lägern, stehen Aufwand und Ertrag der Regional Atommüll xy ungelöst konferenzen in keinem Verhältnis: «Das Verfahren Für die SES ist klar, dass – angesichts der vielleicht nie abschliessend zu beant- dient vor allem dazu herauszufinden, wo ein Tiefen wortenden Sicherheitsfragen – die Überwachung dauerhaft und die Rückholbar- lager politisch möglich ist, respektive der Widerstand keit des Atommülls stets gewährleistet sein muss! am kleinsten ist.» Trotzdem sieht Lukas Spuhler eben Die SES hat deshalb im Dezember 2011 – unterzeichnet durch viele weitere falls einige positive Aspekte: «Über die Regionalkonfe Organisationen – die 12 wichtigsten, ungelösten Fragen der Schweizer Atommüll renzen wird viel Fachwissen verbreitet. In der Bevöl entsorgung aufgelistet (Download unter www.energiestiftung.ch). Eine Vielzahl kerung finden über die Parteigrenzen hinweg wichtige von Sicherheitsaspekten wie die Gas- und Wärmeentwicklung, die Alterung und und dringend notwendige Diskussionen statt.» Undichtigkeit der Behälter sowie Fragen zum Einfluss des Lagerbaus auf den Jean-Jacques Fasnacht, im Vorstand von klar! Schweiz Opalinuston und zur Überwachung sind bis dato ungenügend berücksichtigt und und RK-Mitglied Zürich-Nordost, kritisiert vor allem, beantwortet. Das Nagra-Konzept möchte das Lager nach 50 Jahren Überwachung dass bezüglich der Sicherheit der potenziellen Tiefen für immer zu verschliessen. lager die notwendigen Informationen nach wie vor 12 Energie & Umwelt 1/2014
fehlen und wesentliche Fragen unge klärt sind. «Meine Hoffnung und mein Ziel ist es, dass solche offenen Sicher heitsfragen via Regionalkonferenzen in den Entscheidprozess einfliessen und vielleicht bessere Lösungen im Auge be halten werden.» Der Nagra und den in volvierten Stellen attestiert und traut Jean-Jacques Fasnacht durchaus eine gewisse Öffnung und Veränderung der Denkweise zu. Ergebnisoffen bleiben Die Hoffnungen und Befürchtungen der Regionalkonferenzen bringt schlies lich Martin Ott, Leiter der Fachgruppe Sicherheit der RK Zürich Nord-Ost, wie folgt auf den Punkt: «Das Partizipations verfahren muss dazu dienen, dass die Diskussion eine ergebnisoffene bleibt und die Suche nach einem Tiefenlager Vertrauliche Nagra-Aktennotiz AN 11-711 zu einem demokratisch-partizipativen Die von der SonntagsZeitung am 7.10.2012 erstmals veröffentlichte vertrauliche Aktennotiz zeigt auf Seite 13 das Prozess wird. Es gibt positive Anzeichen. Planungsszenario «Ausblick ES (Explorationsstragie) Standortwahl: Bohrprogramm». Die Frage aber bleibt, ob die Verant STOP-Zeichen signalisieren, dass bei Nördlich Lägern (AG/ZH) und Südranden (SH) weitere, geologische Unter- wortlichen fähig sind, unsere Anliegen, suchungen abgebrochen werden. An den Standorten Zürich-Nordost (Benken im Zürcher Weinland) und Jura-Ost (Bözberg) hingegen sollen nach weiteren Bohrungen Rahmenbewilligungsgesuche für ein Lager für hoch aktive Fragen und Argumente aufzunehmen. Abfälle (HAA) und ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) eingereicht werden. Die Nagra erklärte Diese müssen ehrlich bleiben bei dem, der SonntagsZeitung gegenüber, die Aktennotiz habe keine detaillierte Planung zum Inhalt, das Planungsszenario was ungeklärt ist.» < sei lediglich ein modellhafter Ablauf mit hypothetischen Resultaten. Kurzinterview mit Pastor Eckhard Kruse, Endlager-Beauftragter der evangelischen Landeskirche Hannover E&U: Sie befassen sich seit über 20 Jahren mit dem Atommülllager Wellenberg voraus, dem die Nidwaldner in Gorleben und sind für die Landeskirche Hannover Endlager-Beauf- Stimmberechtigten mit 51,9% Nein-Stim- tragter: Warum beschäftigt Sie das Thema derart intensiv? men eine Absage erteilten. Ich habe die Ar- « Die Endlager-Frage wird häufig nur aus technischer Sicht betrachtet. Oft beit der kantonalen Fachgruppe Wellenberg interessiert verfolgt und konnte nachvollzie- wird vorausgesetzt: Was wir können, das dürfen wir auch. Mein Zugang ist von der ethischen Fragestellung her. Ein Endlager wird jede kommende Ge- hen, dass bei der Abstimmung 2002 die Zahl neration betreffen. Es geht also darum, die Menschen zu schützen, auch die der Nein-Stimmen auf 57,7% gestiegen ist. Menschen kommender Generationen, denen der Atommüll auf eine Million In der Schweiz wurde daraufhin ein neues Verfahren auf den Weg gebracht, Jahre hinterlassen wird.» das nicht einen einzigen Standort zur Abstimmung stellt, sondern ein schritt- weises alternatives Standortsuchverfahren ermöglicht. Gleichzeitig wurde E&U: Sie kritisieren, dass es in Deutschland an Ergebnisoffenheit, an beschlossen, Abstimmungen nicht auf der kantonalen Ebene durchzuführen, Transparenz und fehlender Beteiligung der Öffentlichkeit mangelt: Läuft sondern das gesamte Gebiet der Schweiz einzubeziehen. Aus meiner Sicht ist die Standortsuche in der Schweiz diesbezüglich besser? es in der Schweiz möglich und erforderlich, sich konstruktiv-kritisch in lokale, « In der Schweiz haben Sie sehr tiefgehende Traditionen der Demokratie nationale und internationale Diskussionen einzubringen und Gehör zu finden. Ob die Argumente der Betroffenen angemessen berücksichtigt werden, kann und knüpfen in der Endlager-Frage an bewährte Beteiligungsverfahren an. Positive Erfahrungen mit dem Sachplanverfahren werden auf den Gegen- ich nicht beurteilen. In jedem Fall halte ich es für absolut notwendig, die Ar- stand der radioaktiven Abfälle übertragen. Ein Verfahren ohne die Bevöl gumente und Fragen der örtlich Betroffenen ernst zu nehmen bei einem solch kerung oder gar gegen sie wäre nach meinem Eindruck in der Schweiz gar weitreichenden Entscheid. » nicht denkbar. In Deutschland haben wir eine völlig andere Ausgangslage. Es wurde ein Verfahren nach dem veralteten Bergrecht gewählt, das keine E&U: Wie würden Sie ein «sicheres Endlager» definieren? Auf welche Beteiligung der Bevölkerung vorsieht. Auch das 2013 beschlossene zwei, drei Aspekte muss besonders geachtet werden? Standortauswahlverfahren gilt in diesem zentralen Punkt letztlich nicht für « Ob es je ein wirklich sicheres Endlager geben kann, weiss ich nicht. den Standort Gorleben. Vor diesem Hintergrund betrachte ich das Schweizer Sehr wichtig scheint mir, dass heute schon alle potenziellen Fehler und » Verfahren in mehrfacher Hinsicht als vorbildlich. Schwachstellen möglichst umfassend erkannt und eruiert werden. Diese gilt es dann unbedingt zu vermeiden. » E&U: Die Regionen können sich zwar via Regionalkonferenzen einbrin- gen, zum Standort-Entscheid haben sie aber nichts zu sagen: Wird ein- fach Pseudo-Demokratie statt echter Mitsprache vorgespielt? Pastor Eckhard Kruse ist Referent am internationalen « Dem gegenwärtigen Schweizer Verfahren ging 1995 eine Abstimmung zum Atommüllkongress der SES, 13. März, Technopark, Zürich. Energie & Umwelt 1/2014 13
DIE EWIGE SUCHE NACH EINEM SICHEREN ENDLAGER Steinzeit zu Science-Fiction: die unfassbare Zeitdimension der Atommüllentsorgung AKW produzieren immer weiter Strom und Atommüll, obwohl es auch nach über 40 Jahren Forschung keine sichere Lösung für die Entsorgung von radioaktivem Abfall gibt. Nachdem dieser eine Weile unbekümmert im Meer versenkt wurde, hat man auch für ein geologisches Tiefenlager nach wie vor kein überzeugendes Konzept. Die Suche nach einer Lösung und die unfassbar lange Zeitdauer, bis der Müll für Mensch und Umwelt nicht mehr gefährlich ist, beschäftigen derweil nicht nur die Forschung, sondern sie werden in der Schweiz auch in einem neuen Kinofilm und einer Ausstellung thematisiert. Von TINA BERG einem geeigneten Standort-Gebiet für ein Endlager. SES-Praktikantin Und das, bevor alle technischen und organisatorischen Probleme gelöst sind – ein verkehrtes Vorgehen. Die Atommüllproblematik kümmerte in der Anfangseuphorie des nuklearen Zeitalters nie Die ewige Suche stellt nicht nur die Schweiz vor ein manden. Bis in die 1960er-Jahre wurde radio Problem. Die Lösung der Atommüllfrage beschäftigt aktiver Abfall aus der Forschung oder Industrie Forscher und AKW-Betreiber auf der ganzen Welt. wie normaler Kehricht behandelt oder gar über Im 2013 erschienenen Kinofilm «Die Reise zum das Abwasser «entsorgt». Erst einige Jahre spä sichersten Ort der Erde» von Edgar Hagen wird ein ter begann man, den verseuchten Müll zu sammeln. Überblick über die weltweiten Misserfolge und Zwischen 1969 und 1982 liess die Schweiz mehrere Schwierigkeiten bei der Endlagerung von radioak Tausend Container strahlenden Abfall im Nordost tivem Müll gezeigt. Ob in China, in den USA oder in atlantik versenken, wie unter anderem die Deutschen, Schweden: Der sicherste Ort konnte bislang auf der Holländer, Franzosen und die Amerikaner auch. Weltkarte nirgends markiert werden. Eindrücklich zeigt der Film, was für eine riesige Verantwortung Weltweit noch kein Endlager der Mensch mit dem Vermächtnis der Technologie Nachdem der Widerstand gegen diese Praxis anfangs geschichte trägt.2 1980er-Jahre zu einem internationalen Versenkungs- Moratorium geführt hatte, waren sich die Experten in Unfassbare Zeitdimensionen der Zwischenzeit einig geworden, dass der radio Im krassen Gegensatz zur über 40-jährigen Produktion aktive Müll im Boden besser aufgehoben wäre. In der von Atommüll und der Suche nach einer Entsorgungs Schweiz begann die von den AKW-Betreibern finan option steht der Zeithorizont von einer Million Jahren, zierte Nagra mit geologischen Untersuchungen. Die in denen der Atommüll sicher von der Biosphäre anfängliche Überzeugung, dass kristallines Gestein abgeschirmt lagern muss, damit die Strahlung ab optimal für ein Endlager sei, wich ums Jahr 2000 klingen kann. Für das Projekt Atommüllentsorgung (parallel zum wiederholten Nein des Nidwaldner muss ein Sicherheitskonzept für über 3000 Generati Stimmvolks zum Wellenberg) der Ansicht, dass der onen entwickelt werden – eine gewaltige Zeitdauer, Opalinuston zwischen Solothurn und Schaffhausen die in der menschlichen Wahrnehmung praktisch nun der sicherste Endlagerort sei. unfassbar ist. Eine sichere Lösung für die Entsorgung der radio Ein Vergleich aus der Geschichte ermöglicht es, die aktiven Abfälle ist nach wie vor nicht in Sicht – im Dimensionen des Riesenprojekts zu verdeutlichen: Gegenteil: Die Nagra hatte bis Ende der 1990er-Jahre In diesem Sommer jährt sich das Attentat auf Franz 700 Millionen Franken1 ausgegeben, ohne ein Konzept Ferdinand, Thronfolger von Österreich-Ungarn, zum vorweisen zu können, das alle Sicherheitsbedenken hundertsten Mal und damit auch die diplomatische befriedigte. 1988 hatte die Nagra den gesetzlich ge Krise des zuvor stabilen europäischen Bündnissystems, forderten Entsorgungsnachweis für schwach- und das schliesslich den Ersten Weltkrieg ausbrechen liess. mittelaktive Abfälle gemäss Bundesratsentscheid So fremd wie manchem das Wort «Bündnissystem» erbracht. 2006 wurde der Entsorgungsnachweis für vorkommen mag, so fremd sind den meisten heute hochaktive Abfälle vom Bundesrat akzeptiert und seit Lebenden die Gepflogenheiten und die Lebensart der 2008 sucht die Nagra im Rahmen des «Sachplanver Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei han fahrens geologische Tiefenlager» in der Schweiz nach delt es sich doch lediglich um 100 Jahre, zehntausend 14 Energie & Umwelt 1/2014
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