KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
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KIND UND GELD Finanzerziehung: Wie erlernen Kinder und Jugendliche einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld? 4, 12, 24 Kinderarmut: Schweizweite Ergänzungsleistungen für Familien würden vielen Kindern helfen 6 Geizig oder grosszügig? Wie wir diese Eigenschaften Magazin für Geld und Geist online erwerben, erklärt Hirnforscher Gerald Hüther 8 moneta.ch # 1 2021
I N H A LT Theorie und Praxis «Mama, schau, was ich gekauft habe!» Mit KIND UND GELD Unbehagen betrachtete ich die neonfarbenen 4 «Man muss über Sneakers, die mir unser damals 14-jähriger Geld sprechen!» Sohn entgegenstreckte. Er hatte sie soeben von 6 Skandalös seinem «Jugendlohn» erstanden, einem monat- hohe Kinderarmut lichen, gemeinsam mit uns berechneten Fix betrag für Mittagessen, Kleider, Hygieneartikel, 8 « Kinder haben das Bedürfnis, Gutes zu tun » Freizeit usw. Mein Unbehagen rührte von der schrecklichen Farbe der Sneakers, vor allem aber daher, dass 10 Spielend lernen, solche Markenturnschuhe meist völlig überteuert sind. Ich ahnte, wie Kapitalismus geht dass er das viele Geld bei den Mittagessen einsparen und sich 12 Eltern: Wie macht ihrs? bis Monatsende von billigem Fast Food ernähren würde. Ich seufzte innerlich und übte mich in Gelassenheit. Denn das von Fachleuten entwickelte Konzept des «Jugendlohns» sieht DIE SEITEN DER ABS vor, dass Jugendliche ab zwölf Jahren ihr Monatsbudget selbst- 14 Alles rund um die aktuellen ständig verwalten – was auch bedeutet, dass sie die Konsequen- Themen der Alter- nativen Bank Schweiz zen ihrer «Investitionsentscheide» selbst tragen müssen. Für uns Eltern hiess es also, darauf zu vertrauen, dass unserem Sohn PERSÖNLICH die ungesunden Mittagessen nicht ernsthaft schadeten und er 24 Nika Dubrovsky « Ich weiss ja selbst nicht, mit der Zeit lernen würde, sein Geld «vernünftiger» einzusetzen. was Geld ist » Der «Jugendlohn» ist eine Möglichkeit, Finanzkompeten- zen zu erwerben. Ebenso wichtig ist – wie verschiedene Artikel in dieser moneta zeigen –, mit Kindern und Jugendlichen über Geld zu reden. Über die Preise von Esswaren, Kleidern, Spiel sachen, über Wohnungsmieten und Löhne, auch über weiterge- hende Fragen wie: Warum verdienen die einen viel, die anderen wenig? Wie funktioniert unser Wirtschaftssystem? Wie kann moneta #1—2021 man mit Geld Gutes tun? Und wer bestimmt eigentlich, was wie Magazin für Geld und Geist viel wert ist? Diese Fragen sind alles andere als einfach, auch weil moneta erscheint vierteljährlich in deutscher und französischer Sprache und geht kostenlos an Geldthemen in unserer Gesellschaft oft tabu sind. Aber es lohnt Kundinnen und Kunden der Alternativen Bank Schweiz AG ( ABS ). Die Wiedergabe von Texten sich, schon mit kleineren Kindern darüber zu sprechen und zu und eigenen Illustrationen ist nur unter Quellen angabe und mit schriftlicher Zustimmung der versuchen, offen und altersgerecht auf ihre Fragen einzugehen. Redaktion erlaubt. Herausgeberin Alternative Bank Schweiz AG So können sie nach und nach einen bewussten Umgang mit Geld Redaktionsleitung Katharina Wehrli (kw) Redaktion Esther Banz (eb), Roland Fischer (rf ), entwickeln und sind gut gerüstet, um als Jugendliche die Ver Katrin Pilling (kp), Muriel Raemy (mr) Online-Redaktion Katrin Pilling antwortung für ein eigenes Budget zu übernehmen. – Zumindest Übersetzung Nicole Wulf Inserate Bruno Bisang, Luzia Küng dachte ich das, bis unser Sohn mit den besagten Sneakers nach Layout Clerici Partner Design, Zürich Illustrationen Claudine Etter Hause kam. Inzwischen ist er fast erwachsen. Markenturnschuhe Druck Ropress Genossenschaft, Zürich Papier RecyStar Nature, 100 Prozent Recycling mag er immer noch, Fast Food aber nicht mehr. Es geht eben Adresse Alternative Bank Schweiz AG , moneta, nichts übers praktische Üben, auch beim Umgang mit Geld. Amthausquai 21, Postfach, 4601 Olten, Telefon 062 206 16 16, moneta @ abs.ch Auflage d ieser Ausgabe 24 700 Ex. Katharina Wehrli, Redaktionsleiterin Beilagen Werbung und Beilagen, die nicht von der ABS stammen, sind bezahlte Inserate — diese Einnahmen helfen uns, die Produktions kosten des Magazins zu decken. Wichtiger Hinweis zu den Inseraten und Beilagen Zeich nungsangebote für Beteiligungen oder Obligatio nen in dieser Zeitung sind von der ABS nicht geprüft. Sie stellen deshalb keine Kaufempfehlung der ABS dar. Wenn Sie als Bankkundin/-kunde umziehen, melden Sie uns Ihre neue Adresse bitte schriftlich oder via E-Banking-System. Verpassen Sie keine Ausgabe und abonnieren Sie Online-Magazin: Alle Schwerpunktartikel den moneta-Newsletter unter moneta.ch/newsletter-anmeldung von moneta erscheinen auch online unter moneta.ch. 2 moneta 1—2021
Der Klimastreik geht weiter Für eine kollaborative Schweiz Am 21. Mai 2021 geht die Klimabewegung mit einem Die Initiative Collaboratio helvetica sieht sich als Kataly- «Strike for Future» zurück auf die Strasse. Mit dem ge- sator für die nachhaltige Entwicklung der Schweiz. Die planten schweizweiten und bunten Aktions- und Streik- ständig wachsende Community will Raum für gemein- tag will die Klimabewegung möglichst viele Menschen schaftliches Experimentieren schaffen und mithilfe der und verschiedenartige Organisationen mobilisieren. «Wir von Otto Scharmer entwickelten Methodik «U-Prozess» wollen eine soziale und ökologische Gesellschaft ohne tiefgreifende Innovationen anstossen: «Wir möchten die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur», schreibt die notwendigen Veränderungen in unseren Verhaltens- die Klimastreikbewegung. Da die verschiedenen Krisen weisen unterstützen und fördern, damit wir aus dem miteinander verknüpft seien, könne jede Gruppe für Silo-Denken herauskommen und gemeinsam die Schweiz ihre Anliegen und Forderungen in den Streik treten und erschaffen, in der wir leben möchten.» Wie der Name so mit vereinten Kräften die Grundlage für einen lang- der international vernetzten Initiative andeutet, geht fristigen Wandel schaffen. Es stehen schon einige Events es darum, zusammenzuarbeiten und die kollektive Intel- auf der Agenda, andere sollen noch geplant werden. (mr) ligenz für das Gemeinwohl einzusetzen. Collaboratio helvetica unterstützt im Rahmen des Catalyst Lab, eines Informationen zur Teilnahme finden sich hier: Zukunftslabors für die Schweiz, vor allem Projekte zu strikeforfuture.ch zwölf der siebzehn UN -Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und bietet Kurse sowie zahlreiche Networking- Anlässe an. (mr) collaboratiohelvetica.ch Zwei erfolgreiche Klimaklagen Nach Erscheinen der letzten moneta-Ausgabe zum hema «Umwelt im Recht» erreichte uns am 3. Februar T Mit einer Corona-Steuer 2021 eine erfreuliche Nachricht aus Paris: Die Klage gegen das Ungleichheitsvirus «L’Affaire du Siècle» (Die Sache des Jahrhunderts) war erfolgreich. Eingereicht wurde sie von den NGO Notre Durch die Corona-Pandemie droht die Ungleichheit Affaire à Tous, Greenpeace Frankreich, Oxfam Frank- erstmals in fast allen Ländern der Welt gleichzeitig anzu- reich und der Nicolas-Hublot-Stiftung. Das französische steigen. Zu diesem Schluss kommt eine kürzlich publi- Verwaltungsgericht anerkannte die Verantwortung des zierte Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam. Hun- Staates für die Klimakrise und beurteilte es als rechtswid- derte Millionen Menschen haben seit Ausbruch der rig, dass er seine Verpflichtungen zur Verringerung der Pandemie ihre Jobs verloren. Besonders stark betroffen Treibhausgasemissionen nicht wahrnimmt. Als nächster sind Menschen in Entwicklungsländern und Angestellte Schritt wird in den kommenden Monaten ein erneutes in Tieflohnbranchen. Aufgrund fehlenden politischen Urteil angestrebt, das den französischen Staat zu konkre- Willens und einer chronischen Unterfinanzierung der öf- ten Massnahmen gegen den Klimawandel zwingen fentlichen Haushalte mangelt es in vielen Ländern an könnte. guten staatlichen Gesundheits-, Bildungs- und sozialen Auch in Russland gab es einen bahnbrechenden Ent- Sicherungssystemen. Oxfam plädiert deshalb dafür, scheid: Die russische Umweltaufsichtsbehörde klagte dass sich Konzerne und Superreiche stärker an der Finan- erfolgreich gegen den Bergbaukonzern Nornickel. Dieser zierung des Gemeinwesens beteiligen. Dies könne ist dafür verantwortlich, dass am 29. Mai 2020 aus einem erreicht werden, indem die Regierungen kurzfristig beschädigten Kraftwerkstank rund 21 000 Tonnen Diesel- die Steuerpolitik anpassten. Denn während die Pandemie öl ausliefen und in die Gewässer nahe der nordsibirischen die Situation der Ärmsten zusätzlich verschlimmert, Stadt Norilsk gelangten. Das Gericht verurteilte den Kon- sind die Reichen noch reicher geworden, vor allem wegen zern zu einer rekordhohen Entschädigungszahlung von des Booms am Aktienmarkt. Dass eine solche Corona- 146 Milliarden Rubel (rund 1,76 Milliarden Franken). (mr) Steuer in der Schweiz den Rückhalt der Bevölkerung fin- notreaffaireatous.org > Victoire historique (nur in den würde, deutet eine nicht repräsentative Umfrage Französisch), bloomberg.com > Russian court auf der Website des Schweizer Radio und Fernsehens SRF an: 82 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass sie eine Corona-Steuer für Konzerne und Superreiche befür- worten würden. (kw) moneta wird von der Alternativen Bank oxfam.de/ueber-uns/publikationen/oxfams-bericht- Schweiz ( ABS) herausgegeben und von einer covid-19-auswirkungen-ungleichheitsvirus unabhängigen Redaktion betreut. srf.ch/news/international/armut-wegen-pandemie- oxfam-schlaegt-coronasteuer-fuer-superreiche-vor Die Beiträge geben nicht notwendigerweise die Haltung der ABS wieder, ausser auf den «Seiten der ABS » oder in speziell m arkierten Kommentaren. KURZNACHRICHTEN moneta 1— 2021 3
«Man muss über Geld sprechen!» Wie lernen Kinder und Jugendliche einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld? ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Und wie lässt sich vermeiden, dass sie später Entwicklung ( OECD ) eine Pionierrolle ein, beispiels- in die Schuldenfalle tappen? Wichtig ist, weise mit der Pisa-Erhebung 2012, in der unter anderem was Eltern ihnen vorleben. Aber nicht nur. die finanzielle Bildung der 15-jährigen Schülerinnen Text: Muriel Raemy und Schüler in Europa ermittelt wurde. Ein Fazit ver- schiedener Studien ist, dass bereits sehr junge Kinder ein gewisses Bewusstsein für Geld haben und sie durch Meine Söhne, 14 und 12 Jahre alt, erhalten kein Taschen- sukzessive Annährung an finanzielle Fragen ein umfas- geld, aber ich bezahle sie für bestimmte Aufgaben in senderes und nuancierteres Verständnis dafür entwi- Haushalt und Garten. Ihre jüngere Schwester ist immer ckeln. Doch erst ab Ende der Sekundarstufe I, also mit wieder begeistert von der Grosszügigkeit der Bäckerei- rund 15 Jahren, und vor allem in der Sekundarstufe II verkäuferin, die mir auf meinen Geldschein ganz viele (Lehre oder Mittelschule) können sich Jugendliche Münzen zurückgibt. Ich möchte ihr diese Freude nicht komplexeres Finanzwissen aneignen. nehmen. Sollte ich das? Ist es zudem sinnvoll, meinen Bei der obligatorischen Schulbildung lässt der Föde- Söhnen beizubringen, dass jede Arbeit einen Lohn ver- ralismus den Kantonen einigen Spielraum. Der Lehr- dient? Gibt es hier eine richtige Vorgehensweise? plan 21 in der Deutschschweiz sieht wöchentlichen Un- «Es gibt kein Richtig oder Falsch, aber eine Regel, die terricht in «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» vor, während gegen ein Tabu verstösst: Man muss über Geld spre- der Lehrplan in der Westschweiz nur das Fach «Wirt- chen! Es ist wichtig, dass Eltern offen und konkret darü- schaft» umfasst. Géraldine Landry unterrichtet das ber reden. Allerdings habe ich festgestellt, dass dies in Fach auf der Sekundarstufe I in La Sarraz VD ; ihre Schü- Familien eher selten gemacht wird.» Caroline Henchoz, lerinnen und Schüler sind zwischen 12 und 15 Jahre alt. Soziologin, Lehrbeauftragte und Forschungsrätin an Sie freut sich über die Wende, die das Fach erfahren hat: der Universität Freiburg sowie Assistenzprofessorin an Während der Unterricht früher auf Unternehmen und der Hochschule für Soziale Arbeit der HES -SO Valais- Betriebswirtschaft fokussierte, steht nun die Lebens- Wallis, interessiert sich seit über zwanzig Jahren für den welt der Schülerinnen und Schüler und die Vermittlung Umgang mit Geld in Familien. In ihrem Forschungsge- von alltäglichen Finanzkompetenzen im Vordergrund. biet ist sie fast allein, denn der Einfluss der Eltern auf «Zuerst gehen wir in die Migros einkaufen, mit der die Finanzkompetenzen der Kinder wurde bisher noch Einkaufsliste für eine Mahlzeit. Wir lesen die Etiketten, kaum systematisch erforscht. berechnen den Kilopreis, vergleichen die verschiede- Henchoz hat herausgefunden, dass Finanzkompe- nen Produkte und stellen den Einkauf dem Essensbud- tenzen nicht allein durch eine explizite Finanzerzie- get der Familie gegenüber.» Um Themen wie Geld- hung erworben werden: Kinder und Jugendliche lernen schöpfung, BIP, Kryptowährungen oder Gemeingut zu viel durch Imitieren und Ausprobieren, meist geschieht vermitteln – oft mit einem Aktualitätsbezug –, stellt dies über ein eigenes Sparkonto oder Taschengeld. Laut Géraldine Landry ihr eigenes Unterrichtsmaterial zu- Henchoz handhabt jede Familie diese Themen auf ihre sammen. Und sie mag Lernspiele, wie zum Beispiel das eigene Art, entsprechend ihrer «Philosophie»: Entwe- «Budgetspiel» von Pro Juventute (siehe S. 5). der erhält das Kind ein Taschengeld in bestimmter Höhe oder dieses ist an die Erfüllung bestimmter Auf- Der Verschuldung vorbeugen gaben geknüpft. Oder Eltern und Kind handeln gemein- Was die Förderung der Finanzkompetenzen von Ler- sam aus, welche Käufe notwendig sind. Auf diese Weise nenden oder Studierenden anbelangt, gibt es keine ech- vermitteln Eltern den Kindern zwar ihre Werte, aber te Koordination auf nationaler Ebene. Sie hängt folglich nicht unbedingt ihr Know-how im Umgang mit Geld vom guten Willen der Schulleitungen und von den oder in der Budgetplanung. Für die Soziologin ist klar, Möglichkeiten der Lehrpersonen ab. Im Bereich Schul- dass die Schule hier einen Beitrag leisten muss. denberatung sind die Kantone aktiver. Die Mehrheit der Jungen geht zwar verantwortungsvoll mit Geld um, Möglichst nahe an der Lebenswelt der Jugendlichen doch es gibt auch jene, die Schulden anhäufen. Daher In den letzten Jahren wurden zahlreiche Initiativen besteht ein wachsendes Interesse an Prävention. Die zur Förderung von Finanzkompetenzen lanciert. Auf in- meisten Kantone arbeiten mit spezialisierten Organisa- ternationaler Ebene nehmen die Weltbank und die Or- tionen zusammen, etwa der Caritas oder den kirchli- 4 moneta 1— 2021 KIND UND GELD
tute an Kinder zwischen sechs und acht Jahren: Anhand der Geschichte der beiden Kinder Alma und Milan, die Material für ihr geplantes Baumhaus brauchen, regt das Buch an, über Themen wie Schenken, Tauschen, Teilen, Arbeiten, Kaufen, Verkaufen, Zeithaben und Sparen nachzudenken. Célia Brocard, Projektleiterin bei Pro Ju- ventute, erklärt, dass viele Aspekte, die mit Geld ver- bunden sind, abstrakt und für Kinder deshalb schwer zu verstehen seien. «Doch die Kleinen haben einen aus geprägten Sinn für Logik. Wenn man früh auf ihre Fra- gen eingeht, regt man sie dazu an, über Geldthemen nachzudenken, beispielsweise über Kaufreflexe oder über die Tatsache, dass Mama und Papa einen Lohn er- halten.» Die Stiftung entwickelt auch pädagogisches Material für Schulkinder und Jugendliche, wie das be- reits erwähnte «Budgetspiel». Dabei schlüpfen die Teil- nehmenden anhand von Geschichtenkarten in die Rol- chen Sozialdiensten. «Neben Ereignissen wie Stellen- len von Lernenden oder Studierenden, die ihre Finanzen verlust, Krankheit oder Scheidung sind es häufig selbst verwalten müssen. fehlende administrative und finanzielle Kompetenzen, die Schulden verursachen», erklärt Isabelle Baume, Mit zwölf Jahren ein eigenes Budget verwalten Sozialarbeiterin und stellvertretende Direktorin des Im Zusammenhang mit der Schuldenprävention kirchlichen Sozialdienstes der reformierten Kirche wird oft der sogenannte Jugendlohn erwähnt. Dessen ( CSP ) des Kantons Neuenburg. Mit zwei von den West- Grundsatz ist einfach: Auf der Basis eines Vertrags mit schweizer CSP entwickelten Workshops («Les ficelles den Eltern erhalten Jugendliche – idealerweise ab zwölf du budget» und «Cash-Cash Party») besucht sie Klas- Jahren – einen fixen monatlichen Betrag, dessen Höhe sen an nachobligatorischen Schulen, um die Jugend von den Möglichkeiten der Familie abhängt. Damit lichen für Haushaltsausgaben und den Nutzen eines müssen die Jugendlichen einen Teil ihrer Lebenskosten Haushaltsbudgets zu sensibilisieren. «Unabhängig vom selbstverantwortlich bestreiten. Die Idee dahinter ist, sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund der Famili- dass die Jugendlichen die Konsequenzen ihrer finan en weichen die Kenntnisse, die den Jugendlichen ver- ziellen Entscheidungen selbst tragen – auch wenn sie mittelt wurden, stark voneinander ab. Einige haben kei- Fehler machen und ihr Konto bereits vor Ende Monat ne Vorstellung von ihren Ausgaben, andere können leer ist. Pro Juventute organisiert Veranstaltungen für bereits ein Budget erstellen. Auch wenn man das nicht Eltern, um sie mit dem Jugendlohn vertraut zu machen verallgemeinern kann, stelle ich fest, dass eine grosse und bei der Umsetzung zu begleiten. Auch Themen Unkenntnis über die Lebenskosten herrscht», erklärt wie Selbstvertrauen, Umgang mit Gefühlen und Grup- Baume. pendruck kommen dabei zur Sprache. Die Herausforde- rungen sind gross zu Zeiten des digitalen Geldes und Auch die Kleinen denken gern über Geld nach der Vervielfachung der Zahlungsmittel. Auch die Werte Die Stiftung Pro Juventute setzt sich seit über hun- und Normen zu hinterfragen, die in der Familie vermit- dert Jahren für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene telt oder von der Peergroup vorgelebt werden, erfordert und Familien ein und hat schon früh Angebote zur Ver- einiges. • mittlung von Finanzkompetenzen entwickelt. Mit dem projuventute.ch, csp.ch, Bilderbuch «Geld zu verkaufen!» richtet sich Pro Juven- hevs.ch/fr > Caroline Henchoz KIND UND GELD moneta 1— 2021 5
Skandalös hohe Kinderarmut Jedes zehnte Kind in der Schweiz wächst in Armut auf. Ein wirksames Mittel dagegen wären Familienergänzungsleistungen, wie sie bislang einige wenige Kantone vergeben. Doch die sorin an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Dieses Widerstände gegen eine schweizweite Einführung sind gross. Verständnis von Eigenverantwortung führe dazu, dass Text: Benjamin von Wyl Kinder in «wirtschaftliche Sippenhaft» genommen und nicht als Individuen anerkannt werden. «Die Schweiz hat die UN -Kinderrechtskonvention unterschrieben, «Die Armut ist in den letzten Jahren insgesamt gestie- aber handelt nicht danach.» Kommunal gebe es wirksa- gen. Aber besonders verschärft hat sich die Kinderar- me Mittel, um etwa die Bildungschancen zu vergrössern. mut», sagt Aline Masé, Leiterin Sozialpolitik bei Caritas «In der Stadt Zürich setzten wir zum Beispiel existenz Schweiz. Jedes zehnte Kind wachse in der Schweiz in sichernde Stipendien durch.» Schweizweit sieht es düs- Armut auf. Dazurechnen müsse man weitere zehn Pro- terer aus. «Aber wir probieren es immer wieder.» zent «Armutsgefährdete». 2018 lag die Armutsgrenze für eine erwachsene Einzelperson bei 2293 Franken pro Bessere Grundbedingungen für Familien schaffen Monat. Mit der Pandemie steigt die Armutsquote wohl Der Kampf gegen Kinderarmut muss in verschiede- weiter, und wahrscheinlich werden auch weiterhin be- nen Politikfeldern ansetzen. Zum Beispiel schmerzen sonders viele Kinder betroffen sein. «Die Vererbbarkeit steigende Mieten Familien mit wenig Einkommen be- von Armut ist sehr gross in der Schweiz», erklärt Masé sonders. Masé sagt: «Der Schlüssel zum gesellschaftli- weiter. Noch immer werde Armut als selbst verschuldet chen Aufstieg bleibt aber Bildung.» Wenn Hausaufga- wahrgenommen, noch immer gebe es das «sehr naive» benhilfe und ausserschulische Betreuungsstrukturen Bild, dass man sich mit Fleiss den gesellschaftlichen fehlen, sind Kinder, die bereits Anfang Primarschule Aufstieg erarbeiten könne. «Dabei werden die Weichen allein zu Hause sind, stark benachteiligt. «Ein wichtiger häufig bereits in der Kindheit gestellt.» Punkt wären möglichst günstige oder kostenlose Kin- dertagesstätten. Weil Eltern, die in Tieflohnjobs be- Kinder als Individuen anerkennen schäftigt sind, oft auf Abruf oder unregelmässig arbei- Es ist wohl allen klar, dass Kinder nichts für die Fa- ten, braucht es diese Betreuungsangebote aber auch Dieser Artikel erschien erst- milie können, in die sie geboren werden. Gleichzeitig kurzfristig und zu Randzeiten», führt Masé aus. Ein mals im Sonderheft «Kinder- steht der Entwicklung und freien Entfaltung von Kin- weiteres entscheidendes Element, gerade weil Fami armut » des Strassenmagazins «Surprise» (484/20) und wur- dern die Vorstellung entgegen, dass Privatsache sei, was lienarmut so viele Bereiche touchiert, sind Familien de für moneta leicht gekürzt. in der Familie passiere. «Bei der Familie will man sich anlaufstellen, losgelöst von der Sozialhilfe: Orte, an Das gesamte «Surprise»- nicht dreinreden lassen – gegen diese Idee von Eigen- denen ohne Behördendruck Wissen und Kenntnisse zu Sonderheft ist abrufbar unter: issuu.com/surprise/docs/ verantwortung kämpft man an», sagt Katharina Prelicz- Krankenkassenprämienverbilligung, Integration oder surprise-484_druck-pdf Huber, Nationalrätin der Grünen und ehemalige Profes- Betreuungsangeboten vermittelt werden. 6 moneta 1— 2021 KIND UND GELD
Masé spricht davon, «Grundbedingungen zu schaf- Erfolgreiches «Tessiner Modell» fen, dass Familien ihren Alltag sorgenfrei bestreiten Eine finanzielle Unterstützung, die vor der Sozial können». Das habe ganz stark mit Vereinbarkeit von hilfe ansetzt und besonders auch «Working Poor» un- Beruf und Familie zu tun – Betreuungsangebote sind terstützt, sind Familienergänzungsleistungen: Famili- deshalb zentral. Denn wer auf sich allein gestellt ist, en, in denen die Eltern keinen existenzsichernden Lohn steht vor einem unlösbaren Dilemma zwischen Lohn- verdienen, wird mit diesen Beiträgen das Einkommen arbeit und Kinderbetreuung. Alleinerziehenden bleibt aufgestockt. Immerhin vier Kantone (Tessin, Solothurn, deshalb oft nur die Option, Sozialhilfe zu beziehen. In Waadt, Genf ) haben solche Familienergänzungsleistun- Biel wurde 2014 fast die Hälfte – 47,6 Prozent – aller gen eingeführt. Vorreiter war der Kanton Tessin, der Familien mit nur einem Elternteil von der Sozialhilfe seit 1997 Ergänzungsleistungen vergibt. Im sogenann- unterstützt. Mehr als jeder vierte Haushalt von Allein- ten Tessiner Modell wird die ganze Familie unterstützt, erziehenden war es auch in den grössten Schweizer bis das jüngste Kind drei Jahre alt ist, danach wird mit Städten: Zürich, Genf, Basel und Bern, und in Lausanne den Ergänzungszulagen der Lebensbedarf der Kinder mehr als jeder dritte. gedeckt. Zehn Jahre nach der Einführung teilte die Tes- siner Regierung mit, mit diesen Ergänzungsleistungen Der Gang aufs Sozialamt ist oft tabu habe man rund 60 Prozent der Sozialhilfekosten einge- Die Sozialhilfestatistik bildet für sich aber noch spart und «wirksam zur Armutsreduktion» beigetragen. nicht die Armutsrealität in der Schweiz ab. Gerade in Dies gilt insbesondere auch für die Kinderarmut: Ein kleineren Ortschaften, wo sich alle kennen, ist der Gang Bericht des «Nationalen Programms zur Prävention und zum Sozialamt tabuisiert. Nicht alle, die ein Anrecht Bekämpfung von Armut» von 2016 stellt fest, dass von hätten, lassen sich unterstützen. Wer Sozialhilfe be- allen grösseren Schweizer Städten nur Lugano keine zieht, muss diese – je nach Kanton – später zurückzah- überdurchschnittlich hohe Sozialhilfequote bei den len. Allein die Aussicht auf einen Schuldenberg schreckt 0- bis 17-Jährigen aufweist. manche ab. Ausländerinnen und Ausländer müssen zudem fürchten, ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren: Neuer Vorstoss für eine schweizweite Lösung Wer «erheblich selbst verschuldet» von Sozialhilfe lebt, Linke, CVP sowie die Konferenz der kantonalen So- kann im Extremfall sogar trotz Niederlassungsbewil zialdirektorinnen und Sozialdirektoren ( SODK ) fordern ligung C ausgewiesen werden. seit zwanzig Jahren immer wieder schweizweite Fami- lienergänzungsleistungen. Der Vorschlag war um die Jahrtausendwende erstmals im Bundesparlament. Da- nach wurde die Ausarbeitung ein-, zwei-, drei-, vier- mal verschoben: ein Jahrzehnt lang. 2011 entschied eine Mehrheit, dass man darauf verzichte. Ein Grund für die Ablehnung war die im bürgerlichen Lager ver- Kinderarmut: Die wichtigsten Zahlen breitete Meinung, die Kantone sollten selbst entschei- den, ob sie armutsbetroffene Familien unterstützen – 144 000 Kinder von insgesamt die in Einelternfamilien wollten. Aber bislang war eine überwiegende Mehrheit 1,7 Millionen leben hierzulande aufwachsen. Knapp ein Viertel der Kantone nicht bereit, für Familienergänzungsleis- in Armut. aller Alleinerziehenden wird tungen zu zahlen. – Rund 278 000 Personen bezie- von der Sozialhilfe unterstützt. Im Mai 2020 starteten Katharina Prelicz-Huber und hen Sozialhilfe; rund ein Drittel – Für eine alleinerziehende Mut- die Fraktion der Grünen im Parlament einen erneu- von ihnen sind Kinder und ter mit zwei Kindern liegt die ten Vorstoss für die schweizweite Einführung von Fa- Jugendliche. Von allen Alters- Armutsgrenze abzüglich Wohn- milienergänzungsleistungen. Der Bundesrat empfiehlt gruppen sind sie am stärksten und Krankenkassenkosten diesen wieder zur Ablehnung. Statt auf direkte Unter- von der Sozialhilfe abhängig. monatlich bei 1834 Franken. stützung setze man auf Armutsprävention und die Fi- – Das verfügbare Familienein Eine von Armut betroffene nanzierung günstiger Kinderbetreuung, schreibt er in kommen hängt stark von der Familie muss also pro Person seiner Stellungnahme und erinnert daran, dass man Fa- Ausbildung der Eltern ab. Wenn und Tag mit weniger als milienergänzungsleistungen bereits von 2000 bis 2011 mindestens ein Elternteil einen 20 Franken für Essen, Kleidung, diskutiert habe. Über den neuen Vorstoss «Keine Kin- höheren Schulabschluss hat, Energie, Hygiene, Kommuni derarmut» muss das Parlament erst noch entscheiden. ist die Armutsquote der Kinder kation, Mobilität, Unterhaltung Prelicz-Huber sagt, es sei in der Sozialpolitik immer nur mit 2,8 % am geringsten. Verfügt und Bildung auskommen. dann ein «Minischrittchen» vorwärtsgegangen, wenn kein E lternteil über eine nach- – Die Schweiz investiert nur 1,5 % man gar nicht mehr habe wegschauen können. Schafft obligatorische Ausbildung, liegt ihres BIP in Sozialleistungen die Pandemie eine solche Situation? Prelicz-Huber be- die Armutsquote der Kinder für Kinder und Familien und fürchtet, dass die Bürgerlichen schlechte Wirtschafts- bei rund 10 % und die Armutsge- liegt damit deutlich unter dem aussichten und die allgemeine Verwirrung für eine At- fährdungsquote sogar bei 40 %. europäischen Durchschnitt von tacke auf den Sozialstaat nutzen könnten. «Aber die – Ein überdurchschnittliches 2,4 %. (kw) Hoffnung stirbt zuletzt», sagt die grüne Nationalrätin. Armutsrisiko tragen Kinder, «Wir müssen weiter Druck machen und zeigen, dass zu jeder Familie auch Kinder gehören.» Kinder, die ein Le- Quelle: «Surprise»-Sonderheft «Kinderarmut » (484/20), S. 14–15. ben lang die Folgen der Armut tragen würden. • KIND UND GELD moneta 1— 2021 7
« Kinder haben das Bedürfnis, Gutes zu tun » Geld ist ein vielseitiges Werkzeug: Man kann damit sparen, konsumieren oder andern helfen. Schon im Kindes alter werden Grundlagen dafür geschaffen, ob ein Mensch geizig oder grosszügig wird, sagt der Hirn forscher und Autor Gerald Hüther. Interview: Esther Banz moneta: Gerald Hüther, in Ihrem Buch «Was Verständlich. Gibt es k eine Strategien dagegen? schenken wir unseren Kindern?» zeigen Sie Das Kind müsste im Kindergarten und in der Schule Freun- Eltern auf, welche Geschenke Kinder wirklich de haben, deren Eltern ähnliche Ansichten und Werte Foto: zvg brauchen – Geldgeschenke, Spielzeuge und vertreten. In der Gruppe sind Kinder besser vor Ausgren- andere Produkte gehörten nicht dazu. Warum? zung geschützt. Man müsste also im Quartier schon vor Gerald Hüther Kinder wollen sich als selbstwirksame Beginn der Schulzeit solche Familien finden und ein paar Subjekte erfahren, schon von klein auf. Die grössten gemeinsame Nachmittage verbringen – die Chance ist Geschenke, die wir ihnen deshalb geben können, sind Ver- gross, dass die Kinder sich befreunden. bundenheit, Geborgenheit, Vertrauen und Autonomie, Gerald Hüther sodass sie von ihrem sicheren Hafen aus – dem Zuhause – Und die Eltern auch. Trotzdem hat das Kind ja – Der 1951 geborene Neuro- die Welt erkunden können. Alle Kinder wollen lernen. hoffentlich – seinen eigenen Willen. Es biologe ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher und Ihnen ermöglichen, diese Lernfreude zu bewahren, ist das befreundet sich womöglich mit ganz anderen populärwissenschaftlicher grösste Geschenk, das wir ihnen machen können, für Kindern und entwickelt eine andere Publikationen, unter ande- ihren ganzen weiteren Lebensweg. Einstellung als die Eltern zu Geld und Konsum. rem zu kindlicher Entwick- lung. 2019 publizierte er zu- Ja, und ich rate dringend davon ab, das Kind zu sich sammen mit André Stern Konsequent auf materielle Geschenke zu «rüberziehen» zu wollen, denn das würde sein Bedürfnis «Was schenken wir unseren verzichten, ist aber extrem schwierig, verletzen, mit den andern verbunden zu sein. Die Kindern? Eine Entschei- dungshilfe» (Verlag: erst recht ab dem Kindergartenalter, wo Kinder Eltern können nur versuchen, ein anderes Vorbild zu Random House). Er ist stark von Gleichaltrigen beeinflusst werden. sein. Einstein brachte es sehr gut auf den Punkt mit mehrfacher Vater und Grossvater und lebt in Richtig. Keine Familie ist allein auf dieser Welt. Das Kind den Worten: «Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, Deutschland. hat Freunde, die ein Taschengeld und Dinge geschenkt als Vorbild zu sein, wenn es nicht anders geht, ein erhalten, die das eigene Kind ebenfalls haben will. Spätes- abschreckendes.» Kinder erkennen, was ein ungünstiges tens dann, wenn es sich aus der Peer-Gemeinschaft aus Vorbild ist und nehmen Abstand, gehen einen eigenen geschlossen fühlt, kapitulieren Eltern. Weg. Das schaffen aber nicht alle. Schöner wäre, ein positi- ves Vorbild zu sein. 8 moneta 1— 2021 KIND UND GELD
Im Bauch eines bunten Sparschweins Der Mensch kann also mangels Wertschätzung erhält Geld schon früh Zutritt ins Kinder geizig werden? zimmer. Wie wirkt es auf Kinder? In der Quintessenz, ja. Geiz ist eine Haltung, die entsteht, Das kommt auf die Eltern an. Es ist ohnehin so: Kinder weil man meist schon als kleines Kind nicht bekam, interessieren sich nur für Geld, solange es Erwachsene was man gebraucht hätte. Kinder erleben es als schmerz- gibt, die dem Geld eine grosse Bedeutung beimessen. Die voll, wenn sie etwas verschenken wollen, aber die an Erwachsenen pflanzen dem Kind diese Einstellung ein. deren sich nicht darüber freuen. Oder wenn ihnen verbo- ten wird, etwas von dem abzugeben, was sie haben. Indem zu Hause über Geld gesprochen wird? Diese Verletzungen führen bei manchen dazu, dass sie Nicht nur. Es passiert auch unbewusst, über Taschengeld nichts mehr verschenken wollen. Sie bleiben dann und Geschenke. ein Leben lang Bedürftige. Es gibt auch ganz spezielle Sparschweine mit Geiz ist also Ausdruck eines Mankos respektive mehreren Kammern, sodass das Kind sich einer Sehnsucht? zwischen verschiedenen Sparzielen entscheiden Ja, «bedürftig» wird jemand, der ein lebendiges Bedürfnis kann. In einer Kammer kann es ausserdem nicht stillen konnte. Mit Geld hat das gar nicht so viel Geld für einen guten Zweck sammeln. Was halten zu tun – Geld ist ja nur ein neutrales Mittel. Das zeigt sich Sie davon? in dem speziellen Sparschwein gut: Man kann es benut- Das finde ich sehr gut. Das Kind lernt so, dass es mit Geld zen, um andere zu beschenken oder um sich selber zu be- nicht nur Dinge für sich selber kaufen kann. Ein Kind, das lohnen – etwa für das, was man aushält. Im einen Fall ich kenne, ermöglicht einem gleichaltrigen Waisenkind in ist man Bedürftiger, im andern Schenkender. Der Bedürfti- Nepal mit wenigen Euro pro Woche, dass es zur Schule ge – da sind wir bei Erich Fromm – ist einer, der immer gehen kann. Die beiden schreiben sich sogar, auf Englisch. haben will, der nicht sein kann. Und das Kind, das mit sei- So entsteht eine Art Freundschaft. Wunderbar daran ist nem gesparten Geld ein anderes Kind unterstützt, damit auch, dass ein Kind so die Möglichkeit erhält, zu begreifen, es zur Schule gehen kann: Es ist ein Schenkender, jemand, dass es mit Geld auch wirklich Gutes ans tellen kann. Was der anderen gern etwas abgibt von seinem «Reichtum». es unterstützt, muss allerdings konkret sein. Es geht dem schenkenden Mädchen gut, Einfach ein Schlitz «für wohltätige Zwecke» nehme ich an. wäre zu wenig konkret? Genau, schenken bedeutet Stärke. Je mehr ein Kind Ja. Der wohltätige Zweck muss fürs Kind greifbar werden. in seiner eigenen Kraft ist, desto eher ist es in der Lage, zu Vielleicht gibt es auch im Wohnort des Kindes eine In schenken. Wenn hingegen die Grundbedürfnisse nicht stitution für Kinder, die es unterstützen kann. Am besten gestillt sind, bleibt eine Bedürftigkeit. Und ein Bedürftiger ist, wenn das Kind sein Geld für etwas einsetzt, das seine ist einer, dem etwas fehlt. tiefsten inneren Bedürfnisse befriedigt. Mir scheint, die meisten von uns seien Bedürftige. Kinder sind ja von ganz klein auf fürsorglich Das sehe ich auch so. In sehr machtvollen Positionen fin- und grosszügig. den sich besonders viele Bedürftige, die sich hochge- Damit kommen alle auf die Welt. Sie erleben, dass sie un- kämpft haben. Einer, der etwas zu verschenken hat, muss terstützt werden. Und daraus entwickeln sie das eigene nicht Karriere machen. Der muss auch kein Geld anhäufen. Bedürfnis, andere zu unterstützen und zu beschenken, Gu- tes zu tun. Sie betrachten sich als Geschenk für die Welt Zurück zu den Kindern und zum speziellen Spar und wollen Teil dieser Gemeinschaft sein. schwein. Als ich es mit meiner fünfjährigen Tochter einweihte, durfte sie selbst entscheiden, Warum bleibt das nicht so? Warum sind wie sie ihr Erspartes auf die vier Kammern Erwachsene so viel weniger grosszügig und verteilen wollte. Für sie war klar, dass die Hun unterstützend als Kinder? derternote, die sie kürzlich geschenkt be Weil manche Eltern ihrem Kind zu verstehen geben, dass kommen hatte, ins Spendenfach kam, für einen es so, wie es ist, nicht richtig ist. Wenn Kinder bei den Tier-Gnadenhof. Ich war drauf und dran, sie primären Bezugspersonen nicht die Wertschätzung finden, überzeugen zu wollen, es in die Kammer die sie suchen, unterdrücken sie in sich selbst das Be reinzustecken, wo sie für Reitferien spart. dürfnis, anderen zu helfen. Das kann so intensiv sein, dass Gut, haben Sie es nicht getan! Das Kind soll unbedingt sel- im Hirn eine hemmende Verschaltung über dieses Bedürf- ber entscheiden dürfen. Das ist Autonomiestärkung. • nis wächst. Und dann ist es weg. Zu den im Gespräch erwähnten speziellen Sparschweinen gibt es weitere Informationen unter kinder-cash.com. KIND UND GELD moneta 1— 2021 9
Spielend lernen, wie Kapitalismus geht Es ist ja nur ein Spiel: Von der überraschenden Geschichte eines der erfolgreichsten Gesellschaftsspiele der Welt. Oder: Wer würde heute noch behaupten, dass Kinder lernen müssen, wie gefährlich Monopole sind? Text: Roland Fischer Ich habe schon ewig lang nicht mehr Monopoly gespielt. unter anderem forderte, dass Regierungen keine Arbeit, Aber ich habe noch sehr lebendige Erinnerungen an sondern nur noch Landbesitz besteuern sollten. Innert das Brett und die Metallfiguren, an das billige Papier dreissig Jahren erlangte The Landlord’s Game so etwas der Geldscheine und die Spieldynamik, an den Moment, wie Kultstatus, und niemand dachte daran, Besitzan- wenn der Markt für einen zu spielen beginnt und der sprüche geltend zu machen. Bis jemand anderes (ein eigene Geldstapel immer höher wird. Die Macht des Mann, natürlich) Magies Idee an die grosse Spielfirma Geldes, die Raffgier, die Verbindung von Gewinnen und Parker Brothers verkaufte – als seine eigene versteht Wirtschaften – sind sie mir da ins Blut übergegangen? sich. Magie liess sich mit 500 Dollar für ihr Patent abfin- Ich habe aber auch noch andere Erinnerungen: Zürich, den und war glücklich, dass nun noch viel mehr junge Paradeplatz. Der Ärger, wenn einem dieses Grundstück Menschen spielend lernen würden, wie zerstörerisch weggeschnappt wird. Man weiss genau, dass damit Monopole wirken können. nun vieles gelaufen ist – weil es eben nicht nur auf Ver Lizzie Magie indessen kam als wirtschaftliche Idea- handlungsgeschick und vorausschauendes Wirtschaf- listin kaum über die Runden und realisierte bald, dass ten ankommt in diesem Spiel, sondern vor allem auf nichts an der klassischen Gesellschaftsnorm Heirat vor- Glück. Und man weiss auch, dass man viel zu günstig beiführte. Also setzte sie eine Kleinanzeige in die Zei- zu diesen Liegenschaften kommt, die dann richtig viel tung, in der sie sich als «young woman American slave» Geld abwerfen. Wer auf die Gewinnerstrasse kam, den dem meistbietenden Mann anbot. Sie pries sich an als kümmerte das natürlich wenig – das Maulen der ande- «not beautiful, but very attractive» und schrieb weiter, ren konnte man als schlechtes Verlieren abtun. Aber dass ihre Wesenszüge «voller Charakter und Kraft, aber ich wusste eigentlich genau: Da ist was faul. dennoch ganz feminin» seien. Es waren seltsame Zeiten. Die monopolkritische und lang vergessene Erfinderin Mehr als eine erfolgreiche Parabel Habe ich damit die Lektion genauso gelernt, wie es auf den Kapitalismus? der Erfinderin vorschwebte? Lizzie Magie hatte sich Vielleicht war Magie aber vor allem eine Spielerin, für ihr «Landlord’s Game» nämlich zwei Spielvarianten immer auf der Suche nach Möglichkeiten, das Bewusst- ausgedacht: Die Spielerinnen und Spieler mussten sich sein der Menschen für Ungerechtigkeiten zu kitzeln. zu Beginn entscheiden, ob sie ganz nach «The winner «Bald, ich hoffe sogar sehr bald, werden Männer und takes it all»-Schema zu Monopolisten werden wollten Frauen merken, dass sie deshalb arm sind, weil Carnegie oder lieber mit Regeln spielen, die eher kleinteiliges, so- und Rockefeller so viel haben, dass sie nicht wissen, ziales Wirtschaften belohnten. Die Geschichte des viel- was damit anfangen», sagte sie zu Journalisten, die auf leicht erfolgreichsten Gesellschaftsspiels der Welt hat die schräge Annonce aufmerksam geworden waren und einige unerwartete Pointen – die erste eben, dass es von Magie so zu kurzzeitiger Berühmtheit verhalfen. Doch einer Frau erdacht wurde, einer amerikanischen Schrift- bald ging die Pionierin wieder vergessen und mit dem stellerin, Feministin, Erfinderin. Die zweite ist so über- Verkauf wurde The Landlord’s Game zum ungeschmink- raschend vielleicht nicht: Der Erfolg ihrer Idee hat Ma- ten Monopoly – aus zwei Spieloptionen wurde eine. gie kaum etwas eingebracht. Da waren nämlich ein paar Magies pädagogischer Trick lief ins Leere. Und die offi- ehrgeizigere Männer mit im Spiel, buchstäblich. Magie zielle Version von Monopoly wurde erst recht zu einem liess ihr Spiel zwar 1904 patentieren, aber es zirkulierte Hit: Im ersten Jahr verkauften sich 278 000 Exemplare, ziemlich frei. Es ging ihr ja auch in erster Linie um Wirt- im nächsten schon über 1 750 000. schaftskritik. Sie folgte bei der Entwicklung ganz den Also alles schön nach marktwirtschaftlichem Kli- Lehren des Antimonopolisten und linken Wirtschafts- schee? Monopoly, eine vielschichtige Parabel auf das reformers Henry George, der im späten 19. Jahrhundert immer ein wenig humorlose, aber effiziente Funktio- 10 moneta 1— 2021 KIND UND GELD
nieren des Kapitalismus? Nicht nur: Die schönste Poin- die Werbung der Spielhersteller direkter an die Kinder te im Zusammenhang mit Monopoly ist wohl, dass und nicht mehr an die Eltern. Nun fokussierte man auf sich hartgesottene Ökonominnen und Ökonomen noch die Aufregung, die ein Spiel versprach, und immer we- heute mächtig über die Logik des Spiels aufregen kön- niger auf die erzieherischen Werte. nen. So schrieb Benjamin Powell, Direktor des Free Mar- ket Institute, vor ein paar Jahren einen bösen Kommen- Erlebnisse statt Immobilien kaufen tar mit dem Titel: «What’s wrong with Monopoly (the Monopoly ist bis heute eines der erfolgreichsten game)?» So einiges, fand er – vor allem, dass kein freier Brettspiele auf dem Markt und erscheint in unzähligen Markt auf dem Spielfeld sei, sondern viel regulatori- Spezialeditionen. Die jüngste Ausgabe aus dem Jahr scher Zwang und vor allem gegängelte Konsumenten: 2019 hat sich übrigens vom Papiergeld verabschiedet. «Da gefallen sich Land- und Immobilieneigner, obwohl Stattdessen steht auf dem Spielfeld ein Hut mit einge- sie durch pures Glück zu ihren Besitztümern gekom- bauter Sprachsteuerung, als KI -Verwaltung des digita- men sind, im Gedanken, Herren der Welt zu sein und len Kredits. Das zog auch sogleich Kritik von Erzie- einfach aus allen, die vorbeikommen, Profit herauspres- hungsexpertinnen und -experten nach sich: Kinder sen zu können. Es gibt keine Auswahl, geschweige denn lernten eher einen verantwortungsvollen Umgang mit Entscheidungsfreiheit aufseiten des Konsumenten.» Monetärem, wenn sie konkret Scheine zählen und vor Kommt einem irgendwie bekannt vor, zu Zeiten von sich stapeln können – und auch wieder hergeben müs- Google, Facebook und Konsorten. Vielleicht entlarvt sen, wenn sie verlieren. das Spiel also doch – ganz in Lizzie Magies Sinn – die Noch viel konsequenter war aber das ein Jahr früher Literatur: Schwächen eines Systems, das real existierend zwar herausgekommene Monopoly für Millennials. «Vergiss Mary Pilon, läuft wie geschmiert, aber niemanden so recht glücklich Immobilien. Du kannst dir sowieso keine leisten» steht «The Monopolists: macht (ausser den Gewinner, für einen sinnleeren Mo- auf dem Cover. Statt sich ein Immobilienimperium Obsession, Fury, and the Scandal Behind ment)? Insofern überrascht es auch nicht, dass der Er- aufzubauen, sollte man sein Geld lieber für Musikfesti- the World’s Favorite folg von Monopoly immer wieder Umdeutungen provo- vals ausgeben oder für ein edles Nachtessen im veganen Board Game», zierte. Der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick – man Bistro – denn «Erlebnisse währen für immer». Auch Bloomsbury, 2015. kennt ihn vielleicht als Autor der Vorlage des Films eine gültige Wirtschaftslektion: Der nächste Crash, er Henry George, «Progress «Blade Runner» – beschrieb 1959 in einer Kurzgeschich- kommt bestimmt. • and Poverty», 1879. te eine Monopoly-Persiflage, in der das Ziel des Spiels ins Gegenteil umgedeutet wurde: sein Geld nämlich so rasch und komplett wie möglich zu verpulvern. Das Spiel kam für ein paar Jahre tatsächlich auf den Markt, als «Go for Broke», deutsch: Mankomania. «Anti-Monopoly»: Wirtschaftskritik in vielen Varianten In den 1970er-Jahren kamen eine ganze Reihe von Spezial-«Monopolys» auf den Markt, das berühmteste 1973 unter dem Titel Anti-Monopoly. Es war gewisser- massen eine späte Reverenz an Lizzie Magie und ihre zwei Spielprinzipien. Wobei der Erfinder, der Wirt- schaftsprofessor Ralph Anspach, zunächst gar nichts wusste von diesen Ursprüngen des Spiels. Tatsächlich kam die ganze Geschichte um Lizzie Magie überhaupt erst ans Licht, weil sich Anspach einen jahrzehntelan- gen Rechtsstreit mit Parker Brothers lieferte und sich tief in die Archive wühlte. Vor allem im deutschsprachigen Raum kamen in der Folge eine ganze Reihe weiterer Anti-Monopolys her- aus: zum Beispiel «Provopoli – Wem gehört die Stadt?», wo man als Hausbesetzerin oder -besetzer die Markt logik aushebeln kann, oder «Ökolopoly» mit dem Spiel- ziel, ein Ökosystem am Laufen zu halten und die kyber- netische Denkweise zu fördern. Durchgesetzt hat sich keine dieser «moralischeren» Spielideen – ob das daran liegt, dass wir sehr gern un- moralisch spielen, wenn wir eine unsanktionierte Gele- genheit dazu bekommen, sei einmal dahingestellt. Die grosse Zeit der pädagogisch konzipierten Spiele ist seit den 1960er-Jahren ohnehin vorbei. Seither richtet sich KIND UND GELD moneta 1— 2021 11
Eltern: Wie macht ihrs? Wie ist Geld und Konsum bei Eltern Thema, ganz praktisch und auf der Werteebene? Eine kleine Umfrage bei Müttern und Vätern. Text: Esther Banz ten? Oder erhalten Produkte dadurch erst recht einen Stellenwert, den man ihnen eigentlich gar nicht geben möchte? Und nicht zuletzt stellen sich die grossen Fragen: Mit der Elternschaft begann eine neue (Zeit-)Rechnung. Wie erlangt unsere Tochter einen bewussten, auch soli- Mein ganzes, auch in Geldfragen selbstbestimmtes darischen Umgang mit Geld? Und wie erklären wir ihr, und einigermassen unbekümmertes Erwachsenenle- dass wir sehr wohl im Überfluss leben, auch wenn wir ben nahm ein jähes Ende. Bisher musste das Geld, das dauernd knapp bei Kasse sind? Oder was unser Über- ich verdiente, allein für mich reichen. Und das Alter fluss bedeutet, wenn wir beispielsweise danach fragen, schien weit weg. Jetzt ertappe ich mich öfters bei Fragen unter welchen Umständen die Kleider produziert wur- wie: Wann werden wir eigentlich pensioniert? Und wie den, die wir tragen? alt wird dann unsere Tochter sein? Wie viel liegt auf un- Unsere Tochter ist erst fünf Jahre alt. Meine bishe- seren (Pensions-)Konti? Könnten wir ihr ein allfälliges rigen Erkenntnisse zu Kind, Geld und Konsum: Es ist Studium überhaupt finanzieren? Oder müssen wir in kompliziert und oft unbefriedigend. Aber was sagen an- den nächsten zwölf Jahren zusätzlich Geld sparen? Ob- dere Eltern? Wie ist Geld und Konsum bei ihnen Thema? wohl: Das ist gar nicht so einfach, seit wir zu dritt sind. Unsere beiden nicht so hohen Löhne müssen ja nicht Mattea Meyer, SP -Co-Präsidentin; Mädchen (4) nur für drei Personen reichen, sondern auch für die «Wir versuchen, unserer Tochter einen unge grössere Wohnung und vor allem für die externe Kin- zwungenen Umgang mit Geld und Dingen derbetreuung. zu vermitteln: weder verschwenderisch noch Auch als Wertethema fordert Geld ein neues Be- geizig. In einem schönen Kinderbuch, das wusstsein und Entscheidungen dem Kind gegenüber: wir immer wieder zusammen anschauen, geht Was will ich ihm vermitteln? Ich weiss nicht mehr, wie es ums Teilen. Eines Abends zügelte sie alt unsere Tochter war, als sie erstmals laut und zornig eines der beiden Nachttischli aus u nserem rief: «Das ist meins! Damit darf niemand anderes spie- Schlafzimmer in ihres. Sie fand: ‹Ihr habt zwei, len!» Ups. Wie darauf reagieren? Werden hier schon ich keines. Ihr müsst auch teilen lernen!› Weichen gestellt? Überhaupt, der Konsum. Die Verfüh- rungen in den Supermärkten sind das eine Reizthema, Wenn Kinder zu Besuch kommen, muss sie ihre das andere: Plötzlich gehen emotional besetzte Gegen- Lieblingskuscheltiere nicht allen andern zum stände mir nichts, dir nichts kaputt. Soll man schimp- Anfassen geben. Es ist uns wichtig, dass sie das Recht fen, das Kind zu einem sorgfältigeren Umgang anhal- hat, auch in solchen Dingen Nein zu sagen.» 12 moneta 1— 2021 KIND UND GELD
Andrea Bauer, Redaktorin; Junge (7) und Alice Kohli, angehende Physikerin und Lehrerin; Mädchen (5) zwei Mädchen (4 und 3) «Unser älterer Sohn ist in der ersten Klasse und er- «Gestern gab es im Kinderzimmer einen seltenen hält jetzt erstmals Taschengeld. Seither versteht Geld-Moment: Die Mädchen verteilten Kuchen und er: Wenn ich das spare, kann ich mir Dinge kaufen. verlangten drei Bätzeli dafür. Sie haben also bereits Beim Tauschen von Ninjago-Karten wurden die jün- ein Verständnis dafür, dass Geld so etwas wie ein geren von den älteren Kindern eine Zeit lang ständig Tauschschein ist. Ansonsten sind Münzen und No- übers Ohr gehauen. Wir mussten uns überlegen, ten aber noch etwas Abstraktes für sie. Sowenig wie wir uns dazu verhalten sollen – was moralisch das für sie ein Thema ist, sosehr ist es plötzlich für gar nicht so einfach war: Bringen wir unserem Sohn mich eines geworden, seit ich Mutter bin: Ich mache bei, wie er beim Tauschen das Beste für sich rausho- mir viel mehr Gedanken über die Zukunft, sogar zu len kann? Oder aber, dass es okay ist, sich über den Vorsorgethemen, die mich zuvor überhaupt nicht Tisch ziehen zu lassen? Beides war nicht das, was wir interessierten. Und ich bin insgesamt nicht mehr so ihm vermitteln wollten. Schliesslich gaben wir ihm entspannt im Umgang mit Geld.» Handlungsmöglichkeiten, wir liessen ihn überle- gen: Welche Karte ist mir viel wert, welche weniger? Julia Hofstetter, Illustratorin, Ziegenhirtin, Am Schluss waren wir alle sogar glücklich über diese Kommunikationsbeauftragte, Gemeinderätin; Erfahrung, weil sie uns darüber nachdenken liess: zwei Töchter (19 und 15) Wer bestimmt eigentlich, was wie viel Wert hat?» Julia «Konsum und Finanzflüsse sind für mich wich- tige Themen, nicht zuletzt, weil mich die Klima Brigitta Bernet, Historikerin, und Koni Weber, krise und der Verlust der Biodiversität beunruhigen. Programmierer; zwei Jungen (10 und 7) Es beschäftigt mich auch, dass Menschen für die Koni «Unsere Kinder sind noch fest am Sammeln. Produkte, die ich kaufe, ausgebeutet werden. Meine Neben Federn auch Noten, beides flog öfters einfach Töchter wollte ich mit diesen Themen aber nicht be- im Zimmer rum. Wir brachten die Noten dann zur lasten. Kinder sollen unbeschwert und im Vertrauen Bank. Die Buben haben je ein Jugendsparkonto.» aufwachsen dürfen, dass die Welt grundsätzlich gut ist. Wir haben deshalb als Eltern versucht, diese Brigitta «Was mich sehr umtreibt, sind die grossen schwierigen Themen positiv zu besetzen, etwa in- Vermögensunterschiede und die Kapitalakkumula- dem wir unseren Töchtern die Freude an nachhaltig tion einiger weniger auf Kosten der Löhne. Aber produzierten Produkten vermitteln und saisonal wie lässt sich dieses Thema für Kinder herunterbre- einkaufen. Sie hatten früh ihr eigenes Geld, nicht chen? Ich habe versucht, es über die verschiedenen nur Taschengeld, sondern einen Jugendlohn. So ha- Berufe zu erklären. Unser älterer Sohn hörte auf- ben sie gelernt, selber mit Geld zu haushalten.» merksam zu. Er möchte dereinst einen sinnvollen Beruf ausüben. Uns sieht er vor allem am Computer Die ältere Tochter «Den Jugendlohn erhielt ich erstmals arbeiten – dass man vor einem Bildschirm sitzend mit zwölf Jahren. Anfangs waren es 200 Franken Geld verdienen kann, findet er seltsam. Dass Bauern im Monat. Wir haben die Höhe jedes Jahr neu be- und Bäuerinnen mit ihrer Arbeit Geld verdienen, rechnet und dabei geschaut, was ich für Essen, scheint ihm hingegen völlig logisch.» Kleider, Hygieneartikel brauche. Je älter ich wurde, desto mehr Geld hatte ich zur Verfügung. Ich kaufte Dominik Gross, Spezialist für globale Finanz- nie grosse, teure Sachen, sparte aber auch nicht viel.» und Steuerpolitik bei einer NGO, und Katharina Morawek, Ausstellungsmacherin und Beraterin Min Li Marti, SP -Nationalrätin und Verlegerin; für Demokratisierungsprozesse im Kulturbereich. Mädchen (3) Junge (3) und Mädchen (2 Monate) «Kaum sind Kinder da, hat man zu Hause viel mehr «Geld ist für unseren Sohn noch kein Thema, Teilen Sachen rumliegen. Ich finde das nicht so schlimm, aber schon. Wir möchten ihm Grosszügigkeit im die Kinder müssen ja lernen, mit der Konsumwelt Umgang mit dem eigenen Besitz vermitteln, aber umzugehen. Wichtig ist uns, dass unsere Tochter auch Sorgfalt mit den eigenen Sachen und jenen lernt: Jede kann mithelfen, Probleme zu lösen, sei es von anderen. Spielsachen zu teilen, scheint uns da- beim Klima oder bei den sozialen Ungerechtig für eine gute Übung. Generell ist uns wichtig, dass keiten. Mein Mann Balthasar Glättli und ich reden unsere Kinder einen pragmatischen Umgang mit ja oft über solche Dinge, auch am Familientisch. Geld lernen. Geld selbst ist ja an sich nichts mehr als Sorge bereitet mir – und das hat sehr konkret mit ein Medium, um materielle Werte auszudrücken. dem Kapitalismus zu tun –, dass Kinder heutzutage Ungleichheit und Armut kommen erst durch Herr- angeblich lernen müssen, sich zu behaupten und schaft und Ausbeutung in die Welt, nicht durchs anzupassen, um später in einem gnadenlosen Be- Geld an sich. Geld oder nicht Geld ist also nicht die rufsleben zu bestehen. Man sollte die Kinder doch Frage, sondern wie Besitz und Reichtum unter einfach in dem fördern, was sie gern machen.» • uns allen möglichst gleich verteilt werden – ob in der Krippe oder der ganzen Gesellschaft.» KIND UND GELD moneta 1— 2021 13
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