KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz

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KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
KIND UND GELD
                                            Finanzerziehung: Wie erlernen
                                            Kinder und Jugendliche einen
                                            verantwortungsvollen Umgang mit
                                            Geld? 4, 12, 24

                                            Kinderarmut: Schweizweite
                                            Ergänzungsleistungen für Familien
                                            würden vielen Kindern helfen 6

                                            Geizig oder grosszügig?
                                            Wie wir diese Eigenschaften
Magazin für Geld und Geist
                             online         erwerben, erklärt Hirnforscher
                                            Gerald Hüther 8
                             moneta.ch

                                           # 1 2021
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
I N H A LT             Theorie und Praxis
                                                                                  «Mama, schau, was ich gekauft habe!» Mit
                         KIND UND GELD                                             Unbehagen betrachtete ich die neonfarbenen
                  4 «Man muss über                                                 Sneakers, die mir unser damals 14-jähriger
                     Geld sprechen!»
                                                                                   Sohn entgegenstreckte. Er hatte sie soeben von
                        6 Skandalös                                                seinem «Jugendlohn» erstanden, einem monat-
                    hohe Kinderarmut                                               lichen, gemeinsam mit uns berechneten Fix­
                                                                                   betrag für Mittagessen, Kleider, Hygiene­artikel,
            8 « Kinder haben
   das Bedürfnis, Gutes zu tun »                                                   Freizeit usw. Mein Unbehagen rührte von der
                                                                schrecklichen Farbe der Sneakers, vor allem aber daher, dass
                10 Spielend lernen,                             solche Markenturnschuhe meist völlig überteuert sind. Ich ahnte,
              wie Kapitalismus geht
                                                                dass er das viele Geld bei den Mittagessen einsparen und sich
    12 Eltern: Wie macht ihrs?                                  bis Monatsende von billigem Fast Food ernähren würde. Ich
                                                                seufzte innerlich und übte mich in Gelassenheit. Denn das von
                                                                Fachleuten entwickelte Konzept des «Jugendlohns» sieht
                 DIE SEITEN DER ABS                             vor, dass Jugendliche ab zwölf Jahren ihr Monatsbudget selbst-
     14     Alles rund um die aktuellen                         ständig verwalten – was auch bedeutet, dass sie die Konsequen-
                       Themen der Alter­-
                   nativen Bank Schweiz                         zen ihrer «Investitionsentscheide» selbst tragen müssen. Für
                                                                uns Eltern hiess es also, darauf zu vertrauen, dass unserem Sohn
                               PERSÖNLICH
                                                                die unge­sunden Mittagessen nicht ernsthaft schadeten und er
                    24 Nika Dubrovsky
             « Ich weiss ja selbst nicht,                       mit der Zeit lernen würde, sein Geld «vernünftiger» einzusetzen.
                          was Geld ist »
                                                                      Der «Jugendlohn» ist eine Möglichkeit, Finanzkompeten-
                                                                zen zu erwerben. Ebenso wichtig ist – wie verschiedene Artikel in
                                                                dieser moneta zeigen –, mit Kindern und Jugendlichen über
                                                                Geld zu reden. Über die Preise von Esswaren, Kleidern, Spiel­
                                                                sachen, über Wohnungsmieten und Löhne, auch über weiterge-
                                                                hende Fragen wie: Warum verdienen die einen viel, die anderen
                                                                wenig? Wie funktioniert unser Wirtschaftssystem? Wie kann
                                    moneta #1—2021              man mit Geld Gutes tun? Und wer bestimmt eigentlich, was wie
                          Magazin für Geld und Geist            viel wert ist? Diese Fragen sind alles andere als einfach, auch weil
   moneta erscheint vierteljährlich in deutscher und
       französischer Sprache und geht kostenlos an              Geld­themen in unserer Gesellschaft oft tabu sind. Aber es lohnt
     ­Kundinnen und Kunden der Alternativen Bank
    Schweiz AG ( ABS ). Die Wiedergabe von Texten               sich, schon mit kleineren Kindern darüber zu sprechen und zu
   und eigenen Illustrationen ist nur unter Quellen­
       angabe und mit schriftlicher Zustimmung der              versuchen, offen und altersgerecht auf ihre Fragen einzugehen.
                                          ­Redaktion erlaubt.
          Heraus­geberin Alter­native Bank Schweiz AG           So können sie nach und nach einen bewussten Umgang mit Geld
               Redaktionsleitung Katharina Wehrli (kw)
     Redaktion Esther Banz (eb), Roland Fischer (rf ),
                                                                entwickeln und sind gut gerüstet, um als Jugendliche die Ver­
                 ­Katrin Pilling (kp), Muriel Raemy (mr)
                            Online-Redaktion Katrin Pilling
                                                                antwortung für ein eigenes Budget zu übernehmen. – Zumindest
                                    Übersetzung Nicole Wulf
                      Inserate Bruno Bisang, Luzia Küng
                                                                dachte ich das, bis unser Sohn mit den besagten Sneakers nach
                   Layout Clerici Partner Design, Zürich
                              ­Illustrationen Claudine Etter
                                                                Hause kam. Inzwischen ist er fast erwachsen. Markenturnschuhe
                Druck Ropress Genossenschaft, Zürich
       Papier RecyStar Nature, 100 Prozent Recycling
                                                                mag er immer noch, Fast Food aber nicht mehr. Es geht eben
      Adresse Alternative Bank Schweiz AG , moneta,             nichts übers praktische Üben, auch beim Umgang mit Geld.
              ­Amt­haus­quai 21, ­Postfach, 4601 Olten,­
              Telefon 062 206 16 16, ­moneta @ abs.ch­
                         Auflage d­ ieser Ausgabe 24 700 Ex.    Katharina Wehrli, Redaktionsleiterin
      Beilagen Werbung und Beilagen, die nicht von
         der ABS stammen, sind ­be­zahlte ­Inserate —
      diese ­Ein­nahmen helfen uns, die Produktions­
                       kosten des Magazins zu decken.
  Wichtiger Hinweis zu den Inseraten und Beilagen Zeich­
 nungsangebote für Beteiligungen oder Obligatio­
       nen in dieser Zeitung sind von der ABS nicht
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     Wenn Sie als Bankkundin/-kunde umziehen,
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   2       moneta 1—2021
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
Der Klimastreik geht weiter                                      Für eine kollaborative Schweiz
Am 21. Mai 2021 geht die Klimabewegung mit einem                 Die Initiative Collaboratio helvetica sieht sich als Kataly-
«Strike for Future» zurück auf die Strasse. Mit dem ge-          sator für die nachhaltige Entwicklung der Schweiz. Die
planten schweizweiten und bunten Aktions- und Streik-            ständig wachsende Community will Raum für gemein-
 tag will die Klimabewegung möglichst viele Menschen             schaftliches Experimentieren schaffen und mithilfe der
und verschiedenartige Organisationen mobilisieren. «Wir          von Otto Scharmer entwickelten Methodik «U-Prozess»
wollen eine soziale und ökologische Gesellschaft ohne            tiefgreifende Innovationen anstossen: «Wir möchten
 die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur», schreibt            die notwendigen Veränderungen in unseren Verhaltens-
 die Klimastreikbewegung. Da die verschiedenen Krisen            weisen unterstützen und fördern, damit wir aus dem
miteinander verknüpft seien, könne jede Gruppe für               Silo-Denken herauskommen und gemeinsam die Schweiz
­ihre Anliegen und Forderungen in den Streik treten und          erschaffen, in der wir leben möchten.» Wie der Name
 so mit vereinten Kräften die Grundlage für einen lang-          der international vernetzten Initiative andeutet, geht
 fristigen Wandel schaffen. Es stehen schon einige Events        es darum, zusammenzuarbeiten und die kollektive Intel-
 auf der Agenda, andere sollen noch geplant werden. (mr) ­       ligenz für das Gemeinwohl einzusetzen. Collaboratio
                                                                 helvetica unterstützt im Rahmen des Catalyst Lab, eines
   Informationen zur Teilnahme finden sich hier:                 Zukunftslabors für die Schweiz, vor allem Projekte zu
   strikeforfuture.ch                                            zwölf der siebzehn UN -Ziele für nachhaltige Entwicklung
                                                                 (SDGs) und bietet Kurse sowie zahlreiche Networking-
                                                                 Anlässe an. (mr)
                                                                     collaboratiohelvetica.ch
   Zwei erfolgreiche Klimaklagen
 Nach Erscheinen der letzten moneta-Ausgabe zum
­ hema «Umwelt im Recht» erreichte uns am 3. Februar
T                                                                   Mit einer Corona-Steuer
2021 eine erfreuliche Nachricht aus Paris: Die Klage                gegen das Ungleichheitsvirus
«L’Affaire du Siècle» (Die Sache des Jahrhunderts) war
  ­erfolgreich. Eingereicht wurde sie von den NGO Notre          Durch die Corona-Pandemie droht die Ungleichheit
Affaire à Tous, Greenpeace Frankreich, Oxfam Frank-              ­erstmals in fast allen Ländern der Welt gleichzeitig anzu-
 reich und der Nicolas-Hublot-Stiftung. Das französische           steigen. Zu diesem Schluss kommt eine kürzlich publi-
Verwaltungsgericht anerkannte die Verantwortung des                zierte Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam. Hun-
   Staates für die Klimakrise und beurteilte es als rechtswid-    derte Millionen Menschen haben seit Ausbruch der
 rig, dass er seine Verpflichtungen zur Verringerung der         Pandemie ihre Jobs verloren. Besonders stark betroffen
Treibhausgasemissionen nicht wahrnimmt. Als nächster               sind Menschen in Entwicklungsländern und Angestellte
   Schritt wird in den kommenden Monaten ein erneutes            in Tieflohnbranchen. Aufgrund fehlenden politischen
   Urteil angestrebt, das den französischen Staat zu konkre-     Willens und einer chronischen Unterfinanzierung der öf-
   ten Massnahmen gegen den Klimawandel zwingen                    fentlichen Haushalte mangelt es in vielen Ländern an
­könnte.                                                           ­guten staatlichen Gesundheits-, Bildungs- und sozialen
      Auch in Russland gab es einen bahnbrechenden Ent-             Sicherungssystemen. Oxfam plädiert deshalb dafür,
   scheid: Die russische Umweltaufsichtsbehörde klagte            dass sich Konzerne und Superreiche stärker an der Finan-
 ­erfolgreich gegen den Bergbaukonzern Nornickel. Dieser           zierung des Gemeinwesens beteiligen. Dies könne
 ist dafür verantwortlich, dass am 29. Mai 2020 aus einem         ­erreicht werden, indem die Regierungen kurzfristig
 beschädigten Kraftwerkstank rund 21 000 Tonnen Diesel-            die Steuerpolitik anpassten. Denn während die Pandemie
 öl ausliefen und in die Gewässer nahe der nordsibirischen         die Situation der Ärmsten zusätzlich verschlimmert,
   Stadt Norilsk gelangten. Das Gericht verurteilte den Kon-       sind die Reichen noch reicher geworden, vor allem wegen
   zern zu einer rekordhohen Entschädigungszahlung von             des Booms am Aktienmarkt. Dass eine solche Corona-
146 Milliarden Rubel (rund 1,76 Milliarden Franken). (mr)           Steuer in der Schweiz den Rückhalt der Bevölkerung fin-
      notreaffaireatous.org > Victoire historique (nur in          den würde, deutet eine nicht repräsentative Umfrage
      Französisch), bloomberg.com > Russian court                  auf der Website des Schweizer Radio und Fernsehens SRF
                                                                   an: 82 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass sie
                                                                 eine ­Corona-Steuer für Konzerne und Superreiche befür-
                                                                 worten würden. (kw)
moneta wird von der Alternativen Bank                                  oxfam.de/ueber-uns/publikationen/oxfams-bericht-
Schweiz ( ABS) herausgegeben und von einer                             covid-19-auswirkungen-ungleichheitsvirus
unab­hängigen Redaktion betreut.                                       srf.ch/news/international/armut-wegen-pandemie-
                                                                       oxfam-schlaegt-coronasteuer-fuer-superreiche-vor
Die Beiträge geben nicht notwendigerweise die Haltung
der ABS wieder, ­ausser auf den «Seiten der ABS » oder
in speziell m
            ­ arkierten Kommentaren.

                                                                              KURZNACHRICHTEN            moneta 1— 2021    3
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
«Man muss über Geld
 sprechen!»
     Wie lernen Kinder und Jugendliche einen
     ­verantwortungsvollen Umgang mit Geld?                   ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
      Und wie lässt sich ver­meiden, dass sie später          Entwicklung ( OECD ) eine Pionierrolle ein, beispiels-
      in die Schuldenfalle tappen? Wichtig ist,               weise mit der Pisa-Erhebung 2012, in der unter anderem
      was ­Eltern ihnen vorleben. Aber nicht nur.             die finanzielle Bildung der 15-jährigen Schülerinnen
     Text: Muriel Raemy                                       und Schüler in Europa ermittelt wurde. Ein Fazit ver-
                                                              schiedener Studien ist, dass bereits sehr junge Kinder
                                                              ein gewisses Bewusstsein für Geld haben und sie durch
Meine Söhne, 14 und 12 Jahre alt, erhalten kein Taschen-      sukzessive Annährung an finanzielle Fragen ein umfas-
 geld, aber ich bezahle sie für bestimmte Aufgaben in         senderes und nuancierteres Verständnis dafür entwi-
Haushalt und Garten. Ihre jüngere Schwester ist immer         ckeln. Doch erst ab Ende der Sekundarstufe I, also mit
wieder begeistert von der Grosszügigkeit der Bäckerei-        rund 15 Jahren, und vor allem in der Sekundarstufe II
verkäuferin, die mir auf meinen Geldschein ganz viele         (Lehre oder Mittelschule) können sich Jugendliche
Münzen zurückgibt. Ich möchte ihr diese Freude nicht          komplexeres Finanzwissen aneignen.
 nehmen. Sollte ich das? Ist es zudem sinnvoll, meinen            Bei der obligatorischen Schulbildung lässt der Föde-
 Söhnen beizubringen, dass jede Arbeit einen Lohn ver-        ralismus den Kantonen einigen Spielraum. Der Lehr-
 dient? Gibt es hier eine richtige Vorgehensweise?            plan 21 in der Deutschschweiz sieht wöchentlichen Un-
    «Es gibt kein Richtig oder Falsch, aber eine Regel, die   terricht in «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» vor, während
 gegen ein Tabu verstösst: Man muss über Geld spre-           der Lehrplan in der Westschweiz nur das Fach «Wirt-
 chen! Es ist wichtig, dass Eltern offen und konkret darü-    schaft» umfasst. Géraldine Landry unterrichtet das
 ber reden. Allerdings habe ich festgestellt, dass dies in    Fach auf der Sekundarstufe I in La Sarraz VD ; ihre Schü-
 Familien eher selten gemacht wird.» Caroline Henchoz,        lerinnen und Schüler sind zwischen 12 und 15 Jahre alt.
 Soziologin, Lehrbeauftragte und Forschungsrätin an           Sie freut sich über die Wende, die das Fach erfahren hat:
 der Universität Freiburg sowie Assistenzprofessorin an       Während der Unterricht früher auf Unternehmen und
 der Hochschule für Soziale Arbeit der HES -SO Valais-        Betriebswirtschaft fokussierte, steht nun die Lebens-
Wallis, interessiert sich seit über zwanzig Jahren für den    welt der Schülerinnen und Schüler und die Vermittlung
 Umgang mit Geld in Familien. In ihrem Forschungsge-          von alltäglichen Finanzkompetenzen im Vordergrund.
 biet ist sie fast allein, denn der Einfluss der Eltern auf   «Zuerst gehen wir in die Migros einkaufen, mit der
 die Finanzkompetenzen der Kinder wurde bisher noch           Einkaufsliste für eine Mahlzeit. Wir lesen die Etiketten,
kaum systematisch erforscht.                                  berechnen den Kilopreis, vergleichen die verschiede-
    Henchoz hat herausgefunden, dass Finanzkompe-             nen Produkte und stellen den Einkauf dem Essensbud-
 tenzen nicht allein durch eine explizite Finanzerzie-        get der Familie gegenüber.» Um Themen wie Geld-
hung erworben werden: Kinder und Jugendliche lernen           schöpfung, BIP, Kryptowährungen oder Gemeingut zu
viel durch Imitieren und Ausprobieren, meist geschieht        vermitteln – oft mit einem Aktualitätsbezug –, stellt
 dies über ein eigenes Sparkonto oder Taschengeld. Laut       Géraldine Landry ihr eigenes Unterrichtsmaterial zu-
Henchoz handhabt jede Familie diese Themen auf ihre           sammen. Und sie mag Lernspiele, wie zum Beispiel das
 eigene Art, entsprechend ihrer «Philosophie»: Entwe-         «Budgetspiel» von Pro Juventute (siehe S. 5).
 der erhält das Kind ein Taschengeld in bestimmter
­Höhe oder dieses ist an die Erfüllung bestimmter Auf-            Der Verschuldung vorbeugen
 gaben geknüpft. Oder Eltern und Kind handeln gemein-             Was die Förderung der Finanzkompetenzen von Ler-
 sam aus, welche Käufe notwendig sind. Auf diese Weise        nenden oder Studierenden anbelangt, gibt es keine ech-
vermitteln Eltern den Kindern zwar ihre Werte, aber           te Koordination auf nationaler Ebene. Sie hängt folglich
 nicht unbedingt ihr Know-how im Umgang mit Geld              vom guten Willen der Schulleitungen und von den
 oder in der Budgetplanung. Für die Soziologin ist klar,      Möglichkeiten der Lehrpersonen ab. Im Bereich Schul-
 dass die Schule hier einen Beitrag leisten muss.             denberatung sind die Kantone aktiver. Die Mehrheit
                                                              der Jungen geht zwar verantwortungsvoll mit Geld um,
   Möglichst nahe an der Lebenswelt der Jugendlichen          doch es gibt auch jene, die Schulden anhäufen. Daher
   In den letzten Jahren wurden zahlreiche Initiativen        besteht ein wachsendes Interesse an Prävention. Die
zur Förderung von Finanzkompetenzen lanciert. Auf in-         meisten Kantone arbeiten mit spezialisierten Organisa-
ternationaler Ebene nehmen die Weltbank und die Or-           tionen zusammen, etwa der Caritas oder den kirchli-

4    moneta 1— 2021       KIND UND GELD
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
tute an Kinder zwischen sechs und acht Jahren: Anhand
                                                          der Geschichte der beiden Kinder Alma und Milan, die
                                                          Material für ihr geplantes Baumhaus brauchen, regt das
                                                          Buch an, über Themen wie Schenken, Tauschen, Teilen,
                                                          Arbeiten, Kaufen, Verkaufen, Zeithaben und Sparen
                                                          nachzudenken. Célia Brocard, Projektleiterin bei Pro Ju-
                                                          ventute, erklärt, dass viele Aspekte, die mit Geld ver-
                                                          bunden sind, abstrakt und für Kinder deshalb schwer
                                                          zu verstehen seien. «Doch die Kleinen haben einen aus­
                                                          geprägten Sinn für Logik. Wenn man früh auf ihre Fra-
                                                          gen eingeht, regt man sie dazu an, über Geldthemen
                                                          nachzudenken, beispielsweise über Kaufreflexe oder
                                                          über die Tatsache, dass Mama und Papa einen Lohn er-
                                                          halten.» Die Stiftung entwickelt auch pädagogisches
                                                          Material für Schulkinder und Jugendliche, wie das be-
                                                          reits erwähnte «Budgetspiel». Dabei schlüpfen die Teil-
                                                          nehmenden anhand von Geschichtenkarten in die Rol-
chen Sozialdiensten. «Neben Ereignissen wie Stellen-      len von Lernenden oder Studierenden, die ihre Finanzen
verlust, Krankheit oder Scheidung sind es häufig          selbst verwalten müssen.
fehlende administrative und finanzielle Kompetenzen,
die Schulden verursachen», erklärt Isabelle Baume,            Mit zwölf Jahren ein eigenes Budget verwalten
Sozialarbeiterin und stellvertretende Direktorin des          Im Zusammenhang mit der Schuldenprävention
kirchlichen Sozialdienstes der reformierten Kirche        wird oft der sogenannte Jugendlohn erwähnt. Dessen
( CSP ) des Kantons Neuenburg. Mit zwei von den West-     Grundsatz ist einfach: Auf der Basis eines Vertrags mit
schweizer CSP entwickelten Workshops («Les ficelles       den Eltern erhalten Jugendliche – idealerweise ab zwölf
du budget» und «Cash-Cash Party») besucht sie Klas-       Jahren – einen fixen monatlichen Betrag, dessen Höhe
sen an nachobligatorischen Schulen, um die Jugend­        von den Möglichkeiten der Familie abhängt. Damit
lichen für Haushaltsausgaben und den Nutzen eines         müssen die Jugendlichen einen Teil ihrer Lebenskosten
Haushaltsbudgets zu sensibilisieren. «Unabhängig vom      selbstverantwortlich bestreiten. Die Idee dahinter ist,
sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund der Famili-    dass die Jugendlichen die Konsequenzen ihrer finan­
en weichen die Kenntnisse, die den Jugendlichen ver-      ziellen Entscheidungen selbst tragen – auch wenn sie
mittelt wurden, stark voneinander ab. Einige haben kei-   Fehler machen und ihr Konto bereits vor Ende Monat
ne Vorstellung von ihren Ausgaben, andere können          leer ist. Pro Juventute organisiert Veranstaltungen für
bereits ein Budget erstellen. Auch wenn man das nicht     Eltern, um sie mit dem Jugendlohn vertraut zu machen
verallgemeinern kann, stelle ich fest, dass eine grosse   und bei der Umsetzung zu begleiten. Auch Themen
Unkenntnis über die Lebenskosten herrscht», erklärt       wie Selbstvertrauen, Umgang mit Gefühlen und Grup-
Baume.                                                    pendruck kommen dabei zur Sprache. Die Herausforde-
                                                          rungen sind gross zu Zeiten des digitalen Geldes und
   Auch die Kleinen denken gern über Geld nach            der Vervielfachung der Zahlungsmittel. Auch die Werte
   Die Stiftung Pro Juventute setzt sich seit über hun-   und Normen zu hinterfragen, die in der Familie vermit-
dert Jahren für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene     telt oder von der Peergroup vorgelebt werden, erfordert
und Familien ein und hat schon früh Angebote zur Ver-     einiges.  •
mittlung von Finanzkompetenzen entwickelt. Mit dem                                             projuventute.ch, csp.ch,
Bilderbuch «Geld zu verkaufen!» richtet sich Pro Juven-                               hevs.ch/fr > Caroline Henchoz

                                                                         KIND UND GELD           moneta 1— 2021     5
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
Skandalös
  hohe Kinderarmut
   Jedes zehnte Kind in der Schweiz wächst in Armut auf. Ein
    ­wirksames Mittel dagegen wären Familien­ergänzungsleistungen,
     wie sie bislang einige wenige Kantone vergeben. Doch die                                  sorin an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Dieses
   ­Widerstände gegen eine schweizweite Einführung sind gross.                                 Verständnis von Eigenverantwortung führe dazu, dass
    Text: Benjamin von Wyl                                                                     Kinder in «wirtschaftliche Sippenhaft» genommen und
                                                                                               nicht als Individuen anerkannt werden. «Die Schweiz
                                                                                               hat die UN -Kinderrechtskonvention unterschrieben,
                                   «Die Armut ist in den letzten Jahren insgesamt gestie-      aber handelt nicht danach.» Kommunal gebe es wirksa-
                                   gen. Aber besonders verschärft hat sich die Kinderar-       me Mittel, um etwa die Bildungschancen zu vergrössern.
                                   mut», sagt Aline Masé, Leiterin Sozialpolitik bei Caritas   «In der Stadt Zürich setzten wir zum Beispiel existenz­
                                   Schweiz. Jedes zehnte Kind wachse in der Schweiz in         sichernde Stipendien durch.» Schweizweit sieht es düs-
                                   Armut auf. Dazurechnen müsse man weitere zehn Pro-          terer aus. «Aber wir probieren es immer wieder.»
                                   zent «Armutsgefährdete». 2018 lag die Armutsgrenze
                                   für eine erwachsene Einzelperson bei 2293 Franken pro           Bessere Grundbedingungen für Familien schaffen
                                   Monat. Mit der Pandemie steigt die Armutsquote wohl             Der Kampf gegen Kinderarmut muss in verschiede-
                                   weiter, und wahrscheinlich werden auch weiterhin be-        nen Politikfeldern ansetzen. Zum Beispiel schmerzen
                                   sonders viele Kinder betroffen sein. «Die Vererbbarkeit     steigende Mieten Familien mit wenig Einkommen be-
                                   von Armut ist sehr gross in der Schweiz», erklärt Masé      sonders. Masé sagt: «Der Schlüssel zum gesellschaftli-
                                   weiter. Noch immer werde Armut als selbst verschuldet       chen Aufstieg bleibt aber Bildung.» Wenn Hausaufga-
                                   wahrgenommen, noch immer gebe es das «sehr naive»           benhilfe und ausserschulische Betreuungsstrukturen
                                   Bild, dass man sich mit Fleiss den gesellschaftlichen       fehlen, sind Kinder, die bereits Anfang Primarschule
                                   Aufstieg erarbeiten könne. «Dabei werden die Weichen        allein zu Hause sind, stark benachteiligt. «Ein wichtiger
                                   häufig bereits in der Kindheit gestellt.»                   Punkt wären möglichst günstige oder kostenlose Kin-
                                                                                               dertagesstätten. Weil Eltern, die in Tieflohnjobs be-
                                      Kinder als Individuen anerkennen                         schäftigt sind, oft auf Abruf oder unregelmässig arbei-
                                      Es ist wohl allen klar, dass Kinder nichts für die Fa-   ten, braucht es diese Betreuungsangebote aber auch
   Dieser Artikel erschien erst-   milie können, in die sie geboren werden. Gleichzeitig       kurzfristig und zu Randzeiten», führt Masé aus. Ein
  mals im Sonderheft «Kinder-      steht der Entwicklung und freien Entfaltung von Kin-        weiteres entscheidendes Element, gerade weil Fami­
armut » des ­Strassenmagazins
 «Surprise» (484/20) und wur-
                                   dern die Vorstellung entgegen, dass Privatsache sei, was    lienarmut so viele Bereiche touchiert, sind Familien­
  de für moneta leicht gekürzt.    in der Familie passiere. «Bei der Familie will man sich     anlaufstellen, losgelöst von der Sozialhilfe: Orte, an
       Das gesamte «Surprise»-     nicht dreinreden lassen – gegen diese Idee von Eigen-       denen ohne Behördendruck Wissen und Kenntnisse zu
Sonderheft ist abrufbar unter:
      issuu.com/surprise/docs/­    verantwortung kämpft man an», sagt Katharina Prelicz-       Krankenkassenprämienverbilligung, Integration oder
        surprise-484_druck-pdf     Huber, Nationalrätin der Grünen und ehemalige Profes-       Betreuungsangeboten vermittelt werden.

   6       moneta 1— 2021          KIND UND GELD
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
Masé spricht davon, «Grundbedingungen zu schaf-             Erfolgreiches «Tessiner Modell»
                              fen, dass Familien ihren Alltag sorgenfrei bestreiten          Eine finanzielle Unterstützung, die vor der Sozial­
                              können». Das habe ganz stark mit Vereinbarkeit von         hilfe ansetzt und besonders auch «Working Poor» un-
                              Beruf und Familie zu tun – Betreuungsangebote sind         terstützt, sind Familienergänzungsleistungen: Famili-
                              deshalb zentral. Denn wer auf sich allein gestellt ist,    en, in denen die Eltern keinen existenzsichernden Lohn
                              steht vor einem unlösbaren Dilemma zwischen Lohn-          verdienen, wird mit diesen Beiträgen das Einkommen
                              arbeit und Kinderbetreuung. Alleinerziehenden bleibt       aufgestockt. Immerhin vier Kantone (Tessin, Solothurn,
                              deshalb oft nur die Option, Sozialhilfe zu beziehen. In    Waadt, Genf ) haben solche Familienergänzungsleistun-
                              Biel wurde 2014 fast die Hälfte – 47,6 Prozent – aller     gen eingeführt. Vorreiter war der Kanton Tessin, der
                              Fami­lien mit nur einem Elternteil von der Sozialhilfe     seit 1997 Ergänzungsleistungen vergibt. Im sogenann-
                              unterstützt. Mehr als jeder vierte Haushalt von Allein-    ten Tessiner Modell wird die ganze Familie unterstützt,
                              erziehenden war es auch in den grössten Schweizer          bis das jüngste Kind drei Jahre alt ist, danach wird mit
                              Städten: Zürich, Genf, Basel und Bern, und in Lausanne     den Ergänzungszulagen der Lebensbedarf der Kinder
                              mehr als jeder dritte.                                     gedeckt. Zehn Jahre nach der Einführung teilte die Tes-
                                                                                         siner Regierung mit, mit diesen Ergänzungsleistungen
                                 Der Gang aufs Sozialamt ist oft tabu                    habe man rund 60 Prozent der Sozialhilfekosten einge-
                                 Die Sozialhilfestatistik bildet für sich aber noch      spart und «wirksam zur Armutsreduktion» beigetragen.
                              nicht die Armutsrealität in der Schweiz ab. Gerade in      Dies gilt insbesondere auch für die Kinderarmut: Ein
                              kleineren Ortschaften, wo sich alle kennen, ist der Gang   Bericht des «Nationalen Programms zur Prävention und
                              zum Sozialamt tabuisiert. Nicht alle, die ein Anrecht      Bekämpfung von Armut» von 2016 stellt fest, dass von
                              hätten, lassen sich unterstützen. Wer Sozialhilfe be-      allen grösseren Schweizer Städten nur Lugano keine
                              zieht, muss diese – je nach Kanton – später zurückzah-     überdurchschnittlich hohe Sozialhilfequote bei den
                              len. Allein die Aussicht auf einen Schuldenberg schreckt   0- bis 17-Jährigen aufweist.
                              manche ab. Ausländerinnen und Ausländer müssen
                              zudem fürchten, ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren:             Neuer Vorstoss für eine schweizweite Lösung
                              Wer «erheblich selbst verschuldet» von Sozialhilfe lebt,       Linke, CVP sowie die Konferenz der kantonalen So-
                              kann im Extremfall sogar trotz Niederlassungsbewil­        zialdirektorinnen und Sozialdirektoren ( SODK ) fordern
                              ligung C ausgewiesen werden.                               seit zwanzig Jahren immer wieder schweizweite Fami-
                                                                                         lienergänzungsleistungen. Der Vorschlag war um die
                                                                                         Jahrtausendwende erstmals im Bundesparlament. Da-
                                                                                         nach wurde die Ausarbeitung ein-, zwei-, drei-, vier-
                                                                                         mal verschoben: ein Jahrzehnt lang. 2011 entschied
                                                                                         eine Mehrheit, dass man darauf verzichte. Ein Grund
                                                                                         für die Ablehnung war die im bürgerlichen Lager ver-
Kinderarmut: Die wichtigsten Zahlen                                                      breitete Meinung, die Kantone sollten selbst entschei-
                                                                                         den, ob sie armutsbetroffene Familien unterstützen
– 144 000 Kinder von insgesamt                       die in Einelternfamilien            wollten. Aber bislang war eine überwiegende Mehrheit
   1,7 Millionen leben hierzulande                   ­aufwachsen. Knapp ein Viertel      der Kantone nicht bereit, für Familienergänzungsleis-
    in Armut.                                         aller Alleinerziehenden wird       tungen zu zahlen.
– Rund 278 000 Personen bezie-                    von der Sozialhilfe unterstützt.           Im Mai 2020 starteten Katharina Prelicz-Huber und
    hen Sozialhilfe; rund ein Drittel           – Für eine alleinerziehende Mut-         die Fraktion der Grünen im Parlament einen erneu-
    von ihnen sind Kinder und                        ter mit zwei Kindern liegt die      ten Vorstoss für die schweizweite Einführung von Fa-
   ­Jugendliche. Von allen Alters-                Armutsgrenze abzüglich Wohn-           milienergänzungsleistungen. Der Bundesrat empfiehlt
    gruppen sind sie am stärksten                   und Krankenkassenkosten              diesen wieder zur Ablehnung. Statt auf direkte Unter-
    von der Sozialhilfe abhängig.                   ­monatlich bei 1834 Franken.         stützung setze man auf Armutsprävention und die Fi-
– Das verfügbare Familien­ein­                    ­Eine von Armut betroffene             nanzierung günstiger Kinderbetreuung, schreibt er in
    kommen hängt stark von der                     ­Familie muss also pro Person         seiner Stellungnahme und erinnert daran, dass man Fa-
  Ausbildung der Eltern ab. Wenn                    und Tag mit weniger als              milienergänzungsleistungen bereits von 2000 bis 2011
    mindestens ein Elternteil einen               20 Franken für Essen, Kleidung,        diskutiert habe. Über den neuen Vorstoss «Keine Kin-
    höheren Schulabschluss hat,                     Energie, Hygiene, Kommuni­           derarmut» muss das Parlament erst noch entscheiden.
    ist die Armutsquote der Kinder                kation, Mobilität, Unterhaltung        Prelicz-Huber sagt, es sei in der Sozialpolitik immer nur
    mit 2,8 % am geringsten. Verfügt                und Bildung auskommen.               dann ein «Minischrittchen» vorwärtsgegangen, wenn
    kein E­ lternteil über eine nach-           – Die Schweiz investiert nur 1,5 %       man gar nicht mehr habe wegschauen können. Schafft
    obligatorische Ausbildung, liegt                 ihres BIP in Sozialleistungen       die Pandemie eine solche Situation? Prelicz-Huber be-
    die Armutsquote der Kinder                       für Kinder und Familien und         fürchtet, dass die Bürgerlichen schlechte Wirtschafts-
    bei rund 10 % und die Armutsge-               liegt damit deutlich unter dem         aussichten und die allgemeine Verwirrung für eine At-
    fährdungsquote sogar bei 40 %.                   europäischen Durchschnitt von       tacke auf den Sozialstaat nutzen könnten. «Aber die
– Ein überdurchschnittliches                      2,4 %. (kw)                            Hoffnung stirbt zuletzt», sagt die grüne Nationalrätin.
  ­Armutsrisiko tragen Kinder,                                                           «Wir müssen weiter Druck machen und zeigen, dass zu
                                                                                         jeder Familie auch Kinder gehören.» Kinder, die ein Le-
  Quelle: «Surprise»-Sonderheft «Kinderarmut » (484/20), S. 14–15.                       ben lang die Folgen der Armut tragen würden.    •
                                                                                                       KIND UND GELD         moneta 1— 2021    7
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
« Kinder haben das Bedürfnis,
  Gutes zu tun »

         Geld ist ein vielseitiges Werkzeug:
         Man kann damit sparen, konsumieren
         oder andern helfen. Schon im Kindes­
         alter werden Grund­lagen dafür
         ge­schaffen, ob ein Mensch geizig
         oder gross­zügig wird, sagt der Hirn­
         forscher und Autor Gerald Hüther.
         Interview: Esther Banz

                                                   moneta: Gerald Hüther, in Ihrem Buch «Was                 Verständlich. Gibt es k ­ eine Strategien dagegen?
                                                   schenken wir unseren Kindern?» zeigen Sie             Das Kind müsste im Kindergarten und in der Schule Freun-
                                                 ­Eltern auf, welche Geschenke Kinder wirklich           de haben, deren Eltern ähnliche Ansichten und Werte
                             Foto: zvg

                                                   brauchen – Geldgeschenke, Spielzeuge und              ­vertreten. In der Gruppe sind Kinder besser vor Ausgren-
                                                  ­andere Produkte gehörten nicht dazu. Warum?           zung geschützt. Man müsste also im Quartier schon vor
                                                   Gerald Hüther Kinder wollen sich als selbstwirksame   Beginn der Schulzeit solche Familien finden und ein paar
                                         ­Subjekte erfahren, schon von klein auf. Die grössten           gemeinsame Nachmittage verbringen – die Chance ist
                                          ­Geschenke, die wir ihnen deshalb geben können, sind Ver-      gross, dass die Kinder sich befreunden.
                                             bundenheit, Geborgenheit, Vertrauen und Autonomie,
             Gerald Hüther                   sodass sie von ihrem sicheren Hafen aus – dem Zuhause –              Und die Eltern auch. Trotzdem hat das Kind ja –
   Der 1951 geborene Neuro-
                                             die Welt erkunden können. Alle Kinder wollen lernen.                hoffentlich – seinen eigenen Willen. Es
biologe ist Autor zahlreicher
      wissenschaftlicher und               ­Ihnen ermöglichen, diese Lernfreude zu bewahren, ist das             ­be­freundet sich womöglich mit ganz anderen
  populärwissenschaftlicher                  grösste Geschenk, das wir ihnen machen können, für                ­Kindern und entwickelt eine andere
  Publikationen, unter ande-
                                            ­ihren ganzen weiteren Lebensweg.                                   ­Ein­stellung als die Eltern zu Geld und Konsum.
   rem zu kindlicher Entwick-
 lung. 2019 publizierte er zu-                                                                           Ja, und ich rate dringend davon ab, das Kind zu sich
    sammen mit André Stern                   Konsequent auf materielle Geschenke zu                      «­rüberziehen» zu wollen, denn das würde sein Bedürfnis
 «Was schenken wir unseren
                                             ­ver­zichten, ist aber extrem schwierig,                      verletzen, mit den andern verbunden zu sein. Die
      Kindern? Eine Entschei-
        dungshilfe» (Verlag:                 erst recht ab dem Kindergartenalter, wo Kinder              ­Eltern können nur versuchen, ein anderes Vorbild zu
       Random House). Er ist                  stark von Gleichaltrigen beeinflusst werden.                 sein. Einstein brachte es sehr gut auf den Punkt mit
            mehrfacher Vater
  und Grossvater und lebt in
                                         Richtig. Keine Familie ist allein auf dieser Welt. Das Kind       den Worten: «Es gibt keine andere vernünftige Erziehung,
                Deutschland.             hat Freunde, die ein Taschengeld und Dinge geschenkt             als Vorbild zu sein, wenn es nicht anders geht, ein
                                         ­erhalten, die das eigene Kind ebenfalls haben will. Spätes-     ­ab­schreckendes.» Kinder erkennen, was ein ungünstiges
                                          tens dann, wenn es sich aus der Peer-Gemeinschaft aus­         Vorbild ist und nehmen Abstand, gehen einen eigenen
                                          geschlossen fühlt, kapitulieren Eltern.                          Weg. Das schaffen aber nicht alle. Schöner wäre, ein positi-
                                                                                                           ves Vorbild zu sein.

  8      moneta 1— 2021                  KIND UND GELD
KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
Im Bauch eines bunten Sparschweins                                           Der Mensch kann also mangels Wertschätzung
     ­erhält Geld schon früh Zutritt ins Kinder­                                  geizig werden?
      zimmer. Wie wirkt es auf Kinder?                                        In der Quintessenz, ja. Geiz ist eine Haltung, die entsteht,
Das kommt auf die Eltern an. Es ist ohnehin so: Kinder                        weil man meist schon als kleines Kind nicht bekam,
­interessieren sich nur für Geld, solange es Erwachsene                       was man gebraucht hätte. Kinder erleben es als schmerz-
 gibt, die dem Geld eine grosse Bedeutung beimessen. Die                      voll, wenn sie etwas verschenken wollen, aber die an­
Erwachsenen pflanzen dem Kind diese Einstellung ein.                          deren sich nicht darüber freuen. Oder wenn ihnen verbo-
                                                                              ten wird, etwas von dem abzugeben, was sie haben.
   Indem zu Hause über Geld gesprochen wird?                                  Diese Verletzungen führen bei manchen dazu, dass sie
Nicht nur. Es passiert auch unbewusst, über Taschengeld                       nichts mehr verschenken wollen. Sie bleiben dann
und Geschenke.                                                                ein Leben lang Bedürftige.

    Es gibt auch ganz spezielle Sparschweine mit                                   Geiz ist also Ausdruck eines Mankos respektive
    mehreren Kammern, sodass das Kind sich                                         einer Sehnsucht?
    zwischen verschiedenen Sparzielen entscheiden                             Ja, «bedürftig» wird jemand, der ein lebendiges Bedürfnis
    kann. In einer Kammer kann es ausserdem                                    nicht stillen konnte. Mit Geld hat das gar nicht so viel
    Geld für einen guten Zweck sammeln. Was halten                            zu tun – Geld ist ja nur ein neutrales Mittel. Das zeigt sich
    Sie davon?                                                                in dem speziellen Sparschwein gut: Man kann es benut-
Das finde ich sehr gut. Das Kind lernt so, dass es mit Geld                   zen, um andere zu beschenken oder um sich selber zu be-
nicht nur Dinge für sich selber kaufen kann. Ein Kind, das                     lohnen – etwa für das, was man aushält. Im einen Fall
ich kenne, ermöglicht einem gleichaltrigen Waisenkind in                      ist man Bedürftiger, im andern Schenkender. Der Bedürfti-
Nepal mit wenigen Euro pro Woche, dass es zur Schule                           ge – da sind wir bei Erich Fromm – ist einer, der immer
gehen kann. Die beiden schreiben sich sogar, auf Englisch.                    ­haben will, der nicht sein kann. Und das Kind, das mit sei-
So entsteht eine Art Freundschaft. Wunderbar daran ist                         nem gesparten Geld ein anderes Kind unterstützt, damit
auch, dass ein Kind so die Möglichkeit erhält, zu begreifen,                   es zur Schule gehen kann: Es ist ein Schenkender, jemand,
dass es mit Geld auch wirklich Gutes an­s tellen kann. Was                     der anderen gern etwas abgibt von seinem «Reichtum».
es unterstützt, muss allerdings konkret sein.
                                                                                   Es geht dem schenkenden Mädchen gut,
     Einfach ein Schlitz «für wohltätige Zwecke»                                   nehme ich an.
     ­wäre zu wenig konkret?                                                  Genau, schenken bedeutet Stärke. Je mehr ein Kind
Ja. Der wohltätige Zweck muss fürs Kind greifbar werden.                      in ­seiner eigenen Kraft ist, desto eher ist es in der Lage, zu
Vielleicht gibt es auch im Wohnort des Kindes eine In­                        schenken. Wenn hingegen die Grundbedürfnisse nicht
stitution für Kinder, die es unterstützen kann. Am besten                     ­gestillt sind, bleibt eine Bedürftigkeit. Und ein Bedürftiger
ist, wenn das Kind sein Geld für etwas einsetzt, das seine                    ist einer, dem etwas fehlt.
tiefsten inneren Bedürfnisse befriedigt.
                                                                                 Mir scheint, die meisten von uns seien Bedürftige.
    Kinder sind ja von ganz klein auf fürsorglich                             Das sehe ich auch so. In sehr machtvollen Positionen fin-
    und grosszügig.                                                           den sich besonders viele Bedürftige, die sich hochge-
Damit kommen alle auf die Welt. Sie erleben, dass sie un-                     kämpft haben. Einer, der etwas zu verschenken hat, muss
terstützt werden. Und daraus entwickeln sie das eigene                        nicht Karriere machen. Der muss auch kein Geld anhäufen.
Bedürfnis, andere zu unterstützen und zu beschenken, Gu-
tes zu tun. Sie betrachten sich als Geschenk für die Welt                            Zurück zu den Kindern und zum speziellen Spar­
und wollen Teil dieser Gemeinschaft sein.                                             schwein. Als ich es mit meiner fünfjährigen
                                                                                 ­Tochter einweihte, durfte sie selbst entscheiden,
    Warum bleibt das nicht so? Warum sind                                          wie sie ihr Erspartes auf die vier Kammern
    Erwachsene so viel weniger grosszügig und                                      ­verteilen wollte. Für sie war klar, dass die Hun­
    unter­stützend als Kinder?                                                   derternote, die sie kürzlich geschenkt be­
Weil manche Eltern ihrem Kind zu verstehen geben, dass                           kommen hatte, ins Spendenfach kam, für ­einen
es so, wie es ist, nicht richtig ist. Wenn Kinder bei den                         ­Tier-­Gnadenhof. Ich war drauf und dran, sie
primären Bezugspersonen nicht die Wertschätzung finden,                             ­über­zeugen zu wollen, es in die Kammer
die sie suchen, unterdrücken sie in sich selbst das Be­                              ­rein­zustecken, wo sie für Reitferien spart.
dürfnis, anderen zu helfen. Das kann so intensiv sein, dass                   Gut, haben Sie es nicht getan! Das Kind soll unbedingt sel-
im Hirn eine hemmende Verschaltung über dieses Bedürf-                        ber entscheiden dürfen. Das ist Autonomiestärkung.        •
nis wächst. Und dann ist es weg.

   Zu den im Gespräch erwähnten speziellen Sparschweinen gibt es weitere Informationen unter kinder-cash.com.

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KIND UND GELD - Alternative Bank Schweiz
Spielend lernen,
     wie Kapitalismus geht
       Es ist ja nur ein Spiel: Von der überraschenden Geschichte eines der erfolgreichsten
       Gesellschaftsspiele der Welt. Oder: Wer würde heute noch behaupten, dass Kinder
       lernen müssen, wie gefährlich Monopole sind?
      Text: Roland Fischer

                             Ich habe schon ewig lang nicht mehr Monopoly gespielt.        unter anderem forderte, dass Regierungen keine Arbeit,
                             Aber ich habe noch sehr lebendige Erinnerungen an             sondern nur noch Landbesitz besteuern sollten. Innert
                             das Brett und die Metallfiguren, an das billige Papier        dreissig Jahren erlangte The Landlord’s Game so etwas
                             der Geldscheine und die Spieldynamik, an den Moment,          wie Kultstatus, und niemand dachte daran, Besitzan-
                             wenn der Markt für einen zu spielen beginnt und der           sprüche geltend zu machen. Bis jemand anderes (ein
                             eigene Geldstapel immer höher wird. Die Macht des             Mann, natürlich) Magies Idee an die grosse Spielfirma
                             Geldes, die Raffgier, die Verbindung von Gewinnen und         Parker Brothers verkaufte – als seine eigene versteht
                             Wirtschaften – sind sie mir da ins Blut übergegangen?         sich. Magie liess sich mit 500 Dollar für ihr Patent abfin-
                             Ich habe aber auch noch andere Erinnerungen: Zürich,          den und war glücklich, dass nun noch viel mehr junge
                             Paradeplatz. Der Ärger, wenn einem dieses Grundstück          Menschen spielend lernen würden, wie zerstörerisch
                             weggeschnappt wird. Man weiss genau, dass damit               Monopole wirken können.
                             nun vieles gelaufen ist – weil es eben nicht nur auf Ver­         Lizzie Magie indessen kam als wirtschaftliche Idea-
                             handlungsgeschick und vorausschauendes Wirtschaf-             listin kaum über die Runden und realisierte bald, dass
                             ten ankommt in diesem Spiel, sondern vor allem auf            nichts an der klassischen Gesellschaftsnorm Heirat vor-
                             Glück. Und man weiss auch, dass man viel zu günstig           beiführte. Also setzte sie eine Kleinanzeige in die Zei-
                             zu diesen Liegenschaften kommt, die dann richtig viel         tung, in der sie sich als «young woman American slave»
                             Geld abwerfen. Wer auf die Gewinnerstrasse kam, den           dem meistbietenden Mann anbot. Sie pries sich an als
                             kümmerte das natürlich wenig – das Maulen der ande-           «not beautiful, but very attractive» und schrieb weiter,
                             ren konnte man als schlechtes Verlieren abtun. Aber           dass ihre Wesenszüge «voller Charakter und Kraft, aber
                             ich wusste eigentlich genau: Da ist was faul.                 dennoch ganz feminin» seien. Es waren seltsame Zeiten.

                                 Die monopolkritische und lang vergessene Erfinderin          Mehr als eine erfolgreiche Parabel
                                 Habe ich damit die Lektion genauso gelernt, wie es           auf den Kapitalismus?
                             der Erfinderin vorschwebte? Lizzie Magie hatte sich              Vielleicht war Magie aber vor allem eine Spielerin,
                             für ihr «Landlord’s Game» nämlich zwei Spielvarianten         immer auf der Suche nach Möglichkeiten, das Bewusst-
                             ausgedacht: Die Spielerinnen und Spieler mussten sich         sein der Menschen für Ungerechtigkeiten zu kitzeln.
                             zu Beginn entscheiden, ob sie ganz nach «The winner           «Bald, ich hoffe sogar sehr bald, werden Männer und
                             takes it all»-Schema zu Monopolisten werden wollten           Frauen merken, dass sie deshalb arm sind, weil Carnegie
                             oder lieber mit Regeln spielen, die eher kleinteiliges, so-   und Rockefeller so viel haben, dass sie nicht wissen,
                             ziales Wirtschaften belohnten. Die Geschichte des viel-       was damit anfangen», sagte sie zu Journalisten, die auf
                             leicht erfolgreichsten Gesellschaftsspiels der Welt hat       die schräge Annonce aufmerksam geworden waren und
                             einige unerwartete Pointen – die erste eben, dass es von      Magie so zu kurzzeitiger Berühmtheit verhalfen. Doch
                             einer Frau erdacht wurde, einer amerikanischen Schrift-       bald ging die Pionierin wieder vergessen und mit dem
                             stellerin, Feministin, Erfinderin. Die zweite ist so über-    Verkauf wurde The Landlord’s Game zum ungeschmink-
                             raschend vielleicht nicht: Der Erfolg ihrer Idee hat Ma-      ten Monopoly – aus zwei Spieloptionen wurde eine.
                             gie kaum etwas eingebracht. Da waren nämlich ein paar         Magies pädagogischer Trick lief ins Leere. Und die offi-
                             ehrgeizigere Männer mit im Spiel, buchstäblich. Magie         zielle Version von Monopoly wurde erst recht zu einem
                             liess ihr Spiel zwar 1904 patentieren, aber es zirkulierte    Hit: Im ersten Jahr verkauften sich 278 000 Exemplare,
                             ziemlich frei. Es ging ihr ja auch in erster Linie um Wirt-   im nächsten schon über 1 750 000.
                             schaftskritik. Sie folgte bei der Entwicklung ganz den           Also alles schön nach marktwirtschaftlichem Kli-
                             Lehren des Antimonopolisten und linken Wirtschafts-           schee? Monopoly, eine vielschichtige Parabel auf das
                             reformers Henry George, der im späten 19. Jahrhundert         immer ein wenig humorlose, aber effiziente Funktio-

10   moneta 1— 2021          KIND UND GELD
nieren des Kapitalismus? Nicht nur: Die schönste Poin-      die Werbung der Spielhersteller direkter an die Kinder
te im Zusammenhang mit Monopoly ist wohl, dass              und nicht mehr an die Eltern. Nun fokussierte man auf
sich hartgesottene Ökonominnen und Ökonomen noch            die Aufregung, die ein Spiel versprach, und immer we-
heute mächtig über die Logik des Spiels aufregen kön-       niger auf die erzieherischen Werte.
nen. So schrieb Benjamin Powell, Direktor des Free Mar-
ket Institute, vor ein paar Jahren einen bösen Kommen-         Erlebnisse statt Immobilien kaufen
tar mit dem Titel: «What’s wrong with Monopoly (the            Monopoly ist bis heute eines der erfolgreichsten
game)?» So einiges, fand er – vor allem, dass kein freier   Brettspiele auf dem Markt und erscheint in unzähligen
Markt auf dem Spielfeld sei, sondern viel regulatori-       Spezialeditionen. Die jüngste Ausgabe aus dem Jahr
scher Zwang und vor allem gegängelte Konsumenten:           2019 hat sich übrigens vom Papiergeld verabschiedet.
«Da gefallen sich Land- und Immobilieneigner, obwohl        Stattdessen steht auf dem Spielfeld ein Hut mit einge-
sie durch pures Glück zu ihren Besitztümern gekom-          bauter Sprachsteuerung, als KI -Verwaltung des digita-
men sind, im Gedanken, Herren der Welt zu sein und          len Kredits. Das zog auch sogleich Kritik von Erzie-
einfach aus allen, die vorbeikommen, Profit herauspres-     hungsexpertinnen und -experten nach sich: Kinder
sen zu können. Es gibt keine Auswahl, geschweige denn       lernten eher einen verantwortungsvollen Umgang mit
Entscheidungsfreiheit aufseiten des Konsumenten.»           Monetärem, wenn sie konkret Scheine zählen und vor
    Kommt einem irgendwie bekannt vor, zu Zeiten von        sich stapeln können – und auch wieder hergeben müs-
Google, Facebook und Konsorten. Vielleicht entlarvt         sen, wenn sie verlieren.
das Spiel also doch – ganz in Lizzie Magies Sinn – die         Noch viel konsequenter war aber das ein Jahr früher
                                                                                                                       Literatur:
Schwächen eines Systems, das real existierend zwar          herausgekommene Monopoly für Millennials. «Vergiss         Mary Pilon,
läuft wie geschmiert, aber niemanden so recht glücklich     Immobilien. Du kannst dir sowieso keine leisten» steht    «The Monopolists:
macht (ausser den Gewinner, für einen sinnleeren Mo-        auf dem Cover. Statt sich ein Immobilienimperium          ­Obsession, Fury, and
                                                                                                                       the Scandal Behind
ment)? Insofern überrascht es auch nicht, dass der Er-      aufzubauen, sollte man sein Geld lieber für Musikfesti-    the World’s Favorite
folg von Monopoly immer wieder Umdeutungen provo-           vals ausgeben oder für ein edles Nachtessen im veganen     Board Game»,
zierte. Der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick – man      Bistro – denn «Erlebnisse währen für immer». Auch          Bloomsbury, 2015.

kennt ihn vielleicht als Autor der Vorlage des Films        eine gültige Wirtschaftslektion: Der nächste Crash, er    Henry George, «Progress
«Blade Runner» – beschrieb 1959 in einer Kurzgeschich-      kommt bestimmt.     •                                     and Poverty», 1879.
te eine Monopoly-Persiflage, in der das Ziel des Spiels
ins Gegenteil umgedeutet wurde: sein Geld nämlich so
rasch und komplett wie möglich zu verpulvern. Das
Spiel kam für ein paar Jahre tatsächlich auf den Markt,
als «Go for Broke», deutsch: Mankomania.

   «Anti-Monopoly»: Wirtschaftskritik
    in vielen Varianten
    In den 1970er-Jahren kamen eine ganze Reihe von
Spezial-«Monopolys» auf den Markt, das berühmteste
1973 unter dem Titel Anti-Monopoly. Es war gewisser-
massen eine späte Reverenz an Lizzie Magie und ihre
zwei Spielprinzipien. Wobei der Erfinder, der Wirt-
schaftsprofessor Ralph Anspach, zunächst gar nichts
wusste von diesen Ursprüngen des Spiels. Tatsächlich
kam die ganze Geschichte um Lizzie Magie überhaupt
erst ans Licht, weil sich Anspach einen jahrzehntelan-
gen Rechtsstreit mit Parker Brothers lieferte und sich
tief in die Archive wühlte.
    Vor allem im deutschsprachigen Raum kamen in der
Folge eine ganze Reihe weiterer Anti-Monopolys her-
aus: zum Beispiel «Provopoli – Wem gehört die Stadt?»,
wo man als Hausbesetzerin oder -besetzer die Markt­
logik aushebeln kann, oder «Ökolopoly» mit dem Spiel-
ziel, ein Ökosystem am Laufen zu halten und die kyber-
netische Denkweise zu fördern.
    Durchgesetzt hat sich keine dieser «moralischeren»
Spielideen – ob das daran liegt, dass wir sehr gern un-
moralisch spielen, wenn wir eine unsanktionierte Gele-
genheit dazu bekommen, sei einmal dahingestellt. Die
grosse Zeit der pädagogisch konzipierten Spiele ist seit
den 1960er-Jahren ohnehin vorbei. Seither richtet sich

                                                                                                 KIND UND GELD        moneta 1— 2021          11
Eltern:
 Wie macht ihrs?
     Wie ist Geld und Konsum bei Eltern Thema, ganz
     praktisch und auf der Werteebene? Eine kleine Umfrage
     bei Müttern und Vätern.
     Text: Esther Banz                                                                 ten? Oder erhalten Produkte dadurch erst recht einen
                                                                                       Stellenwert, den man ihnen eigentlich gar nicht geben
                                                                                       möchte?
                                                                                           Und nicht zuletzt stellen sich die grossen Fragen:
                         Mit der Elternschaft begann eine neue (Zeit-)Rechnung.        Wie erlangt unsere Tochter einen bewussten, auch soli-
                         Mein ganzes, auch in Geldfragen selbstbestimmtes              darischen Umgang mit Geld? Und wie erklären wir ihr,
                         und einigermassen unbekümmertes Erwachsenenle-                dass wir sehr wohl im Überfluss leben, auch wenn wir
                         ben nahm ein jähes Ende. Bisher musste das Geld, das          dauernd knapp bei Kasse sind? Oder was unser Über-
                         ich verdiente, allein für mich reichen. Und das Alter         fluss bedeutet, wenn wir beispielsweise danach fragen,
                         schien weit weg. Jetzt ertappe ich mich öfters bei Fragen     unter welchen Umständen die Kleider produziert wur-
                         wie: Wann werden wir eigentlich pensioniert? Und wie          den, die wir tragen?
                         alt wird dann unsere Tochter sein? Wie viel liegt auf un-         Unsere Tochter ist erst fünf Jahre alt. Meine bishe-
                         seren (Pensions-)Konti? Könnten wir ihr ein allfälliges       rigen Erkenntnisse zu Kind, Geld und Konsum: Es ist
                         Studium überhaupt finanzieren? Oder müssen wir in             kompliziert und oft unbefriedigend. Aber was sagen an-
                         den nächsten zwölf Jahren zusätzlich Geld sparen? Ob-         dere Eltern? Wie ist Geld und Konsum bei ihnen Thema?
                         wohl: Das ist gar nicht so einfach, seit wir zu dritt sind.
                         Unsere beiden nicht so hohen Löhne müssen ja nicht              Mattea Meyer, SP -Co-Präsidentin; Mädchen (4)
                         nur für drei Personen reichen, sondern auch für die             «Wir versuchen, unserer Tochter einen unge­
                         grössere Wohnung und vor allem für die externe Kin-             zwungenen Umgang mit Geld und Dingen
                         derbetreuung.                                                   zu ­vermitteln: weder verschwenderisch noch
                             Auch als Wertethema fordert Geld ein neues Be-              ­geizig. In einem schönen Kinderbuch, das
                         wusstsein und Entscheidungen dem Kind gegenüber:                wir immer wieder zusammen anschauen, geht
                         Was will ich ihm vermitteln? Ich weiss nicht mehr, wie          es ums Teilen. Eines Abends zügelte sie
                         alt unsere Tochter war, als sie erstmals laut und zornig        eines der beiden Nachttischli aus u ­ n­serem
                         rief: «Das ist meins! Damit darf niemand anderes spie-           Schlafzimmer in ihres. Sie fand: ‹Ihr habt zwei,
                         len!» Ups. Wie darauf reagieren? Werden hier schon              ich ­keines. Ihr müsst auch teilen lernen!›
                         Weichen gestellt? Überhaupt, der Konsum. Die Verfüh-
                         rungen in den Supermärkten sind das eine Reizthema,               Wenn Kinder zu Besuch kommen, muss sie ihre
                         das andere: Plötzlich gehen emotional besetzte Gegen-             Lieblingskuscheltiere nicht allen andern zum
                         stände mir nichts, dir nichts kaputt. Soll man schimp-           ­Anfassen geben. Es ist uns wichtig, dass sie das Recht
                         fen, das Kind zu einem sorgfältigeren Umgang anhal-               hat, auch in solchen Dingen Nein zu sagen.»

12     moneta 1— 2021    KIND UND GELD
Andrea Bauer, Redaktorin; Junge (7) und                   Alice Kohli, angehende Physikerin und Lehrerin;
Mädchen (5)                                               zwei Mädchen (4 und 3)
«Unser älterer Sohn ist in der ersten Klasse und er-      «Gestern gab es im Kinderzimmer einen seltenen
hält jetzt erstmals Taschengeld. Seither versteht         Geld-Moment: Die Mädchen verteilten Kuchen und
er: Wenn ich das spare, kann ich mir Dinge kaufen.        verlangten drei Bätzeli dafür. Sie haben also bereits
Beim Tauschen von Ninjago-Karten wurden die jün-          ein Verständnis dafür, dass Geld so etwas wie ein
geren von den älteren Kindern eine Zeit lang ständig      Tauschschein ist. Ansonsten sind Münzen und No-
übers Ohr gehauen. Wir mussten uns überlegen,             ten aber noch etwas Abstraktes für sie. Sowenig
wie wir uns dazu verhalten sollen – was moralisch         das für sie ein Thema ist, sosehr ist es plötzlich für
gar nicht so einfach war: Bringen wir unserem Sohn        mich eines geworden, seit ich Mutter bin: Ich mache
bei, wie er beim Tauschen das Beste für sich rausho-      mir viel mehr Gedanken über die Zukunft, sogar zu
len kann? Oder aber, dass es okay ist, sich über den      Vorsorgethemen, die mich zuvor überhaupt nicht
Tisch ziehen zu lassen? Beides war nicht das, was wir     interessierten. Und ich bin insgesamt nicht mehr so
ihm vermitteln wollten. Schliesslich gaben wir ihm        entspannt im Umgang mit Geld.»
Handlungsmöglichkeiten, wir liessen ihn überle-
gen: Welche Karte ist mir viel wert, welche weniger?      Julia Hofstetter, Illustratorin, Ziegenhirtin,
Am Schluss waren wir alle sogar glücklich über diese      Kommunikationsbeauftragte, Gemeinderätin;
Erfahrung, weil sie uns darüber nachdenken liess:         zwei Töchter (19 und 15)
Wer bestimmt eigentlich, was wie viel Wert hat?»          Julia «Konsum und Finanzflüsse sind für mich wich-
                                                          tige Themen, nicht zuletzt, weil mich die Klima­­
Brigitta Bernet, Historikerin, und Koni Weber,            krise und der Verlust der Biodiversität beunruhigen.
Programmierer; zwei Jungen (10 und 7)                     Es beschäftigt mich auch, dass Menschen für die
Koni «Unsere Kinder sind noch fest am Sammeln.            Produkte, die ich kaufe, ausgebeutet werden. Meine
Neben Federn auch Noten, beides flog öfters einfach       Töchter wollte ich mit diesen Themen aber nicht be-
im Zimmer rum. Wir brachten die Noten dann zur            lasten. Kinder sollen unbeschwert und im Vertrauen
Bank. Die Buben haben je ein Jugendsparkonto.»            aufwachsen dürfen, dass die Welt grundsätzlich
                                                          gut ist. Wir haben deshalb als Eltern versucht, diese
Brigitta «Was mich sehr umtreibt, sind die grossen        schwierigen Themen positiv zu besetzen, etwa in-
Vermögensunterschiede und die Kapitalakkumula-            dem wir unseren Töchtern die Freude an nachhaltig
tion einiger weniger auf Kosten der Löhne. Aber           produzierten Produkten vermitteln und saisonal
wie lässt sich dieses Thema für Kinder herunterbre-       einkaufen. Sie hatten früh ihr eigenes Geld, nicht
chen? Ich habe versucht, es über die verschiedenen        nur Taschengeld, sondern einen Jugendlohn. So ha-
Berufe zu erklären. Unser älterer Sohn hörte auf-         ben sie gelernt, selber mit Geld zu haushalten.»
merksam zu. Er möchte dereinst einen sinnvollen
Beruf ausüben. Uns sieht er vor allem am Computer         Die ältere Tochter «Den Jugendlohn erhielt ich erstmals
arbeiten – dass man vor einem Bildschirm sitzend          mit zwölf Jahren. Anfangs waren es 200 Franken
Geld verdienen kann, findet er seltsam. Dass Bauern       im Monat. Wir haben die Höhe jedes Jahr neu be-
und Bäuerinnen mit ihrer Arbeit Geld verdienen,           rechnet und dabei geschaut, was ich für Essen,
scheint ihm hingegen völlig logisch.»                     Kleider, Hygieneartikel brauche. Je älter ich wurde,
                                                          desto mehr Geld hatte ich zur Verfügung. Ich kaufte
Dominik Gross, Spezialist für globale Finanz-             nie grosse, teure Sachen, sparte aber auch nicht viel.»
und Steuerpolitik bei einer NGO, und Katharina
Morawek, Ausstellungsmacherin und Beraterin               Min Li Marti, SP -Nationalrätin und Verlegerin;
für Demokratisierungsprozesse im Kulturbereich.           Mädchen (3)
Junge (3) und Mädchen (2 Monate)                          «Kaum sind Kinder da, hat man zu Hause viel mehr
«Geld ist für unseren Sohn noch kein Thema, Teilen        Sachen rumliegen. Ich finde das nicht so schlimm,
aber schon. Wir möchten ihm Grosszügigkeit im             die Kinder müssen ja lernen, mit der Konsumwelt
Umgang mit dem eigenen Besitz vermitteln, aber            umzugehen. Wichtig ist uns, dass unsere Tochter
auch Sorgfalt mit den eigenen Sachen und jenen            lernt: Jede kann mithelfen, Probleme zu lösen, sei es
von anderen. Spielsachen zu teilen, scheint uns da-       beim Klima oder bei den sozialen Ungerechtig­
für eine gute Übung. Generell ist uns wichtig, dass       keiten. Mein Mann Balthasar Glättli und ich reden
unsere Kinder einen pragmatischen Umgang mit              ja oft über solche Dinge, auch am Familientisch.
Geld lernen. Geld selbst ist ja an sich nichts mehr als   Sorge bereitet mir – und das hat sehr konkret mit
ein Medium, um materielle Werte auszudrücken.             dem Kapitalismus zu tun –, dass Kinder heutzutage
Ungleichheit und Armut kommen erst durch Herr-            angeblich lernen müssen, sich zu behaupten und
schaft und Ausbeutung in die Welt, nicht durchs           anzupassen, um später in einem gnadenlosen Be-
Geld an sich. Geld oder nicht Geld ist also nicht die     rufsleben zu bestehen. Man sollte die Kinder doch
Frage, sondern wie Besitz und Reichtum unter              einfach in dem fördern, was sie gern machen.» •
uns allen möglichst gleich verteilt werden – ob in
der Krippe oder der ganzen Gesellschaft.»

                                                                      KIND UND GELD         moneta 1— 2021   13
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