Soziale und ökologische Aus-wirkungen einer Senkung der EEG-Umlage - Forum ...

 
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Studie im Auftrag von Germanwatch, BUND
und Klima-Allianz Deutschland

Soziale und ökologische Aus-
wirkungen einer Senkung der
EEG-Umlage

Isabel Schrems, Florian Zerzawy, Carolin Schenuit und   Im Auftrag von
Swantje Fiedler
unter Mitarbeit von Marie Neubert
Juni 2021

Alexander Mahler, Matthias Runkel,
Damian Ludewig, Björn Klusmann und
Florian Zerzawy • Juni 2017
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Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage • Seite 2 von 45

Herausgeber

Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS)
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Fax +49 (0) 30 76 23 991 – 59
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Über das FÖS

Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.                       durchgeführt, konkrete Konzepte entwickelt und
(FÖS) ist ein überparteilicher und unabhängiger politi-                durch Konferenzen, Hintergrundgespräche und Bei-
scher Think Tank. Wir setzen uns seit 1994 für eine Wei-               träge in die Debatte um eine moderne Umweltpolitik
terentwicklung der sozialen Marktwirtschaft zu einer                   eingebracht. Das FÖS setzt sich für eine kontinuierli-
ökologisch-sozialen Marktwirtschaft ein und sind ge-                   che ökologische Finanzreform ein, die die ökologische
genüber Entscheidungsträger*innen und Multiplika-                      Zukunftsfähigkeit ebenso nachhaltig verbessert wie
tor*innen Anstoßgeber wie Konsensstifter. Zu diesem                    die Wirtschaftskraft.
Zweck werden eigene Forschungsvorhaben

Bildnachweise
Foto Titelseite: © Kerry Kay-Smith – stock.adobe.com

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Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung
der EEG-Umlage

Inhaltsverzeichnis

1       Hintergrund und Ziel der Studie ................................................................................................................................. 7

2       Ist der Strom in Deutschland zu teuer? ..................................................................................................................... 7
    2.1      Strompreis privater Haushalte ................................................................................................................................................... 7
       2.1.1 Strompreis ist in knapp 30 Jahren real um 7 Ct/kWh gestiegen ................................................................................ 7
       2.1.2   Strompreise für Haushalte stellen im EU Vergleich durchschnittliche Belastung dar ................................ 9
    2.2      Strompreise der Industrie ......................................................................................................................................................... 10
       2.2.1   Deutsche Industrie profitiert von umfassenden Entlastungen............................................................................ 10
       2.2.2   Durchschnittliche Strompreise der Industrie heute auf ähnlichem Niveau wie real vor knapp 30
       Jahre 11
       2.2.3   Energiestückkosten in Deutschland unter dem EU-Durchschnitt ..................................................................... 12
       2.2.4   Gute Wettbewerbsbedingungen in Deutschland ..................................................................................................... 13
3       Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage.................................................................................................... 14
    3.1      Auswirkungen auf Klimaschutz .............................................................................................................................................. 14
       3.1.1 Stromverbrauch: sinkende Preise, steigende Nachfrage ............................................................................................. 14
       3.1.2   Sektorkopplung: verbesserte Wirtschaftlichkeit auch anders zu erreichen ................................................... 16
       3.1.3   Ausbau erneuerbarer Energien im Stromsektor: Kein Effekt auf EEG-Zubau, schlechtere
       Wirtschaftlichkeit von Eigenverbrauch ........................................................................................................................................... 20
       3.1.4   Zwischenfazit: CO2-Preis wichtiger als pauschale Senkung der EEG-Umlage ............................................. 21
    3.2      Reduzierung des administrativen Aufwands: Pflichten entfallen nur bei vollständiger Abschaffung ..... 22
    3.3      Die Senkung der EEG-Umlage ist „teuer“: Auswirkungen auf den Bundeshaushalt ...................................... 23
       3.3.1   Was kostet eine Senkung der EEG-Umlage? ............................................................................................................. 23
       3.3.2   Haushaltsverhandlungen: mögliche Unsicherheiten für den Ausbau erneuerbarer Energien ............. 24
       3.3.3   Beihilferecht könnte Einfluss des Gesetzgebers beschränken ........................................................................... 24
    3.4      Soziale Auswirkungen einer EEG-Umlage-Senkung: entlastet alle, aber nicht zielgenau........................... 25
4 Alternative Verwendung von Einnahmen aus der CO2-Bepreisung: stärkere soziale oder ökologische
Wirkung ................................................................................................................................................................................. 27
    4.1       Klimaprämie .................................................................................................................................................................................... 27
       4.1.1 Klimaprämie sichert einheitliche Rückzahlung für die gesamte Bevölkerung .................................................. 27
       4.1.2    Klimaprämie entlastet ärmere Haushalte stärker als eine Senkung der EEG-Umlage ............................. 28
       4.1.3    Klimaprämie erhält Anreiz zur Vermeidung von CO2-Emissionen .................................................................... 28
       4.1.4    Klimaprämie auch für Unternehmen möglich ............................................................................................................. 29
    4.2       Gezielte Investitionen für sozialen Ausgleich .................................................................................................................. 29
       4.2.1    Kompensationen für Haushalte mit besonderer Belastung .................................................................................. 29
       4.2.2    Zielgerichtete Kompensation entlastet einkommensschwache Haushalte stärker ................................... 29
       4.2.3    Erhöhung von Wohngeld und Leistungen der sozialen Mindestsicherung kann soziale Härten
       abfedern ........................................................................................................................................................................................................ 30
    4.3       Gezielte Investitionen in Klimaschutz ................................................................................................................................ 30
       4.3.1    Zuschüsse für effiziente Haushaltsgeräte bzw. Geräteaustauschprogramme fördern Energieeffizienz
       bei einkommensschwachen Haushalten ........................................................................................................................................ 30
       4.3.2    Investitionen im Wärmebereich wirken zielgenau ..................................................................................................... 31
       4.3.3    Investitionen im Verkehrsbereich treiben Verkehrswende voran ....................................................................... 31
       4.3.4    Zwischenfazit ............................................................................................................................................................................. 32
5       Einbettung in den Kontext der erforderlichen Entwicklung von Energiewende und Klimaschutz ............32
    5.1      Klimaschutz: Umsetzungsgeschwindigkeit als entscheidender Faktor ............................................................... 32
      5.1.1 Direktelektrifizierung bringt große Effizienzgewinne................................................................................................... 32
      5.1.2    Verursachergerechtigkeit und Umsetzungsgeschwindigkeit abwägen ......................................................... 33
      5.1.3    Leistungsfähige Infrastruktur ist Voraussetzung für rasche Umsetzung......................................................... 33
    5.2      Vom Strommarkt zum Energiemarkt – mit einer Gesamtreform der Steuern, Abgaben, Umlagen und
    Entgelte 33
      5.2.1    CO2-Preisinstrumente wirken unzureichend, Vorteil für Erneuerbare Energie zu gering ...................... 34

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     5.2.2   Ausgangslage und Zielsetzung sind komplex und erfordern gesamthaften Maßnahmenmix .............. 34
     5.2.3   Umfang und Struktur der Strompreisbestandteile ................................................................................................... 34
     5.2.4   Netzentgelte: Steigender Kostentrend verändert Kostenanteile beim Strompreis ................................... 35
   5.3     Differenzierter Regelungsrahmen für Energieeffizienz nötig ................................................................................... 35
     5.3.1   Hohe Preise befördern nicht allein sparsamen Verbrauch .................................................................................... 35
     5.3.2   Strategie anpassen: Instrumentenmix für Energieeffizienz etablieren ............................................................ 35
   5.4     Fehlinvestitionen vermeiden, Kosten nach Klimaschutz-Wirksamkeit verlagern ........................................... 35
     5.4.1   Doppelter Verlust: Lock-in Investitionen vermeiden ............................................................................................... 36
     5.4.2   Bedarf: Schnellstmöglich ein konsistentes Gesamtkonzept................................................................................. 36
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................................ 37

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Zusammenfassung

In der öffentlichen Debatte ist häufig das Argument                    dem Fünffachen der Programmausgaben des BMU-
zu hören, dass der Strompreis in Deutschland sowohl                    Haushalts von rund 2,2 Mrd. Euro. Die Förderung von
für private Haushalte als auch für die Wirtschaft zu                   Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung
hoch sei. Im Klimapaket der Bundesregierung 2019                       der KfW Förderbank (5,8 Mrd. Euro) bzw. Zuschüsse
wurde deshalb bereits eine (Teil-) Verwendung der                      zur Ladeinfrastruktur (0,8 Mrd. Euro) fallen 2021
CO2-Bepreisungseinnahmen für eine anteilige Fi-                        deutlich geringer aus. Daher stellt sich die Frage, in-
nanzierung der EEG-Umlage beschlossen, im Rah-                         wiefern dieses signifikante Finanzvolumen aus öf-
men des Konjunktur- und Zukunftspakets 2020                            fentlichen Mitteln zielführend eingesetzt wird.
wurde dieser Finanzierungbeitrag über Zuschüsse
des Bundeshaushalts erhöht. Von verschiedenen
                                                                       Neben dem hohen Finanzbedarf einer EEG-Umla-
Akteuren wird aber eine weitere Senkung der EEG-
                                                                       gesenkung fällt auch die Klimaschutzwirkung am-
Umlage oder anderer staatlich regulierter Bestand-
                                                                       bivalent aus:
teile des Strompreises gefordert.
                                                                       ▪   Geringere Energieeffizienz: Eine Senkung des
                                                                           Strompreises würde voraussichtlich die Strom-
Ziel der Studie ist es, die Argumente für eine Senkung                     nachfrage im Vergleich zu einem Szenario ohne
der EEG-Umlage kritisch zu prüfen und mögliche                             Strompreissenkung erhöhen und damit dem Ziel
Auswirkungen aufzuzeigen, welche in der öffentli-                          der Energieeffizienz entgegenwirken.
chen Diskussion oftmals wenig Beachtung finden.
                                                                       ▪   Verbesserte Sektorkopplung: Finanzielle An-
Die Senkung der EEG-Umlage ist eine sehr kost-
                                                                           reize zur Förderung von Sektorkopplungs-Tech-
spielige Politikmaßnahme, deren soziale und öko-
                                                                           nologien sind auf verschiedenen Ebenen möglich
logische Auswirkungen nach dem Gießkannen-
                                                                           und sollten in einem ausgewogenen Instrumen-
prinzip wirken. Mit den gleichen Finanzmitteln
                                                                           tenmix erfolgen. Ein wichtiges Instrument für die
könnten andere Maßnahmen stärker auf die Ziele
                                                                           Verbesserung der Sektorenkopplung ist ein wirk-
Klimaschutz und Minderung von sozialer Un-
                                                                           samer CO2-Preis für fossile Energieträger. Eine
gleichheit einzahlen. Durch die Auswirkungen der
                                                                           pauschale Senkung der EEG-Umlage ist eine von
Corona-Krise und dem weiteren Anstieg der CO2-
                                                                           mehreren Möglichkeiten, um die Wirtschaftlich-
Bepreisung werden die sozialen Aspekte wichtiger
                                                                           keit von sektorenkoppelnden Technologien zu
für die Frage der Einnahmenverwendung.
                                                                           verbessern. Handlungsoptionen, die mit geringe-
                                                                           ren Kosten für den Bundeshaushalt verbunden
Die Belastung privater Haushalte durch Stromkos-                           wären, sind z.B. im Bereich der Elektromobilität
ten liegt in Deutschland nicht über dem europäi-                           eine Reform der Kfz-Steuer oder eine emissions-
schen Durchschnitt. Denn neben den absoluten                               bezogene Zulassungssteuer. Die Zielgenauig-
Strompreisen sind die unterschiedlichen Einkom-                            keit ist bei spezifischen Förderinstrumenten
mensniveaus zu berücksichtigen. Bei Unternehmen                            deutlich größer, wie z.B. bei einer Erhöhung der
liegen die Energiestückkosten insgesamt unter                              Förderung für Investitionen in E-PKW, in Ladein-
dem europäischen Durchschnitt. Für die energiein-                          frastruktur und in effiziente Wärmepumpen. Sie
tensive Industrie gelten zudem umfassende Ausnah-                          adressieren zudem genauer wesentliche Hemm-
meregelungen bei der EEG-Umlage und anderen                                nisse in diesen Bereichen. Gleichzeitig können
Strompreisbestandteilen wie z.B. den Netzentgelten.                        bei zielgenauen Förderinstrumenten Mitnahme-
Eine pauschale Aussage wie „Die Strompreise in                             effekte und unerwünschte „Nebenwirkun-
Deutschland sind zu hoch“ entspricht daher nicht                           gen“ verringert werden. Diese bestehen bei einer
den Tatsachen. Darüber hinaus profitiert die Wirt-                         pauschalen Absenkung der EEG-Umlage vor al-
schaft von der hervorragenden Stromversorgungssi-                          lem darin, dass Effizienzanreize sinken und ein
cherheit in Deutschland.                                                   vermeidbarer Anstieg des Stromverbrauches
                                                                           über die gewünschten Sektorenkopplungs-An-
                                                                           wendungen hinaus zu erwarten ist.
Die Kosten einer EEG-Umlagesenkung sind im Ver-
gleich mit anderen Posten der Bundeshaushalte so-                      ▪   Eine pauschale Absenkung des Endkundens-
wie anderen Klimaschutzausgaben sehr hoch. Die ca.                         trompreises würde auch den Ausbau der erneu-
10,8 Mrd. Euro, die 2021 in die Senkung der EEG-                           erbaren Energien beim Eigenstromverbrauch
Umlage fließen, entsprechen in etwa dem gesamten                           und für Akteure, die ihre Kunden direkt belie-
Etat des BMWi-Haushalts (10,1 Mrd. Euro) und fast                          fern wollen, im heutigen Strommarktdesign

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    unattraktiver machen. Denn damit sinkt die Dif-                    Die Reformaufgabe ist also komplex. Die Verengung
    ferenz zwischen den Erzeugungskosten der je-                       von politischer Kommunikation und Handeln auf
    weiligen Anlage und dem eingesparten bzw. er-                      den Faktor EEG-Umlage ist irreführend. Sie sugge-
    zielbaren Strompreis – und damit die Rentabilität                  riert, dass dadurch das wesentliche Problem gelöst
    von so finanzierten Anlagen.                                       sei und problematisiert gleichzeitig allein die Kosten
                                                                       der erneuerbaren Energien – beides ist nicht der Fall.

Die Finanzierung der EEG-Umlage aus dem Bun-
deshaushalt stellt ein relevantes Risiko für den
Ausbau der erneuerbaren Energien dar. Die gegen-
wärtige Finanzierungssicherheit der EEG-Umlage,
die den Bau neuer EE-Anlagen refinanziert, würde
entfallen. Stattdessen entstünde eine Abhängigkeit
von jährlichen Haushaltverhandlungen im Bundes-
tag. Darüber hinaus wird das EEG durch die staatli-
chen Zuschüsse auf das EEG-Umlage-Konto bei
der EU beihilfepflichtig. Damit nimmt sich der Ge-
setzgeber bei der Ausgestaltung der Finanzierung
der EE-Anlagen wichtigen Gestaltungsspielraum,
den er bisher hatte.

Alternative Verwendungen der Einnahmen der
CO2-Bepreisung wirken sozial und ökologisch
zielgerichteter als eine pauschale Senkung der
EEG-Umlage. Zwar wirkt auch die EEG-Umlagesen-
kung progressiv, d.h. Haushalte mit niedrigen Ein-
kommen werden relativ stärker entlastet als solche
mit hohem Einkommen, eine Klimaprämie würde är-
mere Haushalte jedoch noch stärker entlasten. Ge-
zielte Förderungen im Wärme- und Verkehrssektor,
sowie andere Klimaschutzmaßnahmen würden di-
rekt zu einer Reduktion der CO2-Emissionen beitra-
gen.

Eine wesentliche politische Aufgabe für die nächste
Legislaturperiode ist eine Gesamtreform des Ener-
giemarktdesigns, also der Kostenverteilung und fi-
nanziellen Anreize im Energiesektor, damit diese
klar und zielgenau wirken. Klimapolitische Zielstel-
lungen, wie der Emissionsminderungsbeitrag von
Erzeugung, Verteilung, Speicherung und Verbrauch,
müssen zu zentralen Regelungselementen wer-
den. Die Zusammensetzung der Steuern und Abga-
ben sowie Entgelte (z.B. die Netzentgelte) und Um-
lagen (z.B. die EEG-Umlage) in allen Energiesekto-
ren (Strom, Wärme und Verkehr) muss dafür refor-
miert werden. Eine weiterhin verlässliche Finanzie-
rung für einen beschleunigten Ausbau der erneu-
erbaren Energien ist dabei besonders wichtig,
ebenso eine stabile, verteilungsgerechte und aus-
lastungsbezogene Finanzierungsbasis für die
Energienetze.
Zeitvariable Tarifkomponenten können Anreize für
Flexibilisierung der Nachfrage schaffen, die Sekto-
renkopplung verbessern und den Systemkosten-
anstieg dämpfen.

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1       Hintergrund und Ziel der Studie                                liegt. Bei Unternehmen liegen die Energiestückkos-
                                                                       ten unter dem europäischen Durchschnitt. Für die
In der öffentlichen Debatte ist häufig das Argument                    energieintensive Industrie gelten zudem umfas-
zu hören, dass der Strompreis in Deutschland sowohl                    sende Ausnahmeregelungen bei der EEG-Umlage
für private Haushalte als auch für die Wirtschaft zu                   und anderen Strompreisbestandteilen wie z.B. den
hoch sei. Im Klimapaket der Bundesregierung 2019                       Netzentgelten.
wurde deshalb bereits eine (Teil-) Verwendung der
                                                                       Dieses Kapitel unterzieht diese Aussage, dass der
CO2-Bepreisungseinnahmen für eine anteilige Fi-
                                                                       Strompreis in Deutschland zu hoch sei, einer kriti-
nanzierung der EEG-Umlage beschlossen, im Rah-
                                                                       schen Prüfung. Dazu werden zunächst die Strom-
men des Konjunktur- und Zukunftspakets 2020
                                                                       preise für private Haushalte in Deutschland mit den
wurde dieser Finanzierungbeitrag über Zuschüsse
                                                                       Preisen in anderen europäischen Ländern verglichen.
des Bundeshaushalts erhöht.
                                                                       Um die Situationen in den verschiedenen Ländern zu
Anlass dafür war, dass aufgrund der stark gesunke-                     berücksichtigen, wird zudem der Anteil der durch-
nen Börsenpreise und des gesunkenen Stromver-                          schnittlichen Stromrechnungen am mittleren Ein-
brauches während der Corona-Krise der EEG-Umla-                        kommen betrachtet. Eine differenzierte Betrach-
gebetrag ohne Gegenmaßnahme gestiegen wäre.                            tung der tatsächlichen Kostenbelastung ist in der
Die eingesetzten knapp 20 Mrd. € verhindern damit                      Diskussion um „zu hohe“ Strompreise elementar.
einen spürbaren Anstieg der EEG-Umlage und füh-
                                                                       Daher wird auch im Fall der Industriestrompreise un-
ren zu deren leichten Senkung gegenüber dem Jahr
                                                                       tersucht, inwiefern die Strompreise in Deutschland
2020. 1 Von verschiedenen Akteuren wird aber eine                      eine reale Belastung der deutschen Wirtschaft dar-
weitere Senkung der EEG-Umlage oder anderer                            stellen. Dabei werden ebenfalls internationale Unter-
staatlich regulierter Bestandteile des Strompreises                    suchungen von Wirtschaftsstandortsfaktoren sowie
gefordert.                                                             Befragungen deutscher Industrieunternehmen be-
Ziel der Studie ist es, die Argumente für eine Sen-                    rücksichtigt.
kung der EEG-Umlage kritisch zu prüfen und mög-
liche Auswirkungen aufzuzeigen, welche in der öf-
fentlichen Diskussion oftmals wenig Beachtung fin-                     2.1       Strompreis privater Haushalte
den.
Vor diesem Hintergrund werden in dieser Studie die                             2.1.1      Strompreis ist in knapp 30 Jahren
Höhe des Strompreises in Deutschland sowie die                                            real um 7 Ct/kWh gestiegen
Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage auf
                                                                       Innerhalb der letzten knapp 30 Jahre sind die Strom-
den Klimaschutz, Bundeshaushalt und die Vertei-
                                                                       preise für private Haushalte in Deutschland real um
lungswirkungen untersucht. Zudem werden alter-
                                                                       etwa 7Ct/kWh gestiegen. Dies entspricht der Ent-
native Verwendungsmöglichkeiten für Einnahmen
                                                                       wicklung der Preise anderer Energieträger wie Erd-
aus einer CO2-Bepreisung dargestellt. Abschlie-
                                                                       gas und Fernwärme.
ßend werden weitere energiewendebezogene As-
pekte diskutiert, welche für die Diskussion des Sach-                  Abbildung 1 stellt die reale (d.h. inflationsbereinigte)
verhalts relevant sind.                                                Entwicklung des Strompreises für private Haushaltes
                                                                       (inklusive aller Steuern und Abgaben) in Deutsch-
                                                                       land von 1991 bis 2019 dar. Über diesen Zeitraum ist
2       Ist der Strom in Deutschland zu                                der Strompreis von etwa 22,60 Ct/kWh (1991) auf
         teuer?                                                        29,66 Ct/kWh (2019) gestiegen. Das Basisjahr für die
                                                                       Preisbereinigung stellt 2015 dar2. Nominal stieg der
Die Strompreise in Deutschland stellen im internati-                   Preis von 14,80 Ct/kWh im Jahr 1991 auf 31,24
onalen bzw. europäischen Vergleich weder für pri-                      Ct/kWh im Jahr 2019) (BMWi 2020a).
vate Haushalte noch für die Industrie eine hohe Be-
                                                                       Die Entwicklung des Strompreises über die letzten
lastung dar. Unsere Analyse zeigt, dass der Anteil der
                                                                       knapp 30 Jahre war von verschiedenen Faktoren ge-
Stromkosten am Einkommen bei privaten Haushal-
                                                                       prägt.
ten in Deutschland im europäischen Durchschnitt

1
    Ohne Bundeszuschuss oder andere Maßnahmen wäre                               wird die EEG-Umlage 2021 insgesamt um 3,15
         die EEG-Umlage 2021 auf 9,65 Ct/kWh gestiegen                           Ct/KWh gesenkt (50Hertz et al. 2020).
                                                                       2
         (50Hertz et al. 2020). Die Einnahmen aus dem na-                  Die Inflationsbereinigung erfolgte mit Hilfe der Zeitreihe
         tionalen CO2-Preis senken die EEG-Umlage in                            des Verbraucherpreisindex für Deutschland des Sta-
         diesem Jahr um 1,37 Ct/kWh (BMU 2021). Mit den                         tistischen Bundesamts. Das Basisjahr für die Preis-
         zusätzlichen Mitteln aus dem Konjunkturpaket                          bereinigung stellt 2015 dar.

Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany
Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage • Seite 8 von 45

▪   Im Jahr 2000 lagen die Strompreise auf einem                       ▪        Mit dem Strompreis wird zudem die Konzessi-
    historischen Tiefstand. Grund dafür war, dass sich                          onsabgabe, die KWK-Umlage zur Förderung
    die Erzeugungspreise nach der Liberalisierung                               der Kraft-Wärme-Kopplung, die StromNEV
    des Strommarktes im Jahr 1998 teilweise an kurz-                            §19-Umlage sowie die Offshore-Netzumlage
    fristigen Grenzkosten orientierten und längerfris-                          erhoben (BDEW 2021).
    tige Kosten nicht mit abdeckten (BMWi/BMU                          Derzeit machen Steuern und Umlagen rund die
    2006). In den folgenden Jahren sind die Erzeu-                     Hälfte des Strompreises privater Haushalte aus
    gungspreise jedoch wieder deutlich angestiegen.                    (rund 51,4%) (BDEW 2021). Dieser Anteil ist auch
    Die kumulierten Kosten für Erzeugung, Trans-                       deswegen so hoch, weil unter anderem durch die Di-
    port und Vertrieb lagen 2008 wieder auf dem                        rektvermarktung der Erneuerbaren der Kostenblock
    Niveau von 1998 (Leipziger Institut für Energie                    Erzeugung und Vertrieb sinkt (und die EEG-Umlage
    GmbH 2019). Seitdem ist dieser Kostenbestand-                      steigt). Die Stromverbraucher*innen, die die volle
    teil (die Kosten für Beschaffung und Vertrieb –                    EEG-Umlage zahlen, subventionieren also die von
    die Kosten für Netzentgelte werden seit 2006                       Verbraucher*innen, die keine oder eine sehr redu-
    gesondert ausgewiesen) nominal auf einem                           zierte EEG-Umlage zahlen. Dieser Aspekt allein
    recht gleichbleibenden Niveau (BDEW 2021).                         macht rund 1,5 Ct/kWh der EEG-Umlage aus.
▪   Die Kosten für Netzentgelte betragen seit der
                                                                       Abbildung 1: Entwicklung des Strompreises für
    Einführung im Jahr 2006 zwischen rund 6 und 8
                                                                       private Haushalte in Deutschland (real 2015)
    Ct/kWh und machen mit 20-25% einen ver-
                                                                       1991-2019 (Stromverbrauch: 325 kWh pro Monat;
    gleichsweise großen Anteil des gesamten Strom-
                                                                       inkl. aller Steuern und Abgaben)
    preises aus. Seit 2012 sind die Netzentgelte no-
    minal stetig angestiegen (BDEW 2021).
                                                                                       35
Die Einführung bzw. Umgestaltung verschiedener
                                                                                       30
Steuern und Abgaben hatte zudem erheblichen
Einfluss auf die Entwicklung des Strompreises.                                         25
                                                                           in ct/kWh

▪    Im Rahmen der Ökologischen Steuerreform im                                        20
     Jahr 1999 wurde die Stromsteuer eingeführt.                                       15
     Seit 2003 liegt diese bei 2,05 Ct/kWh (BDEW
                                                                                       10
     2021). Die Einnahmen werden überwiegend zur
     Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge                                        5
     verwendet.                                                                        0
                                                                                             1995
                                                                                             1997
                                                                                              1991
                                                                                             1993

                                                                                             1999
                                                                                            2001
                                                                                            2003
                                                                                            2005

                                                                                            2009

                                                                                             2013
                                                                                            2007

                                                                                              2011

                                                                                             2015

                                                                                             2019
                                                                                             2017
▪    Im Jahr 2000 wurde die EEG-Umlage einge-
     führt. Mit dieser Umlage werden Stromkund*in-
     nen an dem durch das Erneuerbare-Energien-                        Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage von (BMWi
     Gesetz (EEG) geförderten Ausbau der Erneuer-                      2020a)
     baren Energien beteiligt. Diese ist seit der Ein-
     führung von 0,19 Ct auf 6,76 Ct im Jahr 2020                      Abbildung 2 zeigt, dass sich die Strompreise für pri-
     deutlich angestiegen (BDEW 2021). Obwohl                          vate Haushalte real seit 1991 in ähnlicher Weise ent-
     die EEG-Umlage für den Ausbau erneuerbarer                        wickelt haben wie die Preise der anderen Energie-
     Energien verwendet wird, stellt sie nicht die tat-                träger. Während die Preise für leichtes Heizöl über
     sächlichen Kosten des Ausbaus erneuerbarer                        den betrachteten Zeitraum stärker geschwankt sind,
     Energien dar. Diese liegen niedriger, da es sich                  sind die Preise für Strom, Erdgas und Fernwärme auf
     bei der EEG-Umlage um einen rechnerischen                         einem ähnlichen Niveau angestiegen (BMWi 2019).
     Wert handelt, in den noch weitere Faktoren, u.a.
     die Börsenstrompreise und die Begünstigung
                                                                       Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die
     industrieller   Stromverbraucher,      einfließen
     (siehe FÖS 2012).                                                 Strompreise privater Haushalte in den letzten Jah-
                                                                       ren gestiegen sind – jedoch nicht stärker als bei an-
▪    Im Jahr 2007 wurde zudem die Mehrwert-
                                                                       deren Energieträgern. Die Steigerung der Strom-
     steuer, welche auf den gesamten Netto-Preis
                                                                       preise ist zudem nur teilweise auf die steigende
     erhoben wird, von 16% auf 19% erhöht.
                                                                       EEG-Umlage zurückzuführen.

Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany
Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage • Seite 9 von 45

Abbildung 2: Entwicklung der Energiepreise privater Haushalte 1991-2018

Quelle: (BMWi 2019)
                                                                       ▪    Durchschnittlich zahlten private Haushalte in Eu-
                                                                            ropa einen Strompreis von 21,26 Ct/kWh (Eurostat
      2.1.2      Strompreise für Haushalte stellen im
                                                                            2020a).
                 EU-Vergleich durchschnittliche
                 Belastung dar                                         Beeinflusst werden die Strompreise in den europäi-
                                                                       schen Ländern von verschiedenen Faktoren wie der
Obwohl die nominalen Strompreise in Deutschland auf                    geographischen Lage, dem nationalen Energiemix
den ersten Blick vergleichsweise hoch ausfallen, stellen               sowie den nationalen Steuern und Abgaben. Natio-
sie im europäischen Vergleich für private Haushalte                    nal unterschiedliche Steuern und Abgaben machen
nur eine durchschnittliche Belastung dar. Um beurtei-                  dabei den größten Unterschied zwischen den europä-
len zu können, wie günstig oder teuer Strom in einem                   ischen Ländern aus. In Deutschland liegt der Anteil von
bestimmten Land ist, muss neben dem absoluten                          Steuern und Umlagen mit rund 51,4% (BDEW 2021)
Strompreis die Kaufkraft (bzw. das zur Verfügung                       deutlich über dem europäischen Durchschnitt (rund
stehende Einkommen) der Haushalte berücksichtigt                       36,6%) (Strom-Report 2020a).
werden.
                                                                       Um jedoch beurteilen zu können, ob private Haushalte
Betrachtet man den absoluten Strompreis für private                    durch vergleichsweise hohe Strompreise in Deutsch-
Haushalte scheint dieser im europäischen Vergleich in                  land auch stärker belastet werden, werden in Abbil-
Deutschland sehr hoch auszufallen:                                     dung 5 die Endkundenstrompreise verschiedener eu-
▪   Im ersten Halbjahr 2020 war der durchschnittliche                  ropäischer Länder dem jeweiligen Median des Net-
    Strompreis privater Haushalte mit einem Stromver-                  toäquivalenzeinkommens gegenübergestellt.
    brauch zwischen 2.500 kWh und 5.000 kWh (in-
                                                                       Der Anteil der Stromrechnung am
    klusive aller Steuern und Abgaben) in Deutschland
                                                                                       Medianeinkommen liegt mit 3,3% in
    der zweithöchste der 27 EU-Mitgliedsstaaten (30
                                                                                       Deutschland genau im europäischen
    Ct/kWh), während der Preis in Bulgarien am nied-
                                                                                       Durchschnitt (ebenfalls 3,3%) (siehe
    rigsten ausfiel (10 Ct/kWh).

Tabelle 5 im Anhang). Dabei ist jedoch zu beachten,                        Bei einem normierten durchschnittlichen Stromver-
dass bei den Stromverbräuchen erhebliche Unter-                            brauch von 2.500 kWh/a in allen europäischen Län-
schiede zwischen den europäischen Ländern beste-                           dern, läge der Anteil der Stromrechnung am Haus-
hen, welche sich direkt auf die durchschnittliche                          haltseinkommen in Europa bei durchschnittlich 3,1%.
Höhe der Stromrechnungen auswirken. So beein-                              Der Anteil in Deutschland läge auch hier nur leicht
flusst sowohl der wirtschaftliche Entwicklungsstan-                        über dem europäischen Durchschnitt mit 3,2%.
dard des jeweiligen Landes, die klimatischen Bedin-                        Einen weitaus höheren Anteil am Einkommen macht
gungen und die für das Heizen verwendete Energie-                          die Stromrechnung für Haushalte in Bulgarien (6,6%)
form, wieviel Strom in den verschiedenen Ländern                           oder Portugal aus (5,7%) (jeweils bei einem normier-
verbraucht wird (Eurostat 2020b).                                          ten Stromverbrauch von 2.500 kWh/a).

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Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage • Seite 10 von 45

Das bedeutet: auch wenn die Strompreise in                             Belastung dar. In Bulgarien wenden Haushalte einen
Deutschland absolut vergleichsweise hoch ausfal-                       doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für die
len, stellen sie im europäischen Vergleich für die                     Stromrechnung auf, obwohl dort die Strompreise
Haushalte aber nur eine durchschnittliche                              sehr niedrig sind (Trinomics B.V. 2020).

Abbildung 3: Endkundenstrompreis und durchschnittliche Stromrechnung (normiert) als Anteil des
              Medianeinkommens im europäischen Vergleich (2019)
               350
                                                                                                                10,0
               300                                                                                              9,0
               250                                                                                              8,0
                                                                                                                7,0
    in €/MWh

               200

                                                                                                                       in %
                                                                                                                6,0
               150                                                                                              5,0

               100                                                                                              4,0
                                                                                                                3,0
                50
                                                                                                                2,0
                 0                                                                                              1,0
                                       EU27

                                    Litauen
                               Luxemburg

                                      Irland

                                Dänemark

                                     Italien
                                    Estland

                                   Lettland
                                    Ungarn
                                    Zypern
                                   Spanien

                                      Polen

                                Rumänien
                                  Finnland
                                Österreich

                              Niederlande
                                      Malta

                                Slowenien

                                    Belgien
                              Deutschland

                                  Kroatien

                                  Slowakei

                                  Portugal
                                Schweden
                                Frankreich

                             Griechenland

                                 Bulgarien
                     Tschechische Republik

                     Stromrechnung als Anteil des Medianeinkommens (%)           Endverbraucher Strompreis (€/MWh)

Quelle: (Trinomics B.V. 2020)

2.2 Strompreise der Industrie
                                                                       Ausnahmeregelungen bzw. Ermäßigungen beste-
                                                                       hen bei folgenden staatlich regulierten Preisbe-
         2.2.1       Deutsche Industrie profitiert von
                                                                       standteilen (siehe (Ecofys/Fraunhofer - ISI 2015;
                     umfassenden Entlastungen
                                                                       FÖS et al. 2019)):
Die Höhe der effektiven Strompreise für deutsche                       ▪   Netzentgelte: Die Höhe der Netzentgelte ist ab-
Unternehmen variiert je nach Abnahmemengen und                             hängig von dem Stromverbrauch und der
-profilen und ist stark von Entlastungen bei staat-                        Höchstlast. Eine Ermäßigung kann ab einem Jah-
lich regulierten Steuern, Abgaben und Umlagen                              resverbrauch von 10 GWh beantragt werden. Die
geprägt.                                                                   Mindestsätze für ermäßigte Netzentgelte hän-
Grundsätzlich profitieren insbesondere energiein-                          gen von den Benutzungsstunden des Unterneh-
tensive Unternehmen von umfassenden Ausnah-                                mens ab. Der Mindestsatz liegt dabei bei 10% des
meregelungen, da die Privilegien in vielen Fällen bei                      veröffentlichen Netzentgeltes.
höherer Abnahmemenge, -kontinuität und Stromin-                        ▪   Stromsteuer: Das produzierende Gewerbe,
tensität deutlich höher ausfallen. Die Ermäßigungen                        landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Be-
wurden im Laufe der Zeit eingeführt, um die Belas-                         triebe können einen reduzierten Satz in Höhe von
tungen der deutschen Industrie durch Energiekos-                           1,54 Ct/kWh (statt 2,05 Ct/kWh) beantragen
ten zu begrenzen. In einigen Fällen (wie bei der EEG-                      (wenn dies zu einer Ersparnis von mindestens
Umlage) führt dies zu höheren Belastungen bei                              250€ pro Jahr führt). Durch den Spitzenaus-
nicht-begünstigten Unternehmen und Privat-                                 gleich kann der Steuersatz darüber hinaus um bis
haushalten, die dadurch beispielsweise eine um ca.                         zu 90% reduziert werden.
1,5 Ct/kWh höhere EEG-Umlage zahlen müssen.

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▪     EEG-Umlage: Gemäß der „Besonderen Aus-                           beziehen (Sachverständigenrat für Umweltfragen
      gleichsregelung“ können Unternehmen des pro-                     2016).
      duzierenden Gewerbes und der Schienenbah-                        Die tatsächlich gezahlten Stromkosten der deut-
      nen bei einer bestimmten Stromintensität                         schen Industrieunternehmen weisen also eine sehr
      (Stromkosten im Vergleich zur Bruttowertschöp-                   große Bandbreite auf (siehe Abbildung 4). Für in-
      fung des Unternehmens) ab einem Verbrauch                        dustrielle Großabnehmer mit einem Stromverbrauch
      über 1 GWh pro Jahr einen ermäßigten Satz in                     von 100.000 MWh reichte diese im Jahr 2020 von
      Höhe von 15% des Regelsatzes bezahlen (höchs-                    4,5 Ct/kWh (bei maximal möglicher Entlastung) bis
      tens 0,5% der Bruttowertschöpfung). Nach den                     zu 17,2 Ct/kWh (ohne Möglichkeit zur Nutzung von
      Berechnungen des BDEW (2021) ist 2021 rund                       Entlastungsregelungen) (BDEW 2021).
      44% des Stromverbrauchs der Industriebe-
      triebe bei der EEG-Umlage privilegiert, d.h. er                  Abbildung 5: Bandbreite der Strompreise der
      unterliegt einer geminderten EEG-Umlage in                                    Industrie im Jahr 2020
      Höhe von 0,05 bis 1,35 Ct/kWh. 22% des Strom-
      verbrauchs der Industrie wurde zudem aufgrund
      von Selbstverbrauch aus eigenen Stromerzeu-
      gungsanlagen anteilig oder vollständig von der
      EEG-Umlage befreit. Demzufolge werden nur 34%
      des Stromverbrauchs der Industriebetriebe mit
      der vollen EEG-Umlage belegt (BDEW 2021).
▪     Konzessionsabgabe:      Sondervertragskunden
      zahlen einen Höchstbetrag von 0,11/kWh. Je
      nach Gemeindegrößte beträgt die Konzessions-
      abgabe ansonsten zwischen 1,32 und 2,39
      Ct/kWh (Bundesministerium der Justiz und für
      Verbraucherschutz 2021).
▪     KWKG-Umlage/ §19 StromNEV-Umlage/
      Offshore-Haftungs-Umlage: Ab einem Jahres-
      verbrauch von 100 MWh (KWKG-Umlage) bzw. 1
      GWh (§19 StromNEV-Umlage und Offshore-                           Quelle: (BDEW 2021)
      Haftungs-Umlage) zahlen Unternehmen einen
      Satz in Höhe von 0,055 Ct/kWh (KWK-Umlage)
      bzw. 0,05 Ct/kWh (§19 StromNEV-Umlage und                                2.2.2    Durchschnittliche Strompreise der
      Offshore-Haftungs-Umlage). Wenn die Strom-                                        Industrie heute auf ähnlichem
      kosten im Vorjahr mehr als vier Prozent des Um-                                   Niveau wie real vor knapp 30 Jahre
      satzes ausmachten, kann die Umlage in bestimm-                   Die realen durchschnittlichen Strompreise der In-
      ten Branchen weiter auf 0,025 Ct/kWh sinken.                     dustrie 3 lagen 2018 auf einem ähnlichen Niveau
      2021 liegt der volle Satz der KWKG-Umlage bei                    wie vor knapp 30 Jahren. Das zeigt eine Analyse der
      0,254 Ct/kWh, der §19 StromNEV-Umlage bei                        durchschnittlichen Strompreis der Industrie nach
      0,432 Ct/kWh und der Offshore-Haftungs-Um-                       Daten des BMWi (2020a).
      lage bei 0,395 Ct/kWh (jeweils bei einem Jahres-
                                                                       Noch deutlicher als bei der Betrachtung der Ent-
      verbrauch unter 1 Mio. kWh) (Bundesnetzagen-
                                                                       wicklung der Strompreis für private Haushalte fällt in
      tur 2021).
                                                                       Abbildung 6 der historische Tiefstand der Strom-
Zudem variieren die Preise der Strombezugskos-                         preise nach der Liberalisierung des Strommarktes im
ten nach Abnahmemengen und -profilen. Stromin-                         Jahr 2000 auf. Der darauffolgende Anstieg ist, wie
tensive Unternehmen haben in der Regel geringere                       im Falle der Strompreis für private Haushalte, vor al-
Strombezugskosten je Megawattstunde als der                            lem der Einführung bzw. Umgestaltung der ver-
Durchschnitt, da sie ihren Strom direkt an den Strom-                  schiedenen staatlich regulierten Strompreisbe-
börsen (EEX Terminhandel bzw. EPEX Spotmarkt)                          standteilen geschuldet (BDEW 2021).4

                                                                       4
3
    Die Inflationsbereinigung erfolgte mit Hilfe der Zeitreihe             Welche Ermäßigungen bzw. Ausnahmeregelungen bei
            des Verbraucherpreisindex für Deutschland des                       der Berechnung der Durchschnittserlöse durch
            Statistischen Bundesamtes. Das Basisjahr für die                    das BMWi (2020a) berücksichtigt werden, wird in
            Preisbereinigung stellt 2015 dar.                                   den Datensätzen nicht näher erläutert.

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Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage • Seite 12 von 45

Allerdings wäre der Börsenpreis für Strom ohne das                                                                    Vergleich am höchsten aus (Ecofys/Fraunhofer ISI
EEG und das KWKG spürbar höher, was insbeson-                                                                         2014).
dere für diejenigen Unternehmen relevant ist, die bei                                                                 Um zu beurteilen, inwiefern die Industrie in Deutsch-
den entsprechenden Umlagen begünstigt sind                                                                            land durch Strompreise übermäßig belastet wird,
(BMU 2013).                                                                                                           sind Energiestückkosten ein aussagekräftiger In-
Die Preise der Strombezugskosten (inkl. Netzent-                                                                      dikator. Diese stellen die Kosten des Energieeinsat-
gelt und Vertrieb) sind für Großabnehmer mit einem                                                                    zes pro Einheit Bruttowertschöpfung dar (Sachver-
Jahresverbrauch von 70 bis 150 Mio. kWh seit 2011                                                                     ständigenrat für Umweltfragen 2016). Von den Ge-
stetig zurückgegangen. Betrugen diese 2011 noch                                                                       samtkosten für Energie machen Stromkosten gut
7,24 Ct/kWh lagen sie im 1. Halbjahr 2020 bei 4,34                                                                    zwei Drittel aus (BMWi 2020b).
Ct/kWh. Bei kleineren Unternehmen blieb dieser                                                                        Die Energiestückkosten im Verarbeitenden Ge-
Kostenfaktor dagegen relativ konstant (8,98 Ct/kWh                                                                    werbe haben im dargestellten Zeitraum von 1995 bis
im Jahr 2012; 9,17 Ct/kWh im Jahr 2021) (BDEW                                                                         2011 in Deutschland von 1995 bis 2011 im Verhältnis
2021).                                                                                                                zur Bruttowertschöpfung leicht zugenommen (von
                                                                                                                      7,9% im Jahr 1995 auf 9,4% im Jahr 2011) (Germes-
Abbildung 6: Durchschnittliche Strompreise der                                                                        hausen/Löschel 2015; Sachverständigenrat für Um-
Industrie (real 2015) 1991-2018                                                                                       weltfragen 2016). Bis 2019 sind die Energiestück-
                                                                                                                      kosten jedoch wieder auf 7,6% gesunken (BMWi
               14                                                                                                     2020b) – und damit auf ein niedrigeres Niveau als
               12                                                                                                     noch 1995. Damit liegen diese weiterhin unter dem
               10                                                                                                     europäischen Durchschnitt, welcher 2019 rund
   in ct/kWh

               8                                                                                                      8,1% betrug (BMWi 2020b).
               6                                                                                                       Von den gesamten Energiestückkosten in Höhe von
               4                                                                                                      7,6% machten im Jahr 2019 in Deutschland die
               2                                                                                                      Stromstückkosten rund 5,4% aus. In der EU27 be-
               0                                                                                                      trug der Durchschnitt in diesem Jahr rund 5,5%
                                         1997
                    1991
                           1993
                                  1995

                                                1999

                                                                     2005
                                                                            2007

                                                                                                        2015
                                                                                                               2017
                                                       2001
                                                              2003

                                                                                   2009
                                                                                          2011
                                                                                                 2013

                                                                                                                      (BMWi 2020b).
                                                                                                                      In Abbildung 7 wird deutlich, dass die Energiestück-
Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage von BMWi                                                                     kosten im Verarbeitenden Gewerbe in Deutsch-
(2020a); Basisjahr für Preisbereinigung: 2015                                                                         land stets unter dem durchschnittlichen Wert der
                                                                                                                      anderen europäischen Mitgliedsstaaten liegen. Sie
                                                                                                                      befinden sich auf einem ähnlichen Niveau wie die
           2.2.3             Energiestückkosten in Deutschland
                                                                                                                      Energiestückkosten in den USA oder Großbritan-
                             unter dem EU-Durchschnitt
                                                                                                                      nien. Im Vergleich fallen die Kosten in China und Ja-
Die tatsächlich gezahlten Strompreise der Industrie                                                                   pan deutlich höher aus (Germeshausen/Löschel
werden nicht amtlich erfasst, sodass ein Vergleich                                                                    2015).
mit Industriestrompreisen in anderen Ländern
schwer möglich ist. Die Betrachtung von häufig zi-                                                                    Abbildung 7: Energiestückkosten im
tierten Eurostat-Daten führt zu einer Überschätzung                                                                   Verarbeitenden Gewerbe in % der
der Industriestrompreise in Deutschland, da dabei                                                                     Bruttowertschöpfung des Sektors
die Ausnahmeregelungen bei Steuern, Abgaben und
Umlagen nicht berücksichtigt werden und auch Ei-
genstromerzeugung und –verbrauch nicht erfasst
wird (FÖS 2014; Sachverständigenrat für Umweltfra-
gen 2016). Ein Vergleich der Stromkosten für die
stromintensiven Branchen Aluminium, Kupfer, Stahl,
Papier, Textil und Grundstoffchemie in Deutschland
mit jenen in anderen Ländern (Frankreich, Nieder-
lande, Großbritannien, USA und Korea) von Fraun-
hofer ISI und Ecofys zeigt, dass die Preise in
Deutschland mit Ausnahmeregelungen bei der
EEG-Umlage und Steuer meist im Mittelfeld lie-
gen. Jedoch profitieren auch kleinere Unternehmen
                                                                                                                      Quelle: (Germeshausen/Löschel 2015)
von verschiedenen Begünstigungen. Ohne Ermäßi-
gungen fallen die Strompreise in Deutschland im

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        2.2.4     Gute Wettbewerbsbedingungen in                       Im Report werden wettbewerbsentscheidende Fak-
                  Deutschland                                          toren von 141 Ländern verglichen, welche fast 100%
                                                                       der weltweiten Produktion liefern. Im aktuellen Re-
Strom- bzw. Energiekosten sind nur ein Kriterium bei
                                                                       port aus dem Jahr 2019 belegt Deutschland den 7.
der Standortwahl. Weitere Produktionsbedingun-
                                                                       Platz (Platz 1: Singapur, Platz 2: USA). Besonders po-
gen sowie politische und soziale Rahmenbedingun-
                                                                       sitiv schneidet Deutschland hinsichtlich der Innova-
gen (wie z.B. Qualität und Kosten von Arbeitskräften,
                                                                       tionsfähigkeit (u.a. angemeldete Patente, wissen-
Qualität und Zuverlässigkeit der Infrastruktur) beein-
                                                                       schaftliche Publikationen) und der makroökonomi-
flussen die Wettbewerbsfähigkeit in einem Land
                                                                       schen Stabilität (Inflationsrate, Staatsverschuldung)
ebenso maßgeblich.
                                                                       im Land ab.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen begrün-
                                                                       Auch laut einer Befragung deutscher Industrieunter-
det die gute Positionierung Deutschlands im interna-
                                                                       nehmen durch den DIHK im Jahr 2017 wird Deutsch-
tionalen Wettbewerb mit der Spezialisierung auf
                                                                       land u.a. insbesondere aufgrund hoher Energiever-
qualitativ hochwertige und wertschaffende Pro-
                                                                       sorgungssicherheit, hoher Qualifikation von Fach-
dukte. Daher sei die deutsche Industrie weniger ab-
                                                                       kräften, Verfügbarkeit von Zulieferunternehmen,
hängig von steigenden Energiekosten als in anderen
                                                                       Dienstleistern vor Ort und Rechtssicherheit im inter-
Ländern wie China, deren Industrie von energiein-
                                                                       nationalen Vergleich positiv bewertet (DIHK 2017).
tensiverer und weniger wertschöpfender Produktion
geprägt ist (Sachverständigenrat für Umweltfragen                      Die Qualifikation von Arbeitskräften in Deutsch-
2016).                                                                 land lässt sich beispielsweise an den kognitiven Kom-
                                                                       petenzen von Arbeitskräften approximieren.5 Hierfür
Im Verarbeitenden Gewerbe machten 2015 die
                                                                       wird der Durchschnitt der PIAAC Scores für Lese-
Energiekosten insgesamt nur rund 2% der Gesamt-
                                                                       und Mathematikkompetenz (der PIAAC-Befragung
ausgaben des Gewerbes aus. Personalkosten ent-
                                                                       aus dem Jahr 2010) betrachtet. Deutschland liegt
sprachen dagegen rund 19% der Gesamtkosten des
                                                                       dabei im internationalen Vergleich auf Platz 3 hin-
Gewerbes (VDI 2018).
                                                                       ter Japan und Tschechien. Vergleicht man die Zahl
Die Kosten von Arbeitskräften sind in Deutschland                      der Schuljahre, welche Arbeitskräfte absolviert ha-
im internationalen Vergleich relativ hoch. In                          ben, belegt Deutschland sogar den ersten Platz (IfW
Deutschland lagen die Arbeitskosten im Verarbei-                       Kiel 2020).
tenden Gewerbe 2015 bei durchschnittlich 38,99 €
                                                                       Auch die Qualität und Zuverlässigkeit der Infra-
pro geleisteter Stunde und damit weit oben im in-
                                                                       strukturen ist in Deutschland sehr hoch. Das lässt
ternationalen Vergleich (Platz 6).
                                                                       sich besonders gut am Beispiel der Stromversorgung
Noch höher sind die Arbeitskosten pro Stunde nur in                    illustrieren. Deutschland belegt bei der Zuverlässig-
der Schweiz (58,12 Euro), Norwegen (49,28 Euro),                       keit der Stromversorgung im internationalen Ver-
Belgien (43,20 Euro), Dänemark (42,77 Euro) und                        gleich mit einer durchschnittlichen Strom-Unterbre-
Schweden (41,14 Euro). In der USA liegen die durch-                    chungsdauer von 12,0 Minuten pro Jahr (2019) einen
schnittlichen Kosten für Arbeitnehmer in diesem Ge-                    der Spitzenplätze. Hier setzt sich Deutschland insbe-
werbe dagegen bei rund 33,96 Euro, in Japan bei                        sondere positiv von den USA ab, die mit 110,0 Minu-
22,88 Euro und in China bei lediglich 6,19 Euro (IWK                   ten (2017) den letzten Platz im internationalen Ran-
2016). Da die Kosten für Arbeitskräfte in diesem Ge-                   king belegen (VDE FNN 2020). Geringere Unterbre-
werbe einen deutlich größeren Anteil an den Ge-                        chungszeiten sind insbesondere für stromintensive
samtkosten ausmachen als die Energie- und Strom-                       Industrie von großer Bedeutung, da Ausfallzeiten
kosten, ist davon auszugehen, dass sie eine deutlich                   hier potenziell hohe Kosten verursachen können
höhere Relevanz für die Standortwahl haben.                            (DUH 2013).
Doch obwohl sowohl die Kosten für Arbeitskräfte als
auch die für Strom/Energie in Deutschland ver-
gleichsweise hoch ausfallen, zeigen die Ergebnisse
des jährlich erscheinenden „Global Competitive-
ness Report“ des World Economic Forums, dass
Deutschland im internationalen Vergleich ein sehr
attraktiver Wirtschaftsstandort ist (World Economic
Forum 2019).

5
    Andere Indikatoren berücksichtigen beispielsweise Bil-                    Ausmaß der beruflichen Weiterbildung oder digi-
         dungsausgaben, die formale Schulbildung,                             tale Kompetenzen.

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Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage • Seite 14 von 45

3     Auswirkungen einer Senkung                                             3.1.1       Stromverbrauch: sinkende Preise,
                                                                                         steigende Nachfrage
      der EEG-Umlage
                                                                       Empirisch zeigt sich beim Stromverbrauch privater
                                                                       Haushalte (Abbildung 8), die rund ein Viertel des ge-
3.1     Auswirkungen auf                                               samten Stromverbrauches verursachen, dass in den
        Klimaschutz                                                    ersten Jahren nach der Strommarktliberalisierung
                                                                       1998 der Stromverbrauch pro Kopf trotz leicht stei-
Eine Senkung der EEG-Umlage führt zu einer Sen-                        gender Strompreise von 1.602 kWh im Jahr 2000 auf
kung des Strompreises für die Endverbraucher*in-                       1.743 kWh im Jahr 2006 angestiegen ist. Das kann
nen, die bisher EEG-Umlage zahlen. Dies führt einer-                   auch darauf zurückgeführt werden, dass im Haus-
seits zu einer steigenden Stromnachfrage und zu-                       haltsbereich in der Zeit viele neue Anwendungen auf
sätzlichen Emissionen, solange der Strom nicht voll-                   den Markt kamen (z.B. Konsumelektronik), die den
ständig CO2-frei erzeugt wird. Es erhöht damit auch                    Stromverbrauch gesteigert haben.
den notwendigen Zubau von erneuerbaren Energien.
                                                                       Der nominale Strompreis stieg in dieser Zeit von 14,92
Ein schnellerer Ausbau wird dadurch nicht erreicht,
                                                                       Ct/kWh auf 18,91 Ct/kWh. Nach einer Plateauphase
im Gegenteil verschlechtert sich die Rentabilität der
                                                                       sinkt der Stromverbrauch jedoch seit 2011, verbun-
Eigenversorgung. Andererseits verbessert sich die
                                                                       den mit einem relativ starken Anstieg der nominalen
Wirtschaftlichkeit von Sektorkopplungstechnolo-
                                                                       Strompreise: ein Indiz, dass Preise wirken und Ver-
gien, was sich positiv auf die Klimabilanz auswirken
                                                                       braucher*innen möglicherweise zunehmend sensi-
kann. Für die Förderung effizienter Sektorkopplung
                                                                       bel auf Strompreisänderungen reagieren. Damit
stehen jedoch auch zielgenauere Instrumente bereit.
                                                                       scheinen die steigenden Strompreise eine größere
                                                                       Lenkungswirkung hin zu einem sparsameren Um-
Hintergrund
                                                                       gang mit Strom entfaltet zu haben. Einschränkend ist
Von zahlreichen Akteuren werden Strompreissen-                         anzumerken, dass auch andere Faktoren (z.B. Ener-
kungen als vorteilhaft für den Klimaschutz und auch                    gieverbrauchskennzeichnung, Ökodesign-Vorga-
als notwendig zur Erreichung der klimapolitischen                      ben, Aufklärungskampagnen, Förderung der Ab-
Ziele dargestellt:                                                     schaffung von Nachtspeicherheizungen etc., vgl.
▪ Eine Strompreissenkung würde Stromanwen-                             (BMWi 2020c)) zum Rückgang des Stromver-
dungen in den Sektoren Wärme und Verkehr, z.B.                         brauchs in den letzten Jahren beigetragen haben
Wärmepumpen und Elektroautos, wirtschaftlicher                         und der Effekt somit nicht alleine auf die Preissteige-
machen. Dadurch werden zusätzliche Klimaschutz-                        rungen zurückgeführt werden kann.
wirkungen erwartet (vgl. CO2 Abgabe e. V. 2019,
dena 2020, Agora Energiewende 2017)                                    Abbildung 8: Entwicklung des Strompreises und
▪ Eine Strompreissenkung würde zudem den Aus-                                        des Pro-Kopf-Stromverbrauchs
bau von erneuerbaren Energien im Stromsektor be-                                     2000-2019
schleunigen (CO2 Abgabe e.V. 2018).                                                                                           ct/kWh
                                                                       kWh/a
                                                                       1.800                                                      35
Diese Thesen sind jedoch nicht unumstritten; im Fol-                                                                                30
                                                                       1.700
genden wird untersucht, wie stark eine Strompreis-
                                                                                                                                    25
senkung zur Erreichung der eigentlichen Ziele tat-                     1.600
                                                                                                                                    20
sächlich beitragen würde. Dafür werden der Status
                                                                       1.500                                                        15
Quo und wahrscheinliche Auswirkungen von niedri-
geren Strompreisen auf die Fallbeispiele Wärme-                        1.400                                                        10
pumpe (Haushaltsanwendung) und Elektromobilität
beschrieben. Zudem werden die Auswirkungen auf
den Ausbau erneuerbarer Energien erörtert. Eine                                       Strompreis in ct/kWh
umfassendere Diskussion zu Energiewende und Kli-
                                                                                      Pro-Kopf-Stromverbrauch (kWh/a)
maschutz (big picture) erfolgt in Kapitel 5 Zunächst
werden jedoch die Auswirkungen auf den Stromver-                       Quelle: eigene Darstellung, Daten aus (BMWi 2020a). Hinweis: Da
brauch und die damit verbundenen CO2-Emissionen                                 die Achsen sehr unterschiedliche Größenordnungen auf-
dargestellt.                                                                    weisen, wurde für die Abbildung ein Skalenbereich für den
                                                                                Pro-Kopf-Stromverbrauch von 1.400 bis 1.800 kWh/a und
                                                                                für den Strompreis von 10 bis 35 Ct/kWh gewählt.

                                                                       Mögliche Effekte einer Absenkung der EEG-Um-
                                                                       lage auf den Stromverbrauch

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Soziale und ökologische Auswirkungen einer Senkung der EEG-Umlage • Seite 15 von 45

Wie stark eine Absenkung des Strompreises bzw. der                     durch eine höhere Auslastung der Braunkohlekraft-
EEG-Umlage zu einem Mehrverbrauch an Strom                             werke erfüllt würde, könnten sogar knapp 22 Mio. t
führt, lässt sich ökonomisch auf Grundlage von Prei-                   CO2 mehr ausgestoßen werden (FÖS 2019). Für die
selastizitäten abschätzen. Dabei werden andere Ein-                    Nettobilanz bei den CO2-Emissionen ist es also ent-
flussfaktoren (wie zum Beispiel Effizienzvorgaben)                     scheidend, inwiefern der zusätzliche Stromver-
und Wechselwirkungen mit anderen Instrumenten                          brauch den Verbrauch fossiler Energien erhöht.
ausgeklammert und nur der Preisimpuls betrachtet.                      Langfristig sind für die Erzeugung dieser zusätzli-
Sinkende Strompreise führen demnach aufgrund                           chen Strommengen zusätzliche Ökostromanlagen
der Preiselastizität der Stromnachfrage ceteris pari-                  notwendig.
bus (unter sonst gleichen Bedingungen) zu einem                        Abbildung 9: Anstieg der Stromnachfrage
steigenden Stromverbrauch. Zwar ist die Strom-                                      (private Haushalte und GHD) bei
nachfrage sowohl bei privaten Haushalten als auch                                   einer Strompreissenkung, obere
bei Unternehmen kurzfristig relativ unelastisch, d.h.                               Bandbreite (TWh/a)
Preisänderungen wirken sich im bestehenden mo-
natlichen Abrechnungssystem nur wenig auf den                          TWh/a
                                                                       30
                                                                                                                              25,4
Stromverbrauch aus (FÖS/Energy Brainpool 2018).                                                          23,6
                                                                       25            21,4
Langfristig werden durch Preisimpulse jedoch In-
vestitionen in Stromeffizienz ausgelöst (z.B. bei                      20
Pumpensystemen in Gewerbe, Industrie oder bei                              15
Heizungssystemen, bei privaten Haushalten z.B. der
                                                                        10
Kauf eines effizienten Kühlschranks oder Waschma-
schine,). Diese führen dazu, dass mit steigenden Prei-                     5
sen weniger Strom verbraucht wird. Umgekehrt hat                           0
das zur Folge, dass bei sinkenden Preisen tendenziell                               2023                 2024                 2025
mehr Strom verbraucht wird.
                                                                       Quelle : FÖS 2019. Auswirkungen bei Absenkung des Strompreises
Eine Berechnung des FÖS (FÖS 2019) zu Effekten                                   um 6,7 Ct/kWh im Jahr 2023, 7,8 Ct/kWh im Jahr 2024 und
einer Strompreissenkung aus den Einnahmen der                                    8,7 Ct/kWh im Jahr 2025 und einer Preiselastizität von -0,4
                                                                                 (d.h. eine 10%-ige Preisänderung bewirkt eine Nachfrage-
CO2-Bepreisung zeigt mögliche Effekte. Im schlech-                               änderung um 4%)
testen, also preissensibelsten Fall, wäre mit einer
Preiselastizität von - 0,4 (vgl. DIW 2019; Hamenstädt                  Sektorkopplungseffekte sind in den Berechnun-
2008; Prognos 2013)6 im Jahr 2025 mit einem An-                        gen mittels Elastizitäten nicht berücksichtigt. Die
stieg der jährlichen Stromnachfrage um mehr als                        Sektorkopplung führt zu einem weiteren Anstieg des
25 TWh bei privaten Haushalten und im Sektor Ge-                       Stromverbrauches. In Abhängigkeit des Strommi-
werbe, Handel, Dienstleistungen (GHD)7 zu rechnen.                     xes für diesen zusätzlichen Stromverbrauch sowie
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Ana-                       der Effizienz der eingesetzten Sektorkopplungs-
lyse des DIW. Bei einer Strompreissenkung von 6,05                     technologien führt dies zu einem mehr oder weniger
Ct/kWh (ohne Mehrwertsteuer) kommen die Be-                            starken Rückgang der Gesamtemissionen, da die
rechnungen zu einem Mehrverbrauch der o.g. Ver-                        direkten Emissionen durch den Verbrauch fossiler
brauchergruppen in Höhe von maximal knapp 23                           Energien im Wärme- und Verkehrssektor entspre-
TWh im Jahr 2023 (DIW 2019b).                                          chend sinken. Auch andere Einflussfaktoren wie
Abhängig von der Entwicklung des Strommixes                            bspw. Effizienzvorgaben können dazu führen, dass
kann das dazu führen, dass im Strombereich im Jahr                     die zusätzlichen Emissionen geringer ausfallen.
2025 zusätzliche CO2-Emissionen von bis zu
11 Mio. tCO2 entstehen. Falls die erhöhte Nachfrage
nicht durch mehr erneuerbaren Strom, sondern z.B.

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    Die Preiselastizität der Stromnachfrage wird in der Litera-                  wenn eine 10%-ige Preisänderung zu einer Nach-
          tur als überwiegend unelastisch bewertet (Hamen-                       frageänderung um 10% führen würde (die Elastizi-
          städt 2008). Insbesondere in der kurzen Frist führt                    tät wäre in diesem Fall -1).
          ein Preisanstieg kaum zu einer Senkung der Nach-             7
                                                                           Für die Industrie wurde der Fortbestand geltender Aus-
          frage. Auch langfristig ist die Stromnachfrage ver-                     nahmeregelungen bei der EEG-Umlage ange-
          gleichsweise unelastisch. Dies drückt sich auch in                      nommen, weshalb keine Auswirkungen auf den in-
          der Elastizität von -0,4 aus. Eine 10%-ige Preisän-                     dustriellen Stromverbrauch abgeschätzt wurden.
          derung bewirkt eine Nachfrageänderung um le-
          diglich 4%. Eine elastische Nachfrage läge vor,

Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany
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