Energie & Umwelt - Schweizerische Energie-Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Energie & Umwelt Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 2/2019 Wo bleibt die Stromwende? > Wie führen wir die Stromversorgung in die Zukunft? > Europa auf dem Weg zur Stromwende > Das Angstgespenst Versorgungssicherheit 19 20 n. g de un el ml nm am t a rs tz ve Je r e s ah -J S SE
INHALT Wo bleibt die Stromwende? 4 Wie führen wir die Stromversorgung in die Zukunft? Die Stromversorgung Europas ist im Umbruch. Alles weist daraufhin, dass die festge- fahrene Strompolitik der Schweiz dann einen Ausweg findet, wenn sie die Förderung von Solarstrom deblockiert. 8 Energie aktuell 10 Europa auf dem Weg zur Stromwende In der EU nimmt die Energiewende im Stromsektor Fahrt auf. In der Schweiz hingegen kommt die Stromwende nur schleppend voran. 12 Energieeffizienz: Es braucht gesetzliche Vorgaben Durch die Elektrifizierung von fossilen Anwendungen runter auf letztlich netto Null CO2-Emissionen: Doch welchen Mehrverbrauch zieht das nach sich? Und welche Rolle spielt dabei die Energieeffizienz? Zwei Experten ordnen ein. 14 Das Angstgespenst Versorgungssicherheit Das Schweizer Stromnetz ist sehr gut aufgestellt – auch für den Atomausstieg: Die Versorgungssicherheit bleibt gewährleistet, erneuerbare Energien leisten einen wichtigen Beitrag und Gaskraftwerke sind unnötig. 16 Jetzt das Beznau-Manifest unterzeichnen! Der Schweizer Atomausstieg ist in Schieflage. Deshalb hat die SES das Beznau-Manifest lanciert. Wir setzen Hoffnung in Simonetta Sommaruga und werden das Manifest mit unseren 3 Forderungen dann gerne der neuen Energieministerin übergeben. 18 Der Atommüllhaufen der Geschichte Zwei neue Bücher «Wohin mit dem Atommüll» & «Atomfieber» zeigen, wie die Schweiz in die Atomkraft eingestiegen ist und mit welchen Risiken sie bis heute kämpft. 20 SES aktuell 22 Gletscher-Initiative: Das Ende der fossilen Energien Unsere Gletscher schmelzen dahin. Die im April lancierte Gletscher-Initiative will die Pariser Klimaziele in der Verfassung festschreiben und fordert netto Null CO2-Emissionen bis 2050. Jetzt die Initiative unterschreiben! Schweizerische Energie-Stiftung SES 044 275 21 21, info@energiestiftung.ch, energiestiftung.ch Spenden-Konto 80-3230-3, IBAN CH69 0900 0000 8000 3230 3 2 Energie & Umwelt 2/2019
EDITORIAL Sind wir mit der Energiewende auf Kurs? Geschätzte Leserschaft! Als ich im Februar 2011 bei der SES angefangen habe, Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht nur ahnte niemand, dass viele festgefahrenen Vorstellungen schleppend voran. Und das, obwohl Solar- und Wind- in der Energiepolitik nur sechs Wochen später wie kraft heute die günstigste Art sind, Strom zu produ weggefegt sein würden. Am 11. März 2011 löste ein zieren. Es braucht deutlich mehr, fordert Beat Jans Tsunami die dreifache Kernschmelze in Fukushima (S. 4–7). Die Schweiz ist im internationalen Vergleich aus. Der Super-GAU war sozusagen die Geburtsstunde im Hintertreffen, zeigt Tonja Iten (S. 10 + 11). Und allen der Energiestrategie 2050 in der Schweiz. Unkenrufen zum Trotz: Die Stromversorgung ist auch mit erneuerbaren Energien sicher, ist Andreas Ulbig Es folgten tausendseitige Berichte und Modellrechnun- überzeugt (S. 14 + 15). gen, jahrelange Beratungen und Deals in Hinterzimmern des Bundeshauses. Im Mai 2017 sagten über 58 % der Die Politik ist gefragt. Mit den aktuellen Mehrheits Bevölkerung Ja zum neuen Energiegesetz. Und was verhältnissen in Bundesrat und Parlament verharrt bringts? Die Bilanz ist ernüchternd. Der Atomausstieg sie aber in einer Blockade. Um diese zu lösen, müssen ist zum gesetzlichen Neubauverbot verkümmert, das die Erdöllobbyisten, Klimaleugner und Fortschrittsver niemandem weh tut, weil ohne massive Subventionen hinderer den Realistinnen und Machern Platz machen. sowieso niemand ein AKW baut. Die alten AKW in- Bei den Wahlen am 20. Oktober 2019 können viele von des laufen weiter, solange sie die Aufsichtsbehörde als Ihnen – liebe Leserin, lieber Leser – mitentscheiden. sicher taxiert. Damit deren Urteil nicht in Gefahr gerät, Nutzen Sie diese Gelegenheit und lassen Sie die Energie passt der Bundesrat auch mal rasch Grenzwerte an. So wende in der Schweiz wie Phönix aus der Asche zu geschehen im Dezember 2018 – Doris Leuthards Ab- neuem Leben auferstehen! schiedsgeschenk mit schalem Nachgeschmack. Felix Nipkow, Projektleiter Strom & Erneuerbare Nichtsdestotrotz: Mit der Energiestrategie hat das Boot Schweiz einen neuen Kurs aufgenommen. Aber wie PS: Statt bis im Oktober zu warten, können Sie heute ein passionierter Segler mir verraten hat: Man kann mit schon aktiv werden. Geben Sie der neuen Energieminis einem Segelboot auf Kurs sein und trotzdem stillstehen. terin Simonetta Sommaruga ein Zeichen: Unterzeichnen Es ist höchste Zeit, dass die Energiewende in der Schweiz Sie das Beznau-Manifest der SES (S. 16). Und unterschrei Fahrt aufnimmt! ben Sie auch die Gletscher-Initiative (S. 23)! Energie & Umwelt 2/2019 3
Strom-Transitleitung auf dem Gotthardpass (Foto: Rafael Brand, Scriptum) Stromdrehscheibe Schweiz: Der freie Markt alleine wird es nicht richten. ENERGIEWENDE IM STROMBEREICH Wie führen wir die Stromversorgung in die Zukunft? Die Stromversorgung Europas ist im Umbruch. Die Vorgaben ändern sich schon fast im Sekundentakt. Aber alles weist daraufhin, dass die festgefahrene Strompolitik der Schweiz dann einen Ausweg findet, wenn sie die Förderung von Solarstrom deblockiert. Von Beat Jans ■■ Erstens ist das Stromsystem kein klassischer SES-Stiftungsratspräsident, SP-Vizepräsident und Markt. Denn beim Strom muss das Angebot die Nach- Nationalrat frage immer exakt decken, damit die Spannung im Netz stimmt. Ein bisschen zu wenig oder zu viel führt Der Markt wird es richten. Das ist wieder mal die Devise zum Blackout. Der Markt hat das noch nie gerichtet. des Bundesrats. Dieses Mal meint er den sogenannten Strommarkt. Dank Einbettung der Schweiz in das eu- ■■ Zweitens wird die Stromproduktion in allen Län- ropäische Elektrizitätssystem, so der Bundesrat, müsse dern subventioniert. Ein Staat, der die Produktion sich die Schweiz keine Sorgen um die künftige Strom- diesem verzerrten Nichtmarkt überlässt, gibt den Zu- versorgung machen. Auch wenn die Produktion in der schlag der vermeintlich billigsten Produktion. Weil Schweiz zurückgehe, werden Importe die Lücke füllen. externe Kosten oft nicht enthalten sind, sind das meist Und weil das so schön ist, propagiert er gleich noch subventionierte und umweltschädliche Kohle-, Gas- die vollständige Marktöffnung in der Schweiz. oder Atomkraftwerke. Mit dieser Haltung überzeugt der Bundesrat allerdings ■■ Drittens ist die Integration in den europäischen die Fachwelt nicht. Im Gegenteil, er stösst sie vor den Strommarkt unsicher. Das Stromabkommen mit der Kopf. Warum? EU steht und fällt mit dem Rahmenabkommen, das bekanntlich auf der Kippe steht. 4 Energie & Umwelt 2/2019
Photovoltaikanlage auf einem KMU-Gewerbedach in Altdorf/Uri, gebaut durch die Gemeindewerke Erstfeld (Foto: Rafael Brand, Scriptum) Stromwende, Klimaziel und Atomausstieg lassen sich mit dem Zubau von Solarstrom erreichen. ■■ Und viertens fehlt es dem Bundesrat an Weitsicht. tun, dass neue AKW zu spät kommen würden. Die Rea- Die Studie1, der die Importeuphorie zu Grunde liegt, lisierung von AKW dauert 20 bis 25 Jahre. Nur schon die hat gerade mal einen Horizont bis 2025. Dabei wäre es Bauphase dauert mehr als ein Jahrzehnt. Die AKW Olki- höchste Zeit, an das Nachher zu denken. Denn Kraft- luoto in Finnland und Flammanville in Frankreich sind werke baut man nicht von heute auf morgen. seit 2005 respektive 2007 in Bau. Zudem sind neue AKW inzwischen so viel teurer als alle Alternativen, dass sich Was bloss ist Strommarktdesign? weit und breit keine Investoren finden. Aus Sicherheits- Die Situation ist inzwischen so verworren, dass fast gründen und wegen des ungelösten Atommüllproblems jeder Stromversorger in der Schweiz seine eigene Idee sind die alten AKW so bald wie möglich stillzulegen. der künftigen Strompolitik vertritt und niemand mehr wirklich weiss, was gilt. Alle sprechen vom Strommarkt- Künftige Strategien sind an diesen drei Zielen auszu- design und alle verstehen etwas anderes darunter. richten. Doch wo stehen wir überhaupt? Deshalb lohnt sich eine Auslegeordnung und die Formu lierung klarer Ziele. Beginnen wir mit den Zielen. Energiestrategie 2020: Sind wir auf Kurs? Im November publizierte das Bundesamt für Energie Die künftige Stromversorgung muss: (BFE) den Monitoringbericht zur Energiestrategie 2050, der aufzeigt, wo sich die Schweiz auf dem Weg zur ■■ sicher sein. Weil die ganze Wirtschaft am Strom Energiewende befindet. Das BFE stellt dort fest, dass wir hängt, darf es keine Versorgungsengpässe geben. Strom für die Ziele zur Senkung des Verbrauchs und zur Stei- ist ein strategisches Gut. Die Schweiz muss sich auch in gerung der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen Krisen- und Kriegszeiten unabhängig versorgen können. bis 2020 auf Kurs sind. Es lässt aber offen, ob das auch für die Ziele bis 2035 gilt, wenn die Fördermecha ■■ dem Klimaschutz dienen. Strom aus erneuerbaren nismen für erneuerbare Energien auslaufen. Denn im Energiequellen soll helfen, Erdöl, Erdgas und Kohle zu Energiegesetz wurden die Einspeisevergütung ab 2022 ersetzen. Die Stromproduktion muss deshalb ermögli- und die Einmalvergütung ab 2030 auf Druck von SVP chen, dass der Verkehr künftig mit Elektromobilen und und FDP befristet. die Wärmeversorgung mit elektrischen Wärmepumpen betrieben werden kann. Anders kann die Schweiz das Sollten die Strompreise bis dann nicht anziehen, wird ratifizierte Klimaabkommen von Paris nicht erfüllen. der Kraftwerkzubau in der Schweiz stillstehen, während die laufenden Atomkraftwerke ihrem Lebensende immer ■■ auf Atomstrom verzichten. Das hat nicht nur mit näher kommen. Der Bericht zeigt auch, dass Solarstrom der Energiestrategie 2050 zu tun, welche die Bevölke- rung klar angenommen hat. Es hat nur schon damit zu 1 Schlussbericht System Adequacy 2025, publiziert unter www.elcom.admin.ch Energie & Umwelt 2/2019 5
Die Dekarbonisierung des Schweizer Energiesystems Grafik: ZHAW Wädenswil, IUNR / Quelle: BAFU (2017). Totalrevision des CO2-Gesetzes für die Zeit nach 2020 – Entwurf des Bundesrates vom 1.12.2017. 120 2050 Mobilität 100 Wärmeerzeugung Stromproduktion und -bedarf in TWh/a Geothermie 80 Biomasse 2017 Wind 60 Stromeffizienz PV 40 Prognose Strombedarf (aus den Energieszenarien) Kernkraftwerke 20 Neue erneuerbare Energien Wasserkraftwerke 0 Produktion Bedarf Produktionspotenzial Bedarf Der erhöhte Strombedarf durch die Dekarbonisierung des Schweizer Energiesystems (inkl. Strassenverkehr und Wärme) kann durch Effizienz und Zubau von erneuerbaren Energien gedeckt werden. das grösste Potenzial hat. Photovoltaik ist zudem die Wann kommt das Stromabkommen mit der EU? derzeit günstigste Technik unter den Erneuerbaren und Die Schweiz ist als Stromdrehscheibe stark vernetzt mit belastet den Netzzuschlagsfonds pro Kilowattstunde am dem Ausland. Fast täglich wird mehr Strom über die geringsten. Der Zubau von Solarstromanlagen scheitert Landesgrenzen hin und her gehandelt, als hierzulande also nicht am Widerstand von Planern und Landschafts- überhaupt produziert wird. Um sicherzustellen, dass die schützern, sondern an der stiefmütterlichen Förderung Spannung in der Schweiz dennoch jederzeit stimmt, durch Bundesrat und Parlament. Die dringend benötig- muss die Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid ein- te Dynamik für den zeitgerechten Ersatz der alten AKW greifen und Kraftwerkbetreiber dafür entschädigen, dass lässt deshalb weiter auf sich warten. sie ihre Produktion je nach Bedarf hoch- oder runter fahren. Rund 100 Millionen Franken kostet das jährlich. Die EU-Ausbauziele für erneuerbare Energien Das Stromabkommen mit der EU soll nun sicherstellen, Ein Blick auf die Entwicklungen der EU zeigt, dass dass die Schweiz als gleichberechtigter Partner im Strom der Fokus des Bundesrats auf die Stromimporte eine handel teilnehmen kann und diese Regelleistung dort schlechte Idee ist. Zunächst aus Sicht des Klimaschut- einkaufen kann, wo sie am günstigsten ist. zes, denn Elektrizität aus erneuerbaren Quellen macht in der EU erst rund ein Drittel des Strommixes aus. In Doch das Stromabkommen kommt zusammen mit den der Schweiz liegt der Anteil bei rund zwei Dritteln. Er institutionellen Rahmenabkommen nicht vorwärts. In- zeigt aber auch, dass die staatliche Förderung des Kraft- zwischen hat die EU angedroht, dass die Schweiz aus der werkzubaus auch in der EU die Energiewende antreibt. neuen europäischen Strom-Handelsplattform für Regel- Wenn die Schweiz ihre Einspeise- und die Einmalver- strom ausgeschlossen wird, falls bis Ende 2019 kein Rah- gütung alternativlos auslaufen lässt, wird sie auf dem menabkommen in Sicht ist. Wie die «NZZ» publik mach- Markt benachteiligt sein. Es gibt nämlich eine starke te, arbeiten die Schweizer Behörden deshalb an einem Dynamik in der EU. Die erneuerbaren Ausbauziele für Plan B für die Schweiz – ohne Stromabkommen. Dieser 2020 waren schon 2017 erreicht. Ausschluss würde nicht bedeuten, dass der Stromhandel mit dem Ausland eingeschränkt und die Stromversor- Im Dezember 2018 beschloss die EU nun definitiv, den gung damit gefährdet wäre. Die Stromversorgung in der Ausbau der erneuerbaren Energien in den Bereichen Schweiz würde aber mit Sicherheit verteuert und Swiss- Strom, Wärme und Verkehr bis 2030 auf 32 % anzu grid hätte erhebliche Investitionen vergeblich getätigt. heben, die Energieeffizienz gar auf 32,5 %. Die überar- Da die Schweizer Pumpspeicherkraftwerke bestens ge- beitete Erneuerbaren-Richtlinie verlangt von den Län- eignet sind, Regelenergie zu liefern, gibt es inzwischen dern, marktorientiertere Fördersysteme für den weite- auch EU-Parlamentsmitglieder, die mit einem Aus- ren Ausbau von Photovoltaik, Windkraft etc. zu erlassen. schluss der Schweiz nicht einverstanden sind und einen Der Anteil der Erneuerbaren im Verkehrssektor soll bis raschen Abschluss des Abkommens fordern. 2030 auf mindestens 14 % erhöht werden. Kürzlich hat sogar der Europäische Gerichtshof (EUGH) die Förderung Was bringt die Strommarktöffnung? von grünem Strom gestützt. Er hat entschieden, dass die Das Strommarktabkommen mit der EU verlangt von der Einspeisevergütung bei erneuerbaren Energien keine Schweiz auch eine vollständige Öffnung des Strom- Beihilfe ist. Damit hat er die Befürchtung, dass die markts. Das heisst, alle sollen frei wählen dürfen, wo- Schweizer Förderung bei Abschluss eines Rahmenab- her sie den Strom beziehen. Bis heute kann dies in der kommens unter Druck käme, entkräftet. Schweiz nur die Grosskundschaft. Haushalte und KMU 6 Energie & Umwelt 2/2019
können ihren Strom nur beim lokalen Elektrizitäts- (IUNR) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wis- werk beziehen, was rund die Hälfte des Schweizer senschaften (ZAHW) präsentierte Ende März eine Stu- Stromverbrauchs ausmacht. Nachdem eine Motion der die, die das bejaht. Sie zeigt, dass mit den vorhandenen FDP von einer Mehrheit des Parlaments überwiesen Potenzialen auch Wärmeerzeugung und Mobilität mit worden war, hat der Bundesrat diesen zweiten Schritt erneuerbarem Strom aus der Schweiz bereitgestellt wer- der Strommarktöffnung nun vorangetrieben und eine den können (siehe Grafik nebenan). Revision des Stromversorgungsgesetzes angestossen. Ende Januar endete die Vernehmlassung dazu. Swissolar kommt zu ähnlichen Schlüssen. Sie sagt in ihren Ende März präsentierten Denkanstössen, dass die Im Hinblick auf die drei obigen Ziele bringt die voll- Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaprotokoll und ständige Öffnung wohl eher Nachteile, zumindest so- der Ersatz der AKW mit einem Ausbau auf rund 50 lange das Strommarktabkommen nicht abgeschlossen Gigawatt (GW) installierte Photovoltaik-Leistung er- und die Schweiz nicht gleichberechtigt in den europäi reicht werden können und dass hierfür die bereits be- schen Strommarkt integriert ist. Die Erfahrung mit der stehenden Dächer und Fassaden reichen. Öffnung für die Grosskundschaft hat gezeigt, dass die Strompreise zumindest zu Beginn sinken, weil mehr Die Stromwende fusst auf der Photovoltaik Strom bei Billiganbietern gekauft wird, die ihren Strom Ergänzend zur befristeten Einspeise- und Einmalvergü- im Ausland mehrheitlich mit Kohle- oder Gaskraftwer- tung brauche es hierfür aber – wie in zahlreichen an- ken produzieren. Das dürfte – wenn auch in kleinerem deren Ländern bereits üblich – eine Ausschreibung für Ausmass – auch bei der Öffnung für die Kleinkund- die Solarstromproduktion von Grossanlagen auf Lager- schaft zutreffen. Somit würde der Anreiz, in der hallen, Infrastrukturanlagen und landwirtschaftlichen Schweiz neue klimafreundliche Kraftwerke zu bauen, Dächern. Diese grosse Menge an zusätzlichem Strom weiter sinken. Das heisst, wer die alternden AKW mit kann, so Swissolar weiter, ohne grössere Ausbauten und einheimischen erneuerbaren Kraftwerken ersetzen ohne Gefährdung der Netzstabilität ins Stromnetz integ will, muss entsprechend mehr Fördergelder in die Hand riert werden, falls frühzeitig geeignete Massnahmen nehmen. ergriffen werden. Dazu gehören das «Peak shaving» (Ab- regeln von sommerlichen Produktionsspitzen), die Mo- Das Pariser Klimaziel ist erreichbar dernisierung der Wasserkraft sowie der Einsatz von Im Juni 2017 haben sich die Vorzeichen für die Strom- Batteriespeichern und von Power-to-Gas-Anlagen. politik nochmals erheblich verschärft. Das Parlament hat nämlich das Klimaabkommen von Paris ratifiziert Es ist indes nicht nur Swissolar, welche die Photovolta- und damit das Tempo der Energiewende verdoppelt. Die ik ins Zentrum der Energiewende stellt. Auch andere Energiestrategie 2050 halbiert den Verbrauch an fossi- kommen zu diesem Schluss und zwar aus rein finanzi- len Brenn- und Treibstoffen. Das Abkommen fordert ellen Überlegungen. Eine von der SES herausgegebene hingegen, dass alle Länder in der zweiten Jahrhundert- Studie von Dr. Rudolf Rechsteiner, Dr. Ruedi Meier, Prof. hälfte völlig fossilfrei sind. Geht das? Lässt sich die Urs Muntwyler und Thomas Nordmann zeigt, dass Schweiz, deren Energie zu drei Vierteln aus Erdöl und dank Preissenkungen Photovoltaikstrom in der Schweiz Erdgas stammt, überhaupt dekarbonisieren? heute günstiger ist als jede andere Kraftwerkstechnik, Das Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen sogar für die Produktion von Winterstrom. < Schlussfolgerungen n Der Fokus ist auf die Förderung von Grossanlagen für die Solarstromproduktion zu legen. Denn diese sind am güns- Damit die Schweiz die Stromwende schafft und die Pariser tigsten und lassen sich schnell und ohne gravierende Klimaziele erreicht, gilt es bei den anstehenden Gesetzesre- Schäden für Biodiversität und Landschaft umsetzen. visionen Folgendes im Auge zu behalten: n Den Produktionsanlagen für erneuerbaren Strom ist schweizweit ein Rückliefertarif zu garantieren, welcher n Die Schweiz muss sich neue, höhere Ausbauziele für Strom deren Rentabilität sicherstellt. Zurzeit beträgt dieser ge- aus erneuerbaren Energien setzen. Das entspricht auch mäss Swissolar etwa 8 Rp./kWh. der Praxis der EU. n Die Liberalisierung des Strommarkts und das Stromab- n Die Ausbauziele müssen sich an der Dekarbonisierung der kommen mit der EU dürfen nur dann in Kraft treten, wenn Schweiz bis spätestens 2050 orientieren. Das entspricht sie den vorangehenden Punkten nicht entgegenlaufen. dem dringenden Handlungsbedarf beim Klimaschutz und n Die Finanzierung des Zubaus muss möglichst sozial aus- den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens. gestaltet werden, damit die Akzeptanz in der Bevölkerung n Der Zubau von Kraftwerken aus erneuerbaren Energiequel- gewährt bleibt. Schliesst die Staatsrechnung des Bundes len ist über Ausschreibungen rasch voranzutreiben, sodass mit einem Überschuss, drängt sich eine Verwendung des die Ausbauziele erreicht werden. Gewinns in diesem Sinne auf. Energie & Umwelt 2/2019 7
Energie aktuell > Trendwende in weiter Ferne > Klimademo am 24. Mai 2019 © climatestrike.ch Foto: stock.adobe.com/mitifoto fn. Der globale CO2-Ausstoss hat 2018 um 1,7 % zugenom fb. Klimaforscher weltweit sind sich einig, dass der men und erreicht ein historisches Hoch von 33,1 Giga- Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. Wir tonnen (Gt). Gemäss Berechnungen des Intergovern- verbrennen fossile Energieträger als gäbe es kein Mor- mental Panel on Climate Change (IPCC) bleibt der Welt gen. Der CO2-Ausstoss ist jedes Jahr höher als je zuvor. ein CO2-Budget von 593 Gt – sonst ist das Ziel des Pa- Das trifft uns auch in der Schweiz: Der Temperatur-An- riser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf unter stieg ist hierzulande im Vergleich zum globalen Durch- 1,5°C zu beschränken, in Gefahr. In 18 Jahren wäre schnitt doppelt so hoch. Doch die Ziele (Fossilausstieg) dieses Budget aufgebraucht, wenn die Emissionen auf und die politische Realität (CO2-Gesetz, Ausbau erneu- dem Niveau von 2018 stagnierten. Es braucht also drin- erbare Energien) klaffen weit auseinander. Dement- gend eine Trendwende. Die Zeit wird knapp. Weltweit sprechend gingen die SchülerInnen aus Protest auf die müssen die Regierungen deutlich mehr Anstrengungen Strasse, angeschlossen haben sich ihnen nun auch die bei Effizienz und bei erneuerbaren Energien unterneh- Eltern, Grosseltern und viele weitere. Am 24. Mai findet men und klare Ziele für den Ausstieg aus fossilen Ener- die nächste Klimademo bzw. der nächste Klimastreik gien setzen. Die Schweiz hat dafür beste Voraussetzun- statt mit dem Ziel, die politischen HandlungsträgerIn- gen und die Pflicht, eine Vorbildrolle einzunehmen. nen wachzurütteln. » www.klimastreik.ch > Photovoltaik-Ausbau verfünffachen > Klimawandel in den Kantonen © sonnendach.ch © SES / fischerdesign.ch fn. 2018 wurden in der Schweiz rund 0,25 GW Photo- vs. Die Klimabewegung hält an. An der letzten natio- voltaik-Leistung installiert, die Jahresproduktion konn- nalen Klimademonstration gingen schweizweit rund te damit auf 2 TWh (3,4 % des CH-Stromverbrauchs) 50'000 Personen auf die Strasse, um wirksame Mass- gesteigert werden. Für den Atomausstieg und die Klima nahmen gegen den Klimawandel zu fordern. Und dieser ziele braucht es mehr. Swissolar fordert Ende März Druck hat bereits etwas bewegt. So ist es bei den kan- einen Ausbau auf total 50 GW bis 2050. Das entspricht tonalen Wahlen in Zürich, Baselland und Luzern zu rund 50 TWh Solarstrom, genauso gross ist gemäss Verschiebungen in Parlament und Regierung gekom- sonnendach.ch das Potenzial auf Gebäudedächern. Zu- men, und zwar hin zu Köpfen und Parteien, die den sätzlich können Fassaden und weitere Infrastruktur Klimawandel ernst nehmen. Zudem wollen Parteien, genutzt werden. Für die nötige Steigerung des Aus- die sich bislang klimapolitisch wenig hervorgetan ha- bautempos um den Faktor 5 brauche es zusätzlich zu ben, diesem Thema künftig mehr Stellenwert einräu- einer Optimierung der bestehenden Einmalvergütun- men. Auch wenn der Tatbeweis noch aussteht, werten gen Ausschreibungen für Grossanlagen. wir das als Erfolg. Schaffen wir es, diesen Druck bis zu Die SES hat im Oktober 2018 eine Studie herausgegeben, den nationalen Wahlen im Herbst hochzuhalten, kann die Wege aufzeigt, wie man dieses Ziel erreicht: Bewegung in die Klimapolitik kommen. Dazu braucht es uns alle. Thema hoch halten und wählen gehen! » www.energiestiftung.ch/strommarkt 8 Energie & Umwelt 2/2019
> Steigende externe Kosten im Verkehr > BGer: Auch geringe Strahlendosis ist schädlich © SES / fischerdesign.ch © SES / fischerdesign.ch f b. Die externen Kosten des Verkehrs werden von der sb. Das Bundesgericht korrigiert einen Entscheid des Allgemeinheit bezahlt und den zukünftigen Generatio- Zürcher Sozialversicherungsgericht zu Gunsten des Be- nen. Laut den neusten Zahlen des BFS sind diese Kosten schwerdeführers. Ein ehemaliger Mitarbeiter des AKW- – also die Umwelt- und Gesundheitsschäden – weiter Leibstadt ist doppelt an Krebs erkrankt und forderte von gestiegen. Trotz einer hohen Nutzerfinanzierung von der Suva Leistungen, da es sich aus seiner Sicht um eine 86 % sind das beim Strassenverkehr Kosten in der Höhe Berufserkrankung handelt. Sowohl die Suva als auch das von 9,5 Milliarden Franken. Die externen Kosten des Zürcher Gericht lehnten das ab, da die Person nie einer Schienenverkehrs sind vergleichsweise gering: 1 Milliar- erhöhten Strahlendosis ausgesetzt gewesen sei. de Franken – wobei der Löwenanteil des Verkehrsvo lumens auf der Strasse stattfindet. Beim Velo- und Fuss Das Bundesgericht hingegen stützt sich bei seiner Be- verkehr überwiegen hingegen die positiven Effekte. gründung auf eine Strahlenexpertin, die belegen konnte, Dieses Mobilitätsverhalten erzeugt einen allgemeinen dass auch tiefe, berufsbedingte Strahlendosen krank- Nutzen, z.B. weil sich die körperliche Betätigung positiv heitsauslösend sein können. Das Zürcher Sozialversiche- auf die ganze Gesellschaft auswirkt. Grund genug für rungsgericht muss nun nochmals über die Bücher und mehr attraktive Fuss- und Velowege. einen unabhängigen Gutachter engagieren. > 100 % erneuerbare Energie weltweit > ENSI erlaubt Leibstadt Leistungserhöhung Foto: © LUT / EWG Foto: Claudius Fischer fn. Mitte April ist sie endlich erschienen – die Studie, sb. Am 19. März hat das Eidgenössische Nuklearsicher- die zeigt, dass die Einhaltung des 1,5° C-Ziels und der heitsinspektorat (ENSI) dem AKW Leibstadt eine Leis- Atomausstieg möglich sind. Die finnische Universität tungserhöhung um 2 % erlaubt, obwohl bis heute nicht Lapeenranta und die deutsche Energy Watch Group abschliessend erklärt werden konnte, weshalb die 2017 haben eine 100 % erneuerbare Energieversorgung welt- entdeckten Ablagerungen an den Hüllrohren einzelner weit modelliert – für jede Stunde im Jahr. Dank Elekt- Brennelemente entstanden sind. Die Begrenzung der rifizierung können die Treibhausgasemissionen bis 2050 Leistung und der Durchflussgeschwindigkeit des Siede- auf Null reduziert werden. Wind- und Solarkraft ma- wassers hat die Probleme bislang behoben. chen 96 % der Stromproduktion aus, der Löwenanteil entfällt auf die Sonnenenergie. Das Beste ist, dass die Das Paul Scherrer Institut (PSI) hat nun die Ablagerun- Energiekosten erst noch sinken, von 54 €/MWh 2015 auf gen untersucht und als unproblematische lokale Abla- 53 €/MWh 2050. Die Studie ist Greta Thunberg und der gerungen ohne grossen Einfluss auf die Schutzfunktion ganzen #FridaysForFuture-Bewegung gewidmet «für dei- der Hüllrohre erklärt. Das ENSI verlangt aber noch nen unerbittlichen Mut zur Erhaltung unseres Planeten weitere Inspektionen während der Jahreshauptrevision und eine bessere Zukunft für uns alle». 2019. Volllast will es erst wieder zulassen, wenn der Betreiber nachweisen kann, dass die Probleme bei » Link zur Studie: https://t1p.de/lut 100 % Leistung nicht mehr auftreten werden. Energie & Umwelt 2/2019 9
NFP 71-FORSCHUNGSPROJEKT «INTELLIGENTE URBANE LOGISTIK» DER BLICK ÜBER DIE GRENZE Europa auf dem Weg zur Stromwende In der EU nimmt die Energiewende im Stromsektor Fahrt auf. Seit letztem Jahr stammt ein Drittel der europäischen Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen. In der Schweiz hingegen kommt die Stromwende nur schleppend voran. Von Tonja Iten schliesslich haben sich infolge der Revision des euro- Volkswirtschafterin, SES-Praktikantin päischen Emissionshandelssystems die CO2-Zertifikate stark verteuert. Die Verstromung fossiler Energieträger wurde unattraktiver, wovon alle erneuerbaren Ener- Bis 2050 will die Europäische Union (EU) klimaneutral gieträger profitierten. Gleichzeitig stiegen die Kohle- sein und netto Null Treibhausgas-Emissionen erreichen. und Gaspreise. Zum ersten Mal waren die alleinigen Vision und Handlungsmöglichkeiten hierzu präsentier- Brennstoffkosten 2 von Gas und Kohle gleich teuer w ie te die Europäische Kommission im November 2018 in die Produktionskosten von Wind- und Solarstrom. Die- Foto: www.stock.adobe.com / Lev Karavanov ihrer langfristigen Strategie (Long-term Strategy).1 Das se sind damit ihren Konkurrenten – Strom aus Atom, Etappenziel 2030 besagt, dass der Anteil der erneuer- Gas und Kohle – im liberalisierten Preissystem an der baren Energien am Strommix bis dahin auf 57 % an- Strombörse weit überlegen. wachsen soll. Investitionssicherheit für Erneuerbare Stromsektor wird erneuerbar notwendig Der Stromsektor spielt in der Dekarbonisierung Euro- Doch das Überangebot an Strom und die tiefen Preise pas eine massgebliche Rolle, da viele Anwendungen, bieten keine Investitionsanreize für neue Kraftwerke die auf fossilen Energieträgern basieren, mit Strom – auch nicht für Erneuerbare. Dazu kommt, dass die substituiert werden sollen. Der Anteil der Erneuer Einspeisung erneuerbarer Energien fluktuiert. Wenn baren am europäischen Strommix steigt stetig. Betrug europaweit die Sonne scheint oder der Wind stark weht, dieser im 2010 noch 20 %, erreichte er 2018 knapp treibt die wetterbedingte Überproduktion die Strom- einen Drittel. Dabei spielt die Windkraft mit 12 % die preise in den Keller. Zum Schutz vor den starken Preis- wichtigste Rolle. Noch, denn die Sonnenenergie ist schwankungen gewähren viele EU-Staaten, darunter rasant auf dem Vormarsch. Im vergangenen Jahr legte Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien, ge- der Ausbau von Solaranlagen um sagenhafte 60% zu. setzlich geschützte Minimalvergütungen für neue Gründe hierfür finden sich einerseits im anhaltenden Kraftwerke, lobt Ruedi Rechsteiner, Ökonom und Preiszerfall im Solarbereich. Andererseits hat die EU Dozent für Umwelt- und Energiepolitik. Die Höhe grosszügig Handelshemmnisse abgebaut, wodurch die dieser Garantien wird überwiegend mittels wettbe- G esamtkosten für Photovoltaik weiter sanken. Und werblicher Ausschreibungen ermittelt.3 «Die Schweiz hat dieses 'Missing Money'-Problem bis heute nicht gelöst», kritisiert Rechsteiner. «Auch deshalb geht es Die langfristige Strategie der Europäischen Union: hierzulande beim Ausbau von Wind- und Solarkraft Projektion der Stromanteile aus erneuerbarer Energie bis 2030 kaum vorwärts.» Quelle/Grafik: Agora Energiewende & Sandbag, The European Power Sector in 2018. Kohle und Atom: Ausstieg ungewiss 57 % Die Förderung der Erneuerbaren alleine bewirkt noch keinen Ausstieg aus der gefährlichen nuklearen und 9% klimaschädigenden fossilen Energie. Denn obwohl die + 94 TWh/a EU-Kommission die Energiewende vorantreibt, sind die 32 % fossil-nuklearen Interessen bei einigen EU-Regierungen 26 % + 51 TWh/a noch stark vertreten. Beim europäischen Atomausstieg 20 % + 51 TWh/a wird entsprechend gezaudert: Während einige Staaten 11 % 11 % + 29 TWh/a + 25 TWh/a sich für ein AKW-freies Europa aussprechen, zielen an- + 13 TWh/a + 19 TWh/a dere Staaten in die entgegengesetzte Richtung. Momen- + 9 TWh/a tan sind noch über 100 AKW in Betrieb – mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren, was nicht ungefähr- lich ist. So auch die Schweiz. Trotz beschlossenem Biomasse Solar Wind Wasser Total Erneuerbare Atomausstieg und zahlreichen Betriebsschwierigkeiten liebäuglen die Atomkonzerne bereits mit verlängerten Bis 2030 soll 57 % des Stroms in der EU erneuerbar sein. Laufzeiten von bis zu 80 Jahren. 10 Energie & Umwelt 2/2019
Die Sonnenenergie ist in vielen EU-Ländern die mit Abstand günstigste Art, Strom zu produzieren. Laut SolarPower Europe7 wird die Sonnenenergie in eine neue Wachstumsphase eintreten. Schwieriger Braunkohle-Ausstieg rem hohen Anteil Wasserkraft, Speicherkraftwerken, Bezüglich Kohle sieht die Bilanz in Europa gemischt dem vorhandenen Kapital und einer geeigneten Struk- aus. Dabei sind Stein- und Braunkohle getrennt zu be- tur des Energiesystems für eine Vorreiterrolle eigentlich trachten. Die Steinkohle befindet sich in starkem Sink- prädestiniert wäre. «Die Schweiz hat gegenüber der EU flug. Seit 2012 ging die Steinkohle-Stromproduktion ein grosses Handlungsdefizit», beurteilt Rechsteiner die um 40 % zurück. 2018 haben Spanien und Deutschland Lage. Gerade bei der Photovoltaik mit ihrem Riesen ihre Ausstiegspläne angekündigt4, womit drei Viertel potenzial scheint die Politik blockiert (siehe S. 4). Die von Europas Steinkohlestrom bis 2038 wegfallen. Der Unterzeichnung der Pariser Klimaziele würde auch in verbleibende Viertel der Steinkohleverstromung findet der Schweiz rasches Handeln erfordern. Konkret heisst grösstenteils in Polen statt. Ungleich unschöner sieht das, dass die Dekarbonisierung durch Elektrifizierung es bei der viel schmutzigeren Braunkohle aus. Nur gera vorangetrieben werden muss. Der zunehmende Strom- de 3 % nahm diese im letzten Jahr ab. Knapp die Hälfte bedarf sowie der wegfallende Atomstrom muss dabei der Braunkohleverstromung fällt in Deutschland an, durch Strom aus Erneuerbaren ersetzt werden. Klima- das sich bis 2038 ganz von der Kohle verabschieden politik, Ausbau der Erneuerbaren und Strommarktde- will. Weitere kleine Braunkohle-Strom pro duzenten sign müssen hierfür zusammen gedacht werden. Es haben ebenfalls den Ausstieg angekündigt. Die andere bleibt zu hoffen, dass die Schweizer Politik aus ihrer Hälfte der Braunkohle wird in Ländern verheizt, die Lethargie findet und handelt (siehe S. 22+23). < noch keine entsprechenden Pläne vorgelegt haben, na- mentlich in Polen, Tschechien, Bulgarien, Griechen- land, Rumänien und Slowenien. Gesamthaft ist den- 1 European Commission, 2050 long-term strategy, Brüssel, November 2018. noch Zuversicht angesagt: Die Länder, die sich von den 2 inkluse Preis für CO2-Zertifikate konventionellen Energieträgern verabschieden, zeigen 3 Rudolf Rechsteiner, Bericht Strommarktdesign 2023. Vorschläge zur Versorgungs gezielte Ambitionen, den Ausbau der erneuerbaren sicherheit, Klimaschutz und für ein neues Strommarktdesign, Basel, re-solution, 2019. Energien voranzutreiben, ohne fossil-nukleare Über- 4 Spanien hat seinen Kohleausstieg bis 2030, Deutschland bis 2038 angekündigt. gangstechnologien einzusetzen.5+6 5 Europe Beyond Coal (Climate Action Network Europe), Coal phaseout plans, zuletzt besucht am 1.4.2019. 6 Agora Energiewende & Sandbag, The European Power Sector in 2018. Up-to-date Schlusslicht Schweiz analysis on the elctricity transition, Berlin & London, Januar 2019. In der Schweiz indes dümpelt der Ausbau der neuen 7 Solarpower Europe, Medienmitteilung, Strong solar growth in Europe as demand Erneuerbaren vor sich hin. Obwohl die Schweiz mit ih- grows over 60 % in 2018, Brüssel, 31. Oktober 2018. Energie & Umwelt 2/2019 11
MEHRVERBRAUCH DURCH ELEKTRIFIZIERUNG Energieeffizienz: Es braucht gesetzliche Vorgaben Netto Null CO2-Emissionen bis 2030 – So lautet die Forderung der K limabewegung in der Schweiz. Eine Lösung heisst: Elektrifizierung von fossilen Anwendungen. Doch welchen Mehrverbrauch zieht das nach sich? Und welche Rolle spielt dabei die Energieeffizienz? Zwei Experten ordnen ein. Von Jürg Nipkow und Conrad U. Brunner * ten sind rund 200'000 Elektroheizungen sowie 300'000 Elektro-Wärmepumpen, deren Verbrauch jährlich be- Weg von CO2 heisst hin zu strombasierten Anwendun- trächtlich schwankt, weil sie vom Wetter a bhängig gen. Die Elektrifizierung des Wärmebereichs (Heizen, sind. Insgesamt werden etwa 7,5 TWh für Raumhei- Kühlen, Warmwasser) und des Verkehrs ziehen einen zung und Warmwasser eingesetzt oder knapp 40 % des Mehrverbrauch nach sich, der sich aber dank Energie- Stromverbrauchs der Haushalte. effizienz in Grenzen halten kann. Was ist zukünftig möglich? Welche Massnahmen braucht es? Kurzfristig kein Mehrverbrauch Dieser Stromverbrauch wird trotz steigender Anzahl Haushalte: Elektroheizungen und -boiler ersetzen Wärmepumpen kurzfristig kaum zunehmen oder Der Stromverbrauch in den Haushalten ist seit 2006 sogar etwas abnehmen, weil Elektroheizungen und etwa gleich geblieben, obwohl die Anzahl Haushalte -boiler durch effizientere Systeme wie Wärmepumpen um rund 15 % stieg. 2017 betrug dieser Verbrauch 19,2 und Sonnenkollektoren ersetzt und effizientere Um- TWh Strom (32,9 % CH-Stromverbrauch). Darin enthal- wälzpumpen und andere Hilfsenergieapparate einge- setzt werden. Allerdings ist bisher die Abnahme der Elektroheizungen und -boiler noch recht klein. Um Stromverbrauch 2017 nach Verbrauchskategorien dieses Sparpotenzial von mindestens 5 TWh schneller Quelle: BFE, Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2017 zu reduzieren, sind politische Massnahmen nötig, was dazu führt, dass der Stromverbrauch für Wärmepum- pen (für Heizung und Warmwasser) schneller zuneh- 8,1 % Haushalt men wird. Da gleichzeitig der Heizwärmebedarf abneh- men wird (durch Wärmedämmung und Solarwärme) Landwirtschaft, Gartenbau und Strom eingespart wird (durch den Ersatz von Elekt 32,9 % roheizungen und Elektroboilern), ergibt sich durch den Industrie, verarbeitendes Gewerbe 26,8 % Umstieg von Öl/Gas- zu (grossenteils) Wärmepumpen- Heizungen eine relativ bescheidene Zunahme. Dienstleistungen 1,6 Haushaltgeräte und Beleuchtung Verkehr % Eine 2018 veröffentlichte Studie des Bundesamts für 30,6 % Energie zeigt, dass der Stromverbrauch der Haushalt- Grossgeräte seit etwa 2010 zu sinken beginnt, trotz Zunahme der Anzahl Haushalte, von 2010 bis 2017 um Damit die Strom- & Energiewende gelingt, braucht es Effizienzvorschriften. fast 10 %. Der Verbrauch der IT-Geräte sank sogar seit 12 Energie & Umwelt 2/2019
Foto: www.stock.adobe.com/Doin Oakenhelm 2008 markant um rund 35 %. Dies trotz Zunahme der 50 % des Gesamtverbrauchs einer Universität, eines Spi- Gerätezahl bei beiden Kategorien. tals oder eines Bürogebäudes angestiegen. Moderne Gerätekategorien mit hohen Effizienzgewinnen sind Lüftungsanlagen bestehen aus Motor, Frequenzum Kühl- und Gefriergeräte (seit 2012 nur noch A++/A+++) richter und Ventilator mit rückwärtsgekrümmten sowie Wäschetrockner (seit 2012 nur noch mit Wärme- Schaufeln. Lastabhängig geregelte Direktantriebe sind pumpe, gegen 50 % Einsparung). Die Beleuchtung heute die Standardlösung. Die Energieeffizienz ist dank machte im 2017 rund 10 % eines typischen Haushalt- Mindestanforderungen für Pumpen und Ventilatoren Stromverbrauchs aus. Dieser Wert wird dank dem Ver- und FU deutlich gestiegen. schwinden von Glüh- und Halogenlampen respektive dem Ersatz durch LED weiter sinken. Elektromobilität: Es braucht Effizienzvorschriften Der Verbrauch der Elektromobilität lag 2017 bei 4,7 TWh (8,1 % CH-Stromverbrauch), welcher mit der Zunahme FAZIT: Bei Haushalten und Wärmepumpen ist mit einer von Elektrofahrzeugen weiter steigt. Die Effizienz aller relativ langsamen und bescheidenen Zunahme des elektrisch angetriebenen Fahrzeuge im öffentlichen Stromverbrauchs zu rechnen. Der Stromverbrauch für und privaten Bereich ist vom Fahrzeuggewicht, dem Geräte und Beleuchtung sollte weiter abnehmen. Auslastungsgrad und dem Wirkungsgrad im rasch Allerdings ist zu erwarten, dass durch die Zunahme wechselnden Teillastbetrieb abhängig. In e inem Elekt- der Anzahl Haushalte die Effizienzgewinne teilweise roauto sind 500 bis 800 kg zusätzliche Last für Batte kompensiert werden. Die «Winter-Lastigkeit» des rien, inkl. Kühlung und Brandschutz, mitzuschleppen. Verbrauchs kann wegen des Ersatzes der Elektrohei- Dies erfordert für die Beschleunigung übergrosse An- zungen sogar abnehmen. triebsleistungen. Ein Teufelskreis, der erst mit leich teren Fahrzeugen und wirksameren Batterien gelöst Die Industrie wird effizienter werden kann. Effizienzvorschriften können die nöti- Die Industrie verbrauchte 17,9 TWh (30,6 % CH-Strom- gen Anreize schaffen. verbrauch 2017). Elektrische Antriebssysteme sind für 70 % bis 80 % des Verbrauchs verantwortlich. Der Ver- brauch ist dank Effizienz gesunken: Pumpen, Venti FAZIT: Bei den drei grossen Bereichen Industrie, latoren, Kompressoren und Maschinen sind stetig effi Dienstleistungen und Verkehr besteht ein Wider zienter geworden. Dank gesetzlicher Mindestanforde- spruch zwischen steigender Effizienz und wachsen- rungen haben sich die neuen IE3- und IE4-Motoren dem Bedarf. Die Effizienz lässt und liess sich dank rascher am Markt verbreitet. Der Einsatz von Frequenz politischer Interventionen und gesetzlicher Mindest umrichtern (FU) bei Maschinen mit wechselnder Last anforderungen massgeblich steigern. < steigt von 20 % langsam auf 50 % aller Antriebe. Dienstleistung: mehr Effizienz dank Vorgaben * Dipl. Ing. Jürg Nipkow, Geschäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft Energie-Alternativen Der Dienstleistungssektor verbrauchte 15,7 TWh Strom (ARENA) und ehemäliger Präsident der Schweizerischen Agentur für Energieeffizienz (26,8 % CH-Stromverbrauch 2017). Der Verbrauch steigt S.A.F.E., hat für diesen Artikel den Sektor Haushalte analysiert. www.arena-energie.ch mit zunehmendem Klimatisierungsbedarf: Der Anteil * Dipl. Architekt ETH Conrad U. Brunner, Energieplaner, Impact Energy, Zürich und der elektrisch angetriebenen Systeme (Pumpen, Venti- S.A.F.E.-Mitglied, hat für diesen Artikel die Sektoren Industrie, Dienstleistungen und latoren und Kältekompressoren) ist dabei auf 40 % bis Verkehr analysiert. www.topmotors.ch Energie & Umwelt 2/2019 13
NFP 71-FORSCHUNGSPROJEKT «INTELLIGENTE URBANE LOGISTIK» SICHERE STROMVERSORGUNG Das Angstgespenst Versorgungssicherheit Die sichere Versorgung der Schweiz mit Strom sei in Gefahr, wird oft suggeriert. Doch das Schweizer Stromnetz ist sehr gut aufgestellt – auch für den Atom- ausstieg: Die Versorgungssicherheit bleibt gewährleistet, erneuerbare Energien leisten einen wichtigen Beitrag und Gaskraftwerke sind unnötig. Von Dr. Andreas Ulbig Zukünftige Versorgungssicherheit – eine Analyse Vizepräsident SES-Stiftungsrat, Dozent am Power Wie sich die Versorgungssicherheit entwickelt, ist – wie Systems Lab, ETH Zürich alle Aussagen über die Zukunft – naturgemäss unsicher. Das erlaubt nicht, unberechtigte Ängste zu schüren. Es Quelle: ENTSO-E, Statistical Factsheet 2017 Die sichere Versorgung mit Strom wird in der Schweiz macht aber sehr viel Sinn, mögliche zukünftige Entwick- immer wieder für ganz verschiedene Partikularinteres- lungen heute schon zu analysieren und zu bewerten, ob sen verwendet, sei es für den Bau von Gaskraftwerken sich diese positiv oder negativ auswirken. und den weiteren Ausbau der Wasserkraft oder als A rgument beim Stromabkommen und der Strom- Stromproduktion: Der langsam aber sicher stattfinden- marktöffnung. Dabei wird gerne suggeriert, dass die de Schweizer Atomausstieg wird stufenweise zu einem Versorgungssicherheit der Schweiz heute oder zukünftig Wegfall von etwa 40 % der heutigen Stromproduktions- in Gefahr sei. Die Faktenlage zeigt ein anderes Bild: kapazität führen. Das muss kompensiert werden durch einen stärkeren Zubau erneuerbarer Stromproduktion, ■■ Die Schweiz spielt seit den Anfängen des europä durch mehr Energieeffizienz oder durch mehr erneuer- ischen Stromnetzes eine zentrale Rolle. Heute laufen bare Stromimporte aus dem Ausland. mehr als 10 % der grenzüberschreitenden Stromflüsse in Europa über Schweizer Netzinfrastruktur. Stromverbrauch: Durch die zu erwartende zuneh mende Elektrifizierung beim Wärmebedarf (Wärme- ■■ Mit 41 Kuppelstellen zu den Nachbarländern hat die pumpen) und bei der Mobilität sinkt zwar der Verbrauch Schweiz das am besten verknüpfte Stromnetz Europas. fossiler Energieträger drastisch, der Strombedarf steigt allerdings an. Schon heute gibt es schweizweit zirka ■■ Die zahlreichen Pumpspeicherwerke wie auch die 300'000 elektrische Wärmepumpen (2,5 % des Strom- saisonalen Speicherseen in den Alpen liefern grosse verbrauchs gemäss BFE). Gäbe es nur noch Elektroautos Mengen flexibel abrufbarer Erzeugungsleistung. in der Schweiz, stiege der Strombedarf um zirka 10 bis 20 % an (vgl. auch S. 12 + 13). ■■ Die Schweiz hat in der Jahresbilanz einen fast aus- geglichenen Stromhandelssaldo und produziert den Saisonale Speichertechnologien: Da in unseren Brei- eigenen Strombedarf grösstenteils selbst. tengraden der Strombedarf im Winterhalbjahr höher ist, die erneuerbare Stromproduktion aber niedriger ist ■■ Damit ist die Schweiz deutlich flexibler und besser als im Sommer, braucht es mehr saisonale Speicherfä- gegen kurz- oder mittelfristige Knappheiten, sprich higkeit. Der hohe Strombedarf im Winter ist vor allem ungewöhnlich hohe Strompreise, geschützt, als dies in wärmegetrieben, daher bieten sich hierfür saisonale fast allen Nachbarländern der Fall ist. Nur Österreich Wärmespeicher besonders an. Auch mit überschüssi- hat mit seinen eigenen Speicherseen eine ähnlich hohe gem Strom produzierte chemische Energieträger wie Flexibilität in der Strombereitstellung. Wasserstoff und Methan (Power-to-Gas) können helfen. Mit ihren grossen Speicherseen hat die Schweiz schon ■■ Zudem hat sich in Europa ein Überangebot an Strom heute sehr grosse saisonale Stromspeicher (15 % des erzeugungskapazitäten aufgebaut: durch den Zubau jährlichen Stromverbrauchs). der erneuerbaren Energien in Kombination mit dem noch langsamen Rückbau der fossilen Kraftwerkska Stromknappheit und Flexibilität: Wächst der Strom- pazitäten und dem seit Jahren dank mehr Energieeffi- bedarf schneller als die Stromerzeugung, steigt das zienz stagnierenden Stromverbrauch. Risiko, dass es zeitweise zu Stromknappheit kommt. Konkret fehlt dann entweder die Stromproduktions- ■■ Anstatt einer Stromknappheit war die Hauptsorge und/oder die Netztransportkapazität, um an jedem der Stromkonzerne in den letzten Jahren daher viel Ort und zu jeder Zeit den Spitzenverbrauch zu decken. mehr eine Stromschwemme und damit entsprechend Das ist ein altbekanntes Problem aller Stromsysteme niedrige Strommarktpreise. und hat nichts mit der Energiewende zu tun. 14 Energie & Umwelt 2/2019
Stromdrehscheibe Schweiz: die physikalischen Stromflüsse in GWh quer durch Europa. In Europa ist eine Stromknappheit ein seltenes, haus- rungssystemen für Wärmepumpen oder Elektroautos gemachtes Phänomen: Als im Winter 2012 eine Kälte- ebenfalls schon greifbar. welle über Frankreich einbrach, stieg dort der Strom- verbrauch an mehreren Tagen auf über rekordträchti- Fazit: Die Schweiz ist gut aufgestellt ge 100 GW, auch dank ineffizienter Gebäudedämmung Die Versorgungssicherheit ist heute sehr gut gewähr- und elektrischer Direktheizungen ohne Wärmespeicher. leistet und wäre es auch noch, wenn alle Schweizer Aufgrund der zentralistischen Stromproduktion mit Kernkraftwerke wie Mühleberg zeitnah abgeschaltet Atomkraftwerken konnten zusätzlich einige Randregi- würden. Im Vergleich zu allen Nachbarländern ist das onen nur schlecht mit Strom versorgt werden – lokale Schweizer Stromnetz sehr gut aufgestellt für die heu- Blackouts drohten. In Kalifornien dagegen drohen an tigen und zukünftigen Herausforderungen. heissen Sommertagen regelmässig Stromausfälle dank des hohen Stromverbrauchs der Klimaanlagen und der Dies hat auch die vom Autor mitverfasste SATW-Stu- fehlenden lokalen Stromerzeugung. Solaranlagen ste- die2 zu den Auswirkungen der Energiewende auf die hen in Kalifornien grösstenteils in der Wüste und nicht Schweiz gezeigt: in den Städten, wo ihre Stromproduktion am drin- ■■ In allen in der Energiestrategie 2050 definierten gendsten gebraucht würde. Energieszenarien ist die Versorgungssicherheit dank der flexibel einsetzbaren Pump- und Saisonalspeicher Mehr Flexibilität im Stromnetz: Schnell verfügbare gewährleistet. Erzeugungsleistung, entweder aus Spitzenlastkraftwer- ■■ Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien in ken, Speichersystemen und Lastmanagement kann die der Schweiz liefert hier zusammen mit mehr Energie- Spitzenlast effektiv brechen. Gerade ein grösserer An- effizienz einen positiven Beitrag. teil flexibler Stromlasten ist vergleichsweise einfach ■■ Fossile Ersatzkraftwerke für die Zeit nach dem und kostengünstig zu haben. Es ist gängige Praxis, dass Atomausstieg werden nicht gebraucht und würden industrielle Grossverbraucher wie Papierfabriken auf auch nur neue Abhängigkeiten durch hierfür nötige Preisschwankungen am europäischen Strommarkt Gasimporte schaffen. < kurzfristig mit Verbrauchsanpassungen reagieren. Mitt- lerweile ist dies auch in der Gebäudeautomatisierung möglich, z.B. bei der Klimatisierung von Büroräumen. 1 mit der Zusammenschaltung der französischen, deutschen und schweizerischen Im Wohnbereich ist eine grössere Verbrauchsflexibili- Stromnetze im Stern von Laufenburg (1958). sierung dank Heimspeichern zur Maximierung des 2 SATW-Studie: Ist das geplante Stromsystem der Schweiz für die Umsetzung der PV-Eigenbedarfs und zunehmend intelligenten Steue- Energiestrategie 2050 aus technischer Sicht geeignet? Download: https://t1p.de/satw Energie & Umwelt 2/2019 15
ATOMPOLITIK SCHWEIZ Jetzt das Beznau-Manifest unterzeichnen! Die Schweiz hat mit der Annahme der Energiestrategie 2050 den Atomausstieg besiegelt. «Problem gelöst», denken viele. Doch weit gefehlt: Der Schweizer Atomausstieg ist in Schieflage. Deshalb hat die Schweizerische Energie-Stiftung das Beznau-Manifest lanciert. Wir setzen Hoffnung in die neue Energieministerin Simonetta Sommaruga und fordern von ihr folgende 3 Punkte: 1. SICHERHEITSSTANDARDS ERHÖHEN STATT SENKEN! Die Schweiz betreibt mit durchschnittlich 44 Jahren den mit Abstand ältesten AKW-Park der Welt. Konzipiert wurden die Kraftwerke allerdings für Laufzeiten von 30 bis 40 Jahren. Die verwendete Technik ist veraltet. Anstatt nun besonders streng zu sein, werden die Sicher- heitsvorschriften aufgeweicht. So können die AKW 60 bis 80 Jahre am Netz bleiben. Das ist skandalös – und gefährlich. Die Energiestrategie 2050 sagt: AKW dürfen so lange laufen wie AKW können so bis zu 80 Jahre am Netz bleiben – ohne nennens- sie sicher sind. Was «sicher» bedeutet, ist im Kernenergiegesetz wert nachgerüstet werden zu müssen. geregelt. Dieses Gesetz wurde 2003 vor dem Hintergrund ge- schaffen, dass die alten AKW bald ersetzt würden. Das Gesetz Wir fordern deshalb, dass fordert deshalb bei den alten AKW in puncto Sicherheit längst nicht das ein, was bei modernen AKW verlangt wird. Und es erlaubt n auch alte AKW die modernsten Sicherheitsvorgaben einhalten der Atomaufsicht ENSI grosszügige Fristen für Nachrüstungen. müssen; n erforderliche Nachrüstungen unverzüglich umgesetzt werden Anstatt die Sicherheitsvorgaben endlich zu verschärfen, hat der müssen – oder das AKW geht vorübergehend vom Netz. Bund diese nun per Verordnung weiter aufgeweicht. Unsere alten 2. MEHR UNABHÄNGIGKEIT UND TRANSPARENZ SCHAFFEN! Die Wege zwischen AKW-BetreiberInnen, Aufsichts- und Bundesbehörden sowie dem Par- lament sind gefährlich kurz. Kritiker werden als Atomgegner abgestempelt und ignoriert. Entscheide werden nur vordergründig transparent gefällt, relevante Dokumente bleiben trotz anderslautendem Gesetz unzugänglich. Das ist nicht mehr zeitgemäss – und gefährlich. In der Schweizer Atompolitik geht es weder um Versorgungssi- sind. Auch der Rechtsweg funktioniert als Kontrolle kaum, da cherheit noch um Klimaschutz. Die wichtigen Entscheide richten dieser zuerst gegen die Behörden erstritten werden muss und sich sich einzig und allein nach der Kasse der AKW-BetreiberInnen. Je dann die Gerichte aufgrund der hohen Komplexität des Themas länger ihre Kraftwerke ohne teure Nachrüstungen am Netz blei- scheuen, gegen diese zu entscheiden. ben, umso mehr Geld spielen sie ein. Und je später sie abgeschal- tet werden, umso weiter können die hohen Kosten für den Rück- Wir fordern deshalb, dass bau und die Entsorgung des Atommülls hinausgeschoben werden. Es gibt kaum Widerspruch zu Gunsten der Sicherheit und dem n Stellen in Aufsichtsbehörden und Verwaltung von ideell unab- Schutz der Bevölkerung. Zu stark sind die Interessen durch Man- hängigen Personen besetzt und mit genügend Ressourcen date miteinander verflochten (Atomfilz). ausgestattet werden, damit Empfehlungen der einen Behörde Offiziell unabhängige Personen sind zu wenig eigenständig oder von der anderen nicht einfach übernommen werden; mit zu geringen Ressourcen ausgestattet, um sich ein eigenes, n eine Entflechtung zwischen ParlamentarierInnen und AKW- ausgewogenes Bild zu machen. Ihre Entscheide sind für die Betreiberinnen stattfindet oder die entsprechenden Mandats- Ö ffentlichkeit kaum nachvollziehbar, weil die relevanten Doku- trägerInnen im Zweifelsfall in den Ausstand treten; mente trotz Öffentlichkeitsgesetz gar nicht oder erst nach jahre- n Dokumente im Sinne des Öffentlichkeitsgesetzes schneller ver- langen Rechtsverfahren (grösstenteils geschwärzt) einsehbar öffentlicht werden.
Sie können auch lesen