12 Säure-Basen-Haushalt - Buecher.de
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12.1 Der pH-Wert in Körperflüssigkeiten 281 12 Säure-Basen-Haushalt Gotthold Gäbel ▶ Der pH-Wert der extrazellulären Flüssigkeit wird in Die hohe pH-Sensitivität des Organismus erklärt sich über einem sehr engen Bereich zwischen 7,36 und 7,44 ge- den Einfluss von Protonen auf funktionelle Strukturen in halten. Dies geschieht über Puffersysteme, die über die den Zellmembranen bzw. im Cytosol. Vor allem Peptide Regulationsorgane Niere, Leber und Lunge eingestellt und Proteine (Enzyme, Transport- und Bindungsproteine, werden. Ein wichtiges, weil regulierbares Puffersystem Kanalproteine u. a.) zeichnen sich durch hohe pH-Emp- ist das Bicarbonat-Kohlensäure-System. Die CO2-Abgabe findlichkeit aus. wird über die Lunge (Atmung) und die HCO3–-Ausschei- dung bzw. -Neubildung über die Niere (Urin) vermittelt. Die Regulation der H+-Konzentration folgt dem gleichen Zudem ist die Niere noch in der Lage, Protonen aus- Grundprinzip wie die Regulation der Konzentration ande- zuscheiden. Mit der Henderson-Hasselbalch-Gleichung rer Ionen, d. h., für die Aufrechterhaltung einer konstanten lässt sich die Beziehung zwischen Bicarbonatkonzentra- Konzentration müssen sich H+-Abgabe und H+-Aufnahme tion, Partialdruck von CO2 (pCO2) und pH-Wert be- die Waage halten. Übersteigt die H+-Abgabe die H+-Auf- schreiben. Störungen im Säure-Basen-Haushalt können nahme, so verliert der Körper H+-Ionen; der pH-Wert steigt durch Funktionsstörungen der regulativen Organe Nie- dann und es entwickelt sich eine Alkalose. Im umgekehr- re, Lunge und Leber verursacht werden. Aber auch ten Fall, d. h., wenn die H+-Abgabe geringer als die -Auf- übermäßige, nicht mehr regulierbare Verluste bzw. nahme ist und somit der pH-Wert fällt, entsteht eine Aci- Überproduktion von Protonen bzw. Bicarbonat können dose. derartige Entgleisungen auslösen. Abweichungen des pH-Wertes vom Normalwert nach unten oder oben Tab. 12.1 fasst die Möglichkeiten der H+-Produktion und werden als Acidose bzw. Alkalose bezeichnet. Bei einer H+-Abgabe zusammen. Die Bedeutung der verschiedenen respiratorischen Störung ist primär der pCO2 erhöht Wege hängt von der Stoffwechselsituation des Tieres ab. bzw. erniedrigt. Ist primär die Bicarbonatkonzentration verändert, handelt es sich um eine metabolische (nicht Bei der H+-Produktion ist zunächst zu differenzieren, ob respiratorische) Störung. Um Störungen im Säure-Ba- Säuren in flüchtiger Form (als CO2) oder in nichtflüchti- sen-Haushalt zu analysieren, können der pH-Wert, der ger Form (als H3PO4/H2SO4) entstehen. pCO2, die HCO3–-Konzentration und der Base Excess (BE) im Blut bestimmt werden. Neben diesen klassi- Quantitativ gesehen werden die meisten H+-Ionen in flüch- schen Parametern werden in der Analytik auch Na- tiger Form über CO2 (CO2 + H2O → H2CO3 → H+ + HCO3–) trium, Chlorid und andere Elektrolyte bestimmt, die produziert (Decarboxylierung von Ketonsäuren/Citrat- aus Gründen der Elektroneutralität indirekt Einfluss zyklus). Trotz der quantitativen Bedeutung stellt die auf die Bicarbonatkonzentration nehmen. ◀ CO2-Produktion kein Problem für die Säure-Basen-Regula- tion dar, da CO2 normalerweise schnell und effektiv über die Lungen abgegeben werden kann. In der Säure-Basen- 12.1 Der pH-Wert in Regulation schwieriger zu handhaben sind H+-Ionen, die in Form nichtflüchtiger Säuren gebunden sind. So werden Körperflüssigkeiten bei der Oxidation der SH-Gruppen schwefelhaltiger Ami- nosäuren (Methionin, Cystein) und der Hydrolyse organi- Der pH-Wert der extrazellulären Flüssigkeit (EZF) liegt bei scher Phosphorsäuren neben Sulfat und Phosphat auch den meisten Tierarten im Bereich von 7,36–7,44 mit einem Protonen freigesetzt. Naturgemäß ist dieser Teil der Pro- Mittel von etwa 7,4. Unter physiologischen Bedingungen tonenproduktion bei proteinreicher Kost verstärkt. Dieser sind dessen Schwankungen äußerst gering. Schon geringe Protonenüberschuss kann nur über die Niere (Kap. 13.11) Abweichungen gehen mit systemischen Störungen einher. kompensiert werden, sodass Fleischfresser i. d. R. einen Ein Abfall unter 7,0 bzw. ein Anstieg über 7,8 führt zu sauren Urin ausscheiden. Wird hingegen pflanzliche Nah- schweren Dysfunktionen bis hin zum Exitus. rung aufgenommen, so gelangen mit den Pflanzen Salze organischer Säuren (Citrat, Aconitat, Fumarat, Malat usw.) in den Organismus. aus: von Engelhardt, Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830412595) © 2015 Enke Verlag
282 12 Säure-Basen-Haushalt und damit die Ventilation aktiviert. Durch die verstärkte Tab. 12.1 Möglichkeiten der H+-Produktion/-Aufnahme und CO2-Abgabe mit der Ausatmungsluft wird der Bicarbo- -Abgabe. nat/Kohlensäure-Puffer neu eingestellt. H+-Produktion/-Aufnahme 3. Renale Regulation: Die Niere ist in der Lage, je nach Stoffwechselsituation Protonen oder Bicarbonat aus- A. über CO2 zuscheiden und somit den Bicarbonat/Kohlensäure- ● aus dem oxidativen Metabolismus Puffer sowohl in die alkalische als auch in die saure (hauptsächlich Citratzyklus/Atmungskette) CO2+H2O → H2CO3 → H++HCO3– Richtung einzustellen. 4. Hepatische Regulation: Die Leber setzt Glutamin frei, B. über H2SO4/H3PO4 aus dem in den Epithelzellen der Nierentubuli NH3 ● aus dem oxidativen Abbau S- und P-haltiger Amino- produziert wird. Über die Umwandlung von NH3 in säuren (Fleischfresser!) NH4+ im Tubuluslumen können Protonen gebunden und C. H+-Produktion als Folge von Pufferverlust ausgeschieden werden. ● HCO3–-Ausscheidung über die Nieren ● HCO3–-Verlust im Kot (Durchfall!) Im Folgenden werden die Regulationssysteme genauer dar- ● HCO3–-„Verlust“ über den Speichel (Wiederkäuer) gestellt. H+-Abgabe/-Verbrauch A. über CO2 ● 12.2.1 Puffersysteme über die Atmung H++HCO3– → H2CO3 → CO2+H2O Allgemeine Erläuterung ↓ Lunge Werden nur wenige Tropfen einer starken Säure (HCl, B. als H+ H2SO4) in einen Becher mit reinem Wassers gegeben, so dissoziiert diese vollständig und es entstehen freie Pro- ● H+-Ausscheidung über die Nieren ● tonen, der pH-Wert sinkt. Bei Zugabe einer Lauge erfolgt Überführung organischer Salze (Citrat, Aconitat u. a.) in deren Säuren (Pflanzenfresser!) → Verbrauch von H+ durch die Abgabe von OH–-Ionen eine Alkalisierung. Ist jedoch ein Puffersystem vorhanden, so werden die Pro- tonen bzw. OH–-Ionen durch das System „weggefangen“ und der pH-Wert ändert sich nur wenig. In biologischen Diese Salze müssen aber vor der Einschleusung in die ka- Flüssigkeiten ist i. d. R. der Schutz vor einer Übersäuerung tabolen Stoffwechselwege (oxidativer Abbau zu CO2) in die wichtiger als der Schutz vor einer übermäßigen Alkalisie- entsprechende Säure überführt, also protoniert werden. rung. Im sauren Bereich wirksame Puffersysteme beste- Auf diese Weise werden in der Gesamtbilanz Protonen hen im einfachsten Fall nur aus einer schwachen Säure „verbraucht“, was über eine erhöhte Bicarbonatausschei- und ihrer konjugierten Base. Die Pufferung in biologi- dung durch die Niere kompensiert werden muss. Pflanzen- schen Flüssigkeiten erfolgt aber meist durch mehrere, fresser scheiden demzufolge einen alkalischen, bicarbonat- gleichzeitig wirkende Puffersysteme. haltigen Urin aus. Puffern im sauren Bereich heißt, dass die Konzentra- Im Organismus entstehen Säuren sowohl in flüchtiger tion an freien H+-Ionen nur gering schwankt, indem Form über CO2 als auch in nichtflüchtiger Form. Die diese durch konjugierte Basen schwacher Säuren ab- CO2-Produktion stellt die Säure-Basen-Regulation gefangen werden. kaum vor Probleme. Henderson-Hasselbalch-Gleichung 12.2 Regulationssysteme Jede Säure kann bis zu einem bestimmten Grad dissoziie- ren. Je stärker die Säure, desto stärker ist ihr Bestreben zu Um eine Acidose/Alkalose zu vermeiden, stehen mehrere dissoziieren, also Protonen abzugeben. Demzufolge ist auch Kontroll- und Regulationssysteme zur Verfügung: der durch die Säure hervorgerufene pH-Wert-Abfall ent- 1. Puffersysteme: Alle Körperflüssigkeiten enthalten ver- sprechend verstärkt. Quantitativ wird das Dissoziations- schiedenartige Puffer, die in der Lage sind, sich mit bestreben durch die Dissoziationskonstante K bzw. Protonen bzw. Hydroxylionen zusammenzulagern. Eine durch den pK-Wert (pK = –log K) beschrieben. Zu beach- besondere Bedeutung für die Pufferung in biologischen ten ist, dass die pK-Wert-Skala eine dekadisch logarith- Flüssigkeiten hat der Bicarbonat/Kohlensäure-Puffer. mische ist, d. h., ein um eine Einheit niedrigerer pK-Wert 2. Pulmonale Regulation: Sinkt der pH-Wert bzw. steigt bedeutet, dass die Säure zehnfach stärker ist. Säuren, deren der PCO2 des Blutes, wird das Atemzentrum stimuliert pK-Wert kleiner als 1 ist, werden allgemein als starke Säu- aus: von Engelhardt, Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830412595) © 2015 Enke Verlag
12.2 Regulationssysteme 283 ren, Säuren mit einem pK-Wert zwischen 1 und 5 als mit- c. Sind die Konzentrationen von konjugierter Base und telstark und solche mit einem pK-Wert über 5 als schwach Säure gleich, so ergibt sich: pH = pK (da log 1 = 0). In bezeichnet. diesem Bereich ist die Pufferkapazität am größten. Die Konzentration freier H+-Ionen und damit der pH-Wert Biologische Puffersysteme ergibt sich aus dem Dissoziationsgrad der Säuren. Dieser kann nach der Henderson-Hasselbalch-Gleichung berech- Die 4 wichtigsten Puffersysteme des Blutes sind: ● Hämoglobinat/Hämoglobin net werden: ● Proteinat/Protein ½konjugierte Base ● Hydrogenphosphat/Dihydrogenphosphat pH ¼ pK þ log ½S€ aure ● Bicarbonat/Kohlensäure (CO ) 2 In Abb. 12.1 ist der nach der Henderson-Hasselbalch-Glei- Tab. 12.2 fasst die Puffersysteme des Blutes sowie ihre Lo- chung errechnete Zusammenhang zwischen Säure-Basen- kalisation, pK-Werte und Konzentrationen zusammen. Verhältnis und pH-Wert am Beispiel des Bicarbonat/Koh- lensäure-Puffers dargestellt. Wie ersichtlich, ist das Aus- Zunächst ist zwischen offenen und geschlossenen Syste- maß der pH-Wert-Änderung durch Säure-Base-Zugabe ab- men zu unterscheiden. hängig vom Ausgangswert. Im zentralen Bereich der Kurve – im Bereich des pK-Wertes – führt eine Zugabe von OH– Die Nicht-Bicarbonat-Puffer gehören zum geschlossenen oder H+ nur zu einer geringen Verschiebung des Verhält- System. Dies bedeutet, dass die Gesamtkonzentration des nisses von Base zu Säure und somit auch nur zu einer Puffers, d. h. die Summe aus basischem und saurem Anteil, geringen Veränderung des pH-Wertes. An den Enden der konstant bleibt, da diese Puffersysteme keiner direkten Re- Kurve sind die entsprechenden pH-Wert-Veränderungen gulation unterliegen. Im Gegensatz dazu kann im Bicarbo- wesentlich größer. nat/Kohlensäure(CO2)-Puffer sowohl die CO2- als auch die HCO3–-Konzentration durch die Atmung bzw. durch die Für die Beurteilung eines Puffersystems lässt sich somit Niere reguliert werden, es liegt somit ein offenes System Folgendes aus der Henderson-Hasselbalch-Gleichung vor. schlussfolgern: a. Der pH-Wert eines Puffersystems wird durch das Ver- Hämoglobinat- und Proteinat-Puffer: Unter den Nicht-Bi- hältnis von konjugierter Base zu Säure bestimmt, nicht carbonat-Puffern nimmt das Hämoglobin/Hämoglobinat- durch deren absolute Konzentration. System eine herausragende Stellung ein, da es intrazellu- b. Je mehr der pK-Wert einer Säure vom eingestellten pH- lär in hoher Konzentration (> 100 g/l Gesamtblut, Tab. 10.5, Wert der Lösung nach unten abweicht, desto größer ist S. 206) vorliegt. Die Bedeutung dieses Systems liegt vor der Anteil konjugierter Basen in dieser Lösung. allem in der Pufferung der bei der CO2-Aufnahme in den Erythrocyten entstehenden Protonen. Ähnlich wie das Hä- moglobin in den Erythrocyten wirken in anderen Zellarten verschiedene intrazelluläre Proteinat-Puffer. Die extrazel- lulär im Plasma vorhandenen Proteine entfalten ihre Wir- H2CO3 (CO2) -Anteil am Puffer (%) kung fast nur bei einer Übersäuerung, da sie bei physiolo- 4 5 6 7 8 gischem pH-Wert vor allem als Anionen vorliegen (isoelek- HCO3- -Anteil am Puffer (%) 0 100 trische Punkte zwischen 4,9 und 6,4). % Säure zugegeben % Base zugeben 25 75 Dihydrogenphosphat/Hydrogenphosphat-Puffer: Von allen Puffersystemen hat das Dihydrogenphosphat/Hydro- 50 50 genphosphat-System den pK-Wert, der am nächsten am pK 6,1 physiologischen pH-Wert liegt (Tab. 12.2). Es kommt also 75 25 den besprochenen Kriterien für einen idealen Puffer am nächsten. Durch die geringe Konzentration im Blutplasma 100 0 (1,5–2 mmol/l) ist die Pufferwirkung im Blut aber nicht 4 5 6 7 8 sehr hoch. Der H2PO4–/HPO42 –-Puffer spielt eine Rolle bei pH der pH-Wert-Regulation über die Niere. HPO42 – wird im Glomerulum filtriert und anschließend im Tubulus kon- Abb. 12.1 Titrationskurve für den Bicarbonat/Kohlensäure(CO2)- zentriert, sodass hier die Pufferkapazität zunimmt. Die Tu- Puffer. Die linke y-Achse markiert den Anteil an zugegebenen bulusflüssigkeit kann dann die von den Tubuluszellen se- H+-Ionen und den dadurch resultierenden Anteil an H2CO3. Auf der zernierten Protonen „binden“ und sie als „titrierbare Säu- rechten y-Achse sind der Anteil an zugegebenen OH-Ionen und der daraus resultierende Anteil an HCO3– aufgetragen. re“ ausscheiden (Kap. 13.11). aus: von Engelhardt, Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830412595) © 2015 Enke Verlag
284 12 Säure-Basen-Haushalt Tab. 12.2 Puffersysteme des Blutes. Puffersystem Lokalisation pK-Wert Konzentration (mmol/l) geschlossene desoxygeniertes Hämoglobin intrazellulär 8,25 Systeme Hb–+H+ ↔ HHb oxygeniertes Hämoglobin intrazellulär 6,95 O2Hb–+H+ ↔ O2HHb Proteine intrazellulär und extrazellulär – __ 24 Pr–+H+ ↔ HPr Hydrogenphosphat intrazellulär und extrazellulär 6,8 HPO42 –+H+ ↔ H2PO4– offenes System Bicarbonat intrazellulär und extrazellulär 6,1 24 HCO3–+H+ ↔ H2CO3 ↔ H2O+CO2 Summe 48 H2CO3/CO2/HCO3–-System: Bei diesem System ist zunächst Aus der Gleichung ist abzuleiten, dass als saurer Bestandteil, die Kohlensäure (H2CO3), dem basi- a. der pK-Wert vom physiologischen pH-Wert relativ weit schen Teil, dem Bicarbonat (HCO3–), gegenüberzustellen. entfernt liegt, Allerdings ist es fast unmöglich, die Konzentration von b. aufgrund der Divergenz zwischen pH-Wert und H2CO3 in biologischen Systemen zu erfassen. Kohlensäure pK-Wert das Schwergewicht des Verhältnisses von ist relativ instabil und zerfällt sofort in CO2 und Wasser. HCO3– zu CO2 aufseiten des Bicarbonats liegt. Dieser Vorgang wird in den meisten Geweben zusätzlich noch durch das Enzym Carboanhydrase beschleunigt Diese Feststellungen widersprechen auf den ersten Blick (Abb. 12.3, Abb. 12.4). Das heißt, dass die CO2-Konzentra- den dargelegten Bedingungen für ein ideales Puffersys- tion in biologischen Flüssigkeiten proportional der H2CO3- tem. Allerdings ist das HCO3–/CO2-System ein offenes Sys- Konzentration ist und dementsprechend CO2 anstatt H2CO3 tem und es sind somit andere Kriterien für die Beurteilung in der extrazellulären Flüssigkeit (EZF) erfasst werden dieses Systems anzuwenden. Dies soll im Folgenden näher kann. Die physiologische CO2-Konzentration der EZF be- erläutert werden. trägt im Mittel 1,2 mmol/l, wobei dieses als Gas physika- lisch gelöst ist. Aus Abb. 12.2 wird deutlich, dass über die Aktivität von Niere und Atmung sowohl saure als auch basische Be- ▶ Gelöstes CO2 und Partialdruck des CO2 stehen in einem engen standteile des HCO3–/CO2-Systems einer Regulation unter- physikalischen Zusammenhang. Der Löslichkeitskoeffizient für CO2 liegen. Vergleicht man die Bedeutung von Niere und At- bei 37 °C beträgt 0,0304 mmol/(mmHg × l) bzw. 0,228 mmol/(kPa mung, so kommt quantitativ der Atmung die bedeutendere × l). Die im Plasma vorhandene mittlere Konzentration von Stellung zu, und zwar aus 2 Gründen: 1,2 mmol/l CO2 würde somit einem CO2-Partialdruck von 5,3 kPa a. CO2 ist ein lipidpermeables Gas, das rasch über Zell- (= 40 mmHg) entsprechen. In der Diagnostik von Störungen im Säure-Basen-Haushalt wird i. d. R. der Partialdruck von CO2 und grenzen äquilibriert. Somit kann eine Einstellung der nicht dessen Konzentration angegeben. ◀ CO2-Konzentration rasch erfolgen. Die Einstellung der HCO3–-Konzentration über die Niere benötigt längere Der pK-Wert des HCO3–/CO2-Systems beträgt 6,1 in biolo- Zeit. gischen Flüssigkeiten. Entsprechend der Henderson-Has- b. Wie aus obiger Formel ersichtlich, ist der – für die Ein- selbalch-Gleichung ist bei 1,2 mmol/l CO2 zur Einstellung stellung des pH-Wertes entscheidende – Quotient von des physiologischen pH-Wertes von 7,4 folgendes Verhält- HCO3– zu CO2 sehr hoch. Dies bedeutet, dass eine relativ nis von HCO3– zu CO2 nötig: geringe Verschiebung der CO2-Konzentration (durch verstärkte oder verminderte Atmung) eine relativ star- 24 mmol/l HCO3 ke Veränderung des Quotienten und damit des pH- 7,4 ¼ 6,1 þ log 1,2 mmol/l CO2 Wertes hervorruft. Erinnert sei daran, dass dies nur möglich ist, weil der pK-Wert des HCO3–/CO2-Puffers nicht dem Ideal eines Puffersystems für die extrazellu- läre Flüssigkeit (EZF) entspricht. aus: von Engelhardt, Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830412595) © 2015 Enke Verlag
12.2 Regulationssysteme 285 Stoffwechsel Stoffwechsel 20 mmol/l HCO3 pH ¼ 6,1 þ log ¼ 7,32 1,2 mmol/l CO2 Durch den – relativ kleinen – regulatorischen Eingriff an der CO2-Konzentration ist also der pH-Wert (fast) wieder in physiologische Bereiche angehoben worden. Die danach erfolgende weitere Kompensation ist unter Kapitel 12.2.2 H+ + HCO3- H2CO3 CO2 + H2O beschrieben. Das HCO3–/CO2-System ist ein offenes System. Die Ausscheidung Neubildung/ Einstellung der CO2-Konzentration erfolgt über die At- titrierbarer Ausscheidung Säure von HCO3- mung, die der HCO3–-Konzentration hauptsächlich über die Niere. 12.2.2 Pulmonale Regulation Die pulmonale Regulation kommt auf 2 Wegen zustande: Niere Atmung 1. Über eine Variation des PCO2 im Blut. Erhöht sich die metabolische Produktion von CO2, so erhöht sich auch Abb. 12.2 Einstellung des Bicarbonat/Kohlensäure(CO2)-Puffers über die Aktivität von Niere und Atmung. der PCO2 in der extrazellulären Flüssigkeit (EZF). In der Folge steigt das Druckgefälle vom Blut zur Alveole, es diffundiert mehr CO2 in die Ausatmungsluft, es wird mehr CO2 abgegeben. Auf diese Weise wird allein durch das veränderte Druckgefälle der PCO2 im Blut und damit Die Effektivität der Regulation des offenen HCO3–/CO2-Sys- der pH-Wert wieder in den Normbereich geregelt, ohne tems wird deutlich, wenn man berechnet, wie ein (ange- dass die Atmung verändert ist. nommen) geschlossenes System auf eine Säurebelastung 2. Über die Veränderung der alveolären Ventilation. reagiert und wenn man dies der Reaktion eines offenen Zusätzlich zu den oben beschriebenen Abläufen kann Systems gegenüberstellt. Nimmt man z. B. an, dass aus die Lunge direkt den PCO2 im Blut beeinflussen. So führt dem anaeroben Stoffwechsel 4 mmol/l Milchsäure freige- eine Erhöhung des PCO2 und/oder eine Erniedrigung des setzt werden, würden in einem geschlossenen System pH-Wertes zu einer Stimulation der Chemorezeptoren folgende Reaktionen ablaufen: im Glomus caroticum und in der Medulla oblongata mit a. 4 mmol/l Protonen der Milchsäure würden mit 4 mmol/l nachfolgender Aktivierung des Atmungszentrums Bicarbonat reagieren: (Kap. 11.7.3). Auf diese Weise können Abweichungen vom physiologischen pH-Wert durch die entsprechende 4 HCO3-þ4 Hþ → 4 H2 CO3 Veränderung in der Atemtätigkeit kompensiert werden. b. Die Verhältnisse im Bicarbonat/CO2-Puffer würden sich in folgender Weise verschieben: Im Stoffwechsel, vor allem im Citratzyklus, entsteht vorher nachher CO2, das über die Lunge abgegeben wird. Die Abgabe HCO3– 24 mmol/l 20 mmol/l (– 4 mmol/l) über die Lunge ist sehr effektiv. Erhöhungen der CO2 1,2 mmol/l 5,2 mmol/l (+4 mmol/l) CO2-Konzentration im Blut kann die Lunge sehr gut c. Entsprechend der Henderson-Hasselbalch-Gleichung kompensieren. Sie ist daher das zentrale Organ bei der würde sich der pH-Wert jetzt in folgender Weise ein- Einstellung des pH-Wertes im Plasma. stellen: 20 mmol/l HCO3 pH ¼ 6,1 þ log ¼ 6,69 5,2 mmol/l CO2 Eine extreme Acidose wäre die Folge. In einem offenen System erfolgt aber eine effektive Ab- atmung des CO2. Entsprechend der Henderson-Hassel- balch-Gleichung stellt sich der pH-Wert nach der CO2-Ab- atmung wie folgt ein: aus: von Engelhardt, Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830412595) © 2015 Enke Verlag
286 12 Säure-Basen-Haushalt 12.2.3 Renale Regulation im proximalen Tubulus entsprechend der Reaktions- gleichung: Der Niere (Kap. 13.11) kommen bei der Regulation des Bi- carbonat/CO2-Systems prinzipiell folgende Aufgaben zu CO2 + H2O → H2CO3 → H+ + HCO3– (Abb. 12.3): a. Tubuläre Rückgewinnung des im Glomerulum filt- Da hierbei Protonen entstehen, müssen diese in Form rierten Bicarbonats. Dieser Prozess ist keine Regulation von titrierbarer Säure ausgeschieden werden, d. h., nur im eigentlichen Sinn. Die Niere sorgt nur dafür, dass in Kombination mit den unter d) genannten Prozessen dem Körper keine Pufferbasen verloren gehen. Die ge- ist die Neubildung von Bicarbonat möglich. nauen Mechanismen der renalen Rückgewinnung von a. Ausscheidung von Bicarbonat. Die unter b) genannten Bicarbonat sind im Kapitel 13.11 ausgeführt. Abb. 12.3 Prozesse werden im Falle einer acidotischen Stoff- gibt diese Prozesse in verkürzter Form wieder. Das im wechsellage aktiviert. Im Falle einer alkalotischen Glomerulum filtrierte Bicarbonat verbindet sich mit den Stoffwechsellage (Pflanzenfresser!) ist die Niere in der sezernierten Protonen zu H2CO3, das in CO2 und Wasser Lage, Bicarbonat auszuscheiden. Auf diese Weise wird aufgespalten wird. CO2 diffundiert durch die Lipidphase die Gesamtmenge an Basen in den Körperflüssigkeiten der Zellmembran in die Zelle. Das intrazelluläre CO2 reduziert. wird durch eine Carboanhydrase wieder in H2CO3 um- b. Ausscheidung von Protonen. Die Epithelzellen des gewandelt. H2CO3 dissoziiert in H+und Bicarbonat. Das proximalen Tubulus, des distalen Tubulus und des aus der Dissoziation entstandene H+ wird wieder in das Sammelrohrs können Protonen sezernieren. Diese die- Lumen abgegeben. Das verbleibende HCO3– diffundiert nen einerseits dazu, das filtrierte Bicarbonat zurück- über verschiedene Transportmechanismen durch die zugewinnen; andererseits können im Falle einer acido- basolaterale Membran ins Blut und ist somit resorbiert tischen Stoffwechsellage diese Protonen durch HPO42 – worden. bzw. NH3 im Tubulus „gefangen“ und als H2PO4– bzw. b. Neubildung von Bicarbonat. Die Niere ist in der Lage, NH4+ im Urin ausgeschieden werden. H2PO4– kann ana- Bicarbonat aus CO2 neu zu bilden und somit HCO3– dem lytisch im Urin als sog. titrierbare Säure und NH4+ als Puffersystem zuzuführen. Die Bildung von HCO3– erfolgt nicht titrierbare Säure erfasst werden. 1. 2. 3. – HCO3 -Rückgewinnung Acidose Alkalose Vas afferens HCO3 – HPO4 2– HPO42– HCO3– Glome- rulum + + H H – – H2CO3 HCO3 HCO3 CA H2CO3 H2CO3 Tubulus- system CO2 H2O – – H2O HCO3 HCO3 CA H2O CO2 NH3 – + – H2PO4 NH4 HPO42– HCO3 Abb. 12.3 Renale Einstellung des Bicarbonat/Kohlensäure-Puf- 2. Bei acidotischer (saurer) Belastung ist die Niere in der Lage: fers. – H+ zu sezernieren, die in Form titrierbarer Säure (H2PO4–, NH4+) 1. Rückgewinnung des filtrierten Bicarbonats. Das filtrierte HCO3– ausgeschieden werden; wird mittels der sezernierten H+-Ionen in H2CO3 überführt, das in – HCO3– neu zu bilden, wobei die HCO3–-Neubildung (stöchio- CO2 und H2O gespalten wird. CO2 permeiert in die Zelle, wird hier metrisch) immer mit einer H+-Sekretion verbunden ist. in H2CO3 umgewandelt, das in H+ und HCO3– dissoziiert. HCO3– 3. Bei alkalotischer Belastung kann die Niere HCO3– ausscheiden. wird ins Blut überführt, die H+-Ionen werden sezerniert. CA : Car- boanhydrase aus: von Engelhardt, Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830412595) © 2015 Enke Verlag
12.3 Regulation des intrazellulären pH-Wertes 287 12.2.4 Hepatische Regulation a. die dargestellten Puffersysteme (Proteinat-, Hämoglo- binat- [in Erythrocyten] und Phosphat-Puffer), Im Tubulus der Niere werden Protonen unter anderem an b. zellulär lokalisierte Membranproteine, die in der Lage NH3 gebunden, das aus den Epithelzellen stammt. Die Epi- sind, je nach Stoffwechselsituation Protonen bzw. Bi- thelzellen bauen Glutamin ab und setzen dadurch NH3 frei. carbonat auszuscheiden oder aufzunehmen. Das Glutamin stammt aus der Leber. Es wird aus den Le- berzellen freigesetzt, auf dem Blutweg zur Niere verbracht, Die wichtigen Mechanismen sind schematisch in Abb. 12.4 dort filtriert und von den Epithelzellen aus der Tubulus- zusammengefasst. Die intrazellulären Proteinat- und Phos- flüssigkeit aufgenommen. Auf diese Weise ist die Leber phatkonzentrationen sind wesentlich höher als extrazellu- indirekt an der pH-Wert-Regulation beteiligt, d. h., bei lär (Tab. 2.4, S. 11)! Ihre Pufferwirksamkeit ist dadurch einem Leberversagen sind auch Störungen im Säure-Ba- intrazellulär groß. sen-Haushalt zu erwarten. Darüber hinaus kann die Leber aktiv in das Geschehen eingreifen. So wird bei einer Aci- Über die Transportproteine werden intrazellulär anfallen- dose verstärkt Glutamin aus der Leber freigesetzt, respek- de Protonen nach extrazellulär bzw. Pufferbasen (ins- tive bei einer Alkalose verbleibt Glutamin verstärkt in der besondere HCO3–) nach intrazellulär befördert. Es muss Leber. betont werden, dass diese Mechanismen zwar zunächst den intrazellulären pH-Wert regulieren, aber letztlich zu einer Belastung der extrazellulären Regulationssysteme Saure Valenzen scheidet die Niere aus, indem diese an führen. Die Einstellung des extrazellulären pH-Wertes ist Pufferbasen gebunden werden. Wichtige Pufferbasen also einerseits Folge der intrazellulären metabolischen Vor- zur Bindung von Protonen sind HPO42 – und NH3. NH3 gänge. Andererseits gewährt ein stabiler extrazellulärer entsteht in den Epithelzellen des proximalen Tubulus pH-Wert, dass die Zelle sich überhaupt von der Last der aus Glutamin, das aus der Leber stammt. Protonen befreien kann. Die Effektivität der Ausschleusung von Protonen über 12.2.5 Geschwindigkeit der Transportproteine, z. B. den Na+/H+-Austauscher, hängt Säure-Basen-Regulation Die beschriebenen Puffersysteme regulieren den pH-Wert innerhalb von Sekunden, die Atmung innerhalb von Mi- nuten. Die renalen Regulationssysteme benötigen mehrere Tage für eine Korrektur des pH-Wertes. Dies liegt unter anderem daran, dass die hierfür nötigen Veränderungen in der Ausscheidung von HPO4– und NH4+ metabolischer Natur sind und mehrere Tage für die Anpassung benötigen. Es ist allerdings zu betonen, dass die bei der Oxidation von schwefel- und phosphorhaltigen Aminosäuren entstehen- den nichtflüchtigen Säuren über die Niere ausgeschieden – werden müssen. In diesem Fall ist also eine Stabilität des 2– – Säure-Basen-Haushaltes nur durch die Aktivität der Nieren erreichbar. – 12.3 Regulation des – intrazellulären pH-Wertes CA Die bisher dargestellten Mechanismen zielen auf eine Ein- stellung des pH-Wertes im Extrazellularraum. Die eigentli- che Belastung der Säure-Basen-Regulation hat aber ihren Ursprung im intrazellulären Bereich. Hier sind die metabo- lischen Prozesse lokalisiert, hier werden CO2 und Protonen Abb. 12.4 Zellulär lokalisierte Mechanismen der Säure-Basen-Re- freigesetzt. gulation. Neben den intrazellulären Puffersystemen (HPO42 –, Pro- teinat, HCO3–) spielen vor allem Transportproteine eine Rolle, die Die Zelle hat ihrerseits spezifische Mechanismen, um den Protonen ausschleusen (Na+/H+-Austauscher) und Pufferbasen intrazellulären pH-Wert einzustellen. Dazu gehören: (Cl–/HCO3–-Austauscher) einschleusen. CA = Carboanhydrase. aus: von Engelhardt, Physiologie der Haustiere (ISBN 9783830412595) © 2015 Enke Verlag
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