Entfremdung zwischen den USA und Europa: Geht das "amerikanische Jahrhundert" zu Ende?
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ZUR DISKUSSION GESTELLT Entfremdung zwischen den USA und Europa: Geht das »amerikanische Jahrhundert« zu Ende? Insbesondere seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA stellen sich viele poli- tische Beobachter die Frage, wie zuverlässig die USA für ihre Partner noch sind. Frühere gemeinsame Ziele, wie Freihandel, Klimaschutz und verlässliche transatlantische Beziehun- gen, sind nicht mehr selbstverständlich. Die Bereitschaft der USA, internationale und mul- tilaterale Strukturen und Institutionen zu unterstützen, scheint nicht mehr vorhanden. Die USA und Europa driften auseinander. Geht das amerikanische Jahrhundert zu Ende? Johannes Varwick* Absicht die bestehende Ordnung zerstört«. Wer die Hoffnung hatte, Trump habe sich lediglich einer isola- Die USA bleiben die tionistischen Rhetorik bedient, um Präsident zu wer- »indispensable nation«! den, mit der aber niemand in den USA Präsident sein kann, wurde bereits in seiner Inaugurationsrede vom 20. Januar 2017 eines Besseren belehrt: »From this Der Abgesang auf die Vereinigten Staaten von Ame- day forward, a new vision will govern our land. From rika als die führende Gestaltungsmacht in den interna- this moment on, it’s going to be America First« (Trump Johannes Varwick tionalen Beziehungen ist so alt wie die prägende Rolle 2017). Wichtige Berater haben zwar klargestellt, »Ame- der USA selbst. Während jedoch in den vergangenen rica First does not mean America alone. It is a commit- Jahrzehnten dieser Befund regelmäßig von jenen vor- ment to protecting and advancing our vital interests gebracht wurde, die den USA mangelnde Gestaltungs- while also fostering cooperation and strengthening fähigkeit – entweder aufgrund vermeintlicher eigener relationships with our allies and partners« (McMaster Schwäche oder des relativen Machtzuwachses anderer und Cohn 2017). Die Welt ist aber im Verständnis dieser – attestierten, liefert mit der Wahl von Donald Trump Administration keine globale Gemeinschaft, sondern zum 45. Präsidenten der USA die politische Führung des eine Arena, in der Nationen, Nichtregierungsakteure Landes selbst die Argumente für einen abnehmenden und Unternehmen miteinander um Vorteile streiten. Gestaltungswillen in zentralen Fragen der internatio- »We bring to this forum unmatched military, political, nalen Politik. Wir erleben die Abkehr von dem außen- economic, cultural and moral strength. Rather than politischen Konsens der USA, nach dem eine stabile, deny this elemental nature of international affairs, we liberale internationale Ordnung ein System sei, von embrace it« (McMaster und Cohn 2017). dem insbesondere die USA selbst profitieren. Die poli- Das Handeln Präsident Trumps hat also erhebliche tischen, wirtschaftlichen und militärischen Kosten als und aufgrund seines eher erratischen Politikstils, der Garantiemacht dieses Systems werden nunmehr offen- sich im ersten halben Jahr seiner Amtszeit an mehre- kundig als zu hoch betrachtet. Das ist eine politikphi- ren Punkten manifestiert hat, auch nicht abschätzbare losophische Wende ungeheuren Ausmaßes – es bleibt Konsequenzen für die internationale Rolle der USA. aber abzuwarten, ob es auch reale Politik wird. »Washington now might become even more divorced Die Wahl Trumps hat in diesem Sinne zu großer from international political realities under the new pre- Besorgnis bei nahezu der gesamten transatlantischen sident by perpetuating myths of American superiority Expertenriege geführt. Karl Kaiser (2017, S. 1) etwa, and omnipotence and at the same time disengaging langjähriger Kenner der transatlantischen Beziehun- from the global stage« (Fröhlich 2017, S. 13). gen, sieht im »Rückzug von einer auf Werten begrün- Bedeutet all dies nun, dass die Rolle der USA in deten weltpolitischen Ordnungsfunktion der USA« die der internationalen Politik eine grundlegend andere gravierendste Folge des Machtantritts Trumps, »der als bisher sein wird? Meine These lautet: Vieles spricht mit einer Mischung von Ignoranz, Inkompetenz und dafür, dass wir derzeit eher eine schleichende Anpas- sung an veränderte weltpolitische Koordinaten als eine * Prof. Dr. Johannes Varwick ist Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universi- von Trump initiierte weltpolitische Revolution erleben. tät Halle-Wittenberg. Die USA bleiben in dieser Welt die »Indispensables«, die ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017 3
ZUR DISKUSSION GESTELLT unentbehrliche Nation. Unentbehrlichkeit meint dabei von Interdependenzen. Kurzum: Der sogenannte »Was- nicht die klassische Vorstellung, nach der ohne die hington-Konsensus« war theoretisch überzeugend, in Unterstützung der USA jedes multilaterale Bemühen der schmutzigen Praxis internationaler Politik hat er von Rang scheitern muss. Dafür gibt es in der Post-Wes- jedoch an Strahlkraft verloren (vgl. Varwick und Wind- tern World zu viele Gegenbeispiele (z.B. die Asian Infra- wehr 2016). structure Investment Bank). Unentbehrlichkeit meint Die Welt wird offenkundig ungeordneter und cha- auch nicht die klassische Intonation der ehemaligen otischer, und globales Regieren wird in Zukunft von US-Außenministerin Albright »We stand tall and we einem komplizierten Ausbalancieren unterschiedlichs- see further than other countries into the future«. Aber ter ökonomischer und außen- und sicherheitspoliti- nimmt man alle drei Ebenen des von Joseph Nye (2011) scher Interessen sowie divergierender normativer Vor- sogenannten dreidimensionalen Schachbretts interna- stellungen geprägt sein. Dies hat mindestens drei tie- tionaler Macht zusammen – militärische, ökonomische fere Gründe: und kulturelle Machtressourcen –, so ist die Stellung –– Erstens fühlen sich verschiedene Akteure nicht der USA insgesamt so stark, dass Zweifel an der Exis- mehr den etablierten internationalen Regeln und tenz einer wirklich multipolaren Ordnung begründet Vereinbarungen verpflichtet, Multilateralismus sind. Dieser Mix an Fähigkeiten – die es den USA auch wandelt sich damit ganz grundlegend und verliert heute noch ermöglichen, nahezu jedes ernsthafte Inte- zunehmend sein »westliches Gesicht«; resse notfalls im Alleingang zu verwirklichen – ist sin- –– zweitens ist die Zahl bedeutender Akteure mit auf- gulär, auch wenn der Abstand zu »den anderen« in den steigenden Mächten wie den BRICS-Staaten und vergangenen Jahren kleiner geworden ist. »So the Uni- somit auch die Konkurrenz um Einfluss und Res- ted States is and remains the one indispensable nation. sourcen auf internationaler Ebene stetig gestiegen; That has been true for the century passed and it will be –– drittens haben Fehlschläge US-amerikanischer true for the century to come« (Obama 2014). Außenpolitik insbesondere im erweiterten Nahen Der Wandel in den Rahmenbedingungen die- Osten das Vertrauen in die US-Politik geschwächt ser Unentbehrlichkeit ist gleichwohl beträchtlich: So sowie die Akzeptanz seitens der internationalen ergibt sich der steigende politische Einfluss der Schwel- Staatengemeinschaft für deren (Führungs-)Rolle lenländer wie China und Indien geradezu zwangsläufig als globale Ordnungsmacht geschmälert. aus deren demographischem Gewicht, das bei steigen- Ein Pragmatist Turn in der Weltpolitik wurde durch der Wirtschaftskraft pro Kopf zunehmend auch zu einer den »Trumpismus« verstärkt, aber nicht kausal verur- relevanten ökonomischen und geopolitischen Dimen- sacht. Die finanziellen und politischen Kosten und Risi- sion führt. Einige Vorstellungen im sogenannten politi- ken eines klassischen Indispensables bedürfen mithin schen Westen wie der Glaube an global universell gül- eines Grades an Gestaltungswillen, der von vermutlich tige Menschenrechte und die damit verbundene Vor- niemandem mehr aufgebracht werden kann und wird. stellung, sich bei Bedarf massiv in innere Angelegen- »Moreover, the structure and dynamics of the interna- heiten anderer Staaten einzumischen (responsibility to tional system would reject or resist it, as it does in so protect) hatten ihren (vorläufigen) Höhepunkt bereits many ways that frustrate the United States from achiev vor Trump überschritten. Das vergangene Vierteljahr- ing its foreign policy objectives. The United States can hundert kann als eine »Zwischenzeit« gelten, »die von be truly indispensable in a few discrete domains, such einem fast schon naiven Optimismus geprägt war – as for military operations, which […] has proven disast- einem Optimismus, der die westlichen Gesellschaften rous recently« (Zenko 2014). an eine immer stärker integrierte Europäische Union In der Konsequenz sehen auch ausgewiesene und und ein westlich orientiertes, demokratisches Russ- nüchterne Transatlantiker wie die deutsche Bundes- land ebenso glauben ließ wie an den Erfolg des Arabi- kanzlerin zu Recht eine veränderte Rolle der USA. In schen Frühlings und an den Triumph der wirtschaftli- ihrer berühmten Bierzelt-Rede in München-Truding chen Interdependenz in Asien über alte geopolitische sagte sie im Mai 2017: »Und die Zeiten, in denen wir Rivalitäten« (Rühle 2016). uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Gleiches gilt wohl auch für das normative Selbst- Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt. verständnis von Demokratie als Voraussetzung dafür, Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müs- sich für individuelle Freiheit und demokratische Regie- sen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand rungsweise einzusetzen, den Gedanken, dass autori- nehmen. Natürlich in Freundschaft zu den Vereinigten täre Staaten immer eine latente Quelle unterschiedli- Staaten von Amerika […]. Aber wir müssen wissen, wir cher Bedrohungen wie Terrorismus, Proliferation von müssen selber um unsere Zukunft kämpfen, als Euro- Massenvernichtungswaffen und religiösen Fundamen- päer für unser Schicksal« (Merkel 2017). talismus sind, sowie schlussendlich für die Idee, öko- Dieser Gedankengang ist durchaus logisch – und nomische Liberalisierung und Freihandel seien immer wird im Übrigen von der Trump-Administration nicht und überall sowohl förderlich für die ökonomischen kritisiert, sondern im Gegenteil im Sinne des Appells Interessen der Beteiligten, die Förderung der politi- an eine ausgewogenere transatlantische Lastenteilung schen Transformation und Ausdruck einer zunehmen- sogar ausdrücklich begrüßt. Es gilt jedoch zugleich, die den Einbettung der Staatenwelt in ein dichtes Netz Kräfteverhältnisse in der internationalen Politik nicht 4 ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017
ZUR DISKUSSION GESTELLT vollkommen falsch einzuschätzen und damit zu fal- ter und ein Umfeld, das nicht die gesamte Welt gegen schen Strategien zu gelangen. »Erkenne die Lage und ihn aufbringt. rechne mit deinen Defekten. Gehe von deinen Bestän- Wir werden bald sehen, wie die immer noch ver- den aus, nicht von deinen Parolen« heißt es in den Brie- waiste obere und mittlere Führungsebene im State fen von Gottfried Benn an Friedrich Oelze. Department, im Department of Defense sowie den In diesem Sinne kann mittlerweile kein EU-Mit- Botschaften und Agenturen aussehen wird. Auch hier gliedstaat seine Sicherheit mehr allein gewährleisten, gibt es gemischte Signale, und es dürfte bei einer Reihe und nur noch wenige Staaten verfügen über ein brei- an Spitzenpositionen schwer werden, etablierte und tes Fähigkeitenprofil, politisch wie militärisch. Die blu- loyale außen- und sicherheitspolitische Beamte zu fin- migen Bestimmungen zur Außen- und Sicherheitspoli- den. Schließlich hatte sich im Wahlkampf nahezu das tik im Vertrag von Lissabon böten die Möglichkeit, im gesamte außenpolitische Establishment der Repub- EU-Rahmen einen außen- und sicherheitspolitischen likaner – mithin das Reservoir für Führungskräfte und Ansatz mit entsprechenden Fähigkeiten zu stärken und Berater einer neuen Administration – von Trump dis- weiterzuentwickeln, denn die Instrumente bzw. der tanziert. Auch macht es weiterhin Sorgen, dass offen- rechtliche Handlungsrahmen sind grundsätzlich vor- kundig der Trump‘sche Ansatz von einer »Entbürokra- handen. Das Problem ist jedoch politisch: Es fehlt am tisierung von Politik« träumt, um auf diese Weise bis- Willen, die Instrumente zu nutzen. In politischen Fra- herige außenpolitische Traditionslinien bewusst zu gen bleibt die EU einstweilen eine »Macht im Konjunk- kappen. tiv«. Schlimmer noch: Die EU ist abermals in eine Phase Da die USA also »indispensable« bleiben, wird es der Beschäftigung mit sich selbst eingetreten. nun darauf ankommen, den transatlantischen Dia- Die EU bleibt damit ein nach außen fragmentierter log auf allen Ebenen weiter zu pflegen und Bypässe Akteur, der in jeder Krise um den inneren Zusammen- zu legen, die die Amtszeit Trumps mit so wenig Scha- halt ringen muss. Staatliche Souveränitätsansprüche den wie möglich vergehen lassen. Mit einer amerikani- – trotz einer Souveränität, die eigentlich so gar nicht schen Stimme gesprochen: »America will be back. But mehr vorhanden ist – bleibt also das größte Hinder- in the meantime, the EU will have to hold down the Wes- nis für Fortschritte in Europa. Wir haben es mithin mit tern fort« (Kupchan 2017). Nicht Abkoppelung, sondern einem »Souveränitätsparadoxon der EU« zu tun. Wer Investition ist das Gebot der Stunde. glaubt denn wirklich, dies ließe sich jetzt kurzfristig ändern? Überschätzen wir da die Möglichkeiten Euro- LITERATUR pas nicht drastisch? Wir haben leider in den vergange- Fröhlich, St. (2017), Berlin‘s new pragmatism in an era of radical uncer- nen Jahrzehnten schon viele »Stunden Europas« erlebt tainty, Transatlantic Academy, Washington. – das Ergebnis war immer ernüchternd. Lernen wir Kaiser, K. (2017), »Abbruchunternehmen Trump. Eine Handlungsan- daraus, dass nun nicht die Stunde der »Emanzipation weisung zur Rettung der transatlantischen Beziehungen«, Internatio- nale Politik und Gesellschaft (2), Februar, verfügbar unter: http://www. Europas« ist, sondern wir den transatlantischen Laden ipg-journal.de/regionen/nordamerika/artikel/detail/abbruchunterneh- zusammenhalten müssen. Das geht vermutlich auch men-trump-1820/, aufgerufen am 7. Juli 2017. mit Präsident Trump, wenn die Europäer mehr Lasten Keller, P. (2016), »Der Niedergang findet nicht statt. Die USA in der multi- polaren Weltordnung«, Politikum (4), 14–22. übernehmen. Gleichzeitig hindert sie ja niemand daran, eigene Projekte (von Klimaschutz bis Freihandel mit Kupchan, Ch. (2017), »The West Will Have to Go It Alone, Without the Uni- ted States«, Foreign Policy, 13. Juni, verfügbar unter: https://foreignpolicy. anderen Regionen, die dies wollen) voranzubringen. com/2017/06/13/the-west-will-have-to-go-it-alone-without-the-united- In dieser Situation sollte also weiterhin inten- states-trump/, aufgerufen am 7. Juli 2017. siv daran gearbeitet werden, dass die USA sich nicht McMaster, H.R. und G.D. Cohn (2017), »America First Doesn’t Mean Ame- rica Alone«, Wall Street Journal, 30. Mai. vollkommen zurückziehen – und das geht tatsäch- Merkel, A. (2017), Rede am 28. Mai 2017 in München, verfügbar unter: lich nur dann, wenn wir als Europäer mehr investie- http://www.faz.net/aktuell/politik/angela-merkel-zweifelt-an-zuverlaes- ren. Zu einem nüchternen Blick auf die Rolle der USA sigkeit-von-donald-trump-15036287.html, aufgerufen am 7. Juli 2017. gehört zudem auch ein genauerer Blick auf die innen- Nye, J. (2011), The Future of Power, PublicAffairs, New York. politische Situation. Es wäre nicht das erste Mal, dass Obama, B. (2014), Remarks by the President at West Point, New York, 28. Mai 2014, verfügbar unter: https://obamawhitehouse.archives.gov/ erst im innerbürokratischen Prozess die tatsächliche the-press-office/2014/05/28/remarks-president-united-states-mili- außenpolitische Linie sichtbar wird und zudem im tary-academy-commencement-ceremony, aufgerufen am 7. Juli 2017. demokratischen Ringen (d.h. unter dem Wirken der Rühle, M. (2016), »Symbolische Sicherheitspolitik«, Internationale Politik, 6. Februar, verfügbar unter: https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeit- checks and balances im politischen System der USA schrift/themen/symbolische-sicherheitspolitik, aufgerufen am 7. Juli wie auch der Wahrung der Rolle der freien Presse, die 2017. Trump verachten mag, gegen die er aber nicht ankom- Trump, D. (2017), Remarks of President Donald J. Trump am 20. Januar 2017 in Washington, verfügbar unter: https://www.whitehouse.gov/inau- men wird) halbwegs sinnvolle Lösungen für die anste- gural-address, aufgerufen am 7. Juli .2017. henden politischen Probleme gefunden werden. Diese Varwick, J. und J. Windwehr (2016), »Global Governance als Chimäre. Die Grundregeln amerikanischer Demokratie wird kein internationale Ordnung vor der Erosion?«, in: U. Männle (Hrsg.), Bedrohte Demokratie. Aktionisten, Autokraten, Aggressoren: Welche Antworten haben noch so mächtiger und noch so unkonventioneller Prä- die Demokraten?, Duncker & Humblot, Berlin, 57–68. sident außer Kraft setzen können. Ja, er kann Schaden Zenko, M. (2014), »The Myth of the Indispensable Nation«, Foreign Policy, anrichten. Aber es gilt auch: Er braucht – je länger er im 6. November, verfügbar unter: http://foreignpolicy.com/2014/11/06/the- myth-of-the-indispensable-nation/, aufgerufen am 7. Juli 2017. Amt sein wird, desto intensiver – seine wichtigen Minis- ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017 5
ZUR DISKUSSION GESTELLT Josef Braml* Anscheinend ist Trump der Ansicht, dass er mit protektionistischen Kampfansagen Handelspartner zu Transatlantische Ungleich Neuverhandlungen aller Art nötigen könne, weil diese gewichte ein größeres Interesse am Freihandel hätten als die USA. Er droht mit Strafzöllen und anderen protektio- US-Präsident Donald Trump und seine Berater wollen nistischen Maßnahmen und muss diese – für den Fall, der USA mit Hilfe protektionistischer Maßnahmen im dass sich die Handelspartner nicht erpressen lassen weltwirtschaftlichen Wettbewerb zu neuer Stärke ver- – am Ende wahrmachen, um bei diesem Kernthema helfen – auf Kosten anderer, insbesondere exportstar- gegenüber seinen Wählern glaubwürdig zu bleiben. Er ker Länder wie Deutschland und China. Neben einer wird deshalb auch weiter Druck auf Deutschland aus- protektionistischeren Handels- und Steuerpolitik üben, das laut ihm nur dank des niedrigen Euro und des könnte die Trump-Regierung auch zur Wechselkurspo- zu starken Dollar die Exportweltmeisterschaft errun- litik greifen. Da ein Abwertungswettlauf für alle Seiten gen habe. Josef Braml schädlich wäre, sollten sich die betroffen Industrie- und Die Kritik am billigen Euro ist nicht neu, bereits Schwellenländer mit der Gefahr währungspolitischer Vertreter der Obama-Regierung brachten sie vor. So Verwerfungen befassen. Um politisch wie wirtschaft- verurteilte das US-Finanzministerium im April 2015 lich gefährliche makroökonomische Ungleichgewichte in seinem halbjährlich erscheinenden Währungsbe- abzubauen und einen möglichen Einbruch der Exporte richt die Geldpolitik der Europäer (US Department of abzufedern, wären Investitionen in inländische Infra- the Treasury 2015). Die EZB verließe sich zu sehr auf struktur für Deutschland nützlich. Zudem würde weni- monetäre Stimuli, um die Wirtschaft wiederzubele- ger Fremdfinanzierung der amerikanischen Staatsver- ben. Selbst der ehemalige US-Notenbankchef Ben Ber- schuldung – durch Länder wie China und Deutschland nanke (2015) kritisierte Deutschland für seine Export- – die USA nötigen, besser zu haushalten. leistungen, die vor allem dank des zu niedrig bewerte- ten Euro möglich seien. Die Kritik ist bemerkenswert, HANDELSUNGLEICHGEWICHTE – EIN WIRTSCHAFT- hatte die Federal Reserve, die US-Notenbank, unter LICHES UND POLITISCHES PROBLEM Bernankes Leitung aufgrund der Blockade der Fiskal- und Handelspolitik der USA doch selbst in noch viel Peter Navarro (zitiert in Donnan 2017), Leiter des Nati- größerem Umfang Geldpolitik bemüht. Unter anderem onalen Handelsrates der USA, beschuldigte Ende hatte die US-Notenbank ab November 2008 mit drei Januar 2017 Deutschland, durch die Niedrigzinspoli- Runden »quantitativer Lockerung« die Zinsen und die tik der Europäischen Zentralbank (EZB) andere Staa- US-Währung nach unten befördert, um die lahmende ten, darunter die USA, »auszubeuten«. Damit konkre- US-Wirtschaft durch Exporte wiederzubeleben. tisierte er den Vorwurf Präsident Trumps (im Inter- Als der Euro binnen eines Jahres gegenüber dem view mit der BILD-Zeitung vom 15. Januar 2017), dass Dollar knapp ein Sechstel seines Wertes verlor, konnte Deutschland die EU für seine eigenen Interessen inst die Federal Reserve ihrerseits nicht mehr mit einer vier- rumentalisiere, auch um den USA wirtschaftlich zu ten Runde »quantitativer Lockerung« und Verbilligung schaden. Im vergangenen Jahr konnte Deutschland des US-Dollar reagieren, weil sonst das Vertrauen in wieder mehr in die USA exportieren, als es von dort den Dollar als sicherem Geldanlagehafen überstrapa- importierte, und einen Außenhandelsüberschuss von ziert worden wäre. Indem die USA im Herbst 2014 auf- knapp 50 Mrd. Euro erwirtschaften (Statistisches Bun- hören mussten, zusätzliches Geld zu drucken1, und die desamt 2017; vgl. Abb. 1). Es war nur eine Frage der Europäer insbesondere seit Jahresbeginn 2015 und Zeit, bis Trump Deutschland und seine Firmen deswe- noch einmal seit dem Frühjahr 2016 die Geldschleusen gen öffentlich kritisieren würde. öffneten, verteuerten zwei Faktoren den Dollar wieder Dauerhafte Handelsungleichgewichte sind ein merklich, verbilligten den Euro und beeinträchtigten politisches Problem. In Ländern mit negativer Han- die Exportchancen der US-Wirtschaft. delsbilanz erzeugen sie die Wahrnehmung, das Ausland Obwohl die US-Wirtschaft überwiegend vom Bin- raube ihnen ihre Industrie, und nähren die Illusion, von nenkonsum abhängt und der jetzt schwächere Euro Protektionismus profitieren zu können. Ähnlich wie längerfristig gesehen (vgl. Abb. 2) in etwa dasselbe zuvor schon im Vereinigten Königreich beim Brexit-Re- Niveau wie 2007 hat (der Zeit vor Ausbruch der von den ferendum rebellierte bei den US-Präsidentschafts- USA verursachten Finanzkrise), irritiert der wieder- wahlen 2016 das deindustrialisierte Land gegen die erstarkte Dollar die Wirtschaftsstrategen im Weißen Metropole. Trump konnte seinen Wahlsieg gegen das Haus. Es ist zu befürchten, dass mit den nunmehr deut- »Washingtoner Establishment« und die »Wall Street« licheren Währungsmanipulationsvorwürfen Trumps vor allem mit dem Versprechen gewinnen, die von den und seiner Handelsberater weitere Argumente in Stel- USA forcierte Globalisierung umzukehren. 1 Obschon die US-Notenbank im Oktober 2014 aufhörte, mit weite- rer quantitativer Lockerung zusätzliche Papiere zu kaufen, werden die fälligen Anleihen laufend durch neue ersetzt. Indem sie damit * Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für die Geldschwemme fortsetzt und die sogenannte Liquidität auf den Auswärtige Politik (DGAP). Der Beitrag basiert auf einem umfangrei- Märkten auch nicht mit spürbar höheren Zinsen abschöpft, ist die cheren Beratungspapier des Autors (Braml 2017). US-Notenbank weiterhin im Krisenmodus. 6 ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abb. 1 nische Staatsanleihen im Wert von Außenhandelsüberschuss Deutschlands mit den USA jeweils 1,2 Billionen Dollar (vgl. Labonte und Nagel 2016, S. 1–2) in Mrd. Euro und ermöglichen so den unbe- 55 50 grenzten Konsum auf Pump. Doch 45 diese Fremdfinanzierung der ame- 40 rikanischen Schuldenlast würde 35 ernsthaft eingeschränkt, sollte 30 Trump seine handelspolitischen 25 20 Ideen, insbesondere seine protek- 15 tionistische Wahlkampfansage, 10 in die Tat umsetzen. Denn Länder 5 wie China und Deutschland kön- -5 nen nur durch freien Handel, nicht 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 zuletzt einen Außenhandelsüber- schuss (ergo ein Außenhandelsde- Quelle: Statistisches Bundesamt (2017), Stand: 13. März 2017. © ifo Institut fizit der USA) Währungsreserven lung gebracht werden, um wiederum mit einem schwa- erwirtschaften, die sie wieder in den USA investieren chen Dollar auf die Exportvorteile anderer Länder zu können – und so auch die Schuldenlast der Weltmacht reagieren. finanzieren. Aus der Zwickmühle des Zwillingsdefizits – einem DIE POLITIK DER NOTENBANK ALS AUSWEG AUS Außenhandelsdefizit, das bei der Finanzierung des DEM ZWILLINGSDEFIZIT Staatshaushaltsdefizits hilft – werden Trumps Wirt- schaftsberater einen Ausweg finden: Wenn die USA Als die Federal Reserve selbst noch im größeren unter Trumps Führung die wachsende Staatsverschul- Umfang Geld druckte, setzte sie dadurch die amerika- dung nicht durch Steuererhöhungen und Einnahmen- nische Währung merklich unter Druck. Ein schwacher kürzungen in den Griff bekommen, sondern im Gegen- Dollar bot den USA Vorteile: Er verringerte nicht nur teil Steuern senken und Ausgaben erhöhen, kann die die Schuldenlast, sondern sollte dem in handelspoliti- US-Notenbank durch Gelddrucken eine Inflation bewir- schen Fragen beschränkt handlungsfähigen Präsiden- ken und so die vom Ausland finanzierte Schuldenlast ten Barack Obama helfen, seine ehrgeizige Exportstra- verringern. Selbst wenn Mitte März 2017 eine weitere tegie umzusetzen. symbolische Erhöhung der Federal Funds Rate – der Zwar konnte diese expansive Geldpolitik und der Zinssatz, zu dem sich Banken Geld leihen können – von damit geschwächte Dollar amerikanische Exportchan- nur einem Viertelprozentpunkt die schon seit Länge- cen kurzfristig fördern, doch langfristig bleibt ein Pro- rem angekündigte Normalisierung der Geldpolitik sig- blem bestehen, das US-Präsident Trump besonders nalisierte, bleibt das künftige Verhalten der US-Noten- umtreibt: Die amerikanische Industrie hat innerhalb bank abzuwarten. Denn mit der Auswahl der Notenban- weniger Dekaden spürbar an Wettbewerbsfähigkeit ker, insbesondere der Nachfolge von US-Notenbank- eingebüßt. Die Unausgewogenheit der Außenhandels- chefin Janet Yellen, kann auch der Präsident dafür sor- bilanz ist neben der hohen Staatsverschuldung ein gen, dass das Gegenteil geschieht, und noch mehr Geld strukturelles Problem der US-Wirtschaft. gedruckt wird. Amerikas Verschuldung wird zu einem Gutteil von Das wird umso nötiger werden, falls Trump seine ausländischen Kreditgebern finanziert. Vor einer Reihe großangelegten Wirtschaftspläne in die Tat umset- europäischer Länder halten China und Japan amerika- zen sollte. Denn ohne Gegensteuern der Notenbank Abb. 2 Monatliche Entwicklung des Euro-Dollar-Wechselkurses Januar 1999 bis Februar 2017 US-Dollar Fed entschied, mit 1,7 Rückführung zu Beginn QE 2 der Fed 1,6 warten 1,5 EZB erhöhte den 1,4 "Wert"-Papierkauf auf 60 Euro monatlich 1,3 1,2 Beginn QE 3 der Fed 1,1 Beginn QE 1 der Fed 1,0 EZB erhöhte den "Wert"-Papierkauf von 0,9 60 auf 80 Euro monatlich 0,8 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 Berechnungsgrundlage: Euro-Referenzkurs der EZB: 1 Euro = ... US-Dollar (Stand 1. März 2017). QE = Quantitative Easing; Fed = Federal Reserve). Quelle: Deutsche Bundesbank. © ifo Institut ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017 7
ZUR DISKUSSION GESTELLT würde das kreditfinanzierte Konjunkturprogramm zu Es ist höchste Zeit, dass die expansive Geldpolitik höheren Zinsen führen. Diese würden wiederum die koordiniert zurückgefahren wird. Defizitländer wie die durch Konsumkredite ermöglichte Kaufkraft der meis- USA sollten sich zu Strukturreformen verpflichten, ihre ten Amerikaner vermindern, also den staatlichen Sti- Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und strengere Haus- mulus zunichtemachen. Merklich höhere Zinsen wür- haltsdisziplin walten lassen. Im Gegenzug sollten die den zudem die zu zwei Dritteln konsumgetriebene Überschussländer wie Deutschland mehr Nachfrage und überwiegend auf Pump finanzierte US-Wirtschaft generieren, Haushaltsüberschüsse vermeiden und die abwürgen. Investitionsbedingungen verbessern. Damit könnten Der Chefstratege im Weißen Haus, Stephen Ban- die globalen Ungleichgewichte nach und nach abge- non (zitiert in Wolff 2016), erklärte denn auch, dass baut werden – um zu verhindern, dass sie früher oder angesichts der aktuell niedrigen Zinsen die Gelegen- später durch einen größeren Schock korrigiert werden, heit günstig sei, zum Wohle der amerikanischen »Arbei- der die Weltwirtschaft erneut in die Krise stürzt, die nie- terklasse« das Land neu aufzubauen und neue Wäh- mandem nutzt und allen schadet. lerkoalitionen zu schmieden. Mit einer »wirtschafts- Angesichts der aktuellen innenpolitischen Lage nationalen Bewegung« will er Trumps Wiederwahl und der nationalistischen Wirtschaftspläne in den USA bewerkstelligen. werden die Forderungen ausländischer Regierungen Die erheblichen Ausgaben für die geplanten In- nach mehr Haushaltsdisziplin und Verbesserung der fra strukturmaßnahmen und zusätzlichen Mittel für Wettbewerbsfähigkeit wohl fromme Wünsche bleiben. das Militär kann Trump seinen staatskritischen Partei Indem jedoch Überschussländer wie Deutschland fis- freunden im Kongress nur durch umfangreiche Steu- kalpolitische Anreize geben, um Ersparnisse stärker im ererleichterungen (und Deregulierungen, u.a. im eigenen Land zu investieren, würden Handelsungleich- Finanzbereich) verkaufen. Sein nationalistisches Wirt- gewichte abgebaut. schaftsprogramm wird die ohnehin schon besorgnis Auch der deutsche Staat selbst könnte im eige- erregende amerikanische Staatsverschuldung weiter nen Land investieren. Alleine bei der Renovierung von erhöhen. Schulgebäuden besteht ein Investitionsbedarf von Die amerikanische Gesamtverschuldung läuft 35 Mrd. Euro. Die Kommunen, also Städte und Gemein- bereits aus dem Ruder. Das Congressional Budget den, die für die Hälfte aller staatlichen Investitionen Office (2016, S. 9), ein überparteilicher wissenschaft- verantwortlich zeichnen, verwalten einen Investitions- licher Dienst der amerikanischen Legislative, warnt, stau von 136 Mrd. Euro (vgl. Fratzscher 2017). Dabei dass die Schuldenlast »substanzielle Risiken« für das gäbe es noch einiges zu tun, um die öffentliche Infra- Land berge, ein Finanzkollaps drohe und nicht zuletzt struktur zu verbessern, etwa bei Stromnetzen, Stra- auch die Handlungsfähigkeit des Staates zum Erliegen ßen und Datenautobahnen, hier etwa beim Aufbau bringen könne. Höhere Zinsen würden die Schulden eines flächendeckenden Gigabit-Glasfasernetzes. Im und das Risiko der Paralyse exponentiell erhöhen. Vergleich zu anderen Industriestaaten hat Deutsch- Eine weitere Runde »quantitativer Lockerung« land ohnehin eine der niedrigsten Quoten für öffentli- der US-Notenbank ist also unabdingbar, um insbe- che Investitionen (vgl. Fratzscher 2017). sondere die Zinsen niedrig zu halten. Damit würde die Firmen und institutionelle Anleger könnten ihrer- Binnenwirtschaft am Laufen und die Staatsschulden- seits zur Verbesserung des Kapitalstocks in Deutsch- last vorläufig finanzierbar gehalten. Weiteres Geld- land beitragen, indem sie mehr Geld in die Binnen- drucken würde Amerikas Schulden – sprich die Forde- infrastruktur investieren und weniger in den USA – rungen der Kreditgeber – durch Inflation entwerten zumal dort über kurz oder lang ohnehin eine Entwer- und auch den Wert des Dollars drücken, um Export- tung ihrer Anlagen droht. Mangels Fremdfinanzierung vorteile zu erwirken. Damit würde eine weitere Runde würde auch der Druck auf die USA erhöht, besser zu im Abwertungswettlauf der wichtigen Währungen haushalten. eingeläutet. Da das Zwillingsdefizit (Haushalts- und Handels- defizit) der USA auch eine Folge der Dollar-Dominanz HANDLUNGSOPTIONEN – AUCH FÜR DIE POLITIK ist, sollten Maßnahmen ergriffen werden, um diese strukturelle Überbewertung des Dollar zu verringern. Ermutigt durch ihre oft handlungsunfähigen Regierun- Zusammen mit Frankreich und als Kooperationsanreiz gen, versuchen die Zentralbanken zahlreicher Länder – für China könnte die Bundesregierung in internationa- allen voran die amerikanische Federal Reserve, die len Foren dafür werben, dass die Wechselkursschwan- Bank of Japan und die EZB – schon seit Längerem, mit kungen reduziert werden, indem die Sonderziehungs- einer extrem expansiven und lockeren Geldpolitik ihre rechte des IWF zu einer supranationalen Reservewäh- Wirtschaften wiederzubeleben. Ob das gelingt, bleibt rung ausgebaut werden – auch um den Dollar als inter- fraglich. Selbst wenn die Binnenwirtschaft nicht nach- nationale Leitwährung zu entlasten. Damit hätten der haltig angekurbelt werden kann, sollen – auch wenn es US-Präsident und seine Wirtschaftsberater ein Argu- keiner offen zugibt – mit der damit geschwächten eige- ment weniger: dass ein zu starker Dollar Amerika nen Währung die Exporte zulasten anderer gefördert schade. werden. 8 ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017
ZUR DISKUSSION GESTELLT LITERATUR Jürgen Hardt* Bernanke, B.S. (2015), »Germany’s Trade Surplus is a Problem«, Brookings Die Welt wird multipolarer – und das Transatlantische Institution, 3. April, verfügbar unter: http://www.brookings.edu/blogs/ ben-bernanke/posts/2015/04/03-germany-trade-surplus-problem. Braml, J. (2017), »Die Politisierung des Dollar-Kurses«, DGAPkompakt (2), Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin. immer wichtiger! Congressional Budget Office (2016), »The 2016 Long-Term Budget Out- look«, 12. Juli. Blicken wir auf den G-20-Gipfel zurück: Trotz aller kon- Donnan, S. (2017), »Trump’s Top Trade Adviser Accuses Germany of Cur- rency Exploitation«, Financial Times, 31. Januar. troversen Debatten und trotz unsäglicher linksextre- Fratzscher, M. (2017), »Germany’s Misunderstood Trade Surplus«, Project mer Gewalt auf der Straße war dieser G-20-Gipfel ein Syndicate, 7. März. Erfolg und eine wichtige Gelegenheit für die Staats- und Labonte M. und J.C. Nagel (2016), Foreign Holdings of Federal Debt, Con- Regierungschefs der 20 größten Industrie- und Schwel- gressional Research Service, Washington, DC. lenländer, ihre Politiken in einer Reihe von zentralen Statistisches Bundesamt (2017), Rangfolge der Handelspartner im Außen- handel der Bundesrepublik Deutschland 2016, Wiesbaden, 28. Februar. Bereichen abzustimmen. Zusammentreffen wie dieses US Department of the Treasury (2015), Office of International Affairs, bleiben ein wichtiger Baustein der multilateralen Dip- Report to Congress on International Economic and Exchange Rate Policies, lomatie. Die Gespräche und Verhandlungen erfolgten Jürgen Hardt Washington, DC. – wie es die Bundeskanzlerin zum Auftakt selbst betont Wolff, M. (2016), »Ringside With Steve Bannon at Trump Tower as the Pre- sident-Elect’s Strategist Plots ›An Entirely New Political Movement‹«, The hat – »ohne sich zu verbiegen«. Dabei wurden auch Hollywood Reporter, 18. November. bestehende Bruchlinien innerhalb der G 20 diskutiert, aber nicht überwunden – insbesondere im Bereich der internationalen Klimapolitik. Mit dem richtungswei- senden »Compact for Africa« und dem klaren Bekennt- nis zu freiem und fairem Handel haben die G 20 gleich- wohl ihren Ordnungs- und Gestaltungsanspruch unter- strichen – im Übrigen auch mit der Unterschrift des US-Präsidenten. Zugleich haben sich die Perspektiven im letzten Jahr deutlich verschoben: Präsident Trump setzt seine Wahlkampfrhetorik in einigen Bereichen fort und stellt den über viele Jahre unangezweifelten Konsens in Frage, dass wir globale, grenzüberschreitende Heraus- forderungen nur mit globalen, grenzüberschreitenden Antworten wirksam begegnen können. Dies betrifft die Klimapolitik ebenso wie den Kampf gegen den Terroris- mus oder den Umgang mit dem weltweiten Phänomen von Flucht und Migration. Dass Präsident Trump diesen Konsens und vor allem die Bereitschaft der USA in Frage stellt, inter- nationale und multilaterale Strukturen und Institutio- nen zu unterstützen – finanziell wie ideell –, schwächt in erster Linie das westlich-liberale Ordnungssystem selbst. Zugleich hat es zu einem Dissens auf politischer Ebene zwischen den USA und Europa in einigen wichti- gen Kernfragen geführt. Von einer Entfremdung zu sprechen, halte ich hin- gegen für falsch und der Sache nicht angemessen. In der schnelllebigen medialen Welt neigen wir dazu, die Augen allzu rasch vor der vielschichtigen und komple- xen Realität der US-amerikanischen Politik und Gesell- schaft zu verschließen. Donald Trump hat am 8. Novem- ber 2016 zwar die Mehrheit der Wahlmännerstimmen hinter sich gehabt (nicht so die Mehrheit der US-ameri- kanischen Wähler), aber er spricht mit Sicherheit nicht in allen Politikbereichen für die gesamte US-amerika- nische Gesellschaft. * Jürgen Hardt ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags und Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit April 2014 ist er Koordinator für die Transatlantische Zusammenar- beit im Auswärtigen Amt. ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017 9
ZUR DISKUSSION GESTELLT Die Klimapolitik ist ein Beispiel dafür: Während die der Administration und weg vom ideologisch-orientier- Trump-Administration den Rückzug aus dem Pariser ten Teil um Stephen Bannon. Vor diesem Hintergrund Klimaabkommen verkündigt hat, arbeiten zahlreiche bleibt die deutsch-amerikanische Abstimmung zu allen Bundesstaaten, Kommunen und Städte an sehr ambi wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen tionierten Klimaschutzzielen und sind bei der konkre- eng und von Partnerschaft geprägt. Hierfür sprechen ten Gesetzgebung, bei der Umsetzung zukunftsweisen- nicht nur die vielen Telefonate, die Bundeskanzlerin der Mobilität sehr viel weiter, als wir es in Europa sind. Merkel mit Präsident Trump führt, sondern auch das Dies ist auch Teil der transatlantischen Realität. jüngste Gespräch der beiden in Hamburg. Und die wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und Gleichwohl beobachten wir schon seit länge- zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen den USA, rem eine Kräfteverschiebung auf der globalen Bühne. Deutschland und Europa sind so eng miteinander ver- Nach den verlustreichen Erfahrungen der Amerikaner flochten, wie kaum je zuvor. im Irak und in Afghanistan ist vor allem die US-Gesell- Dies zeigt sich gerade mit Blick auf die deutsche schaft immer weniger bereit, weltweit auch für andere Wirtschaft. Über 900 000 Arbeitsplätze in den USA wur- die Kohlen aus dem Feuer zu holen und »Weltpolizist« den direkt von deutschen Unternehmen geschaffen. zu spielen. Einen schrittweisen Rückzug aus dieser Die deutschen Unternehmen zahlen im Schnitt 25% omnipräsenten Rolle haben wir schon in den acht Jah- höhere Löhne, als es branchenvergleichbare US-Un- ren der Obama-Administration beobachten können. ternehmen tun. Und die von deutschen Unternehmen Donald Trump hat sehr explizit auf diesem Gefühl – geschaffenen Arbeitsplätze sind auch noch zu 40% die »wir sollten uns erst um unsere eigenen Probleme küm- von Präsident Trump gewünschten Industriearbeits- mern« – erfolgreich Wahlkampf gemacht. plätze– im Vergleich zu 15% im US-Durchschnitt. Hier- Zugleich setzen andere Staaten immer deutlicher mit zeigen wir deutlich, dass die deutsche Wirtschaft einen eigenen Gestaltungs- und mitunter Ordnungsan- gerade ein wichtiger Partner bei den Bemühungen der spruch durch. Allen voran China. Die Bilder des kürz- neuen US-Administration ist, die US-amerikanische lich zelebrierten ersten »Seidenstraßen-Gipfels« in Wirtschaft zu revitalisieren. Umso erstaunlicher ist die Peking haben diesen Anspruch in aller Deutlichkeit spezifisch deutschlandkritische Rhetorik, die wir aus unterstrichen. Washington zuletzt in Wirtschaftsfragen vernommen Dabei sind die Prioritäten nicht immer dieselben: haben. Die Festigung von Demokratie, von Meinungs- und Wir werden noch einige Aufklärungs- und Überzeu- Pressefreiheit, der Schutz von Menschenrechten und gungsarbeit leisten müssen, um auch in Washington zu von Individualrechten und die Verbreitung freier und verdeutlichen, wie Handel und Investitionen zusam- offener Märkte hat nicht denselben Stellenwert wie in menhängen. Und dass internationale Wertschöpfungs- unserem, westlich-geprägten Ordnungssystem. Dies ketten bei richtigen Rahmenbedingungen zu vielen sind gleichwohl die Werte, die uns als westliches, trans »Win-win-Situationen« führen, die zu Wohlstand und atlantisches Bündnis so stark machen. Wertschöpfung auf beiden Seiten des Atlantiks füh- Wir beobachten unter dem Schlagwort »Globali- ren. Das erneute Bekenntnis von Donald Trump beim sierung« den Eintritt in eine neue Phase: Während die G-20-Gipfel in Hamburg zu freiem und fairem Handel Globalisierung in den ersten Jahrzehnten vor allem von und zum Kampf gegen Protektionismus mag dabei ein Digitalisierung und den immer stärkeren Verschwin- weiterer positiver Schritt sein. Dies ist eine deutliche den nationaler Grenzen beim Handel von Gütern und Weiterentwicklung zum G-20-Treffen der Finanzminis- Dienstleistungen geprägt waren, erfolgte und erfolgt ter im März, bei dem man sich noch nicht auf solche die »politische Globalisierung« mit Zeitverzug. Mit den gemeinsame Linien einigen konnte. zu beobachteten Kräfteverschiebungen müssen auch Blicken wir auf die Außen- und Sicherheitspoli- bestehende Ordnungssysteme rejustiert werden, wäh- tik: Viele der Befürchtungen, die mit dem Amtsantritt rend neue Formate hinzukommen. Trumps verbunden waren, haben sich zumindest bis Folgt aus diesen Entwicklungen zwangsweise ein heute nicht bewahrheitet. Von vielen Wahlversprechen »Ende des amerikanischen Jahrhunderts«? Ein ent- ist er abgerückt. Das Iran-Abkommen hat nach wie vor schiedenes Nein! Bei allen Sorgen, die uns einige Sig- Bestand. Die US-Botschaft verbleibt bis auf Weiteres nale aus der neuen Administration bereiten, ist und in Tel Aviv, und eine vermeintliche russlandpolitische bleibt die amerikanische Gesellschaft und die ame- Romantik ist im Lichte tagesaktueller Ereignisse – ich rikanische Wirtschaft eine der dynamischsten und nenne nur beispielhaft die russische Unterstützung für innovativsten der Welt. Nach wie vor kommt die Groß- das verbrecherische Regime in Damaskus – zugunsten zahl innovativer Produkte – gerade im Bereich von einer pragmatischen, von Kontinuität geprägten Poli- Zukunftstechnologien – und Patenten aus den USA. tik gewichen, die Russland an seinen konkreten Taten So werden sie absehbar ein Produktivitäts- und damit misst. auch Wohlstandsvorsprung haben. Um es auf den Punkt zu bringen: Trotz immer wie- Gerade deshalb halte ich es für so wichtig, dass der auftretender Überraschungen sehe ich zumindest wir unsere Wirtschaftsbeziehungen weiter verflech- in der Außen- und Sicherheitspolitik einen Pendel- ten und die Verhandlungen über eine mögliche umfas- schwung hin zum »klassischen«, realpolitischen Teil sende Handels- und Investitionspartnerschaft mög- 10 ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017
ZUR DISKUSSION GESTELLT lichst bald wieder aufnehmen. Denn wenn wir unsere von Rüstungsgütern liegt das Potenzial zu einer deut- jeweiligen komparativen Stärken bündeln – die Inno- lichen Steigerung der Effizienz und Schlagkraft. »More vationskraft und IT-Affinität der USA und die deutsche power for the dime« würden es unsere amerikanischen »excellence in industrial engineering« –, dann werden Freunde beschreiben. Und genau diesen Weg müssen wir auch weiterhin auf absehbare Zeit weltweit tonan- wir gehen. gebend bleiben. Es ist nicht nur unsere Pflicht, sondern es liegt Diese gemeinsame Stärke gilt genauso im Bereich auch in unserem eigenen Interesse, die Fähigkeiten der Außen- und Sicherheitspolitik. Die NATO ist und zu haben, um eigenständig in unserer Nachbarschaft bleibt das erfolgreichste, stärkste und einsatzfähigste agieren zu können – mit den und ohne die Vereinig- Verteidigungsbündnis der Welt. Es hat über Jahrzehnte ten Staaten von Amerika. Wenn der VN-Sicherheitsrat zu Frieden, Wohlstand und zur Sicherung unserer Werte in Krisensituationen beschließt, Zwangsmaßnahmen beigetragen. Und trotz aller berechtigter Mahnungen nach Kapitel 7 der VN-Charta zur Wahrung von Frieden an eine gerechtere Lastenteilung bleiben die Vereinig- durchzusetzen, so ist es in unserem Interesse, wenn ten Staaten uneingeschränkt engagiert im Bündnis. dies nicht nur durch die NATO oder eine von den Verei- Dies haben nicht nur Verteidigungsminister Mattis und nigten Staaten von Amerika angeführte »Koalition der Außenminister Tillerson, sondern inzwischen auch Prä- Willigen« durchgesetzt werden kann, sondern – wenn sident Trump selbst verschiedentlich betont. es angemessen erscheint – auch durch die Europäische Und die Taten sprechen für sich: Nach dem Dienst- Union oder eine von ihr angeführte Allianz. antritt Trumps haben die USA im Rahmen der »Enhan- Aber hierfür brauchen wir die Fähigkeiten und ced Forward Presence« und der »Operation Atlantic Strukturen. Und in diese Richtung müssen wir gehen. Resolve« signifikante Truppenrotationen in das öst- Dabei ist eine Stärkung der europäischen Verteidi- liche Bündnisgebiet verlegt, um unmissverständlich gungsfähigkeit nicht alternativ zur NATO, sondern kom- klarzustellen, dass die USA für die Sicherheit der Bünd- plementär. Sie ist im ureigenen Interesse nicht nur von nispartner einstehen. Dies hat Präsident Trump bei sei- uns, sondern von den Vereinigten Staaten. Auch dies nem jüngsten Besuch in Warschau noch einmal in aller hat Präsident Trump vor kurzem in Warschau erneut Deutlichkeit unterstrichen. unterstrichen: »a strong Europe is a blessing to the Unter dem Dach der NATO, aber auch im Rahmen West.« Denn ein starker europäischer Pfeiler der NATO der Anti-IS-Koalition sorgen wir gemeinsam und part- würde auch jene Forderungen nach einem gerechten nerschaftlich für Sicherheit und Stabilität in vielen Kon- »burdensharing« erfüllen, die seitens der USA seit lan- fliktgebieten dieser Welt und sind gemeinsam enga- gem bestehen – nicht erst seit der Wahl Donald Trumps giert, den grenzüberschreitenden islamistischen Ter- zum US-Präsidenten. rorismus zu bekämpfen. Auch dies sind klare Zeichen Vor diesem Hintergrund, aber gerade auch vor dem dafür, dass die USA ihre ordnungserhaltende Stellung Hintergrund der veränderten Sicherheitslage in unse- wahrnehmen. rer unmittelbaren Nachbarschaft, halte ich das gemein- Wann immer neue Krisen auftreten – in Nordkorea, sam in Wales 2014 beschlossene Ziel für richtig, die Ver- im Südchinesischen Meer oder im Nahen und Mittleren teidigungsausgaben bis 2024 schrittweise in Richtung Osten – die Blicke richten sich immer auf die USA, wenn 2% des BIP zu erhöhen. Denn eine Steigerung der euro- es darum geht, für Stabilisierung und Krisenbewälti- päischen Fähigkeiten kann nur erfolgen, wenn Effizi- gung zu sorgen. Trotz sich verschiebender Gewichte ist enzsteigerung und höhere Ausgaben Hand in Hand es nicht absehbar, dass sich dies in greifbarer Zukunft gehen. ändern wird. Und ich sehe auch niemanden, der bereit Diesem Ziel haben sich beide deutschen Koali- und in der Lage ist, diese Rolle zu übernehmen. tionspartner 2014 verpflichtet. Es gibt keinen Grund, Dies ändert nichts an der Tatsache, dass die Euro- jetzt davon abzurücken, nur weil der amerikanische päische Union eine gewachsene Rolle und Verantwor- Präsident jetzt Donald Trump heißt. Dieses Ziel haben tung in der Welt hat und dass wir die außen- und sicher- beide Koalitionspartner mit dem Haushaltsbeschluss heitspolitischen Fähigkeiten der Europäischen Union 2017 auch mit Fakten untermauert, in dem der Vertei- konsequent stärken müssen. Genau dies hat Bundes- digungshaushalt signifikant erhöht wurde. kanzlerin Merkel zu Recht immer wieder betont. Und Das 20. Jahrhundert war sicherlich geprägt von genau in diese Richtung gehen die Beschlüsse des letz- einem großen Aufstieg der Vereinigten Staaten zur ten Europäischen Rates, mit dem erstmals eine soge- globalen Führungs- und Ordnungsmacht. Es war aber nannte »Ständige Strukturierte Zusammenarbeit« im auch geprägt von der Überlegenheit des westlichen Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidi- Wertesystems. Denn diese Werte, für die wir stehen – gungspolitik beschlossen wurde. Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz der Men- Diese Entwicklung ist historisch. Denn die soge- schenrechte und – würde, Demokratie, Rechtsstaat nannte »PESCO« ebnet den Weg für eine engere Zusam- und freie, offene Märkte – haben die Voraussetzungen menarbeit in dem Bereich, der bis dato in vielen Fel- für Wohlstand und Frieden geschaffen. dern als Hoheitsbereich der Nationalstaaten begriffen Wenn wir als transatlantisches Bündnis diese wurde. In der engen Zusammenarbeit, in der effizienten Werte weiter verteidigen, dafür eintreten und zugleich Aufgabenverteilung und in der gemeinsamen Akquise unser innovatives Potenzial erhalten, dann werden ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017 11
ZUR DISKUSSION GESTELLT auch die kommenden Jahrzehnte von diesem Wer- Carlo Masala* tesystem geprägt sein. Seine Anziehungskraft hat nicht eingebüßt. The Long and Winding Road: Allerdings ist die Konkurrenz größer geworden. Über das lange Ende des ame Und es sind eben nicht mehr die USA, die für alles auf der Welt gerade stehen. Der Satz »Die Zeiten, in denen rikanischen Jahrhunderts wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück weit vorbei.« ist gefallen. Ich will es so sagen: »Die Ob das amerikanische Jahrhundert zu Ende geht, ist Zeiten, in denen wir die Verantwortung bequem abge- eine Frage, die sich viele politische Beobachter insbe- ben konnten, sind vorbei.« sondere seit der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsiden- Europa trägt eine größere Verantwortung. ten der USA stellen. Und mit nur wenigen Ausnahmen Deutschland trägt in Europa eine größere Verantwor- wird die Frage mit Ja beantwortet. Auch der folgende tung. An der Seite der Vereinigten Staaten. In einer mul- Beitrag wird zu keiner anderen Antwort kommen. Er tipolaren Welt. unterscheidet sich jedoch vom Mainstream der Ameri- ca-in-decline-Literatur insofern, als er den Abstieg der USA in der Weltpolitik – und somit das Ende des ame- rikanischen Jahrhunderts – nicht erst auf 2016 (und somit die Wahl Trumps), sondern bereits auf den Zeit- raum zwischen 2002 und 2004 datiert. Donald Trump ist das hässliche Gesicht des amerikanischen Abstiegs, er ist jedoch nicht seine Ursache. Bohrt man etwas tiefer, so stellt sich zunächst die Frage, was denn das amerikanische Jahrhundert aus- machte. Denn nur anhand der daraus gewonnenen Indikatoren lässt sich die Frage, ob ebendieses zu Ende geht, beantworten. Das amerikanische Jahrhundert zeichnete sich zuvorderst durch die unglaubliche militärische und ökonomische Machtfülle der USA aus, die es ihnen ermöglichte, die Rolle eines wohlwollenden Hege- mons, der kollektive Güter zur Verfügung stellt, einzu- nehmen. Durch ebendiese Bereitstellung von Kollek tivgütern (zuvorderst Sicherheit und Wohlstand) konn- ten die USA überhaupt erst Hegemon sein und bleiben, waren also andere Staaten bereit, diesem Gefolgschaft zu leisten. Ferner war das amerikanische Jahrhundert durch die Bereitschaft der USA charakterisiert, Führung aus- zuüben. Aus Eigeninteresse schufen die Vereinigten Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein auf Institutionen basierendes internationales System, das zwar in erster Linie ihren eigenen sicherheitspoliti- schen und wirtschaftlichen Interessen dienlich war, in dem sie sich jedoch zugleich selbst normative Fesseln anlegten und somit ihre Führung für andere Staaten akzeptabler machten. Die Fähigkeit Führung auszuüben, die Bereit- schaft zum Führen sowie die Akzeptanz amerikani- scher Führung im internationalen System waren folg- lich die Kernelemente, die das amerikanische Jahrhun- dert kennzeichneten. Aber all dies geschah unter der Bedingung einer übergroßen (weil über Nuklearwaf- fen verfügenden) Bedrohung durch die imperiale Sow- jetunion. Diese Bedrohung wirkte kohäsiv auf die USA und ihre Verbündeten und beförderte die Akzeptanz und damit die Möglichkeit amerikanischer Führung in * Prof. Dr. Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. 12 ifo Schnelldienst 14 / 2017 70. Jahrgang 27. Juli 2017
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