Entspann dich, Deutschland! - TK-Stressstudie 2021
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Dr. Jens Baas Vorstandsvorsitzender Vorwort der Techniker Krankenkasse Termindruck bei der Arbeit, Vereinbarkeit von Familie und Als TK unterstützen wir unsere Versi- Beruf sowie Selbstoptimierung zwischen Achtsamkeit und cherten auf dem Weg zu einem gesun- Fitnessstudio: Unsere Leistungsgesellschaft fordert den den und ausgeglichenen Leben mit Menschen einiges ab, kein Wunder, dass sich immer mehr vielen individuellen Angeboten zur Menschen überfordert fühlen und gestresst sind. Dabei ist Stressreduktion. Allerdings: Der ent- Stress ursprünglich etwas sehr Positives: In einem gesun- spannendste Yogakurs und die schöns- den Maß spornt er zu Leistungen an und hilft uns, Aufgaben te bewegte Pause bringen wenig, erfolgreich zu bewältigen. Doch ein „zu viel“ an Stress macht wenn Termindruck, Informationsflut auf Dauer krank. Neben körperlichen Beschwerden wie zum und ständige Unterbrechungen den Job Beispiel Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Magenbe- zum Dauerstressor machen. Daher sind schwerden kann Dauerstress auch auf die Psyche gehen. Die an dieser Stelle besonders die Arbeit- Bandbreite reicht bis hin zu Burnout und Depressionen. geber gefragt, in langfristige und nach- haltige gesunde Arbeitsstrukturen und Das Thema ist nicht neu und auch negativer Stress wird sich -verhältnisse zu investieren. Auch hier nie ganz vermeiden lassen, aber wir können lernen, damit bietet die TK ein vielfältiges Angebot im gesünder umzugehen. Doch um Lösungsansätze zu skizzie- Rahmen des Betrieblichen Gesund- ren, müssen wir wissen, was die Menschen in Deutschland heitsmanagements und steht den wirklich stresst. Die vorliegende Studie - basierend auf einer Unternehmen beratend zur Seite. Es bundesweiten repräsentativen Forsa-Umfrage – ist bereits lohnt sich, denn zufriedene und moti- unsere dritte zum Thema Stress. Die Ergebnisse zeigen: In vierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den vergangenen Jahren hat sich bei dem Thema viel ver- sind nicht nur gesünder, sondern auch ändert, was auch, aber nicht nur, auf die Coronapandemie, die Voraussetzung für ein erfolgreiches zurückzuführen ist. Unternehmen. Neben den aktuellen Zahlen ist vor allem der Vergleich der Hamburg, im November 2021 aktuellen Befragungsergebnisse mit den beiden Vorgänger- studien interessant. Es wird Sie nicht überraschen: Das Stressempfinden hat in den vergangenen Jahren noch ein- mal deutlich zugelegt. Gut ein Viertel der Menschen in Deutschland fühlt sich häufig gestresst, 2013 war es noch jeder Fünfte. Stressursache Nummer eins ist nach wie vor Dr. Jens Baas der Job beziehungsweise Ausbildung oder Studium, gefolgt Vorstandsvorsitzender der Techniker von den eigenen Ansprüchen an sich selbst. Krankenkasse
Inhalt 1 Zusammenfassung 6 Stress und Gesundheit 2 Wie Stress entsteht: Eine Einleitung 7 Fazit und Ausblick 3 Deutschland im Stress 8 Studienaufbau 4 Stressursachen 9 Quellen- und Literaturhinweise 5 Stress im Beruf
4 Entspann dich, Deutschland! – Zusammenfassung 1 Zusammenfassung Der Stress in Deutschland nimmt weiter zu Mehr als ein Viertel der Deutschen ist häufig gestresst; 2013 war es noch jede fünfte Person. Frauen sind gestresster als Männer, aber bei Männern nimmt der Stress seit 2013 stärker zu als bei den Frauen. Allerdings hat bei Frauen der extreme Stress deutlich Stressprävention in Zukunft (noch) stärker an den Arbeits- zugenommen; fast jede Dritte hat 2021 extremen Stress er- verhältnissen ansetzen. Allerdings berichten Arbeitnehme- lebt, bei den Männern nur jeder fünfte. rinnen im Vergleich zu 2013 eine signifikant zunehmende bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie – hier hat sich Ab der Volljährigkeit bis zum Renteneintrittsalter sind die offenbar in den letzten acht Jahren etwas getan. Deutschen gleichermaßen stark gestresst. Stress und gesundheitliche Probleme hängen zusammen Die Top drei Stressverursacher der Deutschen sind 2021 Quer durch alle Beschwerden, von Erschöpfung über Rücken- ihre Arbeit, ihre hohen Ansprüche an sich selbst und Er- leiden bis hin zu Erkältungskrankheiten, geht es den häufig krankungen von nahe stehenden Personen. Letzteres muss Gestressten signifikant gesundheitlich schlechter als den im Kontext der Coronapandemie betrachtet werden. Auf den selten Gestressten. weiteren Plätzen folgen Konflikte im Privatleben, ständige Erreichbarkeit, Freizeitstress, Stress im Verkehr, Stress im Je älter die Menschen, desto stärker der Zusammenhang Haushalt, Stress bei der Kinderbetreuung, finanzielle Sor- zwischen Stress und schlechter Gesundheit. Das ist für eine gen und die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger. alternde Bevölkerung wie in Deutschland ein besonderes Frauen stellen insgesamt höhere Ansprüche an sich selbst Problem. Hier interagieren Stress und demografischer Wandel als Männer, erleben mehr Konflikte und mehr Stress bei der auf eine ungesunde Art miteinander. Kinderbetreuung. Die Gruppe der häufig gestressten Personen mit psychischen Erwerbstätige Menschen sind gestresster als nicht er- Beschwerden macht zehn Prozent der Bevölkerung aus. werbstätige Menschen Allerdings sind nicht erwerbstätige Stressmanagement ist deshalb eine wichtige Methode, um Frauen im Schnitt genau so stark gestresst wie erwerbstätige den zunehmenden Anstieg der Krankschreibungen aufgrund Männer. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass nicht berufstä- psychischer Erkrankungen entgegenzutreten. tige Frauen stärker als Männer durch Haus-, Erziehungs- oder Pflegearbeit belastet sind. Mehr als die Hälfte derjenigen, die sich extrem gestresst fühlen, suchen sich professionelle Hilfe – dieser Wert stag- Die Top-Stressoren im Job sind 2021 zu viel Arbeit, Termin- niert allerdings seit 2013. Dabei nehmen Frauen bei extre- druck und Hetze, Unterbrechungen und Störungen, Informa- mem Stress häufiger professionelle Hilfe in Anspruch als tionsüberflutung und schlechte Arbeitsplatzbedingungen. Männer. Letztere könnten bei Präventionsmaßnahmen zur Diese Belastungen haben alle etwas mit der Arbeitsgestal- Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen und ihrer tung und mit der Arbeitsorganisation zu tun. Deshalb sollte Behandlung stärker in den Fokus genommen werden.
5 2 Wie Stress entsteht: Eine Einleitung Psychische Belastungen und Erkrankungen sind in Deutschland eine drängende gesamtgesell- schaftliche Herausforderung. Psychische Erkrankungen waren 2020 mit einem Anteil von rund 20 Prozent am Gesamtkrankenstand für die meisten Fehlzeiten TK-versicherter Erwerbspersonen verantwortlich (TK-Gesundheitsreport 2021). Allein durch die damit verbundenen Ausfallkosten in Produktion und Bruttowertschöpfung schätzt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) jährlich auf 36,1 Milliarden Euro – das entsprach 2019 1,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BAuA, 2019). Dazu kommen die gesundheitlichen Folgekosten sowie das hinter diesen Zahlen stehende persönliche Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Stress spielt bei psychischen und körperlichen Erkrankungen 1936 vom österreichischen Biochemiker Hans Selye einge- eine wichtige Rolle: Stress beeinträchtigt die Gesundheit führt und geht auf das lateinische Wort „stringere“ zurück, (Ganster & Schaubroeck, 1991), und zu viel Stress ist mit vielen was so viel wie „schnüren“ oder „zusammenbinden“ bedeutet psychosozialen und gesundheitlichen Problemen verbunden (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, 2021). Aller- (BAuA, 2020; Robert Koch Institut, 2015). Für sinnvolle In- dings ist Stress nicht gleich Stress. Auch wenn der Begriff terventionen und Präventi- auf den ersten Blick klar und onsmaßnahmen ist es deshalb verständlich erscheint, so zeigt wichtig zu wissen, wie gestresst die bisherige Forschung auf die Menschen in Deutschland „Stress lässt sich nicht diesem Gebiet, dass verschie- sind, welche Bevölkerungs- dene Aspekte bei der Betrach- gruppen unterschiedlich von immer vermeiden. Wichtig tung von Stress berücksich- Stress betroffen sind, was die tigt werden müssen. Die bio- Ursachen für den Stress sind ist deshalb zu wissen, wie logische und die psychologi- und welche (gesundheitlichen) sche Perspektive markieren Auswirkungen er in der Bevöl- man mit ihm umgeht.“ dabei die grundlegenden wis- kerung hat. Zu diesem Zweck senschaftlichen Ansätze in hat die TK nach 2013 und der Erklärung von Stress und 2016 im Februar 2021 zum sind vor allem durch das bio- dritten Mal im Rahmen einer bevölkerungsrepräsentativen logische Stressmodell von Selye (1974) und das transaktio- Befragung 1.000 Personen ab 18 Jahren zu ihrem Stress- nale Stressmodell von Lazarus (1984) geprägt. empfinden befragt. Die Befragung wurde telefonisch durch das Umfrageinstitut Forsa im Auftrag der TK durchgeführt. Aus biologischer Sicht reagiert der Körper auf einwirkende Reize, sogenannte Stressoren, mit einer Immunantwort, wobei Was ist Stress und wie entsteht er? In der Psychologie wird sich die Reize in ihrem Verlauf und der Dauer unterscheiden: Stress – vereinfacht gesagt – als eine unangenehme Situation akut und begrenzt (zum Beispiel eine Rede halten), kurzzeitig verstanden, in der Menschen das Gefühl haben, dass ihre und natürlich (zum Beispiel eine Prüfung, Arbeitsverdich- Ressourcen nicht ausreichen, um die wahrgenommenen tung), lebensverändernd (zum Beispiel Verlust einer wichti- Anforderungen der Situation zu bewältigen. Im Alltag verwen- gen Bezugsperson, Naturkatastrophe), vergangen (zum Bei- den Menschen das Wort Stress für belastende Situationen, spiel Misshandlung als Kind, Kriegsgefangenschaft) und die häufig in Verbindung mit Begriffen wie Hektik, Frust, Ärger, Angst oder Druck stehen. Der Begriff Stress wurde
6 Entspann dich, Deutschland! – Wie Stress entsteht: Ene Einleitung chronisch (zum Beispiel langandauernde Krankheit, Pflege wenig Zugang zu Ressourcen neigen tendenziell eher dazu, einer Person, dauerhafte Arbeitsüberlastungen) (Segerstorm Stressreaktionen durch ungeeignete Verhaltensweisen zu & Miller, 2004). Diese automatische Immunantwort des kompensieren. Ein Bericht der American Psychological Asso- Körpers erfolgt schnell und dient der Verteidigung des Kör- ciation von 2017 verdeutlicht, dass sowohl der sozioökonomi- pers gegenüber dem Stressor. Im Gehirn sind dabei zwei sche Status als auch die ethnische Zugehörigkeit einen Ein- Prozesse von zentraler Bedeutung: die Aktivierung der fluss auf das Erleben von Stress haben. Je schwieriger es für Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse Menschen ist, vollumfänglich am gesellschaftlichen Leben (HPA-Achse) und des Sympathikus des vegetativen Nerven- teilzunehmen (zum Beispiel Zugang zu Arbeit), je mehr sie dis- systems. Die Aktivierung dieser Systeme hat die Ausschüt- kriminiert werden, Gewalt erfahren, geringes Einkommen und tung von Hormonen wie Adrenalin, Noradrenlin und Kortisol geringe Bildung aufweisen und je weniger soziale Beziehungen zur Folge, welche den Körper in Alarmbereitschaft versetzen sie haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Stress- (zum Beispiel beschleunigte Atmung, steigende Puls- und erleben und in der Folge für einen geringeren allgemeinen Atmungsfrequenz, Produktion wichtiger Botenstoffe). Ist Gesundheitszustand. Neben diesen gesellschaftlichen Einfluss- eine bestimmte Konzentration an Kortisol im Blut erreicht, faktoren ist auch die individuelle Wahrnehmung entscheidend wird die Hormonproduktion wie- für das Stresserleben. der verringert und der Körper er- holt sich. Um beim nächsten Mal noch schneller reagieren zu kön- „Wir bewältigen Stress Innere (zum Beispiel Gedanken) und äußere Reize (zum Beispiel nen, speichert das Gehirn die stressauslösende Situation ab. indem wir die Situation Ereignis, Situation) werden nicht von allen Menschen gleicherma- Grundsätzlich ist dieses Vorgehen eine gesunde Überlebensstrate- ändern oder unseren ßen als stressig empfunden. Es kann also sein, dass ein und der- gie unseres Körpers (Werdecker & Esch, 2019). Problematisch wird Bezug dazu.“ selbe Reiz (zum Beispiel eine Prü- fungssituation) von zwei Menschen es allerdings dann, wenn Men- ganz unterschiedlich wahrgenom- schen andauernden beziehungs- men wird. Dies hat zur Folge, dass weise wiederkehrenden Stressoren ausgesetzt sind, da da- ein Reiz nicht per se ein Stressor sein muss, sondern von der durch die Immunantwort des Körpers gleichzeitig unterdrückt Bewertung der jeweiligen Person abhängt. Genau diesem As- als auch verstärkt wird (Segerstorm & Miller, 2004), was einen pekt widmet sich die psychologische Betrachtungsweise und Erschöpfungszustand des Organismus zur Folge haben kann. insbesondere das Transaktionale Stressmodell (zum Beispiel Lazarus & Folkman 1987). Laut Robert-Koch-Institut (2015) sind vor allem Frauen, Menschen mit niedrigem sozialen Status und wenig sozialer Entscheidend für das Erleben von Stress ist dabei zunächst Unterstützung einer starken Belastung durch chronischen die (erste, primäre) kognitive Bewertung eines Reizes als Stress ausgesetzt. Dieser kann sich dabei direkt als auch irrelevant, positiv oder stresshaft. Wird dieser als stresshaft indirekt auf die Gesundheit auswirken. Zum einen kann Stress wahrgenommen, wird noch innerhalb dieses ersten Bewer- kardiovaskuläre, immunologische, psychische als auch neuro- tungsschritts geprüft, ob bereits eine Beeinträchtigung ent- degenerative Erkrankungen direkt auslösen und zum anderen standen ist, eine Beeinträchtigung droht oder es sich um eine sind stressbezogene Kompensationsverhaltensweisen wie positive Herausforderung handelt. Im zweiten Bewertungs- beispielsweise Rauchen oder Alkoholkonsum ein Risiko für schritt erfolgt eine Abschätzung, ob ausreichend Ressourcen weitere Erkrankungen (Werdecker & Esch, 2019). In diesem zur Bewältigung des Stressors zur Verfügung stehen. Wenn Zusammenhang spielen auch gesellschaftliche Verhältnisse dies der Fall ist, wird die Person das entsprechende Bewälti- eine wichtige Rolle. Menschen mit hohen Belastungen und gungsverhalten zeigen. Stehen jedoch nicht genügend Res- sourcen zur Verfügung, entsteht Stress. Dieser wird dann zu bewältigen versucht („coping“): Das Individuum versucht ent- weder, die Situation zu ändern oder es versucht, den Bezug
7 So entsteht Stress Vereinfachte Darstellung des transaktionalen Stressmodells nach Lazarus Umwelt Person ausreichende problem- positiv Ressourcen orientiert: Situation ändern Reize gefährlich/ (= poten- mangelhae Bedrohung/ Stress zielle Ressourcen Verlust emotions- Stressoren) orientiert: Bezug zur Situation irrelevant ändern primäre Bewertung: sekundäre Bewertung: Coping: Interpretation Analyse verfügbarer Stressbewältigung des Stressors Ressourcen Abbildung 1 (eigene Darstellung) zur Situation zu ändern Die Bewertungsprozesse im Rah- den Tagen auf die Tochter aufpassen? Falls ja, sind genügend men des Transaktionalen Stressmodells laufen überwiegend Ressourcen vorhanden, um mit der Situation umzugehen. automatisch ab, können sich mehrfach wiederholen und zu Falls sie aber niemanden zum Kinderhüten findet und die unterschiedlichen Bewertungen führen. Fertigstellung der Präsentation nicht aufschieben kann, wird klar, dass ihre Ressourcen nicht reichen, um die Situation zu Folgendes Beispiel kann die Entstehung von Stress nach dem bewältigen. Es entsteht Stress. Wenn sie nun entscheidet, die Transaktionalen Stressmodell verdeutlichen: Eine berufstäti- nächsten Tage tagsüber auf ihre Tochter aufzupassen und ge alleinerziehende Frau arbeitet an einer für sie wichtigen dafür die Nächte durchzuarbeiten, würde man von einem Präsentation, von deren Gelingen sie sich einen beruflichen problemorientierten Coping sprechen. Wenn sie sich statt- Aufstieg erhofft. Sie hat noch zwei Tage Zeit für die Fertig- dessen sagt, dass die Präsentation ja nicht so wichtig ist und stellung und ihr ist klar, dass diese Zeit sehr knapp ist. Da ihre beruflichen Ziele (hier: die Beförderung) aufgibt, würde erfährt sie plötzlich, dass aufgrund eines Corona-Ausbruchs man von einem emotionsorientierten Coping sprechen. in der Kita ihrer vierjährigen Tochter in den nächsten Tagen keine Kinderbetreuung stattfinden wird. Die Information wird Insgesamt zeigt die psychologische Betrachtungsweise, dass sie als potenzielle Bedrohung wahrnehmen; die Fertigstellung Stress individuell verschieden ist und nicht jeder Reiz bei der Präsentation ist bedroht und es droht der „Verlust“ der jedem Menschen zu einer Stressreaktion führt. Darüber hinaus erhofften Beförderung, wenn sie die Präsentation nicht liefert sie Ansatzpunkte für Handlungsansätze, die sich rechtzeitig fertig bekommt oder gut macht. Sie überlegt dann positiv auf die Bewertung von Reizen und Ressourcen deshalb, ob sie Ressourcen hat, um mit der bedrohlichen auswirken können. Nach dieser Einführung in die Thematik Situation umzugehen. Können ihre Eltern in den nächsten bei- berichten wir im folgenden Abschnitt die Entwicklung des Stressniveaus der Deutschen von 2013 bis 2021.
8 Entspann dich, Deutschland! – Deutschland im Stress 3 Deutschland im Stress noch einmal zugenommen; damals fühlten sich 23 Prozent der Menschen häufig gestresst. Im zeitlichen Verlauf lässt sich ein Knapp zwei Drittel sind gestresst Knapp zwei von drei Trend erkennen: 2013 waren 57 Prozent mindestens manch- Menschen in Deutschland (64 Prozent) fühlen sich mindes- mal gestresst, 2016 waren es 60 Prozent und 2021 64 Pro- tens manchmal gestresst. Gut jede vierte Person – 26 Prozent zent. Statistisch betrachtet liegt das durchschnittliche – fühlt sich sogar häufig gestresst. Damit hat der Stress in Stressniveau 2021 signifikant über dem Niveau von 2016 und den letzten fünf Jahren seit der letzten Stressstudie der TK von 2013. Der Stress hat in Deutschland damit weiter zu- Der Stresslevel hat von 2013 bis 2021 weiter zugenommen „Wie häufig fühlen Sie sich privat oder beruflich gestresst?“ 13 % 14 % 20 % 23 % 2013 2016 26 % 29 % 37 % 38 % nie selten manchmal häufig
9 Der Stress steigt bei Männern stärker als bei Frauen Bei den Frauen ist der Anteil derjenigen, die mindestens manch- mal gestresst sind, in den letzten acht Jahren stabil geblieben. Bei den Frauen gab es über die drei Studien 2013, 2016 und genommen. Diese Zunahme des Stresses im Zeitverlauf 2021 hinweg keine signifikanten Unterschiede bezüglich des passt zum Befund, dass psychische Erkrankungen in Deutsch- Stresses. Bei den Männern war die Zunahme des Stresses von land seit 2007 kontinuierlich zunehmen – 2020 führten psy- 2013 bis 2021 hingegen statistisch signifikant. Mit anderen chische Erkrankungen zu den meisten krankheitsbedingten Worten: Die Männer sind für den Anstieg des durchschnitt- Ausfalltagen in Deutschland (TK-Gesundheitsreport 2021). lich berichteten Stresses verantwortlich; ihr berichtetes Stressniveau nähert sich dem Stressniveau an, von dem die Frauen schon seit Jahren berichten. Über die Gründe hierfür lässt sich nur spekulieren. Vor allem berufstätige Frauen berichten seit jeher mehr emotionale Erschöpfung – eine der häufigsten Stressfolgen – als Männer (Purvanova & Muros, 2010). Bei berufstätigen Frauen, die in einer Beziehung leben, identifizierte eine Studie 2014 eine 9% ungleiche Verteilung der Haushaltspflichten als wesentlichen Grund dafür, dass berufstätige Frauen häufiger von Stress be- richten als Männer (Eek & Axmon, 2014). In Deutschland ha- 26 % ben viele politische Veränderungen der letzten Jahre darauf abgezielt, mehr Gleichheit zwischen Männern und Frauen herzustellen: Männer nehmen heute häufiger Elternzeit als noch vor wenigen Jahren und beteiligen sich stärker an Haus- 28 % haltspflichten. Eventuell steigt dadurch auch das Gefühl der 2021 Mehrfachbelastung bei Männern; dies könnte ein Grund sein, warum sich der Stresspegel der Männer an den Stress der Frauen anzugleichen scheint. Früher war es außerdem so, dass Frauen eher über Gefühle und Emotionen sprachen als Männer. Es wäre ebenfalls möglich, dass sich die Befunde in Teilen darauf zurückführen lassen, dass die Bereitschaft der Männer, Stress als solchen anzuerkennen und auszuspre- chen, über die Jahre angestiegen ist. Leider muss man an 38 % dieser Stelle konstatieren, dass es in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, das Ausmaß des Stresses in der Bevölke- rung zu reduzieren – trotz teilweise breit angelegter Präven- tionskampagnen wie zum Beispiel „Kein Stress mit dem Rundungsdifferenzen möglich Stress“ der INQA.
10 Entspann dich, Deutschland! – Deutschland im Stress Das Stresserleben steigt kontinuierlich an Anteil der Personen, die sich manchmal oder häufig gestresst fühlen 2021 64 2016 60 2013 57 10 20 30 40 50 60 70 % Männer holen bei Stresserleben auf Anteil der Personen, die sich manchmal oder häufig gestresst fühlen 65 Frauen 63 63 63 Männer 58 52 10 20 30 40 50 60 70 % 2021 2016 2013
11 Der Stress nimmt nicht nur zu, die Menschen empfinden ihr Leben auch subjektiv als stressiger als früher 56 Pro- zent der Männer und 53 Prozent der Frauen gaben an, dass sie das Leben heute stressiger als vor 15/20 Jahren wahr- nehmen; der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist hierbei statistisch nicht bedeutsam. 2016 waren es noch 64 Mehr Stresszunahme bei den Gestressten Die Wahrneh- Prozent beziehungsweise 60 Prozent gewesen. Mit anderen mung, dass das Leben stressiger wirkt, hängt mit dem Stress- Worten: Die subjektive Wahrnehmung von zunehmendem level zusammen: Je gestresster die Menschen, desto mehr Stress ist Im Vergleich zu 2016 zurück gegangen. Auffällig ist, haben sie das Gefühl, dass ihr Leben stressiger ist als früher. dass Männer und Frauen gleichermaßen angeben, dass das Das ist insofern plausibel, als dass das selbst erlebte Stress- Leben stressiger wird, aber nur bei den Männern der Anteil niveau höher sein muss als früher, um eine Zunahme überhaupt derjenigen, die sich mindestens manchmal gestresst fühlen, erleben zu können. Menschen, die früher selten oder manch- mit der Zeit tatsächlich ansteigt. Männer erleben subjektiv mal gestresst waren, müssen heute eben häufig gestresst eine Stresszunahme über die Jahre und ihr Stressniveau ist sein, um das Leben auch als stressiger wahrzunehmen. Der auch in den vergangenen Jahren angestiegen. Frauen erleben Befund, dass diejenigen, die heute besonders gestresst zwar ebenfalls eine subjektive Stresszunahme, aber ihr in den sind, auch tendenziell diejenigen sind, die mehr Stress als verschiedenen Studien „objektiv“ berichteter Stress steht seit früher erleben, spricht also für die Belastbarkeit der erlebten Jahren auf dem Niveau, das die Männer erst jetzt erreichen. Stresszunahme. Der Stress hat subjektiv zugenommen Das Leben ist heute stressiger als vor 15/20 Jahren 53 Frauen 60 56 Männer 64 10 20 30 40 50 60 70 % 2021 2016
12 Entspann dich, Deutschland! – Deutschland im Stress Stresszunahme und Stress „Ist das Leben stressiger oder wird nur mehr darüber gesprochen?“ Menschen, die nie gestresst sind (9 %) 56,7 % 43,3 % Menschen, die selten gestresst sind (29 %) 48,5 % 51,5 % Menschen, die manchmal gestresst sind (37 %) 53,1 % 46,9 % Menschen, die häufig gestresst sind (26 %) 77,2 % 22,8 % Leben ist heute stressiger als vor 15/20 Jahren es wird nur mehr über Stress gesprochen Rundungsdifferenzen möglich Bis zur Rente sind alle Altersgruppen gleich stark gestresst nicht: Es gibt keine statistisch bedeutsamen Unterschiede im In der letzten Stressstudie 2016 waren unterschiedliche Alters- Stress in der Altersspanne zwischen 18 und 59 Jahren. Erst in gruppen vor Renteneintritt unterschiedlich stark gestresst: In den Altersgruppen, die teilweise oder ganz im Rentenalter lie- den Altersgruppen der 18-29-Jährigen und der 40-49-Jährigen gen, ist der Stress deutlich geringer als in den Altersgruppen, war der Stress 2016 niedriger als bei den 30-39-Jährigen und die in denjenigen Lebensabschnitten liegen, die von Schule, bei den 50-59-Jährigen. Solche Unterschiede finden sich 2021 Ausbildung, Arbeit und Familie dominiert werden. Der Stress lässt erst am Ende des Erwerbslebens nach Anteil der Personen, die sich manchmal oder häufig gestresst fühlen 70 Jahre 26 und älter 34 47 60 bis 69 Jahre 39 74 50 bis 59 Jahre 76 81 40 bis 49 Jahre 66 84 30 bis 39 Jahre 82 78 18 bis 29 Jahre 66 10 20 30 40 50 60 70 80 % 2021 2016
13 Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den bisherigen Be- funden, deckt sich aber mit den Befunden von 2016. Eine einfache Erklärung für diesen überraschenden Befund er- Stress tritt dann auf, wenn Menschen das Gefühl haben, dass schließt sich aus den vorliegenden Daten nicht: Das Haus- ihre Ressourcen nicht ausreichen, um die an sie gestellten haltsnettoeinkommen und die wöchentliche Arbeitszeit Anforderungen zu erfüllen. Entsprechend zeigten frühere hängen unter den befragten Berufstätigen beispielsweise Studien, dass der Stress mit höherem Bildungsstand und nicht zusammen; es liegt also nicht daran, dass diejenigen mit Einkommen abnimmt (Cohen & Janicki-Deverts, 2012). Vor höherem Einkommen tendenziell mehr arbeiten und deswegen diesem Hintergrund liegt die Annahme nahe, dass Menschen, gestresster sind. Auch wenn man die weiter unten berichteten denen es finanziell besser geht, weniger gestresst sind als Stressursachen betrachtet, erschließt sich nicht, warum die diejenigen, die über ein geringeres Einkommen verfügen. stärksten Stressverursacher, wie zum Beispiel hohe Ansprü- Das genaue Gegenteil ist aber der Fall: Ab einem Haushalts- che an sich selbst, unter den höheren Einkommensschichten nettoeinkommen von 3.000 Euro und mehr sind die Men- ausgeprägter sein sollten als in den niedrigeren Einkommens- schen in Deutschland signifikant gestresster als diejenigen bereichen. Weitere Untersuchungen nach dem Grund für die- mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 3.000 Euro. sen Befund erscheinen deshalb angebracht. Einkommensunterschiede sind bedingt stressrelevant Anteil der Personen, die sich manchmal oder häufig gestresst fühlen 59 bis 1.499 Euro 55 1.500 bis 54 2.999 Euro 58 3.000 bis 68 3.999 Euro 70 4.000 Euro 70 und mehr 66 weiß nicht / 69 keine Angaben 57 10 20 30 40 50 60 70 80 % 2021 2016
14 Entspann dich, Deutschland! – Deutschland im Stress Zusammenfassend: Die Deutschen sind immer gestresster, mehr als ein Viertel ist häufig gestresst. Frauen sind gestress- ter als Männer, aber bei Männern nimmt der Stress seit 2013 Beim Stress gibt es keine regionalen Unterschiede In stärker zu als bei den Frauen. Eine Mehrheit der Männer und Nordrhein-Westfalen ist der Anteil derjenigen, die mindestens Frauen erleben das Leben heute subjektiv auch als stressiger manchmal gestresst sind, zwar mit 58 Prozent am als vor 15/20 Jahren. Die Deutschen sind in allen Bundes- geringsten und in Hessen, Rheinland- Pfalz und Saarland ländern gleich stark gestresst. Ab der Volljährigkeit bis zum mit 71 Prozent zwar am höchsten, aber diese regionalen Renteneintrittsalter sind die Deutschen gleichermaßen stark Unterschiede sind statistisch nicht bedeutsam. Mit gestresst, erst mit der Rente nimmt der Stress deutlich ab. anderen Worten: Die Stresswerte innerhalb der Menschen in Haushalten mit höherem Nettoeinkommen Bundesländer variieren so sehr, dass eine Unterscheidung sind etwas stärker gestresst als Menschen in Haushalten mit zwischen den Bundesländern nach durchschnittlichen eher geringem Einkommen. Stresswerten statistisch nicht sinnvoll ist. Deswegen muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass ganz Als Nächstes werden die Ursachen für Stress beleuchtet, be- Deutschland gleich stark gestresst ist. Es gibt beim Stress vor es im Weiteren um Stress am Arbeitsplatz, den Umgang auch keine statistisch bedeutsamen Unterschiede mit Stress und die (gesundheitlichen) Auswirkungen des zwischen dem ländlichen Raum und der städtischen Stresses geht. Bevölkerung: Stadt und Land sind gleich stark gestresst. So gestresst ist Deutschland Anteil der Personen, die sich manchmal oder häufig gestresst fühlen nach Bundesländern über 70 % Hessen (HE) Rheinland-Pfalz (RP) Saarland (SL) SH HH MV 65 bis 70 % Bayern (BY) HB Bremen (HB) Hamburg (HH) BE Mecklenburg-Vorpommern (MV) NI Niedersachsen (NI) Schleswig-Holstein (SH) ST BB 60 bis 65 % NRW Brandenburg (BB) Berlin (BE) SN Sachsen-Anhalt (ST) TH HE Sachsen (SN) Thüringen (TH) RP unter 60 % Baden-Württemberg (BW) SL Nordrhein-Westfalen (NRW) BY BW
15 4 Stressursachen Die Arbeit und hohe Ansprüche an sich selbst stressen am meisten Diese beiden Top-Stressoren sind die gleichen wie in der letzten Stressstudie 2016. Der dritte Platz hat sich al- lerdings geändert: Während 2016 zu viele Termine und Ver- pflichtungen in der Freizeit die drittstärkste Stressursache waren, stresste eine schwere Krankheit einer nahe stehenden Gut zu wissen! Person die Menschen in Deutschland in 2021 am drittstärksten. Stress und Corona Die ständige Erreichbarkeit ist fünfhäufigste Stressursache geblieben; es folgen zu viele Termine und Verpflichtungen in Für die Reihenfolge der Stressursachen im aktu- der Freizeit auf Platz sechs; Verkehrsteilnahme auf Platz ellen Studienzeitraum ist die Coronapandemie sieben und Arbeitsbelastung im Haushalt auf Platz acht. mit Sicherheit mitverantwortlich: Fast zwei Kinderbetreuung liegt bei den Stressursachen auf Platz neun, Drittel der Menschen in Deutschland kennen gefolgt von finanziellen Sorgen auf Platz zehn und Pflege- eine ihnen nahestehende Person, die irgend- arbeit auf Platz elf. Plätze acht bis elf sind demnach im Ver- wann an Corona erkrankt ist (Techniker gleich zu 2016 unverändert geblieben. Krankenkasse, 2021). Da ist es nicht verwun- derlich, dass die Sorgen um eine nahe Frauen stellen höhere Ansprüche an sich als Männer, erleben stehende an Corona erkrankte Person schwer mehr Konflikte und mehr Kinderbetreuung Da sich gezeigt wiegen. Vor dem Hintergrund der Corona- hat, dass Frauen im Mittel gestresster sind als Männer, betrach- pandemie und den damit einhergehenden ten wir die Wahrnehmung der Stressursachen ebenfalls ge- Lockdowns ist es auch nicht überraschend, dass trennt für Männer und Frauen. Drei Stressursachen fallen bei die Teilnahme am Straßenverkehr vom vierten den Frauen statistisch bedeutsam stärker ins Gewicht als bei den Platz 2016 auf den siebten Platz gerutscht ist. Männern: Hohe Ansprüche an sich selbst, Konflikte in der Part- 2021 sind Konflikte in der Partnerschaft die nerschaft und Erziehungsarbeit. Da Frauen also in drei Be- vierthäufigste Stressursache in Deutschland. reichen mehr Belastung erleben als Männer und es umge- Auch das kann mit der Coronapandemie kehrt keinen Bereich gibt, in denen Männer mehr Belastung als zusammenhängen: In Zeiten von Homeoffice Frauen erleben, könnte dieses Mehr an Stressursachen einer der und Lockdown verbringen Menschen, die in Gründe dafür sein, dass Frauen mehr Stress erleben als Männer. einer Beziehung leben, viel mehr Zeit in der Partnerschaft als vor der Coronapandemie. Das könnte zumindest ein Grund dafür sein, warum Konflikte in der Partnerschaft zu Beginn des Corona-Jahrs 2021 eine so große Rolle im Stresserleben der Deutschen spielen. Im TK-Gesundheitsreport 2021 zu Corona finden sich hierzu weitere Details und Auswertungen.
16 Entspann dich, Deutschland! – Stressursachen Das stresst Deutschland „Was führt hauptsächlich dazu, dass Sie sich gestresst fühlen?“ 45 Schule, Studium oder Beruf 49 47 55 Ihre hohen Ansprüche an sich selbst 36 46 35 schwere Krankheit von jemandem, 27 der Ihnen nahesteht 31 Konflikte oder Probleme mit dem 33 Lebenspartner, in der Verwandt- 18 schaft oder im Bekanntenkreis 26 28 ständige Erreichbarkeit durch Handy, 23 Facebook und Co. 25 27 zu viele Termine und Verpflichtun- 20 gen in der Freizeit 24 Teilnahme am Straßenverkehr insge- 22 samt, also öffentliche Verkehrsmittel 21 wie Bus und Bahn, Auto oder Fahrrad 21 21 Arbeitsbelastung im Haushalt 19 20 23 Erziehung und Betreuung Ihrer 15 Kinder oder Enkelkinder 19 18 finanzielle Sorgen 13 16 15 Betreuung eines pflegebedürftigen 14 Angehörigen 14 Frauen 7 Männer fühle mich nie gestresst 10 gesamt 9 4 nichts davon 7 5 10 20 30 40 50 % Mehrfachnennungen möglich
17 Etwas anders sieht es aus, wenn man die Stressbewältigungs- stile getrennt nach Alter betrachtet. Zwischen 30 und 39 Jah- ren dominiert das Durchhalten (71 Prozent) und fällt danach zum Renteneintrittsalter ab: In der Kohorte von 60 bis 69 Jah- ren ist das Durchhalten nur bei 46 Prozent der Befragten der dominierende Stressbewältigungsstil. Gleichzeitig ist in dieser Kohorte der Rückzug als Stressbewältigungsstil besonders Männer und Frauen unterscheiden sich nicht in ihren Stress- ausgeprägt. Diese Befunde decken sich mit dem Stereotyp, dass bewältigungsstilen Menschen gehen unterschiedlich mit dem mit zunehmendem Alter in der Regel eine gewisse Gelassenheit Stress um. Traditionell wird in der Literatur zwischen Fluchtreak- zunimmt. Außerdem ist es natürlich so, dass mit dem Renten- tion und Kampfbereitschaft als übergeordnete Verhaltensstile eintritt in der Regel berufsbezogene Stressoren massiv zurück- bei der Bewältigung von Gefahren unterschieden. Beim Stress gehen und deswegen auch nicht mehr ausgehalten werden spricht man hier eher von Rückzug versus Kämpfen. Viele Men- müssen. Deshalb ist die Abnahme des Durchhaltens zum Ren- schen versuchen auch, den Stress einfach auszuhalten, ohne teneintrittsalter wahrscheinlich ein Nebeneffekt des Renten- sich zurückzuziehen oder ihn zu bekämpfen. Ähnlich wie in den eintritts: Wer am Arbeitsplatz keinen Stress mehr hat, muss vergangenen Jahren reagieren 15 Prozent im übertragenen auch keinen Stress mehr aushalten. Nichtsdestotrotz ist es Sinn mit Kampf, 21 Prozent eher mit Rückzug und 59 Prozent auffällig, dass diejenigen den geringsten Stress berichten, versuchen, den Stress auszuhalten. Entgegen dem Ge- die sich am häufigsten zurückziehen. Das kann darauf hin- schlechterstereotyp, dass Männer eher kämpfen als Frauen, deuten, dass der Rückzug ein gewisses Potenzial zur Stress- zeigen sich bei diesen allgemeinen Stressbewältigungsstilen bewältigung hat, das gesellschaftlich noch stärker von ande- keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Män- ren Altersgruppen genutzt werden könnte. nern und Frauen. Durchhalten ist die Devise beim Umgang mit Stress „Wie gehen Sie üblicherweise mit Stress um?“ 5% 49 63 15 % 66 29 19 16 15 14 59 % 16 21 % 7 5 2 20 40 60 % durchhalten kämpfen 60 Jahre und älter zurückziehen nichts davon 40−59 Jahre 18−39 Jahre
18 Entspann dich, Deutschland! – Stressursachen So schaltet Deutschland ab „Was tun Sie zum Stressabbau besonders gern?“ 80 meinem Hobby nachgehen 79 80 84 spazieren gehen oder 71 Gartenarbeit 77 74 gemütlich faulenzen 68 71 69 Musik machen oder hören 69 69 69 zum Ausgleich mit Freunden 67 oder der Familie treffen 68 54 zum Ausgleich Sport treiben 62 58 71 lesen 44 58 60 fernsehen 54 57 55 zur Entspannung selbst 52 kochen oder essen gehen 53 44 Engagement für andere 42 oder eine gute Sache 43 im Internet surfen, 34 Computerspiele spielen oder 41 soziale Netzwerke nutzen 37 27 zur Entspannung ein Glas 40 Wein oder Bier trinken 33 34 mich in die Badewanne legen 25 29 Frauen 30 einen Einkaufsbummel machen Männer 21 und mir etwas Schönes gönnen gesamt 25 26 Entspannungstechniken wie 17 Yoga oder autogenes Training 22 10 20 30 40 50 60 70 80 % Mehrfachnennungen möglich
19 Im Corona-Jahr 2021 begegnen die Deutschen dem Stress mit häufiger etwas Schönes und machen häufiger Yoga oder Hobbies, Spazieren gehen, Faulenzen und Musik Soziale andere Entspannungstechniken. Bei den Top fünf Entspan- Aktivitäten wie Freunde und Verwandte treffen, soziales nungsstrategien Hobby, Spazieren gehen oder Gartenarbeit, Engagement oder Shopping waren zum Umfragezeitpunkt Faulenzen, Musik machen oder hören und andere Menschen im März 2021 in vielen deutschen Regionen durch Maßnah- treffen gab es keine Geschlechterunterschiede. men zum Schutz der Bevölkerung vor dem Virus noch ein- geschränkt. Zum Vergleich: In der Stressstudie 2016 waren Bei den Entspannungsstrategien gibt es fünf statistisch be- die Top drei Entspannungsstrategien der Deutschen das deutsame Unterschiede zwischen den Altersstufen: Jüngere Hobby, das Faulenzen und das Treffen von Freunden oder Menschen (18-39) surfen häufiger im Netz oder nutzen so- Familie auf dem dritten Platz. Hier muss die nächste Stress- ziale Netzwerke, faulenzen im Vergleich zu den anderen am studie zeigen, ob die diesjährige Rangreihe eine coronabe- häufigsten und treffen häufiger Freunde oder Verwandte. dingte Annomalie ist. Interessanterweise ist der Griff zum Ältere Menschen über 60 Jahre hören häufiger Musik und Alkohol 2021 mit dem zwölften Platz etwas unbeliebter als lesen mehr als Menschen unter 60 Jahren. Obwohl man 2016, als das Glas Wein oder Bier noch auch dem elften Platz Spazieren gehen oder Gartenarbeit in der Regel nicht mit rangierte. Eine Zunahme des (subjektiv berichteten) Alkohol- jüngeren Menschen assoziiert, gab es bei dieser Entspan- konsums durch die Coronapandemie ist daher in unseren nungsstrategie dieses Jahr keine statistisch bedeutsamen Daten nicht sichtbar. Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Interessant zu erwähnen ist hier vielleicht auch, dass ältere Menschen über Bei den Entspannungsstrategien gibt es einige statistisch be- 60 Jahre nicht seltener Sport zur Entspannung machen als deutsame Geschlechterunterschiede: Frauen lesen mehr als jüngere Menschen. Männer; Männer trinken mehr Alkohol als Frauen. Frauen le- gen sich häufiger in die Badewanne als Männer, gönnen sich Die fünf Entspannungsstrategien mit signifikanten Altersunterschieden „Was tun Sie zum Stressabbau besonders gerne?“ 71 66 faulenzen 68 81 69 78 Musik hören 58 71 68 Verwandte und 63 Freunde treffen 63 78 58 68 lesen 55 48 37 24 surfen im Netz 30 60 10 20 30 40 50 60 70 80 % gesamt 60 Jahre und älter 40−59 Jahre 18−39 Jahre
20 Entspann dich, Deutschland! – Stress im Beruf 5 Stress im Beruf Studium, Schule und Beruf sind wie im Jahr 2016 die stärks- Generell ist es nicht der Unterschied zwischen Teilzeit und ten Stressverursacher Deutschlands. Arbeit spielt im Leben Vollzeit, der etwas mit dem Stress zu tun hat, sondern die wö- der Menschen traditionell eine große Rolle. In der mittleren chentliche Arbeitszeit, wie der nächste Absatz verdeutlicht. Lebensspanne verbringen berufstätige Menschen im Durch- Lediglich bei den Männern ergab sich bezüglich der Beschäfti- schnitt die Hälfte ihrer wachen Lebenszeit mit Arbeit (US gungsart noch der signifikante Befund, dass Männer, die ge- Bureau of Labor Statistics, 2015). Arbeit strukturiert die Zeit, ringfügig beschäftigt sind oder in Minijobs arbeiten, weniger erweitert den sozialen Horizont, beteiligt Menschen an kol- Stress haben, als diejenigen Männer, die Vollzeit arbeiten. lektiven Zielen, vermittelt Status und Identität und erzwingt Aktivität (Jahoda, 1983). Aus diesen Gründen hat die Arbeit Mit Blick auf die Arbeitszeit zeigt sich, dass Männer von einen starken Einfluss auf die Psyche, das Wohlbefinden und einer signifikant höheren durchschnittlichen Wochenar- das Stresserleben. beitszeit berichten als Frauen: 44 Prozent der Männer arbeiten mehr In diesem Abschnitt widmen wir uns deshalb dem Stress in der „Mehr als vierzig als 40 Stunden pro Woche, bei den Frauen sind es nur 25 Prozent. Ar- Arbeitswelt und untersuchen die Zusammenhänge zwischen Fa- Stunden Arbeit beitszeit und Stress hängen zusam- men: Je mehr die Menschen pro cetten des Jobs und dem Stress- erleben der Deutschen. Dafür stressen besonders Woche arbeiten, desto höher ist ihr Stress. Beispielsweise sind nur werten wir im Folgenden nur die Daten der berufstätigen Perso- stark.“ 22 Prozent der Männer häufig ge- stresst, die 30 bis 40 Stunden pro nen aus. Woche arbeiten. Liegt die Wochen- arbeitszeit zwischen 41 und 50 Generell hängen Arbeit und Stress miteinander zusammen: Stunden, steigt der Anteil der häufig gestressten Männer Berufstätige Personen berichten von signifikant mehr Stress auf 43 Prozent. Für die Männer führt demnach eine Erhö- als diejenigen, die nicht berufstätig sind. Dieser Zusammen- hung der Wochenarbeitszeit über 40 Stunden hinaus dazu, hang gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Allerdings dass sich der Stress beinahe verdoppelt – auch wenn die Ar- unterscheiden sich die Stressniveaus zwischen den Ge- beitszeit sich nur um zehn Stunden erhöht. Die Überschreitung schlechtern: Im Durchschnitt sind nicht erwerbstätige einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden scheint Frauen genauso stark gestresst wie erwerbstätige Männer. sich deshalb besonders negativ auf den Stress auszuwirken. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass nicht berufstätige Frauen Allerdings muss hier einschränkend erwähnt werden, dass die stärker als Männer durch Haus-, Erziehungs- oder Pflegearbeit Wirkrichtung auch umgekehrt sein könnte: Es erscheint auch belastet sind. plausibel, dass Menschen mit viel Stress – der beispielsweise durch zu viel Arbeit oder Termindruck entsteht – versuchen, Zwischen denjenigen, die Vollzeit arbeiten, und denjenigen, die Belastungen durch eine Ausdehnung der eigenen Arbeits- die in Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung arbeiten, gibt zeit abzubauen. Deswegen kann abschließend nur festge- es bezüglich des Stresserlebens nur wenige Unterschiede. halten werden, dass wöchentliche Arbeitszeit und Stress Unter den Berufstätigen unterscheidet sich das Stressniveau zusammenhängen und sich höchstwahrscheinlich wechsel- 2021 nicht statistisch bedeutsam zwischen Vollzeit und Teilzeit. seitig bedingen.
21 Stressempfinden steigt bei hohen Arbeitszeiten „Wie häufig fühlen Sie sich gestresst?“ 8 92 18 58 52 3% 30 21 % 36 22 % 1 6 Arbeitszeiten 18 Arbeitszeiten Frauen (innerer Kreis) unter 30 Stunden 54 % 30 bis 40 Stunden 38 41 bis 50 Stunden 51 Stunden und mehr 43 Stressempfinden (äußere Kreise) nie 0 selten 11 24 40 58 2 manchmal 63 2 6 häufig 25 Arbeitszeiten Männer (innerer Kreis) 8% 6% unter 30 Stunden 43 30 bis 40 Stunden 41 bis 50 Stunden 51 Stunden und mehr Arbeitszeiten 36 % 47 % 48 43 13 1 22 Angaben in Prozent; Rundungsdifferenzen möglich
22 Entspann dich, Deutschland! – Stress im Beruf Bei unregelmäßigen Arbeitszeiten ist man häufiger gestresst „Wie häufig fühlen Sie sich gestresst?“ 1 54 15 30 23 % 16 Arbeitszeiten 46 77 % Arbeitszeiten Frauen (innerer Kreis) überwiegend regelmäßige Arbeitszeiten 39 überwiegend unregelmäßige Arbeitszeiten Stressempfinden (äußere Kreise) nie selten 32 4 manchmal häufig 22 Arbeitszeiten Männer (innerer Kreis) 57 überwiegend regelmäßige Arbeitszeiten überwiegend unregelmäßige Arbeitszeiten 26 % 11 Arbeitszeiten 74 % 27 46 Angaben in Prozent; Rundungsdifferenzen möglich
23 Menschen dieses Jahr auch nach ihrem Verhältnis zur Arbeit gefragt; ob sie diese als frustrierend, als notwendigen Broter- werb oder eher als Quelle von Freude und Spaß wahrnehmen. Berufstätige Männer und Frauen unterscheiden sich nicht in ihrem Auch dabei zeigen sich Geschlechterunterschiede: 82 Prozent Arbeitsrhytmus: Etwa drei Viertel der Erwerbstätigen haben re- der Frauen erleben Spaß bei der Arbeit und betrachten sie als gelmäßige Arbeitszeiten, ein Viertel arbeitet unregelmäßig. Män- wichtigen Teil ihres Lebens; bei den Männern sehen dies nur ner und Frauen unterscheiden sich aber dahingehend, dass 66 Prozent so. Diese Unterschiede im Verhältnis zur Arbeit Arbeitsrhytmus und Stress bei ihnen auf unterschiedliche Weise sind insofern relevant, als dass es einen Zusammenhang zusammenhängen: Frauen mit unregelmäßigem Arbeits- zwischen dem Verhältnis zur Arbeit und zu häufigem Stress- rhythmus berichten signifikant mehr Stress als Frauen mit erleben gibt: Von denjenigen, die Arbeit als Spaß und wichti- regelmäßigen Arbeitszeiten; bei den Männern ist es genau gen Teil des Lebens erleben, berichten etwas weniger als ein umgekehrt. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich die Mehr- Drittel, dass sie häufig gestresst sind. Unter denjenigen, die fachbelastung, wie zum Beispiel Kinderbetreuung, der Frauen Arbeit als notwendigen Broterwerb betrachten, erleben 36 häufiger ausgesetzt sind als Männer, schwerer mit unregel- Prozent häufig Stress. Unter denjenigen, die von ihrer Ar- mäßigen Arbeitszeiten als mit regelmäßigen Arbeitszeiten ver- beit überwiegend frustriert sind, liegt der Anteil derer, die einbaren lässt. häufig gestresst sind, bei 82 Prozent. Das eigene Verhältnis zur Arbeit, die Einstellung zur eigenen Arbeit hängen also mit Menschen verwirklichen in ihrer Arbeit unterschiedliche dem Stress zusammen. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, Arbeitswerte. Arbeitswerte sind Konzeptionen des Wün- dass Stress „Einstellungssache“ ist: Das Verhältnis zur Arbeit schenswerten in der Arbeit, die dem Arbeitshandeln Orien- ist nicht nur von den eigenen Arbeitswerten geprägt, son- tierung verleihen (Nerdinger et al., 2019, S. 475). Manche dern mindestens gleichermaßen von den Arbeitsinhalten. Menschen möchten sich in ihrer Arbeit selbst verwirklichen, Wenn beispielsweise die Belastungen bei der Arbeit über lan- Wohlstand hart erarbeiten oder engagiert Höchstleistungen ge Zeit die Ressourcen überschreiten, kann daraus Frustration erzielen (nextpractice, 2016). Andere Menschen suchen Sinn entstehen. Auch deshalb ist es wichtig, nachfolgend die spe- außerhalb der Arbeit (ibid). Dementsprechend wurden die zifischen Belastungen bei der Arbeit in den Blick zu nehmen. Eine große Mehrheit hat Spaß an ihrer Arbeit „Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Arbeit?“ Frauen (42 %) 82,1 % 11,5 % 6,4 % Männer (58 %) 4,6 % 65,5 % 30,0 % Arbeit macht mir Spaß Arbeit ist nur Broterwerb Arbeit frustriert mich Rundungsdifferenzen möglich Die acht stärksten Belastungen im Job haben 2021 alle etwas er, 2020). Eine bewegte Pause, ein Yogakurs oder ein Zu- mit der Arbeitsgestaltung und mit der Arbeitsorganisation zu schuss für das Fitnessstudio ändern aber nichts an den tun Ob Arbeitsmenge, Termindruck, Störungen, Informati- Top-Belastungen wie Arbeitsmenge, Termindruck oder Stö- onsüberflutung, schlechte Arbeitsbedingungen, ungenaue rungen. Es kann deshalb gut sein, dass viele Präventions- Anweisungen, schlechte Ergonomie oder zu wenig Hand- maßnahmen in Deutschland bei der Stressbekämpfung lungsspielraum: An diesen Belastungen können die meisten am Arbeitsplatz wirkungslos sind, wenn sie die Arbeits- abhängig Beschäftigten wenig ändern, sofern sie nicht selber bedingungen nicht miteinbeziehen. Ausnahmen sind für eine Führungsposition innehaben. Das ist insofern problema- Stressmanagement- und Produktivitätskurse denkbar, aber tisch, als dass die überwiegende Mehrheit der gesundheitlichen schlussendlich liegt es vor allem in der Verantwortung der Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz in Deutschland am Arbeitgeberseite, die Arbeitsmenge, Taktung, Störungen, In- Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansetzt (Mey- formationsweitergabe, Arbeitsbedingungen und die Führung
24 Entspann dich, Deutschland! – Stress im Beruf Arbeitseinstellung und Stressempfinden hängen zusammen „Wie häufig fühlen Sie sich gestresst?“ 4 14 83 5 15 30 5% 44 22 % Arbeits- 36 Arbeitseinstellung (innerer Kreis) einstellung Arbeit frustriert mich 1 Arbeit ist nur Broterwerb Arbeit macht mir Spaß 72 % Stressempfinden (äußerer Kreis) 20 nie 49 selten manchmal häufig Angaben in Prozent; Rundungsdifferenzen möglich zu organisieren. Diese Befunde machen deutlich, dass eine verbundenen stärkeren Aussagekraft nur anhand der Belas- wirkungsvolle Stressprävention am Verhalten der Mitarbei- tungen gebildet, bei denen die Befragten angaben, dass sie tenden und an den Arbeitsverhältnissen ansetzen muss. Mit diese häufig (und eben nicht nur manchmal) erleben: Wäh- anderen Worten: Um die stärksten Belastungen der Erwerbs- rend die Top drei Belastungen im Vergleich zu 2016 unver- tätigen in Deutschland im Jahr 2021 zu reduzieren, braucht ändert geblieben sind, lag damals mangelnde Anerkennung es eine Stressprävention, die verhaltenspräventiv und (stär- noch auf Platz vier der Stressursachen im Job. 2021 liegt ker) verhältnispräventiv ausgerichtet ist. mangelnde Anerkennung nur noch auf dem dreizehnten Platz. Auf dem vierten Platz liegt 2021 die Informationsüberflu- Die Top-Stressoren im Job sind zu viel Arbeit, Termindruck tung. Positiv hervorzuheben ist, dass ungerechte Bezahlung, und Hetze Bei den spezifischen Belastungen bei der Arbeit berufliche Erreichbarkeit in der Freizeit und Probleme mit den haben wir eine Rangreihe der Belastungen gebildet, die be- Vorgesetzten 2021 die letzten Plätze unter den Belastungen rufstätige Menschen häufig (und nicht nur manchmal) im Job im Beruf einnehmen. Gerade bei den weichen Belastungen erleben. Ein knappes Drittel der erwerbstätigen Bevölke- mit Bezug zu Betriebsklima und Kommunikation wie Wert- rung (32,2 Prozent) erlebt häufig zu viel Arbeit, gefolgt schätzung und Führungskultur scheint sich in den letzten Jah- von häufigem Termindruck und Hetze (31,7 Prozent), häu- ren etwas getan zu haben; diese spielen 2021 nur noch eine figen Unterbrechungen und Störungen (28,3 Prozent), untergeordnete Rolle. Obwohl es auf den ersten Blick so häufiger Informationsüberflutung (22,5 Prozent) und aussieht, dass sich Männer und Frauen zumindest bei ihrer schlechten Arbeitsplatzbedingungen (19,4 Prozent). Die Wahrnehmung von Termindruck, Hetze und Informations- Rangreihe der stärksten Belastungen hat sich im Vergleich überflutung voneinander unterscheiden, sind die Unterschie- zur letzten Studie 2016 in einigen Punkten verändert – da- de in den Prozentwerten nicht statistisch bedeutsam. Zu- mals wurden allerdings noch Belastungen für die Rangreihe sammenfassend muss man hier festhalten, dass sich zusammengerechnet, die sowohl manchmal als auch häufig Männer und Frauen nicht darin unterscheiden, wie sie die auftraten. 2021 haben wir die Rangreihe aufgrund der damit Belastungen im Berufsalltrag wahrnehmen.
25 Zu viel Arbeit und Termindruck sind die Hauptbelastungen am Arbeitsplatz „Anteil der Personen, die angeben, häufig der jeweiligen Belastung ausgesetzt zu sein.“ 32 zu viel Arbeit 33 32 27 Termindruck, Hetze 35 32 28 Unterbrechungen und Störungen 28 28 27 Informationsüberflutung, z. B. durch 19 interne Anweisungen oder E−Mails 23 schlechte Arbeitsplatzbedingungen 21 wie hohe Lärmbelastung, Hitze oder 18 Kälte, schlechte Beleuchtung 19 18 ungenaue Anweisungen und 20 Vorgaben 19 18 nicht optimale Ergonomie im Home- 17 office, z. B. schlechter Sitzkomfort 17 14 zu wenig Handlungsspielraum 13 13 unzureichende Trennung von 14 Berufs− und Privatleben im 11 Homeoffice 12 13 schlechte Stimmung im Team 11 12 12 Probleme mit der Vereinbarkeit 10 von Beruf und Familie 11 13 Unterforderung 8 10 10 mangelnde Anerkennung der 10 eigenen Leistungen 10 12 ungerechte Bezahlung 8 9 Frauen beruflich erforderliche Erreichbarkeit 5 Männer auch in der Freizeit oder im Urlaub, 8 gesamt z. B. per E−Mail oder Handy 7 5 Probleme mit Vorgesetzten 4 5 10 20 30 40 % Mehrfachnennungen möglich
26 Entspann dich, Deutschland! – Stress im Beruf Die Risiken, die mit Stress bei der Arbeit verbunden sind, werden durch die weiteren negativen Stressfolgen, von de- nen die Deutschen berichten, deutlich. Knapp jede(r) Dritte Auswirkungen von Stress im Beruf Stress im Beruf ist ein hat das Gefühl, dass Familie und Freunde aufgrund der zweischneidiges Schwert: Er kann nicht nur negative For- Arbeitsbelastung oft zu kurz kommen. Diese Stressfolge lag men haben, sondern kann auch positiv erlebt werden. In der auch in den vergangenen Jahren auf dem dritten Platz. Der Literatur wird positiv konnotierter Stress als Eustress be- sich hinter dieser Stressfolge verbergende Konflikt zwischen zeichnet (Selye, 1974). Davon wird der negativ erlebte Stress Arbeit und Privatleben ist für die psychische Gesundheit be- als Distress bezeichnet. Eustress entsteht, wenn der Körper sonders relevant, da dieser Konflikt starke Zusammenhänge durch das Auftreten von Stressoren mit erhöhter Aktiviert- mit der sogenannten emotionalen Erschöpfung aufweist, heit reagiert, die Stressoren aber nicht als bedrohlich inter- einer Kernfacette des Burnouts (Meyer et al., 2021). Bei dem pretiert werden, sondern als Herausforderungen. Eustress Gefühl, dass Familie und Freunde aufgrund der Arbeit oft zu regt an und spornt zu hoher Leistung an. Eine klare Trennung kurz kommen, ist dieses Jahr allerdings eine positive Entwick- zwischen Eustress und Distress ist aber schwierig. Dass Eu- lung zu beobachten: Mit 29 Prozent war dieser Wert zehn stress im Beruf aber auch eine motivierende Wirkung haben Prozent kleiner als 2016. Vielleicht hat unter den Erwerbs- kann, erkennt man daran, dass fast die Hälfte der Befragten tätigen der starke Anstieg von mobiler Arbeit („Homeoffice“) (48 Prozent) sich von berufli- im Kontext der Coronapande- chem Stress angespornt fühlt. mie – ein Drittel der Erwerbs- Dieser Wert ist seit 2013 kon- stant; der mit 42 Prozent et- „Arbeit und Familie tätigen arbeitete 2021 ganz oder teilweise von zu Hause was niedrigere Wert 2016 unterscheidet sich statistisch lassen sich in 2021 besser aus (Meyer et al., 2021) – dazu geführt, dass zumindest die nicht von den Werten in den Jahren 2016 und 2021. miteinander vereinbaren Familien mehr Zeit miteinan- der verbringen. Bei dem Ge- Der Anteil derjenigen, die sich als in 2016“ fühl, in der Freizeit nicht richtig von der Arbeit abschalten zu durch ihre Arbeit oft abgear- können, gab es ebenfalls eine beitet und verbraucht fühlen, positive Entwicklung im Ver- liegt mit 42 Prozent ebenfalls in der selben Größenordnung gleich zu den vergangenen beiden Stressstudien: Der Anteil als in den Vorjahren. Man kann diese Zahlen so interpretieren, derjenigen, denen es abends oder am Wochenende nicht ge- dass Arbeit motivierenden und anspornenden Eustress und lingt, von der Arbeit abzuschalten, ist im Vergleich zu 2016 erschöpfenden verbrauchenden Disstress in ähnlichem Aus- um neun Prozent gesunken; auch das Abschalten im Urlaub maß produziert. Hier wird noch einmal deutlich, dass Arbeit gelingt im Vergleich zu 2016 zu zehn Prozent besser; die neben der Existenzsicherung für viele Menschen wichtige Unterschiede sind statistisch bedeutsam. Bei den Stressfolgen psychologische Funktionen erfüllt, aber eben gleichzeitig oft Konflikt zwischen Arbeit und Familie und außerhalb der zu Stress und Erschöpfung führt. Für die psychische Ge- Arbeit nicht abschalten können ist 2021 also eine deutliche sundheit ist Arbeit gleichzeitig Chance und Risiko. Um die Verbesserung im Vergleich zu den Vorjahren zu beobachten. psychische Gesundheit der Berufstätigen in Deutschland zu Die Zukunft muss hier zeigen, ob dieser positive Trend anhält. schützen, muss die Arbeit so gestaltet werden, dass die Chancen gestärkt und die Risiken minimiert werden. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren sind die Sorgen um die eigene berufliche Zukunft relativ stabil geblieben: 15 Prozent der Menschen machen sich Sorgen, dass sie das Arbeitstempo bald nicht mehr halten können; elf Prozent haben Angst um ihren Job. In beiden Bereichen gibt es keinen statistisch bedeutsamen Unterschied zu den Vorjahren.
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