Erfolgsfaktoren einer gelingenden Einbürgerungspraxis

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Erfolgsfaktoren einer gelingenden Einbürgerungspraxis
Erfolgsfaktoren einer
gelingenden
Einbürgerungspraxis
Expertise des wissenschaftlichen Stabs des Sachverständigenrats
für Integration und Migration im Auftrag der Beauftragten der
Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration

Verfasser: Nicholas Courtman und Jan Schneider
Zitiervorschlag:
Courtman, Nicholas/Schneider, Jan 2021: Erfolgsfaktoren einer gelingenden Einbürgerungspraxis.
Expertise für die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
Wissenschaftlicher Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Berlin.
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,

Deutschland ist ein vielfältiges und wirtschaftlich
erfolgreiches Land im Herzen Europas. Dazu hat
auch die Einwanderungsgeschichte maßgeblich
beigetragen. Heute gehören 21,2 Millionen Men-
schen mit familiärer Einwanderungsgeschich-
te zu unserer Gesellschaft. Das ist jede und jeder
Vierte in unserer Bevölkerung. Für viele von ih-
nen war Deutschland schon immer das Zuhause,
für andere ist es in den vergangenen Jahren dazu
geworden. Sie leben und arbeiten hier, ihre Kinder
wachsen hier auf und gehen zur Schule, hier ha-
ben sie Freunde, Bekannte und Kolleginnen und
Kollegen gefunden.

Teilhabe, Identifikation, Heimat – all das sind       Ein Vorhaben des Themenforums „Bedeutung
Bedürfnisse, die jeder Mensch kennt. Die deut-        von Einbürgerung“ ist die vorliegende Experti-
sche Staatsbürgerschaft ist Ausdruck für diesen       se. Sie untersucht im kommunalen Vergleich die
Wunsch und zugleich ein starkes Bekenntnis zu         Strukturen, Entwicklungsbedingungen und Ent-
unserer Gesellschaft, ihren Werten und demo-          wicklungschancen der Einbürgerungsverfahren
kratischen Institutionen. Wer sich bewusst für sie    in unserem Land. Sie gibt Antworten, gewonnen
entscheidet, erhält alle gesellschaftlichen und po-   aus der kommunalen Praxis, wie Informations-
litischen Rechte in Deutschland. Deshalb schafft      kampagnen zur Einbürgerung attraktiver und
die Staatsbürgerschaft nicht nur Zugehörigkeit,       Verwaltungsverfahren effizienter gestaltet wer-
sie festigt zugleich den Zusammenhalt in unse-        den können, damit mehr Frauen und Männer sich
rem Land.                                             mit Herz und Überzeugung zu Deutschland be-
                                                      kennen und den Weg zur deutschen Staatsbürger-
Bislang gehen nur wenige Menschen, die die ge-        schaft gehen.
setzlichen Voraussetzungen für die Staatsbürger-
schaft erfüllen und sich tagtäglich in unserem        Ich danke den Autoren der Expertise vom Sach-
Land einbringen, den Schritt der Einbürgerung.        verständigenrat für Integration und Migration
Die Einbürgerungszahlen in Deutschland stag-          für ihre Analyse und umfangreichen Empfehlun-
nieren seit Jahren auf niedrigem Niveau und sind      gen für Bund, Länder und Kommunen. Den Lese-
während der Corona-Pandemie nochmals rück-            rinnen und Lesern wünsche ich eine aufschluss-
läufig.                                               reiche Lektüre und hoffe, dass die Expertise einen
                                                      Beitrag zur Steigerung der Einbürgerungszah-
Die Bundesregierung hat deshalb im November           len und somit zum starken Zusammenhalt aller in
2020 eine Einbürgerungsoffensive beschlossen,         Deutschland lebenden Menschen mit und ohne
die gezielt für die Einbürgerung von gut integrier-   familiäre Einwanderungsgeschichte leistet.
ten Frauen und Männern wirbt und dazu beitra-
gen soll, das Zugehörigkeitsgefühl und die Wert-      Ihre
schätzung der Vielfalt in unserem Land weiter zu
fördern. Diesem Anliegen widmet sich auch der
Nationale Aktionsplan Integration der Bundes-
regierung mit vielen Vorhaben, um die Einbürge-       Annette Widmann-Mauz
rungspraxis in ganz Deutschland zu unterstützen.      Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin

                                                      Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
                                                      Flüchtlinge und Integration
ERFOLGSFAKTOREN EINER GELINGENDEN EINBÜRGERUNGSPRAXIS

Inhaltsverzeichnis
     Zusammenfassung ............................................................................................................................. 6

1 Einleitung und Hintergrund ........................................................................................................... 8

2 Determinanten der Einbürgerungsabsicht und Wirkungspotenziale
  von einbürgerungsfördernden Maßnahmen ........................................................................... 11

     2.1     Rechtliche Rahmenbedingungen ..............................................................................................................11

     2.2     Einbürgerungsverhalten verschiedener Herkunftsgruppen ..............................................................14

     2.3     Einbürgerungsabsicht und Einbürgerungsgeschehen:
             Weitere Determinanten und Einflussfaktoren ......................................................................................16

3 Einbürgerungsfördernde Maßnahmen: Kommunale Fallbeispiele .................................. 20

     3.1     Hamburg: Einbürgerungskampagnen unter idealen verwaltungsorganisatorischen
             und politischen Bedingungen? ...................................................................................................................20
             3.1.1        Ausgangslage und ergriffene Maßnahmen .................................................................................20
             3.1.2        Effekte der Maßnahmen ................................................................................................................. 23
             3.1.3        Analyse und Schlussfolgerungen ..................................................................................................23

     3.2     Berlin: Einbürgerungskampagne ohne personelle Aufstockung
             der Einbürgerungsbehörden .......................................................................................................................27
             3.2.1        Ausgangslage und ergriffene Maßnahmen .................................................................................27
             3.2.2        Effekte der Maßnahmen ................................................................................................................. 29
             3.2.3        Analyse und Schlussfolgerungen ..................................................................................................31

     3.3     München: Wirkungspotenziale von personeller Aufstockung und Digitalisierung
             der Verwaltung ................................................................................................................................................33
             3.3.1        Ausgangslage und ergriffene Maßnahmen .................................................................................33
             3.3.2        Effekte der Maßnahmen ................................................................................................................. 36
             3.3.3        Analyse und Schlussfolgerungen ..................................................................................................36

     3.4     Bonn: Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen und anderen staatlichen
             Stellen zur Förderung von Einbürgerung ................................................................................................38
             3.4.1        Ausgangslage und ergriffene Maßnahmen .................................................................................38
             3.4.2        Effekte der Maßnahmen ................................................................................................................. 42
             3.4.3        Analyse und Schlussfolgerungen ..................................................................................................42
INHALTSVERZEICHNIS

     3.5     Dresden: Kooperation mit Bildungseinrichtungen und Unternehmen .........................................44
             3.5.1         Ausgangslage und ergriffene Maßnahmen .................................................................................44
             3.5.2         Effekte der Maßnahmen ................................................................................................................. 47
             3.5.3         Analyse und Schlussfolgerungen ..................................................................................................48

     3.6     Landkreis Böblingen: Eigenständige kommunale Einbürgerungskampagne
             in einem Landkreis ........................................................................................................................................49
             3.6.1         Ausgangslage und ergriffene Maßnahmen .................................................................................49
             3.6.2         Effekte der Maßnahmen ................................................................................................................. 51
             3.6.3         Analyse und Schlussfolgerungen ..................................................................................................51

     3.7     Dithmarschen: Einbürgerungskampagne auf Landkreisebene in Verbindung
             mit einer landesweiten Kampagne ..............................................................................................................53
             3.7.1         Ausgangslage und ergriffene Maßnahmen .................................................................................53
             3.7.2         Effekte der Maßnahmen ................................................................................................................. 56
             3.7.3         Analyse und Schlussfolgerungen ..................................................................................................57

     3.8     Zwischenfazit: Wegweisende Praktiken – keine Patentrezepte .........................................................58

4 Handlungsempfehlungen für die Gestaltung von einbürgerungsfördernden
  Maßnahmen ....................................................................................................................................... 62

     4.1     Bundesebene ...................................................................................................................................................65

     4.2     Länderebene ....................................................................................................................................................67

     4.3     Kommunale Ebene ........................................................................................................................................68

     4.4     Fazit und Ausblick: Einbürgerungsoffensive im Mehrebenensystem .............................................70

     Anhang ................................................................................................................................................. 76

             Literatur ............................................................................................................................................................76

             Abbildungsverzeichnis .................................................................................................................................78

             Info-Boxen-Verzeichnis ...............................................................................................................................78

             Tabellenverzeichnis .......................................................................................................................................79

             Impressum .......................................................................................................................................................81
6                                                   ERFOLGSFAKTOREN EINER GELINGENDEN EINBÜRGERUNGSPRAXIS

Zusammenfassung
Der Einbürgerung kommt eine zentrale Rolle für           nen und Partner bzw. Netzwerke sowie (3) eine
die Teilhabe und Identifikation von Zuwanderin-          gute Ausstattung der Verwaltung. Darüber hinaus
nen und Zuwanderern mit dauerhafter Aufent-              verweist die Expertise (4) auf die Möglichkeit, eine
haltsperspektive zu. Wichtige Rechte und Pflich-         einheitlichere Rechtsanwendung etwa durch eine
ten aus verschiedenen Lebensbereichen sind an            aktualisierte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu
die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpft. Sie           befördern, die für mehr Klarheit und Transparenz
ist insbesondere Voraussetzung für die volle po-         sorgen könnte.
litische Teilhabe durch das aktive und das passi-
ve Wahlrecht. Doch die Einbürgerungszahlen in            (1) Die wirksamste Werbemaßnahme sind Brief-
Deutschland stagnieren seit vielen Jahren auf ei-        aktionen, mithilfe derer lange in Deutschland
nem im internationalen Vergleich niedrigen Ni-           lebende Ausländerinnen und Ausländer etwa
veau – und das obwohl viele Ausländerinnen und           durch die Amtsträgerinnen und Amtsträger
Ausländer längst die hohen Anforderungen erfül-          im Gemeindeamt sowie der Landkreisleitung
len, die an die deutsche Staatsangehörigkeit ge-         persönlich angeschrieben und zu einem Bera-
knüpft sind, die deutsche Sprache sprechen, für          tungsgespräch über die Einbürgerung eingela-
ihren Lebensunterhalt aufkommen und gut inte-            den werden. In allen Kommunen, in denen sol-
griert sind. Dabei können erhebliche zahlenmäßi-         che Briefaktionen stattfanden, nahm die Zahl der
ge Unterschiede sowohl zwischen den Ländern als          durchgeführten Beratungsgespräche, der gestell-
auch zwischen verschiedenen Kommunen inner-              ten Einbürgerungsanträge und der erfolgten Ein-
halb desselben Bundeslandes festgestellt werden.         bürgerungen zu. Auch andere Maßnahmen, die
                                                         auf eine direkte und persönliche Ansprache der
Wie lassen sich im Rahmen des geltenden Staats-          Zielgruppe setzten, erwiesen sich als wirksam: Zu
angehörigkeitsrechts die Einbürgerungszahlen er-         nennen ist hier ein Einbürgerungslotsenprojekt,
höhen? Was können Bund, Länder und Kommu-                bei dem die Einbürgerungsbehörde kontinuier-
nen tun, damit sich mehr Ausländerinnen und              lich mit einer Migrantenorganisation als Träge-
Ausländer, die alle Voraussetzungen erfüllen, für        rin der Maßnahme zusammenarbeitet, wodurch
die Einbürgerung entscheiden? Welches sind die           ein guter Zugang in die Communitys gewährleis-
zentralen Faktoren erfolgreicher Einbürgerungs-          tet wird.
kampagnen und welche Maßnahmen haben sich
auf kommunaler sowie Länderebene bewährt, um             (2) Für die Distribution aktueller, niedrigschwel-
das Einbürgerungspotenzial besser auszuschöpfen?         liger und zuverlässiger Informationen hat sich
                                                         die Kooperation mit den Ausländerbehörden be-
Die vorliegende Expertise wurde im Auftrag               währt. So wird in vielen Kommunen etwa bei der
der Beauftragten der Bundesregierung für Mi-             Erteilung einer Niederlassungserlaubnis durch die
gration, Flüchtlinge und Integration erstellt.           Ausländerbehörde ebenso auf die konkreten Ein-
Sie untersucht anhand von sieben kommuna-                bürgerungsmöglichkeiten hingewiesen.
len Fallbeispielen die Faktoren, die das örtliche
Einbürgerungsgeschehen bedingen, und analy-              Auch Informationsveranstaltungen der Behör-
siert Ansätze und Strategien der zuständigen Be-         den in Kooperation mit Akteuren aus Wissen-
hörden, es zu stimulieren. Dabei werden auch die         schaft, Forschung, Wirtschaft, Migrantenorga-
Schnittstellen der kommunalen Verwaltung mit             nisationen und Religionsgemeinschaften haben
der Landesebene in den Blick genommen.                   sich vielerorts bewährt; ebenso die Erörterung
                                                         der Thematik im Unterricht an weiterführenden
Die Expertise identifiziert Praktiken auf der Ebene      Schulen. Daneben liegt in der Digitalisierung ein
der Kommunen sowie der Länder, mit denen das             großes Potenzial für gute behördliche Praxis: Ne-
Einbürgerungsgeschehen positiv beeinflusst wer-          ben der Möglichkeit, online Informationen zu er-
den kann. Dazu gehören (1) Maßnahmen, die für            halten oder Termine zu buchen, kann dazu auch
die Einbürgerung und ihre Vorteile personalisiert        die unverbindliche webbasierte Prüfung der Vor-
„werben“, (2) die Distribution niedrigschwelliger        aussetzungen einer Einbürgerung gehören (Ein-
Informationen über unterschiedliche Partnerin-           bürgerungs-Quick-Check). So kann verständlich
ZUSAMMENFASSUNG                                                                                        7

über die Einbürgerung informiert und zu diesem          personalisierter Briefaktionen, um einbürge-
Schritt motiviert werden.                               rungsberechtigte Ausländerinnen und Auslän-
                                                        der für die Einbürgerung zu gewinnen.
(3) Damit Informations- und Werbemaßnahmen
ihre volle Wirkung entfalten können, ist die an-      Die Länder sollten
gemessene personelle Ausstattung der Einbür-
gerungsbehörden eine zentrale Voraussetzung.
Zahlreiche der für die Expertise befragten Einbür-
                                                      • Kommunen   durch eindeutige Vorgaben, Er-
                                                        fahrungsaustausche und Workshops zu Pro-
gerungsbehörden hatten teils erhebliche Schwie-         zess- und Serviceoptimierung sowie durch die
rigkeiten, offene Stellen zeitnah mit geeignetem        Entwicklung von Musterschreiben und andere
Personal zu besetzen. Das führte zu Antragsrück-        Materialien noch besser unterstützen;
ständen bzw. verlängerten Prüf- und Bearbei-
tungszeiten. Gerade im Zuge von Einbürgerungs-
kampagnen sollten Länder und Kommunen daher
                                                      • die Themen Einbürgerung und Staatsangehö-
                                                        rigkeit unter Nutzung entsprechender Hand-
rechtzeitig für Personalaufstockungen sorgen.           reichungen und Unterrichtsmaterialien stärker
                                                        im Schulkontext verankern;
(4) Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum
Staatsangehörigkeitsrecht wurde zuletzt 2001
aktualisiert und deckt die geltende Rechtsla-
                                                      • nutzerfreundliche   elektronische Angebote ent-
                                                        wickeln (digitaler Einbürgerungsantrag).
ge beim Thema Einbürgerung nur unzureichend
ab. Die anschließend veröffentlichten Vorläufi-       Für den Bund liegt es nahe,
gen Anwendungshinweise zum Staatsangehörig-
keitsgesetz bzw. ergänzende Rundschreiben des
zuständigen Bundesministeriums des Innern, für
                                                      • eine bundesweit einheitliche Anwendungs-
                                                        grundlage für das Einbürgerungsrecht durch
Bau und Heimat (BMI) sind für die Länder nicht          die Aktualisierung der Allgemeinen Verwal-
bindend. Dies hat eine teilweise divergierende          tungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht
Verordnungs- und Weisungslage in den Ländern            zu schaffen;
zur Folge und somit auch unterschiedliche Vor-
gaben zur Ermessensausübung bei der Einbürge-
rung. Eine Aktualisierung der Verwaltungsvor-
                                                      • auf dieser Basis den von Bayern und Nord-
                                                        rhein-Westfalen entwickelten Digitalen Ein-
schrift könnte zum einen die Rechtsanwendung            bürgerungs-Quick-Check für eine bundeswei-
stärker vereinheitlichen, zum anderen würde sie         te Einbürgerungsoffensive zu übernehmen und
Einbürgerungsinteressierten die Orientierung er-        weiterzuentwickeln;
leichtern.

Die Expertise kommt auf Grundlage dieser Analy-
                                                      • Foren des Erfahrungsaustausches über Maß-
                                                        nahmen und Praktiken zu organisieren, bei
se zu Handlungsempfehlungen, die sich an Kom-           denen sich unterschiedliche Stakeholder –
munen, Länder sowie den Bund richten.                   darunter Migrantenorganisationen, Einbürge-
                                                        rungsbehörden, Integrationsbeauftragte, Wis-
Dazu gehören für die Kommunen                           senschaft und Unternehmen – regelmäßig
                                                        begegnen;
• die formalisierte Einbindung verschiedener Be-
  hörden und Stellen (wie Ausländerbehörden,
  Integrationsbeauftragte oder Integrationsbei-
                                                      • eine „konzertierte Einbürgerungsoffensive“ un-
                                                        ter seiner Federführung durchzuführen. Hier-
  räte) in die lokale Informationspolitik sowie die     bei ist die Einbeziehung von Ländern und
  Schaffung oder Nutzung von Netzwerkstruk-             Kommunen sowie eine enge Abstimmung zen-
  turen;                                                tral, damit diese auch für die erforderlichen
                                                        Personalkapazitäten sorgen können, um gestei-
• die flexible und an die jeweiligen Kapazitäten
  angepasste Durchführung motivierender und
                                                        gerte Antragszahlen zu bearbeiten.
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1. Einleitung und Hintergrund
Die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammen-                          mokratiedefizit durch Unterinklusion führen –
halts und die Gestaltung der Integration von Zu-                       anders ausgedrückt: Staatliche Entscheidungen
gewanderten und Personen mit familiärer Ein-                           sind dann nicht hinreichend legitimiert (vgl. SVR
wanderungsgeschichte in Deutschland sind                               2021: 36).
zentrale Aufgaben der Bundesregierung. Ein
wichtiger Aspekt der Integrationspolitik, der aber                     Die Politik in Deutschland ist sich dieses Prob-
oft vernachlässigt wird, ist die Förderung poli-                       lems zunehmend bewusst, und die Bundesregie-
tischer Teilhabe (vgl. SVR-Forschungsbereich                           rung hat im Zuge der Phase V „Zusammenhalt
2020b: 6). Das aktive und passive Wahlrecht auf                        stärken – Zukunft gestalten“ des Nationalen Akti-
der Ebene des Bundes und der Länder erfordert                          onsplans Integration (NAP-I) im Rahmen des The-
in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich                        menforums „Bedeutung von Einbürgerung“ den
den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Das                      Zusammenhang zwischen Staatsangehörigkeits-
Staatsangehörigkeitsrecht und die Einbürgerung                         recht, Einbürgerungspraktiken und politischer In-
spielen dadurch in Bezug auf politische Integrati-                     tegration erörtert (Bundesregierung 2021: 62–71).
on eine Schlüsselrolle (SVR 2021: 36).                                 In einer Reihe von Workshops mit Vertreterin-
                                                                       nen und Vertretern von Bundesministerien, Lan-
Im Jahr 2020 lebten 5.045.415 Menschen mit aus-                        desministerien, kommunalen Einbürgerungsbe-
ländischer Staatsangehörigkeit bereits seit mehr                       hörden, Wissenschaft, Migrantenorganisationen
als zehn Jahren in Deutschland und erfüllten da-                       und der Freien Wohlfahrtspflege wurden im Hin-
mit eine zentrale Voraussetzung, nämlich die                           blick auf das Thema Einbürgerung und den Ein-
erforderliche Voraufenthaltszeit, für die Ein-                         bürgerungsprozess Erfahrungen und Empfehlun-
bürgerung.1 Das waren knapp 48 Prozent der Be-                         gen gesammelt und beraten. Übergeordnetes Ziel
völkerung ohne deutsche Staatsangehörigkeit                            des Themenforums war es, Wege zur Verbesse-
(Statistisches Bundesamt 2021a: 86–89). Im glei-                       rung des Einbürgerungsprozesses zu identifizie-
chen Jahr ließen sich jedoch nur 109.880 Perso-                        ren, um dadurch „deutlich mehr Ausländerinnen
nen einbürgern. Das sog. ausgeschöpfte Einbür-                         und Ausländer für die Einbürgerung zu gewin-
gerungspotenzial (aEP) betrug damit 2,2 Prozent                        nen“ (ebd.: 64).
(Statistisches Bundesamt 2021b: 14–15). Dies ist
sowohl anteilig (2019: 2,5 %) als auch in absolu-                      Zu diesem Ziel hatte sich die Bundesregierung zu-
ten Zahlen (2019: 128.905) ein deutlicher Rück-                        letzt auch im abschließenden Maßnahmenkatalog
gang gegenüber dem Vorjahr (Statistisches Bun-                         des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von
desamt 2021b: 14). Der aktuelle Rückgang muss                          Rechtsextremismus und Rassismus2 klar bekannt,
zwar auch vor dem Hintergrund der Corona-Pan-                          der im November 2020 veröffentlicht wurde. Als
demie und der damit verbundenen Komplikatio-                           eine Maßnahme, die u. a. in der Zuständigkeit der
nen für das Verwaltungshandeln gesehen werden,                         Beauftragten der Bundesregierung für Migrati-
jedoch sind die Einbürgerungszahlen seit Jah-                          on, Flüchtlinge und Integration fällt, ist darin eine
ren insgesamt niedrig. Aus demokratiepolitischer                       „Einbürgerungsoffensive“ vorgesehen. Diese soll
Sicht ist dieser Zustand unbefriedigend: Da in De-                     „gezielt für die Möglichkeit einer Einbürgerung
mokratien die Herrschaft vom Volk ausgeht, also                        werben, um gut integrierten Ausländerinnen und
durch den Wahlakt von Bürgerinnen und Bür-                             Ausländern, die [die] gesetzlichen Voraussetzun-
gern, sollte ein möglichst großer Teil der volljäh-                    gen erfüllen, die volle Teilhabe zu ermöglichen“
rigen und dauerhaft ansässigen Bevölkerung auch                        (Presse- und Informationsamt der Bundesregie-
die staatsbürgerlichen Rechte besitzen (vgl. Dahl                      rung 2020: 10).
1989: 108–114). Zudem kann dies zu einem De-

1   Eine Einbürgerung nach § 10 StAG erfordert i. d. R. nur acht Jahre Aufenthalt im Land. Um das ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial
    (aEP) zu errechnen, bezieht das Statistische Bundesamt jedoch die Zahl der Einbürgerungen in einem Jahr auf die Zahl der Ausländer-
    innen und Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren in Deutschland wohnen.
2   https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/kabinett-rechtsextremismus-1819828, zuletzt abgerufen am 15.06.2021
1. EINLEITUNG UND HINTERGRUND                                                                          9

Mit Blick auf diese beiden Vorhaben hat die Be-         (u. a. soziodemografische Merkmale und Zu-
auftragte der Bundesregierung für Migration,            sammensetzung der ausländischen Bevölke-
Flüchtlinge und Integration die vorliegende Ex-         rung) bestmöglich berücksichtigen?
pertise zur kommunalen Einbürgerungspraxis
und zu landesweiten und kommunalen einbür-           4. Wie müssen die verschiedenen föderalen Ebe-
gerungsfördernden Maßnahmen in Auftrag ge-              nen ineinandergreifen, damit sich die Poten-
geben. Sie soll auf der Basis von Fallstudien Ein-      ziale von Einbürgerungskampagnen optimal
blick in die kommunale Einbürgerungspraxis in           entfalten können?
Deutschland geben und vor allem Good-Practice-
Beispiele kommunaler und landesweiter Ein-           Methodische Herangehensweise
bürgerungspolitik und -praxis identifizieren. Das    Für die Erstellung der Studie wurde ein differen-
können Einbürgerungskampagnen in Verbindung          ziertes Fallstudien-Design gewählt. Dabei wur-
mit zusätzlichem Personaleinsatz bei den Behör-      den nach dem most different-Prinzip (Levy 2008)
den sein, aber auch niedrigschwellige Maßnah-        Fälle vergleichend analysiert, die im Hinblick auf
men im Bereich der Verwaltungsorganisation,          ausgewählte Merkmale eine möglichst große Va-
die darauf abzielen, mehr Menschen für die Ein-      rianz aufweisen. So kann beurteilt werden, wie
bürgerung zu gewinnen und damit die Einbürge-        bestimmte Maßnahmen in ihrem jeweiligen kom-
rungszahlen zu steigern. Die Expertise soll ebenso   munalen Kontext zur Dynamisierung des Ein-
dazu beitragen, Informationskampagnen zur Ein-       bürgerungsgeschehens beitragen. Entsprechend
bürgerung zu verbessern, und Anhaltspunkte da-       wurden bei der Fallauswahl nicht nur Unterschie-
für liefern, wie eine künftige bundesweite Kampa-    de in der konkreten Ausgestaltung von Kampag-
gne gestaltet werden kann.                           nen und Informationsmaßnahmen berücksich-
                                                     tigt, sondern auch regionale Spezifika, darunter
Leitfragen                                           die Diversität von Regionen und Kommunen (z. B.
Aus dem Arbeitsauftrag für die Expertise ergeben     Großstadt vs. Klein- oder Mittelstadt vs. Land-
sich vier übergeordnete Fragestellungen:             kreis) sowie Unterschiede in der Zusammenset-
                                                     zung der ausländischen Bevölkerung vor Ort.
1. Was kennzeichnet Kommunen, die das Ein-
   bürgerungspotenzial besonders gut ausschöp-       Die Fallauswahl erfolgte in zwei Schritten: der
   fen? Was prägt die dortigen Verwaltungsstruk-     Vorrecherche und der anschließenden Auswer-
   turen und -prozesse, welche Merkmale hat die      tung der Informationen. Zunächst wurden für je-
   ausländische Bevölkerung, wie sieht die Kam-      des Bundesland die potenziell relevantesten Fälle
   pagnenarbeit aus, wie und mit welcher quali-      von Einbürgerungskampagnen auf kommuna-
   tativen und quantitativen Ausstattung arbeiten    ler sowie Landesebene identifiziert. Dies erfolg-
   die Behörden, die dort für Einbürgerung zu-       te auf der Basis von Sekundärforschung und Li-
   ständig sind?                                     teraturrecherche, Hintergrundgesprächen mit
                                                     Akteurinnen und Akteuren aus der Praxis sowie
2. Welche Faktoren sind für den Erfolg von Ein-      einem systematischen Vergleich regionaler Ein-
   bürgerungskampagnen auf kommunaler Ebe-           bürgerungsstatistiken. Für Letzteren wurde beim
   ne maßgeblich? Was zeichnet Kampagnen aus,        Statistischen Bundesamt eine Sonderauswer-
   in deren Folge die Zahl der Einbürgerungen si-    tung zum ausgeschöpften Einbürgerungspoten-
   gnifikant ansteigt oder langfristig auf hohem     zial auf kommunaler Ebene für die Jahre 2011 bis
   Niveau bleibt?                                    2019 in Auftrag gegeben. Als Resultat der Vorre-
                                                     cherche wurden 31 Gebietskörperschaften iden-
3. Welche Spezifika sind entscheidend, um gelin-     tifiziert – darunter überwiegend kreisfreie Städ-
   gende Einbürgerungskampagnen auf Bundes-          te –, in denen die Einbürgerungsverwaltung
   und Landesebene zu planen und umzusetzen?         Einbürgerungskampagnen oder sonstige einbür-
   Wie können Einbürgerungskampagnen und             gerungsförderliche Maßnahmen eingesetzt hatte.
   sonstige einbürgerungsfördernde Maßnahmen         In einem zweiten Schritt wurden im Sinne mög-
   die jeweiligen kommunalen Gegebenheiten           lichst unterschiedlicher Fallprägungen sieben
10                                                              ERFOLGSFAKTOREN EINER GELINGENDEN EINBÜRGERUNGSPRAXIS

Kommunen ausgewählt, in denen sich beson-
ders gute bzw. lehrreiche Praktiken fanden; diese
wurden anschließend vertiefend analysiert. Diese
Auswahl wurde sowohl mit dem externen wissen-
schaftlichen Berater des Projekts, Prof. Dr. Diet-
rich Thränhardt,3 als auch mit dem Arbeitsstab
der Beauftragten der Bundesregierung für Migra-
tion, Flüchtlinge und Integration validiert.

Neben einer umfassenden inhaltlichen Recher-
che auf den kommunalen Webseiten sowie in ein-
schlägigen Dokumenten der jeweiligen Stadträ-
te und Kreistage bzw. der zuständigen Dezernate
oder Ämter wurde in jeder der sieben Kommunen
mindestens ein Hintergrundgespräch mit einer
Vertreterin oder einem Vertreter der Einbürge-
rungsbehörde – meist auf Leitungsebene – ge-
führt. Teilweise kam es zu mehrmaligen Telefona-
ten und Nachfragen, teilweise wurden ergänzende
Fragen schriftlich beantwortet. Um auch alterna-
tive Perspektiven auf das Einbürgerungsgesche-
hen vor Ort zu berücksichtigen, wurde zusätzlich
versucht, mit Vertreterinnen und Vertretern kom-
munaler oder landesweit aktiver Migrantenorga-
nisationen sowie mit Mitgliedern der jeweiligen
Ausländer-, Migrations- oder Integrationsbeirä-
te bzw. den kommunalen Integrationsbeauftrag-
ten zu sprechen. Weiterhin wurden mit den für
Staatsangehörigkeitsrecht zuständigen Referen-
tinnen und Referenten der Länder oder ggf. den
Leitungen der zuständigen Mittelbehörden Hin-
tergrundgespräche geführt.4 Alle Gespräche wur-
den stichwortartig protokolliert und anschließend
anonymisiert. Die daraus resultierenden Informa-
tionen und Einschätzungen flossen als maßgeb-
liche Quellen in die kommunalen Fallstudien ein.
Sämtliche Informationen und Sachdarstellungen,
die nicht ausschließlich Zahlen betreffen oder
durch Quellenangaben belegt werden, entstam-
men diesen Interviews.5

3    Die Autoren danken Herrn Prof. Dr. Dietrich Thränhardt für die fundierte und sachverständige Beratung sowie Antonia Below als
     studentische Hilfskraft für ihre Unterstützung im Projekt.
4    In vielen Bundesländern werden bestimmte Einbürgerungen weder von der kommunalen Einbürgerungsbehörde vorgenommen noch
     von dem für Staatsangehörigkeitsrecht zuständigen Ministerium, sondern von einer Mittelbehörde. In Hessen entscheiden die drei
     Regierungspräsidien als Mittelbehörden sogar über alle Einbürgerungsanträge (vgl. dazu unten Kap. 2.1).
5    Die Autoren dieser Expertise danken allen Gesprächspartnerinnen und -partnern für die sehr informativen und erhellenden Gespräche
     sowie für das Entgegenkommen und die zügige Beantwortung der im Vorfeld eingereichten und ggf. nachträglich gestellten Fragen.
2 DETERMINANTEN DER EINBÜRGERUNGSABSICHT UND WIRKUNGSPOTENZIALE                                                               11
  VON EINBÜRGERUNGSFÖRDERNDEN MASSNAHMEN

2 Determinanten der Einbürgerungs-
  absicht und Wirkungspotenziale von
  einbürgerungsfördernden Maßnahmen
Die Ergebnisse der bisherigen Forschung deuten                        Um eine einheitliche Anwendung des Staatsange-
darauf hin, dass die individuelle Einbürgerungs-                      hörigkeitsrechts sicherzustellen, kann der Bund
absicht und das allgemeine Einbürgerungsgesche-                       mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Ver-
hen in Deutschland von ganz unterschiedlichen                         waltungsvorschriften erlassen (Art. 84 Abs. 2 GG),
Faktoren bestimmt werden. Diese haben auf das                         die seine Ausführung verbindlich vorgeben. Für
jeweilige Einbürgerungsgeschehen vor Ort zwar                         die ersten fünf Jahrzehnte der Existenz der Bun-
zum Teil erhebliche Auswirkungen, sie lassen                          desrepublik gab es keine solche allgemeine Ver-
sich jedoch nur selten von einem Landkreis, ei-                       waltungsvorschrift für das Staatsangehörigkeits-
ner kreisfreien Stadt oder einem Bundesland be-                       recht: Von dieser Möglichkeit machte der Bund
einflussen. Im Folgenden werden die wichtigsten                       erst im Jahr 2000 Gebrauch, als er die Allgemeine
Faktoren und ihre Bedeutung für die kommuna-                          Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeits-
le und landesweite Einbürgerungspolitik zusam-                        recht (StAR-VwV) erließ, die im Februar 2001 in
mengefasst.                                                           Kraft trat. Da die StAR-VwV seit 2001 nicht mehr
                                                                      aktualisiert wurde und viele inzwischen einge-
                                                                      führte Änderungen im Staatsangehörigkeits-
2.1 Rechtliche Rahmen-                                                recht nicht berücksichtigt, ist sie „nur noch in Tei-
                                                                      len anwendbar“ (Hailbronner/Maaßen/Hecker/
    bedingungen                                                       Kau 2017: § 8 StAG Rn. 10). Die Vorläufigen An-
                                                                      wendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsge-
In der Bundesrepublik Deutschland wird das                            setz (VAH-StAG), die das BMI zuletzt im Jahr 2015
Staatsangehörigkeitsrecht vorwiegend durch das                        veröffentlicht hat,6 berücksichtigen die zwischen
Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) geregelt. Die-                      2004 und 2015 durchgeführten Änderungen. Die
ses Gesetz beruht in wesentlichen Teilen auf dem                      VAH-StAG sind aber keine Verwaltungsvorschrif-
Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913,                      ten, sie geben den Ländern lediglich unverbindli-
das seit seinem Inkrafttreten vielfach geändert                       che Hinweise, wie das Staatsangehörigkeitsrecht
wurde. Der Name des Gesetzes wurde im Zuge ei-                        einschließlich der jüngeren Änderungen anzu-
ner umfassenden Reform des Staatsangehörig-                           wenden ist (Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau
keitsrechts zur Jahrtausendwende geändert (SVR                        2017: Vorb StAG Rn. 4). Ein weiteres Mittel, das der
2021: 38). Staatsangehörigkeitsrecht ist Bundes-                      Bund verwendet, um die Ausführung des Staats-
recht, das von den Ländern als eigene Angelegen-                      angehörigkeitsrechts stärker zu vereinheitlichen,
heit ausgeführt wird (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3; Art. 83                   sind Rundschreiben des BMI an die Länderminis-
GG). Die einzige Staatsangehörigkeitsbehörde                          terien, die für das Staatsangehörigkeitsrecht zu-
auf Bundesebene ist das Bundesverwaltungsamt.                         ständig sind. Diese Rundschreiben sind jedoch
Als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des                         wie die VAH-StAG unverbindlich. Zudem sind sie
Bundesministeriums des Innern, für Bau und Hei-                       anders als die 2015 veröffentlichten VAH-StAG
mat (BMI) regelt es staatsangehörigkeits- und ein-                    nicht öffentlich einzusehen.
bürgerungsrechtliche Angelegenheiten von Per-
sonen mit Wohnsitz im Ausland (§§ 13–14 StAG).                        Zuständigkeiten in den Ländern
Für die Ausführung des Staatsangehörigkeits-                          Die für das Staatsangehörigkeitsrecht zuständi-
rechts im Inland sind allein die Länder zuständig                     gen Ministerien der Länder erlassen eigene Ver-
(§§ 8–10 StAG).                                                       waltungsvorschriften, Richtlinien und Rund-
                                                                      schreiben, die die Verwaltungsvorschriften und

6   Im Februar 2020 wurde eine Ergänzung der VAH-StAG auf der Webseite des BMI veröffentlicht. Diese bezog sich nur auf die
    Behandlung von Nachfahren von ehemaligen deutschen Staatsangehörigen bei Einbürgerung nach § 8 StAG.
12                                                               ERFOLGSFAKTOREN EINER GELINGENDEN EINBÜRGERUNGSPRAXIS

Anwendungshinweise des Bundes ergänzen,                                 Die meisten Einbürgerungen in Deutschland
konkretisieren und auslegen. Diese binden das                           werden über § 10 StAG durchgeführt, der einen
Verwaltungshandeln der mittleren und unte-                              Rechtsanspruch auf Einbürgerung gewährt, so-
ren Landesbehörden, die für die Ausführung des                          fern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zu
Staatsangehörigkeitsrechts zuständig sind. Wie                          diesen zählt ein rechtmäßiger gewöhnlicher Auf-
in Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsan-                           enthalt in Deutschland von i. d. R. acht Jahren
gelegenheiten die Zuständigkeiten und Entschei-                         (§ 10 Abs. 1 S. 1 StAG). Bei erfolgreichem Abschluss
dungskompetenzen zwischen obersten, mittle-                             eines Integrationskurses reduziert sich die Frist
ren und unteren Landesbehörden verteilt sind,                           auf sieben Jahre; bei Vorliegen besonderer Inte-
variiert zwischen den Bundesländern erheb-                              grationsleistungen kann sie sogar auf sechs Jah-
lich. In Brandenburg etwa liegt für alle Aspek-                         re verkürzt werden (§ 10 Abs. 3 StAG). Weitere Vo-
te des Staatsangehörigkeitsrechts die Ausführung                        raussetzungen sind: Deutschkenntnisse auf dem
bei den Staatsangehörigkeitsbehörden der Land-                          Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Refe-
kreise und kreisfreien Städte. Das für Staatsan-                        renzrahmens für Sprachen (§ 10 Abs. 4 StAG); die
gehörigkeitsangelegenheiten zuständige Minis-                           Kenntnis der Rechts- und Gesellschaftsordnung
terium hat die Fachaufsicht inne.7 In Thüringen                         (nachgewiesen durch einen bestandenen Einbür-
hingegen sind die Staatsangehörigkeitsbehörden                          gerungstest); die Fähigkeit, den Lebensunterhalt
der Landkreise und kreisfreien Städte nur für An-                       ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu
spruchseinbürgerungen zuständig; über Anträge                           bestreiten – es sei denn, ihre Inanspruchnahme
auf Ermessenseinbürgerungen entscheidet dage-                           ist nicht selbst zu vertreten (§ 10 Abs. 1 Nr. 3); und
gen das Thüringische Landesverwaltungsamt, das                          Straffreiheit mit Ausnahme geringfügiger Stra-
den Status einer mittleren Landesbehörde hat.8                          fen sowie Verfassungstreue. Darüber hinaus müs-
Trotz der Verwaltungsvorschriften, Erlasse, An-                         sen Antragstellende aus Drittstaaten bereit sein,
wendungshinweise und Rundschreiben des Bun-                             ihre alte Staatsangehörigkeit aufzugeben (Staats-
des und der obersten Landesbehörden wird das                            angehörige von EU-Mitgliedstaaten und der
Staatsangehörigkeitsrecht oft auch innerhalb ei-                        Schweiz müssen dies nicht). Mehrstaatigkeit wird
nes Bundeslandes unterschiedlich ausgelegt und                          bei dieser Einbürgerung nur bei Personen hin-
angewendet. Dies ist zum Teil auf die vielen un-                        genommen, denen die Entlassung aus der ande-
bestimmten Rechtsbegriffe im Staatsangehörig-                           ren Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht
keitsrecht zurückzuführen, die im Einzelfall auf                        zumutbar ist. Wie unten detaillierter ausgeführt
kommunaler Verwaltungsebene unterschiedlich                             wird, ist den Ausnahmen von der Regel ein eige-
ausgelegt und angewendet werden können.                                 ner Paragraf gewidmet (§ 12 StAG).10

Einbürgerung nach dem Staatsangehörig­                                  Zusammenfassend ist festzustellen, dass die An-
keitsgesetz                                                             forderungen ebenso vielfältig sind wie die Aus-
Welche Voraussetzungen in Deutschland lebende                           nahmen davon und dass das deutsche Staatsan-
Ausländerinnen und Ausländer für eine Einbür-                           gehörigkeitsrecht oft die Auslegung zahlreicher
gerung erfüllen müssen, ist in §§ 8–10 StAG gere-                       unbestimmter Rechtsbegriffe erfordert. Ob z. B.
gelt.9 § 8 StAG regelt die Ermessenseinbürgerung,                       eine antragstellende Person die Inanspruchnah-
§ 9 StAG die Einbürgerung von Ehegatten deut-                           me von Sozialleistungen selbst zu vertreten hat,
scher Staatsangehöriger und § 10 StAG die An-                           ist ein auslegungsbedürftiger Tatbestand, den die
spruchseinbürgerung.                                                    Einbürgerungsbehörde „selbständig und eigen-

7    Gesetz über die Zuständigkeit in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten vom 10. September 2013, GVBl. für das Land Brandenburg I, S. 1.
8    Thüringer Verordnung zur Bestimmung von Zuständigkeiten im Geschäftsbereich des Innenministeriums vom 15. April 2008, GVBl.
     für den Freistaat Thüringen, S. 102.
9    Die Einbürgerungsmöglichkeiten von Ausländerinnen und Ausländern mit Wohnsitz im Ausland sind in §§ 13–14 StAG geregelt.
10 Tatsächlich wird seit Jahren bei über der Hälfte aller jährlichen Einbürgerungen Mehrstaatigkeit hingenommen. 2020 waren es
   63 Prozent aller Einbürgerungen (Statistisches Bundesamt 2021b: 129).
2 DETERMINANTEN DER EINBÜRGERUNGSABSICHT UND WIRKUNGSPOTENZIALE                                                                    13
  VON EINBÜRGERUNGSFÖRDERNDEN MASSNAHMEN

verantwortlich“ prüfen kann (Hailbronner/Maa-                         wenn die betreffende Person sie nicht selbst zu
ßen/Hecker/Kau 2017: StAG § 10 Rn. 42). Die Ein-                      vertreten hat (§ 8 StAG S. 1 Abs. 4; Hailbronner/
bürgerungsbehörden gehen bei dieser Prüfung                           Maaßen/Hecker/Kau 2017: § 8 StAG Rn. 37).12
jedoch zum Teil sehr unterschiedlich vor. Im                          Viele der Voraussetzungen in § 8 StAG sind
nordrhein-westfälischen Landkreis Düren bei-                          nicht gesetzlich normiert, ihre Bewertung erfor-
spielsweise wird eine Standardabfrage beim zu-                        dert eine Auslegung durch die jeweils zuständi-
ständigen Jobcenter durchgeführt, ob gegen die                        ge Behörde. Dadurch gibt es in einigen Punkten
betreffende Person Sanktionen wegen mangeln-                          mehr Flexibilität als bei Einbürgerungen nach
der Mitwirkung bei der Jobsuche verhängt wur-                         § 10 StAG. In § 8 StAG sind auch Erleichterungen
den. In anderen Kreisen und kreisfreien Städten                       für bestimmte Personengruppen oder Anwen-
in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundes-                         dungsfälle vorgeschrieben: Anerkannte Flücht-
ländern müssen Antragstellende hingegen weitere                       linge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonventi-
Nachweise vorlegen. Üblich ist auch eine Progno-                      on z. B. können nach sechs Jahren Aufenthalt in
se darüber, ob der oder die Antragstellende in Zu-                    Deutschland eingebürgert werden (StAR-VwV
kunft auf Sozialleistungen angewiesen sein könn-                      Nr. 8.1.3.1), sofern sie die sonstigen dort genann-
te (Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau 2017: § 10                          ten Voraussetzungen erfüllen – nach § 10 StAG
StAG Rn. 36). Eine solche prognostische Prüfung                       ist dies hingegen nur bei besonderen Integrati-
ist weder in der StAR-VwV noch in den VAH-StAG                        onsleistungen möglich.
vorgesehen, sie hat sich vielmehr als Ergebnis des
behördlichen Handelns und der Rechtsprechung                          Ein wichtiger Bereich, in dem §§ 8 und 10 StAG
seit den späten 1990er Jahren entwickelt (vgl. Hof-                   eine unterschiedliche Praxis ermöglichen, ist
mann/Oberhäuser 2013).11                                              die Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei der Ein-
                                                                      bürgerung. Nach beiden Paragrafen sollte Mehr-
Neben dem Einbürgerungsanspruch nach § 10                             staatigkeit grundsätzlich vermieden werden (§ 10
StAG gibt es auch die Möglichkeit, eine Ermes-                        Abs. 1 Nr. 4 StAG; StAR-VwV Nr. 8.1.2.6; VAH-StAG
senseinbürgerung nach §§ 8 oder 9 StAG zu be-                         8.1.2.6.3). Für Einbürgerungen nach § 10 StAG re-
antragen. § 9 StAG regelt die Einbürgerungsmög-                       gelt § 12 abschließend Ausnahmen von diesem
lichkeiten von Ausländerinnen und Ausländern,                         Grundsatz: Danach dürfen Staatsangehörige von
die mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet                       EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz bei der Ein-
sind oder in einer eingetragenen Partnerschaft                        bürgerung ihre bisherige Staatsangehörigkeit bei-
leben. Für sie ist die notwendige Aufenthalts-                        behalten. Für Angehörige von Drittstaaten ist
dauer im Land auf drei Jahre reduziert, wenn die                      dies nur in Ausnahmefällen möglich, insbesonde-
eheliche Lebensgemeinschaft oder Lebenspart-                          re, wenn die Aufgabe der Staatsangehörigkeit im
nerschaft seit mindestens drei Jahren besteht                         Recht des ausländischen Staates nicht vorgesehen
(Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau 2017: § 9                              oder de facto nicht durchführbar ist oder wenn
StAG Rn. 20). Ausländerinnen und Ausländer, die                       dieser Staat einen gestellten Entlassungsantrag
nicht mit deutschen Staatsangehörigen verhei-                         über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht be-
ratet oder verpartnert sind, können eine Ermes-                       scheidet (§ 12 Abs. 1 StAG). Bei einer Einbürgerung
senseinbürgerung nach § 8 StAG beantragen. Da-                        nach § 8 StAG kann auch jenseits solcher Fälle
für gelten zum Teil höhere Voraussetzungen als                        Mehrstaatigkeit hingenommen werden, sofern an
für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG;                        der Einbürgerung der antragstellenden Person ein
so ist die Inanspruchnahme von Sozialleistungen                       besonderes öffentliches Interesse besteht. Hinwei-
bei § 8 ein härteres Ausschlusskriterium, auch                        se zur Beurteilung des öffentlichen Interesses und

11 Antragstellende, die trotz einer Erwerbstätigkeit auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, Geringverdienende,
   die keine Sozialleistungen bekommen, sowie Antragstellende mit befristeten Arbeitsverträgen bestehen diese prognostische Prüfung
   oftmals nicht (Lämmermann 2013: 57; vgl. auch Manhart 2012: 239). Auch für Selbständige mit schwankenden Einkünften kann es
   schwierig sein, das Kriterium der Unterhaltsfähigkeit zu erfüllen, selbst wenn sie keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen.
12 Von dieser Voraussetzung kann bei § 8 StAG zur Vermeidung einer besonderen Härte oder aus Gründen des öffentlichen Interesses
   abgesehen werden.
14                                                                ERFOLGSFAKTOREN EINER GELINGENDEN EINBÜRGERUNGSPRAXIS

entsprechenden Ausnahmen bei der Hinnahme                                sich bei Personen mit ausgeprägter Doppeliden-
von Mehrstaatigkeit finden sich zum Teil in den                          tität Zugehörigkeits- bzw. Loyalitätskonflikte er-
VAH-StAG und StAR-VwV, zum Teil durch unver-                             geben können (Sauer 2019: 30–31; vgl. auch Wun-
öffentlichte Rundschreiben.                                              derlich 2005: 141–142).

Ob bei der Einbürgerung Mehrstaatigkeit hin-
genommen wird, hat auf das Einbürgerungsge-
schehen in Deutschland erheblichen Einfluss. So
                                                                         2.2 Einbürgerungsverhalten
haben verschiedene Studien ermittelt, dass die                               verschiedener Herkunfts-
Bedingung, bei der Einbürgerung die bisherige                                gruppen
Staatsangehörigkeit aufzugeben, die individuelle
Einbürgerungsbereitschaft von Ausländerinnen                             Die Wirksamkeit kommunaler Maßnahmen zur
und Ausländern am stärksten mindert (Wein-                               Förderung der Einbürgerung wird auch erheblich
mann et al. 2012: 262–267; Thränhardt 2017: 33;                          davon beeinflusst, wie sich die ausländische Be-
Sauer 2019: 17; Anschau/Vortmann 2020: 86).                              völkerung vor Ort jeweils zusammensetzt. So zei-
Dies kann sowohl praktische als auch identifi-                           gen Angehörige von EU-Mitgliedstaaten in der
katorisch-emotionale Gründe haben. So geht                               Regel weniger Interesse an der Einbürgerung
die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit                           als Drittstaatsangehörige, denn durch die Uni-
mit dem Verlust von Rechten einher, etwa dem                             onsmitgliedschaft genießen sie bereits fast alle
Wahlrecht im Land der bisherigen Staatsange-                             staatsbürgerlichen Rechte, die deutsche Staats-
hörigkeit. Zudem erschwert sie Einreise und Auf-                         angehörige haben (Worbs 2008: 38-40; SVR 2021:
enthalt in dem betreffenden Staat und kann Erb-                          38-40). Eine Ausnahme bilden hier Staatsange-
schaftsangelegenheiten verkomplizieren. Nicht                            hörige ‚neuer‘ EU-Mitgliedstaaten wie Rumäni-
zuletzt kann die Entlassung aus der bisherigen                           en, Polen oder Bulgarien (vgl. Kovacheva 2021:
Staatsangehörigkeit für die Antragstellenden mit                         155–189; Thränhardt 2017: 14). Auch innerhalb
erheblichem Aufwand (Reisen) und hohen Kos-                              der Gruppe der Drittstaatsangehörigen variiert
ten verbunden sein, die die Grenze des nach § 12                         das Einbürgerungsinteresse; entsprechend ist die
Abs. 1 Nr. 5 StAG Unzumutbaren nicht über-                               Einbürgerungsaktivität stark herkunftslandspezi-
schreiten.13                                                             fisch. Türkische Staatsangehörige in Deutschland
                                                                         lassen sich z. B. relativ selten einbürgern (Wit-
Jenseits der materiellen Faktoren kann die Aufga-                        te 2018), was damit zusammenhängt, dass sie in
be der bisherigen Staatsangehörigkeit auch einen                         der Regel ihre türkische Staatsangehörigkeit bei
emotional herausfordernden Akt bedeuten (vgl.                            Einbürgerung aufgeben müssen (vgl. Thränhardt
Diehl/Blohm 2008; Witte 2018). Der Grundsatz                             2017: 17).14 Staatsangehörige anderer Länder wie
der Vermeidung von Mehrstaatigkeit kann daher                            Iran oder Afghanistan, bei denen Mehrstaatigkeit
bei einbürgerungsberechtigten Ausländerinnen                             bei der Einbürgerung grundsätzlich hingenom-
und Ausländern die Bereitschaft zur Einbürge-                            men wird,15 haben ein viel stärkeres Interesse an
rung hemmen (vgl. Weinmann et al. 2012: 252), da                         einer Einbürgerung (Weinmann et al. 2012: 280).

13 Diese Unzumutbarkeitsgrenze ist gemäß der Vorläufigen Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsrecht erreicht, wenn die
   Gebühren ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen der einzubürgernden Person überschreiten und mindestens 1.278 Euro
   betragen. So müssen US-amerikanische Staatsangehörige beispielsweise 2.350 US-Dollar zahlen, um aus ihrer Staatsangehörigkeit
   entlassen zu werden (Thränhardt 2017: 11).
14 Seit 2009 können türkische Staatsangehörige allerdings bei der Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit zwecks Annahme
   einer neuen Staatsangehörigkeit eine „blaue Karte“ (mavi kart) beantragen, die ihnen in der Türkei fast alle staatsbürgerlichen Rechte
   einräumt, mit Ausnahme des aktiven und passiven Wahlrechts.
15 Die Vorläufigen Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz (VAH-StAG) geben vor, dass bei der Einbürgerung von
   iranischen und afghanischen Staatsangehörigen Mehrstaatigkeit grundsätzlich hingenommen wird, weil eine Entlassung aus der
   Staatsangehörigkeit dieser Länder faktisch unmöglich ist (Nr. 12.1.2.2 VAH-StAG). Irak wird in den VAH-StAG von 2015 nicht als eines
   der Länder genannt, bei denen Mehrstaatigkeit grundsätzlich zu akzeptieren ist. Mehrere Bundesländer nehmen sie bei der Einbür-
   gerung irakischer Staatsangehöriger jedoch hin, weil es sehr schwierig wäre, die für die Entlassung nötigen Unterlagen zu beschaffen
   (Statistisches Bundesamt 2021: 4).
2 DETERMINANTEN DER EINBÜRGERUNGSABSICHT UND WIRKUNGSPOTENZIALE                                                                        15
  VON EINBÜRGERUNGSFÖRDERNDEN MASSNAHMEN

Dies zeigt sich an den großen Unterschieden im                        den Landkreis noch für die kreisfreie Stadt Olden-
ausgeschöpften Einbürgerungspotenzial (aEP)16                         burg festgestellt werden, dass dort besondere ein-
nach (bisheriger) Staatsangehörigkeit (Tab. 1).17                     bürgerungsfördernde Maßnahmen umgesetzt
                                                                      würden. Zwar veranstalteten beide Kommunen
Die sehr unterschiedlichen Verhaltensmuster zei-                      bis zum Beginn der Corona-Pandemie regelmä-
gen, dass die Intensität des kommunalen Einbür-                       ßig Einbürgerungsfeiern, zu denen Vertreterinnen
gerungsgeschehens nicht nur ein Resultat be-                          und Vertreter der Presse und andere Multiplikato-
hördlichen Handelns ist, sondern oftmals auch                         rinnen und Multiplikatoren eingeladen wurden,
auf die Zusammensetzung der ausländischen Be-                         um die Wertschätzung der Einbürgerung nach au-
völkerung vor Ort zurückzuführen ist.                                 ßen zu betonen und mittelbar für Einbürgerung
                                                                      zu werben. Darüber hinausgehende informie-
Dies lässt sich besonders deutlich am Beispiel der                    rende oder aktiv werbende Maßnahmen wie z. B.
Region Oldenburg aufzeigen. Sowohl beim Land-                         Briefaktionen, Plakatwerbung oder Kooperation
kreis Oldenburg als auch bei der kreisfreien Stadt                    mit nichtstaatlichen Organisationen oder Migran-
liegt das aEP weit über dem Bundes- und dem                           tenselbstorganisationen wurden jedoch nicht er-
niedersächsischen Landesdurchschnitt (Abb. 1).                        griffen.

Dieses außergewöhnlich hohe aEP könnte als In-                        Vielmehr wirkt sich die Zusammensetzung der
diz für eine besonders erfolgreiche aktive kom-                       ausländischen Bevölkerung günstig auf die Ein-
munale Einbürgerungspolitik interpretiert                             bürgerungszahlen aus, wie die Mitarbeitenden der
werden. Tatsächlich konnte im Rahmen der Re-                          örtlichen Einbürgerungsbehörden bestätigten.
cherchen für die vorliegende Expertise weder für                      In der Stadt Oldenburg ist die irakisch-jesidische

Tab. 1: Ausgeschöpftes Einbürgerungspotenzial (in Prozent) nach Staatsangehörigkeit, 2011–2020
(ausgewählte, quantitativ bedeutsame Staatsangehörigkeiten)

                     2011        2012        2013       2014        2015        2016        2017       2018        2019        2020

 Afghanistan          10,3         9,7        11,1       11,5        10,5       10,8        11,0        12,4        12,8        13,2

 Bulgarien            10,9        10,1         9,2        7,7         6,6         6,3        6,3         4,9         4,7         4,0

 Irak                 21,0        12,2        10,0        9,9        11,1       11,7        11,5        13,0        13,3        11,9

 Iran                  9,3         8,3         8,6        8,7         9,0         9,8       10,3        12,2        15,5        16,3

 Italien               0,4         0,5         0,6        0,7         0,7         0,8        0,9         0,9         1,0         0,9

 Nigeria              14,0        12,5        12,4       11,3        12,1       11,3        10,2        11,0        10,7         9,7

 Rumänien              7,6         6,8         6,5        6,1         6,5         7,8        8,3         6,9         8,2         7,4

 Syrien               11,6         9,4         9,4       10,7        11,5       12,5        13,7        16,0        19,7      38,417

 Türkei                2,0         2,3         2,0        1,6         1,4         1,2        1,1         1,2         1,2         0,9
 Vereinigtes
                       0,4         0,4         0,6        0,7         0,9         3,9       10,0         8,9        22,7         8,9
 Königreich

Quelle: Statistisches Bundesamt 2017: 21–29; 2021b

16 Das ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial (aEP) bezieht die Zahl der Einbürgerungen eines Jahres auf die Zahl der Ausländerinnen
   und Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben. Es wird davon ausgegangen, dass die Mehrheit dieser Auslände-
   rinnen und Ausländer die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach § 10 StAG erfüllt. Diese Annahme trifft nicht in
   jedem Einzelfall zu, gibt aber ein zutreffendes Gesamtbild (Statistisches Bundesamt 2021b: 7).
17 Viele der syrischen Staatsangehörigen in Deutschland sind anerkannte Flüchtlinge und können dadurch oft schon nach sechs Jahren
   eingebürgert werden. So ist dieses extrem hohe aEP wohl eine nach oben verzerrte Statistik.
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