KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
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34. Ausgabe ▪ Seite 3 ▪ Seite 6 ▪ Seite 23 Weihnachten unter Neue Rituale Zugang zum Pandemie-Bedingungen braucht das Land Allerheiligsten KIRCHEN ZEITUNG Archivfoto: Tobias Tiltscher; Montage: dariaustiugova /Adobe Stock, BNN Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Karlsruhe und der Katholischen Kirche Karlsruhe vom 27. November 2020.
2 KIRCHEN ZEITUNG 34. Ausgabe | 27. November 2020 Rituale geben Sicherheit und laden zum Nachdenken ein A uf der Titelseite sind der Nikolaus und der Weihnachtsmann in vertrau- ter Zweisamkeit zu sehen. Der eine geht Liebe Leserinnen und Leser, „Rituale“ sind das Thema unserer Weihnachtsausgabe der Kirchenzeitung, ser Zeit durch das Corona-Virus (mit-)be- stimmt. Sie verändern sich. Überall dort, wo Rituale mit anderen Menschen zu tun auf den Bischof von Myra im 3. Jahrhun- und die Beiträge, die wir in der Redaktion haben, werden sie eingeschränkt, behin- dert zurück, der andere ist für uns die aufgeteilt haben und mit denen wir aus dert, sprachlos gemacht. Vielleicht lernen Symbolfigur weihnachtlichen Schen- ganz unterschiedlicher Sichtweise auf Sie aber auch neue Rituale des Begrü- kens. Mit beiden verbinden wir bestimm- Rituale schauen wollen, zeigen, dass Ri- ßens, ein intensiveres Wahrnehmen des te Rituale. Sie stehen für eine dem tuale Sicherheit geben und zum Nach- Gegenübers, eine behutsamere Vorge- Hans-Gerd Köhler Foto: CVka Menschen zugewandte Haltung. Ihre denken einladen. Wir schauen dabei nicht hensweise, einen achtsameren Umgang Herkunft könnte aber nicht unterschiedli- nur auf religiöse Rituale, sondern gehen kennen und schätzen. cher sein. Kam der Nikolaus mit Mitra Ritualen in ganz unterschiedlichen ge- Wir wünschen Ihnen beim Lesen die- weiter Aufgabe der Kirchenzeitung und früher am 06. Dezember abends in die Fa- sellschaftlichen Zusammenhängen auf ser Ausgabe Interesse an vielen, viel- des Redaktionsteams bleiben, Sie mit milien hinein, verteilte Lob und Tadel, die Spur. Rituale bei Gebeten und Gesän- leicht bisher unbekannten Seiten des vielen unterschiedlichen und interessan- um am Schluss dann doch seinen Sack gen werden genauso thematisiert wie Ri- Themas und der weiteren Beiträge die- ten Facetten von Kirche bekanntzuma- mit Süßigkeiten aufzumachen, ver- tuale bei einem Bestatter, in der Kinder- ser Ausgabe. chen und zum Nachdenken anzuregen. schenkte der Weihnachtsmann mit wal- tagesstätte oder in der Familie. Wir laden Zum Schluss möchte ich mich aus So wünsche ich Ihnen alles Gute und lendem, weißen Bart und Mütze fröhlich Sie ein, bei sich selbst zu schauen, welche dem Kreis des Redaktionsteams und bei großes Interesse an dieser und den fol- Geschenke an Groß und Klein, ein Ritual, Rituale bei Ihnen eine Rolle spielen, wel- Ihnen verabschieden. Für mich wird es genden Ausgaben der Kirchenzeitung. das sich mit den Jahren verändert hat. Die che Herkunft sie haben und welche Wich- Zeit, in den Ruhestand zu gehen. Ich ha- Bleiben Sie gesund und zuversichtlich. Unterschiede sind verwaschen und allzu tigkeit sie für Sie haben. Und wir merken be sehr gerne von Anfang an in diesem oft werden die Akteure verwechselt. ganz aktuell: Viele Rituale werden in die- engagierten Team mitgearbeitet. Es wird Ihr Hans-Gerd Köhler ▪ Impressum Die Kirchenzeitung Corona oder Klima? Die Kirchenzeitung ist eine Beilage der Badischen Neuesten Nachrich- ten (BNN), der Evangelischen Kir- G lobal sind alle betroffen, wenn auch in unterschiedlicher Wei- se. Die vertrauten nationalen Gren- kühlung zwischendurch unter die Dusche schicken. Und weil man- che Katastrophen wie das Auftau- che in Karlsruhe und der Katholi- zen bieten keinen Schutz. Entspre- en der sogenannten Permafrostbö- schen Kirche Karlsruhe. chend unterstützen viele Staaten den und arktischer Gletscher, das sich gegenseitig mit internationalen Brennen riesiger Moore in Sibirien Ein Bild aus vergangenen Tagen: Übereinkünften zugunsten der Da- und lateinamerikanischer Regen- Weihnachtsmann und Nikolaus seinsvorsorge. Einige allerdings, wälder, das Austrocknen gewalti- stehen Arm in Arm vor der Kir- bedauerlicherweise große und ent- ger Seen wie dem Aralsee oder che St. Stephan. Eine Advents- sprechend wichtige Staaten, sche- dem Toten Meer mitsamt all der und Weihnachtszeit, wie wir es ren aus den allgemeinen Bemühun- furchtbaren Folgen, die sich daran bisher kannten, wird es in diesem gen aus. Zulasten der Menschen anschließen, wegen ihrer Perma- Jahr nicht geben. Selbst mit Mas- auch in anderen Erdteilen. Verant- nenz nicht mal mehr in den an ken, die inzwischen ein Muss sind, wortungsbewusste Politikerinnen Neuigkeiten orientierten Nachrich- ist Nähe nur in Ausnahmefällen und Politiker aber stimmen darin ten kommen. möglich. überein, dass denjenigen, die bereits Auch wenn unter Corona-Bedin- schwere wirtschaftliche Verluste gungen die Fridays-for-Future-De- haben hinnehmen müssen, geholfen monstrationen abbröckeln mussten n Redaktion: werden muss. Denn die Folgen von – ihr Anliegen macht keine Pause Evangelische Kirche in Karlsruhe: Thomas Schalla (ts), weiteren Versäumnissen können in Coronazeiten. Markus Mickein (mm), Kira Busch-Wagner (kbw) täglich die weltweite Herausforde- Vielmehr müsste man die Coro- Katholische Kirche Dekanat Karlsruhe: Hubert Streckert (hs), rung um ein Vielfaches potenzieren. nakrise schnellstens als Blaupause Tobias Tiltscher (tt), Hans-Gerd Köhler (hgk), Björn Schmid (bs) Nein, es ist hier nicht die Rede nehmen: für unsere globale Vernet- n Redaktionsleitung: Martina Erhard (me) von Corona. Es ist die Rede zung, für die Dringlichkeit in Sa- n Titelbild: Tobias Tiltscher, Montage: dariaustiugova / Adobe Stock, BNN vom menschengemachten, viel zu chen Klimaschutz, für das Pro- n Anschrift der Redaktion: schnellen Klimawandel so schnell blem, Informationen aufzunehmen Kirchenzeitung, Evangelisches Dekanat Karlsruhe, und so massiv, dass viele Arten sich und sie adäquat zu bearbeiten, für Reinhold-Frank-Straße 48, 76133 Karlsruhe nicht anpassen können. Dass Inseln ökonomische, lebensbedrohliche E-Mail: kirchenzeitung-karlsruhe@gmx.de v.i.S.d.P. Hubert Streckert heute schon untergehen. So schnell, Not, die wir alle auf viele Men- Die Redaktion freut sich über Rückmeldungen und Leserbriefe. dass uns in immer engeren Folgen schen zukommen sehen und für die Die nächste Ausgabe erscheint am 26. März 2021 Unwetter, Stürme, Wetterstürze Notwendigkeit, ihr zu begegnen, (Redaktionsschluss: 26. Februar 2021). sowie riesige Niederschlagsmengen für gezielte Forschung und Wis- n Anzeigenleitung: Ulf Spannagel in kürzester Zeit überraschen. senschaft, die sich nicht einfach am n Satz und Druck: Badische Neueste Nachrichten Dass sich in unsere politischen Markt orientiert, für demokrati- n Die Kirchenbezirke im Internet: Landkarten bereits heute Völker- sche, politische Begleitung, für ge- www.ev-kirche-ka.de; www.kath-karlsruhe.de wanderungen des 21. Jahrhunderts genseitige Verantwortung welt- einzeichnen lassen, Völkerwande- weit. Die Themen „Corona“ und rungen von Flüchtlingen aus Klima- „Klima“ lösen sich nicht ab. Multi- gründen. Es ist die Rede von tasking, also Arbeit an mehreren der Überhitzung der Erde, die ins- Baustellen gleichzeitig, ist keine gesamt immer noch hingenommen Option, sondern notwendige wird, als könne man sie zur Ab- Pflicht. Kira Busch-Wagner
34. Ausgabe | 27. November 2020 KIRCHEN ZEITUNG 3 Weihnachten unter Pandemie-Bedingungen Die Corona-Pandemie zwingt uns dazu, eingespielte Riten zu überdenken und zu verändern A lle Jahre wieder kommen die lieb- gewordenen Riten und Rituale in der Advents- und Weihnachtszeit: Die Viele Textstellen in den Evangelien im Neuen Testament beschäftigen sich mit der Auseinandersetzung Jesu mit den Weihnachtsfeier im Geschäft, das After- Ritualen und Vorschriften, deren strenge Work-Glühwein-Trinken auf dem Weih- Einhaltung die religiösen Autoritäten nachtsmarkt, das morgendliche Lesen seiner Zeit, wie die Schriftgelehrten und oder Türchenöffnen im Adventskalen- Pharisäer, bis zum i-Tüpfelchen genau der, Karten schreiben, Geschenke kau- einforderten. Ein auch heute aktuelles fen, Weihnachtsbaumschmücken, Spei- Beispiel wäre das Händewaschen. Frei- se- und Einkaufsplan machen und lich ging es damals in erster Linie nicht unendlich vieles mehr. Auch die Gestal- um Desinfektion und Prävention vor ei- tung des Heiligen Abends am 24. De- nem Virus, aber doch auch um Hygiene- zember richtet sich in vielen Familien vorschriften. Die Waschungen, die in nach einem festen Ritual: 15 Uhr Oma vielen Religionen bis heute eine wichti- abholen, 16 Uhr Familiengottesdienst ge Rolle spielen, waren über viele Jahr- mit Krippenspiel, anschließend gemein- hunderte in der Geschichte der Mensch- sames Essen, Geschenke überreichen heit sicherlich auch ein wesentlicher und auspacken, Weihnachtslieder singen Beitrag, um die Ausbreitung vieler unter dem Tannenbaum, Kinder und Krankheiten und Seuchen einzudäm- Oma ins Bett, ein gutes Glas Rotwein men. Lukas erzählt in seinem Evangeli- zum Abschluss. um im 11. Kapitel von einer Einladung Alle Jahre wieder. Aber dieses Jahr? Jesu im Hause eines Pharisäers. Als die- Was so eingespielt ist und sich seit vielen ser beobachtet, dass Jesus sich nicht wie Jahren bewährt hat, gerät – wie fast alles vom Gesetz vorgeschrieben die Hände andere auch – unter den massiven Ein- wäscht, ist er doch sehr verwundert. Un- fluss der Covid 19-Pandemie. In diesem gefragt erhebt Jesus das Wort und stellt Jahr werden wir Weihnachten in man- sein Verhalten in einen ganz anderen Zu- chen Situationen neu erleben. Wir wer- sammenhang und sagt: „ O ihr Pharisä- den Weihnachten neu gestalten müssen. er! Ihr haltet zwar Becher und Teller au- Viele über Jahre hinweg eingespielte Eventuell bietet uns die Covid 19-Pandemie die Möglichkeit, uns darauf zu ßen sauber, innen aber seid ihr voll feste Formen wird es so unter den Pande- besinnen, worauf es an Weihnachten ankommt. Foto: me Raubgier und Bosheit. Ihr Unverständi- miebedingungen nicht geben können. gen! Hat nicht der, der das Äußere schuf, Wir müssen gewissermaßen alle zu Ri- auch das Innere geschaffen? Gebt lieber, ten-Designerinnen und Designern wer- queren, tiefe Schluchten zu überwinden, über die Sinne. Wenn die Flasche Cham- was in den Schüsseln ist, den Armen, den. Das beginnt in unseren Kirchen. steile Anstiege zu bewältigen: die eigene pagner knallt beim 50. und auf das Ge- dann ist für euch alles rein.“(Lk 11, Schon seit Wochen entwickeln wir viele Sprachlosigkeit, den Bedeutungsüber- burtstagskind angestoßen wird, laben 39b-41) Jesus kritisiert damit den schar- Ideen, wie wir mit anderen Formen von schuss, das Geheimnisvolle. sich die Trinkenden nicht nur an dem fen Kontrast von äußerer Reinheit und Gottesdiensten im Freien, im Fernsehen Im „Kleinen Prinzen“ von Antoine de köstlichen Getränk, sondern freuen sich innerer Tücke. Äußeres und Inneres oder digital die Botschaft von der Saint Exupéry gibt es eine wunderschö- auch über das Leben und ihre Beziehun- müssen dieselbe Sprache sprechen. Die Menschwerdung Gottes kommunizieren ne Stelle im 21. Kapitel zum Thema Ri- gen. Das Wörtchen „Prost“ kommt aus innere Haltung ist auch für das äußerli- können. Wie erreichen wir die Men- tus: „Es wäre besser gewesen, du wärst dem Lateinischen und bedeutet soviel che Ritual entscheidend. Wenn sich mit schen? Krippenspiele in Kurzfassung zur selben Stunde wiedergekommen“, wie „Es möge nützen, es möge zuträg- dem äußeren Tun nicht die Einstellung und möglichst mehrere Male hinterei- sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel lich sein.“ des Herzens verbindet, bleibt sie nur nander vor laufendem Publikum. Redu- um vier Uhr nachmittags kommst, kann Schein. Es geht um das Sein, um Au- zierte Gottesdienstteilnehmerzahl mit ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu Mach’s wie Gott, thentizität und Identität, nicht nur in reli- Anmeldung. Und das alles ohne Singen. sein. Je mehr die Zeit vergeht, umso werde Mensch! giösen Ritualen und Ausdrucksformen. Wahrhaftig eine stille Nacht. glücklicher werde ich mich fühlen. Um Bei der Taufe eines Kindes wird mit Manchmal verkehren sich die Wir- vier Uhr werde ich mich schon aufregen dem Übergießen mit Wasser und der kungen von Ritualen ins Negative. Dann Riten und Rituale sind und beunruhigen; ich werde erfahren, Spendeformel: „Ich taufe dich im Na- wirken sie abgegriffen, überholt, sinn- Symbolhandlungen wie teuer das Glück ist. Wenn du aber men des Vaters und des Sohnes und des entleert oder kontraproduktiv. Wenn der Es lohnt sich tiefer einzusteigen und irgendwann kommst, kann ich nie wis- Heiligen Geistes“ das Leben eines Kin- innere Gehalt nicht mehr zur äußeren darüber nachzudenken, was Rituale – sen, wann mein Herz da sein soll … Es des gedeutet. Dieser Mensch ist von An- Gestalt passt, wird ein Ritual wesenlos nicht nur zur Weihnachtszeit – bedeuten. muss feste Bräuche geben.“ fang an nicht nur das Produkt aus Sper- und einfach nur oberflächlich vervielfäl- Vielleicht lassen sich so auch neue Po- Im französischen Originaltext steht an ma und Eizelle seiner Erzeuger, tigt. Der flüchtige Kuss am Morgen beim tentiale schöpfen, die unsere Kreativität dieser Stelle: „Il faut des rites“ – wört- festgelegt durch seinen genetischen Co- Abschied kann genauso eine herzliche, beflügeln, damit das Fest der Feste uns lich übersetzt: „Es muss Riten geben“. de, geprägt durch die vielfältigen Sozia- tägliche Liebeserklärung sein, wie das nicht abhandenkommt, sondern neuen Auf die Frage, was ein Ritus ist, ant- lisationsinstanzen, die seine Entwick- täglich immer wieder neue Vortäuschen Sinn und Zuversicht schenken kann. wortete der Fuchs: „Es ist das, was einen lung beeinflussen werden. Göttliches einer Beziehung, die schon längst nicht Die Begriffe Ritus und Ritual haben Tag vom anderen unterscheidet, eine Leben steckt in jeder und jedem von uns, mehr stimmt, oder das Vertrösten auf ein ihre sprachlichen Wurzeln im Indoger- Stunde von den anderen Stunden.“ Gott will erscheinen, aufs Neue Mensch offenes Gespräch über die Partnerschaft, manischen. Sie sind also uralt und ver- Ich kenne keine schönere Beschrei- werden in jedem Baby, das geboren das schon lange anstehen würde. binden die größte Sprachfamilie der bung für das, was ein Ritus sein kann. wird. Es braucht auch bei Ritualen manch- Welt mit über drei Milliarden Mutter- Der Ritus oder das Ritual sagen, wann Riten verbinden und helfen auszudrü- mal eine Vergewisserung oder ein Up- sprachlern. Ritus und Rituale stehen von das Herz da sein soll, wie kostbar das cken, was manch langer Vortrag nicht zu date. Möglicherweise bietet sich an Anfang an für wichtige kultische und re- Glück ist, was die Unterschiede im Zeit- formulieren weiß. Riten und Rituale ent- Weihnachten 2020 unter Covid 19-Pan- ligiöse Ausdrucksformen der Men- gefühl ausmacht. lasten. Sie helfen, in Kulturen, Gesell- demie-Bedingungen dafür eine gute Ge- schen. Was Zahlen, Definitionen, Worte Riten und Rituale sind Symbolhand- schaften und Gemeinschaften hineinzu- legenheit. Was feiern wir eigentlich? und Formeln nicht sagen und beschrei- lungen, die Menschen miteinander ver- wachsen. Nicht nur zu DDR-Zeiten, Was bedeutet uns Weihnachten? Welche ben können, was sich nicht definieren binden. Sie verweisen auf Bedeutungs- sondern bis heute spielt die Jugendweihe Formen finden wir, um unsere Freude, lässt, packen Menschen in Riten und Ri- oder Sinnzusammenhänge über den pro- in den Bundesländern im Osten eine unsere Gefühle und die Bedeutung aus- tuale. Mein Lieblingsbild für das Ritual fanen Alltag hinaus. Sie stellen symbo- wichtige Rolle. Deshalb bietet selbst die zudrücken? ist ein Geländer, an dem ich mich fest- lisch eine Wirklichkeit dar und verwei- Kirche im Erfurter Dom jährlich für Ju- Ein Dreh- und Angelpunkt für alte und halten, entlangtasten, hochziehen kann. sen auf einen größeren Zusammenhang. gendliche und junge Erwachsene eine neue weihnachtliche Rituale könnte der Das Geländer gibt mir Sicherheit und Riten und Rituale stiften Sinn und ha- Feier der Lebenswende auch für Unge- Hinweis sein: Mach’s wie Gott, werde Halt, um unsicheres Gelände zu durch- ben viel zu tun mit der Wahrnehmung taufte an. Mensch! Hubert Streckert
4 KIRCHEN ZEITUNG 34. Ausgabe | 27. November 2020 Zwischen Adventskranz und KSC-Hymne Über Sinn und Zweck von Bräuchen und Ritualen I n den verschiedensten Lebensbereichen werden wir mit Ritualen konfrontiert. Sie können uns das Leben erleichtern oder uns einfach nur den Alltag verschönern. Mitglieder der Kirchenzeitungs-Redaktion haben sich auf dieser Doppelseite mit Bräuchen und Riten beschäftigt und stellen Menschen vor, die mit Ritualen zu tun haben. Da sind zum Beispiel die Erzieherinnen, die den Kindern mithilfe von Ritualen die Bedeutung des Weihnachtsfests nahebringen. Da ist aber auch der Akrobat, für den es ein festes Ritual ist, alljährlich auf dem Christkindlesmarkt aufzutreten und die Menschen zu erfreuen. Rituale können aber auch helfen, wenn es darum geht, mit der Trauer fertig zu werden. Hell erleuchtete Fenster in dunkler Zeit Caroline Handtmann organisiert seit Jahren einen lebendigen Adventskalender D er lebendige Adventskalender in Weiherfeld/Dammerstock hat eine inzwischen schon recht lange Tradition: chen gegessen. „Für die Kleinen gab es natürlich Kinderpunsch, manche haben auch Feuerschalen aufgestellt und türlich keine solchen Treffen mit rund100 Leuten organisieren“, bedauert Handt- mann. Sie ist davon überzeugt, dass diese „In diesem Jahr gibt es bereits die 14. Stockbrot angeboten“, erinnert sich schönen und besinnlichen Abende gerade Auflage“, erzählt Caroline Handtmann, Handtmann und schwärmt von den schö- in diesen schweren Zeiten für viele Men- die seit etwa sieben Jahren für die Orga- nen und gemütlichen Abenden. „Je nach schen wichtig gewesen wären. nisation zuständig ist. Die Lehrerin, die Wetter, Angebot und Wochentag kamen „Wir haben uns dazu entschlossen, ehrenamtlich in der Kirchengemeinde da schon mal 100 bis 150 Leute zusam- den Adventskalender nicht komplett aktiv ist, erzählt begeistert von den zu- men, die die Gemeinschaft genossen ha- ausfallen zu lassen“, erklärt sie. Und so rückliegenden Veranstaltungen. „Die ben“, so die Organisatorin. Sie betont, werden nun vom 1. bis zum 24. Dezem- Leute waren immer so engagiert und ha- dass es gerade in der dunklen Jahreszeit ber in Weiherfeld und in Dammerstock ben sich gerne an dieser wunderbaren für die Menschen wichtig war, sich zu jeweils 24 Fenster beleuchtet sein. Diese Aktion beteiligt“, sagt sie. „Wenn ich treffen. „Es war immer ein so schönes Fenster können zwischen 18 und 21 Uhr nach den Sommerferien meine Rund- Miteinander“, meint sie und fügt hinzu, bestaunt werden. Die genauen Adressen mail an die potenziellen Teilnehmer ver- dass vor allem auch die neuen Bewohner der Adventskalender-Fenster werden im schickt habe, waren spätestens bis St. des Stadtteils von diesen Begegnungen Pfarrbrief, in der Stadtteilzeitschrift und Martin alle Fensterchen des Adventska- sehr profitiert haben. „An solchen Aben- auf Handzetteln, die in den Briefkästen lenders verteilt“, meint Handtmann, die den ist es leicht, sich kennenzulernen verteilt werden, bekannt gegeben. „Es jedes Jahr auch selbst eines der Advents- und ins Gespräch zu kommen.“ Und wird aber natürlich keine Bewirtung und fenster gestaltet hat. noch etwas ist ihr wichtig: „Diese Ver- kein Rahmenprogramm geben“, sagt Jeder hat dann an einem Tag sein fest- anstaltungen waren eine Auszeit für die Handtmann. „Die Menschen haben je- lich geschmücktes Fenster hell erleuch- Seele. Man konnte Kraft tanken und die doch die Möglichkeit, auf ihrem Abend- tet, die Menschen aus dem Stadtteil ka- Zeit mit der Familie genießen.“ spaziergang die verschiedenen Fenster Caroline Handtmann ist selbst jedes men zusammen, haben gesungen, In diesem Jahr wird aber alles anders zu besuchen und sich an der weihnacht- Jahr mit einem festlich geschmückten Weihnachtsgeschichten gehört, Glüh- sein. „Aufgrund von Corona und den nun lichen Stimmung und an der Dekoration Fenster Teil des lebendigen Advents- wein getrunken und Stollen oder Plätz- nötigen Abstandsregeln können wir na- zu erfreuen.“ Martina Erhard kalenders. Fotos: me Warten auf das Weihnachtsfest Rituale spielen im Kinderhaus Agnes eine wichtige Rolle D ie Adventszeit ist geprägt von Vor- freude auf das Weihnachtsfest. „Gerade in dieser Zeit sind Rituale wich- nen, wie schön es ist, Freude zu schen- ken“, sagt Stark. Die Kinder packen da- her kleine Geschenktüten und geben sie lichen. Eine besondere Rolle dabei spielt der Adventskranz. „Mit dem Entzünden der Kerzen machen wir deutlich, dass es tig, denn alles, was wiederkehrt, wird dem Nikolaus mit, damit dieser Kinder von Woche zu Woche heller wird“, er- verinnerlicht“, ist Angelika Stark über- beschenken kann, die weniger haben. klärt Stark. „Diese Entwicklung vom zeugt. Sie und Gudrun Wohlfart leiten „Wir haben das Glück, dass wir im Dunkeln ins Helle thematisieren wir zusammen das Kinderhaus Agnes, eine Moment im Caritaswaldheim im Hardt- ganz bewusst.“ Wohlfart betont, dass es Einrichtung des Caritasverbands Karls- wald untergebracht sind, weil unser Ge- in der Kita aber keinen Weihnachtsbaum ruhe. „Die Kinder tauchen spielerisch in bäude gerade saniert wird“, erzählt gebe, da ein Weihnachtsbaum erst an die Adventszeit ein“, sagt Stark und fügt Stark. „Das heißt, wir sind von Natur Weihnachten geschmückt werden könne. hinzu, dass die Rituale den Kindern da- umgeben.“ Die Kinder beschenken da- „Die Advents- und Weihnachtszeit ist bei helfen, die Adventszeit zu verstehen. her auch die Tiere, die im nahen Wald eine friedliche Zeit und das möchten wir Ab dem 1. Dezember wird täglich ein leben. Sie bekommen Meisenknödel den Kindern auch so vermitteln“, versi- Türchen am Adventskalender geöffnet. und Futterbäume. Der riesige Garten chert Stark. Sie macht immer wieder die Das machen die Kinder in der Gruppe ge- wird zudem genutzt, um einen Advents- Erfahrung, dass die Kinder sehr dankbar meinsam, wodurch die Gemeinschaft ge- weg zu gestalten, der mit Kerzen ge- für diese Rituale sind. „Sie saugen all die fördert wird. „Am 6. Dezember kommt schmückt wird. „Jeden Freitag treffen Geschichten und Eindrücke regelrecht der Nikolaus zu den Kindern“, erzählt wir uns im Außengelände und hören ei- auf, und das tut der Seele gut“, meint Stark. Dieser Besuch werde in diesem nen Teil der Weihnachtsgeschichte“, er- Stark. „Wir geben christliche Werte wei- Jahr natürlich anders ausfallen als sonst zählt Wohlfart. Sie empfindet die Vor- ter“, sagt Wohlfart und ist davon über- Die beiden Leiterinnen des Kinder- üblich, meint sie. Der Nikolaus wird in weihnachtszeit als heimelige Zeit, die zeugt, dass wahrscheinlich nicht mehr in hauses Agnes, Gudrun Wohlfart (vor- den Garten kommen und den wartenden dabei hilft, zur Ruhe und zur Stille zu allen Familien der eigentliche Sinn des ne) und Angelika Stark, legen Wert Kindern, die ihn von den Fenstern aus be- kommen. Weihnachtsfests präsent sei. „Oft stehen auf weihnachtliche Rituale. Das fest- obachten, zuwinken, ehe er kleine Über- Die Erzieherinnen sind davon über- Geschenke und Kommerz im Vorder- liche Schmücken des Hauses gehört raschungen vor der Tür ablegen wird. zeugt, dass all diese Rituale den Kindern grund, nicht die Geburt von Jesus.“ dazu. Foto: me „Uns ist es wichtig, dass die Kinder ler- dabei helfen, ein Zeitgefühl zu verinner- Martina Erhard
34. Ausgabe | 27. November 2020 KIRCHEN ZEITUNG 5 Ein Akrobat muss am Boden bleiben Der „Fliegende Weihnachtsmann“ Falko Traber vermisst den Christkindlesmarkt S chon seit Jahren gehört er für viele Karlsruher zum Christkindlesmarkt ebenso dazu wie der Lieblingsglühwein- Vorarbeit, berichtet Falko Traber: „Es ist viel Technik im Einsatz, dann braucht es Kostüme, Feuerwerk und vieles mehr.“ stand, die Grillwurst und allerlei süße Alles werde vom TÜV begleitet, denn Leckereien: Falko Traber erscheint Tag um der Sicherheit Willen dürfe man nir- für Tag als der „Fliegende Weihnachts- gendwo nachlässig handeln. „Es sind mann“ am Himmel über den Ständen viele Kleinigkeiten, die am Ende das und Buden. Und nach der Landung be- Bild für eine perfekte Show schaffen.“ kommen die Kinder Geschenke. Um mit der ungewohnten Situation Dieses Jahr ist es anders. Es gibt we- zurechtzukommen und nicht die Zuver- der den Christkindlesmarkt noch den sicht zu verlieren, helfe ihm sein Glaube, „Fliegenden Weihnachtsmann“. Nicht sagt Falko Traber: „Der Glaube ist wich- nur für die Karlsruherinnen und Karls- tig, man darf ihn niemals verlieren. Ich ruher fehlt damit ein wichtiger Teil der weiß: Gott ist in jedem Einzelnen. Mir Vorweihnachtszeit. Ganz besonders hat er immer geholfen, und ich vertraue schmerzt es Falko Traber, der diese Auf- darauf, dass er mir auch jetzt hilft.“ tritte liebgewonnen hatte. „Ich hätte das Letztlich habe alles, auch Schwieriges, sehr gern wieder gemacht,“ sagt er und seinen Sinn. Nach diesem zu suchen, fügt hinzu, dass die Absage für ihn ein Falko Traber wird in diesem Jahr leider nicht als „Fliegender Weihnachts- helfe auch zu erkennen: „Es könnte auch echter Schock gewesen sei. Dies ist ver- mann“ über dem Karlsruher Christkindlesmarkt schweben. Foto: Jörg Donecker noch schlimmer sein.“ Zuversicht gibt ständlich, denn seine Familie hat eine ihm auch, dass die Planungen für das lange Tradition im Schaustellergewerbe. nächste Jahr noch nicht verloren sind. „Schon seit 300 Jahren machen wir das,“ war ich immer unterwegs, immer in Be- fühle mich, als würde ich in der Luft „Man braucht diese Ziele in der Zu- berichtet er. Er sei selbst auf einer Tour- wegung.“ Nun nicht auftreten, nicht ein- schweben.“ kunft,“ sagt Falko Traber. „Auch wenn nee auf die Welt gekommen, das habe mal reisen zu können, stelle ihn vor eine Vieles sei bereits vorbereitet gewesen, es sich jetzt komisch anfühlt – es wird sein ganzes Leben geprägt. „Eigentlich innere Herausforderung, gibt er zu: „Ich denn ein Auftritt erfordere eine Menge irgendwie weitergehen.“ Tobias Tiltscher Nie ohne Kurvenshirt Tradition und Corona Meer aus blau-weißen Schals und KSC-Hymne Ein Bestattungsinstitut findet neue Wege E s ist für viele ein liebgewordenes Ri- tual: Bevor es wieder zum Spiel geht, wird zuhause das Stadion-Outfit wenn sie draußen vor der Tür stehen müssen, so groß ist die Verbundenheit mit der Mannschaft“, erzählt Fuchs. Ni- W as sich während der Corona-Zeit geändert hat, passt für Marcus Wiedemann in einen einzigen Satz: „Wir zurechtgelegt; Trikot, Kurvenshirt und na Ohlhauser hingegen schaut sich in der haben etwas mehr gelernt zu trauern“. Schal in einer wohl geordneten Abfolge Corona-Pandemie keine Spiele im Fern- Mit Abschied und Trauer hat er Erfah- angezogen. Dann geht es zum vereinbar- sehen an, auch wenn diese Zeit ohne rung, denn der studierte Theologe ist ten Treffpunkt, um dann gemeinsam im Fußball für sie „furchtbar schlimm“ ist. Bestatter und Trauerredner bei einem Stadion die Mannschaft anzufeuern. Doch auch der Mannschaft wird etwas traditionsreichen Karlsruher Bestat- Das ist für Marco Fuchs nicht viel an- fehlen, wenn sie vor fast leeren Rängen tungsinstitut. Armin Stier, der dieses ders. Er ist der 1. Vorsitzende der KSC spielt, nämlich die Fans und damit „der schon in der vierten Generation leitet, Supporters, die als Dachverband für Funke, der von den Tribünen auf das hat ebenfalls gelernt, mit der Trauer von 3.500 KSC-Fans sprechen und die Inte- Spielfeld überspringt und etwas bewirkt“, Menschen heilsam umzugehen. Das be- ressen der Fans gegenüber dem KSC und so Marco Fuchs. Womit wir dann bei der deute unter anderem, sagt er, sich Zeit der Öffentlichkeit vertreten. Wenn dann Frage nach dem Glauben wären, der frei- für die Angehörigen zu nehmen, auf ihre noch im Stadion das Badener Lied und lich beim Fußball auf die Mannschaft und Anliegen einzugehen und eine mög- die KSC-Hymne angestimmt werden, deren Erfolg fokussiert ist. Aber: „Der lichst umfassende Begleitung anzubie- singen die Fans begeistert mit, und das Fußball vereint und verbindet – und das ten. Marcus Wiedemann und Armin Stier Stadion wird in ein Meer aus blau-wei- über Grenzen hinweg.“ Markus Mickein Die Corona-Pandemie bedeute dafür (von links) kennen sich mit Trauerri- ßen Schals verwandelt. jedoch eine große Herausforderung. Die tualen aus. Foto: privat „Für viele ist der Fußball ein Ventil Teilnehmerzahl bei Trauerfeiern wurde zum Alltag“, erklärt Nina Ohlhauser, 2. im Frühjahr radikal begrenzt. „Dafür Vorsitzende der KSC Supporters. Ritua- hatten nicht alle Familien Verständnis“, zu übertragen, könne man inzwischen le gehören selbstverständlich dazu und berichtet er. „Wir sind ja nicht nur über das Internet Angehörige aus aller schaffen ein Gemeinschaftsgefühl. Dass Dienstleister, wir sind auch Seelsorger. Welt einbeziehen. „Trauerfeiern bekom- der KSC den Claim „Meine Heimat“, er- Die Menschen im Moment der Trauer men so ein ganz neues Gesicht.“ Selbst hielt, ist auch ein Verdienst der Suppor- mit dem Verweis auf Vorschriften zu- Trauergruppen träfen sich inzwischen ters, betont Ohlhauser. rückweisen zu müssen, ist wirklich per Videokonferenz. „Das ersetzt natür- Doch was machen die Fußball-Fans, hart“. Trotz allem laufe der weit über- lich nicht die persönliche Begegnung“, wenn der Stadionbesuch nicht mehr wiegende Teil der Trauerfeiern auch räumt er ein, „aber sie können zumindest möglich ist, wie seit Beginn dieses Jah- jetzt noch recht gewöhnlich ab, so Stier. in Kontakt bleiben“. res? „Ich bin mir sicher, dass viele Fans Gerade an den Details spüre man jedoch, Nach dem Ende der Corona-Pande- immer noch ihre Kleidung vor jedem dass dieses Jahr vieles anders sei. Erde mie, ist Armin Stier sich sicher, werden Spiel fein säuberlich rauslegen und an- ins Grab zu werfen sei nicht möglich, Trauerfeiern wieder wie bisher in den ziehen“, meint Marco Fuchs. Auch auch Beileidsbekundungen mit Hände- Kapellen und Trauerräumen stattfinden. wenn sich dann die meisten Fans mit schütteln gestalteten sich schwierig. Was aber sicherlich bleiben werde, dem Fernseher anstelle des Stadionbe- Gute Erfahrungen habe man mit Vi- ergänzt Marcus Wiedemann, seien digi- suchs begnügen müssen. Aber auch das Für Nina Ohlhauser gehört der deotechnik gemacht, berichtet Wiede- tale Technologien, die es ermöglichten, gibt es: „Manche Fans fahren auch jetzt Stadionbesuch zum Fan-Sein einfach mann. Sei es zunächst darum gegangen, mehr Menschen am gemeinsamen Ge- noch zu den Auswärtsspielen – auch dazu. Foto: mm Bilder aus einer Kapelle nach draußen denken teilhaben zu lassen. Tobias Tiltscher
6 KIRCHEN ZEITUNG 34. Ausgabe | 27. November 2020 Neue Rituale braucht das Land Die Corona-Pandemie hat innerhalb kürzester Zeit unsere Traditionen verändert W ie schön, ein großes Fest wird ver- anstaltet. Verwandte und Freunde kommen zusammen, die Begrüßung fällt herzlich aus. Alle mögen sich, alle umar- men sich. Halt, das ist doch alles gar nicht möglich. Wir haben Corona, da muss man doch Abstand halten. Küss- chen links, Küsschen rechts, das ist jetzt viel zu gefährlich. Aber nach einem kur- zen Schreckensmoment gibt das eigene Gehirn endlich Entwarnung. Alles nicht so schlimm, es ist ja nur eine Filmszene, die man da gerade betrachtet. Also kann man entspannt durchatmen und weiter den Film genießen. So also war das da- mals, vor dem Jahr 2020? Als man sich noch ohne Abstands- und Hygienere- geln mit den Eltern, den Freunden, den Kollegen treffen konnte, als man noch ohne schlechtes Gewissen gemeinsam eine Tasse Kaffee trank und sich nicht permanent fragen musste: „Ist das jetzt tatsächlich erlaubt oder muss ich nicht doch noch etwas mehr Abstand halten?“. Solche Momente des kurzen Erschre- ckens beim Betrachten von Filmszenen wird zurzeit wohl jeder kennen. Und je- Noch zu Beginn des Jahres 2020 hätte man sich bei der Begrüßung einfach umarmt oder sich zumindest die Hände gereicht. der, der dies erlebt, wird sich fragen, wie Inzwischen gehört der Ellbogen-Gruß zum guten Ton. Man will ja sich und andere vor dem Virus schützen. Foto: me es nur so schnell habe gehen können mit den neuen Ritualen, den Hygiene-Ritua- len. So richtig und wichtig die Abstands- che Absichten hatten. Ein schöner Ge- sungen parat zu haben, die wirklich allen anderen Städten oder gar anderen Län- regelungen aktuell sind, so spannend ist danke, an den man sich hoffentlich eines Interessen gerecht werden. dern leben, an einem Ort treffen. Wann, das Experiment, an dem wir gerade alle Tages wieder erinnern wird. wenn nicht an Weihnachten? Viele Men- teilnehmen. Ein Experiment, bei dem So kreativ und sinnvoll die neuen Be- Kann das traditionelle schen werden sich fragen, ob das tradi- wir an uns selber testen können, wie lan- grüßungsformen sind, so untauglich Weihnachtsfest stattfinden? tionelle Familienfest in diesem Jahr ge es dauert, bis wir althergebrachte Tra- sind sie, wenn es darum geht, Liebe, Befeuert von Scharfmachern im Inter- überhaupt stattfinden kann. Große Par- ditionen und Rituale verlernen. Es ist Mitgefühl oder Anteilnahme auszudrü- net gehen aber inzwischen Leute auf die tys mit allen Verwandten und Freunden noch kein Jahr her, dass wir uns ganz cken. Wenn eine gute Freundin einen lie- Straße und protestieren gegen jene Maß- wird es in diesem Jahr sicher nicht ge- selbstverständlich per Handschlag be- ben Menschen verloren hat, kann man nahmen, die eigentlich zu ihrem Schutz ben. Die Einladungs-Marathons – Hei- grüßten, dass wir uns umarmten, ver- sie schwerlich mithilfe der Ghetto-Faust und zum Schutz ihrer Familien getroffen ligabend bei den Eltern, Zweiter Weih- traut die Köpfe zusammensteckten, trösten. Viele von uns kennen solche Si- wurden. Aus Prinzip werden die AHA- nachtsfeiertag bei den Schwiegereltern, lachten und tuschelten. tuationen: Eine trauernde Freundin, ein Regeln – Abstand halten, Hygiene be- abends geht’s zur besten Freundin, und trauernder Freund steht vor einem, doch achten, Alltagsmaske tragen – missach- den Zweiten Weihnachtsfeiertag teilt Schnell an neue Formen man findet nicht die richtigen Worte des tet. Was waren das für schockierende man zwischen Tante Hedwig und Onkel der Begrüßung gewöhnt Trostes. Was ist also naheliegender als Bilder, als Mitte November der Bundes- Günther auf – werden ausfallen müssen. Und doch fühlen sich solche Szenen eine feste Umarmung? Nun aber, in Co- tag über ein neues Infektionsschutz- Und so mancher wird darüber gar nicht inzwischen fremd an, denn innerhalb rona-Zeiten, steht man sich stattdessen gesetz debattierte und Querdenker und traurig sein. kürzester Zeit haben sich neue Rituale hilflos und ratlos gegenüber, denn es hat Verschwörungstheoretiker (unterstützt In diesem Jahr werden wir uns also an entwickelt: Gab man guten Freunden sich leider auch das Trauern verändert: von AfD-Politikern) in das Reichstags- den Weihnachtsfeiertagen auf die Kern- früher ein Küsschen zur Begrüßung, so Die Menschen sterben alleine, die Ange- gebäude eindrangen, um Politiker zu be- familie konzentrieren – verhalten sich hält man ihnen nun den Ellbogen entge- hörigen trauern alleine. Zur Beerdigung schimpfen, zu bedrohen und zu beleidi- alle in den Wochen davor verantwor- gen. Auch bei Geschäftsterminen ist der dürfen nur wenige Menschen, der Groß- gen. Entlarvend auch die Aussage von tungsvoll und diszipliniert, gehören da- Ellbogen-Gruß inzwischen eine Selbst- teil der Freunde und Verwandten darf AfD-Politikern, die das neue Infektions- zu natürlich auch die Großeltern. Viel- verständlichkeit geworden. Eine Alter- nicht zum Trauergottesdienst kommen. schutzgesetz als „Ermächtigungsge- leicht bietet uns dieses Weihnachtsfest native dazu wäre der sogenannte „Wu- Dabei kann es für Angehörige doch ein setz“ diffamierten. Solch unsägliche ja gerade deshalb die Chance, innezuhal- han-Shake“, bei dem für die Begrüßung solcher Trost sein, wenn sie an einer gro- Vergleiche mit der NS-Diktatur konnte ten und zu überlegen, wofür das Fest einfach die Füße zum Einsatz kommen. ßen Zahl von Trauergästen ablesen kön- man auch in Karlsruhe vernehmen: An- steht. Christen feiern an Weihnachten Aber auch die coole „Ghetto-Faust“ ist nen, wie sehr der Verstorbene geliebt lässlich einer Querdenker-Demonstrati- die Geburt von Jesus. Das Fest steht also mittlerweile in höchsten Kreisen salon- oder zumindest geschätzt und respek- on stellte sich eine Elfjährige auf eine nicht für Völlerei, Kommerz und Kon- fähig geworden und man hat sogar schon tiert wurde. Stufe mit Anne Frank, weil sie ihren sum, es steht für Besinnlichkeit, Ruhe Kanzlerin Angela Merkel bei dieser läs- Ja, es sind schwere Zeiten, aber den- Kindergeburtstag aufgrund der Corona- und vor allem für Liebe. Und Liebe hat sigen Art der Begrüßung gesehen. Wer noch führt in der aktuellen Corona-Si- Beschränkungen heimlich feiern muss- nun einmal nichts mit überdimensiona- es etwas gediegener mag, ist mit dem tuation kein Weg an den geltenden te. Zur Erinnerung: Anne Frank wurde len Geschenkebergen zu tun, weshalb „Namasté“, einer kleinen Verbeugung, Hygiene- und Abstandsregeln vorbei. 1945 von den Nazis im KZ Bergen-Bel- in diesem Zusammenhang noch ein kur- verbunden mit den vor der Brust gefalte- Daher ist es umso verstörender, dass zu sen ermordet. Wofür stehen diese Aus- zer Gedanke zum Ritual des Schenkens ten Händen, auf der sicheren Seite. den leider inzwischen üblichen Ritualen sagen? Für Geschichtsvergessenheit erlaubt sein muss: Wir müssen nicht Wir alle haben uns so schnell an diese auch die permanente Aufregung gehört: oder für Geschichtsverfälschung? kaufen um des Kaufens willen. An die- neuen Formen der Begrüßung gewöhnt, „Die Politik ordnet an, wir sind prinzi- Und jetzt, in dieser Zeit der aufgeheiz- ser Stelle sei verraten, dass es in der Fa- dass die Frage erlaubt sein muss, ob der piell dagegen“, ist eine Einstellung, mit ten Stimmung, in dieser Situation, die milie der Autorin in diesem Jahr keine gute alte Handschlag jemals zurück- der man auf bestimmten Internetporta- von Unsicherheit geprägt ist, steht auch Geschenke geben wird. Das Geld, das kommen wird. Schließlich wurde das len gut Quote machen kann. Nebenbei noch Weihnachten vor der Tür – das Fest sonst für kleine Aufmerksamkeiten aus- Händeschütteln bereits im Mittelalter muss die Frage erlaubt sein, wer in die- der Liebe, das Fest der Begegnung. Es ist gegeben wurde, kommt nun sozialen populär, als die Ritter mit der leeren, ser unübersichtlichen Situation tatsäch- ein schönes Ritual, dass sich an den Einrichtungen zugute. Vielleicht wird ausgestreckten Hand demonstrierten, lich mit den verantwortlichen Politikern Weihnachtsfeiertagen die Familienmit- daraus ja auch ein neues Ritual. dass sie keine Waffen trugen und friedli- tauschen möchte und es sich zutraut, Lö- glieder, die inzwischen womöglich in Martina Erhard
34. Ausgabe | 27. November 2020 KIRCHEN ZEITUNG 7 Liebe Leserinnen, liebe Leser, tenliebe und Solidarität sind. Dafür Hilfsbereitschaft, die wir tagtäglich aus eine Abwechslung vom Alltag bieten zu trotz Corona arbeiten unsere Mitarbei- möchte ich mich herzlich bedanken. der Bevölkerung erfahren, und die sich können. Auch weiterhin arbeiten wir ter*innen mit sehr großem Einsatz und Die Corona-Pandemie schränkt unser zum Beispiel in zahlreichen Masken- laufend neue Unterstützungsangebote Engagement und leisten tagtäglich Au- aller Leben auch in der zweiten Phase spenden äußert. Zusammen mit Künst- aus. Unsere Quartiersmitarbeiterinnen ßergewöhnliches, jede und jeder in ih- sehr ein und verlangt uns allen viel ab. lern gehen wir neue Wege, um mit an die veröffentlichen diese regelmäßig in Son- rem und seinem Bereich – in der Alten- Wir bitten alle Angehörigen um ihr Ver- Situation angepassten Veranstaltungen der-Newslettern, die auch auf unserer hilfe, der Eingliederungshilfe, der ständnis. Wir wissen, dass das auch für wie Konzerte und Gottesdienste unter Homepage abgerufen oder am Telefon Kinder- und Jugendhilfe, in den Zentra- Sie nicht einfach ist. Umso mehr freuen freiem Himmel den uns Anvertrauten erfragt werden können. Diese stehen len Diensten und in unseren Quartiers- wir uns über die große Solidarität und trotz weitreichender Einschränkungen auch gerne bei anderen Anfragen mit projekten. Sie stellen in diesen schwieri- Rat und Tat zur Seite. gen Zeiten sicher, dass die uns Wir alle freuen uns auf die Zeit nach anvertrauten Menschen unterstützt, ver- der Pandemie, wenn wir wieder bei per- sorgt, begleitet, betreut, gepflegt, be- sönlichen Begegnungen miteinander ins schult werden und soweit wie nur mög- Gespräch kommen können. lich am „normalen“ Leben teilnehmen Alles Gute und bleiben Sie gesund! können. Indem sie auch in dieser schwe- ren Krise verlässlich zur Arbeit kommen Ihr Prof. Axel Göhringer und diese mit Liebe zu den Menschen Verwaltungsratsvorsitzender gestalten, lassen sie die uns Anvertrau- Ihre Christine Jung-Weyand ten täglich spüren, was gelebte Nächs- Vorstand Mit neuem Bus mobil Aktion Mensch unterstützt das Martinshaus Berghausen D ie feierliche Übergabe eines Neu- fahrzeugs an die Außenwohngrup- pe Arche Jöhlingen, das durch eine strukturierende Maßnahmen wahrzu- nehmen. „Wir freuen uns sehr, dass genau ein Jahr nach Einzug der Wohn- Übergabe heraus: „Es ist enorm wichtig, die Bewohnerinnen und Bewohner best- möglich zur Selbstständigkeit zu unter- r*innen, die sich mit selbst gemalten Plakaten herzlich bedankten. Im Zuge der Dezentralisierung des Spende der Aktion Mensch angeschafft gruppe hier in Jöhlingen nun ein Klein- stützen, und dazu braucht es mehr Flexi- Martinshauses eröffnete der Badische werden konnte, war eine willkommene bus zur Verfügung steht. Dies hat die Ak- bilität und Mobilität. Und genau das Landesverein für Innere Mission 2019 Abwechslung für die Bewohner*innen. tion Mensch durch ihre großzügige wird durch den Kleinbus verbessert“, so die gemeindenahe stationäre Außen- Mit der offiziellen Übergabe durch die Spende in Höhe von 30.000 Euro ermög- Özcan, der die Wohngruppe mit einem wohngruppe in Jöhlingen, in der 16 Leiterin des Martinshauses Dr. Christina licht“, zeigte sich Einrichtungsleiterin großen Präsentkorb für die vielgenutz- Menschen mit geistiger Behinderung ein Stampfl und unter Anwesenheit des Stampfl dankbar. Auch Bürgermeister ten Küchen bedachte. Entsprechend neues barrierefreies Zuhause finden. Walzbachtaler Bürgermeisters Timur Timur Özcan stellte die Bedeutung der groß war die Freude bei den Bewohne- Fotos: Badischer Landesverein für Innere Mission Özcan, der Presse sowie Angehöriger und Mitarbeitender der Wohngruppe er- hielten die Bewohner*innen endlich das lang ersehnte Stück Mobilität. Der von der Aktion Mensch geförderte Kleinbus wird helfen, die Anbindung an das Stammhaus in Pfinztal-Berghausen zu gewährleisten, die Bewohner*innen zu Feiern, Festen, Ausflügen und Freizei- ten zu befördern und auch ärztliche und therapeutische Angebote und tages-
8 KIRCHEN ZEITUNG 34. Ausgabe | 27. November 2020 Die Kunst der Pause: Von den Unterbrechungen des Alltags Aus der Arbeit der Ökumenischen Krisen- und Lebensberatungsstelle brücke Z u meinen Lieblingsszenen des holländischen Musik-Kabarettisten Hans Liberg gehört die Nummer „Klas- Einzelne, die Gemeinschaft und auch der schöne verletzliche blaue Planet wieder zu Atem finden. sische Musik ist zu lang“. Darin spielt er In Beratung und Seelsorge machen ein Klavierkonzert von Tschaikowsky – Menschen bei längeren Gesprächsreihen und lässt alle Pausen einfach weg. Das immer wieder die interessante Erfah- Publikum biegt sich vor Lachen bei so rung: Zwischen den einzelnen Termi- viel Nonsens. Es klingt furchtbar. Doch nen, in den Pausen, geschieht ganz viel. die Pointe ist schnell klar: „Ohne die Das Gespräch ist das eine, die Zeit da- Pausen ist das Stück völlig uninteres- zwischen das andere. Beides ist wichtig. sant!“ Und auch während der Gespräche erge- Die Szene fiel mir immer wieder ein, ben sich manchmal Pausen, in denen oft als es in den letzten Monaten darum ganz Entscheidendes passiert. Noch oh- ging, mit den mehr oder weniger Coro- ne Worte formt sich „etwas“, das dann na-bedingten erzwungenen Pausen im bedeutungsvoll wird. Alltag konstruktiv umzugehen. Pausen in der Musik wie im Alltag sind absolut (Neue) Pausen-Rituale unverzichtbar. Doch durch die Krisen- entwickeln zeiten der letzten Monate wurde die Be- Übrigens: In den speziellen Beratun- deutung der Unterbrechung, des Frei- gen rund um das Thema Erschöpfung, raums, des Nicht-Möglichen auf ganz Burnout, Depression spielt das Ritual besondere Weise deutlich. Obwohl es der Pause eine hervorragende Rolle. Als natürlich nicht immer zum Lachen war. Hilfe und Anleitung zu einer konstrukti- Für manche Ratsuchende in unserer Kri- ven Selbststeuerung gilt es in einem ers- sen- und Lebensberatungsstelle haben ten Schritt, ein festes neues Ritual des die neuen „Zwangspausen“ manche al- Die brücke am Kronenplatz bietet Ratsuchenden unkompliziert Gespräche an. Innehaltens zu entwickeln, zum Beispiel ten Themen ans Tageslicht gebracht. Aufgrund von Corona ist dies zurzeit jedoch nur nach vorheriger telefonischer mit der Idee, mit dem eigenen Lebens- Ungeklärte Beziehungsfragen, ein aus- Kontaktaufnahme möglich. Foto: privat / brücke alter Zeiteinheiten zu bilden. Einem 52- beutender Umgang mit sich selbst, oder Jährigen empfehle ich: Mindestens ein- auch die tieferliegende Frage, ob die mal am Tag für 52 Sekunden ganz be- Prioritäten im eigenen Leben richtig ge- deckung und wie ein Geschenk. „Ich wichtigen Zusammenhang hat die Zür- wusst pausieren, sich selbst freundlich wählt sind. Der neue Stress durch so viel habe tatsächlich gelernt, mein Normal- cher Sozialforscherin Gabriela Muri im- anschauen. Die gerade laufende Aktivi- Unplanbares und Unvorhergesehenes tempo zu drosseln. Ich mache jetzt be- mer wieder hingewiesen. Sie sagt: „Das tät unterbrechen, gezielt etwas Schönes und die tatsächlichen Anforderungen an wusst mehr Pausen“, sagt eine Besuche- Management der eigenen Zeit ist eine machen. Bewusst atmen. Und Frühsig- das Miteinander in einer Pandemie ha- rin. In der hohen Alltagsgeschwin- anspruchsvolle und notwendige soziale nale der Erschöpfung wahrnehmen und ben manche Probleme verstärkt wie in digkeit, die viele von uns erleben, gehört Kompetenz wie Lesen und Schreiben.“ einem Brennglas. Und wer mit Arbeits- die Wiederentdeckung der Pause viel- Darum sei die Synchronisation der Zeit, losigkeit zu kämpfen hat oder nicht ar- leicht zu den Dingen, für die manche im etwa mit dem Partner oder der Partnerin, beiten kann, für den können erzwungene Rückblick auf das Jahr 2020 dankbar kompliziert. Pausen wie zu Corona-Zeiten unter Um- sind. Lernpsychologisch ist die Pause ständen das Gefühl verstärken, dass alles nachgewiesenermaßen die Zeit, in der Leben und Arbeiten aus dem Ruder läuft. mein Gehirn Dinge verarbeiten und ab- speichern kann. Um mich auch emotio- in der 24/7-Gesellschaft Erzwungene Unterbre- nal gesund entwickeln zu können, brau- braucht Pausen chungen als Zeitgeschenk che ich Pausen und Unterbrechungen. Vermutlich werden die meisten zu- Für andere wiederum waren und sind So kann ich beim Innehalten wahr- stimmen: Etwas Unerledigtes bleibt im- die Unterbrechungen und „neuen“ ver- nehmen, was ist, und selbsterforschend mer zurück. E-Mails, die man beantwor- gegensteuern. Oder auch: Einmal in der ordneten Pausenzeiten fast wie eine Ent- freundlich auf mich schauen. Auf diesen ten, Meetings, die man vorbereiten Woche 52 Minuten lang spazieren gehen sollte. Es gibt immer noch ein Projekt, an oder ins Grüne radeln. dem man eigentlich arbeiten will, erst Die drei großen Religionen Judentum, recht, wenn man die eigene Arbeit als Christentum und Islam kennen dieses sinnvoll erlebt. Die Zeit jenseits der Ar- „Aufhören“, kennen den ritualisierten beit wirklich als freie Zeit zu erleben, Rhythmus der Woche. Auch als Gesell- wird schwieriger. Und auch Freizeit schaft und in unserer globalen Verant- kann sich wie Arbeit anfühlen, wenn wortung wäre die Pause eine Chance, die man sie mit Terminen durchtaktet. In ei- Hamsterräder des atemlosen Konsums ner 24/7-Gesellschaft (Jonathan Crary), bewusst und gezielt zu unterbrechen. In in der jede und jeder immer und überall Abwandlung des anfangs erwähnten Zi- erreichbar sein soll, kommt es zuneh- tats von Hans Liberg könnte man sagen: mend zu einer Entgrenzung zwischen Ohne Pausen ist das Leben völlig uninte- Arbeit und Freizeit, zwischen Tun und ressant. Es ist zudem viel zu kurz und zu Nichtstun. Die Debatten um gesell- kostbar, um es ohne qualitätsvolle Pau- schaftliche Trends und globale Entwick- sen zu verbringen! Die vielstimmige Re- lungen spiegeln sich dann auch in den sonanz derer, die das Beratungsangebot Anliegen der Ratsuchenden in unserer der brücke nutzen, zeigt mir, dass das Krisen- und Lebensberatungsstelle. Es Entdecken und Einüben von Pausen, die könnte sein, dass die fehlende Kultur des Kunst des Pausierens, sich für Leib, See- Pausierens sich auf jeder Ebene unseres le und Geist heilsam auswirkt. Erlebens widerspiegelt: Sowohl indivi- Christoph Lang, Pfarrer für beratende Seelsorge duell als auch gesellschaftlich und glo- und Stellvertretender Leiter der Ökumenischen bal können Pausen dazu dienen, dass der Krisen- und Lebensberatungsstelle brücke
34. Ausgabe | 27. November 2020 KIRCHEN ZEITUNG 9 Trügerische Sicherheit durch Schnelltests Flächendeckende Teststrategie der Politik stellt Pflegeeinrichtungen vor personelle, finanzielle und logistische Probleme / Personell ist die Strategie kaum umsetzbar, eine Fehlerquote ist vorprogrammiert S eit Jahresbeginn wütet die Corona- Pandemie – mal etwas stärker, mal etwas schwächer. Obwohl viele zu Be- einschlägigen Bundesverordnung, also seit 15. Oktober 2020, waren gute und vom Robert Koch-Institut (RKI) zuge- ginn noch recht wenig über das neuarti- lassene Tests zu diesem Preis einfach ge Virus wussten, stellte sich doch nicht zu bekommen“, heißt es in der schnell heraus, dass vor allem ältere Stellungnahme. „Mal wieder werden Menschen und Menschen mit Vorer- seitens der Politik in der Öffentlichkeit krankungen zu den Risikogruppen gehö- gutklingende Konzepte kommuniziert, ren. Mittlerweile liegen aber auch Jün- die die Menschen beruhigen sollen. gere, wie etwa 30- bis 50-Jährige, auf Doch die Sicherheit, die hier vorgegau- den Intensivstationen. kelt wird, gibt es in der Praxis so nicht“, In Pflegeeinrichtungen leben vor al- so die Autoren weiter. lem ältere Menschen. Und dort arbeiten diejenigen, die, wie Mitarbeitende in FFP2-Masken schützen Kliniken und ambulanten Diensten, vor- Bewohner und Mitarbeiter rangig die Versorgung sicherstellen sol- „Wir benötigen Fachkräfte für diese len. Sie zu schützen, muss auch gesell- Maßnahmen und dazu benötigen wir, schaftlich oberstes Gebot sein. sofern die personellen Ressourcen überhaupt zu gewinnen sind, natürlich Die Pflegeeinrichtungen auch die finanziellen Mittel“, so Dr. kommen ins Obligo Michel. „Die Politik hat sich nun überlegt, Leider muss aber auch allen klar sein, dass dieser Schutz mit einem flächende- dass es eine hundertprozentige Sicher- ckenden Einsatz von sogenannten Coro- heit nicht geben könne, denn „die Tes- na-Schnelltests, den PoC-Antigentests, tung von Besuchern ist freiwillig, wir funktioniere“, so Dr. Martin Michel, können also niemanden zwingen, sich Vorstandsvorsitzender der Evangeli- testen zu lassen“, erklärt Dr. Michel. schen Stadtmission und Vorstand des „Außerdem weisen die ‚PoC-Antigen- Pflegebündnisses TechnologieRegion tests‘, die aktuell verwendet werden, ei- Karlsruhe e.V., in dem 48 Mitglieder mit ne Fehlerrate von zehn bis 20 Prozent rund 4.500 Mitarbeitenden im Gesund- auf und geben auch nur den Status an heitsbereich aktiv sind. diesem Tag wieder“. „PoC-Schnelltests an Besuchern, Be- Die vor uns liegende dramatische CO- wohnern und Mitarbeitern so durchzu- VID-19 Erkrankungsrate von Dezember führen, wie die Politik es sich am grünen 2020 bis Februar 2021, sofern der sog. Tisch ausgedacht hat, ist personell nicht Corona-Tests müssen von geschultem Fachpersonal vorgenommen werden. R-Wert nicht deutlich gesenkt wird, fin- zu leisten“. Da die Refinanzierung des Dies kostet Zeit und Geld. Pflegeeinrichtungen brauchen daher mehr Unterstüt- det man übrigens online unter den Stich- Aufwands, wie Personal und Schutzaus- zung, um die von der Politik gewünschte Teststrategie umsetzen zu können. worten „Universität Saarbrücken Simu- rüstung, nicht auskömmlich geregelt sei, lation COVID“. müsste vorhandenes Fachkraftpersonal Dr. Michel betont, dass daher jeder für Besuchertests von den Wohnberei- und die Pflegeeinrichtungen kommen das erfordert nahezu vier Pflegekräfte Einzelne seinen Beitrag zur Eindäm- chen dafür abgezogen werden. Das aber ins Obligo und werden in der Öffentlich- (bei angenommenen 2.000 Tests im Mo- mung der Pandemie leisten müsse. „So ist ethisch unsittlich und versorgungs- keit ungerechtfertigt zur Zielscheibe“, nat für Bewohner, Personal und Besu- tragen die Besucher in unseren Einrich- vertraglich eigentlich unzulässig. Wol- so Dr. Michel. cher und einer angenommenen Dauer tungen, wie auch alle Mitarbeitenden, len Politik und Kassen also, dass der Be- Das Pflegebündnis Mittelbaden und von 20 Minuten je Test)“. zertifizierte und ventillose FFP2-Mas- wohner auf seine vertraglich vereinbarte das Pflegebündnis TechnologieRegion Die beiden Pflegebündnisse weisen ken“, erklärt er. „Das ist eine einfache Versorgung verzichtet und den nicht re- Karlsruhe weisen darauf hin: „Die auch darauf hin, dass die Einrichtungen Maßnahme, die dem Schutz unserer Be- finanzierten Zeitaufwand für Besucher- Durchführung der Tests erfordert bei ei- die Tests selbst einzukaufen haben. „Von wohner und unserer Mitarbeiter dient tests auch noch bezahlt? nem Pflegeheim mit 100 Bewohnern laut der Bundesregierung wurden die Erstat- und auch von den Angehörigen und Be- „Politik und gesetzliche Kostenträger Mustertestkonzept des Landes Baden- tungskosten auf 7 Euro inklusive Mehr- suchenden unterstützt wird.“ waschen ihre Hände nun in Unschuld, Württemberg 660 Stunden im Monat, wertsteuer gedeckelt. Ab Geltung der Evangelische Stadtmission
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