KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe

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KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
34. Ausgabe

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                                                                 Weihnachten unter        Neue Rituale                              Zugang zum
                                                                 Pandemie-Bedingungen     braucht das Land                          Allerheiligsten

        KIRCHEN ZEITUNG
                                                                                           Archivfoto: Tobias Tiltscher; Montage: dariaustiugova /Adobe Stock, BNN

Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten
in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Karlsruhe
und der Katholischen Kirche Karlsruhe vom 27. November 2020.
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
2                                                                 KIRCHEN ZEITUNG                                                              34. Ausgabe | 27. November 2020

Rituale geben Sicherheit und
laden zum Nachdenken ein
A    uf der Titelseite sind der Nikolaus
     und der Weihnachtsmann in vertrau-
ter Zweisamkeit zu sehen. Der eine geht
                                                 Liebe Leserinnen und Leser,
                                                 „Rituale“ sind das Thema unserer
                                              Weihnachtsausgabe der Kirchenzeitung,
                                                                                            ser Zeit durch das Corona-Virus (mit-)be-
                                                                                            stimmt. Sie verändern sich. Überall dort,
                                                                                            wo Rituale mit anderen Menschen zu tun
auf den Bischof von Myra im 3. Jahrhun-       und die Beiträge, die wir in der Redaktion    haben, werden sie eingeschränkt, behin-
dert zurück, der andere ist für uns die       aufgeteilt haben und mit denen wir aus        dert, sprachlos gemacht. Vielleicht lernen
Symbolfigur weihnachtlichen Schen-            ganz unterschiedlicher Sichtweise auf         Sie aber auch neue Rituale des Begrü-
kens. Mit beiden verbinden wir bestimm-       Rituale schauen wollen, zeigen, dass Ri-      ßens, ein intensiveres Wahrnehmen des
te Rituale. Sie stehen für eine dem           tuale Sicherheit geben und zum Nach-          Gegenübers, eine behutsamere Vorge-          Hans-Gerd Köhler                    Foto: CVka
Menschen zugewandte Haltung. Ihre             denken einladen. Wir schauen dabei nicht      hensweise, einen achtsameren Umgang
Herkunft könnte aber nicht unterschiedli-     nur auf religiöse Rituale, sondern gehen      kennen und schätzen.
cher sein. Kam der Nikolaus mit Mitra         Ritualen in ganz unterschiedlichen ge-           Wir wünschen Ihnen beim Lesen die-        weiter Aufgabe der Kirchenzeitung und
früher am 06. Dezember abends in die Fa-      sellschaftlichen Zusammenhängen auf           ser Ausgabe Interesse an vielen, viel-       des Redaktionsteams bleiben, Sie mit
milien hinein, verteilte Lob und Tadel,       die Spur. Rituale bei Gebeten und Gesän-      leicht bisher unbekannten Seiten des         vielen unterschiedlichen und interessan-
um am Schluss dann doch seinen Sack           gen werden genauso thematisiert wie Ri-       Themas und der weiteren Beiträge die-        ten Facetten von Kirche bekanntzuma-
mit Süßigkeiten aufzumachen, ver-             tuale bei einem Bestatter, in der Kinder-     ser Ausgabe.                                 chen und zum Nachdenken anzuregen.
schenkte der Weihnachtsmann mit wal-          tagesstätte oder in der Familie. Wir laden       Zum Schluss möchte ich mich aus           So wünsche ich Ihnen alles Gute und
lendem, weißen Bart und Mütze fröhlich        Sie ein, bei sich selbst zu schauen, welche   dem Kreis des Redaktionsteams und bei        großes Interesse an dieser und den fol-
Geschenke an Groß und Klein, ein Ritual,      Rituale bei Ihnen eine Rolle spielen, wel-    Ihnen verabschieden. Für mich wird es        genden Ausgaben der Kirchenzeitung.
das sich mit den Jahren verändert hat. Die    che Herkunft sie haben und welche Wich-       Zeit, in den Ruhestand zu gehen. Ich ha-     Bleiben Sie gesund und zuversichtlich.
Unterschiede sind verwaschen und allzu        tigkeit sie für Sie haben. Und wir merken     be sehr gerne von Anfang an in diesem
oft werden die Akteure verwechselt.           ganz aktuell: Viele Rituale werden in die-    engagierten Team mitgearbeitet. Es wird        Ihr Hans-Gerd Köhler

      ▪ Impressum

                                              Die Kirchenzeitung
                                                                                                 Corona oder Klima?
                                              Die Kirchenzeitung ist eine Beilage
                                              der Badischen Neuesten Nachrich-
                                              ten (BNN), der Evangelischen Kir-
                                                                                                 G    lobal sind alle betroffen, wenn
                                                                                                      auch in unterschiedlicher Wei-
                                                                                                 se. Die vertrauten nationalen Gren-
                                                                                                                                         kühlung zwischendurch unter die
                                                                                                                                         Dusche schicken. Und weil man-
                                                                                                                                         che Katastrophen wie das Auftau-
                                              che in Karlsruhe und der Katholi-                  zen bieten keinen Schutz. Entspre-      en der sogenannten Permafrostbö-
                                              schen Kirche Karlsruhe.                            chend unterstützen viele Staaten        den und arktischer Gletscher, das
                                                                                                 sich gegenseitig mit internationalen    Brennen riesiger Moore in Sibirien
                                              Ein Bild aus vergangenen Tagen:                    Übereinkünften zugunsten der Da-        und lateinamerikanischer Regen-
                                              Weihnachtsmann und Nikolaus                        seinsvorsorge. Einige allerdings,       wälder, das Austrocknen gewalti-
                                              stehen Arm in Arm vor der Kir-                     bedauerlicherweise große und ent-       ger Seen wie dem Aralsee oder
                                              che St. Stephan. Eine Advents-                     sprechend wichtige Staaten, sche-       dem Toten Meer mitsamt all der
                                              und Weihnachtszeit, wie wir es                     ren aus den allgemeinen Bemühun-        furchtbaren Folgen, die sich daran
                                              bisher kannten, wird es in diesem                  gen aus. Zulasten der Menschen          anschließen, wegen ihrer Perma-
                                              Jahr nicht geben. Selbst mit Mas-                  auch in anderen Erdteilen. Verant-      nenz nicht mal mehr in den an
                                              ken, die inzwischen ein Muss sind,                 wortungsbewusste Politikerinnen         Neuigkeiten orientierten Nachrich-
                                              ist Nähe nur in Ausnahmefällen                     und Politiker aber stimmen darin        ten kommen.
                                              möglich.                                           überein, dass denjenigen, die bereits     Auch wenn unter Corona-Bedin-
                                                                                                 schwere wirtschaftliche Verluste        gungen die Fridays-for-Future-De-
                                                                                                 haben hinnehmen müssen, geholfen        monstrationen abbröckeln mussten
      n   Redaktion:                                                                            werden muss. Denn die Folgen von        – ihr Anliegen macht keine Pause
           Evangelische Kirche in Karlsruhe: Thomas Schalla (ts),                                weiteren Versäumnissen können           in Coronazeiten.
           Markus Mickein (mm), Kira Busch-Wagner (kbw)                                          täglich die weltweite Herausforde-        Vielmehr müsste man die Coro-
           Katholische Kirche Dekanat Karlsruhe: Hubert Streckert (hs),                          rung um ein Vielfaches potenzieren.     nakrise schnellstens als Blaupause
           Tobias Tiltscher (tt), Hans-Gerd Köhler (hgk), Björn Schmid (bs)                         Nein, es ist hier nicht die Rede     nehmen: für unsere globale Vernet-
      n   Redaktionsleitung: Martina Erhard (me)                                                von Corona. Es ist die Rede             zung, für die Dringlichkeit in Sa-
      n   Titelbild: Tobias Tiltscher, Montage: dariaustiugova / Adobe Stock, BNN               vom menschengemachten, viel zu          chen Klimaschutz, für das Pro-
      n   Anschrift der Redaktion:                                                              schnellen Klimawandel so schnell        blem, Informationen aufzunehmen
           Kirchenzeitung, Evangelisches Dekanat Karlsruhe,                                      und so massiv, dass viele Arten sich    und sie adäquat zu bearbeiten, für
           Reinhold-Frank-Straße 48, 76133 Karlsruhe                                             nicht anpassen können. Dass Inseln      ökonomische, lebensbedrohliche
           E-Mail: kirchenzeitung-karlsruhe@gmx.de
           v.i.S.d.P. Hubert Streckert                                                           heute schon untergehen. So schnell,     Not, die wir alle auf viele Men-
           Die Redaktion freut sich über Rückmeldungen und Leserbriefe.                          dass uns in immer engeren Folgen        schen zukommen sehen und für die
           Die nächste Ausgabe erscheint am 26. März 2021                                        Unwetter, Stürme, Wetterstürze          Notwendigkeit, ihr zu begegnen,
           (Redaktionsschluss: 26. Februar 2021).                                                sowie riesige Niederschlagsmengen       für gezielte Forschung und Wis-
      n   Anzeigenleitung: Ulf Spannagel                                                        in kürzester Zeit überraschen.          senschaft, die sich nicht einfach am
      n   Satz und Druck: Badische Neueste Nachrichten                                          Dass sich in unsere politischen         Markt orientiert, für demokrati-
      n   Die Kirchenbezirke im Internet:                                                       Landkarten bereits heute Völker-        sche, politische Begleitung, für ge-
           www.ev-kirche-ka.de; www.kath-karlsruhe.de                                            wanderungen des 21. Jahrhunderts        genseitige Verantwortung welt-
                                                                                                 einzeichnen lassen, Völkerwande-        weit. Die Themen „Corona“ und
                                                                                                 rungen von Flüchtlingen aus Klima-      „Klima“ lösen sich nicht ab. Multi-
                                                                                                 gründen. Es ist die Rede von            tasking, also Arbeit an mehreren
                                                                                                 der Überhitzung der Erde, die ins-      Baustellen gleichzeitig, ist keine
                                                                                                 gesamt immer noch hingenommen           Option, sondern notwendige
                                                                                                 wird, als könne man sie zur Ab-         Pflicht.               Kira Busch-Wagner
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
34. Ausgabe | 27. November 2020                                  KIRCHEN ZEITUNG                                                                                               3

Weihnachten unter Pandemie-Bedingungen
Die Corona-Pandemie zwingt uns dazu, eingespielte Riten zu überdenken und zu verändern

A    lle Jahre wieder kommen die lieb-
     gewordenen Riten und Rituale in
der Advents- und Weihnachtszeit: Die
                                                                                                                                          Viele Textstellen in den Evangelien im
                                                                                                                                       Neuen Testament beschäftigen sich mit
                                                                                                                                       der Auseinandersetzung Jesu mit den
Weihnachtsfeier im Geschäft, das After-                                                                                                Ritualen und Vorschriften, deren strenge
Work-Glühwein-Trinken auf dem Weih-                                                                                                    Einhaltung die religiösen Autoritäten
nachtsmarkt, das morgendliche Lesen                                                                                                    seiner Zeit, wie die Schriftgelehrten und
oder Türchenöffnen im Adventskalen-                                                                                                    Pharisäer, bis zum i-Tüpfelchen genau
der, Karten schreiben, Geschenke kau-                                                                                                  einforderten. Ein auch heute aktuelles
fen, Weihnachtsbaumschmücken, Spei-                                                                                                    Beispiel wäre das Händewaschen. Frei-
se- und Einkaufsplan machen und                                                                                                        lich ging es damals in erster Linie nicht
unendlich vieles mehr. Auch die Gestal-                                                                                                um Desinfektion und Prävention vor ei-
tung des Heiligen Abends am 24. De-                                                                                                    nem Virus, aber doch auch um Hygiene-
zember richtet sich in vielen Familien                                                                                                 vorschriften. Die Waschungen, die in
nach einem festen Ritual: 15 Uhr Oma                                                                                                   vielen Religionen bis heute eine wichti-
abholen, 16 Uhr Familiengottesdienst                                                                                                   ge Rolle spielen, waren über viele Jahr-
mit Krippenspiel, anschließend gemein-                                                                                                 hunderte in der Geschichte der Mensch-
sames Essen, Geschenke überreichen                                                                                                     heit sicherlich auch ein wesentlicher
und auspacken, Weihnachtslieder singen                                                                                                 Beitrag, um die Ausbreitung vieler
unter dem Tannenbaum, Kinder und                                                                                                       Krankheiten und Seuchen einzudäm-
Oma ins Bett, ein gutes Glas Rotwein                                                                                                   men. Lukas erzählt in seinem Evangeli-
zum Abschluss.                                                                                                                         um im 11. Kapitel von einer Einladung
   Alle Jahre wieder. Aber dieses Jahr?                                                                                                Jesu im Hause eines Pharisäers. Als die-
Was so eingespielt ist und sich seit vielen                                                                                            ser beobachtet, dass Jesus sich nicht wie
Jahren bewährt hat, gerät – wie fast alles                                                                                             vom Gesetz vorgeschrieben die Hände
andere auch – unter den massiven Ein-                                                                                                  wäscht, ist er doch sehr verwundert. Un-
fluss der Covid 19-Pandemie. In diesem                                                                                                 gefragt erhebt Jesus das Wort und stellt
Jahr werden wir Weihnachten in man-                                                                                                    sein Verhalten in einen ganz anderen Zu-
chen Situationen neu erleben. Wir wer-                                                                                                 sammenhang und sagt: „ O ihr Pharisä-
den Weihnachten neu gestalten müssen.                                                                                                  er! Ihr haltet zwar Becher und Teller au-
Viele über Jahre hinweg eingespielte          Eventuell bietet uns die Covid 19-Pandemie die Möglichkeit, uns darauf zu                ßen sauber, innen aber seid ihr voll
feste Formen wird es so unter den Pande-      besinnen, worauf es an Weihnachten ankommt.                        Foto: me              Raubgier und Bosheit. Ihr Unverständi-
miebedingungen nicht geben können.                                                                                                     gen! Hat nicht der, der das Äußere schuf,
Wir müssen gewissermaßen alle zu Ri-                                                                                                   auch das Innere geschaffen? Gebt lieber,
ten-Designerinnen und Designern wer-          queren, tiefe Schluchten zu überwinden,      über die Sinne. Wenn die Flasche Cham-      was in den Schüsseln ist, den Armen,
den. Das beginnt in unseren Kirchen.          steile Anstiege zu bewältigen: die eigene    pagner knallt beim 50. und auf das Ge-      dann ist für euch alles rein.“(Lk 11,
Schon seit Wochen entwickeln wir viele        Sprachlosigkeit, den Bedeutungsüber-         burtstagskind angestoßen wird, laben        39b-41) Jesus kritisiert damit den schar-
Ideen, wie wir mit anderen Formen von         schuss, das Geheimnisvolle.                  sich die Trinkenden nicht nur an dem        fen Kontrast von äußerer Reinheit und
Gottesdiensten im Freien, im Fernsehen           Im „Kleinen Prinzen“ von Antoine de       köstlichen Getränk, sondern freuen sich     innerer Tücke. Äußeres und Inneres
oder digital die Botschaft von der            Saint Exupéry gibt es eine wunderschö-       auch über das Leben und ihre Beziehun-      müssen dieselbe Sprache sprechen. Die
Menschwerdung Gottes kommunizieren            ne Stelle im 21. Kapitel zum Thema Ri-       gen. Das Wörtchen „Prost“ kommt aus         innere Haltung ist auch für das äußerli-
können. Wie erreichen wir die Men-            tus: „Es wäre besser gewesen, du wärst       dem Lateinischen und bedeutet soviel        che Ritual entscheidend. Wenn sich mit
schen? Krippenspiele in Kurzfassung           zur selben Stunde wiedergekommen“,           wie „Es möge nützen, es möge zuträg-        dem äußeren Tun nicht die Einstellung
und möglichst mehrere Male hinterei-          sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel       lich sein.“                                 des Herzens verbindet, bleibt sie nur
nander vor laufendem Publikum. Redu-          um vier Uhr nachmittags kommst, kann                                                     Schein. Es geht um das Sein, um Au-
zierte Gottesdienstteilnehmerzahl mit         ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu         Mach’s wie Gott,                          thentizität und Identität, nicht nur in reli-
Anmeldung. Und das alles ohne Singen.         sein. Je mehr die Zeit vergeht, umso           werde Mensch!                             giösen Ritualen und Ausdrucksformen.
Wahrhaftig eine stille Nacht.                 glücklicher werde ich mich fühlen. Um           Bei der Taufe eines Kindes wird mit         Manchmal verkehren sich die Wir-
                                              vier Uhr werde ich mich schon aufregen       dem Übergießen mit Wasser und der           kungen von Ritualen ins Negative. Dann
  Riten und Rituale sind                      und beunruhigen; ich werde erfahren,         Spendeformel: „Ich taufe dich im Na-        wirken sie abgegriffen, überholt, sinn-
  Symbolhandlungen                            wie teuer das Glück ist. Wenn du aber        men des Vaters und des Sohnes und des       entleert oder kontraproduktiv. Wenn der
   Es lohnt sich tiefer einzusteigen und      irgendwann kommst, kann ich nie wis-         Heiligen Geistes“ das Leben eines Kin-      innere Gehalt nicht mehr zur äußeren
darüber nachzudenken, was Rituale –           sen, wann mein Herz da sein soll … Es        des gedeutet. Dieser Mensch ist von An-     Gestalt passt, wird ein Ritual wesenlos
nicht nur zur Weihnachtszeit – bedeuten.      muss feste Bräuche geben.“                   fang an nicht nur das Produkt aus Sper-     und einfach nur oberflächlich vervielfäl-
Vielleicht lassen sich so auch neue Po-          Im französischen Originaltext steht an    ma und Eizelle seiner Erzeuger,             tigt. Der flüchtige Kuss am Morgen beim
tentiale schöpfen, die unsere Kreativität     dieser Stelle: „Il faut des rites“ – wört-   festgelegt durch seinen genetischen Co-     Abschied kann genauso eine herzliche,
beflügeln, damit das Fest der Feste uns       lich übersetzt: „Es muss Riten geben“.       de, geprägt durch die vielfältigen Sozia-   tägliche Liebeserklärung sein, wie das
nicht abhandenkommt, sondern neuen               Auf die Frage, was ein Ritus ist, ant-    lisationsinstanzen, die seine Entwick-      täglich immer wieder neue Vortäuschen
Sinn und Zuversicht schenken kann.            wortete der Fuchs: „Es ist das, was einen    lung beeinflussen werden. Göttliches        einer Beziehung, die schon längst nicht
   Die Begriffe Ritus und Ritual haben        Tag vom anderen unterscheidet, eine          Leben steckt in jeder und jedem von uns,    mehr stimmt, oder das Vertrösten auf ein
ihre sprachlichen Wurzeln im Indoger-         Stunde von den anderen Stunden.“             Gott will erscheinen, aufs Neue Mensch      offenes Gespräch über die Partnerschaft,
manischen. Sie sind also uralt und ver-          Ich kenne keine schönere Beschrei-        werden in jedem Baby, das geboren           das schon lange anstehen würde.
binden die größte Sprachfamilie der           bung für das, was ein Ritus sein kann.       wird.                                          Es braucht auch bei Ritualen manch-
Welt mit über drei Milliarden Mutter-         Der Ritus oder das Ritual sagen, wann           Riten verbinden und helfen auszudrü-     mal eine Vergewisserung oder ein Up-
sprachlern. Ritus und Rituale stehen von      das Herz da sein soll, wie kostbar das       cken, was manch langer Vortrag nicht zu     date. Möglicherweise bietet sich an
Anfang an für wichtige kultische und re-      Glück ist, was die Unterschiede im Zeit-     formulieren weiß. Riten und Rituale ent-    Weihnachten 2020 unter Covid 19-Pan-
ligiöse Ausdrucksformen der Men-              gefühl ausmacht.                             lasten. Sie helfen, in Kulturen, Gesell-    demie-Bedingungen dafür eine gute Ge-
schen. Was Zahlen, Definitionen, Worte           Riten und Rituale sind Symbolhand-        schaften und Gemeinschaften hineinzu-       legenheit. Was feiern wir eigentlich?
und Formeln nicht sagen und beschrei-         lungen, die Menschen miteinander ver-        wachsen. Nicht nur zu DDR-Zeiten,           Was bedeutet uns Weihnachten? Welche
ben können, was sich nicht definieren         binden. Sie verweisen auf Bedeutungs-        sondern bis heute spielt die Jugendweihe    Formen finden wir, um unsere Freude,
lässt, packen Menschen in Riten und Ri-       oder Sinnzusammenhänge über den pro-         in den Bundesländern im Osten eine          unsere Gefühle und die Bedeutung aus-
tuale. Mein Lieblingsbild für das Ritual      fanen Alltag hinaus. Sie stellen symbo-      wichtige Rolle. Deshalb bietet selbst die   zudrücken?
ist ein Geländer, an dem ich mich fest-       lisch eine Wirklichkeit dar und verwei-      Kirche im Erfurter Dom jährlich für Ju-        Ein Dreh- und Angelpunkt für alte und
halten, entlangtasten, hochziehen kann.       sen auf einen größeren Zusammenhang.         gendliche und junge Erwachsene eine         neue weihnachtliche Rituale könnte der
Das Geländer gibt mir Sicherheit und             Riten und Rituale stiften Sinn und ha-    Feier der Lebenswende auch für Unge-        Hinweis sein: Mach’s wie Gott, werde
Halt, um unsicheres Gelände zu durch-         ben viel zu tun mit der Wahrnehmung          taufte an.                                  Mensch!                        Hubert Streckert
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
4                                                             KIRCHEN ZEITUNG                                                                34. Ausgabe | 27. November 2020

Zwischen Adventskranz und KSC-Hymne
Über Sinn und Zweck von Bräuchen und Ritualen

I  n den verschiedensten Lebensbereichen werden wir mit Ritualen konfrontiert. Sie können uns das Leben erleichtern oder uns einfach nur den Alltag verschönern. Mitglieder
   der Kirchenzeitungs-Redaktion haben sich auf dieser Doppelseite mit Bräuchen und Riten beschäftigt und stellen Menschen vor, die mit Ritualen zu tun haben. Da sind zum
Beispiel die Erzieherinnen, die den Kindern mithilfe von Ritualen die Bedeutung des Weihnachtsfests nahebringen. Da ist aber auch der Akrobat, für den es ein festes Ritual ist,
alljährlich auf dem Christkindlesmarkt aufzutreten und die Menschen zu erfreuen. Rituale können aber auch helfen, wenn es darum geht, mit der Trauer fertig zu werden.

Hell erleuchtete Fenster in dunkler Zeit
Caroline Handtmann organisiert seit Jahren einen lebendigen Adventskalender

D     er lebendige Adventskalender in
      Weiherfeld/Dammerstock hat eine
inzwischen schon recht lange Tradition:
                                            chen gegessen. „Für die Kleinen gab es
                                            natürlich Kinderpunsch, manche haben
                                            auch Feuerschalen aufgestellt und
                                                                                         türlich keine solchen Treffen mit rund100
                                                                                         Leuten organisieren“, bedauert Handt-
                                                                                         mann. Sie ist davon überzeugt, dass diese
„In diesem Jahr gibt es bereits die 14.     Stockbrot angeboten“, erinnert sich          schönen und besinnlichen Abende gerade
Auflage“, erzählt Caroline Handtmann,       Handtmann und schwärmt von den schö-         in diesen schweren Zeiten für viele Men-
die seit etwa sieben Jahren für die Orga-   nen und gemütlichen Abenden. „Je nach        schen wichtig gewesen wären.
nisation zuständig ist. Die Lehrerin, die   Wetter, Angebot und Wochentag kamen             „Wir haben uns dazu entschlossen,
ehrenamtlich in der Kirchengemeinde         da schon mal 100 bis 150 Leute zusam-        den Adventskalender nicht komplett
aktiv ist, erzählt begeistert von den zu-   men, die die Gemeinschaft genossen ha-       ausfallen zu lassen“, erklärt sie. Und so
rückliegenden Veranstaltungen. „Die         ben“, so die Organisatorin. Sie betont,      werden nun vom 1. bis zum 24. Dezem-
Leute waren immer so engagiert und ha-      dass es gerade in der dunklen Jahreszeit     ber in Weiherfeld und in Dammerstock
ben sich gerne an dieser wunderbaren        für die Menschen wichtig war, sich zu        jeweils 24 Fenster beleuchtet sein. Diese
Aktion beteiligt“, sagt sie. „Wenn ich      treffen. „Es war immer ein so schönes        Fenster können zwischen 18 und 21 Uhr
nach den Sommerferien meine Rund-           Miteinander“, meint sie und fügt hinzu,      bestaunt werden. Die genauen Adressen
mail an die potenziellen Teilnehmer ver-    dass vor allem auch die neuen Bewohner       der Adventskalender-Fenster werden im
schickt habe, waren spätestens bis St.      des Stadtteils von diesen Begegnungen        Pfarrbrief, in der Stadtteilzeitschrift und
Martin alle Fensterchen des Adventska-      sehr profitiert haben. „An solchen Aben-     auf Handzetteln, die in den Briefkästen
lenders verteilt“, meint Handtmann, die     den ist es leicht, sich kennenzulernen       verteilt werden, bekannt gegeben. „Es
jedes Jahr auch selbst eines der Advents-   und ins Gespräch zu kommen.“ Und             wird aber natürlich keine Bewirtung und
fenster gestaltet hat.                      noch etwas ist ihr wichtig: „Diese Ver-      kein Rahmenprogramm geben“, sagt
   Jeder hat dann an einem Tag sein fest-   anstaltungen waren eine Auszeit für die      Handtmann. „Die Menschen haben je-
lich geschmücktes Fenster hell erleuch-     Seele. Man konnte Kraft tanken und die       doch die Möglichkeit, auf ihrem Abend-
tet, die Menschen aus dem Stadtteil ka-     Zeit mit der Familie genießen.“              spaziergang die verschiedenen Fenster            Caroline Handtmann ist selbst jedes
men zusammen, haben gesungen,                  In diesem Jahr wird aber alles anders     zu besuchen und sich an der weihnacht-           Jahr mit einem festlich geschmückten
Weihnachtsgeschichten gehört, Glüh-         sein. „Aufgrund von Corona und den nun       lichen Stimmung und an der Dekoration            Fenster Teil des lebendigen Advents-
wein getrunken und Stollen oder Plätz-      nötigen Abstandsregeln können wir na-        zu erfreuen.“                   Martina Erhard   kalenders.                    Fotos: me

                                            Warten auf das Weihnachtsfest
                                            Rituale spielen im Kinderhaus Agnes eine wichtige Rolle

                                            D    ie Adventszeit ist geprägt von Vor-
                                                 freude auf das Weihnachtsfest.
                                            „Gerade in dieser Zeit sind Rituale wich-
                                                                                         nen, wie schön es ist, Freude zu schen-
                                                                                         ken“, sagt Stark. Die Kinder packen da-
                                                                                         her kleine Geschenktüten und geben sie
                                                                                                                                          lichen. Eine besondere Rolle dabei spielt
                                                                                                                                          der Adventskranz. „Mit dem Entzünden
                                                                                                                                          der Kerzen machen wir deutlich, dass es
                                            tig, denn alles, was wiederkehrt, wird       dem Nikolaus mit, damit dieser Kinder            von Woche zu Woche heller wird“, er-
                                            verinnerlicht“, ist Angelika Stark über-     beschenken kann, die weniger haben.              klärt Stark. „Diese Entwicklung vom
                                            zeugt. Sie und Gudrun Wohlfart leiten          „Wir haben das Glück, dass wir im              Dunkeln ins Helle thematisieren wir
                                            zusammen das Kinderhaus Agnes, eine          Moment im Caritaswaldheim im Hardt-              ganz bewusst.“ Wohlfart betont, dass es
                                            Einrichtung des Caritasverbands Karls-       wald untergebracht sind, weil unser Ge-          in der Kita aber keinen Weihnachtsbaum
                                            ruhe. „Die Kinder tauchen spielerisch in     bäude gerade saniert wird“, erzählt              gebe, da ein Weihnachtsbaum erst an
                                            die Adventszeit ein“, sagt Stark und fügt    Stark. „Das heißt, wir sind von Natur            Weihnachten geschmückt werden könne.
                                            hinzu, dass die Rituale den Kindern da-      umgeben.“ Die Kinder beschenken da-                 „Die Advents- und Weihnachtszeit ist
                                            bei helfen, die Adventszeit zu verstehen.    her auch die Tiere, die im nahen Wald            eine friedliche Zeit und das möchten wir
                                               Ab dem 1. Dezember wird täglich ein       leben. Sie bekommen Meisenknödel                 den Kindern auch so vermitteln“, versi-
                                            Türchen am Adventskalender geöffnet.         und Futterbäume. Der riesige Garten              chert Stark. Sie macht immer wieder die
                                            Das machen die Kinder in der Gruppe ge-      wird zudem genutzt, um einen Advents-            Erfahrung, dass die Kinder sehr dankbar
                                            meinsam, wodurch die Gemeinschaft ge-        weg zu gestalten, der mit Kerzen ge-             für diese Rituale sind. „Sie saugen all die
                                            fördert wird. „Am 6. Dezember kommt          schmückt wird. „Jeden Freitag treffen            Geschichten und Eindrücke regelrecht
                                            der Nikolaus zu den Kindern“, erzählt        wir uns im Außengelände und hören ei-            auf, und das tut der Seele gut“, meint
                                            Stark. Dieser Besuch werde in diesem         nen Teil der Weihnachtsgeschichte“, er-          Stark. „Wir geben christliche Werte wei-
                                            Jahr natürlich anders ausfallen als sonst    zählt Wohlfart. Sie empfindet die Vor-           ter“, sagt Wohlfart und ist davon über-
Die beiden Leiterinnen des Kinder-          üblich, meint sie. Der Nikolaus wird in      weihnachtszeit als heimelige Zeit, die           zeugt, dass wahrscheinlich nicht mehr in
hauses Agnes, Gudrun Wohlfart (vor-         den Garten kommen und den wartenden          dabei hilft, zur Ruhe und zur Stille zu          allen Familien der eigentliche Sinn des
ne) und Angelika Stark, legen Wert          Kindern, die ihn von den Fenstern aus be-    kommen.                                          Weihnachtsfests präsent sei. „Oft stehen
auf weihnachtliche Rituale. Das fest-       obachten, zuwinken, ehe er kleine Über-        Die Erzieherinnen sind davon über-             Geschenke und Kommerz im Vorder-
liche Schmücken des Hauses gehört           raschungen vor der Tür ablegen wird.         zeugt, dass all diese Rituale den Kindern        grund, nicht die Geburt von Jesus.“
dazu.                         Foto: me      „Uns ist es wichtig, dass die Kinder ler-    dabei helfen, ein Zeitgefühl zu verinner-                                       Martina Erhard
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
34. Ausgabe | 27. November 2020                                   KIRCHEN ZEITUNG                                                                                               5

Ein Akrobat muss am Boden bleiben
Der „Fliegende Weihnachtsmann“ Falko Traber vermisst den Christkindlesmarkt

S    chon seit Jahren gehört er für viele
     Karlsruher zum Christkindlesmarkt
ebenso dazu wie der Lieblingsglühwein-
                                                                                                                                        Vorarbeit, berichtet Falko Traber: „Es ist
                                                                                                                                        viel Technik im Einsatz, dann braucht es
                                                                                                                                        Kostüme, Feuerwerk und vieles mehr.“
stand, die Grillwurst und allerlei süße                                                                                                 Alles werde vom TÜV begleitet, denn
Leckereien: Falko Traber erscheint Tag                                                                                                  um der Sicherheit Willen dürfe man nir-
für Tag als der „Fliegende Weihnachts-                                                                                                  gendwo nachlässig handeln. „Es sind
mann“ am Himmel über den Ständen                                                                                                        viele Kleinigkeiten, die am Ende das
und Buden. Und nach der Landung be-                                                                                                     Bild für eine perfekte Show schaffen.“
kommen die Kinder Geschenke.                                                                                                               Um mit der ungewohnten Situation
   Dieses Jahr ist es anders. Es gibt we-                                                                                               zurechtzukommen und nicht die Zuver-
der den Christkindlesmarkt noch den                                                                                                     sicht zu verlieren, helfe ihm sein Glaube,
„Fliegenden Weihnachtsmann“. Nicht                                                                                                      sagt Falko Traber: „Der Glaube ist wich-
nur für die Karlsruherinnen und Karls-                                                                                                  tig, man darf ihn niemals verlieren. Ich
ruher fehlt damit ein wichtiger Teil der                                                                                                weiß: Gott ist in jedem Einzelnen. Mir
Vorweihnachtszeit. Ganz besonders                                                                                                       hat er immer geholfen, und ich vertraue
schmerzt es Falko Traber, der diese Auf-                                                                                                darauf, dass er mir auch jetzt hilft.“
tritte liebgewonnen hatte. „Ich hätte das                                                                                               Letztlich habe alles, auch Schwieriges,
sehr gern wieder gemacht,“ sagt er und                                                                                                  seinen Sinn. Nach diesem zu suchen,
fügt hinzu, dass die Absage für ihn ein       Falko Traber wird in diesem Jahr leider nicht als „Fliegender Weihnachts-                 helfe auch zu erkennen: „Es könnte auch
echter Schock gewesen sei. Dies ist ver-      mann“ über dem Karlsruher Christkindlesmarkt schweben.      Foto: Jörg Donecker           noch schlimmer sein.“ Zuversicht gibt
ständlich, denn seine Familie hat eine                                                                                                  ihm auch, dass die Planungen für das
lange Tradition im Schaustellergewerbe.                                                                                                 nächste Jahr noch nicht verloren sind.
„Schon seit 300 Jahren machen wir das,“       war ich immer unterwegs, immer in Be-         fühle mich, als würde ich in der Luft       „Man braucht diese Ziele in der Zu-
berichtet er. Er sei selbst auf einer Tour-   wegung.“ Nun nicht auftreten, nicht ein-      schweben.“                                  kunft,“ sagt Falko Traber. „Auch wenn
nee auf die Welt gekommen, das habe           mal reisen zu können, stelle ihn vor eine       Vieles sei bereits vorbereitet gewesen,   es sich jetzt komisch anfühlt – es wird
sein ganzes Leben geprägt. „Eigentlich        innere Herausforderung, gibt er zu: „Ich      denn ein Auftritt erfordere eine Menge      irgendwie weitergehen.“        Tobias Tiltscher

Nie ohne Kurvenshirt                                                                        Tradition und Corona
Meer aus blau-weißen Schals und KSC-Hymne                                                   Ein Bestattungsinstitut findet neue Wege

E    s ist für viele ein liebgewordenes Ri-
     tual: Bevor es wieder zum Spiel
geht, wird zuhause das Stadion-Outfit
                                              wenn sie draußen vor der Tür stehen
                                              müssen, so groß ist die Verbundenheit
                                              mit der Mannschaft“, erzählt Fuchs. Ni-
                                                                                            W      as sich während der Corona-Zeit
                                                                                                   geändert hat, passt für Marcus
                                                                                            Wiedemann in einen einzigen Satz: „Wir
zurechtgelegt; Trikot, Kurvenshirt und        na Ohlhauser hingegen schaut sich in der      haben etwas mehr gelernt zu trauern“.
Schal in einer wohl geordneten Abfolge        Corona-Pandemie keine Spiele im Fern-         Mit Abschied und Trauer hat er Erfah-
angezogen. Dann geht es zum vereinbar-        sehen an, auch wenn diese Zeit ohne           rung, denn der studierte Theologe ist
ten Treffpunkt, um dann gemeinsam im          Fußball für sie „furchtbar schlimm“ ist.      Bestatter und Trauerredner bei einem
Stadion die Mannschaft anzufeuern.               Doch auch der Mannschaft wird etwas        traditionsreichen Karlsruher Bestat-
   Das ist für Marco Fuchs nicht viel an-     fehlen, wenn sie vor fast leeren Rängen       tungsinstitut. Armin Stier, der dieses
ders. Er ist der 1. Vorsitzende der KSC       spielt, nämlich die Fans und damit „der       schon in der vierten Generation leitet,
Supporters, die als Dachverband für           Funke, der von den Tribünen auf das           hat ebenfalls gelernt, mit der Trauer von
3.500 KSC-Fans sprechen und die Inte-         Spielfeld überspringt und etwas bewirkt“,     Menschen heilsam umzugehen. Das be-
ressen der Fans gegenüber dem KSC und         so Marco Fuchs. Womit wir dann bei der        deute unter anderem, sagt er, sich Zeit
der Öffentlichkeit vertreten. Wenn dann       Frage nach dem Glauben wären, der frei-       für die Angehörigen zu nehmen, auf ihre
noch im Stadion das Badener Lied und          lich beim Fußball auf die Mannschaft und      Anliegen einzugehen und eine mög-
die KSC-Hymne angestimmt werden,              deren Erfolg fokussiert ist. Aber: „Der       lichst umfassende Begleitung anzubie-
singen die Fans begeistert mit, und das       Fußball vereint und verbindet – und das       ten.                                        Marcus Wiedemann und Armin Stier
Stadion wird in ein Meer aus blau-wei-        über Grenzen hinweg.“        Markus Mickein      Die Corona-Pandemie bedeute dafür        (von links) kennen sich mit Trauerri-
ßen Schals verwandelt.                                                                      jedoch eine große Herausforderung. Die      tualen aus.                  Foto: privat
   „Für viele ist der Fußball ein Ventil                                                    Teilnehmerzahl bei Trauerfeiern wurde
zum Alltag“, erklärt Nina Ohlhauser, 2.                                                     im Frühjahr radikal begrenzt. „Dafür
Vorsitzende der KSC Supporters. Ritua-                                                      hatten nicht alle Familien Verständnis“,    zu übertragen, könne man inzwischen
le gehören selbstverständlich dazu und                                                      berichtet er. „Wir sind ja nicht nur        über das Internet Angehörige aus aller
schaffen ein Gemeinschaftsgefühl. Dass                                                      Dienstleister, wir sind auch Seelsorger.    Welt einbeziehen. „Trauerfeiern bekom-
der KSC den Claim „Meine Heimat“, er-                                                       Die Menschen im Moment der Trauer           men so ein ganz neues Gesicht.“ Selbst
hielt, ist auch ein Verdienst der Suppor-                                                   mit dem Verweis auf Vorschriften zu-        Trauergruppen träfen sich inzwischen
ters, betont Ohlhauser.                                                                     rückweisen zu müssen, ist wirklich          per Videokonferenz. „Das ersetzt natür-
   Doch was machen die Fußball-Fans,                                                        hart“. Trotz allem laufe der weit über-     lich nicht die persönliche Begegnung“,
wenn der Stadionbesuch nicht mehr                                                           wiegende Teil der Trauerfeiern auch         räumt er ein, „aber sie können zumindest
möglich ist, wie seit Beginn dieses Jah-                                                    jetzt noch recht gewöhnlich ab, so Stier.   in Kontakt bleiben“.
res? „Ich bin mir sicher, dass viele Fans                                                   Gerade an den Details spüre man jedoch,        Nach dem Ende der Corona-Pande-
immer noch ihre Kleidung vor jedem                                                          dass dieses Jahr vieles anders sei. Erde    mie, ist Armin Stier sich sicher, werden
Spiel fein säuberlich rauslegen und an-                                                     ins Grab zu werfen sei nicht möglich,       Trauerfeiern wieder wie bisher in den
ziehen“, meint Marco Fuchs. Auch                                                            auch Beileidsbekundungen mit Hände-         Kapellen und Trauerräumen stattfinden.
wenn sich dann die meisten Fans mit                                                         schütteln gestalteten sich schwierig.       Was aber sicherlich bleiben werde,
dem Fernseher anstelle des Stadionbe-                                                          Gute Erfahrungen habe man mit Vi-        ergänzt Marcus Wiedemann, seien digi-
suchs begnügen müssen. Aber auch das          Für Nina Ohlhauser gehört der                 deotechnik gemacht, berichtet Wiede-        tale Technologien, die es ermöglichten,
gibt es: „Manche Fans fahren auch jetzt       Stadionbesuch zum Fan-Sein einfach            mann. Sei es zunächst darum gegangen,       mehr Menschen am gemeinsamen Ge-
noch zu den Auswärtsspielen – auch            dazu.                       Foto: mm          Bilder aus einer Kapelle nach draußen       denken teilhaben zu lassen. Tobias Tiltscher
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
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Neue Rituale braucht das Land
Die Corona-Pandemie hat innerhalb kürzester Zeit unsere Traditionen verändert

W      ie schön, ein großes Fest wird ver-
       anstaltet. Verwandte und Freunde
kommen zusammen, die Begrüßung fällt
herzlich aus. Alle mögen sich, alle umar-
men sich. Halt, das ist doch alles gar
nicht möglich. Wir haben Corona, da
muss man doch Abstand halten. Küss-
chen links, Küsschen rechts, das ist jetzt
viel zu gefährlich. Aber nach einem kur-
zen Schreckensmoment gibt das eigene
Gehirn endlich Entwarnung. Alles nicht
so schlimm, es ist ja nur eine Filmszene,
die man da gerade betrachtet. Also kann
man entspannt durchatmen und weiter
den Film genießen. So also war das da-
mals, vor dem Jahr 2020? Als man sich
noch ohne Abstands- und Hygienere-
geln mit den Eltern, den Freunden, den
Kollegen treffen konnte, als man noch
ohne schlechtes Gewissen gemeinsam
eine Tasse Kaffee trank und sich nicht
permanent fragen musste: „Ist das jetzt
tatsächlich erlaubt oder muss ich nicht
doch noch etwas mehr Abstand halten?“.
   Solche Momente des kurzen Erschre-
ckens beim Betrachten von Filmszenen
wird zurzeit wohl jeder kennen. Und je-       Noch zu Beginn des Jahres 2020 hätte man sich bei der Begrüßung einfach umarmt oder sich zumindest die Hände gereicht.
der, der dies erlebt, wird sich fragen, wie   Inzwischen gehört der Ellbogen-Gruß zum guten Ton. Man will ja sich und andere vor dem Virus schützen.         Foto: me
es nur so schnell habe gehen können mit
den neuen Ritualen, den Hygiene-Ritua-
len. So richtig und wichtig die Abstands-     che Absichten hatten. Ein schöner Ge-        sungen parat zu haben, die wirklich allen     anderen Städten oder gar anderen Län-
regelungen aktuell sind, so spannend ist      danke, an den man sich hoffentlich eines     Interessen gerecht werden.                    dern leben, an einem Ort treffen. Wann,
das Experiment, an dem wir gerade alle        Tages wieder erinnern wird.                                                                wenn nicht an Weihnachten? Viele Men-
teilnehmen. Ein Experiment, bei dem              So kreativ und sinnvoll die neuen Be-       Kann das traditionelle                      schen werden sich fragen, ob das tradi-
wir an uns selber testen können, wie lan-     grüßungsformen sind, so untauglich             Weihnachtsfest stattfinden?                 tionelle Familienfest in diesem Jahr
ge es dauert, bis wir althergebrachte Tra-    sind sie, wenn es darum geht, Liebe,            Befeuert von Scharfmachern im Inter-       überhaupt stattfinden kann. Große Par-
ditionen und Rituale verlernen. Es ist        Mitgefühl oder Anteilnahme auszudrü-         net gehen aber inzwischen Leute auf die       tys mit allen Verwandten und Freunden
noch kein Jahr her, dass wir uns ganz         cken. Wenn eine gute Freundin einen lie-     Straße und protestieren gegen jene Maß-       wird es in diesem Jahr sicher nicht ge-
selbstverständlich per Handschlag be-         ben Menschen verloren hat, kann man          nahmen, die eigentlich zu ihrem Schutz        ben. Die Einladungs-Marathons – Hei-
grüßten, dass wir uns umarmten, ver-          sie schwerlich mithilfe der Ghetto-Faust     und zum Schutz ihrer Familien getroffen       ligabend bei den Eltern, Zweiter Weih-
traut die Köpfe zusammensteckten,             trösten. Viele von uns kennen solche Si-     wurden. Aus Prinzip werden die AHA-           nachtsfeiertag bei den Schwiegereltern,
lachten und tuschelten.                       tuationen: Eine trauernde Freundin, ein      Regeln – Abstand halten, Hygiene be-          abends geht’s zur besten Freundin, und
                                              trauernder Freund steht vor einem, doch      achten, Alltagsmaske tragen – missach-        den Zweiten Weihnachtsfeiertag teilt
  Schnell an neue Formen                      man findet nicht die richtigen Worte des     tet. Was waren das für schockierende          man zwischen Tante Hedwig und Onkel
  der Begrüßung gewöhnt                       Trostes. Was ist also naheliegender als      Bilder, als Mitte November der Bundes-        Günther auf – werden ausfallen müssen.
  Und doch fühlen sich solche Szenen          eine feste Umarmung? Nun aber, in Co-        tag über ein neues Infektionsschutz-          Und so mancher wird darüber gar nicht
inzwischen fremd an, denn innerhalb           rona-Zeiten, steht man sich stattdessen      gesetz debattierte und Querdenker und         traurig sein.
kürzester Zeit haben sich neue Rituale        hilflos und ratlos gegenüber, denn es hat    Verschwörungstheoretiker (unterstützt            In diesem Jahr werden wir uns also an
entwickelt: Gab man guten Freunden            sich leider auch das Trauern verändert:      von AfD-Politikern) in das Reichstags-        den Weihnachtsfeiertagen auf die Kern-
früher ein Küsschen zur Begrüßung, so         Die Menschen sterben alleine, die Ange-      gebäude eindrangen, um Politiker zu be-       familie konzentrieren – verhalten sich
hält man ihnen nun den Ellbogen entge-        hörigen trauern alleine. Zur Beerdigung      schimpfen, zu bedrohen und zu beleidi-        alle in den Wochen davor verantwor-
gen. Auch bei Geschäftsterminen ist der       dürfen nur wenige Menschen, der Groß-        gen. Entlarvend auch die Aussage von          tungsvoll und diszipliniert, gehören da-
Ellbogen-Gruß inzwischen eine Selbst-         teil der Freunde und Verwandten darf         AfD-Politikern, die das neue Infektions-      zu natürlich auch die Großeltern. Viel-
verständlichkeit geworden. Eine Alter-        nicht zum Trauergottesdienst kommen.         schutzgesetz als „Ermächtigungsge-            leicht bietet uns dieses Weihnachtsfest
native dazu wäre der sogenannte „Wu-          Dabei kann es für Angehörige doch ein        setz“ diffamierten. Solch unsägliche          ja gerade deshalb die Chance, innezuhal-
han-Shake“, bei dem für die Begrüßung         solcher Trost sein, wenn sie an einer gro-   Vergleiche mit der NS-Diktatur konnte         ten und zu überlegen, wofür das Fest
einfach die Füße zum Einsatz kommen.          ßen Zahl von Trauergästen ablesen kön-       man auch in Karlsruhe vernehmen: An-          steht. Christen feiern an Weihnachten
Aber auch die coole „Ghetto-Faust“ ist        nen, wie sehr der Verstorbene geliebt        lässlich einer Querdenker-Demonstrati-        die Geburt von Jesus. Das Fest steht also
mittlerweile in höchsten Kreisen salon-       oder zumindest geschätzt und respek-         on stellte sich eine Elfjährige auf eine      nicht für Völlerei, Kommerz und Kon-
fähig geworden und man hat sogar schon        tiert wurde.                                 Stufe mit Anne Frank, weil sie ihren          sum, es steht für Besinnlichkeit, Ruhe
Kanzlerin Angela Merkel bei dieser läs-          Ja, es sind schwere Zeiten, aber den-     Kindergeburtstag aufgrund der Corona-         und vor allem für Liebe. Und Liebe hat
sigen Art der Begrüßung gesehen. Wer          noch führt in der aktuellen Corona-Si-       Beschränkungen heimlich feiern muss-          nun einmal nichts mit überdimensiona-
es etwas gediegener mag, ist mit dem          tuation kein Weg an den geltenden            te. Zur Erinnerung: Anne Frank wurde          len Geschenkebergen zu tun, weshalb
„Namasté“, einer kleinen Verbeugung,          Hygiene- und Abstandsregeln vorbei.          1945 von den Nazis im KZ Bergen-Bel-          in diesem Zusammenhang noch ein kur-
verbunden mit den vor der Brust gefalte-      Daher ist es umso verstörender, dass zu      sen ermordet. Wofür stehen diese Aus-         zer Gedanke zum Ritual des Schenkens
ten Händen, auf der sicheren Seite.           den leider inzwischen üblichen Ritualen      sagen? Für Geschichtsvergessenheit            erlaubt sein muss: Wir müssen nicht
  Wir alle haben uns so schnell an diese      auch die permanente Aufregung gehört:        oder für Geschichtsverfälschung?              kaufen um des Kaufens willen. An die-
neuen Formen der Begrüßung gewöhnt,           „Die Politik ordnet an, wir sind prinzi-        Und jetzt, in dieser Zeit der aufgeheiz-   ser Stelle sei verraten, dass es in der Fa-
dass die Frage erlaubt sein muss, ob der      piell dagegen“, ist eine Einstellung, mit    ten Stimmung, in dieser Situation, die        milie der Autorin in diesem Jahr keine
gute alte Handschlag jemals zurück-           der man auf bestimmten Internetporta-        von Unsicherheit geprägt ist, steht auch      Geschenke geben wird. Das Geld, das
kommen wird. Schließlich wurde das            len gut Quote machen kann. Nebenbei          noch Weihnachten vor der Tür – das Fest       sonst für kleine Aufmerksamkeiten aus-
Händeschütteln bereits im Mittelalter         muss die Frage erlaubt sein, wer in die-     der Liebe, das Fest der Begegnung. Es ist     gegeben wurde, kommt nun sozialen
populär, als die Ritter mit der leeren,       ser unübersichtlichen Situation tatsäch-     ein schönes Ritual, dass sich an den          Einrichtungen zugute. Vielleicht wird
ausgestreckten Hand demonstrierten,           lich mit den verantwortlichen Politikern     Weihnachtsfeiertagen die Familienmit-         daraus ja auch ein neues Ritual.
dass sie keine Waffen trugen und friedli-     tauschen möchte und es sich zutraut, Lö-     glieder, die inzwischen womöglich in                                         Martina Erhard
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
34. Ausgabe | 27. November 2020                                 KIRCHEN ZEITUNG                                                                                                   7

Liebe Leserinnen, liebe Leser,               tenliebe und Solidarität sind. Dafür        Hilfsbereitschaft, die wir tagtäglich aus   eine Abwechslung vom Alltag bieten zu
trotz Corona arbeiten unsere Mitarbei-       möchte ich mich herzlich bedanken.          der Bevölkerung erfahren, und die sich      können. Auch weiterhin arbeiten wir
ter*innen mit sehr großem Einsatz und           Die Corona-Pandemie schränkt unser       zum Beispiel in zahlreichen Masken-         laufend neue Unterstützungsangebote
Engagement und leisten tagtäglich Au-        aller Leben auch in der zweiten Phase       spenden äußert. Zusammen mit Künst-         aus. Unsere Quartiersmitarbeiterinnen
ßergewöhnliches, jede und jeder in ih-       sehr ein und verlangt uns allen viel ab.    lern gehen wir neue Wege, um mit an die     veröffentlichen diese regelmäßig in Son-
rem und seinem Bereich – in der Alten-       Wir bitten alle Angehörigen um ihr Ver-     Situation angepassten Veranstaltungen       der-Newslettern, die auch auf unserer
hilfe, der Eingliederungshilfe, der          ständnis. Wir wissen, dass das auch für     wie Konzerte und Gottesdienste unter        Homepage abgerufen oder am Telefon
Kinder- und Jugendhilfe, in den Zentra-      Sie nicht einfach ist. Umso mehr freuen     freiem Himmel den uns Anvertrauten          erfragt werden können. Diese stehen
len Diensten und in unseren Quartiers-       wir uns über die große Solidarität und      trotz weitreichender Einschränkungen        auch gerne bei anderen Anfragen mit
projekten. Sie stellen in diesen schwieri-                                                                                           Rat und Tat zur Seite.
gen Zeiten sicher, dass die uns                                                                                                        Wir alle freuen uns auf die Zeit nach
anvertrauten Menschen unterstützt, ver-                                                                                              der Pandemie, wenn wir wieder bei per-
sorgt, begleitet, betreut, gepflegt, be-                                                                                             sönlichen Begegnungen miteinander ins
schult werden und soweit wie nur mög-                                                                                                Gespräch kommen können.
lich am „normalen“ Leben teilnehmen                                                                                                    Alles Gute und bleiben Sie gesund!
können. Indem sie auch in dieser schwe-
ren Krise verlässlich zur Arbeit kommen                                                                                                Ihr Prof. Axel Göhringer
und diese mit Liebe zu den Menschen                                                                                                    Verwaltungsratsvorsitzender
gestalten, lassen sie die uns Anvertrau-                                                                                               Ihre Christine Jung-Weyand
ten täglich spüren, was gelebte Nächs-                                                                                                 Vorstand

Mit neuem Bus mobil
Aktion Mensch unterstützt das Martinshaus Berghausen

D    ie feierliche Übergabe eines Neu-
     fahrzeugs an die Außenwohngrup-
pe Arche Jöhlingen, das durch eine
                                             strukturierende Maßnahmen wahrzu-
                                             nehmen. „Wir freuen uns sehr, dass
                                             genau ein Jahr nach Einzug der Wohn-
                                                                                         Übergabe heraus: „Es ist enorm wichtig,
                                                                                         die Bewohnerinnen und Bewohner best-
                                                                                         möglich zur Selbstständigkeit zu unter-
                                                                                                                                     r*innen, die sich mit selbst gemalten
                                                                                                                                     Plakaten herzlich bedankten.
                                                                                                                                       Im Zuge der Dezentralisierung des
Spende der Aktion Mensch angeschafft         gruppe hier in Jöhlingen nun ein Klein-     stützen, und dazu braucht es mehr Flexi-    Martinshauses eröffnete der Badische
werden konnte, war eine willkommene          bus zur Verfügung steht. Dies hat die Ak-   bilität und Mobilität. Und genau das        Landesverein für Innere Mission 2019
Abwechslung für die Bewohner*innen.          tion Mensch durch ihre großzügige           wird durch den Kleinbus verbessert“, so     die gemeindenahe stationäre Außen-
Mit der offiziellen Übergabe durch die       Spende in Höhe von 30.000 Euro ermög-       Özcan, der die Wohngruppe mit einem         wohngruppe in Jöhlingen, in der 16
Leiterin des Martinshauses Dr. Christina     licht“, zeigte sich Einrichtungsleiterin    großen Präsentkorb für die vielgenutz-      Menschen mit geistiger Behinderung ein
Stampfl und unter Anwesenheit des            Stampfl dankbar. Auch Bürgermeister         ten Küchen bedachte. Entsprechend           neues barrierefreies Zuhause finden.
Walzbachtaler Bürgermeisters Timur           Timur Özcan stellte die Bedeutung der       groß war die Freude bei den Bewohne-             Fotos: Badischer Landesverein für Innere Mission
Özcan, der Presse sowie Angehöriger
und Mitarbeitender der Wohngruppe er-
hielten die Bewohner*innen endlich das
lang ersehnte Stück Mobilität. Der von
der Aktion Mensch geförderte Kleinbus
wird helfen, die Anbindung an das
Stammhaus in Pfinztal-Berghausen zu
gewährleisten, die Bewohner*innen zu
Feiern, Festen, Ausflügen und Freizei-
ten zu befördern und auch ärztliche und
therapeutische Angebote und tages-
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
8                                                               KIRCHEN ZEITUNG                                                             34. Ausgabe | 27. November 2020

Die Kunst der Pause:
Von den Unterbrechungen des Alltags
Aus der Arbeit der Ökumenischen Krisen- und Lebensberatungsstelle brücke

Z    u meinen Lieblingsszenen des
     holländischen Musik-Kabarettisten
Hans Liberg gehört die Nummer „Klas-
                                                                                                                                       Einzelne, die Gemeinschaft und auch
                                                                                                                                       der schöne verletzliche blaue Planet
                                                                                                                                       wieder zu Atem finden.
sische Musik ist zu lang“. Darin spielt er                                                                                               In Beratung und Seelsorge machen
ein Klavierkonzert von Tschaikowsky –                                                                                                  Menschen bei längeren Gesprächsreihen
und lässt alle Pausen einfach weg. Das                                                                                                 immer wieder die interessante Erfah-
Publikum biegt sich vor Lachen bei so                                                                                                  rung: Zwischen den einzelnen Termi-
viel Nonsens. Es klingt furchtbar. Doch                                                                                                nen, in den Pausen, geschieht ganz viel.
die Pointe ist schnell klar: „Ohne die                                                                                                 Das Gespräch ist das eine, die Zeit da-
Pausen ist das Stück völlig uninteres-                                                                                                 zwischen das andere. Beides ist wichtig.
sant!“                                                                                                                                 Und auch während der Gespräche erge-
   Die Szene fiel mir immer wieder ein,                                                                                                ben sich manchmal Pausen, in denen oft
als es in den letzten Monaten darum                                                                                                    ganz Entscheidendes passiert. Noch oh-
ging, mit den mehr oder weniger Coro-                                                                                                  ne Worte formt sich „etwas“, das dann
na-bedingten erzwungenen Pausen im                                                                                                     bedeutungsvoll wird.
Alltag konstruktiv umzugehen. Pausen
in der Musik wie im Alltag sind absolut                                                                                                  (Neue) Pausen-Rituale
unverzichtbar. Doch durch die Krisen-                                                                                                    entwickeln
zeiten der letzten Monate wurde die Be-                                                                                                   Übrigens: In den speziellen Beratun-
deutung der Unterbrechung, des Frei-                                                                                                   gen rund um das Thema Erschöpfung,
raums, des Nicht-Möglichen auf ganz                                                                                                    Burnout, Depression spielt das Ritual
besondere Weise deutlich. Obwohl es                                                                                                    der Pause eine hervorragende Rolle. Als
natürlich nicht immer zum Lachen war.                                                                                                  Hilfe und Anleitung zu einer konstrukti-
Für manche Ratsuchende in unserer Kri-                                                                                                 ven Selbststeuerung gilt es in einem ers-
sen- und Lebensberatungsstelle haben                                                                                                   ten Schritt, ein festes neues Ritual des
die neuen „Zwangspausen“ manche al-          Die brücke am Kronenplatz bietet Ratsuchenden unkompliziert Gespräche an.                 Innehaltens zu entwickeln, zum Beispiel
ten Themen ans Tageslicht gebracht.          Aufgrund von Corona ist dies zurzeit jedoch nur nach vorheriger telefonischer             mit der Idee, mit dem eigenen Lebens-
Ungeklärte Beziehungsfragen, ein aus-        Kontaktaufnahme möglich.                                      Foto: privat / brücke       alter Zeiteinheiten zu bilden. Einem 52-
beutender Umgang mit sich selbst, oder                                                                                                 Jährigen empfehle ich: Mindestens ein-
auch die tieferliegende Frage, ob die                                                                                                  mal am Tag für 52 Sekunden ganz be-
Prioritäten im eigenen Leben richtig ge-     deckung und wie ein Geschenk. „Ich           wichtigen Zusammenhang hat die Zür-          wusst pausieren, sich selbst freundlich
wählt sind. Der neue Stress durch so viel    habe tatsächlich gelernt, mein Normal-       cher Sozialforscherin Gabriela Muri im-      anschauen. Die gerade laufende Aktivi-
Unplanbares und Unvorhergesehenes            tempo zu drosseln. Ich mache jetzt be-       mer wieder hingewiesen. Sie sagt: „Das       tät unterbrechen, gezielt etwas Schönes
und die tatsächlichen Anforderungen an       wusst mehr Pausen“, sagt eine Besuche-       Management der eigenen Zeit ist eine         machen. Bewusst atmen. Und Frühsig-
das Miteinander in einer Pandemie ha-        rin. In der hohen Alltagsgeschwin-           anspruchsvolle und notwendige soziale        nale der Erschöpfung wahrnehmen und
ben manche Probleme verstärkt wie in         digkeit, die viele von uns erleben, gehört   Kompetenz wie Lesen und Schreiben.“
einem Brennglas. Und wer mit Arbeits-        die Wiederentdeckung der Pause viel-         Darum sei die Synchronisation der Zeit,
losigkeit zu kämpfen hat oder nicht ar-      leicht zu den Dingen, für die manche im      etwa mit dem Partner oder der Partnerin,
beiten kann, für den können erzwungene       Rückblick auf das Jahr 2020 dankbar          kompliziert.
Pausen wie zu Corona-Zeiten unter Um-        sind. Lernpsychologisch ist die Pause
ständen das Gefühl verstärken, dass alles    nachgewiesenermaßen die Zeit, in der           Leben und Arbeiten
aus dem Ruder läuft.                         mein Gehirn Dinge verarbeiten und ab-
                                             speichern kann. Um mich auch emotio-           in der 24/7-Gesellschaft
  Erzwungene Unterbre-                       nal gesund entwickeln zu können, brau-         braucht Pausen
  chungen als Zeitgeschenk                   che ich Pausen und Unterbrechungen.             Vermutlich werden die meisten zu-
  Für andere wiederum waren und sind         So kann ich beim Innehalten wahr-            stimmen: Etwas Unerledigtes bleibt im-
die Unterbrechungen und „neuen“ ver-         nehmen, was ist, und selbsterforschend       mer zurück. E-Mails, die man beantwor-       gegensteuern. Oder auch: Einmal in der
ordneten Pausenzeiten fast wie eine Ent-     freundlich auf mich schauen. Auf diesen      ten, Meetings, die man vorbereiten           Woche 52 Minuten lang spazieren gehen
                                                                                          sollte. Es gibt immer noch ein Projekt, an   oder ins Grüne radeln.
                                                                                          dem man eigentlich arbeiten will, erst          Die drei großen Religionen Judentum,
                                                                                          recht, wenn man die eigene Arbeit als        Christentum und Islam kennen dieses
                                                                                          sinnvoll erlebt. Die Zeit jenseits der Ar-   „Aufhören“, kennen den ritualisierten
                                                                                          beit wirklich als freie Zeit zu erleben,     Rhythmus der Woche. Auch als Gesell-
                                                                                          wird schwieriger. Und auch Freizeit          schaft und in unserer globalen Verant-
                                                                                          kann sich wie Arbeit anfühlen, wenn          wortung wäre die Pause eine Chance, die
                                                                                          man sie mit Terminen durchtaktet. In ei-     Hamsterräder des atemlosen Konsums
                                                                                          ner 24/7-Gesellschaft (Jonathan Crary),      bewusst und gezielt zu unterbrechen. In
                                                                                          in der jede und jeder immer und überall      Abwandlung des anfangs erwähnten Zi-
                                                                                          erreichbar sein soll, kommt es zuneh-        tats von Hans Liberg könnte man sagen:
                                                                                          mend zu einer Entgrenzung zwischen           Ohne Pausen ist das Leben völlig uninte-
                                                                                          Arbeit und Freizeit, zwischen Tun und        ressant. Es ist zudem viel zu kurz und zu
                                                                                          Nichtstun. Die Debatten um gesell-           kostbar, um es ohne qualitätsvolle Pau-
                                                                                          schaftliche Trends und globale Entwick-      sen zu verbringen! Die vielstimmige Re-
                                                                                          lungen spiegeln sich dann auch in den        sonanz derer, die das Beratungsangebot
                                                                                          Anliegen der Ratsuchenden in unserer         der brücke nutzen, zeigt mir, dass das
                                                                                          Krisen- und Lebensberatungsstelle. Es        Entdecken und Einüben von Pausen, die
                                                                                          könnte sein, dass die fehlende Kultur des    Kunst des Pausierens, sich für Leib, See-
                                                                                          Pausierens sich auf jeder Ebene unseres      le und Geist heilsam auswirkt.
                                                                                          Erlebens widerspiegelt: Sowohl indivi-              Christoph Lang, Pfarrer für beratende Seelsorge
                                                                                          duell als auch gesellschaftlich und glo-            und Stellvertretender Leiter der Ökumenischen
                                                                                          bal können Pausen dazu dienen, dass der                  Krisen- und Lebensberatungsstelle brücke
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
34. Ausgabe | 27. November 2020                               KIRCHEN ZEITUNG                                                                                             9

Trügerische Sicherheit durch Schnelltests
Flächendeckende Teststrategie der Politik stellt Pflegeeinrichtungen vor personelle, finanzielle und
logistische Probleme / Personell ist die Strategie kaum umsetzbar, eine Fehlerquote ist vorprogrammiert

S   eit Jahresbeginn wütet die Corona-
    Pandemie – mal etwas stärker, mal
etwas schwächer. Obwohl viele zu Be-
                                                                                                                                  einschlägigen Bundesverordnung, also
                                                                                                                                  seit 15. Oktober 2020, waren gute und
                                                                                                                                  vom Robert Koch-Institut (RKI) zuge-
ginn noch recht wenig über das neuarti-                                                                                           lassene Tests zu diesem Preis einfach
ge Virus wussten, stellte sich doch                                                                                               nicht zu bekommen“, heißt es in der
schnell heraus, dass vor allem ältere                                                                                             Stellungnahme. „Mal wieder werden
Menschen und Menschen mit Vorer-                                                                                                  seitens der Politik in der Öffentlichkeit
krankungen zu den Risikogruppen gehö-                                                                                             gutklingende Konzepte kommuniziert,
ren. Mittlerweile liegen aber auch Jün-                                                                                           die die Menschen beruhigen sollen.
gere, wie etwa 30- bis 50-Jährige, auf                                                                                            Doch die Sicherheit, die hier vorgegau-
den Intensivstationen.                                                                                                            kelt wird, gibt es in der Praxis so nicht“,
  In Pflegeeinrichtungen leben vor al-                                                                                            so die Autoren weiter.
lem ältere Menschen. Und dort arbeiten
diejenigen, die, wie Mitarbeitende in                                                                                               FFP2-Masken schützen
Kliniken und ambulanten Diensten, vor-                                                                                              Bewohner und Mitarbeiter
rangig die Versorgung sicherstellen sol-                                                                                             „Wir benötigen Fachkräfte für diese
len. Sie zu schützen, muss auch gesell-                                                                                           Maßnahmen und dazu benötigen wir,
schaftlich oberstes Gebot sein.                                                                                                   sofern die personellen Ressourcen
                                                                                                                                  überhaupt zu gewinnen sind, natürlich
  Die Pflegeeinrichtungen                                                                                                         auch die finanziellen Mittel“, so Dr.
  kommen ins Obligo                                                                                                               Michel.
   „Die Politik hat sich nun überlegt,                                                                                               Leider muss aber auch allen klar sein,
dass dieser Schutz mit einem flächende-                                                                                           dass es eine hundertprozentige Sicher-
ckenden Einsatz von sogenannten Coro-                                                                                             heit nicht geben könne, denn „die Tes-
na-Schnelltests, den PoC-Antigentests,                                                                                            tung von Besuchern ist freiwillig, wir
funktioniere“, so Dr. Martin Michel,                                                                                              können also niemanden zwingen, sich
Vorstandsvorsitzender der Evangeli-                                                                                               testen zu lassen“, erklärt Dr. Michel.
schen Stadtmission und Vorstand des                                                                                               „Außerdem weisen die ‚PoC-Antigen-
Pflegebündnisses TechnologieRegion                                                                                                tests‘, die aktuell verwendet werden, ei-
Karlsruhe e.V., in dem 48 Mitglieder mit                                                                                          ne Fehlerrate von zehn bis 20 Prozent
rund 4.500 Mitarbeitenden im Gesund-                                                                                              auf und geben auch nur den Status an
heitsbereich aktiv sind.                                                                                                          diesem Tag wieder“.
   „PoC-Schnelltests an Besuchern, Be-                                                                                               Die vor uns liegende dramatische CO-
wohnern und Mitarbeitern so durchzu-                                                                                              VID-19 Erkrankungsrate von Dezember
führen, wie die Politik es sich am grünen                                                                                         2020 bis Februar 2021, sofern der sog.
Tisch ausgedacht hat, ist personell nicht   Corona-Tests müssen von geschultem Fachpersonal vorgenommen werden.                   R-Wert nicht deutlich gesenkt wird, fin-
zu leisten“. Da die Refinanzierung des      Dies kostet Zeit und Geld. Pflegeeinrichtungen brauchen daher mehr Unterstüt-         det man übrigens online unter den Stich-
Aufwands, wie Personal und Schutzaus-       zung, um die von der Politik gewünschte Teststrategie umsetzen zu können.             worten „Universität Saarbrücken Simu-
rüstung, nicht auskömmlich geregelt sei,                                                                                          lation COVID“.
müsste vorhandenes Fachkraftpersonal                                                                                                 Dr. Michel betont, dass daher jeder
für Besuchertests von den Wohnberei-        und die Pflegeeinrichtungen kommen         das erfordert nahezu vier Pflegekräfte     Einzelne seinen Beitrag zur Eindäm-
chen dafür abgezogen werden. Das aber       ins Obligo und werden in der Öffentlich-   (bei angenommenen 2.000 Tests im Mo-       mung der Pandemie leisten müsse. „So
ist ethisch unsittlich und versorgungs-     keit ungerechtfertigt zur Zielscheibe“,    nat für Bewohner, Personal und Besu-       tragen die Besucher in unseren Einrich-
vertraglich eigentlich unzulässig. Wol-     so Dr. Michel.                             cher und einer angenommenen Dauer          tungen, wie auch alle Mitarbeitenden,
len Politik und Kassen also, dass der Be-     Das Pflegebündnis Mittelbaden und        von 20 Minuten je Test)“.                  zertifizierte und ventillose FFP2-Mas-
wohner auf seine vertraglich vereinbarte    das Pflegebündnis TechnologieRegion          Die beiden Pflegebündnisse weisen        ken“, erklärt er. „Das ist eine einfache
Versorgung verzichtet und den nicht re-     Karlsruhe weisen darauf hin: „Die          auch darauf hin, dass die Einrichtungen    Maßnahme, die dem Schutz unserer Be-
finanzierten Zeitaufwand für Besucher-      Durchführung der Tests erfordert bei ei-   die Tests selbst einzukaufen haben. „Von   wohner und unserer Mitarbeiter dient
tests auch noch bezahlt?                    nem Pflegeheim mit 100 Bewohnern laut      der Bundesregierung wurden die Erstat-     und auch von den Angehörigen und Be-
   „Politik und gesetzliche Kostenträger    Mustertestkonzept des Landes Baden-        tungskosten auf 7 Euro inklusive Mehr-     suchenden unterstützt wird.“
waschen ihre Hände nun in Unschuld,         Württemberg 660 Stunden im Monat,          wertsteuer gedeckelt. Ab Geltung der                              Evangelische Stadtmission
KIRCHEN ZEITUNG - Dekanat Karlsruhe
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