ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG

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ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
Erforschung von Universum
und Materie – ErUM
Rahmenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis

Vorwort                                                                                                                                                                               2

Mit neuem Wissen für die Zukunft vorsorgen                                                                                                                                            4

Teilchen, Materie und Universum erforschen                                                                                                                                            6
Teilchen: Was die Welt zusammenhält ............................................................................................................................. 6
Materie: Verstehen und verbessern.................................................................................................................................... 8
Universum: Empfang auf allen Frequenzen ..................................................................................................................... 8
Forschungsinfrastrukturen liefern Antworten................................................................................................................. 9

Gemeinsam Strategien entwickeln                                                                                                                                                    12
Strategieprozesse zusammenführen................................................................................................................................ 12
Leitziele und Handlungsfelder.......................................................................................................................................... 14
Aktionspläne......................................................................................................................................................................... 15

Die Handlungsfelder des Programms                                                                                                                                         16–33

Die Großgerätelandschaft gestalten                                                                                                                                                 16

Nachwuchs fördern, Spitzenkräfte gewinnen                                                                                                                                          22

Wissenschaft national und international vernetzen                                                                                                                                  26

Innovation stimulieren und Partizipation ermöglichen                                                                                                                               30

Operative Umsetzung                                                                                                                                                                34
Struktur des Programms .................................................................................................................................................... 34
Förderinstrumente .............................................................................................................................................................. 35
Fachinformation................................................................................................................................................................... 37
Fördermittel.......................................................................................................................................................................... 37

Glossar                                                                                                                                                                            38

Impressum                                                                                                                                                                          41
ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
Vorwort
Grundlagenforschung macht Deutschland fit für die Zukunft, dient sie doch weit mehr als nur dem reinen Erkenntnisgewinn:
Aus ihr können auch technische Innovationen entstehen. Grundlagenforschung ist somit der Schlüssel, um wesentliche Fragen
unserer Zeit zu beantworten: ganz gleich, ob es um Gesundheit, Mobilität oder zum Beispiel um die Energieversorgung geht. Ohne
naturwissenschaftliche Grundlagenforschung wäre der Fortschritt in unserem Land nicht möglich.

Allerdings gibt es dafür eine Voraussetzung – und das ist eine Wissenschaft, die offen, exzellenzbasiert und leistungsfähig ist. Nur
sie kann neue, ungeahnte Perspektiven eröffnen. Denn wo oder wie man die neuen Erkenntnisse später anwenden kann, ist oft
nicht vorhersagbar. Die Erfahrung lehrt uns aber, dass sie früher oder später ihren Weg in unseren Alltag finden. Ein Beispiel dafür
ist Albert Einsteins Relativitätstheorie. Ursprünglich rein wissenschaftsgetrieben, findet sie heute unter anderem in Navigations-
systemen Anwendung. An ihren Großgeräten untersuchen Grundlagenforscher die Struktur und Wirkung von Proteinen. Oder
sie beobachten Batterien im Betrieb, um die für die Energiewende notwendigen Energiespeicher zu verbessern. Auf diese Weise
erreicht uns aus der Grundlagenforschung ein kontinuierlicher Strom von Ideen und neuen Technologien mit Anwendungen in
Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.

Mit dem vorliegenden Rahmenprogramm „Erforschung von Universum und Materie“ fördern wir exzellente naturwissenschaftli-
che Grundlagenforschung - von der Untersuchung allerkleinster Teilchen bis zur Erkundung der Weiten des Universums. Hierzu
unterhalten wir modernste Forschungsinfrastrukturen in der ganzen Welt, auch in internationaler Zusammenarbeit. Wir stärken
kompetenten wissenschaftlich-technischen Nachwuchs, der diese Forschungslandschaft lebendig macht. So schaffen wir erstklas-
sige Bedingungen für Spitzenforschung in und aus Deutschland. Es entsteht ein attraktives Umfeld, in dem Visionen und Ideen zu
neuen Erkenntnissen und Technologien reifen.

Mit dem Rahmenprogramm nehmen wir gleichzeitig die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Verantwortung: Denn
zu ihren Aufgaben gehört es auch, mit der Gesellschaft in einen breiten Dialog zu treten und ihre Arbeit zu erklären. Damit die
Menschen der Forschung auch weiterhin offen gegenüberstehen, ist es erforderlich, dass sie den wissenschaftlichen Antrieb und
den Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnisse nachvollziehen können. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dabei erkennen kön-
nen, dass die Forschung ihnen auch direkt zugutekommt. Nur dann kann sich das Potenzial der Forschung voll entfalten.

Auch die Wirtschaft ist Teil dieses Netzwerks. Gute Ideen, neue Technologien und digitale Methoden aus der Grundlagenfor-
schung müssen ihren Weg schneller in konkrete Anwendungen finden. Wir wollen, dass solche Technologien möglichst schnell
zum Nutzen der Menschen eingesetzt werden. Deshalb ist das Rahmenprogramm auch in die Hightech-Strategie 2025 eingebettet.

Wir investieren in Grundlagenforschung, damit Deutschland auch künftig ein führender Wissenschafts- und Innovationsstand-
ort ist. Ich lade alle Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen, alle Bürgerinnen und Bürger, alle Unternehmerinnen und
Unternehmer ein: Lassen Sie uns Deutschland mit starker Forschung und geeigneten Rahmenbedingungen zum Land der Ideen
machen!

Anja Karliczek

Mitglied des Deutschen Bundestages
Bundesministerin für Bildung und Forschung
ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
Die Photonenquelle PETRA III in Hamburg ist weltweiter Anziehungspunkt
für Expertinnen und Experten aus Physik, Chemie, Biologie, Materialforschung
und anderen Forschungsfeldern.
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Mit neuem Wissen für die Zukunft vorsorgen

Grundlagenforschung ist Zukunftsvorsorge für nachfol­      hunderte von Fotos und die hochauflösenden Displays
gende Generationen. Die Erforschung von Teilchen, Ma­      beruhen auf Effekten der Quantenphysik: All diese
terie und Universum erweitert das Wissen von heute und     technischen Innovationen wären undenkbar ohne die
schafft die Grundlage für Technologien von morgen und      Fortschritte der naturwissenschaftlichen Grundlagen-
übermorgen. Intensive Forschungsanstrengungen si­          forschung.
chern Deutschlands wirtschaftliche Zukunft und damit
langfristig den Wohlstand unserer Gesellschaft. Dabei      Schon in der Urzeit haben naturwissenschaftliche
nutzt die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung       Erkenntnisse die Gesellschaft geprägt. Der Blick in die
faszinierende Techniken an der Grenze des Machbaren        Sterne fasziniert Menschen seit Jahrtausenden. Jenseits
und bringt exzellente neue Ideen hervor. Die langfristig   dieser Faszination hat das aus der Beobachtung gesam-
angelegte Förderung erstklassiger Grundlagenforschung      melte Wissen eine oft lebenswichtige Bedeutung. Aus
macht Deutschland zu einem attraktiven Standort für        der Kenntnis des Laufs der Gestirne ließen sich Termi-
die besten Forscherinnen und Forscher aus aller Welt.      ne für Aussaat oder Ernte ablesen. Die ersten Astrono-
                                                           men haben mit ihren Beobachtungen die Grundlage
Einer der ersten Handgriffe am Morgen gilt heute bei       für die Agrargesellschaft gelegt.
vielen Menschen dem Smartphone – um den Wecker
abzuschalten, um einen Blick auf die aktuellen Nach-       Auch heute ist die Neugierde der Forscherinnen und
richten zu werfen oder um schnell die Termine und das      Forscher die Triebfeder für Erfindungen und Entde­
Wetter des beginnenden Tages zu prüfen. Während des        ckungen, die – manchmal sofort, oft aber erst später –
ganzen Tages ist dieser tragbare Hochleistungscompu-       als gesellschaftliche Errungenschaften wahrgenommen
ter ein ständiger Begleiter und dient der Kommunika-       werden.
tion, Navigation, Entspannung und Unterhaltung. Das
Smartphone vereint viele der technischen Innovatio-        Mit der Erforschung der kleinsten Teilchen, des
nen der letzten Jahrzehnte in sich, die aus weit über      Aufbaus und der Funktion der Materie sowie des
hundert Jahren Grundlagenforschung hervorgegangen          Universums verschieben Wissenschaftlerinnen und
sind: In ihm sind Radiowellensender und -empfänger         Wissenschaftler die Grenzen naturwissenschaftlicher
für verschiedene Frequenzbereiche verbaut, sowohl          Erkenntnis und liefern Beiträge zu wichtigen gesell-
für Telefon und WLAN als auch für Bluetooth und das        schaftlichen Fragestellungen. Dazu sind moderne
Navigationssystem GPS. Die Kamera, die in manchen          und immer komplexere Forschungsinfrastrukturen
Modellen sogar kinotaugliche Filme aus dem Taschen-        notwendig – beispielsweise Teilchenbeschleuniger wie
computer zaubert, die winzigen Datenspeicher für           der Large Hadron Collider (LHC) in Genf oder Groß-
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Die Neugier, die immer wieder neu gestellte Frage nach dem
                                                            „Warum, Woher und Wohin“, ist eine tiefe menschliche Regung. Die
                                                            Antworten, die die Wissenschaft liefert, berühren alle Menschen
                                                            genauso, wie sonst nur Musik, Kunst oder Literatur. Das Mitfiebern
                                                            bei der Mondlandung ist dafür ebenso Beleg wie das große öffent-
                                                            liche Interesse an der erfolgreichen Suche nach dem Higgs-Boson
                                                            mithilfe des Teilchenbeschleunigers LHC in Genf.

teleskope wie das Very Large Telescope (VLT) in Chile.    Die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung soll
Solche Großgeräte sind ein wesentlicher Bestandteil       auch zukünftig unsere Gesellschaft bereichern. Daher
unseres Wissenschaftssystems und bieten einzigartige      stellt die Bundesregierung mit diesem Rahmenpro-
Forschungsmöglichkeiten.                                  gramm die Weichen für wissenschaftliche Spitzenleis­
                                                          tungen und Zukunftstechnologien sowie für Innovati-
Die Wissenschaft stellt hohe Anforderungen an Präzi-      onskeime und den wissenschaftlichen Nachwuchs von
sion und Komplexität der Forschungsinfrastrukturen.       morgen. Dafür setzt das Bundesforschungsministerium
Für Wirtschaftszweige wie Maschinenbau, Bauwesen          forschungspolitische Schwerpunkte in vier Handlungs-
und die feinmechanisch-optische Industrie sind sie ein    feldern:
wichtiger Technologietreiber, etwa bei der Entwicklung
und dem Bau neuer Teilchenbeschleuniger, Photonen-        ∙∙ Großgerätelandschaft,
quellen oder Teleskope.
                                                          ∙∙ MINT-Nachwuchs1,
Die Vielfalt der potentiellen Erfindungen und An-
wendungen, die entstehen, ist nicht vorhersagbar. Der     ∙∙ Vernetzung sowie
Bund schafft geeignete Rahmenbedingungen und ei-
nen Nährboden, damit hieraus Innovationskeime und         ∙∙ Transfer und Partizipation.
später Innovationen erwachsen können. Voraussetzung
für hohe Innovationsleistung ist ein offenes, exzellen-   In diesen vier Feldern gestaltet das Bundesforschungs-
tes und attraktives Wissenschaftssystem.                  ministerium die naturwissenschaftliche Grundlagen-
                                                          forschung an Großgeräten in einem strategischen Pro-
Ein langer Atem kann dabei notwendig sein: Von            zess. Das vorliegende Programm bildet den strategisch-
Maxwells Gleichungen der Elektrodynamik über die          thematischen Rahmen – für den Blick in die Tiefen der
Erzeugung elektromagnetischer Wellen durch Heinrich       Materie und die Weiten des Universums.
Hertz bis zum Beginn der Funktechnik durch die Pio-
niere Ferdinand Braun, Guglielmo Marconi und andere
waren es rund dreißig Jahre – bis darauf aufbauend ein
modernes Smartphone entstand etwas mehr als weite-
re hundert Jahre.

                                                          ¹ MINT – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik
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6                                                                                             Rahmenprogramm „ErUM“

Teilchen, Materie und Universum erforschen
Das Bundesforschungsministerium stärkt den Wissen­               ministerium mit neuem Wissen die Zukunft – sowohl
schaftsstandort Deutschland mit der Förderung aus­               mit wissenschaftlichen und technischen Fortschritten,
gewählter Forschungsfelder von winzigen Teil­chen bis            als auch in Form von Kulturleis­tungen, die unser All-
zum Universum. Nur mit modernen Forschungsinfra­                 tagsleben vielfältig bereichern werden.
strukturen lassen sich heute die Themengebiete von den
kleinsten Bausteinen bis zu den Weiten des Universums
erschließen.                                                     Teilchen: Was die Welt
                                                                 zusammenhält
Die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung
spannt einen weiten Bogen, vom Allerkleinsten bis
zum Allergrößten. In diesem Programm konzentriert                Nicht erst seitdem Goethe seinen Faust fragen ließ, was
sich das Bundesforschungsministerium auf drei The-               denn die Welt im Innersten zusammenhalte, fasziniert
mengebiete: Teilchen, Materie und Universum. Die                 den Menschen das Rätsel, woraus er selbst und die Na-
Erforschung der kleinsten Bausteine der Materie – der            tur um ihn herum bestehen. Eines der Themengebiete,
Teilchen – ist Basis für ein grundlegendes Verständnis           die das Bundesforschungsministerium unterstützt,
der Natur. Aus den Eigenschaften dieser Bausteine und            beschäftigt sich mit eben dieser Frage: Woraus besteht
deren Zusammenspiel erhalten Werkstoffe, Biomole-                die Materie, was sind die kleinsten Bausteine und wie
küle oder Organismen – die Materie – ihre Funktion.              funktioniert ihr Zusammenspiel?
Diese zu verstehen und gezielt zu verändern, eröffnet
zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten in Medizin und                Heute lässt sich jede Form und Art der Materie auf
Technik. Das Universum fasziniert die Menschen und               wenige elementare Grundbausteine – wie Quarks
regt wissenschaftliche Neugier an. Seine Erforschung             – zurückführen. Ihr Zusammenwirken wird im soge-
liefert zum Beispiel wissenschaftliche Antworten auf             nannten Standardmodell der Elementarteilchenphy-
die Frage nach dem Ursprung unseres Planeten.                    sik beschrieben. Der letzte fehlende Baustein dieses
                                                                 Modells wurde von Peter Higgs und François Englert
In diesen Themengebieten identifiziert das Bundesfor-            in den 1960er Jahren vorhergesagt. Internationale For-
schungsministerium Forschungsfelder von besonderer               schungsteams machten sich auf die spannende Suche
Bedeutung. In den ausgewählten Feldern wird eine                 nach diesem fehlenden Elementarteilchen, das allen
Forschungslandschaft gestaltet, die wissenschaftliche            anderen Grundbausteinen ihre Masse verleiht. Sie trie-
Spitzenleis­tung ermöglicht. Mit dieser strategischen            ben die technischen Entwicklungen für den größten
Forschungspolitik für die Themengebiete Teilchen,                Teilchenbeschleuniger der Welt voran: für den LHC am
Materie und Universum sichert das Bundesforschungs-              Forschungszentrum CERN nahe Genf und die notwen-

               Elementarteilchen          Atomkern                          Atom      Chromosom    Salzkristall             Mensch

                                                                                                                  Materie
                                                     Teilchen

                          10–18 m     10–15 m          10–12 m         10–9 m        1 µm          1 mm                1m            1 km
ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
TEILCHEN, MATERIE UND UNIVERSUM ERFORSCHEN	                                                                                7

                                                                                     Teilchen – beschleunigen und erschaffen

                                                                                     Mit Teilchenbeschleunigern wird nach den elementaren
                                                                                     Grundbausteinen der Materie gefahndet. Diese Maschi-
                                                                                     nen bringen geladene Teilchen fast auf Lichtgeschwin-
                  digen Detektoren ATLAS und CMS. Diese internationa-                digkeit, um sie dann gezielt kollidieren zu lassen. Bei
                  le Kooperation wurde im Jahr 2012 von Erfolg gekrönt:              solchen Kollisionen können neue, bislang unbekann-
                  Die Entdeckung des Higgs-Bosons ist ein Meilenstein                te Teilchen entstehen. Sie sind in der Regel instabil und
                  der Physik, an dem Forscherinnen und Forscher aus                  zerfallen in Bruchstücke, welche mit riesigen Detekto-
                  Deutschland mit Förderung des Bundesforschungsmi-                  ren vermessen werden. Anhand dieser Messdaten ist
                  nisteriums einen sehr großen Anteil hatten. 2013, kurz             es möglich, die Eigenschaften des zuerst entstandenen
                  nachdem das Teilchen nachgewiesen wurde, erhielten                 Teilchens zu untersuchen.
                  Peter Higgs und François Englert für ihre Vorhersage
                  den Nobelpreis für Physik.                                         Der weltweit leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger
                                                                                     ist der LHC des CERN. Das CERN wird zu 20 Prozent
                  Der Nachweis des Higgs-Bosons klärte eine zentrale                 von Deutschland mitfinanziert. In einem knapp 27 Ki-
                  Fragestellung der Physik des letzten Jahrhunderts.                 lometer langen, kreisförmigen Tunnel treffen im LHC
                  Dennoch bleiben Fragen offen, beispielweise: Woraus                Wasserstoffkerne mit nie zuvor erreichter Energie auf-
                  bestehen Quarks, kennen wir bereits alle und können                einander. Dabei entstehen bisher unbeobachtete Mate-
                  sie zu weiteren Teilchen kombiniert werden? Führen                 riezustände und subatomare Teilchen. Vermessen wer-
                  die Antworten darauf zu heute noch nicht vorstellba-               den sie unter anderem mit dem ATLAS-Detektor, einem
                  ren technischen Neuerungen?                                        weiteren Superlativ: Das Nachweisgerät ist mit einer
                                                                                     Länge von 46 Metern und einem Durchmesser von 25
                  Aus Quarks zusammengesetzte Teilchen heißen Ha-                    Metern der bisher größte Detektor, der jemals an einem
                  dronen. Die Atomkerne aller Elemente bestehen aus                  Teilchenbeschleuniger zum Einsatz kam. Er und sein
                  solchen Hadronen: den Protonen und den Neutronen.                  kompakterer, aber schwererer Counterpart CMS wur-
                  Hadronen- und Kernphysik erforschen diese Teilge-                  den zu wesentlichen Teilen von deutschen Hochschulen
                  biete der Physik. Auch hier gibt es ungelöste Rätsel,              und Forschungseinrichtungen mit Mitteln des Bundes-
                  wie bereits der einfache Kern des Wasserstoffatoms                 forschungsministeriums entwickelt und aufgebaut.
                  verdeutlicht. Trotz intensiver Forschungsanstrengun-
                  gen sind die Eigenschaften des Wasserstoffkerns – des              Die Struktur von sogenannten Hadronen nehmen For-
                  Protons – auch heute noch nicht im Detail verstan-                 scherinnen und Forscher mit dem ALICE-Detektor
                  den. Wenn es gelingt, sie zu entschlüsseln, ist dies ein           am LHC und zukünftig mit dem im Bau befindlichen
                  weiterer Schritt, das Zusammenspiel der elementaren                Beschleunigerkomplex FAIR bei Darmstadt unter die
                  Grundbausteine und der daraus aufgebauten Atome zu                 Lupe. FAIR erzeugt Strahlen geladener Teilchen in bis-
                  verstehen. So können dann auch die Eigenschaften der               her unerreichter Intensität und Qualität. Hier werden
                  komplizierteren chemischen Elemente erklärt werden:                Bedingungen reproduziert, wie sie im Inneren von Ster-
                  ein weiteres Puzzlestück für die Antwort auf die fausti-           nen oder sogar beim Ausbruch einer Supernova herr-
                  sche Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält.

                                                   Abstand zu den
                   Sonne                          nächsten Sternen     Milchstraße                   Weltall

                             Universum

1000 km   109 m            1012 m        1015 m       1018 m         1021 m           1024 m         1027 m
ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
Materie: Verstehen und verbessern
schen. So lässt sich im Labor nachvollziehen, auf welch
komplexen Wegen sich chemische Elemente bilden.           Was gibt einem Material seine Eigenschaften? Wie
Deutschland ist an FAIR als größter von zehn Partnern     kann man sie an medizinische oder technische Erfor-
beteiligt und stellt wesentliche Weichen für seine wis-   dernisse anpassen? Nur einfach zu wissen, dass ein
senschaftliche Ausrichtung als eine weltweit führende     bestimmtes Material aus einer oder mehreren Sorten
Experimentiereinrichtung.                                 von Atomen besteht, reicht nicht aus, um diese Fragen
                                                          zu beantworten. Vielmehr ist es die Struktur, die wie
Materie – Einblick und Durchblick                         bei Diamant und Graphit den Unterschied macht: Bei-
                                                          de Materialien bestehen einzig aus Kohlenstoffatomen.
Das Bundesforschungsministerium fördert als Haupt-        Nur ihre Atomanordnung unterscheidet sich. Sie legt
geldgeber der Forschungsinfrastrukturen drei sich er-     Härte, Leitfähigkeit oder andere Eigenschaften des
gänzende Arten von Nutzerplattformen zur Erforschung      Materials fest. Mit modernen Forschungsinfrastruktu-
der Materie. Aufgrund ihrer technischen Alleinstel-       ren werden solche Atomanordnungen exakt bestimmt,
lungsmerkmale, wie etwa der räumlichen und zeitlichen     sodass neue Materialien mit angepassten Eigenschaften
Auflösung der Experimente, unterscheiden sich ihre        entworfen werden können. Dabei werden Methoden
Anwendungsmöglichkeiten. Sie ermöglichen die Beant-       entwickelt, mit denen man beispielsweise Biomolekü-
wortung unterschiedlichster Fragestellungen aus viel-     len oder Katalysatoren bei der Arbeit zusehen kann.
fältigsten interdisziplinären Forschungsfeldern.          Der European XFEL wird regelrechte Zeitlupenvideos
                                                          der zugrundeliegenden Reaktionen aufnehmen.
Photonenquellen
                                                          Mit der gezielten Förderung der Infrastrukturen für
Gebündelte, hochintensive Röntgenstrahlen zum             diese Forschung legt das Bundesforschungsministeri-
Durchleuchten oder Beleuchten von Materialproben          um die Grundlagen zur Entwicklung und Verbesserung
können nur von speziellen Teilchenbeschleunigern pro-     pharmazeutischer Wirkstoffe, elektronischer Bausteine,
duziert werden: den Photonenquellen. Ringquellen –        Katalysatoren und neuartiger Werkstoffe.
sogenannte Synchrotrone – und lineare Quellen – so-
genannte Freie-Elektronen-Laser (FEL) – unterscheiden     Von den neuen Erkenntnissen und Methoden pro-
sich in Anwendungszweck und Aufbau. Synchrotrone          fitieren neben der Physik ebenso die Lebens- und
erzeugen lange Pulse mit hoher Gesamtintensität; FEL      Umweltwissenschaften, die Energie-, Material- und
erzeugen kurze Laserblitze mit sehr hohen Intensitäten    Werkstoffforschung sowie technische und ingenieur-
im Einzelpuls.                                            wissenschaftliche Anwendungen. Der Pharmaindustrie
                                                          helfen die Methoden bei der systematischen Suche
In Deutschland tätige Forscherinnen und Forscher ge-      nach Leitstrukturen für neue Arzneimittel.
hören zur weltweiten Spitze bei Bau und Nutzung von
Photonenquellen. Der große Erfolg deutscher For-
schungsgruppen beruht auf der erstklassigen Infra-        Universum: Empfang auf allen
struktur und dem breiten Anwendungsspektrum. Die          Frequenzen
Messplätze werden für vielfältige Forschungsarbeiten
genutzt, beispielsweise zur Entwicklung neuer Medika-
mente, zur Verbesserung von Werkstoffen oder zur Ana-     Seit Menschengedenken blickt der Mensch an den
lyse von Materialproben unter extremem Druck.             Nachthimmel und versucht zu verstehen, wie das
TEILCHEN, MATERIE UND UNIVERSUM ERFORSCHEN	                                                                        9

                                                          Beispiele für solche Anlagen sind die Speicherringe
                                                          ­PETRA III in Hamburg, die European Synchrotron Radi-
                                                           ation Facility (ESRF) in Grenoble und BESSY II in Berlin,
Universum funktioniert. Mittlerweile wissen wir viel       sowie der Freie-Elektronen-Laser FLASH in Hamburg.
über das Universum – dass es durch den Urknall vor         Als leistungsfähigster Röntgenlaser wurde in den letz-
13,8 Milliarden Jahren entstand, dass es sich seitdem      ten Jahren in Norddeutschland der Europäische Rönt-
ausdehnt – und doch gibt es uns bis heute große Rätsel     genlaser (European XFEL) errichtet. Er wird zu zwei
auf. Ende der 1990er Jahre wurden neue Fragen mit der      Dritteln von Deutschland finanziert. Dieses Großge-
Feststellung aufgeworfen, dass es „Dunkle Materie“ und     rät ermöglicht mit extrem intensiven Röntgenblitzen,
„Dunkle Energie“ gibt, die für den Zusammenhalt der        selbst jene Proteine genau unter die Lupe zu nehmen,
Galaxien bzw. die beschleunigte Ausdehnung des Uni-        die sich mit bisherigen Photonenquellen noch nicht
versums verantwortlich sind. Doch was sind die bisher      analysieren ließen.
unentdeckten Bestandteile des Universums, aus denen
Dunkle Materie und Dunkle Energie bestehen?               Dass die Forschung an Photonenquellen hochgradig in-
                                                          terdisziplinär ist, zeigte eine Nutzerbefragung an PETRA
Astrophysik, Astroteilchenphysik und Astronomie wid-      III und FLASH aus dem Jahr 2016. Lebenswissenschaf-
men sich noch weiteren Themen: Wir kennen heute           ten und Energie bilden den Anwendungsschwerpunkt.
über 2500 Planetensysteme außerhalb unseres Son-          Etwa 15 Prozent der Nutzergruppen entwickeln die
nensystems – und wöchentlich finden die Astronomen        Instrumentierung der Quellen weiter. Sie werden hier-
neue. Damit liegt die Antwort auf eine Frage, die der     bei durch die Projektförderung des Bundesforschungs-
Mensch sich schon lange stellt, heute näher als jemals    ministeriums, die Verbundforschung, unterstützt. Die
zuvor: Gibt es Leben auf anderen Planeten? Noch ist       übrigen 85 Prozent der Nutzergruppen profitieren bei
es nicht gelungen, auf einem dieser über 3500 bisher      ihrer Forschung von dieser Entwicklungsarbeit. Ihre
bekannten Planeten Spuren von Leben zu finden. Die        Forschung selbst wird über entsprechende Programme
Suche danach ist in vollem Gange.                         gefördert.

Auch andere Fragen sollen beantwortet werden: Was         Neutronenquellen
führte zur Entstehung verschiedener Galaxientypen
und zur Planetenbildung und legte damit die Grundla-      Neutronenquellen ergänzen das Anwendungsspektrum
ge für unser Leben? Welche Extremprozesse laufen im       der Photonenquellen: Neutronen durchdringen ganze
Kosmos ab, etwa wenn Sterne das Ende ihrer Lebens-        technische Objekte wie Motoren, Akkus oder Festplat-
dauer erreichen oder wenn Materie auf ein Schwarzes       tenspeicher, deren Inneres sich daher sogar im Betrieb
Loch fällt?                                               untersuchen lässt. Es gibt Neutronenquellen zweier un-
                                                          terschiedlicher Typen: Hochflussreaktoren bieten einen
                                                          konstanten und sehr hohen Neutronenfluss. Die Nut-
Forschungsinfrastrukturen liefern                         zung von Neutronenpulsen ist mit sogenannten Spalla-
Antworten                                                 tions-Neutronenquellen möglich. In den Hochflussre-
                                                          aktoren können somit statische und langsame Prozesse
                                                          besonders genau betrachtet werden, während mit den
Die Zeiten, in denen nur kleine Forschungsteams am        Neutronenpulsen auch „Zeitlupenaufnahmen“ gelingen.
Labortisch die großen Fragen der Menschheit ent-
schlüsselten, sind in vielen Forschungsfeldern schon      Aktuelle Neutronenquellen sind der Forschungsreaktor
lange vorbei. Um die kleinsten Strukturen zu erfor-       FRM II in München, der BER II in Berlin und der Hoch-
schen, die Materie zu verstehen oder tief ins Universum   flussreaktor HFR am Institut Laue-Langevin (ILL) im
zu blicken, kommen die besten Köpfe der Welt heute        französischen Grenoble. Derzeit wird im schwedischen
an Forschungsinfrastrukturen der naturwissenschaftli-     Lund die europäische Spallations-Neutronenquelle ESS
chen Grundlagenforschung zusammen:                        (European Spallation Source) mit großer Beteiligung
                                                          deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
∙∙ Mit Teilchenbeschleunigern werden Eigenschaften        sowie mit deutschem Know-how gebaut. In Zukunft
   von Atomen, Atomkernen und elementaren Grund-          wird diese Neutronenquelle mit ihrer gepulsten Strah-
   bausteinen erforscht.                                  lung neue physikalische und interdisziplinäre Anwen-
                                                          dungen ermöglichen.
Entlegen platziert, um die fernen Weiten des Universums zu
                                                              erkunden: Einige der insgesamt 66 Antennen des Atacama Large
                                                              Millimeter/Submillimeter Array, ALMA, das in der Atacamawüste in
                                                              Chile steht und das leistungsfähigste Teleskop der Welt für diesen
                                                              Wellenlängenbereich ist.

Quellen geladener Teilchen
                                                            ∙∙ Mit Photonen-, Neutronen- und Ionenquellen wer-
Photonen und Neutronen werden insbesondere zur Ana-            den Materialien in Aufbau und Funktion analysiert
lyse von Materialien und Oberflächen genutzt. Sollen           und modifiziert.
Materialien hingegen verändert oder veredelt werden,
wird oft Strahlung aus elektrisch geladenen Teilchen ein-   ∙∙ Mit Teleskopen und Observatorien wird das Univer-
gesetzt. Sie werden meist an Linear- oder Ringbeschleu-        sum beobachtet.
nigern für Experimente bereitgestellt.
                                                            Solche Forschungsinfrastrukturen sind typischerweise
Das Anwendungsspektrum der Quellen geladener Teil-          hochkomplexe Forschungsanlagen an der Grenze des
chen reicht von der Nanostrukturierung, Dotierung und       technisch Machbaren.
Analyse von Materialien bis hin zur Medizin: Industrie-
betriebe härten mit Hilfe von speziellen Beschleunigern     Großgeräte können sehr unterschiedlich konzipiert
die Oberflächen von Smartphone-Bildschirmen, stellen        sein: Einige sind speziell auf wenige Fragestellungen
mit ihnen extrem leistungsfähige Elektronikkomponen-        der Grundlagenforschung – oder sogar nur eine einzi-
ten wie Bildsensoren oder schnelle Mikrochips her oder      ge – ausgerichtet. An solchen Einrichtungen, wie dem
entwickeln strahlungsresistente Halbleiterbauelemente       ATLAS-Detektor am LHC oder der Neutrinowaage
für den Einsatz unter schwierigen Umweltbedingungen         KATRIN, arbeiten hunderte, oft sogar tausende Wissen-
oder im Katastrophenschutz. In der Medizin werden ge-       schaftlerinnen und Wissenschaftler in internationalen
ladene Teilchen zur Diagnose und Therapie von Krebser-      Kollaborationen zusammen. Andere Großgeräte sind
krankungen eingesetzt. Die Quellen geladener Teilchen       thematisch breit aufgestellte Nutzerplattformen. An
dienen somit gleichermaßen der Grundlagenforschung,         Teleskopen werden vielfältige astrophysikalische Phä-
medizinischen Anwendungen und als Werkbänke der             nomene erforscht. Die Großgeräte zur Erforschung der
Hightech-Forschung.                                         Materie sind sogar als interdisziplinäre Nutzerplattfor-
                                                            men ausgelegt: Naturwissenschaften, Medizin, Ener-
Aktuell werden Ionenstrahlen bei ELBE nahe Dresden,         gie- und Materialforschung sowie andere Disziplinen
bei NEPOMUC am FRM II und an ISOLDE am CERN be-             wie Archäologie und Kunstgeschichte gewinnen hier
reitgestellt. In Zukunft werden neue Möglichkeiten an       einzigartige Erkenntnisse.
FAIR dieses Leistungsspektrum ergänzen.
TEILCHEN, MATERIE UND UNIVERSUM ERFORSCHEN                                                                                         11

In vielen Fällen ist das Bundesforschungsministerium         des Netzwerk von Hochschulen und außeruniversi-
der hauptverantwortliche Gestalter und größte Geld-          tären Forschungseinrichtungen. Hier wird wissen-
geber der Großgeräte. Die so entstandene Forschungs-         schaftlicher und technischer Nachwuchs auf höchstem
landschaft setzt international Maßstäbe: Deutsche            Niveau ausgebildet. So wird exzellente Forschung in
Großgeräte und Großgeräte mit deutscher Beteiligung          Deutschland betrieben, die zu herausragenden wissen-
gehören zur weltweiten Spitze und regen die interdis-        schaftlichen Resultaten in und aus Deutschland führt
ziplinäre Zusammenarbeit an. Diese Forschungsinfra-          und den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort nach-
strukturen üben eine hohe Anziehungskraft auf die            haltig stärkt.
weltbesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
ihrer jeweiligen Forschungsfelder aus. Rund um die
                                                               So wie erst die Töne aller Oktaven des Klaviers ein komplexes
Forschungsinfrastrukturen entsteht ein herausragen-            Musikstück ergeben, müssen auch alle Wellenlängenbereiche
                                                               der elektromagnetischen Strahlung beobachtet werden, um das
                                                               Universum zu verstehen. Das sichtbare Licht macht dabei nur einen
                                                               kleinen Teil der Klaviatur aus.

Universum – beobachten und verstehen
                                                              Radiowellen    Infrarot                   UV        Gammastrahlung
Unsere Sonne – einer von Abermilliarden von Sternen –               Mikrowellen           Licht              Röntgenstrahlung
ist für uns die Quelle von Licht und Wärme. Tatsächlich
sendet sie auch noch elektromagnetische Strahlung an-
derer Wellenlängenbereiche aus, die aber weitgehend von
der Erdatmosphäre blockiert oder von uns nicht bemerkt
                                                              Radioteleskop         Optisches Teleskop
wird, weil der menschliche Körper dafür keine Sensoren
                                                                         Teleskopfeld                  Gammastrahlungsteleskop
besitzt.

Die Objekte des Universums senden Licht in den ver-          ESO-Hauptquartiers ist Garching bei München.
schiedensten Bereichen des elektromagnetischen Spek­         Wichtigste Großgeräte der ESO sind die vier Acht-Me-
trums – von der sehr langwelligen Radiostrahlung aus der     ter-Teleskope des Very Large Telescopes (VLT) für die
Frühphase des Universums über das sichtbare Licht bis        optische Astronomie und das Antennenfeld des ALMA-
hin zur energiereichen Röntgen- und Gammastrahlung.          Observatoriums für den sogenannten Millimeter- und
Die Astrophysik hat in den letzten hundert Jahren gelernt,   Submillimeterbereich. Das nächste große Projekt der ESO
alle Spektralbereiche zu beobachten. Mit langwelligen        ist der Bau des Extremely Large Telescope (ELT). Es wird
Radioobservatorien, klassischen Radioteleskopen, Mikro-      mit 39 Metern Spiegeldurchmesser das bei weitem größ-
wellenteleskopen, Infrarot-Satelliten, optischen Instru-     te optische Tele­skop der Welt sein. Mit diesen Teleskopen
menten, UV- und Röntgenteleskopen oder Detektoren            beantworten die Astronominnen und Astronomen grund-
für Photonen höchster Energie aus dem Kosmos. Dazu           legende Fragen zum Ursprung des Universums und seiner
kommt die Beobachtung von energiereichen Teilchen            Bestandteile: zur Entstehung von Galaxien, Sternen und
und seit Kurzem auch von Gravitationswellen. Erst mit        Planeten oder zur Suche nach erdähnlichen Planeten und
der Kenntnis aller Wellenlängenbereiche und aller ande-      nach Spuren von Leben.
ren kosmischen Boten entsteht ein vollständiges Bild des
Universums. Nur dann können wir etwa die Atmosphären         In Argentinien analysiert das Pierre-Auger-Observato-
von Planeten anderer Sonnensysteme besser verstehen          rium die energiereichsten kosmischen Teilchen, um ihre
oder neuartige Prozesse in den Kernen von Galaxien und       Herkunft und Eigenschaften zu ergründen. Die Telesko-
am Rande des Universums. So erst können Bestandteile         pe H.E.S.S. und MAGIC sowie das in Planung befindliche
der „Dunklen Materie“ und „Dunklen Energie“ gefunden         Cherenkov Telescope Array (CTA) messen die auf der Erde
und verstanden werden.                                       auftreffende Gammastrahlung. Solche hochenergetischen
                                                             Boten der energiereichsten Prozesse im Universum er-
Viele der weltgrößten und leistungsfähigsten Teleskope       möglichen beispielsweise die Untersuchung des Materie-
werden von der Europäischen Südsternwarte ESO betrie-        einfalls in Schwarze Löcher oder das Studium der Über-
ben, deren größtes Mitgliedsland Deutschland ist. Sitz des   reste von Sternexplosionen.
Gemeinsam Strategien entwickeln

Das Bundesforschungsministerium gestaltet die Land­      identifiziert. Das Bundesforschungsministerium sichert
schaft von weltweit führenden Forschungsinfrastruk­      damit die Zukunftsfähigkeit der forschungspolitischen
turen in einem strategischen Prozess – dem Prisma-       Ausrichtung dieses Wissenschaftsgebiets. Es führt dafür
Prozess. Unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen   den „Prisma-Prozess“ als zentralen Strategieprozess des
Entwicklungen und der gesellschaftlichen Anforde­        vorliegenden Rahmenprogramms ein.
rungen setzt das Bundesforschungsministerium for­
schungspolitische Leitziele in Handlungsfeldern und                            Bundesforschungsministeriu
                                                                                                             m
Aktionsplänen um.
                                                                                                          um
                                                                              Internationaler Forschungsra

                                                                                                                 ulen
Strategieprozesse zusammenführen                                    Wissen
                                                                          schafts
                                                                                 organis               Hoc
                                                                                                           h sch
                                                                                        ationen

Gesellschaftliche Ziele und Prioritäten unterliegen
einem Wandel. Damit ändern sich auch die Erwartun-
gen der Gesellschaft an die Wissenschaft. Neue wissen-   Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und der
schaftlich-technische Möglichkeiten wie zum Beispiel     internationale Forschungsraum tragen die Erforschung
die mobile Kommunikation prägen unsere Gesellschaft.     von Teilchen, Materie und Universum – dargestellt
Das Bundesforschungsministerium beobachtet und           durch drei Seiten eines Prismas. Sie nutzen unter-
analysiert diese Entwicklungen und greift Impulse von    schiedliche, bisher erfolgreiche Strategieprozesse zu
Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext der Erfor-      Konzeptionierung, Bau, Betrieb und Weiterentwick-
schung von Teilchen, Materie und Universum auf. Die      lung von Forschungsinfrastrukturen. Um den neuen
bestehenden Schwerpunkte werden auf ihre Relevanz,       Herausforderungen an Komplexität und Internatio-
Aktualität und Priorität geprüft und Zukunftsthemen      nalisierung der naturwissenschaftlichen Grundlagen-
GEMEINSAM STRATEGIEN ENTWICKELN                                                                                             13

forschung an Großgeräten zu begegnen, werden diese           Zu den Gesprächen lädt das Bundesforschungsmi-
Strategieprozesse von den Verantwortlichen individuell       nisterium Fachleute aus den jeweiligen Themen-
optimiert und im Prisma-Prozess stärker als bisher           gebieten ein. Sie diskutieren auf Grundlage von
miteinander verknüpft.                                       Strategiepapieren, insbesondere denen gewählter
                                                             Komitees der Wissenschaft. Die Ge­sprächs­
Das Bundesforschungsministerium gestaltet diese Ver-         ergebnisse geben dem Bundesforschungsminis­
knüpfung mit einander ergänzenden Elementen:                 terium wichtige fachliche Anregungen für seine
                                                             Förderbekanntmachungen.
Prisma-Radar: Das Bundesforschungsmi-
    nisterium beobachtet kontinuierlich                  Prisma-Konferenzen: Das Bundesfor-
    wissenschaftliche und gesellschaftliche                  schungsministerium initiiert Prisma-
    Entwicklungen sowie das Umfeld natio-                    Konferenzen, um eine breite wis-
    naler und internationaler Forschungsinfrastruk-          senschaftliche und gesellschaftliche
    turen wie beispielsweise Roadmaps anderer Natio-         Kommunikation sicherzustellen. Die für einen
    nen. Das Radar liefert Impulse für das Forum, für        breiten Personenkreis offenen Konferenzen gehen
    Trialoge, Strategiegespräche und Konferenzen des         über rein wissenschaftliche Themen oder den von
    Prisma-Prozesses.                                        „Wissenschaft im Dialog“ initiierten Austausch
                                                             zu gesellschaftlich relevanten und kontroversen
Prisma-Forum: Dieses Forum ist das stra-                     Themen der Forschung hinaus. Die Veranstal-
    tegische Beratungsgremium des Bun-                       tungen greifen neue Chancen oder Themen von
    desforschungsministeriums zur Wei-                       übergeordnetem Interesse auf, wie beispielsweise
    terentwicklung von Leitzielen, Hand-
    lungsfeldern und Themengebieten. Es wird mit
    hochrangigen Persönlichkeiten mit unterschiedli-
    chen Blickwinkeln auf die naturwissenschaftliche
    Grundlagenforschung an Großgeräten besetzt. Das                              Teilchen
    Forum erarbeitet Empfehlungen zur strategischen
    Ausrichtung dieser Forschung und für Trialoge. Es                            Materie
    gibt Impulse für Strategiegespräche und Konfe-
    renzen des Prisma-Prozesses.                                                 Universum
                                                                                                             ng
                                                                                               erentwicklu
Prisma-Trialoge: Zur Weiterentwicklung                                           Beschleunig
    eines Querschnittsthemas oder Hand-
                                                                                              twicklung
    lungsfeldes werden Trialoge einbe-                                           Detektoren
    rufen. Sie führen die Sichtweisen von
                                                                                               ement
    Fachleuten aller drei Prisma-Seiten zusammen.                                Datenmanag
    Das Bundesforschungsministerium lädt dazu
                                                                                              landschaft
    Vertreterinnen und Vertreter von Hochschulen,                                Großgeräte
    Wissenschaftsorganisationen und internationalen
                                                                                             hwuchs
    Einrichtungen ein. Sie analysieren das Hand-                                 MINT-Nac
    lungsfeld oder Querschnittsthema und leiten
    Handlungsempfehlungen ab. Dazu entwickeln sie                                Vernetzung
    abgestimmte Konzepte, die in die Entscheidungs-                                                        ion
                                                                                              d Partizipat
    findung des Bundesforschungsministeriums für                                 Transfer un
    neue Fördermaßnahmen einfließen.

                                                          Der Prisma-Prozess greift verschiedene Ebenen auf. Alle Themen-
Prisma-Strategiegespräche: Themenbe-                      gebiete, Querschnittsthemen und Handlungsfelder finden Eingang
    zogene Strategiegespräche dienen der                  in diesen Prozess. Sie werden unter Beteiligung der drei Seiten
                                                          Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und internationaler
    Ausgestaltung von Fördermaßnahmen.                    Forschungsraum adressiert.
14                                                                                             Rahmenprogramm „ErUM“

        das Management von Forschungsinfrastrukturen.          Leitziele und Handlungsfelder
        Neue Blickwinkel werden eingebracht und der
        forschungspolitische Bedarf diskutiert.                Das Bundesforschungsministerium hat für die Erfor-
                                                               schung von Teilchen, Materie und Universum strategi-
Das Bundesforschungsministerium bewertet die                   sche Leitziele entwickelt, mit denen es flexibel auf den
einzelnen Impulse dieser Elemente in Bezug auf ihre            sich wandelnden gesellschaftlichen Bedarf reagiert:
forschungspolitische Bedeutung, ihre gesellschaftliche
Relevanz und ihr Innovationspotenzial. Es führt sie zu         ∙∙ Wissenschaftliche Spitzenleistungen ermöglichen.
einer kohärenten Gesamtstrategie zusammen. Diese
findet Einzug in die Ausgestaltung und die Weiterent-          ∙∙ Zukunftstechnologien, Energieforschung, Material-
wicklung des Rahmenprogramms.                                     und Lebenswissenschaften stärken.

         Strategische Leitziele                                Handlungsfelder
         Wissenschaftliche Spitzenleistungen                     Großgerätelandschaft
         ermöglichen.                                              Zugang zu weltweit führenden
         Zukunftstechnologien,                                     Forschungsinfrastrukturen sichern.
         Energieforschung, Material- und                           Landschaft der naturwissenschaftlichen
         Lebenswissenschaften stärken.                             Großgeräte bedarfsgerecht ausgestalten.
                                                                   Nutzerplattformen für Schlüsseltechnologien,
         Innovationskeime durch Forschung als
         Technologietreiber schaffen.                              Energie-, Material- und Lebenswissenschaften
                                                                   ausbauen.
         Fach- und Führungskräfte für
         Wissenschaft und Wirtschaft
         heranbilden.
                                                                 MINT-Nachwuchs
         Partizipation der Gesellschaft                           Nachwuchs für MINT-Fächer faszinieren.
         an Erkenntnissen und Erfolgen
         der Forschung sicherstellen.                             Wissenschaftlichen Nachwuchs qualifizieren.
                                                                  Karriereperspektiven schaffen.

     Handlungsfeld „Großgerätelandschaft“                        Handlungsfeld „MINT-Nachwuchs“

     Das Bundesforschungsministerium sichert Wissen-             Das Bundesforschungsministerium beginnt mit der
     schaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland         Nachwuchsförderung im Kindesalter. Vom Kindergar-
     Zugang zu international führenden Forschungsinfra-          ten über Schule und Hochschule bieten unterschied-
     strukturen und gestaltet dazu die Großgerätelandschaft:     liche Formate Einblicke in die naturwissenschaftliche
     Bau und Betrieb von Forschungsinfrastrukturen werden        Grundlagenforschung und die anspruchsvolle Technik
     an den forschungspolitischen Prioritäten und am wis-        der Großgeräte. Informationsplattformen und Ver-
     senschaftlichen Bedarf ausgerichtet.                        anstaltungsreihen laden zur Vertiefung ein. Durch die
                                                                 Verbundforschung erhalten junge Menschen die Mög-
     Das Bundesforschungsministerium begleitet Großgeräte        lichkeit ihre Kompetenzen an Forschungsinfrastrukturen
     über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg. Bei Großge-        in einem internationalen Umfeld weiterzuentwickeln.
     räten im Themengebiet Materie liegt das Augenmerk auf
     der Stärkung von Technologien, die zur Lösung gesell-       Management- und Führungsqualitäten von Nachwuchs-
     schaftlicher Zukunftsaufgaben beitragen. In grundle-        wissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern werden
     genden Technologiebereichen entstehende Synergien           gezielt gefördert. So erhalten sie attraktive Karriereper-
     können oft interdisziplinär genutzt werden.                 spektiven und decken den Bedarf von Arbeitgebern aus
                                                                 Wissenschaft wie Wirtschaft.

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GEMEINSAM STRATEGIEN ENTWICKELN                                                                                           15

∙∙ Innovationskeime durch Forschung schaffen.                Aktionspläne
∙∙ Fach- und Führungskräfte für Wissenschaft und             Das Programm wird in Aktionsplänen ausgestaltet.
   Wirtschaft heranbilden.                                   Diese setzen mit Fördermaßnahmen die Leitziele in
                                                             den Handlungsfeldern um: mit der institutionellen
∙∙ Partizipation der Gesellschaft an Erkenntnissen und       Förderung von Wissenschaftsorganisationen und For-
   Erfolgen der Forschung sicherstellen.                     schungsinfrastrukturen, Beiträgen zu internationalen
                                                             Einrichtungen und der Projektförderung (Seite 35).
Die strategischen Leitziele werden in den Handlungs-
feldern Großgerätelandschaft, MINT-Nachwuchs, Ver-
netzung sowie Transfer und Partizipation konkretisiert.

                                                             Aktionspläne
                                                                 ErUM-Pro
  Vernetzung                                                       Projektförderung zur Einbindung von
    Kompetenzen von Hochschulen und                                Hochschulen in die Weiterentwicklung von
    Forschungsinstituten bündeln.                                  Großgeräten
    Forschung international vernetzen.

                                                                       ErUM-Data
                                                                         Beiträge zur
                                                                         Digitalen Agenda
  Transfer und Partizipation
    Wissenstransfer von Forschung in Wirtschaft und
    Gesellschaft anregen.
    Dialog zwischen Forschung und                                Weitere Aktionspläne
    Bürgerinnen und Bürgern intensivieren.                        nach Bedarf

  Handlungsfeld „Vernetzung“                                   Handlungsfeld „Transfer und Partizipation“

  Die Vernetzung in der naturwissenschaftlichen Grund-         Naturwissenschaftliche Grundlagenforschung an
  lagenforschung steigert die Qualität und Effizienz der       Großgeräten und deren Erkenntnisse sind Keime für
  Forschung. Das Bundesforschungsministerium baut              Innovationen. Das Bundesforschungsministerium unter-
  die Vernetzung in der Wissenschaft auf nationaler wie        stützt und beschleunigt den Weg von Erkenntnissen in
  internationaler Ebene aus: Es befördert die Interaktion      die Wirtschaft. Es verbessert die Rahmenbedingungen
  zwischen den Helmholtz-Zentren, den Max-Planck-              zur industriellen Nutzung von Forschungsinfrastruktu-
  Instituten und Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft.       ren, die als High-Tech-Labore und -Werkbänke für die
                                                               Industrie immer attraktiver werden.
  Die Verbundforschung integriert die Hochschulen in
  dieses Netzwerk. Zur europäischen Vernetzung enga-           Das Bundesforschungsministerium stärkt den Tech-
  giert sich Deutschland auch weiterhin bei der Ausgestal-     nologie- und Wissenstransfer naturwissenschaftlicher
  tung eines gemeinsamen Forschungsraums.                      Erkenntnisse in die Industrie und die Gesellschaft. Mit
                                                               partizipativen Elementen wird der Dialog zwischen
                                                               Forschung und Zivilgesellschaft intensiviert.

                                               → Seite 26                                                    → Seite 30
16                                                                                               Rahmenprogramm „ErUM“

                                                               Die im Bau befindliche Europäische Spallationsquelle in Lund wird
                                                               ein neuer Baustein der europäischen Landschaft der Forschungsin-
                                                               frastrukturen.

Die Großgerätelandschaft gestalten

Das Bundesforschungsministerium gestaltet die stra­          ∙∙ Konzeption
tegische Entwicklung der Forschungsinfrastrukturen
entlang ihres Lebenszyklus. Es stärkt die interdisziplinä­   ∙∙ Nationaler Roadmap-Prozess
re Forschung und ermöglicht so die Umsetzung gesell­
schaftlicher Zukunftsaufgaben.                               ∙∙ Bau und Instrumentierung

                                                             ∙∙ Betrieb und Instrumentierung
Von Anfang an begleiten
                                                             ∙∙ Auslauf
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutsch-
land benötigen für ihre Forschungsarbeiten Zugang zu         Bei ihrer konkreten Ausgestaltung unterstützt das Bun-
einem Portfolio von nationalen und internationalen           desforschungsministerium durch gezielte Forschungs-
Großgeräten. Deshalb ist Deutschland weltweit an             förderung und langfristiges strategisches Handeln.
mehr als zwei Dutzend einzigartigen Großgeräten be-
teiligt. Das Bundesforschungsministerium fördert diese       1. Konzeption
Forschungsinfrastrukturen entsprechend des wissen-
schaftlichen Bedarfs sowie der forschungspolitischen         Der wissenschaftliche Bedarf für neue Großgeräte wird
Prioritäten und gestaltet sie entlang ihres Lebenszy-        innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft iden-
klus, der in fünf Phasen gegliedert ist:                     tifiziert, diskutiert und zu Konzepten weiterentwickelt.
                                                             Das Bundesforschungsministerium kann die Konzep-
HANDLUNGSFELD 1: DIE GROSSGERÄTELANDSCHAFT GESTALTEN                                                                             17

              Nationaler            Bau                              Betrieb
 Konzeption Roadmap-Prozess                                                                                       Auslauf
                                              Instrumentierung

                                       ELT                        ALMA VLT

                             CTA                                IceCube KATRIN

                                                              PETRA III ESRF BESSY II              ANKA            DORIS BESSY I

                                                  European XFEL FLASH FELBE

                                                           FRM II/MLZ HFR/ILL BER II                                DIDO FRG-1

                                       ESS

                                        ELI

                                       FAIR                                                                          HERA

                           HL-LHC                                 LHC                                                 LEP

                                                                  Forschungsinfrastrukturen und ihre Position im Lebenszyklus
                                                                  (Abkürzungen siehe Glossar ab Seite 38).

tion neuer Forschungsinfrastrukturen mit institutio-            Ressourcen in allen Wissenschaftsgebieten, die der For-
neller Förderung und mit Mitteln aus der Projektförde-          schung dienen. Forschungsinfrastrukturen der natur-
rung unterstützen. Ausreichend zukunftsträchtige und            wissenschaftlichen Grundlagenforschung werden im
ausgereifte Konzepte können sich um die Aufnahme in             Nationalen Roadmap-Prozess bewertet, wenn der deut-
die „Nationale Roadmap für Forschungsinfrastruktu-              sche Anteil der geplanten Aufbaukosten mindestens
ren“ bewerben.                                                  50 Millionen Euro beträgt und damit einen umfangrei-
                                                                chen nationalen Entscheidungsprozess rechtfertigt. Der
2. Nationaler Roadmap-Prozess für                               Roadmap-Prozess ist für Forschungsinfrastrukturen
Forschungsinfrastrukturen                                       dieser Größenordnung bindend.

Der Nationale Roadmap-Prozess für Forschungsin-                 Die Konzepte durchlaufen verschiedene Begutach-
frastrukturen ist ein strategisches Instrument zur              tungsverfahren: Hohe wissenschaftliche Qualität,
forschungspolitischen Priorisierung von zukünftigen             eine wirtschaftlich belastbare Planung und große
und langfristigen Investitionen. Er wurde durch das             gesellschaftliche Bedeutung sind die wichtigsten Be-
Bundesforschungsministerium etabliert. Übergeord-               wertungsmaßstäbe. Auf der Grundlage der Begutach-
netes Ziel dieses Prozesses ist es, geplante Forschungs-        tungsergebnisse entscheiden das Bundesforschungs-
infrastrukturen nach einem einheitlichen, fairen und            ministerium oder gegebenenfalls andere zuständige
transparenten Verfahren zu bewerten.                            Ressorts über die Aufnahme auf die Roadmap. Mit der
                                                                Aufnahme auf die Roadmap ist eine grundsätzliche
Forschungsinfrastrukturen im Sinne des Nationalen               Finanzierungsabsicht verbunden.
Roadmap-Prozesses sind umfangreiche und langlebige
18                                                                                                             Rahmenprogramm „ErUM“

T Teilchen                        M Materie                         U Universum

                                               ESS
                                           M
              FLASH
       European XFEL
           PETRAIII
                              M
                                                    BER II
                U                          MM       BESSYII
                      LOFAR

                                                M               IBC
                              FAIR                              FELBE                                      U

                       T          FRM II             M
                       U
                                                              ELI
                            KATRIN     M

                LHC/CERN                                                                                         LBT
                                                                        M
            T
        M                    CRESST
                             GERDA
        ESRF               XENON1T
        HFR/ILL
                    ANTARES
            U                         U

                                                                                                                            ALMA      U
                                                                                                                               VLT    UU
                                                                                                                               ELT
                                                                                                                                           U
                                                                                                         Pierre-Auger-Observatorium

     Das Bundesforschungsministerium sichert Forscherinnen und
     Forschern aus Deutschland den Zugang zu weltweit führenden
     Forschungsinfrastrukturen (Stand 2016).

3. Bau und Instrumentierung                                                       richtet der Bund Controlling- und Überwachungsmaß-
                                                                                  nahmen für die Bauphase ein. Beratungsgremien wer-
Der Bau einer solchen Forschungsinfrastruktur nimmt                               den eingesetzt, um die Planungs- und Bauphasen zu
mehrere Jahre in Anspruch. Nationale Forschungsin-                                unterstützen bzw. zu überwachen. Bereits parallel zum
frastrukturen in der naturwissenschaftlichen Grund-                               Bau wird die Entwicklung neuer Messmethoden und
lagenforschung werden zum überwiegenden Teil vom                                  technischer Komponenten der geplanten Instrumen-
Bundesforschungsministerium finanziert – sowohl                                   tierung durch Hochschulen vom Bund gefördert.
durch institutionelle Förderung als auch durch Projekt-
förderung. Das Bundesforschungsministerium stellt                                 4. Betrieb und Instrumentierung
daher hohe Ansprüche an die stringente Planung und
effiziente Umsetzung von Bauentscheidungen. Um den                                Mit der Inbetriebnahme steht eine neue Forschungs-
effizienten Ablauf der Bauprojekte zu gewährleisten,                              infrastruktur Nutzern aus der Wissenschaft sowie der
HANDLUNGSFELD 1: DIE GROSSGERÄTELANDSCHAFT GESTALTEN                                                            19

                                 M IBR-2

                           ELI
                       M

                                                                                        T   BELLE II

U   MAGIC

        H.E.S.S.   U

    IceCube

    U                                                                                   → www.fis-landschaft.de

          Industrie zur Verfügung. Das Management steuert die        der Anlagen zu erweitern. Die Betreiber der Großgeräte
          Forschungsinfrastrukturen und richtet sie unter Auf-       reagieren mit gezielten Ausbauinvestitionen und Bei-
          sicht seiner Gremien strategisch aus. In diesen vertritt   trägen aus ihrer Grundfinanzierung auf neue Anforde-
          das Bundesforschungsministerium die Interessen der         rungen. Diese gemeinsamen Anstrengungen gewähr-
          Bundesregierung. Wissenschaftliche Beratungsgremien        leisten über Jahrzehnte die wissenschaftliche Exzellenz
          sichern den exzellenzgeleiteten Auswahlprozess für         der Forschungsinfrastrukturen.
          die effiziente Nutzung der Forschungsinfrastrukturen.
          Während des Betriebs werden die Großgeräte und ihre        5. Auslauf
          Instrumentierung weiterentwickelt und an neueste
          wissenschaftliche Fragen angepasst. Das Bundesfor-         Um eine effektive Steuerung des Portfolios an For-
          schungsministerium unterstützt dies mit der „Ver-          schungsinfrastrukturen sicherzustellen, müssen regel-
          bundforschung“: Diese Projektförderung ermöglicht          mäßig Evaluationen auf strategischer und operativer
          Arbeiten der Hochschulen, um das Leistungsspektrum         Ebene erfolgen und gegebenenfalls tragfähige Aus-
20                                                                                                Rahmenprogramm „ErUM“

                                                                 In Jordanien nutzt das multinationale Forschungszentrum
     Umnutzung: Seit über fünf Jahrzehnten im                    SESAME Komponenten von BESSY I – die ehemalige
     Dienst der Wissenschaft                                     Photonenquelle trägt so zur Völkerverständigung bei.

     Manchmal haben Anlagen nach dem Ende des eigent-          soll die gemeinsame Forschungsanlage SESAME Brü-
     lichen Experimentierprogramms die Chance auf eine         cken zwischen Ländern aus der Region aufbauen: Ägyp-
     zweite Karriere, wie etwa die Teilchenbeschleuniger des   ten, Bahrain, Iran, Israel, Jordanien, Pakistan, die Paläs-
     Forschungszentrums DESY. Die erste Anlage ging 1964       tinensische Autonomiebehörde, die Türkei und Zypern.
     in Betrieb. Experimente liefen dort bis 1978. Seitdem
     wird die Anlage als Vorbeschleuniger für andere, grö-     Umweltverträgliche Stilllegung und Rückbau
     ßere Speicherringe wie HERA und PETRA weiterver-          von Großgeräten
     wendet. Auch der Teilchenbeschleuniger PETRA wurde
     nach seiner Betriebsphase weiter genutzt. 1978, als er    Für den Rückbau der Großgeräte am Ende ihres Le-
     anlief, war er der weltweit leistungsstärkste Speicher-   benszyklus ist die betreibende Einrichtung verantwort-
     ring für Elektronen und Positronen. Von 1990 bis 2007     lich. Ein Rückbau- und Entsorgungskonzept gehört
     diente er unter dem Namen PETRA II als Vorbeschleu-       deshalb in eine Gesamtbetrachtung der Kosten für den
     niger des HERA-Speicherrings. Seit 2010 ist PETRA III     Bau und den Betrieb einer Anlage.
     die weltweit leistungsstärkste Synchrotronstrahlungs-
     quelle ihrer Art. 2016 wurde die Anzahl ihrer Messplät-   Der Rückbau und die Entsorgung von kerntechnischen
     ze um mehr als 50 Prozent erweitert.                      Anlagen wie Forschungsreaktoren sind besonders an-
                                                               spruchsvoll: Die Einrichtungen müssen dabei speziel-
     Wiederverwertung im Dienste der                           le atom- und strahlenschutzrechtliche Bedingungen
     Völkerverständigung                                       erfüllen. Zentrale Ziele sind der Strahlenschutz und
                                                               eine Minimierung des Abfallaufkommens. Dafür sind
     Eine weitere Möglichkeit ist die Wiederverwertung oder    entsprechende Dekontaminations- und Zerlegeverfah-
     Weiternutzung des Großgerätes oder seiner Kompo-          ren notwendig. Eine Besonderheit stellt der inzwischen
     nenten an einem anderen Standort. Bewährte Mess-          weit fortgeschrittene Rückbau der kerntechnischen
     plätze des Geesthachter Forschungsreaktors werden         Anlagen aus den 1970er bis 1990er Jahren dar, die der
     beispielsweise als Bestandteil der Instrumentierung       Erforschung der Nutzung der Kernenergie dienten. Das
     des Forschungsreaktors PIK in Gatchina, Russland,         Bundesforschungsministerium unterstützt die umwelt-
     mitgenutzt.                                               verträgliche Stilllegung und Entsorgung der Anlagen in
                                                               seinem Verantwortungsbereich durch die Kerntechni-
     Die ehemalige Photonenquelle BESSY I bildet den           sche Entsorgung Karlsruhe GmbH (KTE) oder die Jüli-
     Grundstock für das erste multinationale Forschungs-       cher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH
     zentrum im Nahen Osten: SESAME in Allan, Jordanien.       (JEN). Dies betrifft beispielsweise den Mehrzweckfor-
     Ähnlich wie das CERN nach dem zweiten Weltkrieg ei-       schungsreaktor in Karlsruhe oder den Atomversuchsre-
     nen Beitrag zur Völkerverständigung in Europa leistete,   aktor in Jülich.
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