ERFORSCHUNG VON UNIVERSUM UND MATERIE - ERUM - RAHMENPROGRAMM DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
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Erforschung von Universum und Materie – ErUM Rahmenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
1 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort 2 Mit neuem Wissen für die Zukunft vorsorgen 4 Teilchen, Materie und Universum erforschen 6 Teilchen: Was die Welt zusammenhält ............................................................................................................................. 6 Materie: Verstehen und verbessern.................................................................................................................................... 8 Universum: Empfang auf allen Frequenzen ..................................................................................................................... 8 Forschungsinfrastrukturen liefern Antworten................................................................................................................. 9 Gemeinsam Strategien entwickeln 12 Strategieprozesse zusammenführen................................................................................................................................ 12 Leitziele und Handlungsfelder.......................................................................................................................................... 14 Aktionspläne......................................................................................................................................................................... 15 Die Handlungsfelder des Programms 16–33 Die Großgerätelandschaft gestalten 16 Nachwuchs fördern, Spitzenkräfte gewinnen 22 Wissenschaft national und international vernetzen 26 Innovation stimulieren und Partizipation ermöglichen 30 Operative Umsetzung 34 Struktur des Programms .................................................................................................................................................... 34 Förderinstrumente .............................................................................................................................................................. 35 Fachinformation................................................................................................................................................................... 37 Fördermittel.......................................................................................................................................................................... 37 Glossar 38 Impressum 41
Vorwort Grundlagenforschung macht Deutschland fit für die Zukunft, dient sie doch weit mehr als nur dem reinen Erkenntnisgewinn: Aus ihr können auch technische Innovationen entstehen. Grundlagenforschung ist somit der Schlüssel, um wesentliche Fragen unserer Zeit zu beantworten: ganz gleich, ob es um Gesundheit, Mobilität oder zum Beispiel um die Energieversorgung geht. Ohne naturwissenschaftliche Grundlagenforschung wäre der Fortschritt in unserem Land nicht möglich. Allerdings gibt es dafür eine Voraussetzung – und das ist eine Wissenschaft, die offen, exzellenzbasiert und leistungsfähig ist. Nur sie kann neue, ungeahnte Perspektiven eröffnen. Denn wo oder wie man die neuen Erkenntnisse später anwenden kann, ist oft nicht vorhersagbar. Die Erfahrung lehrt uns aber, dass sie früher oder später ihren Weg in unseren Alltag finden. Ein Beispiel dafür ist Albert Einsteins Relativitätstheorie. Ursprünglich rein wissenschaftsgetrieben, findet sie heute unter anderem in Navigations- systemen Anwendung. An ihren Großgeräten untersuchen Grundlagenforscher die Struktur und Wirkung von Proteinen. Oder sie beobachten Batterien im Betrieb, um die für die Energiewende notwendigen Energiespeicher zu verbessern. Auf diese Weise erreicht uns aus der Grundlagenforschung ein kontinuierlicher Strom von Ideen und neuen Technologien mit Anwendungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Mit dem vorliegenden Rahmenprogramm „Erforschung von Universum und Materie“ fördern wir exzellente naturwissenschaftli- che Grundlagenforschung - von der Untersuchung allerkleinster Teilchen bis zur Erkundung der Weiten des Universums. Hierzu unterhalten wir modernste Forschungsinfrastrukturen in der ganzen Welt, auch in internationaler Zusammenarbeit. Wir stärken kompetenten wissenschaftlich-technischen Nachwuchs, der diese Forschungslandschaft lebendig macht. So schaffen wir erstklas- sige Bedingungen für Spitzenforschung in und aus Deutschland. Es entsteht ein attraktives Umfeld, in dem Visionen und Ideen zu neuen Erkenntnissen und Technologien reifen. Mit dem Rahmenprogramm nehmen wir gleichzeitig die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Verantwortung: Denn zu ihren Aufgaben gehört es auch, mit der Gesellschaft in einen breiten Dialog zu treten und ihre Arbeit zu erklären. Damit die Menschen der Forschung auch weiterhin offen gegenüberstehen, ist es erforderlich, dass sie den wissenschaftlichen Antrieb und den Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnisse nachvollziehen können. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dabei erkennen kön- nen, dass die Forschung ihnen auch direkt zugutekommt. Nur dann kann sich das Potenzial der Forschung voll entfalten. Auch die Wirtschaft ist Teil dieses Netzwerks. Gute Ideen, neue Technologien und digitale Methoden aus der Grundlagenfor- schung müssen ihren Weg schneller in konkrete Anwendungen finden. Wir wollen, dass solche Technologien möglichst schnell zum Nutzen der Menschen eingesetzt werden. Deshalb ist das Rahmenprogramm auch in die Hightech-Strategie 2025 eingebettet. Wir investieren in Grundlagenforschung, damit Deutschland auch künftig ein führender Wissenschafts- und Innovationsstand- ort ist. Ich lade alle Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen, alle Bürgerinnen und Bürger, alle Unternehmerinnen und Unternehmer ein: Lassen Sie uns Deutschland mit starker Forschung und geeigneten Rahmenbedingungen zum Land der Ideen machen! Anja Karliczek Mitglied des Deutschen Bundestages Bundesministerin für Bildung und Forschung
Die Photonenquelle PETRA III in Hamburg ist weltweiter Anziehungspunkt für Expertinnen und Experten aus Physik, Chemie, Biologie, Materialforschung und anderen Forschungsfeldern.
4 Rahmenprogramm „ErUM“ Mit neuem Wissen für die Zukunft vorsorgen Grundlagenforschung ist Zukunftsvorsorge für nachfol hunderte von Fotos und die hochauflösenden Displays gende Generationen. Die Erforschung von Teilchen, Ma beruhen auf Effekten der Quantenphysik: All diese terie und Universum erweitert das Wissen von heute und technischen Innovationen wären undenkbar ohne die schafft die Grundlage für Technologien von morgen und Fortschritte der naturwissenschaftlichen Grundlagen- übermorgen. Intensive Forschungsanstrengungen si forschung. chern Deutschlands wirtschaftliche Zukunft und damit langfristig den Wohlstand unserer Gesellschaft. Dabei Schon in der Urzeit haben naturwissenschaftliche nutzt die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung Erkenntnisse die Gesellschaft geprägt. Der Blick in die faszinierende Techniken an der Grenze des Machbaren Sterne fasziniert Menschen seit Jahrtausenden. Jenseits und bringt exzellente neue Ideen hervor. Die langfristig dieser Faszination hat das aus der Beobachtung gesam- angelegte Förderung erstklassiger Grundlagenforschung melte Wissen eine oft lebenswichtige Bedeutung. Aus macht Deutschland zu einem attraktiven Standort für der Kenntnis des Laufs der Gestirne ließen sich Termi- die besten Forscherinnen und Forscher aus aller Welt. ne für Aussaat oder Ernte ablesen. Die ersten Astrono- men haben mit ihren Beobachtungen die Grundlage Einer der ersten Handgriffe am Morgen gilt heute bei für die Agrargesellschaft gelegt. vielen Menschen dem Smartphone – um den Wecker abzuschalten, um einen Blick auf die aktuellen Nach- Auch heute ist die Neugierde der Forscherinnen und richten zu werfen oder um schnell die Termine und das Forscher die Triebfeder für Erfindungen und Entde Wetter des beginnenden Tages zu prüfen. Während des ckungen, die – manchmal sofort, oft aber erst später – ganzen Tages ist dieser tragbare Hochleistungscompu- als gesellschaftliche Errungenschaften wahrgenommen ter ein ständiger Begleiter und dient der Kommunika- werden. tion, Navigation, Entspannung und Unterhaltung. Das Smartphone vereint viele der technischen Innovatio- Mit der Erforschung der kleinsten Teilchen, des nen der letzten Jahrzehnte in sich, die aus weit über Aufbaus und der Funktion der Materie sowie des hundert Jahren Grundlagenforschung hervorgegangen Universums verschieben Wissenschaftlerinnen und sind: In ihm sind Radiowellensender und -empfänger Wissenschaftler die Grenzen naturwissenschaftlicher für verschiedene Frequenzbereiche verbaut, sowohl Erkenntnis und liefern Beiträge zu wichtigen gesell- für Telefon und WLAN als auch für Bluetooth und das schaftlichen Fragestellungen. Dazu sind moderne Navigationssystem GPS. Die Kamera, die in manchen und immer komplexere Forschungsinfrastrukturen Modellen sogar kinotaugliche Filme aus dem Taschen- notwendig – beispielsweise Teilchenbeschleuniger wie computer zaubert, die winzigen Datenspeicher für der Large Hadron Collider (LHC) in Genf oder Groß-
Die Neugier, die immer wieder neu gestellte Frage nach dem „Warum, Woher und Wohin“, ist eine tiefe menschliche Regung. Die Antworten, die die Wissenschaft liefert, berühren alle Menschen genauso, wie sonst nur Musik, Kunst oder Literatur. Das Mitfiebern bei der Mondlandung ist dafür ebenso Beleg wie das große öffent- liche Interesse an der erfolgreichen Suche nach dem Higgs-Boson mithilfe des Teilchenbeschleunigers LHC in Genf. teleskope wie das Very Large Telescope (VLT) in Chile. Die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung soll Solche Großgeräte sind ein wesentlicher Bestandteil auch zukünftig unsere Gesellschaft bereichern. Daher unseres Wissenschaftssystems und bieten einzigartige stellt die Bundesregierung mit diesem Rahmenpro- Forschungsmöglichkeiten. gramm die Weichen für wissenschaftliche Spitzenleis tungen und Zukunftstechnologien sowie für Innovati- Die Wissenschaft stellt hohe Anforderungen an Präzi- onskeime und den wissenschaftlichen Nachwuchs von sion und Komplexität der Forschungsinfrastrukturen. morgen. Dafür setzt das Bundesforschungsministerium Für Wirtschaftszweige wie Maschinenbau, Bauwesen forschungspolitische Schwerpunkte in vier Handlungs- und die feinmechanisch-optische Industrie sind sie ein feldern: wichtiger Technologietreiber, etwa bei der Entwicklung und dem Bau neuer Teilchenbeschleuniger, Photonen- ∙∙ Großgerätelandschaft, quellen oder Teleskope. ∙∙ MINT-Nachwuchs1, Die Vielfalt der potentiellen Erfindungen und An- wendungen, die entstehen, ist nicht vorhersagbar. Der ∙∙ Vernetzung sowie Bund schafft geeignete Rahmenbedingungen und ei- nen Nährboden, damit hieraus Innovationskeime und ∙∙ Transfer und Partizipation. später Innovationen erwachsen können. Voraussetzung für hohe Innovationsleistung ist ein offenes, exzellen- In diesen vier Feldern gestaltet das Bundesforschungs- tes und attraktives Wissenschaftssystem. ministerium die naturwissenschaftliche Grundlagen- forschung an Großgeräten in einem strategischen Pro- Ein langer Atem kann dabei notwendig sein: Von zess. Das vorliegende Programm bildet den strategisch- Maxwells Gleichungen der Elektrodynamik über die thematischen Rahmen – für den Blick in die Tiefen der Erzeugung elektromagnetischer Wellen durch Heinrich Materie und die Weiten des Universums. Hertz bis zum Beginn der Funktechnik durch die Pio- niere Ferdinand Braun, Guglielmo Marconi und andere waren es rund dreißig Jahre – bis darauf aufbauend ein modernes Smartphone entstand etwas mehr als weite- re hundert Jahre. ¹ MINT – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik
6 Rahmenprogramm „ErUM“ Teilchen, Materie und Universum erforschen Das Bundesforschungsministerium stärkt den Wissen ministerium mit neuem Wissen die Zukunft – sowohl schaftsstandort Deutschland mit der Förderung aus mit wissenschaftlichen und technischen Fortschritten, gewählter Forschungsfelder von winzigen Teilchen bis als auch in Form von Kulturleistungen, die unser All- zum Universum. Nur mit modernen Forschungsinfra tagsleben vielfältig bereichern werden. strukturen lassen sich heute die Themengebiete von den kleinsten Bausteinen bis zu den Weiten des Universums erschließen. Teilchen: Was die Welt zusammenhält Die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung spannt einen weiten Bogen, vom Allerkleinsten bis zum Allergrößten. In diesem Programm konzentriert Nicht erst seitdem Goethe seinen Faust fragen ließ, was sich das Bundesforschungsministerium auf drei The- denn die Welt im Innersten zusammenhalte, fasziniert mengebiete: Teilchen, Materie und Universum. Die den Menschen das Rätsel, woraus er selbst und die Na- Erforschung der kleinsten Bausteine der Materie – der tur um ihn herum bestehen. Eines der Themengebiete, Teilchen – ist Basis für ein grundlegendes Verständnis die das Bundesforschungsministerium unterstützt, der Natur. Aus den Eigenschaften dieser Bausteine und beschäftigt sich mit eben dieser Frage: Woraus besteht deren Zusammenspiel erhalten Werkstoffe, Biomole- die Materie, was sind die kleinsten Bausteine und wie küle oder Organismen – die Materie – ihre Funktion. funktioniert ihr Zusammenspiel? Diese zu verstehen und gezielt zu verändern, eröffnet zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten in Medizin und Heute lässt sich jede Form und Art der Materie auf Technik. Das Universum fasziniert die Menschen und wenige elementare Grundbausteine – wie Quarks regt wissenschaftliche Neugier an. Seine Erforschung – zurückführen. Ihr Zusammenwirken wird im soge- liefert zum Beispiel wissenschaftliche Antworten auf nannten Standardmodell der Elementarteilchenphy- die Frage nach dem Ursprung unseres Planeten. sik beschrieben. Der letzte fehlende Baustein dieses Modells wurde von Peter Higgs und François Englert In diesen Themengebieten identifiziert das Bundesfor- in den 1960er Jahren vorhergesagt. Internationale For- schungsministerium Forschungsfelder von besonderer schungsteams machten sich auf die spannende Suche Bedeutung. In den ausgewählten Feldern wird eine nach diesem fehlenden Elementarteilchen, das allen Forschungslandschaft gestaltet, die wissenschaftliche anderen Grundbausteinen ihre Masse verleiht. Sie trie- Spitzenleistung ermöglicht. Mit dieser strategischen ben die technischen Entwicklungen für den größten Forschungspolitik für die Themengebiete Teilchen, Teilchenbeschleuniger der Welt voran: für den LHC am Materie und Universum sichert das Bundesforschungs- Forschungszentrum CERN nahe Genf und die notwen- Elementarteilchen Atomkern Atom Chromosom Salzkristall Mensch Materie Teilchen 10–18 m 10–15 m 10–12 m 10–9 m 1 µm 1 mm 1m 1 km
TEILCHEN, MATERIE UND UNIVERSUM ERFORSCHEN 7 Teilchen – beschleunigen und erschaffen Mit Teilchenbeschleunigern wird nach den elementaren Grundbausteinen der Materie gefahndet. Diese Maschi- nen bringen geladene Teilchen fast auf Lichtgeschwin- digen Detektoren ATLAS und CMS. Diese internationa- digkeit, um sie dann gezielt kollidieren zu lassen. Bei le Kooperation wurde im Jahr 2012 von Erfolg gekrönt: solchen Kollisionen können neue, bislang unbekann- Die Entdeckung des Higgs-Bosons ist ein Meilenstein te Teilchen entstehen. Sie sind in der Regel instabil und der Physik, an dem Forscherinnen und Forscher aus zerfallen in Bruchstücke, welche mit riesigen Detekto- Deutschland mit Förderung des Bundesforschungsmi- ren vermessen werden. Anhand dieser Messdaten ist nisteriums einen sehr großen Anteil hatten. 2013, kurz es möglich, die Eigenschaften des zuerst entstandenen nachdem das Teilchen nachgewiesen wurde, erhielten Teilchens zu untersuchen. Peter Higgs und François Englert für ihre Vorhersage den Nobelpreis für Physik. Der weltweit leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger ist der LHC des CERN. Das CERN wird zu 20 Prozent Der Nachweis des Higgs-Bosons klärte eine zentrale von Deutschland mitfinanziert. In einem knapp 27 Ki- Fragestellung der Physik des letzten Jahrhunderts. lometer langen, kreisförmigen Tunnel treffen im LHC Dennoch bleiben Fragen offen, beispielweise: Woraus Wasserstoffkerne mit nie zuvor erreichter Energie auf- bestehen Quarks, kennen wir bereits alle und können einander. Dabei entstehen bisher unbeobachtete Mate- sie zu weiteren Teilchen kombiniert werden? Führen riezustände und subatomare Teilchen. Vermessen wer- die Antworten darauf zu heute noch nicht vorstellba- den sie unter anderem mit dem ATLAS-Detektor, einem ren technischen Neuerungen? weiteren Superlativ: Das Nachweisgerät ist mit einer Länge von 46 Metern und einem Durchmesser von 25 Aus Quarks zusammengesetzte Teilchen heißen Ha- Metern der bisher größte Detektor, der jemals an einem dronen. Die Atomkerne aller Elemente bestehen aus Teilchenbeschleuniger zum Einsatz kam. Er und sein solchen Hadronen: den Protonen und den Neutronen. kompakterer, aber schwererer Counterpart CMS wur- Hadronen- und Kernphysik erforschen diese Teilge- den zu wesentlichen Teilen von deutschen Hochschulen biete der Physik. Auch hier gibt es ungelöste Rätsel, und Forschungseinrichtungen mit Mitteln des Bundes- wie bereits der einfache Kern des Wasserstoffatoms forschungsministeriums entwickelt und aufgebaut. verdeutlicht. Trotz intensiver Forschungsanstrengun- gen sind die Eigenschaften des Wasserstoffkerns – des Die Struktur von sogenannten Hadronen nehmen For- Protons – auch heute noch nicht im Detail verstan- scherinnen und Forscher mit dem ALICE-Detektor den. Wenn es gelingt, sie zu entschlüsseln, ist dies ein am LHC und zukünftig mit dem im Bau befindlichen weiterer Schritt, das Zusammenspiel der elementaren Beschleunigerkomplex FAIR bei Darmstadt unter die Grundbausteine und der daraus aufgebauten Atome zu Lupe. FAIR erzeugt Strahlen geladener Teilchen in bis- verstehen. So können dann auch die Eigenschaften der her unerreichter Intensität und Qualität. Hier werden komplizierteren chemischen Elemente erklärt werden: Bedingungen reproduziert, wie sie im Inneren von Ster- ein weiteres Puzzlestück für die Antwort auf die fausti- nen oder sogar beim Ausbruch einer Supernova herr- sche Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält. Abstand zu den Sonne nächsten Sternen Milchstraße Weltall Universum 1000 km 109 m 1012 m 1015 m 1018 m 1021 m 1024 m 1027 m
Materie: Verstehen und verbessern schen. So lässt sich im Labor nachvollziehen, auf welch komplexen Wegen sich chemische Elemente bilden. Was gibt einem Material seine Eigenschaften? Wie Deutschland ist an FAIR als größter von zehn Partnern kann man sie an medizinische oder technische Erfor- beteiligt und stellt wesentliche Weichen für seine wis- dernisse anpassen? Nur einfach zu wissen, dass ein senschaftliche Ausrichtung als eine weltweit führende bestimmtes Material aus einer oder mehreren Sorten Experimentiereinrichtung. von Atomen besteht, reicht nicht aus, um diese Fragen zu beantworten. Vielmehr ist es die Struktur, die wie Materie – Einblick und Durchblick bei Diamant und Graphit den Unterschied macht: Bei- de Materialien bestehen einzig aus Kohlenstoffatomen. Das Bundesforschungsministerium fördert als Haupt- Nur ihre Atomanordnung unterscheidet sich. Sie legt geldgeber der Forschungsinfrastrukturen drei sich er- Härte, Leitfähigkeit oder andere Eigenschaften des gänzende Arten von Nutzerplattformen zur Erforschung Materials fest. Mit modernen Forschungsinfrastruktu- der Materie. Aufgrund ihrer technischen Alleinstel- ren werden solche Atomanordnungen exakt bestimmt, lungsmerkmale, wie etwa der räumlichen und zeitlichen sodass neue Materialien mit angepassten Eigenschaften Auflösung der Experimente, unterscheiden sich ihre entworfen werden können. Dabei werden Methoden Anwendungsmöglichkeiten. Sie ermöglichen die Beant- entwickelt, mit denen man beispielsweise Biomolekü- wortung unterschiedlichster Fragestellungen aus viel- len oder Katalysatoren bei der Arbeit zusehen kann. fältigsten interdisziplinären Forschungsfeldern. Der European XFEL wird regelrechte Zeitlupenvideos der zugrundeliegenden Reaktionen aufnehmen. Photonenquellen Mit der gezielten Förderung der Infrastrukturen für Gebündelte, hochintensive Röntgenstrahlen zum diese Forschung legt das Bundesforschungsministeri- Durchleuchten oder Beleuchten von Materialproben um die Grundlagen zur Entwicklung und Verbesserung können nur von speziellen Teilchenbeschleunigern pro- pharmazeutischer Wirkstoffe, elektronischer Bausteine, duziert werden: den Photonenquellen. Ringquellen – Katalysatoren und neuartiger Werkstoffe. sogenannte Synchrotrone – und lineare Quellen – so- genannte Freie-Elektronen-Laser (FEL) – unterscheiden Von den neuen Erkenntnissen und Methoden pro- sich in Anwendungszweck und Aufbau. Synchrotrone fitieren neben der Physik ebenso die Lebens- und erzeugen lange Pulse mit hoher Gesamtintensität; FEL Umweltwissenschaften, die Energie-, Material- und erzeugen kurze Laserblitze mit sehr hohen Intensitäten Werkstoffforschung sowie technische und ingenieur- im Einzelpuls. wissenschaftliche Anwendungen. Der Pharmaindustrie helfen die Methoden bei der systematischen Suche In Deutschland tätige Forscherinnen und Forscher ge- nach Leitstrukturen für neue Arzneimittel. hören zur weltweiten Spitze bei Bau und Nutzung von Photonenquellen. Der große Erfolg deutscher For- schungsgruppen beruht auf der erstklassigen Infra- Universum: Empfang auf allen struktur und dem breiten Anwendungsspektrum. Die Frequenzen Messplätze werden für vielfältige Forschungsarbeiten genutzt, beispielsweise zur Entwicklung neuer Medika- mente, zur Verbesserung von Werkstoffen oder zur Ana- Seit Menschengedenken blickt der Mensch an den lyse von Materialproben unter extremem Druck. Nachthimmel und versucht zu verstehen, wie das
TEILCHEN, MATERIE UND UNIVERSUM ERFORSCHEN 9 Beispiele für solche Anlagen sind die Speicherringe PETRA III in Hamburg, die European Synchrotron Radi- ation Facility (ESRF) in Grenoble und BESSY II in Berlin, Universum funktioniert. Mittlerweile wissen wir viel sowie der Freie-Elektronen-Laser FLASH in Hamburg. über das Universum – dass es durch den Urknall vor Als leistungsfähigster Röntgenlaser wurde in den letz- 13,8 Milliarden Jahren entstand, dass es sich seitdem ten Jahren in Norddeutschland der Europäische Rönt- ausdehnt – und doch gibt es uns bis heute große Rätsel genlaser (European XFEL) errichtet. Er wird zu zwei auf. Ende der 1990er Jahre wurden neue Fragen mit der Dritteln von Deutschland finanziert. Dieses Großge- Feststellung aufgeworfen, dass es „Dunkle Materie“ und rät ermöglicht mit extrem intensiven Röntgenblitzen, „Dunkle Energie“ gibt, die für den Zusammenhalt der selbst jene Proteine genau unter die Lupe zu nehmen, Galaxien bzw. die beschleunigte Ausdehnung des Uni- die sich mit bisherigen Photonenquellen noch nicht versums verantwortlich sind. Doch was sind die bisher analysieren ließen. unentdeckten Bestandteile des Universums, aus denen Dunkle Materie und Dunkle Energie bestehen? Dass die Forschung an Photonenquellen hochgradig in- terdisziplinär ist, zeigte eine Nutzerbefragung an PETRA Astrophysik, Astroteilchenphysik und Astronomie wid- III und FLASH aus dem Jahr 2016. Lebenswissenschaf- men sich noch weiteren Themen: Wir kennen heute ten und Energie bilden den Anwendungsschwerpunkt. über 2500 Planetensysteme außerhalb unseres Son- Etwa 15 Prozent der Nutzergruppen entwickeln die nensystems – und wöchentlich finden die Astronomen Instrumentierung der Quellen weiter. Sie werden hier- neue. Damit liegt die Antwort auf eine Frage, die der bei durch die Projektförderung des Bundesforschungs- Mensch sich schon lange stellt, heute näher als jemals ministeriums, die Verbundforschung, unterstützt. Die zuvor: Gibt es Leben auf anderen Planeten? Noch ist übrigen 85 Prozent der Nutzergruppen profitieren bei es nicht gelungen, auf einem dieser über 3500 bisher ihrer Forschung von dieser Entwicklungsarbeit. Ihre bekannten Planeten Spuren von Leben zu finden. Die Forschung selbst wird über entsprechende Programme Suche danach ist in vollem Gange. gefördert. Auch andere Fragen sollen beantwortet werden: Was Neutronenquellen führte zur Entstehung verschiedener Galaxientypen und zur Planetenbildung und legte damit die Grundla- Neutronenquellen ergänzen das Anwendungsspektrum ge für unser Leben? Welche Extremprozesse laufen im der Photonenquellen: Neutronen durchdringen ganze Kosmos ab, etwa wenn Sterne das Ende ihrer Lebens- technische Objekte wie Motoren, Akkus oder Festplat- dauer erreichen oder wenn Materie auf ein Schwarzes tenspeicher, deren Inneres sich daher sogar im Betrieb Loch fällt? untersuchen lässt. Es gibt Neutronenquellen zweier un- terschiedlicher Typen: Hochflussreaktoren bieten einen konstanten und sehr hohen Neutronenfluss. Die Nut- Forschungsinfrastrukturen liefern zung von Neutronenpulsen ist mit sogenannten Spalla- Antworten tions-Neutronenquellen möglich. In den Hochflussre- aktoren können somit statische und langsame Prozesse besonders genau betrachtet werden, während mit den Die Zeiten, in denen nur kleine Forschungsteams am Neutronenpulsen auch „Zeitlupenaufnahmen“ gelingen. Labortisch die großen Fragen der Menschheit ent- schlüsselten, sind in vielen Forschungsfeldern schon Aktuelle Neutronenquellen sind der Forschungsreaktor lange vorbei. Um die kleinsten Strukturen zu erfor- FRM II in München, der BER II in Berlin und der Hoch- schen, die Materie zu verstehen oder tief ins Universum flussreaktor HFR am Institut Laue-Langevin (ILL) im zu blicken, kommen die besten Köpfe der Welt heute französischen Grenoble. Derzeit wird im schwedischen an Forschungsinfrastrukturen der naturwissenschaftli- Lund die europäische Spallations-Neutronenquelle ESS chen Grundlagenforschung zusammen: (European Spallation Source) mit großer Beteiligung deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ∙∙ Mit Teilchenbeschleunigern werden Eigenschaften sowie mit deutschem Know-how gebaut. In Zukunft von Atomen, Atomkernen und elementaren Grund- wird diese Neutronenquelle mit ihrer gepulsten Strah- bausteinen erforscht. lung neue physikalische und interdisziplinäre Anwen- dungen ermöglichen.
Entlegen platziert, um die fernen Weiten des Universums zu erkunden: Einige der insgesamt 66 Antennen des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array, ALMA, das in der Atacamawüste in Chile steht und das leistungsfähigste Teleskop der Welt für diesen Wellenlängenbereich ist. Quellen geladener Teilchen ∙∙ Mit Photonen-, Neutronen- und Ionenquellen wer- Photonen und Neutronen werden insbesondere zur Ana- den Materialien in Aufbau und Funktion analysiert lyse von Materialien und Oberflächen genutzt. Sollen und modifiziert. Materialien hingegen verändert oder veredelt werden, wird oft Strahlung aus elektrisch geladenen Teilchen ein- ∙∙ Mit Teleskopen und Observatorien wird das Univer- gesetzt. Sie werden meist an Linear- oder Ringbeschleu- sum beobachtet. nigern für Experimente bereitgestellt. Solche Forschungsinfrastrukturen sind typischerweise Das Anwendungsspektrum der Quellen geladener Teil- hochkomplexe Forschungsanlagen an der Grenze des chen reicht von der Nanostrukturierung, Dotierung und technisch Machbaren. Analyse von Materialien bis hin zur Medizin: Industrie- betriebe härten mit Hilfe von speziellen Beschleunigern Großgeräte können sehr unterschiedlich konzipiert die Oberflächen von Smartphone-Bildschirmen, stellen sein: Einige sind speziell auf wenige Fragestellungen mit ihnen extrem leistungsfähige Elektronikkomponen- der Grundlagenforschung – oder sogar nur eine einzi- ten wie Bildsensoren oder schnelle Mikrochips her oder ge – ausgerichtet. An solchen Einrichtungen, wie dem entwickeln strahlungsresistente Halbleiterbauelemente ATLAS-Detektor am LHC oder der Neutrinowaage für den Einsatz unter schwierigen Umweltbedingungen KATRIN, arbeiten hunderte, oft sogar tausende Wissen- oder im Katastrophenschutz. In der Medizin werden ge- schaftlerinnen und Wissenschaftler in internationalen ladene Teilchen zur Diagnose und Therapie von Krebser- Kollaborationen zusammen. Andere Großgeräte sind krankungen eingesetzt. Die Quellen geladener Teilchen thematisch breit aufgestellte Nutzerplattformen. An dienen somit gleichermaßen der Grundlagenforschung, Teleskopen werden vielfältige astrophysikalische Phä- medizinischen Anwendungen und als Werkbänke der nomene erforscht. Die Großgeräte zur Erforschung der Hightech-Forschung. Materie sind sogar als interdisziplinäre Nutzerplattfor- men ausgelegt: Naturwissenschaften, Medizin, Ener- Aktuell werden Ionenstrahlen bei ELBE nahe Dresden, gie- und Materialforschung sowie andere Disziplinen bei NEPOMUC am FRM II und an ISOLDE am CERN be- wie Archäologie und Kunstgeschichte gewinnen hier reitgestellt. In Zukunft werden neue Möglichkeiten an einzigartige Erkenntnisse. FAIR dieses Leistungsspektrum ergänzen.
TEILCHEN, MATERIE UND UNIVERSUM ERFORSCHEN 11 In vielen Fällen ist das Bundesforschungsministerium des Netzwerk von Hochschulen und außeruniversi- der hauptverantwortliche Gestalter und größte Geld- tären Forschungseinrichtungen. Hier wird wissen- geber der Großgeräte. Die so entstandene Forschungs- schaftlicher und technischer Nachwuchs auf höchstem landschaft setzt international Maßstäbe: Deutsche Niveau ausgebildet. So wird exzellente Forschung in Großgeräte und Großgeräte mit deutscher Beteiligung Deutschland betrieben, die zu herausragenden wissen- gehören zur weltweiten Spitze und regen die interdis- schaftlichen Resultaten in und aus Deutschland führt ziplinäre Zusammenarbeit an. Diese Forschungsinfra- und den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort nach- strukturen üben eine hohe Anziehungskraft auf die haltig stärkt. weltbesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer jeweiligen Forschungsfelder aus. Rund um die So wie erst die Töne aller Oktaven des Klaviers ein komplexes Forschungsinfrastrukturen entsteht ein herausragen- Musikstück ergeben, müssen auch alle Wellenlängenbereiche der elektromagnetischen Strahlung beobachtet werden, um das Universum zu verstehen. Das sichtbare Licht macht dabei nur einen kleinen Teil der Klaviatur aus. Universum – beobachten und verstehen Radiowellen Infrarot UV Gammastrahlung Unsere Sonne – einer von Abermilliarden von Sternen – Mikrowellen Licht Röntgenstrahlung ist für uns die Quelle von Licht und Wärme. Tatsächlich sendet sie auch noch elektromagnetische Strahlung an- derer Wellenlängenbereiche aus, die aber weitgehend von der Erdatmosphäre blockiert oder von uns nicht bemerkt Radioteleskop Optisches Teleskop wird, weil der menschliche Körper dafür keine Sensoren Teleskopfeld Gammastrahlungsteleskop besitzt. Die Objekte des Universums senden Licht in den ver- ESO-Hauptquartiers ist Garching bei München. schiedensten Bereichen des elektromagnetischen Spek Wichtigste Großgeräte der ESO sind die vier Acht-Me- trums – von der sehr langwelligen Radiostrahlung aus der ter-Teleskope des Very Large Telescopes (VLT) für die Frühphase des Universums über das sichtbare Licht bis optische Astronomie und das Antennenfeld des ALMA- hin zur energiereichen Röntgen- und Gammastrahlung. Observatoriums für den sogenannten Millimeter- und Die Astrophysik hat in den letzten hundert Jahren gelernt, Submillimeterbereich. Das nächste große Projekt der ESO alle Spektralbereiche zu beobachten. Mit langwelligen ist der Bau des Extremely Large Telescope (ELT). Es wird Radioobservatorien, klassischen Radioteleskopen, Mikro- mit 39 Metern Spiegeldurchmesser das bei weitem größ- wellenteleskopen, Infrarot-Satelliten, optischen Instru- te optische Teleskop der Welt sein. Mit diesen Teleskopen menten, UV- und Röntgenteleskopen oder Detektoren beantworten die Astronominnen und Astronomen grund- für Photonen höchster Energie aus dem Kosmos. Dazu legende Fragen zum Ursprung des Universums und seiner kommt die Beobachtung von energiereichen Teilchen Bestandteile: zur Entstehung von Galaxien, Sternen und und seit Kurzem auch von Gravitationswellen. Erst mit Planeten oder zur Suche nach erdähnlichen Planeten und der Kenntnis aller Wellenlängenbereiche und aller ande- nach Spuren von Leben. ren kosmischen Boten entsteht ein vollständiges Bild des Universums. Nur dann können wir etwa die Atmosphären In Argentinien analysiert das Pierre-Auger-Observato- von Planeten anderer Sonnensysteme besser verstehen rium die energiereichsten kosmischen Teilchen, um ihre oder neuartige Prozesse in den Kernen von Galaxien und Herkunft und Eigenschaften zu ergründen. Die Telesko- am Rande des Universums. So erst können Bestandteile pe H.E.S.S. und MAGIC sowie das in Planung befindliche der „Dunklen Materie“ und „Dunklen Energie“ gefunden Cherenkov Telescope Array (CTA) messen die auf der Erde und verstanden werden. auftreffende Gammastrahlung. Solche hochenergetischen Boten der energiereichsten Prozesse im Universum er- Viele der weltgrößten und leistungsfähigsten Teleskope möglichen beispielsweise die Untersuchung des Materie- werden von der Europäischen Südsternwarte ESO betrie- einfalls in Schwarze Löcher oder das Studium der Über- ben, deren größtes Mitgliedsland Deutschland ist. Sitz des reste von Sternexplosionen.
Gemeinsam Strategien entwickeln Das Bundesforschungsministerium gestaltet die Land identifiziert. Das Bundesforschungsministerium sichert schaft von weltweit führenden Forschungsinfrastruk damit die Zukunftsfähigkeit der forschungspolitischen turen in einem strategischen Prozess – dem Prisma- Ausrichtung dieses Wissenschaftsgebiets. Es führt dafür Prozess. Unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen den „Prisma-Prozess“ als zentralen Strategieprozess des Entwicklungen und der gesellschaftlichen Anforde vorliegenden Rahmenprogramms ein. rungen setzt das Bundesforschungsministerium for schungspolitische Leitziele in Handlungsfeldern und Bundesforschungsministeriu m Aktionsplänen um. um Internationaler Forschungsra ulen Strategieprozesse zusammenführen Wissen schafts organis Hoc h sch ationen Gesellschaftliche Ziele und Prioritäten unterliegen einem Wandel. Damit ändern sich auch die Erwartun- gen der Gesellschaft an die Wissenschaft. Neue wissen- Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und der schaftlich-technische Möglichkeiten wie zum Beispiel internationale Forschungsraum tragen die Erforschung die mobile Kommunikation prägen unsere Gesellschaft. von Teilchen, Materie und Universum – dargestellt Das Bundesforschungsministerium beobachtet und durch drei Seiten eines Prismas. Sie nutzen unter- analysiert diese Entwicklungen und greift Impulse von schiedliche, bisher erfolgreiche Strategieprozesse zu Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext der Erfor- Konzeptionierung, Bau, Betrieb und Weiterentwick- schung von Teilchen, Materie und Universum auf. Die lung von Forschungsinfrastrukturen. Um den neuen bestehenden Schwerpunkte werden auf ihre Relevanz, Herausforderungen an Komplexität und Internatio- Aktualität und Priorität geprüft und Zukunftsthemen nalisierung der naturwissenschaftlichen Grundlagen-
GEMEINSAM STRATEGIEN ENTWICKELN 13 forschung an Großgeräten zu begegnen, werden diese Zu den Gesprächen lädt das Bundesforschungsmi- Strategieprozesse von den Verantwortlichen individuell nisterium Fachleute aus den jeweiligen Themen- optimiert und im Prisma-Prozess stärker als bisher gebieten ein. Sie diskutieren auf Grundlage von miteinander verknüpft. Strategiepapieren, insbesondere denen gewählter Komitees der Wissenschaft. Die Gesprächs Das Bundesforschungsministerium gestaltet diese Ver- ergebnisse geben dem Bundesforschungsminis knüpfung mit einander ergänzenden Elementen: terium wichtige fachliche Anregungen für seine Förderbekanntmachungen. Prisma-Radar: Das Bundesforschungsmi- nisterium beobachtet kontinuierlich Prisma-Konferenzen: Das Bundesfor- wissenschaftliche und gesellschaftliche schungsministerium initiiert Prisma- Entwicklungen sowie das Umfeld natio- Konferenzen, um eine breite wis- naler und internationaler Forschungsinfrastruk- senschaftliche und gesellschaftliche turen wie beispielsweise Roadmaps anderer Natio- Kommunikation sicherzustellen. Die für einen nen. Das Radar liefert Impulse für das Forum, für breiten Personenkreis offenen Konferenzen gehen Trialoge, Strategiegespräche und Konferenzen des über rein wissenschaftliche Themen oder den von Prisma-Prozesses. „Wissenschaft im Dialog“ initiierten Austausch zu gesellschaftlich relevanten und kontroversen Prisma-Forum: Dieses Forum ist das stra- Themen der Forschung hinaus. Die Veranstal- tegische Beratungsgremium des Bun- tungen greifen neue Chancen oder Themen von desforschungsministeriums zur Wei- übergeordnetem Interesse auf, wie beispielsweise terentwicklung von Leitzielen, Hand- lungsfeldern und Themengebieten. Es wird mit hochrangigen Persönlichkeiten mit unterschiedli- chen Blickwinkeln auf die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung an Großgeräten besetzt. Das Teilchen Forum erarbeitet Empfehlungen zur strategischen Ausrichtung dieser Forschung und für Trialoge. Es Materie gibt Impulse für Strategiegespräche und Konfe- renzen des Prisma-Prozesses. Universum ng erentwicklu Prisma-Trialoge: Zur Weiterentwicklung Beschleunig eines Querschnittsthemas oder Hand- twicklung lungsfeldes werden Trialoge einbe- Detektoren rufen. Sie führen die Sichtweisen von ement Fachleuten aller drei Prisma-Seiten zusammen. Datenmanag Das Bundesforschungsministerium lädt dazu landschaft Vertreterinnen und Vertreter von Hochschulen, Großgeräte Wissenschaftsorganisationen und internationalen hwuchs Einrichtungen ein. Sie analysieren das Hand- MINT-Nac lungsfeld oder Querschnittsthema und leiten Handlungsempfehlungen ab. Dazu entwickeln sie Vernetzung abgestimmte Konzepte, die in die Entscheidungs- ion d Partizipat findung des Bundesforschungsministeriums für Transfer un neue Fördermaßnahmen einfließen. Der Prisma-Prozess greift verschiedene Ebenen auf. Alle Themen- Prisma-Strategiegespräche: Themenbe- gebiete, Querschnittsthemen und Handlungsfelder finden Eingang zogene Strategiegespräche dienen der in diesen Prozess. Sie werden unter Beteiligung der drei Seiten Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und internationaler Ausgestaltung von Fördermaßnahmen. Forschungsraum adressiert.
14 Rahmenprogramm „ErUM“ das Management von Forschungsinfrastrukturen. Leitziele und Handlungsfelder Neue Blickwinkel werden eingebracht und der forschungspolitische Bedarf diskutiert. Das Bundesforschungsministerium hat für die Erfor- schung von Teilchen, Materie und Universum strategi- Das Bundesforschungsministerium bewertet die sche Leitziele entwickelt, mit denen es flexibel auf den einzelnen Impulse dieser Elemente in Bezug auf ihre sich wandelnden gesellschaftlichen Bedarf reagiert: forschungspolitische Bedeutung, ihre gesellschaftliche Relevanz und ihr Innovationspotenzial. Es führt sie zu ∙∙ Wissenschaftliche Spitzenleistungen ermöglichen. einer kohärenten Gesamtstrategie zusammen. Diese findet Einzug in die Ausgestaltung und die Weiterent- ∙∙ Zukunftstechnologien, Energieforschung, Material- wicklung des Rahmenprogramms. und Lebenswissenschaften stärken. Strategische Leitziele Handlungsfelder Wissenschaftliche Spitzenleistungen Großgerätelandschaft ermöglichen. Zugang zu weltweit führenden Zukunftstechnologien, Forschungsinfrastrukturen sichern. Energieforschung, Material- und Landschaft der naturwissenschaftlichen Lebenswissenschaften stärken. Großgeräte bedarfsgerecht ausgestalten. Nutzerplattformen für Schlüsseltechnologien, Innovationskeime durch Forschung als Technologietreiber schaffen. Energie-, Material- und Lebenswissenschaften ausbauen. Fach- und Führungskräfte für Wissenschaft und Wirtschaft heranbilden. MINT-Nachwuchs Partizipation der Gesellschaft Nachwuchs für MINT-Fächer faszinieren. an Erkenntnissen und Erfolgen der Forschung sicherstellen. Wissenschaftlichen Nachwuchs qualifizieren. Karriereperspektiven schaffen. Handlungsfeld „Großgerätelandschaft“ Handlungsfeld „MINT-Nachwuchs“ Das Bundesforschungsministerium sichert Wissen- Das Bundesforschungsministerium beginnt mit der schaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland Nachwuchsförderung im Kindesalter. Vom Kindergar- Zugang zu international führenden Forschungsinfra- ten über Schule und Hochschule bieten unterschied- strukturen und gestaltet dazu die Großgerätelandschaft: liche Formate Einblicke in die naturwissenschaftliche Bau und Betrieb von Forschungsinfrastrukturen werden Grundlagenforschung und die anspruchsvolle Technik an den forschungspolitischen Prioritäten und am wis- der Großgeräte. Informationsplattformen und Ver- senschaftlichen Bedarf ausgerichtet. anstaltungsreihen laden zur Vertiefung ein. Durch die Verbundforschung erhalten junge Menschen die Mög- Das Bundesforschungsministerium begleitet Großgeräte lichkeit ihre Kompetenzen an Forschungsinfrastrukturen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg. Bei Großge- in einem internationalen Umfeld weiterzuentwickeln. räten im Themengebiet Materie liegt das Augenmerk auf der Stärkung von Technologien, die zur Lösung gesell- Management- und Führungsqualitäten von Nachwuchs- schaftlicher Zukunftsaufgaben beitragen. In grundle- wissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern werden genden Technologiebereichen entstehende Synergien gezielt gefördert. So erhalten sie attraktive Karriereper- können oft interdisziplinär genutzt werden. spektiven und decken den Bedarf von Arbeitgebern aus Wissenschaft wie Wirtschaft. → Seite 16 → Seite 22
GEMEINSAM STRATEGIEN ENTWICKELN 15 ∙∙ Innovationskeime durch Forschung schaffen. Aktionspläne ∙∙ Fach- und Führungskräfte für Wissenschaft und Das Programm wird in Aktionsplänen ausgestaltet. Wirtschaft heranbilden. Diese setzen mit Fördermaßnahmen die Leitziele in den Handlungsfeldern um: mit der institutionellen ∙∙ Partizipation der Gesellschaft an Erkenntnissen und Förderung von Wissenschaftsorganisationen und For- Erfolgen der Forschung sicherstellen. schungsinfrastrukturen, Beiträgen zu internationalen Einrichtungen und der Projektförderung (Seite 35). Die strategischen Leitziele werden in den Handlungs- feldern Großgerätelandschaft, MINT-Nachwuchs, Ver- netzung sowie Transfer und Partizipation konkretisiert. Aktionspläne ErUM-Pro Vernetzung Projektförderung zur Einbindung von Kompetenzen von Hochschulen und Hochschulen in die Weiterentwicklung von Forschungsinstituten bündeln. Großgeräten Forschung international vernetzen. ErUM-Data Beiträge zur Digitalen Agenda Transfer und Partizipation Wissenstransfer von Forschung in Wirtschaft und Gesellschaft anregen. Dialog zwischen Forschung und Weitere Aktionspläne Bürgerinnen und Bürgern intensivieren. nach Bedarf Handlungsfeld „Vernetzung“ Handlungsfeld „Transfer und Partizipation“ Die Vernetzung in der naturwissenschaftlichen Grund- Naturwissenschaftliche Grundlagenforschung an lagenforschung steigert die Qualität und Effizienz der Großgeräten und deren Erkenntnisse sind Keime für Forschung. Das Bundesforschungsministerium baut Innovationen. Das Bundesforschungsministerium unter- die Vernetzung in der Wissenschaft auf nationaler wie stützt und beschleunigt den Weg von Erkenntnissen in internationaler Ebene aus: Es befördert die Interaktion die Wirtschaft. Es verbessert die Rahmenbedingungen zwischen den Helmholtz-Zentren, den Max-Planck- zur industriellen Nutzung von Forschungsinfrastruktu- Instituten und Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft. ren, die als High-Tech-Labore und -Werkbänke für die Industrie immer attraktiver werden. Die Verbundforschung integriert die Hochschulen in dieses Netzwerk. Zur europäischen Vernetzung enga- Das Bundesforschungsministerium stärkt den Tech- giert sich Deutschland auch weiterhin bei der Ausgestal- nologie- und Wissenstransfer naturwissenschaftlicher tung eines gemeinsamen Forschungsraums. Erkenntnisse in die Industrie und die Gesellschaft. Mit partizipativen Elementen wird der Dialog zwischen Forschung und Zivilgesellschaft intensiviert. → Seite 26 → Seite 30
16 Rahmenprogramm „ErUM“ Die im Bau befindliche Europäische Spallationsquelle in Lund wird ein neuer Baustein der europäischen Landschaft der Forschungsin- frastrukturen. Die Großgerätelandschaft gestalten Das Bundesforschungsministerium gestaltet die stra ∙∙ Konzeption tegische Entwicklung der Forschungsinfrastrukturen entlang ihres Lebenszyklus. Es stärkt die interdisziplinä ∙∙ Nationaler Roadmap-Prozess re Forschung und ermöglicht so die Umsetzung gesell schaftlicher Zukunftsaufgaben. ∙∙ Bau und Instrumentierung ∙∙ Betrieb und Instrumentierung Von Anfang an begleiten ∙∙ Auslauf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutsch- land benötigen für ihre Forschungsarbeiten Zugang zu Bei ihrer konkreten Ausgestaltung unterstützt das Bun- einem Portfolio von nationalen und internationalen desforschungsministerium durch gezielte Forschungs- Großgeräten. Deshalb ist Deutschland weltweit an förderung und langfristiges strategisches Handeln. mehr als zwei Dutzend einzigartigen Großgeräten be- teiligt. Das Bundesforschungsministerium fördert diese 1. Konzeption Forschungsinfrastrukturen entsprechend des wissen- schaftlichen Bedarfs sowie der forschungspolitischen Der wissenschaftliche Bedarf für neue Großgeräte wird Prioritäten und gestaltet sie entlang ihres Lebenszy- innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft iden- klus, der in fünf Phasen gegliedert ist: tifiziert, diskutiert und zu Konzepten weiterentwickelt. Das Bundesforschungsministerium kann die Konzep-
HANDLUNGSFELD 1: DIE GROSSGERÄTELANDSCHAFT GESTALTEN 17 Nationaler Bau Betrieb Konzeption Roadmap-Prozess Auslauf Instrumentierung ELT ALMA VLT CTA IceCube KATRIN PETRA III ESRF BESSY II ANKA DORIS BESSY I European XFEL FLASH FELBE FRM II/MLZ HFR/ILL BER II DIDO FRG-1 ESS ELI FAIR HERA HL-LHC LHC LEP Forschungsinfrastrukturen und ihre Position im Lebenszyklus (Abkürzungen siehe Glossar ab Seite 38). tion neuer Forschungsinfrastrukturen mit institutio- Ressourcen in allen Wissenschaftsgebieten, die der For- neller Förderung und mit Mitteln aus der Projektförde- schung dienen. Forschungsinfrastrukturen der natur- rung unterstützen. Ausreichend zukunftsträchtige und wissenschaftlichen Grundlagenforschung werden im ausgereifte Konzepte können sich um die Aufnahme in Nationalen Roadmap-Prozess bewertet, wenn der deut- die „Nationale Roadmap für Forschungsinfrastruktu- sche Anteil der geplanten Aufbaukosten mindestens ren“ bewerben. 50 Millionen Euro beträgt und damit einen umfangrei- chen nationalen Entscheidungsprozess rechtfertigt. Der 2. Nationaler Roadmap-Prozess für Roadmap-Prozess ist für Forschungsinfrastrukturen Forschungsinfrastrukturen dieser Größenordnung bindend. Der Nationale Roadmap-Prozess für Forschungsin- Die Konzepte durchlaufen verschiedene Begutach- frastrukturen ist ein strategisches Instrument zur tungsverfahren: Hohe wissenschaftliche Qualität, forschungspolitischen Priorisierung von zukünftigen eine wirtschaftlich belastbare Planung und große und langfristigen Investitionen. Er wurde durch das gesellschaftliche Bedeutung sind die wichtigsten Be- Bundesforschungsministerium etabliert. Übergeord- wertungsmaßstäbe. Auf der Grundlage der Begutach- netes Ziel dieses Prozesses ist es, geplante Forschungs- tungsergebnisse entscheiden das Bundesforschungs- infrastrukturen nach einem einheitlichen, fairen und ministerium oder gegebenenfalls andere zuständige transparenten Verfahren zu bewerten. Ressorts über die Aufnahme auf die Roadmap. Mit der Aufnahme auf die Roadmap ist eine grundsätzliche Forschungsinfrastrukturen im Sinne des Nationalen Finanzierungsabsicht verbunden. Roadmap-Prozesses sind umfangreiche und langlebige
18 Rahmenprogramm „ErUM“ T Teilchen M Materie U Universum ESS M FLASH European XFEL PETRAIII M BER II U MM BESSYII LOFAR M IBC FAIR FELBE U T FRM II M U ELI KATRIN M LHC/CERN LBT M T M CRESST GERDA ESRF XENON1T HFR/ILL ANTARES U U ALMA U VLT UU ELT U Pierre-Auger-Observatorium Das Bundesforschungsministerium sichert Forscherinnen und Forschern aus Deutschland den Zugang zu weltweit führenden Forschungsinfrastrukturen (Stand 2016). 3. Bau und Instrumentierung richtet der Bund Controlling- und Überwachungsmaß- nahmen für die Bauphase ein. Beratungsgremien wer- Der Bau einer solchen Forschungsinfrastruktur nimmt den eingesetzt, um die Planungs- und Bauphasen zu mehrere Jahre in Anspruch. Nationale Forschungsin- unterstützen bzw. zu überwachen. Bereits parallel zum frastrukturen in der naturwissenschaftlichen Grund- Bau wird die Entwicklung neuer Messmethoden und lagenforschung werden zum überwiegenden Teil vom technischer Komponenten der geplanten Instrumen- Bundesforschungsministerium finanziert – sowohl tierung durch Hochschulen vom Bund gefördert. durch institutionelle Förderung als auch durch Projekt- förderung. Das Bundesforschungsministerium stellt 4. Betrieb und Instrumentierung daher hohe Ansprüche an die stringente Planung und effiziente Umsetzung von Bauentscheidungen. Um den Mit der Inbetriebnahme steht eine neue Forschungs- effizienten Ablauf der Bauprojekte zu gewährleisten, infrastruktur Nutzern aus der Wissenschaft sowie der
HANDLUNGSFELD 1: DIE GROSSGERÄTELANDSCHAFT GESTALTEN 19 M IBR-2 ELI M T BELLE II U MAGIC H.E.S.S. U IceCube U → www.fis-landschaft.de Industrie zur Verfügung. Das Management steuert die der Anlagen zu erweitern. Die Betreiber der Großgeräte Forschungsinfrastrukturen und richtet sie unter Auf- reagieren mit gezielten Ausbauinvestitionen und Bei- sicht seiner Gremien strategisch aus. In diesen vertritt trägen aus ihrer Grundfinanzierung auf neue Anforde- das Bundesforschungsministerium die Interessen der rungen. Diese gemeinsamen Anstrengungen gewähr- Bundesregierung. Wissenschaftliche Beratungsgremien leisten über Jahrzehnte die wissenschaftliche Exzellenz sichern den exzellenzgeleiteten Auswahlprozess für der Forschungsinfrastrukturen. die effiziente Nutzung der Forschungsinfrastrukturen. Während des Betriebs werden die Großgeräte und ihre 5. Auslauf Instrumentierung weiterentwickelt und an neueste wissenschaftliche Fragen angepasst. Das Bundesfor- Um eine effektive Steuerung des Portfolios an For- schungsministerium unterstützt dies mit der „Ver- schungsinfrastrukturen sicherzustellen, müssen regel- bundforschung“: Diese Projektförderung ermöglicht mäßig Evaluationen auf strategischer und operativer Arbeiten der Hochschulen, um das Leistungsspektrum Ebene erfolgen und gegebenenfalls tragfähige Aus-
20 Rahmenprogramm „ErUM“ In Jordanien nutzt das multinationale Forschungszentrum Umnutzung: Seit über fünf Jahrzehnten im SESAME Komponenten von BESSY I – die ehemalige Dienst der Wissenschaft Photonenquelle trägt so zur Völkerverständigung bei. Manchmal haben Anlagen nach dem Ende des eigent- soll die gemeinsame Forschungsanlage SESAME Brü- lichen Experimentierprogramms die Chance auf eine cken zwischen Ländern aus der Region aufbauen: Ägyp- zweite Karriere, wie etwa die Teilchenbeschleuniger des ten, Bahrain, Iran, Israel, Jordanien, Pakistan, die Paläs- Forschungszentrums DESY. Die erste Anlage ging 1964 tinensische Autonomiebehörde, die Türkei und Zypern. in Betrieb. Experimente liefen dort bis 1978. Seitdem wird die Anlage als Vorbeschleuniger für andere, grö- Umweltverträgliche Stilllegung und Rückbau ßere Speicherringe wie HERA und PETRA weiterver- von Großgeräten wendet. Auch der Teilchenbeschleuniger PETRA wurde nach seiner Betriebsphase weiter genutzt. 1978, als er Für den Rückbau der Großgeräte am Ende ihres Le- anlief, war er der weltweit leistungsstärkste Speicher- benszyklus ist die betreibende Einrichtung verantwort- ring für Elektronen und Positronen. Von 1990 bis 2007 lich. Ein Rückbau- und Entsorgungskonzept gehört diente er unter dem Namen PETRA II als Vorbeschleu- deshalb in eine Gesamtbetrachtung der Kosten für den niger des HERA-Speicherrings. Seit 2010 ist PETRA III Bau und den Betrieb einer Anlage. die weltweit leistungsstärkste Synchrotronstrahlungs- quelle ihrer Art. 2016 wurde die Anzahl ihrer Messplät- Der Rückbau und die Entsorgung von kerntechnischen ze um mehr als 50 Prozent erweitert. Anlagen wie Forschungsreaktoren sind besonders an- spruchsvoll: Die Einrichtungen müssen dabei speziel- Wiederverwertung im Dienste der le atom- und strahlenschutzrechtliche Bedingungen Völkerverständigung erfüllen. Zentrale Ziele sind der Strahlenschutz und eine Minimierung des Abfallaufkommens. Dafür sind Eine weitere Möglichkeit ist die Wiederverwertung oder entsprechende Dekontaminations- und Zerlegeverfah- Weiternutzung des Großgerätes oder seiner Kompo- ren notwendig. Eine Besonderheit stellt der inzwischen nenten an einem anderen Standort. Bewährte Mess- weit fortgeschrittene Rückbau der kerntechnischen plätze des Geesthachter Forschungsreaktors werden Anlagen aus den 1970er bis 1990er Jahren dar, die der beispielsweise als Bestandteil der Instrumentierung Erforschung der Nutzung der Kernenergie dienten. Das des Forschungsreaktors PIK in Gatchina, Russland, Bundesforschungsministerium unterstützt die umwelt- mitgenutzt. verträgliche Stilllegung und Entsorgung der Anlagen in seinem Verantwortungsbereich durch die Kerntechni- Die ehemalige Photonenquelle BESSY I bildet den sche Entsorgung Karlsruhe GmbH (KTE) oder die Jüli- Grundstock für das erste multinationale Forschungs- cher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH zentrum im Nahen Osten: SESAME in Allan, Jordanien. (JEN). Dies betrifft beispielsweise den Mehrzweckfor- Ähnlich wie das CERN nach dem zweiten Weltkrieg ei- schungsreaktor in Karlsruhe oder den Atomversuchsre- nen Beitrag zur Völkerverständigung in Europa leistete, aktor in Jülich.
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