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15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises Dr. Ines Winterhagen, Kai Girwert Nicht selten kommen Patienten, die unter rheumatischen Beschwerden wie ständigen Schmerzen und zunehmender Bewegungseinschränkung leiden, in die Apotheke. Das Kapitel gibt praxisnahe Hinweise, wie diesen Patienten der Alltag mit ihrer Erkrankung erleichtert werden kann, indem der Apotheker die richtigen Beratungshinweise zu den verordneten Arzneimit- teln gibt und sie mit therapiebegleitenden Präparateempfehlungen unter- stützt. 15.1 Rheumatoide Arthritis 15.3 Gicht 15.2 Arthrose
15.1 Rheumatoide Arthritis 319 rheumatoide Arthritis Arthrose Entzündung und Abbau von Gelenk- Schwellung der knorpeln Gelenke Knochenenden Knochenerosion reiben aufeinander Autoimmunerkrankung degenerative symmetrischer Befall Erkrankung 1 asymmetrischer Befall Symptome 2 Schmerz, Steifheit Schmerzen und und Entzündung Steifheit bei Bewegung 3 Morgensteifigkeit Morgensteifigkeit dauert länger als hält weniger als 4 30 Minuten an 30 Minuten an 5 ○ Abb. 15.1 Charakteristische Symptome zur Abgrenzung von rheumatoider Arthritis und Arthrose 6 7 15.1 Rheumatoide Arthritis zeigen sich auch extra-artikuläre Krankheitszeichen wie subkutane Rheumaknoten, zudem können sich Anä- 8 mien, kardiovaskuläre Erkrankungen, Niereninsuffi- Dr. Ines Winterhagen zienz, Erschöpfung und Depression ausbilden. 9 15.1.1 Grundlagen 15.1.2 Symptomerfassung und Grenzen 10 Rheuma ist keine definierte Krankheit, sondern ein Oberbegriff für über 400 verschiedene Krankheitsbil- der Selbstmedikation der, die mit Schmerzen und meistens auch mit Funk- Die RA entwickelt sich meist schleichend, erste Erschei- 11 tionseinschränkungen des Bewegungsapparats einher- nungen sind eher unspezifisch. So treten zunächst gehen. Zu ihnen zählt u. a. die rheumatoide Arthritis Müdigkeit, Steifheit und grippeähnliche Symptome wie 12 (RA), die als Autoimmunerkrankung angesehen wird. leicht erhöhte Körpertemperatur, Schwäche, Appetitlo- Entscheidende entzündungsfördernde Botenstoffe oder sigkeit und Muskel- oder Gelenkschmerzen auf. 13 Zytokine sind hier TNF-α sowie die Interleukine 1 und ① Wichtig für die richtige Therapie ist, zwischen 6. Typische Beschwerden äußern sich bei der RA in den Gelenkbeschwerden einer RA und einer Arthrose 14 Schmerzen und Gelenkschwellungen (v. a. der Finger zu unterscheiden (○ Abb. 15.1). Charakteristisch für die oder Zehen), die länger als 6 Wochen anhalten. Morgens RA ist ein symmetrisches Befallsmuster, wobei vor 15 sind die Symptome am stärksten ausgeprägt (Morgen- allem Hand-, Fingergrund-, Fingermittel- und/oder steifigkeit). Bei vielen Patienten sind mehrere Gelenke Zehengrundgelenke betroffen sind. Die Gelenkschwel- betroffen, in der Regel beidseitig. Man spricht daher lungen bestehen über mindestens 6 Wochen und die 16 auch von chronischer Polyarthritis. Im weiteren Verlauf Morgensteifigkeit hält über 30–60 Minuten an. Arthro- kann die Krankheit zu bizarren Verformungen führen sen treten hingegen an den Mittel- und Endgelenken 17 sowie zu einer irreversiblen Zerstörung der Gelenke mit auf, der Gelenkbefall ist einseitig. Die Morgensteifigkeit immer weiter abnehmender Beweglichkeit. Die RA dauert selten länger als 30 Minuten. Überwärmung als 18 beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Gelenke und Zeichen der Entzündung fehlt in vielen Fällen. Bei gelenknahen Strukturen. Bei der Hälfte der Patienten (stummer) Arthrose bessern sich die Beschwerden
320 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises Boden. Bei übergewichtigen Patienten ist eine Gewichts- reduktion zu empfehlen, um die entzündeten Gelenke zu entlasten. Zudem kann eine lacto-vegetarische Ernährung und die Verwendung von Omega-3-Fettsäu- ren (Pflanzenöle: Raps-, Lein-, Weizenkeim-, Walnuss- und Sojaöl) angeraten werden. Auf gesättigte Fettsäuren ist zu verzichten und arachidonsäurehaltige Nahrungs- mittel wie Fleisch und Wurst sollten stark reduziert wer- den. Merke ○ Abb. 15.2 Arthritische Hände Patienten sollten zu regelmäßiger Bewegung und sportlicher Aktivität motiviert werden, Normalge- wicht anstreben und auf Rauchen verzichten. unter Wärmeanwendung, während sich entzündliche Schwellungen der RA oft durch Kälte bessern. 15.1.4 Ärztliche Therapie Praktisch umgesetzt Die RA wird mit einer Kombination aus mehreren Arz- Rheumatoide Arthritis neistoffgruppen therapiert (○ Abb. 15.3). Zum Einsatz Eine Patientin betritt Ihre Apotheke und reicht Ihnen kommen NSAR, Glucocorticoide sowie DMARD folgendes Rezept: (disease modifying antirheumatic drugs). Das Behand- ■ Methotrexat (MTX) 25 mg/ml, 12 Fertigspritzen, lungsziel ist das Erreichen und die Erhaltung einer ■ Folsäure 5 mg 100 Tabletten, Remission. ■ Prednisolon 5 mg 100 Tabletten. ③ Gemäß der aktuellen S2e-Leitlinie ist ein schnel- Wichtige Einnahmehinweise ler Therapiebeginn mit DMARD notwendig, um die ■ MTX nur einmal pro Woche spritzen, festen Gelenkzerstörung aufzuhalten. Zur Gruppe der Wochentag auswählen und konsequent einhalten; DMARD zählen konventionelle synthetische (conven- in intakte Haut injizieren, tional synthetic = cs) DMARD wie MTX, Leflunomid, ■ am MTX-Tag kein NSAR einnehmen, auf Alkohol Sulfasalazin und Hydroxychlorquin und zielgerichtete verzichten, synthetische (targeted synthetic = ts) DMARD wie die ■ Folsäure-Substitution 24 Stunden nach der MTX- Januskinase(JAK)-Inhibitoren Baricitinib, Tofacitinib, Gabe, Filgotinib und Upadacitinib. Eine weitere Gruppe bil- ■ Cortison genau nach ärztlichem Dosierungsplan den die biologischen DMARD. nehmen, am besten morgens vor 8:00 Uhr, Bei Diagnosestellung ist MTX initial nach wie vor die ■ abklären, über welchen Zeitraum Cortison Standardbehandlung der Wahl. Bei Kontraindikationen genommen werden muss, evtl. ist eine Calcium- stehen alternativ Leflunomid und Sulfasalazin zur Ver- und Vitamin-D-Substitution erforderlich. fügung. Bis zum Wirkungseintritt wird kombiniert mit einem Glucocorticoid und, wenn notwendig, einem NSAR. Als optimale Startdosis werden 15 mg MTX ein- mal pro Woche empfohlen. Eine rasche Dosissteigerung 15.1.3 Nichtmedikamentöse Maßnahmen bis auf 25 mg pro Woche scheint gemäß der S2e-Leitlinie Die nichtmedikamentöse Therapie zielt vor allem auf möglich und erhöht die Wirksamkeit. Bei erfolglosem eine Schmerzlinderung sowie Verbesserung bzw. Erhal- Beginn mit oralem MTX sollte innerhalb von 6 Wochen tung der Körperfunktionen und Alltagsaktivitäten ab. auf eine subkutane Applikation umgestellt werden, weil Die Physiotherapie verbessert die morgendliche das parenterale MTX eine bessere Bioverfügbarkeit Gelenksteife. Ausreichende Ruhephasen reduzieren im besitzt. Tritt nach insgesamt 12 Wochen trotz einer opti- akuten Schub den Stress an den entzündeten Gelenken, mierten MTX-Therapie (inkl. Glucocorticoid) keine allerdings kann zu viel Schonung zu zunehmender ausreichende Besserung ein oder ist nach 24 Wochen Schwäche und funktioneller Beeinträchtigung führen. noch keine Remission erreicht, muss die Therapie eska- ② Dem wirkt eine Bewegungstherapie entgegen, liert werden. Diese Anpassung ist davon abhängig, wie welche die individuelle Belastbarkeit des Patienten die RA verläuft. Bei moderater Krankheitsaktivität kann berücksichtigt. Empfehlenswerte Sportarten sind vor eine Kombination aus mehreren csDMARD eingesetzt allem Schwimmen, Radfahren und Walken auf weichem werden (z. B. MTX + Leflunomid oder MTX + Sulfasala-
15.1 Rheumatoide Arthritis 321 MTX + Glucocorticoid KI gegen MTX Therapieanpassung in Woche 6 Leflunomid oder (Dosis optimieren, bei MTX Sulfasalazin + Glucocorticoid Applikation s. c. statt p. o.) DMARD fortsetzen, Gluco- Ansprechen in Woche 12? ja corticoid weiter ausschleichen nein Remission erreicht Therapie fortsetzen, Eskalation nein ja in Woche 24? Glucocorticoid absetzen 1 ungünstige Prognose nein zweite 2 und/oder hohe Aktivität? csDMARD-Strategie 3 ja Ansprechen innerhalb 4 bDMARD oder tsDMARD, 12 Wochen bzw. nein ja Therapie fortsetzen möglichst in Kombi mit MTX Remission nach 5 24 Wochen? Ansprechen innerhalb 6 12 Wochen bzw. Remission ja Therapie fortsetzen nach 24 Wochen? 7 nein ja 8 Wechsel des bDMARD bzw. Ansprechen inner- 9 Wechsel von tsDMARD auf halb 12 Wochen bDMARD bzw. Wechsel von nein bzw. Remission 10 bDMARD auf tsDMARD nach 24 Wochen 11 12 ○ Abb. 15.3 Medikamentöse Therapie der rheumatoiden Arthritis 13 zin + Hydroxychloroquin). Bei hoher Krankheitsaktivi- bDMARD zu wechseln. In schwersten Fällen (hohe Ent- 14 tät oder Vorliegen ungünstiger Prognosefaktoren wird zündungsaktivität, frühes Auftreten von Erosionen) MTX kombiniert mit einem bDMARD oder tsDMARD. kann auch direkt mit einem Biological begonnen wer- 15 Bestehen Kontraindikationen für die Gabe von MTX, so den. Derzeit sind von den Biologicals nur TNF-α- liegen in der Monotherapie die besten Ergebnisse für die Antagonisten für die Ersttherapie der RA zugelassen. Biologicals Tocilizumab und Sarilumab und für das Biosimilars können in gleicher Weise wie die Original- 16 tsDMARD Baricitinib vor. Bei nicht ausreichendem Biologicals eingesetzt werden. Ansprechen der ersten bDMARD-Therapie soll der 17 Wechsel auf ein alternatives bDMARD mit gleichem oder anderem Wirkprinzip oder auf ein tsDMARD 18 erfolgen. Für den Fall des ungenügenden Ansprechens eines zunächst eingesetzten tsDMARD ist auf ein
322 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises Insgesamt soll die Glucocorticoid-Therapie auf 3–6 Merke Monate beschränkt werden. Bei rheumatoider Arthritis ist ein schneller Therapie- beginn mit krankheitsmodifizierenden Arzneimitteln Verweis auf Online sofort nach Diagnosestellung erforderlich. Eine früh- Äquvivalenzdosistabellen der AMK zu zeitige Behandlung sorgt für den Erhalt der Gelenk- oralen Glucocorticoiden funktion und vermindert spätere Funktionsein- schränkungen (Hit hard and early). Ein frühzeitiger Verweis des Patienten zum Rheumatologen ist erfor- Die morgendliche Gabe sollte sich an der physiologi- derlich. schen Cortisolausschüttung orientieren und morgens zwischen 6:00 und 8:00 Uhr mit etwas Nahrung erfol- gen. Die Nebenwirkungen, wie Steigerung des Blutzu- ckerspiegels oder eine Abnahme der Knochendichte, Entzündungshemmer sind zu überwachen. Prednisolon ist das Glucocorticoid ④ Gegen die akuten Schmerzen und Entzündungen der Wahl. Ab einer Einnahme über 3 Monate in einer werden Glucocorticoide (meist Prednisolon) sowie Dosierung von 7,5 mg Prednisolonäquivalent pro Tag ist NSAR (Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen) oder Coxibe eine Osteoporoseprophylaxe mit Vitamin D und Cal- eingesetzt. Diese Mittel lindern vor allem die Symp- cium notwendig (▸ Kap. 16). tome, können den Krankheitsverlauf jedoch nicht auf- Prednison, das in der Leber zu Prednisolon umge- halten. Sie überbrücken den Zeitraum bis zum Wir- wandelt wird und diesem aktiven Metaboliten in Wirk- kungseintritt der DMARD. Hier müssen immer das stärke und Dosierung entspricht, steht in einer besonde- individuelle Risiko des Patienten und seine Vorerkran- ren galenischen Formulierung mit zeitversetzter Wir- kungen berücksichtigt werden. Nach dem Wirkungs- kung zur Verfügung. Die Tablette (Lodotra®) wird eintritt der Basistherapie sollte die Dosis der Glucocor- abends gegen 22:00 Uhr eingenommen und setzt den ticoide und der NSAR so weit wie möglich gesenkt wer- Wirkstoff gegen 4:00 Uhr morgens frei, also zu dem den, um das Risiko für Nebenwirkungen zu reduzieren. Zeitpunkt, an dem auch die Konzentration proinflam- matorischer Zytokine zunimmt. Auf diese Weise kann NSAR der Interleukin-6-Anstieg, der für die Morgensteifigkeit In der Regel werden NSAR in der Behandlung der rheu- der Gelenke verantwortlich gemacht wird, unterdrückt matoiden Arthritis in Maximaldosen eingesetzt. Beson- werden. ders geeignet sind Substanzen mit einer langen Halb- wertszeit wie Naproxen oder retardiertes Indometacin. Basistherapeutika Auch Coxibe sind eine gute Alternative, hier sollten aber DMARD sind Arzneimittel, für die eine Verlangsamung die Kontraindikationen bei kardiovaskulären Vor- des Krankheitsprozesses nachgewiesen ist. Diese soge- erkrankungen berücksichtigt werden. Die Anwendung nannten Basistherapeutika werden langfristig einge- sollte so kurz wie möglich erfolgen. Bei längerer Ein- setzt. Zu den DMARD der Wahl zählen: MTX, Lefluno- nahme von NSAR besteht die Gefahr von gastrointesti- mid, Hydroxychloroquin und Sulfasalazin. nalen Nebenwirkungen wie Blutungen und Ulzera; bei Patienten mit erhöhtem Risiko ist deshalb eine Ulkus- Methotrexat prophylaxe mit Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) ⑤ Der Folsäureantagonist Methotrexat gilt als Gold- sinnvoll. Hierbei darf nicht vergessen werden, den PPI standard bei der Behandlung der RA (□ Tab. 15.1). Mit wieder abzusetzen, wenn die NSAR-Einnahme beendet einem Wirkeintritt ist nach 4–8 Wochen zu rechnen. wurde. Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln Die Gabe erfolgt einmal wöchentlich, am besten abends, sind häufig (▸ Kap. 3). möglichst nicht zu den Mahlzeiten. Die Applikation ist oral oder subkutan möglich. Die Dosis sollte auf einmal Glucocorticoide eingenommen oder maximal auf 3 Dosen im Abstand Glucocorticoide (GC) sind aufgrund ihrer unmittelbar von 12 Stunden verteilt werden. Die parenterale Gabe einsetzenden anti-inflammatorischen und destruk- gilt als wirksamer und besser verträglich. Begonnen tionsinhibierenden Wirkung zusammen mit csDMARD werden kann mit einer mittleren Anfangsdosis von ein obligatorischer Bestandteil der initialen Therapie. 15 mg pro Woche. Eine rasche Dosissteigerung auf Laut S2e-Leitlinie ist eine Startdosis von täglich 25 mg pro Woche ist bei fehlenden Gegenanzeigen mög- 10–30 mg Prednisolonäquivalent zu empfehlen mit der lich. Bei älteren Patienten, eingeschränkter Nierenfunk- Reduktion auf eine niedrige Dosis von 5 mg Predniso- tion oder pulmonalen Vorerkrankungen ist eine niedri- lonäquivalent oder weniger innerhalb von 8 Wochen. gere Anfangsdosis von 7,5–10 mg/d sinnvoll. Je nach Krankheitsaktivität wird dann bei guter Verträglichkeit
15.1 Rheumatoide Arthritis 323 □ Tab. 15.1 Arzneistoffprofil: Methotrexat Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Methotrexat (Lantarel® FS, Tabletten, Metex® FS, Pen, 7,5–25 (oral: 20) mg 1 × pro Woche Injektionslsg., Tabletten) Besonderheiten ■ NW: GIT-Beschwerden; Ulzerationen (Mund-, Rachen- und Magenschleimhaut); Kopfschmerzen, Müdigkeit, Benommenheit (cave: Autofahren), Schwindel; Haut: Exantheme, Hautrötungen, Juckreiz; Leuko- und Thrombo- zytopenie; erhöhte Leberwerte; Lunge: Pneumonitis mit Atemnot, Reizhusten und Fieber, ■ KI: gleichzeitige Gabe mit Cotrimoxazol; schwere Leber- und Niereninsuffizienz; persistierende Erhöhung der Leberwerte; Erkrankung des blutbildenden Systems; GIT-Ulzera; Alkoholabusus; Schwangerschaft/Stillzeit; Immundefizienz; Lebendimpfstoffe, ■ WW: COX-Inhibitoren, Antibiotika wie Penicilline, Sulfonamide, Ciprofloxacin: erhöhte MTX-Blutspiegel; Alkohol 1 bzw. hepatotoxische Arzneimittel: Anstieg der Transaminasen; Theophyllin: erhöhte Theophyllin-Spiegel, ■ Sonstiges: Kontrolluntersuchung vor Therapiebeginn und in regelmäßigen Abständen (Blutbild, Atem-, Leber- 2 und Nierenfunktion, Mundschleimhaut und Rachen); Kontrazeption während der Therapie und bis zu 6 Monate nach Behandlungsende; Gabe von 5 mg Folsäure 24–48 Stunden nach der MTX-Applikation; kein Alkohol bzw. 3 keine Selbstmedikation mit NSAR am Tag der MTX-Gabe; übermäßigen Genuss von coffeinhaltigen Getränken während MTX-Therapie vermeiden; bei älteren Patienten besonders auf die Nierenfunktion achten. 4 5 schrittweise um 2,5 mg gesteigert. Eine Wochendosis Merke von 25 mg s. c. bzw. 20 mg oral sollte im Allgemeinen 6 nicht überschritten werden. Im Verlauf der Behandlung Unter der Therapie mit Hydroxychloroquin müssen kann bis zur niedrigsten noch wirksamen Erhaltungs- vierteljährlich die Augen untersucht werden. 7 dosis reduziert werden. 8 Cave Sulfasalazin Sulfasalazin (Azulfidine® RA, Pleon® RA) kann bei 9 MTX ist eine Wochen-Therapie! Bei Abgabe unbedingt die einmal wöchentliche Gabe betonen! Der Patient MTX-Unverträglichkeit, milderen Verlaufsformen oder sollte einen bestimmten Wochentag festlegen und als Add-on zur MTX-Therapie eingesetzt werden 10 unbedingt einhalten. Er kann diesen zur Erinnerung (□ Tab. 15.3). Die Wirkung setzt innerhalb von 1–3 in einer speziellen Patienten-Karte notieren. Monaten ein. Sulfasalazin wird über vier Wochen lang- 11 sam von 500 mg auf 2 g/d (max. 3 g) aufdosiert, um mögliche Nebenwirkungen zu minimieren. Die Ein- 12 Hydroxychloroquin nahme erfolgt mit viel Flüssigkeit eine Stunde vor den Hydroxychlorquin (□ Tab. 15.2) kommt bei der Behand- Mahlzeiten. 13 lung der RA in Monotherapie nur bei sehr milden Ver- laufsformen zum Einsatz. Ansonsten wird der Wirkstoff Leflunomid 14 mit MTX und Sulfasalazin kombiniert. Der Wirkeintritt von Leflunomid ist nach 4–6 Wochen Der große Vorteil von Hydroxychloroquin ist das zu erwarten. Aufgrund der Nebenwirkungen wird meist 15 Fehlen von myelosuppressiver, hepatischer und renaler nicht mehr initial mit 100 mg pro Tag über 3 Tage auf- Toxizität. Der Wirkungseintritt kann im Allgemeinen gesättigt, sondern es erfolgt eine direkte Therapie in nach 4–12 Wochen erwartet werden. einer Dosis von 10–20 mg einmal täglich. Gastrointesti- 16 nale Nebenwirkungen lassen sich durch die Einnahme zu den Mahlzeiten reduzieren. Nach jeder Dosis ist der 17 Mund mit ausreichend Wasser zu spülen, um eine Sto- matitis zu vermeiden. Da Leflunomid teratogen ist, sind 18 Verhütungsmaßnahmen unter Einnahme dieser Subs- tanz notwendig. 48 Monate vor einer geplanten Schwan-
324 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises □ Tab. 15.2 Arzneistoffprofil: Hydroxychloroquin Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Hydroxychloroquin (Quensyl®) Erwachsene: initial 2–3 × tgl. 1 Tablette (tgl. 400–600 mg), Erhaltungsdosis: 30–49 kg: 1 Tablette tgl.; 50–64 kg: 1 Tablette, jeden 2. Tag 2 × tgl. 1 Tablette; ab 65 kg: 2 × tgl. 1 Tablette; Dosisreduktion bei Leber- und Nierenfunktionsstörungen Besonderheiten ■ NW: gastrointestinale Beschwerden; Haut: Juckreiz, Hautausschlag; neuronale Störungen: Kopfschmerzen, Schwindel (cave: Autofahren), Tinnitus, Polyneuritiden; selten hämatologische Nebenwirkungen: Thrombo- und Leukozytopenie; Auge: Hornhauttrübung, verschwommenes Sehen durch Störung der Akkomodation; Retinopat- hie mit Farbsehstörung, Gesichtsfeldausfällen, Visusverlust; Kardiomyopathie, EKG-Veränderungen, ■ KI: vorbestehende Retino- oder Makulopathie; Myasthenia gravis; Blutbildungsstörungen; Schwangerschaft/ Stillzeit; Kinder < 6 Jahre (< 35 kg), ■ WW: hepatotoxische Stoffe: verstärkte Hepatotoxizität; Insulin, orale Antidiabetika: Blutzuckerschwankungen; Probenecid, Sulfonamide, Phenylbutazon: vermehrte Hautreaktionen; Glucocorticoide: vermehrte (Kardio-)Myo- pathien; Digoxin, MTX: Hemmung der renalen Elimination: erhöhte Toxizität der angeführten Substanzen; Anta- zida: verminderte Resorption von Hydroxychloroquin: Einnahmeabstand von 4 Stunden; Probenecid, Indometa- cin: erhöhtes Retinopathie-Risiko; Arzneimnittel, die Arrhythmien auslösen können: steigendes Arrhythmie- Risiko, ■ Sonstiges: Kontrazeption während Therapie und 3 Monate nach Behandlungsende, Sonnenschutz unter Hydro- xychloroquin-Einnahme. □ Tab. 15.3 Arzneistoffprofil: Sulfasalazin Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Sulfasalazin (Azulfidine® RA, Einschleichende Dosierung: Erwachsene: 1. Woche 1 × tgl. 500 mg abends, Pleon® RA) 2. Woche: 1 × 500 mg morgens und 1 × 500 mg abends, 3. Woche: 1 × 500 mg morgens und 2 × 500 mg abends, ab der 4. Woche: 2 × 500 mg morgens und abends; falls nach 3 Monaten unzureichendes Ansprechen: Steigerung auf 3 × tgl. 1000 mg; Einnahme eine Stunde vor den Mahlzeiten, unzerkaut mit viel Flüssigkeit Besonderheiten ■ NW: gastrointestinale Beschwerden, Kopfschmerz, Schwindel, Müdigkeit, Störung des Geschmacksinns, Husten, Erhöhung der Leberwerte, Hautreaktionen, Proteinurie, Arthralgie, Folsäuremangel-Anämie, Leukopenie, ■ KI: Kinder < 6 Jahre, schwere Nieren- oder Leberinsuffizienz; Sulfonamidallergie; Störungen der Blutbildung, Porphyrie, Erythema exsudativum multiforme, ■ WW: Digoxin: Digoxinwirkung gehemmt; Folsäure: gehemmte Resorption; Calcium/Eisen bzw. Antibiotika: ver- minderte Resorption von Sulfasalazin infolge Bindung im Intestinaltrakt bzw. infolge verminderter Aufspaltung durch die geschädigte Darmflora; gleichzeitige Gabe mit Phenprocoumon: steigender INR-Wert; gleichzeitige Gabe von Sulfonylharnstoffen: verstärkter blutzuckersenkender Effekt, ■ Sonstiges: kann bei strenger Indikationsstellung in Schwangerschaft/Stillzeit genommen werden (dann beson- ders auf ausreichende Folsäurezufuhr achten); engmaschige Kontrolle der Therapie: vollständiges Blutbild, Leber- und Nierenfunktion.
15.1 Rheumatoide Arthritis 325 Makrophage im Gelenk schüttet TNF-α aus Infliximab (Remicade®) TNF-α Adalimumab (Humira®) aktiviert Schmerzkaskade Golimumab (Simponi®) spielt eine zentrale Rolle bei der Entzündungsreaktion Certolizumab (Cimzia®) fördert Ausschüttung von Interleukinen Etanercept (Enbrel®) 1 Tocilizumab (RoActemra®) 2 Sarilumab (Kevzara®) B-Zellen bilden Auto- Rituximab 3 (MabThera®) fördert antikörper Bildung 4 von B-Zellen Anakinra Interleukin IL-1 aktiviert Entzündung Interleukin (IL-6) aktiviert Entzündung 5 (Kineret®) im Gelenk im Körper 6 7 8 Gelenkzerstörung T-Zellen 9 Knorpelabbau ↑ schütten Abatacept (Orencia®) Knochenaufbau ↓ Zytokine 10 Entzündungsreaktion aus Hemmung 11 Entzündungsstoffe 12 13 ○ Abb. 15.4 Angriffspunkte der Biologicals im Immunsystem 14 15 gerschaft sollte Leflunomid abgesetzt werden, sicher- heitshalber ist der Blutspiegel zu bestimmen. Lefluno- Merke mid bzw. der aktive Metabolit Teriflunomid verbleiben 16 Unter der Therapie mit Leflunomid muss regelmäßig für 1–2 Jahre im Körper. Der Zeitraum lässt sich durch Auswaschung mit Colestyramin oder Aktivkohle erheb- der Blutdruck kontrolliert werden. 17 lich reduzieren (□ Tab. 15.4). 18
326 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises □ Tab. 15.4 Arzneistoffprofil: Leflunomid Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Leflunomid (Arava®) 1 × tgl. 10–20 mg Besonderheiten ■ NW: GIT-Beschwerden, Stomatitis; Kopfschmerzen, Schwindel; Parästhesien; verstärkter Haarausfall; hämato- logisch: Leuko-/Thrombopenie, sehr selten Agranulozytose; Hypertonie; Hautausschlag; Infektionsneigung durch geschwächte Immunabwehr; erhöhte Leberwerte; Lungeninfekte, ■ KI: Kinder und Jugendliche < 18 Jahre; mittlere bis schwere Niereninsuffizienz; eingeschränkte Leberfunktion; Schwangerschaft/Stillzeit; schwere Immundefekte/Infektionen; Schädigungen des Knochenmarks; ausgeprägte Anämie, Leuko-, Neutro- oder Thrombozytopenie, ■ WW: Aktivkohle, Colestyramin: Resorptionsverminderung; Lebendimpfstoffe: Abschwächung der Impfreaktion; hepatotoxische Stoffe: verstärkte Hepatotoxizität; myelotoxische Wirkstoffe: verstärkte NW; Cumarine: verlän- gerte Prothrombin-Zeit, ■ Sonstiges: ausreichende Kontrazeption während und bis zu 48 Monate nach der letzten Einnahme (außer nach Auswaschmaßnahme); regelmäßige Blutdruckkontrolle; Monitoring der Leberwerte, Differenzialblutbild. Antientzündliche Therapie mit Biologicals Biologicals sind biotechnologisch hergestellte, rekombi- Merke nante Proteine, die subkutan oder intravenös appliziert Vor einer Behandlung mit Biologicals muss eine werden müssen, da sie bei einer oralen Einnahme im bestehende Tuberkulose bzw. eine Hepatitis-B-In- Magen-Darm-Trakt zerstört würden. Im Vergleich zu fektion ausgeschlossen werden. Die Therapie muss allen bisherigen Basistherapeutika wirken die Biologi- intensiv überwacht werden, da ein erhöhtes Risiko cals schneller und halten das Voranschreiten der Krank- für Infektionen besteht. heit wirksam auf. Biologicals kommen zum Einsatz, Die Lagerung erfolgt lichtgeschützt und im Kühl- wenn csDMARD nicht vertragen werden, eine schrank bei 2–8 °C. Etwa 30 Minuten vor der Injek- csDMARD-Kombinationstherapie innerhalb von 12 tion sollten Pen oder Fertigspritze bei Raumtempe- Wochen keine ausreichende Abnahme der Krankheits- ratur erwärmt werden. aktivität erzielt hat oder initial hochpotente Rheuma- faktoren bzw. eine hohe Krankheitsaktivität vorliegen oder frühe Erosionen bestehen. Einige Biologicals sind zwar zur Monotherapie zugelassen, meistens werden sie Infliximab jedoch zur Wirkungssteigerung mit MTX kombiniert. Infliximab ist ein monoklonaler Antikörper mit einem MTX senkt zudem die Wahrscheinlichkeit für die Bil- Maus-Fab-Fragment. Der Wirkungseintritt ist nach 2–3 dung von Antikörpern. Alle Biologicals gelten prinzi- Wochen zu erwarten. Der Wirkstoff ist der einzige unter piell als gleich stark wirksam. Die Auswahl eines den TNF-α-Antagonisten, der als intravenöse Infusion bestimmten Wirkstoffs richtet sich daher nach Häufig- verabreicht wird. Der Erstinfusion folgen weitere Infu- keit und Art der Applikation, nach dem Nebenwir- sionen mit einer Dosierung von 3 mg/kg Körpergewicht kungsprofil, zusätzlichen Komorbiditäten und der nach 2 und 6 Wochen und danach alle 8 Wochen. Im jeweiligen Begleitmedikation. Lediglich Anakinra ist Unterschied zu Etanercept, Adalimumab und Certoli- weniger effektiv und wird daher nicht als erstrangiges zumab muss Infliximab aufgrund seines murinen Biological empfohlen. Spricht der Patient auf das Anteils zwingend mit MTX kombiniert werden, um der zunächst gewählte Biological nicht ausreichend an, Bildung von Autoantikörpern vorzubeugen. kann auf ein anderes Biological gewechselt werden (○ Abb. 15.4, □ Tab. 15.5). Etanercept Das Fusionsprotein Etanercept wird als Mono- oder Kombi-Therapie mit MTX appliziert. Der Wirkungs- eintritt ist nach 1–2 Wochen zu erwarten. Die Ver- schlusskappe darf erst direkt vor der Applikation abge- nommen werden. Beim Pen ist zu beachten, dass ein
15.1 Rheumatoide Arthritis 327 □ Tab. 15.5 Arzneistoffprofil: Biologicals (TNF-α-Antagonisten) Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Adalimumab (Humira®) FS, Pen, Durch- FS/Pen alle 14 Tage s. c.; einzelne FS/Pen darf bis zu 14 Tage bei max. stechflasche zur Injektion für Kinder 25 °C gelagert werden Certolizumab (Cimzia®) FS, Pen, Patrone für Initial: 400 mg in Wochen 0, 2 und 4; Erhaltungsdosis: alle 14 Tage Dosiergerät 200 mg s. c. (alternativ: alle 4 Wochen 400 mg); kann bis zu 10 Tage bei max. 25 °C gelagert werden Etanercept (Enbrel®) FS, Pen (25/50 mg), 2 × pro Woche 25 mg oder 1 × pro Woche 50 mg; einzelne FS/Pen Durchstechflasche (10 mg zur Anwendung kann bis zu 4 Wochen bei max. 25 °C aufbewahrt werden bei Kindern u. Jugendlichen/25 mg) Golimumab (Simponi®) FS (50/100 mg), FS/Injektor 1 × pro Monat s. c.; kann bis zu 30 Tage bei max. 25 °C 1 Injektor (50/100 mg) gelagert werden 2 Infliximab (Remicade®) Durchstechflasche Infusion i. v. in Wochen 0, 2 und 6; dann alle 8 Wochen 3 Besonderheiten 4 ■ NW: schwere Infektionen durch geschwächte Immunabwehr: engmaschige Kontrolle, Lymphome, Autoantikör- perbildung (unter Kombination mit MTX vermindert), Infusionsreaktionen bzw. Reaktionen an der Injektions- 5 stelle, Überempfindlichkeit, Fieber, Schmerz, Hautausschlag, Pruritus, gastrointestinale Beschwerden, Kopf- schmerzen, Bluthochdruck; Adalimumab, Certolizumab, Golimumab zusätzlich: Schwindel, Sehstörungen, Müdig- 6 keit (cave: Autofahren), Leukopenie; Adalimumab, Golimumab zusätzlich: Husten, Schlaflosigkeit; Adalimumab zusätzlich: erhöhte Leberenzym-, Harnsäure- und Blutfettwerte, Tachykardie, eingeschränkte Nierenfunktion, Hämaturie, Asthma, Dyspnoe, Hypokaliämie, Hypocalcämie, Hypophosphatämie, Hyperglykämie, Stimmungs- 7 schwankungen, Koagulations- und Blutungsstörungen, beeinträchtigte Wundheilung, ■ KI: Schwangerschaft/Stillzeit (Humira®, Cimzia®: Anwendung in der Stillzeit möglich), schwere Infektionen, Herz- 8 insuffizienz NYHA III oder IV, Kombination mit Anakinra oder Abatacept, gleichzeitige Lebendimpfungen, ■ WW: Etanercept und Sulfasalazin: Abfall der Anzahl weißer Blutkörperchen, 9 ■ Sonstiges: Enbrel® zusätzlich: Vorsicht bei Patienten mit Hepatitis C in der Anamnese: Hepatitis kann sich ver- schlechtern, Hypoglykämie bei Patienten unter gleichzeitiger Diabetesbehandlung, Kontrazeption während der 10 Behandlung und einige Monate danach (bis zu 6 Monate: Golimumab, Infliximab; 5 Monate: Adalimumab, Certo- lizumab; 3 Wo: Etanercept). 11 12 einmal ausgelöster, aber nicht injizierter Pen zu verwer- auf eine ausreichende Einstichtiefe geachtet werden, da fen ist. Falls ein Lyophilisat verordnet ist, muss zunächst sonst ein sehr unangenehmes Brennen an der Injek- 13 eine injektionsfähige Lösung zubereitet werden. Für tionsstelle auftreten kann. Der Pen wird im 90°-Winkel Rheumapatienten mit eingeschränkter Beweglichkeit auf die Injektionsstelle gesetzt, die Fertigspritze im 14 oder Deformation der Hände ist das Lyophilisat somit 45°-Winkel langsam in eine Hautfalte injiziert. ungeeignet. Es wird meistens für Kinder verordnet, um 15 den Wirkstoff gemäß jeweiligem Körpergewicht dosie- Golimumab ren zu können. Golimumab ist ein humaner monoklonaler TNF-α- Antikörper. Er wird in Kombination mit oralem MTX 16 Adalimumab zur Behandlung der mittelschweren bis schweren akti- Adalimumab ist ein humaner monoklonaler TNF-α- ven rheumatoiden Arthritis eingesetzt. Golimumab 17 Antikörper. Er wurde als Monotherapeutikum oder in wird einmal monatlich – jeweils am selben Tag – in Kombination mit MTX zugelassen. Bei erwachsenen einer Dosis von 50 mg subkutan in Oberarm, Bauch 18 Patienten beträgt die empfohlene Dosis 40 mg, die alle 2 oder Oberschenkel injiziert. Bei Patienten mit einem Wochen subkutan injiziert wird. Bei der Injektion muss Körpergewicht von mehr als 100 kg kann die Dosis auf
328 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises 100 mg erhöht werden. Das Ansprechen der Therapie ist liegt unabhängig vom Gewicht bei 125 mg pro Woche. nach ca. 3–4 Monaten zu erwarten. Neben einer Fertig- Falls eine einmalige intravenöse Infusion zum Behand- spritze steht für die Selbstapplikation ein vorbefüllter lungsbeginn gegeben wird, sollte die erste subkutane Autoinjektor zur Verfügung. Injektion von 125 mg Abatacept innerhalb eines Tages auf die intravenöse Infusion folgen. Die weiteren sub- Certolizumab kutanen Injektionen werden dann in wöchentlichem Certolizumab ist ein pegyliertes humanisiertes Antikör- Abstand appliziert. Die Injektion erfolgt im 45-Grad- perfragment gegen TNF-α. Im Gegensatz zu konventio- Winkel. Für Orencia® steht auch ein Fertigpen zur Ver- nellen Antikörpern besitzt es keinen Fc-Teil, ausrei- fügung (□ Tab. 15.6). chende Stabilität wird durch zwei verknüpfte Polyethy- lenketten erreicht. Certolizumab ist in Kombination mit Anakinra, Sarilumab und Tocilizumab MTX indiziert für die Behandlung der mittelschweren Anakinra ist ein genetisch hergestellter humaner Inter- bis schweren aktiven rheumatoiden Arthritis. Bei einer leukin-1-Rezeptor-Antagonist. Das Mittel wirkt nur Unverträglichkeit gegen MTX oder wenn die Behand- vergleichsweise schwach und soll bei RA nur mit MTX lung mit MTX nicht fortsetzbar ist, kann Certolizumab eingesetzt werden. Hautreaktionen und Kopfschmerzen auch als Monotherapie verabreicht werden. Die unter der Therapie sind sehr häufig, das Nebenwir- Anfangsdosis beträgt 400 mg (2 subkutane Injektionen kungsprofil entspricht ansonsten mit gastrointestinalen zu je 200 mg) in Woche 0, 2 und 4, gefolgt von einer Beschwerden und erhöhter Infektionsanfälligkeit dem Erhaltungsdosis von 200 mg alle 2 Wochen. Der Wir- der anderen Biologicals. kungseintritt ist mit 1–2 Wochen sehr schnell. Die Der monoklonale Interleukin-6-Antikörper Tocili- Injektion erfolgt in das Abdomen oder in den Ober- zumab (RoActemra®) kann mit MTX kombiniert oder schenkel. Sollen mehr als 200 mg appliziert werden, als Monotherapie verabreicht werden. Die Wirkung müssen die Einstichstellen mindestens 3 cm auseinan- sollte nach 4–8 Wochen eintreten. Die Dosierung der liegen. beträgt 8 mg/kg Körpergewicht alle 4 Wochen als Infu- sion oder alternativ 162 mg (1 FS/Pen) subkutan einmal Rituximab und Abatacept pro Woche. Patienten, die von der intravenösen auf die Rituximab ist ein chimärer, monoklonaler CD20-Anti- subkutane Darreichungsform wechseln, sollten ihre körper. 2 Infusionen von 1000 mg Rituximab werden im erste subkutane Dosis anstelle der nächsten geplanten Abstand von 2 Wochen appliziert. Bei Bedarf kann die intravenösen Dosis anwenden. Nachdem die Fertig- Infusion nach 6 Monaten wiederholt werden. Ein Wir- spritze aus dem Kühlschrank entnommen wurde, sollte kungseintritt ist nach 1–3 Wochen zu erwarten. Wegen sie vor der Injektion mindestens 25–30 Minuten zur des murinen Anteils sollte auf jeden Fall mit MTX kom- Erwärmung bei Raumtemperatur liegen. Nachdem die biniert werden. Vor jeder Anwendung von MabThera® Schutzkappe entfernt wurde, muss die Injektion inner- sollte immer eine Prämedikation mit einem Analgeti- halb von 5 Minuten erfolgen, um zu verhindern, dass kum/Antipyretikum (z. B. Paracetamol) und einem das Arzneimittel austrocknet und die Nadel verstopft. Antihistaminikum (z. B. Diphenhydramin) erfolgen. Ein weiterer monoklonaler Interleukin-6-Antikörper Um die Häufigkeit und den Schweregrad infusionsbe- ist Sarilumab (Kevzara®). Auch er kann als Monothera- dingter Reaktionen zu verringern, sollten Patienten mit pie oder in Kombination mit MTX angewendet werden. rheumatoider Arthritis eine intravenöse Gabe von Die empfohlene Dosis liegt bei 200 mg subkutan alle 2 100 mg Methylprednisolon erhalten, die 30 Minuten vor Wochen, sie kann bei Bedarf auf 150 mg gesenkt wer- der Infusion von MabThera® beendet sein muss. Für den. Der Vorteil gegenüber Tocilizumab liegt im länge- Rituximab gilt laut Zulassungsempfehlungen, dass es ren Applikationsintervall (□ Tab. 15.7). erst nach Versagen eines TNF-α-Hemmers zur Anwen- dung kommen darf. In besonderen Situationen (z. B. Lymphom- oder TBC-Anamnese, begleitende Vaskuli- Merke tis) kann aber der Einsatz auch schon direkt nach Ver- ⑥ Bei der Anwendung moderner Antirheumatika ist sagen von csDMARD sinnvoll sein. eine ausführliche Beratung der Rheumapatienten Abatacept ist bei mäßiger bis schwer aktiver RA indi- notwendig – nicht nur durch den Arzt, sondern auch ziert bei Erwachsenen, die unzureichend auf eine voran- in der Apotheke. Der Patient muss mit der Handha- gegangene Therapie mit DMARD ansprechen. Es ist ein bung vertraut sein, wissen, wie oft er injizieren soll, T-Zell-Kostimulations-Blocker, der in Kombination mit in welche Körperstellen und wie die Spritzen bzw. MTX eingesetzt wird. Orencia® subkutan kann mit oder Pens richtig gelagert und entsorgt werden. ohne intravenöse Aufsättigungsdosis (30-minütige Infusion in einer Dosierung von 500–1000 mg, je nach Körpergewicht) begonnen werden. Die Subkutan-Dosis
15.1 Rheumatoide Arthritis 329 □ Tab. 15.6 Arzneistoffprofil: B- und T-Zell-Rezeptor-Antagonisten Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Rituximab (MabThera®) Durchstechflasche 2 Infusionen von 1000 mg im Abstand von 14 Tagen, evtl. Wieder- holung nach 6 Monaten Abatacept (Orencia®) FS/Pen (125 mg), Durch- Initial: Kurzinfusion in Wochen 0, 2 und 4; dann alle 4 Wochen, stechflasche (250 mg) abhängig vom KG: < 60 kg: 500 mg, bis 100 kg: 750 mg, > 100 kg: 1000 mg; FS/Pen 1 × pro Woche 125 mg s. c. Besonderheiten ■ NW: erhöhtes Infektionsrisiko, kognitive, neurologische und psychiatrische Symptome, Leukopenie, Hypertonie, Atemwegserkrankungen, Übelkeit, Erbrechen, Myalgie; Rituximab zusätzlich: infusionsbedingte Reaktionen, Hyperglykämie, Herzerkrankungen, Fieber, Schüttelfrost, selten: progressive multifokale Leukoenzephalopathie; 1 Abatacept zusätzlich: Leberfunktionsstörungen, Hautausschlag, ■ KI: aktive schwere Infektionen, Schwangerschaft/Stillzeit, stark geschwächte Immunabwehr, Lebendimpfstoffe, 2 gleichzeitige Kombination mit TNF-α-Antagonisten; Rituximab zusätzlich: schwere Herzinsuffizienz (NYHA IV), schwere unkontrollierte Herzerkrankung, 3 ■ WW: Rituximab bei nachfolgender Therapie mit biologischem DMARD: steigende Rate an klinisch relevanten Infektionen; Abatacept: gleichzeitige Anwendung mit immunsuppressiven oder immunmodulatorischen Bio- 4 logicals könnte die Wirkung auf das Immunsystem potenzieren, Sonstiges: Kontrazeption während der Behandlung und einige Monate danach (12 Monate: Rituximab, ■ 14 Wochen: Abatacept). 5 6 □ Tab. 15.7 Arzneistoffprofil: Interleukin-Antagonisten 7 Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen 8 Anakinra (Kineret®) FS 1 × tgl. 100 mg. s. c.; darf vor Injektion bis 12 Stunden bei Raumtemperatur gelagert werden 9 Sarilumab (Kevzara®) FS/Pen (150/200 mg) Alle 14 Tage (150–)200 mg s. c.; darf bis zu 14 Tage bei 25 °C 10 gelagert werden 11 Tocilizumab (RoActemra®) FS, Pen, Durchstech- Kurzinfusion alle 4 Wochen i. v. oder 1 × pro Woche FS/Pen s. c. flasche 12 Besonderheiten 13 ■ NW: Infektionen, Neutropenie, allergische Reaktionen, Reaktionen an der Injektionsstelle, Hautausschlag, Kopf- 14 schmerzen, erhöhte Leberenzymwerte; Sarilumab zusätzlich: Harnwegsinfekte; Toclizumab zusätzlich: schwer- wiegende Leberschäden, Schwindel, Hypertonie, Konjunktivitis, Mundulzera, Gastritis, abdominale Schmerzen, 15 Hypercholesterolämie, Husten, Dyspnoe, Exanthem, Pruritus, ■ KI: schwere Infektionen, Neutropenie, Schwangerschaft/Stillzeit, Lebendimpfungen, Kombination mit TNF-α- Antagonisten, Anakinra zusätzlich: schwere Niereninsuffizienz: Kreatinin-Clearance < 30 ml/min), 16 WW: Cytochrom-P450-Substrate: Bildung von CYP450-Enzymen wird durch erhöhten Zytokinspiegel (z. B. IL-1, 17 ■ IL-6) während einer chronischen Entzündung unterdrückt, Erwartung: Bildung von CYP450-Enzymen normali- siert sich unter der Behandlung mit einem IL-Rezeptor-Antagonisten → evtl. Dosiserhöhungen erforderlich bei Arzneimitteln, die durch CYP450-Enzyme metabolisiert werden, 18 ■ Sonstiges: Kontrazeption während der Behandlung und einige Monate danach (3 Monate: Sarilumab, Tocilizumab).
330 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises □ Tab. 15.8 Arzneistoffprofil: Januskinase-Inhibitoren Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Baricitinib (Olumiant®) Filmtabletten 1 × tgl. (2–)4 mg, unabhängig von den Mahlzeiten Tofacitinib (Xeljanz®) Filmtabletten, Retard- 2 × tgl. 5 mg unabhängig von den Mahlzeiten oder 1 × tgl. 11 mg tabletten retardiert Upadacitinib (Rinvoq®) Retardtabletten 1 × tgl. 15 mg unabhängig von den Mahlzeiten Filgotinib (Jyseleca®) 1 × tgl. 200 mg unabhängig von den Mahlzeiten Besonderheiten ■ NW: Infektionen der oberen Atemwege, Herpes zoster, Hypercholesterolämie, erhöhte Leberwerte, Übelkeit, Harnwegsinfekte, Filgotinib zusätzlich: mögliche irreversible männliche Infertilität, ■ KI: Schwangerschaft/Stillzeit, schwere Leberfunktionsstörungen, Tuberkulose, Lebendimpfstoffe, ■ WW: Tofacitinib: Gesamtdosis halbieren bei Patienten, die starke CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Ketoconazol) oder gleichzeitig mindestens ein Arzneimittel erhalten, das zu einer mittelstarken Hemmung von CYP3A4 und zu einer starken Hemmung von CYP2C19 führt (z. B. Fluconazol); Upadacitinib mit Vorsicht anwenden bei Patienten unter Langzeitbehandlung mit starken CYP3A4-Inhibitoren, ■ Sonstiges: cave bei Patienten mit erhöhtem Risiko für venöse thromboembolische Ereignisse, Kontrazeption während der Behandlung und einige Monate danach (1 Woche: Baricitinib, Filgotinib; 4 Wochen: Tofacitinib, Upa- dacitinib). Beratungshinweise für Biologicals Zusatzempfehlungen Wegen erhöhter Infektionsanfälligkeit Vorsicht im Kühltaschen für Biologicals auf Reisen; Biologicals Kontakt mit akut erkrankten Personen, im Handgepäck aufbewahren, Grippe- und Pneumokokkenimpfung, keine Leben- Patientenpass; ärztliches Attest und weitere Infos für dimpfungen, Zoll bei Reisen ins Ausland, bei Anzeichen eines Infekts oder Auftreten allergi- Entsorgungsboxen für Spritzen und Pens, scher Symptome unverzüglich den Arzt aufsuchen, Patienten an Kontrolltermine erinnern. ⑦ regelmäßige Blutuntersuchungen (Blutbild, Leberwerte, Nierenfunktion), Januskinase-Inhibitoren: Baricitinib, Tofacitinib Aufbewahrung im Umkarton unter Lichtschutz und und Upadacitinib Lagerung im Kühlschrank (2–8 °C, nicht einfrieren), Januskinase(JAK)-Inhibitoren bilden die neueste langsame, vorsichtige Erwärmung auf Raumtempe- Behandlungsoption bei rheumatoider Arthritis. Sie ratur (30–60 Minuten), hemmen intrazelluläre Signalwege und unterdrücken flüssige Zubereitungen nicht schütteln (sonst: Verän- somit die Bildung proinflammatorischer Zytokine. Ihr derung der Quartärstruktur der Proteine und Inakti- Einsatz erfolgt als Monotherapie oder in Kombination vierung), mit MTX. Ein entscheidender Vorteil gegenüber den vor Applikation Händewaschen; Injektion in intakte Biologicals ist die orale Gabe. Im Gegensatz zu den TNF- Haut, α-Antagonisten kommt es allerdings unter der Therapie Kühlen der Einstichstelle mit einem Kühlpack vor mit JAK-Inhibitoren zu einer erhöhten Rate an Vari- und nach der Injektion, um allergische Reaktion zu zella-Zoster-Reaktivierungen. Hier bietet die Immuni- vermeiden, sierung mit dem Totimpfstoff Shingrix® guten Schutz. während Therapie mit Biologicals: sichere Kontra- Während sich die Wirkung von Upadacitinib (Rin- zeption. voq®) und Filgotinib (Jyseleca®) auf JAK1 beschränkt, hemmt Baricitinib (Olumiant®) JAK1 und JAK2. Die empfohlene Dosis dieses Wirkstoffs beträgt 1 × tgl. 4 mg. Patienten ab 75 Jahren oder mit chronischen bzw. wiederkehrenden Infekten in der Vorgeschichte sollten
15.2 Arthrose 331 nur 2 mg unabhängig von den Mahlzeiten einnehmen, aktivierten Arthrose kommt es zusätzlich zum Anschwel- ebenso Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktions- len des Gelenks mit Gelenkerguss und Überwärmung. störung und bei gleichzeitiger Probenecid-Einnahme. Nicht jede Arthrose bedarf einer ärztlichen Therapie Die Dosis des JAK1- und -3-Inhibitors Tofacitinib (○ Abb. 15.5). Erst wenn Gelenkschwellungen oder (Xeljanz®) liegt bei 2-mal tgl. 5 mg bzw. einmal tgl. Schmerzen auftreten und sich durch Selbstmedikation 11 mg als retardierte Darreichungsform. Die Patienten nicht ausreichend lindern lassen, wird ein Arztbesuch sind bei der Gabe von Tofacitinib auf Anzeichen einer erforderlich. Die Therapie der Arthrose stützt sich auf 3 Lungenembolie zu überwachen (□ Tab. 15.8). Laut Fach- Säulen: die nichtmedikamentöse (Physiotherapie, information besteht zudem ein erhöhtes Risiko für Patientenschulung, physikalische Maßnahmen), die schwerwiegende kardiale Ereignisse sowie für Tumoren. medikamentöse sowie die operative Therapie mit Endo- prothetik. Im Vordergrund der Behandlung stehen Therapie-Deeskalation Schmerzlinderung, Erhalt der Gelenkfunktion sowie Soll eine Therapie deeskaliert werden, muss dies nach eine Verlangsamung der Arthroseprogression. Da die dem Ausschleichen der Glucocorticoide erfolgen und meisten Patienten älter sind und die Arthrosebehand- eine anhaltende Remission über 6 Monate bestehen. lung eine Langzeittherapie ist, müssen Komorbiditäten Eine Deeskalation sollte grundsätzlich in Form eines unbedingt berücksichtigt werden. Je nach Schweregrad „Tapering“ (Dosisreduktion) oder „Spacing“ (Verlänge- der Erkrankung kommen verschiedene Pharmaka zum 1 rung der Applikationsintervalle) erfolgen und der Einsatz: Krankheitsverlauf dabei engmaschig beobachtet wer- topisch anwendbare Antiphlogistika und Hyperä- 2 den. Ein sofortiges Absetzen der Medikation wird nicht mika, empfohlen, um die Remission nicht zu gefährden. NSAR bzw. Coxibe, 3 Opioide und Nichtopioide, Chondroprotektiva. 4 15.2 Arthrose 15.2.3 Nichtmedikamentöse Maßnahmen 5 Dr. Ines Winterhagen Bei der Arthrose gilt es, den Teufelskreis aus zunehmen- 6 dem Körpergewicht, abnehmender Mobilität aufgrund 15.2.1 Grundlagen arthrosebedingter Schmerzen und fortschreitender 7 Arthrose ist weltweit die häufigste degenerative Gelenk- Erkrankung mit weiterem Verschleiß und Schmerzen erkrankung. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten, zu durchbrechen. Daher zählen zu den nicht pharmako- die meisten Patienten sind jedoch über 60 Jahre alt. Bis- logischen Maßnahmen Gewichtsreduktion (bei Gon- 8 her wurde die Komplexität des Krankheitsgeschehens und Coxarthrosen) sowie regelmäßige Übungen zur unterschätzt. So liegen der Arthrose nicht allein Abnut- Verbesserung des Bewegungsumfangs und Kräftigung 9 zungserscheinungen am Knorpelgewebe zugrunde, es der Muskulatur. Geeignet sind Sportarten mit gleichmä- spielen auch synoviale Entzündungsprozesse eine ent- ßigen Bewegungsabläufen wie Schwimmen, Radfahren, 10 scheidende Rolle. Die häufigsten Risikofaktoren sind: Wandern oder Gymnastik. Einige Patienten benötigen Übergewicht, gelenkbelastende Tätigkeiten mit sich orthopädische Schuhe mit Pufferabsätzen, die den 11 wiederholenden Bewegungsabläufen, Fehlstellungen Druck auf die Gelenke abfedern sowie eine Schuhin- der Gelenke, bestimmte Sportarten, vorausgegangene nen- bzw. -außenranderhöhung. Schienen und Orthe- 12 Gelenksverletzungen und eine genetische Disposition. sen können bei Rhizarthrosen eingesetzt werden. Zudem lindern physikalische Anwendungen wie Bal- 13 neotherapie oder lokale Wärmeapplikation im nicht 15.2.2 Symptomerfassung und Grenzen der Selbstmedikation entzündeten Stadium die Beschwerden. Bei Arthrosen 14 der Hände hilft vor allem morgens Bewegung in war- Es lassen sich 3 Arthrosestadien unterscheiden: Bleibt mem Wasser bzw. Kneten von warmem Moor oder 15 die Knorpeldegeneration ohne klinische Beschwerden, Fango. spricht man von einer stummen, in entzündlichen Epi- soden von einer aktivierten Arthrose. Daneben zeichnet 16 sich die klinisch manifeste, dekompensierte Arthrose Merke durch Dauerschmerz aus. Leitsymptome der degenera- 17 Patienten sollten ihre Gelenke auf keinen Fall nur tiven Erkrankung sind Schmerzen bei Bewegung des schonen, sondern auf ein geeignetes Maß an Be- betroffenen Gelenks v. a. zu Bewegungsbeginn (Anlauf- und Entlastung achten. 18 schmerz), Bewegungseinschränkungen, Wetterfühlig- keit und ein hörbares Knirschen der Gelenke. Bei einer
332 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises Kundin, Mitte 70, verlangt Voltaren® forte Schmerzgel und Voltaren® dolo 25 mg Tabletten Fragen Hinterfragen der Für wen? Für sie selbst Eigendiagnose oder des Arzneimittel- Beschwerden? Schmerzen in den Knien, wunschs geschwollenes rechtes Knie Wie oft? Beschwerden v. a. bei nasskaltem Wetter, Anlaufschmerz Auswahl bzw. Ist das gewünschte Arzneimittel Ja Beurteilung des für die Behandlung geeignet? Arzneistoffs und des Fertigarzneimittels Gibt es weitere Erkrankungen? Ja, Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ 2 Werden weitere Arzneimittel Schmerzbehandlung: eingenommen? Ibuprofen, 2 × 600 mg täglich, Wirkung des Analgetikums nicht ausreichend, außerdem Ramipril comp. 5/12,5 mg Metformin 1000 mg Entscheiden Selbstmedikation Sind Grenzen der Selbstmedikati- Selbstmedikation begrenzt möglich, möglich? on überschritten oder gab es aber Hinweis auf Arztbesuch: schon eine ärztliche Behandlung? Ibuprofen nicht mit Voltaren® dolo 25 mg kombinieren; Arzt sollte Analgetikatherapie anpassen oder umstellen, da Patientin weiterhin unter starken Schmerzen und Schwellungen leidet Informieren Information zum Anwendung Voltaren® forte Schmerzgel: 2-mal täglich einreiben und Arzneimittel und leicht einmassieren, Nebenwirkungen können sich verstärken bei zur Abgabe gleichzeitiger Anwendung topischer und oraler NSAR Grenzen der Bei starken Schmerzen, Fieber > 39 °C oder Bewegungseinschränkungen Selbstmedikation den Arzt aufsuchen ○ Abb. 15.5 Beratungsschema: Patientin mit Eigendiagnose Gelenkbeschwerden wie Diclofenac (Voltaren® Schmerzgel) oder Ibuprofen 15.2.4 Selbstmedikation (proff® Schmerz-Creme) können allein oder in Kombi- Topische NSAR nation mit oralen Analgetika angewendet werden. Nur Zur Analgesie und Funktionsverbesserung bei Kniearth- über eine regelmäßige, mehrmals tägliche Anwendung rose sollte an erster Stelle die topische Applikation von ist eine Reduktion der oralen NSAR-Dosen möglich. NSAR erwogen werden – bevorzugt bei älteren Patienten Neben den klassischen NSAR stehen auch pflanzliche (≥ 75 Jahre), da mit geringeren gastrointestinalen Wir- Zubereitungen zur Verfügung (z. B. Beinwell-Extrakt in kungen als unter oraler NSAR-Gabe zu rechnen ist. Per- Kytta® Schmerzsalbe, Arnika in Doc® Arnika Creme). kutan applizierte Antiphlogistika erreichen zwar in den Bei nicht entzündeten Arthrosen können wärmende Sal- Gelenken selbst keine ausreichenden Wirkspiegel, sie ben mit hyperämisierenden Zusätzen wie Benzylnicoti- können jedoch in periartikuläre Schichten penetrieren. nat oder Capsaicin eingesetzt werden, in entzündlichen Zudem kann oft Linderung durch einen reinen Massage- Phasen Gele mit Mentholzusatz (▸ Kap. 3.3.2). effekt bei der Einreibung erzielt werden. Topische NSAR
15.2 Arthrose 333 symptomatische Gonarthrose NSAR topisch geringes gastrointestinales Risiko für Patienten ≥ 75 Jahre sofern nicht ausreichend wirksam NSAR oral intermittierend, befristet während der Schmerz- und Entzündungsperiode normales gastrointestinales Risiko erhöhtes gastrointestinales Risiko erhöhtes kardiovaskuläres Risiko NSAR NSAR + PPI bevorzuge Naproxen beachte Warnhinweise und Kontraindikationen für NSAR 1 sofern 2 nicht ausreichend wirksam kontraindiziert Risiko für UAW erhöht 3 4 Glucosamin Hyaluronsäure Corticosterioid 5 kontinuierliche orale Gabe intraartikulär intraartikulär wirksam spätestens nach 3 Monaten kurzzeitige Therapie Entzündungsschub 6 letzter medikamentöser Versuch 7 Opioide 8 kurzzeitige Therapie niedrigst wirksame Dosis 9 bis zur Knieoperation oder bei nichtoperablen Patienten 10 11 ○ Abb. 15.6 Therapie der Arthrose 12 Paracetamol Entzündungssymptomen. Bei NSAR-Gabe an Patienten 13 ⑧ Gemäß aktueller Leitlinie zeigt Paracetamol bei > 60 Jahre ist die Dosis anzupassen, zudem sind regel- Patienten mit Gon- und Coxarthrose keine klinisch sig- mäßige Kontrollen des Gastrointestinaltrakts (GIT), des 14 nifikante schmerzlindernde Wirkung. (○ Abb. 15.6). Blutdrucks und der Nierenfunktion durchzuführen. Bei hohem Risiko für GIT-Komplikationen empfiehlt es 15 sich, NSAR mit Protonenpumpen-Inhibitoren zu kom- 15.2.5 Ärztliche Therapie binieren oder alternativ selektive COX-2-Hemmer NSAR anzuwenden (▸ Kap. 3.2, Schmerz). Bei Patienten mit 16 NSAR kommen aufgrund ihrer antiphlogistischen Wir- kardiovaskulären Risikofaktoren (Diabetes mellitus, kung besonders bei entzündungsbedingten Arthrose- Rauchen, Hyperlipidämie, Hypertonie) sollten NSAR 17 schmerzen zum Einsatz. Bei degenerativen Gelenker- nur nach strenger Indikationsstellung so niedrig und so krankungen ist die Einzeldosis so niedrig wie möglich kurz wie möglich angewendet werden. Hierbei ist die 18 zu wählen. Die Therapie sollte nur befristet während der bevorzugte Gabe von Naproxen zu erwägen. Schmerzepisoden erfolgen bzw. ausreichend lang bei
334 15 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises □ Tab. 15.9 Arzneistoffprofil: COX-2-Hemmer Arzneistoff, Handelsname (Bsp.) Dosierung, Bemerkungen Etoricoxib (Arcoxia®) Arthrose: 30 (–60) mg/d, rheumatoide Arthritis: 60 (–90) mg/d Celecoxib (Celebrex®) Arthrose und rheumatoide Arthritis: 200 (–400) mg/d, aufgeteilt auf 2 ED Besonderheiten ■ NW: Magen und Darm: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Ulzera; allergische/pseudoallergische Reaktionen: Exan- them; Husten, Rhinitis; Schlaflosigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen; Blutdruckanstieg, Herzinsuffizienz; Etoricoxib auch: Arrhythmien; Bronchospasmus; Anstieg der Leberenzyme, ■ KI: schwere Herzinsuffizienz (NYHA III bis IV), koronare Herzerkrankung; periphere arterielle Verschlusskrankheit; zerebrovaskuläre Erkrankungen; nicht ausreichend kontrollierte Hypertonie; aktive Ulzera oder gastrointestinale Blutungen, entzündliche Darmerkrankungen; Asthma, Analgetikaintoleranz; schwere Leber- und Nierenfunk- tionsstörungen; Schwangerschaft/Stillzeit, ■ WW: Lithium: erhöhte Lithiumkonzentration; Wirkung erniedrigt, renale NSAR-NW erhöht; orale Antikoagulan- zien: Prothrombinzeit verlängert; Diuretika: Diuretika-Wirkung erniedrigt; Etoricoxib plus MTX: Methotrexat-Eli- mination erniedrigt; Etoricoxib plus orale Kontrazeptiva: erhöhte NW der Kontrazeptiva; Celecoxib plus CYP2D6- Substrate wie SSRI, Neuroleptika, Antiarrhythmika: erhöhte Wirkung dieser Substrate. COX-2-Hemmer (Cyclooxygenasehemmer, bei Arthroseschmerzen nur dann zum Einsatz kom- Coxibe) men, wenn andere Maßnahmen wie die Gabe von NSAR ⑨ Coxibe bieten sich als Alternative zu NSAR an, oder operative Maßnahmen nicht möglich sind oder sowohl zur Therapie der rheumatoiden Arthritis, als andere Komorbiditäten keine andere Wahl zulassen. Die auch zur Behandlung aktivierter Arthrosen, um Opioid-Behandlung sollte nur kurzfristig in der nied- Schmerzen und Schwellungen rasch zu lindern. Selek- rigsten, wirksamen Dosis erfolgen, alle 12 Stunden nach tive COX-2-Hemmer zeigen hinsichtlich GIT- einem festen Zeitschema. Zwar zeichnen sich Opioide Beschwerden und Plättchenhemmung ein besseres durch eine bessere gastrointestinale Verträglichkeit aus, Sicherheitsprofil als die NSAR. Patienten mit kardiovas- nachteilig dagegen ist der zentralnervöse Effekt mit ver- kulären Grunderkrankungen sollten hingegen nicht mit mehrter Sturzneigung, Schwindel und Gleichgewichts- Coxiben therapiert werden. Bezüglich der Nierentoxizi- störung. Zu beachten ist weiterhin, dass sowohl Meta- tät schneiden Coxibe nicht besser ab als die nichtselekti- mizol als auch Opioide keine oder kaum antiphlogisti- ven NSAR. Daher sollte bei Patienten mit einem Risiko sche Wirkung besitzen, da sie überwiegend zentral für eine Einschränkung der Nierenfunktion der Einsatz wirken. Im Gegensatz zu den Empfehlungen der EULAR von Coxiben sehr sorgfältig abgewogen werden. Gene- (European League against Rheumatism) attestiert die rell sind die kürzest mögliche Behandlungsdauer und OARSI-Leitlinie (Osteoarthritis Research Society Inter- die niedrigste wirksame Tagesdosis zu wählen national) den Opioiden eine unzureichende Datenlage (□ Tab. 15.9). bei Arthrose. Metamizol, Tramadol und Tilidin 15.2.6 Weitere Therapieoptionen Metamizol kann speziell bei stummen Arthrosen bei älteren Personen und Risikopatienten als Ersatz für Hyaluronsäure NSAR eingesetzt werden, ist allerdings für die Behand- Hyaluronsäure (HA) wird als intraartikuläre Injektion lung der Arthrose nicht zugelassen. Unter Metamizol- (Hya-ject®, Ostenil®, Synvisc®) zur symptomatischen Einnahme sind keine gastrointestinalen und kardiovas- Behandlung von Arthrosen eingesetzt. Trotz einer Viel- kulären Probleme zu erwarten, allerdings sind Interak- zahl an wissenschaftlichen Untersuchungen ist die tionen mit ASS 100 und somit eine möglicherweise Wirksamkeit dieser Therapieform nach wie vor umstrit- eingeschränkte Thrombozytenaggregationshemmung ten. Auf jeden Fall stellt die HA-Anwendung eine zu beachten (▸ Kap. 3.2, Schmerz). Nachteile bestehen in Behandlungsalternative für Patienten mit NSAR-Kon- der kurzen Halbwertszeit und dem Agranulozytoseri- traindikationen dar und kann zu einem verminderten siko. Opioide der Stufe 2, Tramadol oder Tilidin, sollten Verbrauch an NSAR führen. Hyaluronsäure-Präparate
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