ES LIEGT IN UNSEREN HÄNDEN - Die Zahl der Corona-Fälle steigt. Gleichzeitig werden die Tage dunkler und kälter. Wie können wir uns innerlich ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
TITEL ES LIEGT IN UNSEREN HÄNDEN Die Zahl der Corona-Fälle steigt. Gleichzeitig werden die Tage dunkler und kälter. Wie können wir uns innerlich stärken für diesen besonderen Herbst? Von Tobias Schmitz; Illustrationen: Karsten Petrat
Viren, überall Viren! Und das Wetter zwingt uns schon bald nach drinnen. Doch wir können uns wappnen 15.10.2020 25
E s war einmal eine Feldmaus. Die wieder zügig ein geistig und emotionales Unbehagen? Angst? Wovor? Was klammere saß den lieben, langen Sommer nur Gleichgewicht zu erreichen. Leider fällt ich damit aus? Denn die Angst schränkt rum. Während ihre Artgenossen Resilienz weder vom Himmel, noch lässt mein Blickfeld ein. Wie sähe ein geborener fleißig Wintervorräte anlegten, tat sie sich via Amazon Prime nach Hause Optimist meine Lage? Was fiele ihm auf? Es die Maus nichts. Dachten die an- liefern. Die meisten Menschen müssen gibt ja auch Dinge, die in diesen Wochen gut deren zumindest. Aber das schein- innere Widerstandsfähigkeit üben. sind: Vielleicht bemerke ich durch Corona, bar unbeteiligte Tier bereitete sich „Das ist wie mit dem Fitnessstudio“, sagt was wirklich zählt. Vielleicht rücken Freun- auf seine Art auf die dunkle Jahres- Michèle Wessa, Professorin am Mainzer de und Familie enger zusammen. Vielleicht zeit vor. Es sammelte Farben, Worte, Son- Leibniz-Institut für Resilienzforschung, ergeben sich neue berufliche Perspektiven, nenstrahlen. Und als die Tage finster und „manche Menschen bauen da ganz schnell Stichwort Homeoffice. Was folgt aus diesen kalt wurden und alle Vorräte aufgefressen neue Muskeln auf und müssen deshalb positiven Gedanken für mein Leben? waren, erzählte die Feldmaus ihren Freun- weniger Gewichte stemmen. Bei anderen den von ihren inneren Schätzen. So brach- dauert es etwas länger.“ Neue gedankliche Pfade zu betreten – das te sie die ganze Kolonie durch den Winter. Wie unterschiedlich Menschen mit psy- kann uns kein Virologe, kein Robert Die kleine Maus heißt Frederick. Erdacht chischen Belastungen umgehen, lässt sich Koch-Institut und kein Gesundheitsmi- vom amerikanischen Autor, Grafiker und einerseits durch genetische Veranlagung nister abnehmen. Die Auseinandersetzung Maler Leo Lionni, begeistert die Geschich- erklären: Wie deutlich ist im Gehirn die mit uns selbst ist oft anstrengend. Gerade te seit 1967 immer neue Generationen von neuronale Aktivität in unserem Angstzen- wenn der Geist wie verstopft zu sein Kindern und Erwachsenen. Eine mögliche trum, der Amygdala, ausgeprägt? Wie scheint von Befürchtungen. Lesart: Wer sich innerlich stärkt, kann in schnell lässt sich diese wieder beruhigen? Nils Spitzer, psychologischer Psychothe- schlechten Zeiten davon zehren. Wie stark reagiert das Hirn mit der Aus- rapeut und Buchautor mit eigener Praxis Auch für uns ist der Sommer vorbei. Und schüttung des Stresshormons Cortisol? in Gladbeck, geht deshalb noch weiter. viele Menschen schauen sorgenvoll auf die Und wie zügig reguliert sich auch dieser Er beschäftigt sich seit Jahren mit den kommenden Monate. Die Zahl der Corona- Hormonspiegel wieder? Auswirkungen von Unsicherheit auf Neuinfektionen steigt rapide, das Robert Andererseits, so glauben Wissenschaft- unsere Psyche und ist sich sicher, dass eine Koch-Institut warnt vor einer neuerlichen ler, sind frühkindliche Erfahrungen an der positivere Grundhaltung nicht im Kopf „unkontrollierten Verbreitung“ des Virus; Fähigkeit zur Resilienz beteiligt: Sichere allein entstehen kann. Man müsse sie sich ganz Berlin gilt, wie auch andere Landes Bindung, also Beziehungen, die uns Nähe durch bewusstes Handeln und die daraus teile, als Risikogebiet. 53 Prozent der Deut- und Geborgenheit vermitteln, dürften resultierenden Erfahrungen Stück für schen haben einer aktuellen Umfrage von einen wichtigen Einfluss auf den späteren Stück erarbeiten. Infratest Dimap zufolge große oder sehr Umgang mit Unsicherheit haben. „Die Kernsorge von Unsicherheit ist im- große Sorge vor den Folgen einer Anste- „Beide Faktoren sind wichtig, aber mer: ,Es wird etwas Schlimmes passieren. ckung. In der kommenden Zeit, in der wir grundsätzlich kann jeder Mensch seine Und damit werde ich nicht fertig.‘ Das lässt uns vor allem drinnen aufhalten werden, Resilienz trainieren“, sagt Wessa. sich rein rational nicht entkräften“, sagt dürften sich diese Ängste kaum verringern. Doch wie funktioniert das genau? Spitzer. „Wer aber immer wieder konkrete Und es ist ja nicht nur die Pandemie Resiliente Menschen können flexibel auf Erfahrungen mit der Bewältigung von selbst, die uns belastet: Deutschland befin- Stressoren reagieren. Sie sind in der Lage, Unsicherheit macht, wird auch mit neuen det sich durch Corona tief in der Rezession. unterschiedliche Strategien einzusetzen, unklaren Situationen besser klarkommen. Damit einher gehen Rekordneuverschul- um sich zu beruhigen. Ihre Psyche bedient Ich rate meinen Klienten deshalb: Suchen dung, Kurzarbeit, Unternehmenspleiten, sich gewissermaßen aus einem Werkzeug- Sie Mikroabenteuer, durchbrechen Sie Privatinsolvenzen. Von der Weltpolitik, von koffer an Optionen. erlernte Gewohnheiten: Essen Sie ein Trump-, Klima- und Flüchtlingskrise gar Eines dieser Werkzeuge: der bewusste Gericht, das Sie noch nie gegessen haben. nicht zu reden. Umgang mit Nähe und Distanz. Kaufen Sie in einem fremden Supermarkt So viele Unwägbarkeiten, so viel Unge- Heißt konkret: Ich muss mir einerseits ein. Gehen Sie ohne Ziel mit einem Würfel wissheit versetzen unsere Psyche in einen selbst nahe sein. Mich fragen: Wie geht es in der Hand durch die Stadt. An jeder permanten Ausnahmezustand. Stress mir eigentlich? Was fühle ich gerade ge- Abzweigung würfeln Sie, ob sie nach links signale, evolutionär entwickelt, um uns aus nau? Und ich muss andererseits Distanz oder rechts gehen sollen. Ich kann bei all- Gefahrensituationen zu retten, lähmen uns finden zu belastenden Gedanken. dem lernen: Unsicherheit muss mich nicht plötzlich. Die Corona-Krise wirkt wie eine Das funktioniert nur, indem man bedrohen.“ Bedrohung in Zeitlupe. Flucht oder Kampf? sich selbst auf die Schliche kommt und Zusätzlich hilft eine stärkere Veranke- Beides unmöglich. Stattdessen schwächt versucht, aus angstmachenden Gedanken- rung im Hier und Jetzt. Zum Beispiel durch der Stress unser Immunsystem, auf das wir Automatismen auszusteigen und den Meditation. Die Achtsamkeits- oder Kon- doch gerade jetzt so sehr zählen. Blick ins Positive zu richten. Das ist nicht zentrationsübungen, die seit Jahrhunder- Wir brauchen also schnell wirksame leicht, besonders für diejenigen nicht, de- ten in vielen Kulturen praktiziert werden, Ideen, um innerlich gestärkt durch Herbst ren Gehirn durch genetische Faktoren und können nachweislich dabei helfen, die und Winter zu kommen. Die gute Nach- negative Erfahrungen über ein besonders Angst vor der ungewissen Zukunft zu bän- richt: Es gibt sie bereits. Werkzeuge, die aktives Cortisolsystem verfügt. Dadurch digen und Katastrophenszenarien weniger unserer Psyche nachweislich dabei helfen, kommt es zu einer Überaktivität bestimm- Macht zu geben. Längst haben Studien besser mit Stress umzugehen. Wir müssen ter Hirnbereiche, mit denen man sich auf bewiesen, dass regelmäßige Meditations- uns nur auf sie einlassen. Und offen sein die negativen Gefühle fokussiert. praxis tatsächlich Veränderungen im für Strategien, die wir im vergangenen Gehirn hervorrrufen kann: Durch die Herbst vielleicht noch belächelt hätten. WAS KANN ICH TUN? Übungen wird die Stresshormonausschüt- Eine dieser Strategien ist das Training Ich kann versuchen, meine Gefühle genauer tung im Gehirn vermindert. Insgesamt der eigenen Resilienz. Gemeint ist die wahrzunehmen und dann neu zu bewerten. kommt es zu einer besseren Selbstwahr- Fähigkeit, nach seelischen Belastungen Was fühle ich? Unbehagen? Was ist dieses nehmung und Aufmerksamkeitsregu- 4 15.10.2020 27
lation. Die Aktivität der Amygdala, unseres Ressourcen, als wir denken. Es lohnt sich, ein Botschaft an uns, und sie geben uns Angstzentrums, wird dadurch gedämpft. wenn wir uns für die kommenden Mona- Energie zum Handeln, sodass wir aktiv te eine individuelle Marschroute durch die werden können. Erlauben oder trauen wir WAS KANN ICH TUN? Pandemie erarbeiten. Dabei ist es wichtig, uns nicht, genau in uns hineinzuspüren, Ich kann – ein Anfang – morgens nicht sich gegenseitig zu unterstützen. Die Pfle- berauben wir uns Möglichkeiten, besser sofort zum Handy greifen und Nachrichten ge sozialer Kontakte und ein positiver mit Negativem umzugehen.“ checken. Ich kann nach dem Aufwachen Blick auf die Krise sind hilfreiche Bewälti- Die Tipps, die er seinen Klienten dann fünfmal tief durchatmen. Und später gungsstrategien gegen Angst und Sorgen.“ mit auf den Weg gibt, wirken zunächst vielleicht mit fünf Minuten Sitzmeditation Verdrängung führe, so Zacher, dagegen zu abstrakt, können bei konkreter Umset- beginnen. Ich sitze in aufrechter Haltung mit keiner Verbesserung des Wohlbefindens. zung aber sofort Großes bewirken: geschlossenen Augen in Stille und konzent- Netflix-Orgien, Hardcore-Onlineshopping „Akzeptieren Sie Ihre Gefühle, und neh- riere mich auf meinen Atem. Alle Gedanken, oder der häufigere Griff zum Alkohol, all men Sie sie ernst. Versuchen Sie, weniger die nach wenigen Sekunden automatisch diese kleinen Strategien also, auf die viele hart über sich selbst zu urteilen. Seien kommen, lasse ich freundlich weiterziehen. von uns während der Corona-Krise instink- Sie ebenso liebevoll zu sich selbst wie Gedanken kommen und gehen. Ich kehre tiv zurückgegriffen haben, sind meist nur zu anderen.“ Gerade Letzteres ist oft am immer wieder zum Atem zurück. kurzzeitig hilfreich. Natürlich kann auch schwierigsten umzusetzen. pure Ablenkung hin und wieder wunder- Die Meditation schafft damit das, was wir bar entlastend wirken. Dauerhaft aber führt WAS KANN ICH TUN? in unserem Angsttunnel oft vergessen: sie nicht zu einem anderen Blick auf die Ich kann, ein Anfang, auf guten Schlaf Nicht jeder Gedanke, der uns kommt, muss Welt mit unseren ureigenen Zweifeln und achten. Und auf gute Ernährung. Ich kann zwangsläufig bearbeitet werden. Man darf Sorgen. Stattdessen hilft sie bei der Ver- mich auch fragen, warum ich esse, was ich Gedanken auch einfach mal weiterziehen drängung unserer wahren Gefühle. Und das esse. Die Vorliebe für Süßes und Fettiges in lassen. Auf diese Weise entsteht ein Ab- wäre dann das Gegenteil von Akzeptanz. Krisenzeiten hat übrigens auch alte evolutio- stand zu destruktiven Befürchtungen. näre Wurzeln: Fett und Zucker gaben Energie A Wir drücken beim Meditieren innerlich ber gerade im Annehmen des Ist-Zu- für den Kampf. Aber muss ich wirklich die „Pausentaste“, wie es der britische Psy- stands liegt ein weiterer Schlüssel für kämpfen? Kann ich nicht stattdessen etwas chologe Peter Fonagy genannt hat. Das hilft einen neuen Umgang mit Corona. finden, das mich begeistert und fordert? dabei, auf Stressoren dauerhaft anders zu „Ich kann die Pandemie nicht been- Dann komme ich vielleicht in einen „Flow“, reagieren. Der Autopilot, mit dem wir den“, sagt der Berliner Psychologe und der mich stärkt. Was könnte das sein? Warum sonst ungebremst durchs Leben rasen, Journalist René Träder, der gerade ein le- nicht mal wieder eine Stunde lang konzent- wird abgestellt. Wir nehmen das Steuer senswertes Buch zum Thema Resilienz und riert Musik hören? Igor Levit spielt wieder selbst in die Hand. Allein dadurch Achtsamkeit veröffentlicht hat. „Für mich die „Partiten“ von Johann Sebastian Bach, werden emotionale Ausbrüche von Angst ist es wichtig, nicht in die Opferrolle zu Lisa Smirnova die „Acht Großen Suiten“ oder Wut beherrschbarer – und eine ange- kommen. Hilfreicher ist es, die Verant von Georg Friedrich Händel. Oder Ulf messenere Reaktion wahrscheinlicher. wortung für mich selbst in der Krise zu Wakenius versüßt mein Leben mit dem erkennen. Ich kann an vielen kleinen Stell- „Taste Of Honey“ und Kompositionen WAS KANN ICH TUN? schrauben für mein geistiges und körper- von Paul McCartney. Ich kann meine Wahrnehmung schulen für liches Wohlergehen und für ein gutes das Gute und Schöne im Leben. Ich sammele Miteinander drehen. Ich kann autonom Ein kurzer Blick in den Werkzeugkasten: ein paar kleine Kieselsteine und stecke sie etwas für mein Leben tun.“ Da könnten in den kommenden Wochen morgens in die linke Hosentasche. Bemerke Meditationsübungen liegen, Akzeptanz, ich Momente der Freude, Neugierde, Begeis- WAS KANN ICH TUN? eine etwas andere Ernährung, besserer terung, Hoffnung, wandert ein Steinchen Ich kann Akzeptanz üben. Mich nicht daran Schlaf, regelmäßige körperliche Bewegung, von der linken in die rechte Hosentasche. abarbeiten, was außerhalb meines Einfluss- vielleicht Begeisterung für eine (wieder- Abends betrachte ich für ein paar Minuten bereichs liegt. Ganz im Sinne eines Gebets entdeckte) Leidenschaft, Bücher und die Steinchen, die sich dort angesammelt des amerikanischen Theologen Reinhold Musik. Fehlt noch: Humor. haben. Was war gut? Und warum? Niebuhr: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Zahlreiche Studien weltweit weisen dar- Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern auf hin, wie heilsam es in der Krise sei, Auch durch diese kleine Übung kommen kann, den Mut, Dinge zu ändern, die immer wieder herzhaft zu lachen. Denn wir von der passiven Sorge ins Handeln. ich ändern kann, und die Weisheit, das eine Lachen reduziert die Stresshormone Und das tut uns gut. vom anderen zu unterscheiden.“ Cortisol und Adrenalin und steigert die Hannes Zacher, Professor für Arbeits- Ausschüttung körpereigener Endorphine. und Organisationspsychologie an der Uni- Wenn Träder mit Menschen spricht, die Gemeinsames Lachen verbindet und versität Leipzig, untersucht seit einiger sich mit diffusen Ängsten vor den kom- schafft Nähe. Und gleichzeitig Abstand Zeit, wie sich bestimmte Strategien des menden Monaten sorgen, fragt er deshalb zur vermeintlichen Bedrohung. Umgangs mit der Corona-Krise auf die Le- immer nach dem Konkreten: Worin be- Das alles sind keine Großtaten. Aber benszufriedenheit auswirken. Sein Fazit: steht die Sorge genau? Und welche Gefüh- auch viele kleine Schritte führen zum Ziel. Entscheidend ist, ob man die Krise passiv le stecken hinter den Sorgen? „Viele Er- Corinna Bergmann* hat das am eigenen als Bedrohung oder aktiv als Herausforde- wachsene können zunächst nur sagen, dass Leib erfahren. Und an der eigenen Seele. rung betrachtet. sie sich gut oder schlecht fühlen“, hat Trä- Vor einigen Jahren hatte die 49-jährige „Immer da, wo Menschen aktiv etwas für der beobachtet. Er bohrt deshalb nach: Was Projektmanagerin aus Essen starke Rü- sich taten, ging es ihnen besser“, sagt der heißt gut? Und was schlecht? Fühlen sie ckenschmerzen. Weder Orthopäde noch Wissenschaftler. Das könne ganz simpel sich ängstlich? Hilflos? Wütend? Einsam? Neurologe fanden körperliche Auffällig- ein Spaziergang sein oder ein Treffen mit „Emotionen haben zwei Funktionen: Sie keiten. Irgendwann streikte auch ihre Psy- Freunden. „Wir verfügen alle über mehr weisen uns auf etwas hin, sie haben also che. Chronischer Stress war die Ursache. 4 28 15.10.2020
Manchmal darf die Welt auch draußen bleiben. Gedanklich. Und ganz praktisch. Was stärkt uns? Musik vielleicht?
Mit ein bisschen Übung können wir wahrneh- men: So grau ist die Lage gar nicht. Es gibt viel Gutes. Und nach Herbst und Winter kommt der Frühling
Bergmann wollte sich nicht mit einer Metastudie zufolge depressive Schmerzmitteln und Psychopharmaka Symptome besser als die meist vollstopfen. Stattdessen ging sie für zwei medikamentöse Standardbehandlung. Wochen in die Klinik für Naturheilkunde Je häufiger geübt wird, desto größer der und Integrative Medizin an den Evange- Effekt auf die Psyche. lischen Kliniken Essen-Mitte. Die Ärzte dort verordneten ihr eine Ernährungsum- An die Feuerprobe für die Wirksamkeit all stellung, Physiotherapie, Akupunktur, der kleinen Schritte erinnert sich Corinna Meditationseinheiten, Yoga und Bewe- Bergmann noch genau. Sie sollte in den USA gungstraining. Damit begann für Berg- einen Vortrag vor 200 Leute halten. Vor der mann eine erstaunliche Verwandlung. Therapie wäre das für sie der blanke Horror „Früher wollte ich von Meditation nichts gewesen. Doch nun konnte sie das Erlernte wissen. Heute denke ich: Sie gehört zu umsetzen. „Ich atmete tief in den Bauch. einer ganzen Reihe von Techniken und Und ruhte viel stärker in mir. Die Angst war Ideen, mit denen ich meinen Alltag bes- weg. Das war ein großartiger Moment. Ich ser bewältigen kann.“ spürte: Ich habe mein Leben wieder im Griff. Ich bin selbstwirksam.“ G ustav Dobos ist Internist und leitet die Und das auf lange Sicht. Bis heute weiß Klinik, in der Bergmann in Behand- Bergmann ziemlich genau, was sie braucht, lung war. Der 65-Jährige ist über- um seelisch stabil zu bleiben: Bewegung, zeugt, dass Stress und seine Sympto- Freunde, Ruhe, Yoga und gesunde, fleisch- me nur ganzheitlich gelöst werden und arme Ernährung. „Natürlich stressen mich Methoden aus der Naturheilkunde unsere Corona und die Ungewissheit“, sagt sie, Psyche für Krisen stabilisieren können: „aber ich fühle mich besser gewappnet für „Selbst bei der Behandlung leichter und die kommenden Monate. Die emotionalen mittelschwerer depressiver Beschwerden Ausschläge sind weniger heftig als früher. lassen sich mit Erfolg herkömmliche Ich reagiere nicht mehr wie auf Autopilot. Medikamente wie die häufig verschriebe- Ich kann meine Gedanken und Ängste wie- nen SSRI-Hemmer durch naturheilkund- der einfangen und mich selbst beruhigen. liche Strategien ergänzen oder ersetzen.“ Dafür bin ich ungeheuer dankbar.“ Für sein neues Buch „Die gestresste Seele“ Davon wiederum können wir lernen. hat Dobos zusammen mit seinem Thera- Begreifen wir die Corona-Krise als ein peuten- und Wissenschaftlerteam auf Basis trojanisches Pferd, in dem sich all unsere der Behandlung von rund 40 000 Patienten unbearbeiteten Gefühle, Ängste, Konflik- ein Achtwochenprogramm entwickelt, das te verbergen, dann verliert die Krise selbst viele bewährte Ansätze vereinigt: Feste ein wenig von ihrem Schrecken: Wenn wir Säulen sind eine ausgewogene mediterra- aktiv werden, uns unseren Gefühlen stel- ne Ernährung, ausreichend Bewegung und len und mit anderen darüber sprechen, Entspannungsübungen. kann uns das verbinden und stärken. Ein Weg, der Zeit braucht. Die Fähigkeit, Der Herbst ist da. Der Winter rückt nä- resilient auf die Widrigkeiten des Lebens her. Denken wir an Frederick, die Feldmaus, zu reagieren, kamen auch bei Corinna und fangen an zu sammeln. Mosaikstein- Bergmann nicht über Nacht. „Anfangs chen für Mosaiksteinchen. brauchte ich Selbstdisziplin. Aber nach Worauf wir auch vertrauen dürfen: Nach einiger Zeit merkte ich, wie aus dem Üben eine Art Gewohnheit wurde. Und mit Winter kommt Frühling. 2 dieser Gewohnheit entstand ein neues Tobias Schmitz setzt sich Lebensgefühl.“ seit Kurzem wieder jeden Morgen aufs Meditations- WAS KANN ICH TUN? bänkchen, schweift aber gedanklich nach spätestens drei Sekunden ab. Ich kann täglich spazieren gehen oder Illustrator Karsten Petrat kommt bei Spazier- Rad fahren. Ich kann mit Yoga oder Qigong gängen in den Parks seines Wohnorts beginnen. Ich komme in Bewegung. Toronto zur Ruhe. Oder beim Zeichnen Die gemütsaufhellenden Effekte sind durch viele Studien belegt. Und Yoga dämpft Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter 4 BUCHTIPPS GUSTAV DOBOS: RENÉ TRÄDER: NILS SPITZER: „Die gestresste Seele – „Das Leben so – nein! Ich so – „Schritte ins Ungewisse: Naturheilkunde für doch! Wie du besser mit Stress, Wie sich Ungewissheit Körper und Gefühle“, Krisen und Schicksalsschlägen im Leben besser aushalten Scorpio, 264 S., umgehst“, Ullstein, 336 S., lässt“, Springer, 195 S., 20 Euro 10,99 Euro 19,99 Euro 15.10.2020 31
Sie können auch lesen