KLANG Zäme Johle - Klanghaus Toggenburg - Peter Roth & Christian Zehnder im Gespräch - Der Echo Lotse - Über die Stille

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KLANG Zäme Johle - Klanghaus Toggenburg - Peter Roth & Christian Zehnder im Gespräch - Der Echo Lotse - Über die Stille
KLANG
Magazin der
 Klangwelt
Toggenburg

                 Zäme Johle — Klanghaus Toggenburg —
              Peter Roth & Christian Zehnder im Gespräch —
                     Der Echo Lotse — Über die Stille
Musik im
Toggenburg

                                                                                             Kirchberg
                                                                                                   21 21

                                                                                              Mosnang
Jodelchöre                                                                                                19

1  Churfirstenchörli
1  Jodelclub Thurtal
2  Jodelclub Säntisgruess             Musiker &
4  Jodelclub Männertreu Nesslau
4  Singchörli Laad                    Bands
4  Männerchor Bühl
4  Jodelgruppe Stockberg              2  Ischellner Churfirsten
5  Jodlerklub Bergfründ Ennetbühl     3  Peter Roth
8  Jodelchörli Hüsliberg              4  Willi Valotti
8  Jodlerterzett Speerchütz           7  Invade
8  Jodlerclub Ebnat-Kappel            8  Brandhölzler Striichmusig          Ländler-
9  Jodelclub Alpenrösli               8  Ozan Yildirim alias OZ
9  Jodlerklub Wattwil                 8  Toggenburger Klangquartett         musik
10  Männerchor Chrummbach             8  Heinz Büchel und «Die Regierung»
11  Heimetchörli Hemberg              8  Windbläss                          1  Peter & Peter
11  Bergbluemechörli Bächli           9  Bollocks                           3  Trio Gulmegruess
11  Goofechörli Hemberg               9  Toggenburger Orchester             3  Schwandner Buebe
13  Schmittechörli                    9  Schlorzi Musig                     3  Echo vom Battenberg
15  Jodelchörli Bütschwil             9  Il Mosaico                         3  Nadine Vetsch
16  Trachtenchörli Oberhelfenschwil   9  Till Ostendarp                     4  Katja Bürgler
18  Bäuerinnenchörli Nassen           9  Big Band Kanti Wattwil             8  Ländlertrio Tanzboden
19  Bergsonnechörli                   9  Hermann Ostendarp                  8  Simon Lüthi
19  Jodelchörli Heimetfreud           12  Konzertchor Toggenburg            9  Ländlertrio Chüeisgruess
19  Kinderjodelchörli Mosnang         14  BombrasstisCH                     11  Blatter-Roth
19  Landfrauenchor Mosnang            16  Matthias Ammann                   15  Bergsler Buebe
20  Jodelchörli Lütisburg             16  Dänu Wisler                       15  Türmli-Buebe
21  Jodelclub Kirchberg-Bazenheid     21  Paul Huber †                      15  Ofäloch-Höckler
1  Hotel Hirschen Bar             6  Irish Openair
                                       1  Klangwelt Toggenburg           7  Kraftwerk Club
                                       1  Klangfestival Toggenburg       8  Ackerhaus
                                       2  Stump’s Alpenrose              8  Dömli
                                       2  Klanghaus Toggenburg           8  Die Fabrik
                                       2  Zeltainer                      12  Chössitheater
22                                     5  Neu St. Johann                 12  Jazztage Lichtensteig
 Bazenheid
                                                                         12  Behind the Bush
  Lütisburg                          Veranstalter                        12  BeachtBar
 20                   Nassen
                                                                         12  Rathaus für Kultur
                                                                         15  Openair Bütschwil
                     18                                                  17  Kultur in Mogelsberg
      Oberhelfen-
                          Mogelsberg
      schwil
                     17                                                  21  Eintracht
1515 15 16 16
 Bütschwil       13           14
                                                                         Haben Sie Ergänzungen
                               Neckertal
                    Necker                                               oder Korrekturen? Wir
                                                                         erweitern die Liste in der
                                                                         nächsten Ausgabe.
      12 12                                                              info@klangwelt.swiss
       Lichtensteig
                                   Hemberg
                    10             11 11
       999          Chrummbach
       Wattwil

                 Ebnat-Kappel
                 88
                 88                Krummenau
                                77
                                             66
                                   5 5 Ennetbühl
                      Neu St. Johann
                                      44
                                      4 Nesslau                                         Wildhaus
                                                                Unterwasser
                                                                          2             333
                                                                 11      22
                                                    Alt St. Johann1
                                                                                  Klanghaus
                                                                                  Toggenburg
Zäme                               22
   8 Johle
                                       Klanghaus
                                       Toggenburg

                 36
                 Im Gespräch mit
                 Peter Roth

                     Christian     62
                     Zehnder       Geheimnisvolle Welt
                                   der Obertöne

56
Protoglärnisch

KLANG2020
fe
 es
   ti
20. Mai — 1. Juni 2020
        Alt St. Johann

                                                                            30
                                                   alpine urbane

    val
                                                        Sphären

                                                                            Hephaista und die
                                                                            drei Muske(l)tiere der
                             26                                             Klangschmiede
                             Paradigmenwechsel

                                                                     Halt die Klappe
                                                                   50
                                                                   Stille

                         46
                         Tromba
                         Marina

                                                                              74
                                                                              Kurse und
                                                                              Angebote

                                  70
                                  Der Echo-Lotse
IMPRESSUM

Produktion
Klangwelt Toggenburg

Konzeption / Redaktion
Christian Zehnder

Redaktion Mitarbeit
Nadine Bleiker, Raphael Gygax

Textbeiträge
Marcel Meili, Bettina Mittelstraß,
Sascha Erni, Wolfgang Saus,
Martin Sailer, Christian Zehnder

Grafik / Layout
vollprecht gestaltung

Fotos
© Samuel Trümpy, Titel
© Walter Mair, S.22
© Eric Lafforgue / Alamy Stock Foto, S 24 unten
© Pictorial Press Ltd / Alamy Stock Foto, S. 42
© Croes, Rob C., National Archives
  of the Netherlands / Anefo, S.43, oben
© Lebrecht Music & Arts / Alamy Stock Foto, S.43, unten
© Historisches Museum Basel, S.47
© Claudio Landolt, S.56, S.59, S.60
© Michael Wild, S.58
© Anderes Sehen, S. 74

Druck
Toggenburger Druckerei

Kontakt
Klangwelt Toggenburg
Sonnenhalbstrasse 22
9656 Alt St. Johann
T +41 71 998 50 00
info@klangwelt.swiss

Öffnungszeiten Klangschmiede
Dienstag bis Freitag
10–12 h / 14–17 h
Samstag und Sonntag
10–17 h (durchgehend)

     klangwelt.swiss/
     klangschmiede

Mit freundlicher Unterstützung

KLANG2020
Liebe Leserinnen
                          und Leser

 Auf dem Titelbild unseres neuen Jahresmagazin ruft ein junger Älpler
       im Gebet mit grosser Hingabe zu den Berggipfeln hinauf.
  Der Betruf und die Freude über die Schöpfung der Natur, aber auch
         die Demut und Andacht in ihr, werden heute von einer
jungen Generation im Erbe der Väter, Mütter und Ahnen in ganz neuem
       Selbstverständnis gepflegt und gelebt und dies quer über
   den ganzen Alpenraum. Tradition und Gegenwart verbinden sich:
              Dafür steht auch die Klangwelt Toggenburg.

    Nach dem kantonalen Ja zum Klanghaus vom letzten Jahr, wird
geplant, entwickelt und gebaut. Ein einmaliger Ort für die Begegnung
    zwischen Tradition und Moderne, Einkehr und Konfrontation,
Stille und Laut wird geschaffen. Neue, offene Räume ermöglichen die
     unterschiedlichsten Erfahrungen mit und durch den «Klang».
Unser neues Jahresmagazin soll neben all unseren Kultur- und Weiter-
       bildungsangeboten in Zukunft auch mehr Einblicke in die
Vielfalt und den Reichtum der grossen Vision «Klangwelt Toggenburg»
           geben. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim
  Eintauchen in unsere Geschichten, Themen und Anregungen rund
                        um das Thema Klang.

 Ein weiterer Höhepunkt in der Klangwelt in diesem Jahr ist das Klang-
        festival im Mai 2020, aber auch unsere Klangkurse bieten
 neben Bewährtem und Beliebtem auch viele neue spannende Angebote.
     Erstmals werden wir ausserdem eine ganze Kurswoche unter
  dem Namen «Tanz Xang Klang» durchführen. Neben dem regulären
        Kurs­a ngebot wird es diverse Rahmenangebote geben, die
speziell auch auf die Familien der Kursteilnehmenden ausgerichtet sind.
    Auch auf dem Klangweg gibt es Neuigkeiten: Drei Instrumente
werden ersetzt und Klangwanderer dürfen gespannt sein auf die neuen
                   Werke verschiedener Klang-Künstler.

   Wir würden uns freuen, wenn Sie uns im Toggenburg besuchen.

          Christian Zehnder                Raphael Gygax
         Künstlerischer Leiter             Geschäftsleiter
TOGGENBURG            8

              Zäme
              Johle

             Zäme
KLANG2020
             Johle
9

                           Zäme
             Sascha Erni   Johle
             Kaum mehr als einen Steinwurf vonei-
             nander entfernt proben sie wöchentlich,
             der Jodelclub Thurtal, das Churfirsten-
             chörli und der Jodelclub Säntisgruess. Im
             Sääli des Restaurants Alpina in Unter-
             wasser, im reformierten Kirchgemeinde-
             haus oder im Gasthaus «Schäfli» neben
             der Propstei in Alt St. Johann im oberen
             Toggenburg pflegen sie unermüdlich
             und schon über Generationen hinweg
             Althergebrachtes und stärken so die
             Gemeinschaft, das Brauchtum und ihre
             Tradition im Miteinander. Alle sind
             sie Hüter ihrer ureigenen Lebenskultur
             und der Magie der Naturtöne.
Zäme Johle
TOGGENBURG                                10

             Churfirstenchörli
             Wenn Eigenheiten verbinden

KLANG2020
11

Churfirstenchörli
TOGGENBURG                                                                           12

                   Das Churfirstenchörli Alt St. Johann-
                   Unterwasser fällt nicht nur durch
                   seine markante Gewandung auf. Als
                   ein­ziger Jodelclub der Gemeinde
                   singen hier Frauen mit, was dem Chor
                   eine ganz eigene Klang­farbe gibt.
                   Das Jahr 2020 wird ein volles Jahr fürs Churfirstenchörli und
             dessen Dirigentin Katja Bürgler. Im März steht in Nesslau ein Kon-
             zert mit einem russischen Kirchenchor an, später im Jahr das eidge-
             nössische Jodlerfest. Und natürlich sei auch das Klangfestival ein
             Höhepunkt für den Chor, schmunzelt Bürgler. Besonders freut sich
             die Dirigentin auf die Begegnungen mit fremdsprachigen Musike-
             rinnen und Musikern. Man könne sich mit den Menschen manch-
             mal zwar kaum verständigen, «aber das Musikalische funktioniert
             einfach.» Musikalisch funktioniert es auch fürs Churfirstenchörli.
             1985 gegründet, ist es der einzige Jodelclub in Alt St. Johann, der
             seit Anbeginn neben Männerstimmen auch Frauen singen lässt –
             zur Zeit beläuft sich das Verhältnis auf fünfzehn zu drei, eines der
             Chormitglieder ist Bürgler selbst.

                    Musikerin und Jodel-Quereinsteigerin
                    Katja Bürgler hat Musik im Blut, zum Jodel kam sie aber eher
             zufällig. Die Berufsmusikerin studierte Schwyzerörgeli in Luzern,
             dann fragte ein Jodelchor an, ob sie nicht mitsingen möchte. Nach
             verschiedenen Probebesuchen war ihr klar, dass sie helfen will –
             obwohl sie bis dahin keine Erfahrung mit Dirigieren und Jodeln
             hatte. «Ich habe dann mit 21 Jahren etwas blauäugig meinen ersten
             Chor dirigiert. Das war sehr streng», lacht Bürgler. Sie fand es aber
             spannend, vor 20 Männer hinzustehen und glaubwürdig zu ver-
             mitteln, wie «der Hase zu laufen habe». Also bildete sie sich weiter,
             gut ein halbes Jahr lang etwa beim bekannten Volksmusiker und
             Dirigenten Willi Valotti. «Das war praktisch eine massgeschnei-
             derte Dirigentenausbildung», erinnert sie sich.

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                      Nun dirigiert die 30-Jährige seit 2014 das Churfirstenchörli.
               Zentral sei dabei, dass sich Chor und Dirigentin nicht nur musika-
               lisch verstehen, sondern auch zwischenmenschlich. Ohne diese
               Verbindung könne man nicht wirklich gemeinsam singen, meint
               sie. Geprobt wird einmal pro Woche rund eineinhalb Stunden lang,
               die Vorjodler besuchen zusätzliche Proben.
                      Vor dem jährlichen Anlass «Zäme Johle», bei dem die drei
               regionalen Jodelchöre jeweils gemeinsam auftreten, kommen
               zusätzliche Koordinationsaufgaben auf Bürgler zu. Nicht nur
               kümmert sie sich um die Platzreservationen, die drei Dirigenten
               müssten sich auch früh absprechen, damit das Publikum nicht
               gleich drei Mal denselben Jodel zu hören bekomme. Bei «Zäme
               Johle» hat sie mit dem Churfirstenchörli auch schon Eigenkompo-
               sitionen uraufgeführt.

                      Jodel auch abseits der Tradition
                      Die Zusammensetzung des Churfirstenchörlis mit Männer-
               und Frauenstimmen gebe dem Chor eine besondere Klangfarbe,
               sagt Bürgler. Die Liedersuche gestalte sich deswegen aber nicht
               schwieriger als in einem reinen Männerchor. Das Churfirsten­
               chörli hat vorwiegend Jodellieder und Naturjodel im Repertoire.
               Einiges hat die Dirigentin auch selbst komponiert, anderes bekam
               der Chor von Peter Roth geschenkt. «Das Traditionelle ist ja auch
               irgendwann mal ausgeschöpft», sagt sie. Es sei Wahnsinn, was in
               der Region jodeltechnisch laufe, schwärmt Bürgler. Das Niveau sei
               bei fast allen der gut dreissig Chöre im Alpsteingebiet eindrück-
               lich hoch. Wie auch ihre Kollegen bei den zwei anderen Jodelclubs
               in Alt St. Johann, schätzt sie die gute lokale Zusammenarbeit. Es
               gebe kein Konkurrenzdenken, im Gegenteil: «Jeder Club hat seine
               Eigenheiten und das ist unheimlich schön.»

Churfirstenchörli
TOGGENBURG                                   14

             Jodelclub Thurtal
             Seit 30 Jahren jung geblieben

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Jodelclub Thurtal
TOGGENBURG                                                                           16

                   Seit gut zwei Jahren ist Martin Koller
                   Präsident des Jodelclubs Thurtal
                   Unterwasser. Als Jodler lebe man die
                   Tradition und das Brauchtum,
                   erklärt der 29-Jährige im Gespräch.
                    Martin Koller ist gut gelaunt, denn als Präsident des Jodel-
             clubs Thurtal kann er auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken.
             Über ein Dutzend offizielle Auftritte hatte der Verein in den letzten
             zwölf Monaten. «Manchmal sind es mehr im Jahr, manchmal weni-
             ger, aber wir kommen auf alle Fälle herum», sagt Koller. Einmal im
             Jahr singen die Mannen in Bern, ansonsten ist der Jodelclub vorwie-
             gend zwischen dem Bündnerland, Thurgau und Zürich unterwegs.
             Am häufigsten tritt der Jodelclub Thurtal aber in seiner Heimat-
             gemeinde Alt St. Johann auf. Auch der Mitgliederbestand sei stabil
             geblieben, freut sich Koller, und der Verein habe mit 47 Jahren einen
             guten Altersdurchschnitt. «Momol, wir sind sehr jung geblieben»,
             schmunzelt er.

                    Der Chor als Fundament für die Jodler
                    Das Jugendliche gehört zur DNA des Jodelclubs Thurtal.
             1986 gingen fünf junge Männer die Vereinsgründung an, weil der
             Jodelclub Säntisgruess, in dem ihre Väter sangen, selbst keine Mit-
             glieder mehr aufnahm. Der Säntisgruess sei da in einer glücklichen
             Lage gewesen, erzählt Martin Koller. Umgekehrt wurde aber nur
             so der Jodelclub Thurtal überhaupt möglich. Schnell wuchs die
             Gruppe auf 13 Mannen an, 1988 war dann die offizielle Gründungs-
             versammlung. 2014 ist Koller dem Jodelclub Thurtal beigetreten,
             seit 2018 ist er dessen Präsident. Heute hat der Verein 16 Mitglieder
             im Alter zwischen sechsundzwanzig und vierundsechzig, geprobt
             wird jeden Dienstagabend im Gasthaus Schäfli in Alt St. Johann.
                    Martin Koller ist durch sein Umfeld zum Gesang gekom-
             men. Seit 2010 singt er im katholischen Kirchenchor und ist dort
             auch im Vorstand. «Es ist so, dass man hier die Tradition und
             das Brauchtum lebt.» Und das nicht losgelöst für sich, sondern in

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               der Gemeinschaft. Als Jodler sei man zum Beispiel oft bei Alpauf-
               oder -abfahrten bei befreundeten Landwirten oder der Familie
               involviert. Viehschauen, aber auch Hochzeiten sorgen für weitere
               Anknüpfpunkte mit der Gemeinschaft. Tradition und Brauchtum
               seien in einem Glied verbunden, wie Koller sagt. Talerschwingen,
               Jodellieder, Schellenschötte aber besonders Naturjodel gehören
               entsprechend beim Jodelclub Thurtal zum festen Programm, denn:
               «Tradition wird bei uns ganz gross geschrieben.» So, wie sich der
               Jodelclub und jeder Sänger in die Gemeinschaft einbringe, stehe
               auch der Jodler nicht für sich alleine. Es gehe um das gelungene
               Zusammenspiel zwischen den einzelnen Sängern und dem Chor,
               erklärt Koller. Ja, man müsse individuell einsingen und die Männer
               müssten daheim auch üben. «Aber den Chor braucht es als Funda-
               ment. Er ist der Boden für den Jodler.»

                      Kaum Nachwuchsprobleme
                      Die Zeiten haben sich gewandelt, viele Vereine haben Mühe,
               Nachwuchs zu finden. Heute sei die Mitgliedersuche tatsächlich
               nicht mehr ganz so einfach wie damals, als der Jodelclub Thurtal
               gegründet wurde, bestätigt Koller. Man müsse die Augen offen hal-
               ten und konstant um Interessenten werben. «Man kann neue Mit-
               glieder ja nicht vom Baum pflücken», lacht er. Dennoch hatte der
                              Jodelclub Thurtal in drei Jahrzehnten kaum Nach-

  Johle und                   wuchsprobleme und bewegte sich laut Koller immer
                              zwischen 16 und 18 Mitgliedern. Es sei schön, dass
  Gradhebä                    die Gemeinde gleich drei aktive, etablierte Jodel-
  Unsere Johle und Grad-      chörli habe – und dass kaum Konkurrenzdenken
  hebä Kurse sind Kult.       existiere. «Wir stehen nicht im Wettbewerb. Wir
  Tauchen Sie ein in die
  Welt der Naturtöne und      ergänzen uns, helfen uns auch gerne gegenseitig
  lernen Sie Lieder der       aus», so Martin Koller.
  Alpsteinkultur.
        klangwelt.swiss/
        klangkurse

Jodelclub Thurtal
TOGGENBURG                              18

               Jodelclub
              Säntisgruess
             Der Klang im Vordergrund

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Jodelclub Säntisgruess
TOGGENBURG                                                                          20

                   Der Säntisgruess ist der älteste
                   bestehende Jodelchor Alt St. Johanns.
                   Hans-Jakob Scherrer dirigiert ihn
                   seit 30 Jahren und setzt das Haupt­
                   augenmerk vor allem auf den Klang.
                    Als wir Hans-Jakob Scherrer im November treffen, ist der
             Dirigent des Jodelclubs Säntisgruess in Gedanken bereits nahe
             am neuen Jahr. Denn Ende Dezember findet mit «Zäme Johle»
             zum zehnten Mal ein Highlight der regionalen Jodlerszene statt:
             Die drei lokalen Jodelchöre bieten alljährlich in der Klosterkirche
             ein Bouquet aus Naturjodel, Jodelliedern und Instrumentalmu-
             sik. Und jedes Jahr ist die Kirche proppenvoll, Hunderte lassen
             sich von den Naturklängen verzaubern und inspirieren. «Es ist
             spannend, wie unterschiedlich die drei Chöre klingen, obwohl wir
             vom selben Flecken stammen», sagt Scherrer. Als ältester der drei
             Jodel­clubs – der «Säntisgruess» entstand 1958 – hat der Chor eine
             bemerkenswerte Stabilität bewiesen. Hans-Jakob Scherrer ist erst
             der fünfte Dirigent seit der Gründung. «Und noch vor zwei Jahren
             sang Hans Alpiger, eines der Gründungsmitglieder, bei uns mit»,
             freut sich Scherrer.

                   Auf Toggenburger Musik spezialisiert
                   Nach seiner Lehre arbeitete Hans-Jakob Scherrer als Pöstler
             im Obertoggenburg. Schnell kam er in Berührung mit dem regio-
             nalen Naturjodel, 1988 nahm ihn Peter Roth als Vize-Dirigent in
             den Säntisgruess auf. 1989 folgte Scherrer in dessen Fussstapfen.
             Aber eigentlich gehen seine gesanglichen Wurzeln weiter zurück.
             «Gesungen haben wir daheim schon immer», erinnert er sich an
             seine Kindheit. Besonders geprägt hat ihn dabei die Mehrstim-
             migkeit, etwa, wenn die Mutter in der gewölbten Küche sang. «Im
             Säntisgruess habe ich den Naturjodel dann von Grund auf erlernt.»
             Der Jodelclub ist auf die Traditionen des Toggenburgs spezialisiert,
             neben Liedern sind später auch Peter Roths Toggenburger Psal-
             men und die Toggenburger Jodlermesse hinzu gekommen.

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                      Neue Lieder für den Chor zu finden, das sei fast die schwie-
               rigste Aufgabe eines Dirigenten, meint Scherrer. Nicht wegen des
               Niveaus oder Stimmumfangs, viel mehr sei es die Herausforderung,
               Stücke zu finden, die zur Persönlichkeit des Jodelclubs und dessen
               20 Mannen passen. Scherrer sagt: «Ich mache eigentlich alles über
               den Klang.» Damit erscheine der Säntisgruess vielleicht nach aus-
               sen weniger «produktiv» als andere Chöre – rund um den ­Säntis gibt
               es um die dreissig davon. Eine echte Konkurrenzsituation bestehe
               aber zumindest im Dorf kaum. Man ergänze sich in den musikali-
               schen Unterschieden und gehe generell äusserst kollegial mitein-
               ander um. So hat Scherrer nicht nur 30 Jahre lang den Säntisgruess
               dirigiert, sondern auch in anderen Chören ausgeholfen und als Diri-
               gent Kolleginnen und Kollegen in Sachen Klang beraten. Und auch
               beim «Zäme Johle» wird er wohl wieder eine Schlüsselrolle spielen.

                       Musikalisch vielfältig unterwegs
                       Obwohl ihn der berufliche Werdegang als stellvertretenden
               Teamleiter in die Uznacher Post verschlagen hat, spielt die Musik
               eine zentrale Rolle in Scherrers Leben. Er spielt Geige und Akkor-
               deon, ausserdem gibt er Kurse für die Klangwelt, zum Beispiel im
               März das dreitägige Seminar «Johle und Gradhebä».
                       Einer seiner ersten Jodel, den Peter Roth fürs Weihnachtsspiel
               des Kirchenchors Alt St. Johann komponiert hatte und den Scher-
               rer als Bub sang, hat es ins Repertoire des Säntisgruess geschafft.
               Scherrer schätzt es, auf Sänger und Dirigenten zu treffen, die etwas
               von ihm übernommen oder gar verbessert haben. «Wenn ich in all
               den Jahren etwas gelernt habe, dann, sich über und für andere zu
                                  freuen.» Er möchte möglichst wenig Leistungs-

  Zäme Johle                      druck für seine Musik. Denn wie Hans-Jakob
                                  Scherrer sagt: «Dann muss ich nicht. Dann kann
  Alljährlich treffen sich die
  drei Jodelclubs Säntis­         ich. Müssen muss man im Beruf schon genug.»
  gruess, Churfirstenchörli
  und Thurtal zum Jahres-
  ende in der katholischen
  Kirche in Alt St. Johann,
  um zusammen zu johlen.
  Datum — 29./30. Dez. 2020
  Beginn — 20 Uhr
  Kosten — Eintritt frei
           (Kollekte)
        zaeme-johle.ch

Jodelclub Säntisgruess
TOGGENBURG                                22

             Marcel Meili (März † 2019)

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                       Klanghaus Toggenburg
                             Eine ethnologische Erfahrung

     A
                                                   meine Sympathie, wenn er seine Grenzen
                                                   hütet. Mit Hans-Jürg Sommers «Moos-
                uthentizität ist wahrschein-       ruef» im Ohr ist mir begreiflich geworden,
lich der Begriff, der auf alle Musiker, die im     warum sich eine Musik nur zögernd ver­
Klanghaus einst Musik machen werden,               ändert, und sich eben nicht mit allem ande-
gleichermassen zutrifft. Als «Echtheit» oder       ren «crosst»: Ein Dutzend herausragende
«historische Wahrheit» bliebe der Begriff          Alphornspezialisten unter der Leitung eines
leere Formel. Was aber Volksmusiken mit            emphatischen Jazzers haben ausgereicht,
anderen Musikformen in ihren Wurzeln               um dem «Ruef» einen neuen, umwerfenden
verbindet, ist Authentizität als eine Form des     Klang abzugewinnen. Diese Zurückhal­-
«Bei-sich-selber-Seins». Das Klanghaus             tung gegenüber allem, was sich mit allem
wird der Intimität dieser Erfahrung einen          anderen mischt, beschleicht mich in der
Raum geben.                                        Kunst oft. Aber dann habe ich auch fasziniert
       Für die Recherche für das Klanghaus         jenen schrägen Vögeln aus dem Wallis oder
bin ich ziemlich weit herumgekommen.               der Innerschweiz zugehört, die so schamlos
Sie geriet zu einer Reise ins Innere der Schwei­   auf den Rändern herumtanzten.
zer Volksmusik, die so nicht geplant war.                  Immer waren es persönliche Begeg­
Zahlreiche Gespräche mit Volksmusikern             nun­gen, die meine Sicht veränderten: Mit
und auch mit experimentellen Musikschaf-           dem alten Vorjodler im Muotathal, der mir
fenden sowie eine Menge CDs und Filme               in der Küche das Natur-Fa vorgesungen hat,
machten diese Recherche zu etwas, womit            mit dem unglaublichen Büchelsolo im
ich als Architekt noch nie zu tun hatte.           selben Tal, mit dem Meister des Schwyzer­
Das war keine «Programmabklärung»,                 örgelis im Toggenburg, der mich in seine
son­dern eine ethnologische Erfahrung in           Jazz-­Sammlung einführte.
einer mir kaum bekannten Welt.                             Ohne solche Erlebnisse wäre das Pro­-
       Mit der Zeit wurde mir klar, wie weit       ­jekt vielleicht eine virtuose Architektur
die Kultur über die Musik hinausreicht,            geworden, mehr nicht. Aber ich wollte eine
weil sie einem Lebensgefühl Ausdruck gibt,         Antwort finden auf die Frage, wie sich
von dem ich annahm, dass es am Verglim-            Architektur und Musik überhaupt begegnen
men sei. Aber ich habe auch gesehen, wie viel      können. Der Einblick in eine stolze Kultur
Gegenwart in diese Lebenswelt schon ein-           hat mich zwei Dinge gelehrt: Nur eine Archi­
gedrungen ist, scheinbar ohne Schmerzen.           tektur, die sich ihrer eigenen Regeln sicher
Und ich begann zu ahnen, warum sich in              ist, hat der Musik überhaupt etwas zu sagen.
dieser Musik nur wenig bewegt. Je mehr ich         Und: Es gibt tatsächlich verborgene Linien,
zuhörte, desto mehr gewann etwa der Jodel          wo die Begegnung aufregend wird.

Klanghaus Toggenburg
TOGGENBURG                                                   24

             Einer der Entwürfe von Marcel Meili für den
             Klangraum mit einer Resonanzwand, die auf den
             Konzertsaal in Isfahan (Iran) zurückgeht.

KLANG2020
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                       Die geschnitzte Rosette im heimischen Hackbrett-
                       bau öffnet auch in der Architektur des Klanghauses
                       spezielle Resonanzräume für die Klangentfaltung.

Klanghaus Toggenburg
TOGGENBURG                                                                            26

                   Paradigmenwechsel
                                          Sascha Erni

                     Das Klangfestival stellt sich 2020 unter dem Motto «Alpine
             urbane Sphären» neu auf. Täglich wechselnde Themenschwer-
             punkte, viel Instrumentalmusik und das 1. Naturton und Oberton
             Symposium gehören zu den Höhepunkten.
                    Vom 20. Mai bis 1. Juni klingt es wieder in Alt St. Johann. Das
             Klangfestival Toggenburg wird unter dem Motto «Alpine urbane
             Sphären» wieder Stimmen aus aller Welt beherbergen. Aber nicht
             nur. «Die letzten Jahre verlief das Klangfestival eigentlich immer
             ähnlich», erklärt Christian Zehnder. Der künstlerische Leiter der
             Klangwelt möchte dies 2020 auch mit Blick auf die gewonnene
             Klanghaus-Abstimmung ändern. «Bisher gab es meistens jeden
             Abend einen Jodelchor, dann etwas Internationales, und am Ende
             sangen alle gemeinsam», sagt Zehnder. Neu ist das Festival in The-
             mentage organisiert, und auch Musikinstrumente sollen eine Rolle
             spielen. Im Zentrum werden laut Zehnder weiterhin Natur- und
             Kunststimmen stehen. Aber Instrumente und Instrumentalen-
             sembles hätten nun auch ihren festen Platz. Mit vielen Konzerten,
             Klanginstallationen, aber auch Kursen und vor allem dem 1. Inter-
             nationalen Naturton und Oberton Symposium möchte das Klang-
             festival fit fürs nächste Jahrzehnt werden: «Das diesjährige Festival
             ist ein Aufbruch», so Zehnder.

                    Naturtönigkeit als gemeinsamer Nenner
                    Für Peter Roth stellen die Thementage sowie das Einbe-
             ziehen von Musikinstrumenten die interessantesten Punkte des
             kommenden Klangfestivals dar. Als Initiator des Naturstimmen-
             Festivals, wie das Klangfestival ursprünglich hiess, war Roth
             von Anfang an mit dabei. Anlässlich des 850-Jahr-Jubliäums der
             Gemeinde Alt St. Johann organisierte er übers gesamte Jahr 2002
             ein multinationales Chorprojekt. «Wir haben sechs Chöre im Dorf,
             damals vor der Fusion also auf 1400 Einwohner. Das wollte ich her-
             ausstreichen», erinnert er sich. Das Projekt kam gut an, also schlug
             Roth vor, 2004 ein erstes Naturstimmen-Festival auf die Beine zu
             stellen. Der Vorläufer des heutigen Klangfestivals war geboren.

KLANG2020
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               kla
                                        Klangfestival
                                         Toggenburg
                                               2020

                  ng
               fe
                es
                  ti
               20. Mai — 1. Juni 2020
                       Alt St. Johann

                                           alpine urbane

                   val
                                                Sphären

Paradigmenwechsel
TOGGENBURG                                                         28

                                                na
                                                     1. Naturton
                                                    und Oberton
                                                     Symposium

                                                  tur
                                                           2020

                                                    ton
             19.— 23. Mai 2020 Alt St. Johann

                                                ober
                                                   ton
KLANG2020
29
                     Immer sei das verbindende Thema die Naturtönigkeit
             gewesen, die «untemperierte Stimmung», eine Charakteristik des
             ­Natur­jodels und auch der Musiktraditionen von Naturvölkern aus
              aller Welt, ergänzt Peter Roth. Er freut sich besonders darüber, dass
             2020 am Klangfestival auch Instrumente ihren Platz haben wer-
             den. «Bisher war es ein reines Stimmenfestival, daher nannten wir
             es ursprünglich auch Naturstimmen-Festival. Die Instrumente
             erweitern nun die Palette grossartig.» Am Ansatz mit den Themen-
              abenden schätze er besonders, dass das Festival
              so gezielter aufgebaut und die Formationen weni-      Klang-
                                                                    festival
              ger zufällig zusammengewürfelt seien. «Das ist
             ein wahrer Paradigmenwechsel», freut sich Roth.
                                                                    Alpine und urbane Klang-
                                                                    sphären am 9. Klangfes-
                    «Resonanz ist das Thema jedes Musikers»         tival Toggenburg. Nebst
                    Ein weiteres Highlight des Klangfestivals,      9 Konzerttagen bietet
             nicht nur aus Sicht von Peter Roth, dürfte das         das Festival ein attraktives
                                                                    Rahmenprogramm mit
             1. Internationale Naturton und Oberton Sym-            Kursangeboten, Klangkunst
             posi­um werden. Vom 19. bis 23. Mai treffen sich       und vielem mehr. Das
                                                                    Festival findet vom 20. Mai
             Experten, Wissenschaftlerinnen und ­     natürlich
                                                                    bis 1. Juni 2020 statt.
             auch Musiker und interessierte Laien in der Props-
                                                                       klangwelt.swiss/
             tei Alt St. Johann, um sich in Referaten und              klangfestival
             Meisterkursen (im Hotel Hirschen Wildhaus) über
             die Macht und Schönheit musikalischer Schwingungen auszutau-
             schen. Auch Peter Roth wird einen Vortrag halten. «Resonanz ist
             das Thema jedes Musikers», erklärt er. «Wir als Klangmenschen
             sind Spezialisten für Schwingungen und dafür prädestiniert, Leute
             unterschiedlicher Disziplinen wie Physik, Medizin und Biologie
             durchaus auch wissenschaftlich zusammenzubringen.» Generell
             sollte sich die Klangwelt in Zukunft vermehrt auch auf Kongresse
             und Konferenzen konzentrieren, meint er. Das Symposium sei ein
             erster Schritt in diese Richtung.
                    Musikalisch erwartet die Besucherinnen und Besucher des
             Klangfestivals wie gewohnt eine bunte Auswahl verschiedenster
             Stimmen, Klänge und Genres. Aber auch hier gibt es gewisse Ände-
             rungen, erklärt Christian Zehnder. «Wir müssen heute auch den
             ökologischen Fussabdruck bezüglich der Programmwahl einbe-
             ziehen. Aber natürlich bleibt das Klangfestival weiterhin interna-
             tional», so der Künstlerische Leiter. «Unsere Gäste dürfen sich auf
             spannende, unerhörte und berührende Begegnungen und Erleb-
             nisse über die hehre Bergwelt hinaus freuen.»

Paradigmenwechsel
TOGGENBURG                             30

  Das Werkzeug der Hephaista (Göttin
  des Feuers und der Schmiedekunst)

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               Martin Sailer

                            Hephaista und die
                           drei Muske(l)tiere der
                              Klangschmiede
                           Urklang geformt aus der Glut der Esse

                      D      as Betreten der Klangschmiede ist ein Eintauchen in
               eine andere, fast vergessene und beinahe historische Welt. Dun-
               kel, russig, mystisch und voll gepackt mit Gegenständen wie Esse,
               Kamin, Amboss, unzähligen Hämmern, Gesenken, Schraubstö­
               cken, Werkbänken, Zangen, Kohlesäcken und Blechen. An der Decke
               der von Sepp Brand gestaltete Schellenhimmel. Dazu das wunder-
               schöne Wasserrad gleich draussen vor der Schmiede. Imposant
               und stoisch läuft es und liefert Antrieb und Strom.
                      Im Innern wird gehämmert und geschmiedet. Nicht immer,
               aber immer öfter. Die Schmiedekurse der Klangwelt Toggenburg
               sind sehr beliebt. Das hat gute Gründe: Schmieden ist archaisch
               und elementarstes Handwerk. Wenn zum Schluss dann das ge­­
               formte Stück Eisen endlich ein erstes Mal erklingt, breitet sich
               schon fast etwas Feierliches, ja Magisches in der Werkstatt aus und
               belohnt all die Mühen der Arbeit am Metall. Dieser mit Schweiss
               und aus Eisenerz gehauene Klang geht tief und ist in der heutigen
               schnelllebigen und zunehmend digitaleren Welt ein elementares
               Erlebnis. Ich jedenfalls hatte Glücksgefühle und vergass die Zeit,
               als ich seinerzeit meine erste Schale schmieden durfte.
                      Die Klangschmiede ist ein essentieller, archaischer Ort: Aus
               ihm schöpft die Institution Klangwelt Toggenburg ihre Kraft, den
               Urklang und die Inspiration für alles was später in den verschie-
               densten Formen und Verbindungen in Schwingung kommt, sei es
               auf den Weiden, Berghängen, im «Schellenschötten» der Bauern,
               beim Johlen, Juuzen oder Musizieren im Ensemble. Die Kraft der
               glühenden Esse schwingt immer und überall mit.

Hephaista und die drei Muske(l)tiere der Klangschmiede
TOGGENBURG                           32

  Eveline Kesseli      Sepp Brand

  Hanspeter Breitler   René Soller

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33
                     All das wäre aber nichts ohne die Personen, welche unsere
               Klangschmiede zum Leben erwecken und die Kunst weiterver-
               mitteln: Unsere Schmiedin und die drei Schmiede. Sie machen den
               Raum zu einem Ort des Machens, des Handwerks, der Vermittlung
               und des bleibenden Eindruckes. Allerhöchste Zeit, sie genauer vor-
               zustellen:

                      Eveline Kesseli
                      Eveline begegnet man gerne und schnell wird klar, dass ihr
               Herz und ihre Leidenschaft ganz der Schmiedekunst gehören – mit
               all ihren Facetten. Dass eine Frau doch eher eine Exotin in der Bran-
               che ist, stört sie nicht oder sie hat sich eben längst daran gewöhnt.
               Die Ausbildung zur Drogistin war nichts für sie, das merkte sie
               schnell. Schmiedin / EFZ sollte es sein und ist es seit 1999 bis heute
               geblieben – zum Glück. Auch für die Klangwelt Toggenburg, denn
               Eveline bietet seit Jahren Kurse, professionell geführt und mit Herz
               geleitet. Obwohl sie auch in der Restaurierung tätig ist, wendet sie
               ihr Können immer öfter auch auf zeitgemässe Metallgestaltung an
               und das mit Erfolg. Sie kann vom Schmiedeberuf und Kunsthand-
               werk leben. Wer mal auf www.schmiedin.ch schmökert, staunt ob
               der vielfältigen Schaffenskraft. Seit 2008 ist sie als selbständige
               Schmiedin in ihrer eigenen Werkstatt in Krummenau tätig.

                     Hanspeter Breitler
                     Der Kunstschmied aus Unterwasser ist ein treuer Gastgeber
               in der Klangwelt. Oft bietet er Kurse an oder schmiedet während
               unseren Führungen. Auch er ist Schmied mit Herz und Seele. Seine
               Kreativität kennt fast keine Grenzen, das wird auch klar, wenn man
               auf www.kunstschmiede-unterwasser.de surft oder durch Unter-
               wasser fährt und gleich nach der Tankstelle über die Vielfalt der
               Objekte staunt. Hanspeter ist der Chef seines Familienbetriebes.
               Alle Breitlers scheinen vom Schmiedevirus infiziert zu sein. Er
               spricht ruhig und direkt, man hört automatisch ganz genau hin,
               wenn er Instruktionen gibt. Obwohl er nie Lehrer war, kommt sein
               Wissen an unseren Kursen ganz genau rüber und er vermittelt auf
               wunderbare Weise sein riesiges Können weiter. «Übereinstimmung
               von Form und Technik ist das zentrale Leitmotiv bei der Gestaltung
               von Metallarbeiten», meint Hanspeter. Auf den Punkt gebracht und
               einleuchtend, wenn man bei ihm über die Schultern schaut.

Hephaista und die drei Muske(l)tiere der Klangschmiede
TOGGENBURG                                                                                        34
                   René Soller
                   www.kreativschmiede-soller.ch heisst Renés Homepage und
             der Name ist Programm. Kreativität sprüht er mit jeder Faser sei-
             nes Körpers aus. Seit zehn Jahren arbeitet er in der Klangschmiede
             und bietet seine begehrten Kurse an. Immer wieder beschreitet er
             dabei neue Wege wie Weihnachtssterne schmieden oder am Valen-
             tinstag Herz-Schmieden für Paare. Er «feuervermessingt» Schel-
             len im eigens entwickelten und selbstgebauten mobilen Ofen. Auch
             bei René ist die Liebe zur Schmiedekunst stets
             spür- und sichtbar. Er macht nicht einfach sei-
             nen Job, er lebt dafür. Das ist eine Eigenschaft,       Schellen-
             welche ich bei Handwerkerinnen und Hand-                schmieden
             werkern generell feststelle und schätze. Die          Ein nachhaltiges und ein-
             innere Verbundenheit zum Beruf – so muss              drückliches Erlebnis ist das
                                                                   Schellenschmieden.
             es sein. René ist kein Blender, sondern ein lie-
                                                                   Die Klangwelt bietet laufend
             benswerter, offener und warmherziger Mensch.          verschiedene Kurse rund
             Überzeugen Sie sich selbst und buchen Sie             um dieses archaische Kunst-
                                                                   handwerk an.
             einen Kurs beim Kreativschmied Soller.
                                                                         klangwelt.swiss/
                                                                         klangkurse
                     Sepp Brand
                     Zu Sepp könnte man Bücher füllen. Er ist oft bei uns anzutref-
             fen. Gerade letzten Herbst wurde es sehr intensiv, als er für einen
             verrückten Auftrag seine Zusage gegeben hat. Es galt, eine riesige
             Schelle zu schmieden für die «Lotti» – eine fast 3 Meter grosse
             Holzkuh und prunkvolles Ausstellungsobjekt an diversen Messen
             in der ganzen Schweiz – welche weitaus grösser sein sollte, als eine
             normale Kuhschelle. Sepp machte sich kurzum an diese eigentlich
             fast unlösbare Herausforderung und verbrachte wochenlang an
             der Esse. Ein wenig verrückt und vernarrt in die Schmiedekunst ist
             er ja schon, der Sepp. Aber genau das macht ihn aus: Kein Problem
             ist zu gross, keine Herausforderung wird von ihm gemieden. Sepp
             hat auch ein eigenes Schellenmuseum in Libingen, welches über
             1000 Schellen aus aller Welt beheimatet. Er weiss alles über sein
             Handwerk und lässt andere sehr gerne an seiner Freude teilen. Sei
             es an Führungen in der Klangschmiede, an Kursen oder eben bei
             sich im Museum; wenn man zu Sepp geht, muss man immer genug
             Zeit einplanen, denn Gespräche mit ihm können dauern. Zu gross
             ist seine Liebe und sein Wissen zur Schmiedekunst und man hört
             ihm auch einfach gerne zu.

KLANG2020
35

Hephaista und die drei Muske(l)tiere der Klangschmiede
MUSIK                   36

              Peter
              Roth

            Christian
            Zehnder
KLANG2020
37

Im Gespräch mit Peter Roth
MUSIK                                                                                        38
               Christian ZehnderLieber Peter Roth. Das Klanghaus wird nach langem, uner-
                      müdlichem und überzeugendem Engagement gebaut. Es ist, neben
                      deinem Schaffen als Komponist, dein Lebenswerk. Da trete ich als neuer
                      Künstlerischer Leiter ein grosses Erbe an. Bist du jetzt so etwas wie
                      im «Ruhestand»?

        Peter Roth Es öffnet sich mir eine andere, neue Qualität des Lebens in den
               Schaffensraum der Ruhe hinein. Früher war ich oft so eingespannt
               und gefordert mit der Klangwelt und all den Sitzungen, Konzept-
               entwicklungen, dem Vermitteln und dem ständigen Suchen nach
               Unterstützung und Geld, dass ich daneben eher ein Feierabend-
               komponist geworden bin. Seit es mich im operativen Bereich nicht
               mehr so braucht, habe ich natürlich viel mehr Musse und Ruhe; und
               die Ruhe und Stille sind ja die eigentliche Inspirationsquellen für
               uns Musiker. Darum gehen wir ja auch in entlegene Bergtäler. Ich
               gehe nächstens wieder auf den «Monte Vérita» im Tessin, um mich
               zurückzuziehen und zu komponieren. Etwas Substanzielles kann
               nur aus der Stille entstehen und das ist auch etwas, das unsere Zeit
               wirklich noch grundlegend lernen muss: Dass die Reduktion und
               Hinwendung zur Stille ein riesiges Potenzial freisetzt. Die Hin-
               wendung zur Stille und das Schöpfen von Fülle als Musik; «Ver-
               dichtung in der Beschränkung». Hier sind wir Musiker nicht nur
               Schamanen, sondern auch Mystiker.

               Christian ZehnderIch liebe Flüsse, Bäche und Wasserfälle: Fliessende, ewige
                      Musik ist das für mich. Sie haben Töne, ja sogar richtige Tonarten,
                      wenn man den Gewässern richtig in die Tiefe horcht. Der Wasserfall
                      in Unterwasser klang bei meinem letzten Besuch wie ein C-Moll.
                      Im Frühjahr schwankt er aber melodisch zwischen Ges-Dur und Es.
                      Kannst du mit dieser Wahrnehmung von mir etwas anfangen?

        Peter Roth Ja unbedingt. Für mich ist das Wasser für die Ohren und für das
               Auge das eigentliche Grundelement des Klanges. Ich kenne auch
               nicht Schöneres, als ein plätschernder Brunnen zum Einschlafen,
               das Spiel der Obertöne, wenn das Wasser fein durch die Metallröhre
               ins Becken fliesst. Aber auch in der Natur, im Gewässer vom Moor,
               den Bachläufen und Wasserfällen wird das Fliessen zum «weissen
               Rauschen», was ja eigentlich die Summe aller Obertöne ist. Das war

KLANG2020
39
               auch eine ganz frühe Einsicht in meinem Leben, auch das «weisse»
               Licht, das durch die Wassertropfen dringt und die Spektralfarben
               sichtbar macht. Man denke an den Regenbogen. Durch die Bre-
               chung des Lichtes entfaltet sich – wie bei einem Prisma – das ganze
               Spektrum der Farben und damit das Verborgene, das Mystische
               der Schöpfung. In den Spektralfarben erkennt man auch die Ana-
               logie zum Klang, den Obertönen, die man in der Musik herausarbei-
               tet oder extrahiert, sei es im Bau oder im Spiel eines Instrumentes
               oder in der Arbeit als Komponist. Diese Erkenntnis hat mich sehr
               geprägt und meine Projekte und Werke inspiriert.

               Christian Zehnder  Ähnlich ergeht es mir, wenn ich auf der Alp im Gras liege und
                       mich der Lautsphäre hingebe, dem Windspiel und den von weit her
                       getragenen Klängen der Schellen. Darin liegt eine Verzauberung. Manch-
                       mal meine ich im fernen «Glüüt» einen Chor zu hören, ein Fragment
                       aus einer Flötensonate, oder das Spielen und Jauchzen von Kindern. Jede
                       Landschaft bringt seine unverwechselbare Musik hervor. Die Kultur
                       des «Johlens» im Toggenburg hätte nie in der Sahara ent­stehen können.
                       Die topographische Charakteristik prägt, führt und bindet unsere
                       Inspiration und Ausdruck, ob wir es wollen oder nicht.

       Peter Roth  Es ist interessant; wenn man nur schon das Appenzell Inner-
               rhoden, Ausserrhoden und das Toggenburg miteinander ver-
               gleicht; die Topographie hat einen grossen Einfluss auf die Melo-
               dik der regionalen Musik. Die grossen Sprünge und die steilen
               Aufgänge im «Johlen» und auch die hohen Kopftöne der Toggen-
               burger Jodel sind für mich wie ein Abbild unserer Topographie.
               Wenn ich ins Appenzell Ausserrhoden gehe, ist es eine Hügelland-
               schaft und das passt zu den Chlausenzäuerli. Ein Chlausezäuerli
               im Toggenburg zu singen, ist schon möglich, aber ich kann mir
               nicht vorstellen, dass es in der «gächen» Landschaft entstehen
               könnte. Aber natürlich mischen sich die Klänge der Regionen auch
               wieder miteinander. Im Abbild der Topographie kann man die
               Gemächlichkeit eines Chlausenzäuerlis mit einem kleinen Ambi-
               tus von Tönen wunderbar mit der Landschaft von Appenzell Aus-
               serrhoden verbinden. Die Toggenburger Melodien gehören wiede-
               rum irgendwie zu dieser Talschaft, eingeklemmt zwischen Säntis
               und Churfirsten.

Im Gespräch mit Peter Roth
MUSIK                                                                                            40
               Christian Zehnder Wir beide lieben edle Tropfen auserlesener Weine. Im Gaumen
                      entfaltet sich für mich z.B. ein 2016 Bordeaux, Château Pape Clément
                      ein bisschen wie die Chöre in der H-Moll Messe von J. S. Bach in meiner
                      Ohrmuschel: göttlich. Zwischen Wein und Musik gibt es viele Analogien.
                      Man hat in Studien herausgefunden, dass beim Trinken von Wein
                      während dem Abspielen von Musik sogar der Experte sein Urteil über
                      den Wein völlig ändert. Nur wenige Spezialisten merkten in der Studie,
                      dass es sich um den gleichen Wein handelte. Im Sufismus steht der
                      Wein auch für die Liebe Gottes. Beeinflusst die Musik unsere Liebe und
                      Offenheit für das Spirituelle? Hat Musik und Klang wirklich eine
                      so unglaubliche Macht? Das Experiment mit dem Wein erinnert da ja
                      schon fast an die Quantenphysik.

        Peter Roth  Zuerst müsste man sagen, von der Quantenphysik her befin-
               den wir uns ja permanent in einem Feld der Schwingung, der
               allerlangsamsten messbaren Schwingung von der Erde bis zum
               Licht. Nun, das Bild, der Geschmack, die Farbe, der Geruch und
               der Tastsinn entstehen in unserem Wahrnehmungsapparat. Man
               könnte auch sagen, von aussen kommt ein Meer von Schwingun-
               gen und Frequenzen an unsere Nase, Ohren, Augen; kurz an unsere
               Sinne, und diese filtern ganz gewisse Aspekte

                                                                    S’Glüüt
               zu einem grossen Ganzen. Daraus ergibt sich
               eine Gesamtwahrnehmung, oder besser, eine
               Erfahrung. Es ist eine Komposition aus den
               verschiedenen menschlichen Wahrnehmungs-
                                                                    Vol. I & II
                                                                Cyrill Schläpfer hat vor
               feldern. Johann Wolfgang von Goethe sagte ja     Jahren verschiedenste
               schon: «Die Schönheit entsteht im Auge des       Kuh-Alp­weiden der Schweiz
                                                                aufge­nom­­men. Eine akus­
               Betrachters». Erst was unsere Sinne am Ende      tische Reise durch die Klang-
               interpretieren, dort entsteht die Schönheit.     landschaften von 29 Alp-
                                                                    weiden. Das Geläut stammt
                                                                    vor allem von Alpherden
                                                                    aus dem Entlebuch, Muotat-
                                                                    hal, Schächental, Alpstein
                                                                    und aus Unterwalden.
                                                                        csr-records.ch

KLANG2020
41
               Christian Zehnder  Immer wieder erwähnst du den Musiker John Coltrane. Er
                       gilt heute noch als der Jazzsaxofonist schlechthin. Er war ein spiritueller
                       Sinnsucher, ein expressiver Vulkanausbruch auf seinem Instrument,
                       liebte aber auch lyrische Inseln. «Ich glaube an alle Religionen» sagte er
                       einmal und meinte damit ihren gemeinsamen Kern. Das wunderbare
                       Album «A Love Supreme» ist ein Bekenntnis dazu. Was verbindet dich
                       mit dem gottestrunkenen Musikmystiker?

       Peter Roth   Für mich war John Coltrane ein Sufi. Der Klang geht – wie der
               Geruch – am tiefsten, nämlich direkt in unser Stammhirn, viel-
               mehr noch als die Melodie und der Rhythmus. Als ich das erste Mal
               John Coltrane gehört habe, rührten seine Klänge eine solch tief
               versunkene Sehnsucht in mir, die nur damit zusammenhängen
               konnte, dass ich wieder in diese Welt reinkarniert wurde und die-
               ses verlorene Etwas darin erhören konnte. Für mich hat der Sound
               von John Coltrane etwas von den archaischen Hirtenkulturen, die
               stark mit den Obertonspektren verbunden waren. Er spielte ja auch
               ein unglaublich hartes Blatt (Mundstück) und schuf dadurch bei
               jedem gespielten Ton unglaublich dichte Wolken von Obertönen.
               Du kannst nur zwei Töne von ihm hören und du weisst genau, das
               ist John Coltrane. Er ist ein Magier der Klangfarben, der Obertöne.
               Sein Spiel ist Seelennahrung, seine Klänge sind heilend, wenn man
               sich auf ihn einlässt. Daneben gibt es eigentlich nur noch Miles
               Davis, der mich so in den tiefsten Orten der Seele berührt. Es ist
               ein Resonanzphänomen: Nicht jeder hört, empfindet dasselbe, es
               braucht eine gemeinsame Übereinstimmung, eine geistige Fre-
               quenz, um in Resonanz miteinander zu kommen.

               Christian Zehnder Auch Karlheinz Stockhausen war für dich ein wichtiger,
                       inspirierender Künstler. Kompositionen wie «Stimmung» und
                       «Sternenklang» befassen sich intensiv mit den Obertonstrukturen
                       und dem Obertongesang. Für viele ist er bis heute aber immer
                       noch völlig unzugänglich und sperrig geblieben. Er hat sich ja auch
                       zwischen Esoterik und Egozentrik eingemauert und mit dieser
                       Weltsicht viele Musiker verstört. Trotzdem, auch ich nähre mich
                       immer wieder von seinen Werken und verrückten Gedanken. Wie
                       würde er wohl einen Jodelclub Säntisgruess erleben, wenn wir
                       ihn hierher einladen könnten? Was würde er in diesen Natur­klängen
                       wohl erhören?

Im Gespräch mit Peter Roth
John Coltrane   42

KLANG2020
Karl Heinz Stockhausen   43

Johann Sebastian Bach
MUSIK                                                                                          44
        Peter Roth  Stockhausen wäre sicher nicht erstaunt, wenn er die Reise
               machen könnte, die ich gemacht habe: Ich hatte einmal als Student
               neben Rudolf Kelterborn und anderen bei Karlheinz Stockhausen
               einen Kompositionskurs. Normalerweise arbeiteten wir in den
               Kursen mit Notenpapier. Aber dann kam Stockhausen und brachte
               Tongeneratoren und Synthesizer mit. Ich war erst einmal so über-
               fordert, ja enttäuscht, weil es meinen damaligen Vorstellungen von
               Komposition nicht im Geringsten entsprach: Was sollten diese rie-
               sigen, unsinnlichen elektronischen Kisten mit meiner Vorstellung
               von Musik schon zu tun haben? Und so wollte ich mich noch am
               gleichen Tag auf dem Sekretariat vom Kurs abmelden. Ich habe
               mich aber dann doch darauf eingelassen und durfte damit eine der
               wichtigsten Grunderfahrung der Musik in meinem Leben machen:
               Der Klang ist der Grundbaustein aller Musik. Melodie und Har-
               monie sind erst etwas Sekundäres und Rhythmus ist einfach eine
               langsame pulsierende Frequenz. Klänge sind wie Farben, wir brau-
               chen sie für die Komposition und es ist wesentlich, welche Farben
               wir mischen und wie sie zusammengesetzt sind. Wenn wir uns ein
               Bild von Mark Rothko anschauen, dann sind das auch einfachste
               Kompositionen aus Farben, aber in ihrem Wesen tief, hoch kom-
               plex und deshalb berühren sie uns.

               Christian Zehnder  Jetzt fehlt eigentlich nur noch Johannes Sebastian Bach.
                      Er hat ja immer auf das alte aristotelische Prinzip der Musik als Imita­tion
                      der Natur verwiesen. Für Bach lag die Kunst der Musik zwischen der
                      realen Welt – der Natur – und Gott, der diese reale Welt ordnet. Die musi-
                      kalische Harmonie nehme Bezug auf die Ordnung der Natur und
                      ihren göttlichen Ursprung. Fast wie ein essentieller Leitsatz der Klang-
                      welt Toggenburg klingt das. Bach war seiner Zeit weit voraus und
                      er wurde nach seinem Tod ja sogar eine Zeit lang vergessen; man stelle
                      sich das mal vor! Und mit dem Komponisten Bach sind wir doch auf
                      eine Art auch wieder beim Fliessen des Wassers, nicht nur seines Namen
                      wegen. «Nicht Bach, Meer sollte er heissen» sagte Ludwig van
                      Bethoven doch.

KLANG2020
45
       Peter Roth  Der Bach, die Flüsse, das Meer – alles Wasser kommt als Regen
               zurück. Es ist alles zyklisch. Alles kommt wieder, wird verdichtet
               und vertieft. Die Postmoderne, die versucht, in einer geraden Linie
               die Moderne weiterzuschreiben, macht für mich manchmal einen
               verstörten Eindruck, vielleicht auch aus lauter Angst zu etwas
               zurückzukehren, wo wir schon einmal waren. Man kann aber etwas
               Erlebtes, etwas Gehörtes auch wieder ganz neu und anders erleben.
               Die Vollkommenheit von Bachs Musik erfährt man erst über die Zeit,
               dem wieder und wieder neu Erhören. Genauso ist es mit dem Klang
               und was die Klangwelt Toggenburg ermöglichen möchte. Zurück-
               zukehren zum Essentiellen, zum Ursprünglichen – aber nicht zum
               Volkstümlichen Zementierten, sondern auf dem Bewusstsein, dass
               alles Schwingung und miteinander verbunden ist.

               Christian Zehnder  Bach war aber auch sehr weltlich, das dürfen wir nicht ver-
                       gessen. In der Bauernkantate zum Beispiel geht es um den Gegensatz
                       zwischen Volks- und Kunstmusik, und im Text um eine Bäuerin
                       und einen Bauern an einem Fest, um den Tanz und durchaus erotische
                       Anspielungen. Bach hat ja selber gerne Wein getrunken und war
                       durch diesen auch dem göttlichen Rausch des Lebens sicher noch viel
                       näher. Das werden wir jetzt auch tun: Aber jetzt Prost lieber Peter,
                       unser Bordeaux wartet: oh du himmlischer Klang!

Im Gespräch mit Peter Roth
MUSIK                                         46

              Wiederbekanntmachung

                      mit einem

               vergessenen Instrument

  Tromba
  Marina     Ein seit der Barockzeit völlig

                   in Vergessenheit

            geratenes Instrument steht am

                  1. Internationalen

        Naturton & Oberton Symposium 2020

                     im Zentrum.
KLANG2020
47

Tromba Marina
MUSIK                                                                                      48
        Christian Zehnder                        Geige), während die rechte Hand die Saite
                                                 mit dem Bogen streicht. Der eigenartige
                                                 Ton dieses Instruments, der dem Klang einer
                                                 gedämpften Trompete gleicht, wird
                                                 durch den besonderen Steg erzeugt, auf
                                                 den die Saite unten auf dem Resonanzboden
                                                 gespannt ist. Dieser Steg hat beinahe die

        D
                                                 Gestalt eines kleinen Schuhes, der vorne ganz
                                                 niedrig und dünn, hinten hingegen höher
              as Trumscheit oder «Tromba         und stärker ist. Auf dem hinteren Teil liegt
Marina», später auch als Nonnengeige             die Saite auf und verursacht beim Anstrei-
bezeichnet, ist wohl noch heute eines der        chen durch ihre Schwingungen, dass
seltsamsten und faszinierendsten Streich-        sich der vordere und leichte Teil des Steges
instrumente des Abendlandes. Es hat              auf dem Sangboden auf und ab bewegt,
seinen Ursprung im Mittelalter und war in        wodurch der schnarrende Ton – ähnlich der
der Renaissance ein weit verbreitetes Ins-       gedämpften Trompete – ertönt.
trument. Selbst der in Wildhaus geborene                Es ist schon irgendwie nachvollzieh-
Reformator Zwingli – ein meisterhafter           bar, wenn man diesen fast metallischen,
Musiker und Multiinstrumentalist – soll es       hellen und durchdringenden Klang hört, dass
gespielt haben.                                  dieses archaische Streichinstrument unter
       Das Trumscheit besteht aus einem          anderem zum Namen «Marientrompete»
meist konischen, zwei Meter langen Kasten        gekommen ist. Der Klang ist einer prustenden
in Dreiecksform und ist mit einer einzigen       Naturtrompete manchmal wirklich täu-
Darmsaite bestückt. Es könnte auf den            schend ähnlich. Auch die Lautstärke kann es
ersten Blick als Vorläufer des Kontrabasses      mit den Naturtrompeten der damaligen
durchgehen, ist aber etwas komplexer.            Zeit aufnehmen, als wäre es die Strei­cher-
Auf diesem Instrument sind, abgesehen vom        alternative zum Blasinstrument. Später
Grundton, nur Obertöne spielbar. Die Töne        wurde das Instrument auch Nonnengeige
werden, wie bei einem Monochord, durch die       genannt, weil es oft in Klöstern und zu geist-
harmonische Teilung der Saite erzeugt            licher Musik gespielt wurde.
und entsprechen daher der Naturtonreihe.
       Beim Spielen wird das Instrument
schief vor sich hingestellt und der obere Teil
gegen die Brust gestemmt. Mit dem Dau-
men der linken Hand berührt der Spieler die
Saite da, wo die zu greifenden Töne liegen
(wie beispielsweise beim Flageolett auf der

KLANG2020
49
       Frühe Formen des Trumscheits                      Das Trumscheit geriet nach der
stammen bereits aus dem 15. Jahrhundert.          Barockzeit mit der Wiener Klassik mehr und
Im 17. Jahrhundert und der ersten Hälfte          mehr in Vergessenheit. Dass es heute wie-
des 18. Jahrhunderts war das Instrument           derentdeckt, erforscht und gespielt wird, ist
dann richtig populär und es entstanden            ein paar wenigen klangbegeisterten Musi-
eine Reihe von Kompositionen. Der Gross-          kern zu verdanken. Thilo Hirsch, ei­gent­lich
meister dieses nach ihm de facto aus dem          ein Spezialist der «Viola da Gamma», setzte
Gebrauch gekommenen Instruments war               sich aus reiner Leidenschaft für den faszi-
der Franzose Jean-Baptiste Prin (1668–1743).      nierenden Klang lange wissenschaftlich mit
Aufgewachsen in England, erlernte er              dem Trumscheit auseinander. Gemeinsam
das Trumscheit-Spiel von einem englischen         mit Trumscheitspezialisten wird er im
Lehrer und seinem Vater, mit dem er auch          Rahmen des Klangfestivals in einem spezi­
auftrat. Er galt als Tromba Marina Wunder-        ellen Projekt Werke für drei Trumscheite
kind. Von seinem Vater wurde er dann              und Trommeln uraufführen.
auch nach Frankreich geschickt, um sich
dort im Tanzen und Trumscheit-Spiel
zu vervollkommnen.
       Prin etablierte sich als Tromba
Marina Virtuose, Tänzer und Schauspieler
(von 1698 bis 1704 übernahm er die Rolle
des Harlequin am Théatre de la Foire in Paris).
Die Virtuosität Prins auf diesem seltenen
Instrument blieb auch dem Hof in Versailles
nicht verborgen, sodass er von König
Ludwig XIV. eine Anstellung als «Maître de
                                                           Naturton &
danse» und Tromba-Marina-Solist erhielt.                   Oberton
       Später liess er sich in Lyon nieder und
wurde als Trumscheitlehrer und -spieler
                                                           Symposium
                                                           Im Rahmen des Klangfestivals
tätig. Aus seinem Tagebuch geht hervor,                    2020 findet auch das 1. Inter-
dass er zu dieser Zeit mehr als 150 Trum-                  nationale Naturton & Oberton
                                                           Symposium statt. Ein einma­
scheite bei Instrumentenbauern in Auftrag
                                                           liger Einblick in die Vielfalt der
gab. 1737 zog Prin nach Strassburg, wo er                  Magie der Töne, in Meisterkur-
1742 das Lehrbuch «Traité sur la trompette                 sen, Referaten und Konzerten.
marine» verfasste. In diesem schrieb er                         klangwelt.swiss/
                                                                symposium
über Bau, Technik und Geschichte des Ins­
trumentes. Unter anderem erwähnte er
die afrikanische Ur-Trompete als möglicher
Vorläufer des Trumscheits. Seine Manu-
skripte und Instrumente vermachte er nach
seinem Tod der Akademie von Lyon.

Tromba Marina
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