KLANG Zäme Johle - Klanghaus Toggenburg - Peter Roth & Christian Zehnder im Gespräch - Der Echo Lotse - Über die Stille
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KLANG Magazin der Klangwelt Toggenburg Zäme Johle — Klanghaus Toggenburg — Peter Roth & Christian Zehnder im Gespräch — Der Echo Lotse — Über die Stille
Musik im Toggenburg Kirchberg 21 21 Mosnang Jodelchöre 19 1 Churfirstenchörli 1 Jodelclub Thurtal 2 Jodelclub Säntisgruess Musiker & 4 Jodelclub Männertreu Nesslau 4 Singchörli Laad Bands 4 Männerchor Bühl 4 Jodelgruppe Stockberg 2 Ischellner Churfirsten 5 Jodlerklub Bergfründ Ennetbühl 3 Peter Roth 8 Jodelchörli Hüsliberg 4 Willi Valotti 8 Jodlerterzett Speerchütz 7 Invade 8 Jodlerclub Ebnat-Kappel 8 Brandhölzler Striichmusig Ländler- 9 Jodelclub Alpenrösli 8 Ozan Yildirim alias OZ 9 Jodlerklub Wattwil 8 Toggenburger Klangquartett musik 10 Männerchor Chrummbach 8 Heinz Büchel und «Die Regierung» 11 Heimetchörli Hemberg 8 Windbläss 1 Peter & Peter 11 Bergbluemechörli Bächli 9 Bollocks 3 Trio Gulmegruess 11 Goofechörli Hemberg 9 Toggenburger Orchester 3 Schwandner Buebe 13 Schmittechörli 9 Schlorzi Musig 3 Echo vom Battenberg 15 Jodelchörli Bütschwil 9 Il Mosaico 3 Nadine Vetsch 16 Trachtenchörli Oberhelfenschwil 9 Till Ostendarp 4 Katja Bürgler 18 Bäuerinnenchörli Nassen 9 Big Band Kanti Wattwil 8 Ländlertrio Tanzboden 19 Bergsonnechörli 9 Hermann Ostendarp 8 Simon Lüthi 19 Jodelchörli Heimetfreud 12 Konzertchor Toggenburg 9 Ländlertrio Chüeisgruess 19 Kinderjodelchörli Mosnang 14 BombrasstisCH 11 Blatter-Roth 19 Landfrauenchor Mosnang 16 Matthias Ammann 15 Bergsler Buebe 20 Jodelchörli Lütisburg 16 Dänu Wisler 15 Türmli-Buebe 21 Jodelclub Kirchberg-Bazenheid 21 Paul Huber † 15 Ofäloch-Höckler
1 Hotel Hirschen Bar 6 Irish Openair 1 Klangwelt Toggenburg 7 Kraftwerk Club 1 Klangfestival Toggenburg 8 Ackerhaus 2 Stump’s Alpenrose 8 Dömli 2 Klanghaus Toggenburg 8 Die Fabrik 2 Zeltainer 12 Chössitheater 22 5 Neu St. Johann 12 Jazztage Lichtensteig Bazenheid 12 Behind the Bush Lütisburg Veranstalter 12 BeachtBar 20 Nassen 12 Rathaus für Kultur 15 Openair Bütschwil 18 17 Kultur in Mogelsberg Oberhelfen- Mogelsberg schwil 17 21 Eintracht 1515 15 16 16 Bütschwil 13 14 Haben Sie Ergänzungen Neckertal Necker oder Korrekturen? Wir erweitern die Liste in der nächsten Ausgabe. 12 12 info@klangwelt.swiss Lichtensteig Hemberg 10 11 11 999 Chrummbach Wattwil Ebnat-Kappel 88 88 Krummenau 77 66 5 5 Ennetbühl Neu St. Johann 44 4 Nesslau Wildhaus Unterwasser 2 333 11 22 Alt St. Johann1 Klanghaus Toggenburg
Zäme 22 8 Johle Klanghaus Toggenburg 36 Im Gespräch mit Peter Roth Christian 62 Zehnder Geheimnisvolle Welt der Obertöne 56 Protoglärnisch KLANG2020
fe es ti 20. Mai — 1. Juni 2020 Alt St. Johann 30 alpine urbane val Sphären Hephaista und die drei Muske(l)tiere der 26 Klangschmiede Paradigmenwechsel Halt die Klappe 50 Stille 46 Tromba Marina 74 Kurse und Angebote 70 Der Echo-Lotse
IMPRESSUM Produktion Klangwelt Toggenburg Konzeption / Redaktion Christian Zehnder Redaktion Mitarbeit Nadine Bleiker, Raphael Gygax Textbeiträge Marcel Meili, Bettina Mittelstraß, Sascha Erni, Wolfgang Saus, Martin Sailer, Christian Zehnder Grafik / Layout vollprecht gestaltung Fotos © Samuel Trümpy, Titel © Walter Mair, S.22 © Eric Lafforgue / Alamy Stock Foto, S 24 unten © Pictorial Press Ltd / Alamy Stock Foto, S. 42 © Croes, Rob C., National Archives of the Netherlands / Anefo, S.43, oben © Lebrecht Music & Arts / Alamy Stock Foto, S.43, unten © Historisches Museum Basel, S.47 © Claudio Landolt, S.56, S.59, S.60 © Michael Wild, S.58 © Anderes Sehen, S. 74 Druck Toggenburger Druckerei Kontakt Klangwelt Toggenburg Sonnenhalbstrasse 22 9656 Alt St. Johann T +41 71 998 50 00 info@klangwelt.swiss Öffnungszeiten Klangschmiede Dienstag bis Freitag 10–12 h / 14–17 h Samstag und Sonntag 10–17 h (durchgehend) klangwelt.swiss/ klangschmiede Mit freundlicher Unterstützung KLANG2020
Liebe Leserinnen und Leser Auf dem Titelbild unseres neuen Jahresmagazin ruft ein junger Älpler im Gebet mit grosser Hingabe zu den Berggipfeln hinauf. Der Betruf und die Freude über die Schöpfung der Natur, aber auch die Demut und Andacht in ihr, werden heute von einer jungen Generation im Erbe der Väter, Mütter und Ahnen in ganz neuem Selbstverständnis gepflegt und gelebt und dies quer über den ganzen Alpenraum. Tradition und Gegenwart verbinden sich: Dafür steht auch die Klangwelt Toggenburg. Nach dem kantonalen Ja zum Klanghaus vom letzten Jahr, wird geplant, entwickelt und gebaut. Ein einmaliger Ort für die Begegnung zwischen Tradition und Moderne, Einkehr und Konfrontation, Stille und Laut wird geschaffen. Neue, offene Räume ermöglichen die unterschiedlichsten Erfahrungen mit und durch den «Klang». Unser neues Jahresmagazin soll neben all unseren Kultur- und Weiter- bildungsangeboten in Zukunft auch mehr Einblicke in die Vielfalt und den Reichtum der grossen Vision «Klangwelt Toggenburg» geben. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Eintauchen in unsere Geschichten, Themen und Anregungen rund um das Thema Klang. Ein weiterer Höhepunkt in der Klangwelt in diesem Jahr ist das Klang- festival im Mai 2020, aber auch unsere Klangkurse bieten neben Bewährtem und Beliebtem auch viele neue spannende Angebote. Erstmals werden wir ausserdem eine ganze Kurswoche unter dem Namen «Tanz Xang Klang» durchführen. Neben dem regulären Kursa ngebot wird es diverse Rahmenangebote geben, die speziell auch auf die Familien der Kursteilnehmenden ausgerichtet sind. Auch auf dem Klangweg gibt es Neuigkeiten: Drei Instrumente werden ersetzt und Klangwanderer dürfen gespannt sein auf die neuen Werke verschiedener Klang-Künstler. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns im Toggenburg besuchen. Christian Zehnder Raphael Gygax Künstlerischer Leiter Geschäftsleiter
TOGGENBURG 8 Zäme Johle Zäme KLANG2020 Johle
9 Zäme Sascha Erni Johle Kaum mehr als einen Steinwurf vonei- nander entfernt proben sie wöchentlich, der Jodelclub Thurtal, das Churfirsten- chörli und der Jodelclub Säntisgruess. Im Sääli des Restaurants Alpina in Unter- wasser, im reformierten Kirchgemeinde- haus oder im Gasthaus «Schäfli» neben der Propstei in Alt St. Johann im oberen Toggenburg pflegen sie unermüdlich und schon über Generationen hinweg Althergebrachtes und stärken so die Gemeinschaft, das Brauchtum und ihre Tradition im Miteinander. Alle sind sie Hüter ihrer ureigenen Lebenskultur und der Magie der Naturtöne. Zäme Johle
TOGGENBURG 10 Churfirstenchörli Wenn Eigenheiten verbinden KLANG2020
11 Churfirstenchörli
TOGGENBURG 12 Das Churfirstenchörli Alt St. Johann- Unterwasser fällt nicht nur durch seine markante Gewandung auf. Als einziger Jodelclub der Gemeinde singen hier Frauen mit, was dem Chor eine ganz eigene Klangfarbe gibt. Das Jahr 2020 wird ein volles Jahr fürs Churfirstenchörli und dessen Dirigentin Katja Bürgler. Im März steht in Nesslau ein Kon- zert mit einem russischen Kirchenchor an, später im Jahr das eidge- nössische Jodlerfest. Und natürlich sei auch das Klangfestival ein Höhepunkt für den Chor, schmunzelt Bürgler. Besonders freut sich die Dirigentin auf die Begegnungen mit fremdsprachigen Musike- rinnen und Musikern. Man könne sich mit den Menschen manch- mal zwar kaum verständigen, «aber das Musikalische funktioniert einfach.» Musikalisch funktioniert es auch fürs Churfirstenchörli. 1985 gegründet, ist es der einzige Jodelclub in Alt St. Johann, der seit Anbeginn neben Männerstimmen auch Frauen singen lässt – zur Zeit beläuft sich das Verhältnis auf fünfzehn zu drei, eines der Chormitglieder ist Bürgler selbst. Musikerin und Jodel-Quereinsteigerin Katja Bürgler hat Musik im Blut, zum Jodel kam sie aber eher zufällig. Die Berufsmusikerin studierte Schwyzerörgeli in Luzern, dann fragte ein Jodelchor an, ob sie nicht mitsingen möchte. Nach verschiedenen Probebesuchen war ihr klar, dass sie helfen will – obwohl sie bis dahin keine Erfahrung mit Dirigieren und Jodeln hatte. «Ich habe dann mit 21 Jahren etwas blauäugig meinen ersten Chor dirigiert. Das war sehr streng», lacht Bürgler. Sie fand es aber spannend, vor 20 Männer hinzustehen und glaubwürdig zu ver- mitteln, wie «der Hase zu laufen habe». Also bildete sie sich weiter, gut ein halbes Jahr lang etwa beim bekannten Volksmusiker und Dirigenten Willi Valotti. «Das war praktisch eine massgeschnei- derte Dirigentenausbildung», erinnert sie sich. KLANG2020
13 Nun dirigiert die 30-Jährige seit 2014 das Churfirstenchörli. Zentral sei dabei, dass sich Chor und Dirigentin nicht nur musika- lisch verstehen, sondern auch zwischenmenschlich. Ohne diese Verbindung könne man nicht wirklich gemeinsam singen, meint sie. Geprobt wird einmal pro Woche rund eineinhalb Stunden lang, die Vorjodler besuchen zusätzliche Proben. Vor dem jährlichen Anlass «Zäme Johle», bei dem die drei regionalen Jodelchöre jeweils gemeinsam auftreten, kommen zusätzliche Koordinationsaufgaben auf Bürgler zu. Nicht nur kümmert sie sich um die Platzreservationen, die drei Dirigenten müssten sich auch früh absprechen, damit das Publikum nicht gleich drei Mal denselben Jodel zu hören bekomme. Bei «Zäme Johle» hat sie mit dem Churfirstenchörli auch schon Eigenkompo- sitionen uraufgeführt. Jodel auch abseits der Tradition Die Zusammensetzung des Churfirstenchörlis mit Männer- und Frauenstimmen gebe dem Chor eine besondere Klangfarbe, sagt Bürgler. Die Liedersuche gestalte sich deswegen aber nicht schwieriger als in einem reinen Männerchor. Das Churfirsten chörli hat vorwiegend Jodellieder und Naturjodel im Repertoire. Einiges hat die Dirigentin auch selbst komponiert, anderes bekam der Chor von Peter Roth geschenkt. «Das Traditionelle ist ja auch irgendwann mal ausgeschöpft», sagt sie. Es sei Wahnsinn, was in der Region jodeltechnisch laufe, schwärmt Bürgler. Das Niveau sei bei fast allen der gut dreissig Chöre im Alpsteingebiet eindrück- lich hoch. Wie auch ihre Kollegen bei den zwei anderen Jodelclubs in Alt St. Johann, schätzt sie die gute lokale Zusammenarbeit. Es gebe kein Konkurrenzdenken, im Gegenteil: «Jeder Club hat seine Eigenheiten und das ist unheimlich schön.» Churfirstenchörli
TOGGENBURG 14 Jodelclub Thurtal Seit 30 Jahren jung geblieben KLANG2020
15 Jodelclub Thurtal
TOGGENBURG 16 Seit gut zwei Jahren ist Martin Koller Präsident des Jodelclubs Thurtal Unterwasser. Als Jodler lebe man die Tradition und das Brauchtum, erklärt der 29-Jährige im Gespräch. Martin Koller ist gut gelaunt, denn als Präsident des Jodel- clubs Thurtal kann er auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken. Über ein Dutzend offizielle Auftritte hatte der Verein in den letzten zwölf Monaten. «Manchmal sind es mehr im Jahr, manchmal weni- ger, aber wir kommen auf alle Fälle herum», sagt Koller. Einmal im Jahr singen die Mannen in Bern, ansonsten ist der Jodelclub vorwie- gend zwischen dem Bündnerland, Thurgau und Zürich unterwegs. Am häufigsten tritt der Jodelclub Thurtal aber in seiner Heimat- gemeinde Alt St. Johann auf. Auch der Mitgliederbestand sei stabil geblieben, freut sich Koller, und der Verein habe mit 47 Jahren einen guten Altersdurchschnitt. «Momol, wir sind sehr jung geblieben», schmunzelt er. Der Chor als Fundament für die Jodler Das Jugendliche gehört zur DNA des Jodelclubs Thurtal. 1986 gingen fünf junge Männer die Vereinsgründung an, weil der Jodelclub Säntisgruess, in dem ihre Väter sangen, selbst keine Mit- glieder mehr aufnahm. Der Säntisgruess sei da in einer glücklichen Lage gewesen, erzählt Martin Koller. Umgekehrt wurde aber nur so der Jodelclub Thurtal überhaupt möglich. Schnell wuchs die Gruppe auf 13 Mannen an, 1988 war dann die offizielle Gründungs- versammlung. 2014 ist Koller dem Jodelclub Thurtal beigetreten, seit 2018 ist er dessen Präsident. Heute hat der Verein 16 Mitglieder im Alter zwischen sechsundzwanzig und vierundsechzig, geprobt wird jeden Dienstagabend im Gasthaus Schäfli in Alt St. Johann. Martin Koller ist durch sein Umfeld zum Gesang gekom- men. Seit 2010 singt er im katholischen Kirchenchor und ist dort auch im Vorstand. «Es ist so, dass man hier die Tradition und das Brauchtum lebt.» Und das nicht losgelöst für sich, sondern in KLANG2020
17 der Gemeinschaft. Als Jodler sei man zum Beispiel oft bei Alpauf- oder -abfahrten bei befreundeten Landwirten oder der Familie involviert. Viehschauen, aber auch Hochzeiten sorgen für weitere Anknüpfpunkte mit der Gemeinschaft. Tradition und Brauchtum seien in einem Glied verbunden, wie Koller sagt. Talerschwingen, Jodellieder, Schellenschötte aber besonders Naturjodel gehören entsprechend beim Jodelclub Thurtal zum festen Programm, denn: «Tradition wird bei uns ganz gross geschrieben.» So, wie sich der Jodelclub und jeder Sänger in die Gemeinschaft einbringe, stehe auch der Jodler nicht für sich alleine. Es gehe um das gelungene Zusammenspiel zwischen den einzelnen Sängern und dem Chor, erklärt Koller. Ja, man müsse individuell einsingen und die Männer müssten daheim auch üben. «Aber den Chor braucht es als Funda- ment. Er ist der Boden für den Jodler.» Kaum Nachwuchsprobleme Die Zeiten haben sich gewandelt, viele Vereine haben Mühe, Nachwuchs zu finden. Heute sei die Mitgliedersuche tatsächlich nicht mehr ganz so einfach wie damals, als der Jodelclub Thurtal gegründet wurde, bestätigt Koller. Man müsse die Augen offen hal- ten und konstant um Interessenten werben. «Man kann neue Mit- glieder ja nicht vom Baum pflücken», lacht er. Dennoch hatte der Jodelclub Thurtal in drei Jahrzehnten kaum Nach- Johle und wuchsprobleme und bewegte sich laut Koller immer zwischen 16 und 18 Mitgliedern. Es sei schön, dass Gradhebä die Gemeinde gleich drei aktive, etablierte Jodel- Unsere Johle und Grad- chörli habe – und dass kaum Konkurrenzdenken hebä Kurse sind Kult. existiere. «Wir stehen nicht im Wettbewerb. Wir Tauchen Sie ein in die Welt der Naturtöne und ergänzen uns, helfen uns auch gerne gegenseitig lernen Sie Lieder der aus», so Martin Koller. Alpsteinkultur. klangwelt.swiss/ klangkurse Jodelclub Thurtal
TOGGENBURG 18 Jodelclub Säntisgruess Der Klang im Vordergrund KLANG2020
19 Jodelclub Säntisgruess
TOGGENBURG 20 Der Säntisgruess ist der älteste bestehende Jodelchor Alt St. Johanns. Hans-Jakob Scherrer dirigiert ihn seit 30 Jahren und setzt das Haupt augenmerk vor allem auf den Klang. Als wir Hans-Jakob Scherrer im November treffen, ist der Dirigent des Jodelclubs Säntisgruess in Gedanken bereits nahe am neuen Jahr. Denn Ende Dezember findet mit «Zäme Johle» zum zehnten Mal ein Highlight der regionalen Jodlerszene statt: Die drei lokalen Jodelchöre bieten alljährlich in der Klosterkirche ein Bouquet aus Naturjodel, Jodelliedern und Instrumentalmu- sik. Und jedes Jahr ist die Kirche proppenvoll, Hunderte lassen sich von den Naturklängen verzaubern und inspirieren. «Es ist spannend, wie unterschiedlich die drei Chöre klingen, obwohl wir vom selben Flecken stammen», sagt Scherrer. Als ältester der drei Jodelclubs – der «Säntisgruess» entstand 1958 – hat der Chor eine bemerkenswerte Stabilität bewiesen. Hans-Jakob Scherrer ist erst der fünfte Dirigent seit der Gründung. «Und noch vor zwei Jahren sang Hans Alpiger, eines der Gründungsmitglieder, bei uns mit», freut sich Scherrer. Auf Toggenburger Musik spezialisiert Nach seiner Lehre arbeitete Hans-Jakob Scherrer als Pöstler im Obertoggenburg. Schnell kam er in Berührung mit dem regio- nalen Naturjodel, 1988 nahm ihn Peter Roth als Vize-Dirigent in den Säntisgruess auf. 1989 folgte Scherrer in dessen Fussstapfen. Aber eigentlich gehen seine gesanglichen Wurzeln weiter zurück. «Gesungen haben wir daheim schon immer», erinnert er sich an seine Kindheit. Besonders geprägt hat ihn dabei die Mehrstim- migkeit, etwa, wenn die Mutter in der gewölbten Küche sang. «Im Säntisgruess habe ich den Naturjodel dann von Grund auf erlernt.» Der Jodelclub ist auf die Traditionen des Toggenburgs spezialisiert, neben Liedern sind später auch Peter Roths Toggenburger Psal- men und die Toggenburger Jodlermesse hinzu gekommen. KLANG2020
21 Neue Lieder für den Chor zu finden, das sei fast die schwie- rigste Aufgabe eines Dirigenten, meint Scherrer. Nicht wegen des Niveaus oder Stimmumfangs, viel mehr sei es die Herausforderung, Stücke zu finden, die zur Persönlichkeit des Jodelclubs und dessen 20 Mannen passen. Scherrer sagt: «Ich mache eigentlich alles über den Klang.» Damit erscheine der Säntisgruess vielleicht nach aus- sen weniger «produktiv» als andere Chöre – rund um den Säntis gibt es um die dreissig davon. Eine echte Konkurrenzsituation bestehe aber zumindest im Dorf kaum. Man ergänze sich in den musikali- schen Unterschieden und gehe generell äusserst kollegial mitein- ander um. So hat Scherrer nicht nur 30 Jahre lang den Säntisgruess dirigiert, sondern auch in anderen Chören ausgeholfen und als Diri- gent Kolleginnen und Kollegen in Sachen Klang beraten. Und auch beim «Zäme Johle» wird er wohl wieder eine Schlüsselrolle spielen. Musikalisch vielfältig unterwegs Obwohl ihn der berufliche Werdegang als stellvertretenden Teamleiter in die Uznacher Post verschlagen hat, spielt die Musik eine zentrale Rolle in Scherrers Leben. Er spielt Geige und Akkor- deon, ausserdem gibt er Kurse für die Klangwelt, zum Beispiel im März das dreitägige Seminar «Johle und Gradhebä». Einer seiner ersten Jodel, den Peter Roth fürs Weihnachtsspiel des Kirchenchors Alt St. Johann komponiert hatte und den Scher- rer als Bub sang, hat es ins Repertoire des Säntisgruess geschafft. Scherrer schätzt es, auf Sänger und Dirigenten zu treffen, die etwas von ihm übernommen oder gar verbessert haben. «Wenn ich in all den Jahren etwas gelernt habe, dann, sich über und für andere zu freuen.» Er möchte möglichst wenig Leistungs- Zäme Johle druck für seine Musik. Denn wie Hans-Jakob Scherrer sagt: «Dann muss ich nicht. Dann kann Alljährlich treffen sich die drei Jodelclubs Säntis ich. Müssen muss man im Beruf schon genug.» gruess, Churfirstenchörli und Thurtal zum Jahres- ende in der katholischen Kirche in Alt St. Johann, um zusammen zu johlen. Datum — 29./30. Dez. 2020 Beginn — 20 Uhr Kosten — Eintritt frei (Kollekte) zaeme-johle.ch Jodelclub Säntisgruess
TOGGENBURG 22 Marcel Meili (März † 2019) KLANG2020
23 Klanghaus Toggenburg Eine ethnologische Erfahrung A meine Sympathie, wenn er seine Grenzen hütet. Mit Hans-Jürg Sommers «Moos- uthentizität ist wahrschein- ruef» im Ohr ist mir begreiflich geworden, lich der Begriff, der auf alle Musiker, die im warum sich eine Musik nur zögernd ver Klanghaus einst Musik machen werden, ändert, und sich eben nicht mit allem ande- gleichermassen zutrifft. Als «Echtheit» oder ren «crosst»: Ein Dutzend herausragende «historische Wahrheit» bliebe der Begriff Alphornspezialisten unter der Leitung eines leere Formel. Was aber Volksmusiken mit emphatischen Jazzers haben ausgereicht, anderen Musikformen in ihren Wurzeln um dem «Ruef» einen neuen, umwerfenden verbindet, ist Authentizität als eine Form des Klang abzugewinnen. Diese Zurückhal- «Bei-sich-selber-Seins». Das Klanghaus tung gegenüber allem, was sich mit allem wird der Intimität dieser Erfahrung einen anderen mischt, beschleicht mich in der Raum geben. Kunst oft. Aber dann habe ich auch fasziniert Für die Recherche für das Klanghaus jenen schrägen Vögeln aus dem Wallis oder bin ich ziemlich weit herumgekommen. der Innerschweiz zugehört, die so schamlos Sie geriet zu einer Reise ins Innere der Schwei auf den Rändern herumtanzten. zer Volksmusik, die so nicht geplant war. Immer waren es persönliche Begeg Zahlreiche Gespräche mit Volksmusikern nungen, die meine Sicht veränderten: Mit und auch mit experimentellen Musikschaf- dem alten Vorjodler im Muotathal, der mir fenden sowie eine Menge CDs und Filme in der Küche das Natur-Fa vorgesungen hat, machten diese Recherche zu etwas, womit mit dem unglaublichen Büchelsolo im ich als Architekt noch nie zu tun hatte. selben Tal, mit dem Meister des Schwyzer Das war keine «Programmabklärung», örgelis im Toggenburg, der mich in seine sondern eine ethnologische Erfahrung in Jazz-Sammlung einführte. einer mir kaum bekannten Welt. Ohne solche Erlebnisse wäre das Pro- Mit der Zeit wurde mir klar, wie weit jekt vielleicht eine virtuose Architektur die Kultur über die Musik hinausreicht, geworden, mehr nicht. Aber ich wollte eine weil sie einem Lebensgefühl Ausdruck gibt, Antwort finden auf die Frage, wie sich von dem ich annahm, dass es am Verglim- Architektur und Musik überhaupt begegnen men sei. Aber ich habe auch gesehen, wie viel können. Der Einblick in eine stolze Kultur Gegenwart in diese Lebenswelt schon ein- hat mich zwei Dinge gelehrt: Nur eine Archi gedrungen ist, scheinbar ohne Schmerzen. tektur, die sich ihrer eigenen Regeln sicher Und ich begann zu ahnen, warum sich in ist, hat der Musik überhaupt etwas zu sagen. dieser Musik nur wenig bewegt. Je mehr ich Und: Es gibt tatsächlich verborgene Linien, zuhörte, desto mehr gewann etwa der Jodel wo die Begegnung aufregend wird. Klanghaus Toggenburg
TOGGENBURG 24 Einer der Entwürfe von Marcel Meili für den Klangraum mit einer Resonanzwand, die auf den Konzertsaal in Isfahan (Iran) zurückgeht. KLANG2020
25 Die geschnitzte Rosette im heimischen Hackbrett- bau öffnet auch in der Architektur des Klanghauses spezielle Resonanzräume für die Klangentfaltung. Klanghaus Toggenburg
TOGGENBURG 26 Paradigmenwechsel Sascha Erni Das Klangfestival stellt sich 2020 unter dem Motto «Alpine urbane Sphären» neu auf. Täglich wechselnde Themenschwer- punkte, viel Instrumentalmusik und das 1. Naturton und Oberton Symposium gehören zu den Höhepunkten. Vom 20. Mai bis 1. Juni klingt es wieder in Alt St. Johann. Das Klangfestival Toggenburg wird unter dem Motto «Alpine urbane Sphären» wieder Stimmen aus aller Welt beherbergen. Aber nicht nur. «Die letzten Jahre verlief das Klangfestival eigentlich immer ähnlich», erklärt Christian Zehnder. Der künstlerische Leiter der Klangwelt möchte dies 2020 auch mit Blick auf die gewonnene Klanghaus-Abstimmung ändern. «Bisher gab es meistens jeden Abend einen Jodelchor, dann etwas Internationales, und am Ende sangen alle gemeinsam», sagt Zehnder. Neu ist das Festival in The- mentage organisiert, und auch Musikinstrumente sollen eine Rolle spielen. Im Zentrum werden laut Zehnder weiterhin Natur- und Kunststimmen stehen. Aber Instrumente und Instrumentalen- sembles hätten nun auch ihren festen Platz. Mit vielen Konzerten, Klanginstallationen, aber auch Kursen und vor allem dem 1. Inter- nationalen Naturton und Oberton Symposium möchte das Klang- festival fit fürs nächste Jahrzehnt werden: «Das diesjährige Festival ist ein Aufbruch», so Zehnder. Naturtönigkeit als gemeinsamer Nenner Für Peter Roth stellen die Thementage sowie das Einbe- ziehen von Musikinstrumenten die interessantesten Punkte des kommenden Klangfestivals dar. Als Initiator des Naturstimmen- Festivals, wie das Klangfestival ursprünglich hiess, war Roth von Anfang an mit dabei. Anlässlich des 850-Jahr-Jubliäums der Gemeinde Alt St. Johann organisierte er übers gesamte Jahr 2002 ein multinationales Chorprojekt. «Wir haben sechs Chöre im Dorf, damals vor der Fusion also auf 1400 Einwohner. Das wollte ich her- ausstreichen», erinnert er sich. Das Projekt kam gut an, also schlug Roth vor, 2004 ein erstes Naturstimmen-Festival auf die Beine zu stellen. Der Vorläufer des heutigen Klangfestivals war geboren. KLANG2020
27 kla Klangfestival Toggenburg 2020 ng fe es ti 20. Mai — 1. Juni 2020 Alt St. Johann alpine urbane val Sphären Paradigmenwechsel
TOGGENBURG 28 na 1. Naturton und Oberton Symposium tur 2020 ton 19.— 23. Mai 2020 Alt St. Johann ober ton KLANG2020
29 Immer sei das verbindende Thema die Naturtönigkeit gewesen, die «untemperierte Stimmung», eine Charakteristik des Naturjodels und auch der Musiktraditionen von Naturvölkern aus aller Welt, ergänzt Peter Roth. Er freut sich besonders darüber, dass 2020 am Klangfestival auch Instrumente ihren Platz haben wer- den. «Bisher war es ein reines Stimmenfestival, daher nannten wir es ursprünglich auch Naturstimmen-Festival. Die Instrumente erweitern nun die Palette grossartig.» Am Ansatz mit den Themen- abenden schätze er besonders, dass das Festival so gezielter aufgebaut und die Formationen weni- Klang- festival ger zufällig zusammengewürfelt seien. «Das ist ein wahrer Paradigmenwechsel», freut sich Roth. Alpine und urbane Klang- sphären am 9. Klangfes- «Resonanz ist das Thema jedes Musikers» tival Toggenburg. Nebst Ein weiteres Highlight des Klangfestivals, 9 Konzerttagen bietet nicht nur aus Sicht von Peter Roth, dürfte das das Festival ein attraktives Rahmenprogramm mit 1. Internationale Naturton und Oberton Sym- Kursangeboten, Klangkunst posium werden. Vom 19. bis 23. Mai treffen sich und vielem mehr. Das Festival findet vom 20. Mai Experten, Wissenschaftlerinnen und natürlich bis 1. Juni 2020 statt. auch Musiker und interessierte Laien in der Props- klangwelt.swiss/ tei Alt St. Johann, um sich in Referaten und klangfestival Meisterkursen (im Hotel Hirschen Wildhaus) über die Macht und Schönheit musikalischer Schwingungen auszutau- schen. Auch Peter Roth wird einen Vortrag halten. «Resonanz ist das Thema jedes Musikers», erklärt er. «Wir als Klangmenschen sind Spezialisten für Schwingungen und dafür prädestiniert, Leute unterschiedlicher Disziplinen wie Physik, Medizin und Biologie durchaus auch wissenschaftlich zusammenzubringen.» Generell sollte sich die Klangwelt in Zukunft vermehrt auch auf Kongresse und Konferenzen konzentrieren, meint er. Das Symposium sei ein erster Schritt in diese Richtung. Musikalisch erwartet die Besucherinnen und Besucher des Klangfestivals wie gewohnt eine bunte Auswahl verschiedenster Stimmen, Klänge und Genres. Aber auch hier gibt es gewisse Ände- rungen, erklärt Christian Zehnder. «Wir müssen heute auch den ökologischen Fussabdruck bezüglich der Programmwahl einbe- ziehen. Aber natürlich bleibt das Klangfestival weiterhin interna- tional», so der Künstlerische Leiter. «Unsere Gäste dürfen sich auf spannende, unerhörte und berührende Begegnungen und Erleb- nisse über die hehre Bergwelt hinaus freuen.» Paradigmenwechsel
TOGGENBURG 30 Das Werkzeug der Hephaista (Göttin des Feuers und der Schmiedekunst) KLANG2020
31 Martin Sailer Hephaista und die drei Muske(l)tiere der Klangschmiede Urklang geformt aus der Glut der Esse D as Betreten der Klangschmiede ist ein Eintauchen in eine andere, fast vergessene und beinahe historische Welt. Dun- kel, russig, mystisch und voll gepackt mit Gegenständen wie Esse, Kamin, Amboss, unzähligen Hämmern, Gesenken, Schraubstö cken, Werkbänken, Zangen, Kohlesäcken und Blechen. An der Decke der von Sepp Brand gestaltete Schellenhimmel. Dazu das wunder- schöne Wasserrad gleich draussen vor der Schmiede. Imposant und stoisch läuft es und liefert Antrieb und Strom. Im Innern wird gehämmert und geschmiedet. Nicht immer, aber immer öfter. Die Schmiedekurse der Klangwelt Toggenburg sind sehr beliebt. Das hat gute Gründe: Schmieden ist archaisch und elementarstes Handwerk. Wenn zum Schluss dann das ge formte Stück Eisen endlich ein erstes Mal erklingt, breitet sich schon fast etwas Feierliches, ja Magisches in der Werkstatt aus und belohnt all die Mühen der Arbeit am Metall. Dieser mit Schweiss und aus Eisenerz gehauene Klang geht tief und ist in der heutigen schnelllebigen und zunehmend digitaleren Welt ein elementares Erlebnis. Ich jedenfalls hatte Glücksgefühle und vergass die Zeit, als ich seinerzeit meine erste Schale schmieden durfte. Die Klangschmiede ist ein essentieller, archaischer Ort: Aus ihm schöpft die Institution Klangwelt Toggenburg ihre Kraft, den Urklang und die Inspiration für alles was später in den verschie- densten Formen und Verbindungen in Schwingung kommt, sei es auf den Weiden, Berghängen, im «Schellenschötten» der Bauern, beim Johlen, Juuzen oder Musizieren im Ensemble. Die Kraft der glühenden Esse schwingt immer und überall mit. Hephaista und die drei Muske(l)tiere der Klangschmiede
TOGGENBURG 32 Eveline Kesseli Sepp Brand Hanspeter Breitler René Soller KLANG2020
33 All das wäre aber nichts ohne die Personen, welche unsere Klangschmiede zum Leben erwecken und die Kunst weiterver- mitteln: Unsere Schmiedin und die drei Schmiede. Sie machen den Raum zu einem Ort des Machens, des Handwerks, der Vermittlung und des bleibenden Eindruckes. Allerhöchste Zeit, sie genauer vor- zustellen: Eveline Kesseli Eveline begegnet man gerne und schnell wird klar, dass ihr Herz und ihre Leidenschaft ganz der Schmiedekunst gehören – mit all ihren Facetten. Dass eine Frau doch eher eine Exotin in der Bran- che ist, stört sie nicht oder sie hat sich eben längst daran gewöhnt. Die Ausbildung zur Drogistin war nichts für sie, das merkte sie schnell. Schmiedin / EFZ sollte es sein und ist es seit 1999 bis heute geblieben – zum Glück. Auch für die Klangwelt Toggenburg, denn Eveline bietet seit Jahren Kurse, professionell geführt und mit Herz geleitet. Obwohl sie auch in der Restaurierung tätig ist, wendet sie ihr Können immer öfter auch auf zeitgemässe Metallgestaltung an und das mit Erfolg. Sie kann vom Schmiedeberuf und Kunsthand- werk leben. Wer mal auf www.schmiedin.ch schmökert, staunt ob der vielfältigen Schaffenskraft. Seit 2008 ist sie als selbständige Schmiedin in ihrer eigenen Werkstatt in Krummenau tätig. Hanspeter Breitler Der Kunstschmied aus Unterwasser ist ein treuer Gastgeber in der Klangwelt. Oft bietet er Kurse an oder schmiedet während unseren Führungen. Auch er ist Schmied mit Herz und Seele. Seine Kreativität kennt fast keine Grenzen, das wird auch klar, wenn man auf www.kunstschmiede-unterwasser.de surft oder durch Unter- wasser fährt und gleich nach der Tankstelle über die Vielfalt der Objekte staunt. Hanspeter ist der Chef seines Familienbetriebes. Alle Breitlers scheinen vom Schmiedevirus infiziert zu sein. Er spricht ruhig und direkt, man hört automatisch ganz genau hin, wenn er Instruktionen gibt. Obwohl er nie Lehrer war, kommt sein Wissen an unseren Kursen ganz genau rüber und er vermittelt auf wunderbare Weise sein riesiges Können weiter. «Übereinstimmung von Form und Technik ist das zentrale Leitmotiv bei der Gestaltung von Metallarbeiten», meint Hanspeter. Auf den Punkt gebracht und einleuchtend, wenn man bei ihm über die Schultern schaut. Hephaista und die drei Muske(l)tiere der Klangschmiede
TOGGENBURG 34 René Soller www.kreativschmiede-soller.ch heisst Renés Homepage und der Name ist Programm. Kreativität sprüht er mit jeder Faser sei- nes Körpers aus. Seit zehn Jahren arbeitet er in der Klangschmiede und bietet seine begehrten Kurse an. Immer wieder beschreitet er dabei neue Wege wie Weihnachtssterne schmieden oder am Valen- tinstag Herz-Schmieden für Paare. Er «feuervermessingt» Schel- len im eigens entwickelten und selbstgebauten mobilen Ofen. Auch bei René ist die Liebe zur Schmiedekunst stets spür- und sichtbar. Er macht nicht einfach sei- nen Job, er lebt dafür. Das ist eine Eigenschaft, Schellen- welche ich bei Handwerkerinnen und Hand- schmieden werkern generell feststelle und schätze. Die Ein nachhaltiges und ein- innere Verbundenheit zum Beruf – so muss drückliches Erlebnis ist das Schellenschmieden. es sein. René ist kein Blender, sondern ein lie- Die Klangwelt bietet laufend benswerter, offener und warmherziger Mensch. verschiedene Kurse rund Überzeugen Sie sich selbst und buchen Sie um dieses archaische Kunst- handwerk an. einen Kurs beim Kreativschmied Soller. klangwelt.swiss/ klangkurse Sepp Brand Zu Sepp könnte man Bücher füllen. Er ist oft bei uns anzutref- fen. Gerade letzten Herbst wurde es sehr intensiv, als er für einen verrückten Auftrag seine Zusage gegeben hat. Es galt, eine riesige Schelle zu schmieden für die «Lotti» – eine fast 3 Meter grosse Holzkuh und prunkvolles Ausstellungsobjekt an diversen Messen in der ganzen Schweiz – welche weitaus grösser sein sollte, als eine normale Kuhschelle. Sepp machte sich kurzum an diese eigentlich fast unlösbare Herausforderung und verbrachte wochenlang an der Esse. Ein wenig verrückt und vernarrt in die Schmiedekunst ist er ja schon, der Sepp. Aber genau das macht ihn aus: Kein Problem ist zu gross, keine Herausforderung wird von ihm gemieden. Sepp hat auch ein eigenes Schellenmuseum in Libingen, welches über 1000 Schellen aus aller Welt beheimatet. Er weiss alles über sein Handwerk und lässt andere sehr gerne an seiner Freude teilen. Sei es an Führungen in der Klangschmiede, an Kursen oder eben bei sich im Museum; wenn man zu Sepp geht, muss man immer genug Zeit einplanen, denn Gespräche mit ihm können dauern. Zu gross ist seine Liebe und sein Wissen zur Schmiedekunst und man hört ihm auch einfach gerne zu. KLANG2020
35 Hephaista und die drei Muske(l)tiere der Klangschmiede
MUSIK 36 Peter Roth Christian Zehnder KLANG2020
37 Im Gespräch mit Peter Roth
MUSIK 38 Christian ZehnderLieber Peter Roth. Das Klanghaus wird nach langem, uner- müdlichem und überzeugendem Engagement gebaut. Es ist, neben deinem Schaffen als Komponist, dein Lebenswerk. Da trete ich als neuer Künstlerischer Leiter ein grosses Erbe an. Bist du jetzt so etwas wie im «Ruhestand»? Peter Roth Es öffnet sich mir eine andere, neue Qualität des Lebens in den Schaffensraum der Ruhe hinein. Früher war ich oft so eingespannt und gefordert mit der Klangwelt und all den Sitzungen, Konzept- entwicklungen, dem Vermitteln und dem ständigen Suchen nach Unterstützung und Geld, dass ich daneben eher ein Feierabend- komponist geworden bin. Seit es mich im operativen Bereich nicht mehr so braucht, habe ich natürlich viel mehr Musse und Ruhe; und die Ruhe und Stille sind ja die eigentliche Inspirationsquellen für uns Musiker. Darum gehen wir ja auch in entlegene Bergtäler. Ich gehe nächstens wieder auf den «Monte Vérita» im Tessin, um mich zurückzuziehen und zu komponieren. Etwas Substanzielles kann nur aus der Stille entstehen und das ist auch etwas, das unsere Zeit wirklich noch grundlegend lernen muss: Dass die Reduktion und Hinwendung zur Stille ein riesiges Potenzial freisetzt. Die Hin- wendung zur Stille und das Schöpfen von Fülle als Musik; «Ver- dichtung in der Beschränkung». Hier sind wir Musiker nicht nur Schamanen, sondern auch Mystiker. Christian ZehnderIch liebe Flüsse, Bäche und Wasserfälle: Fliessende, ewige Musik ist das für mich. Sie haben Töne, ja sogar richtige Tonarten, wenn man den Gewässern richtig in die Tiefe horcht. Der Wasserfall in Unterwasser klang bei meinem letzten Besuch wie ein C-Moll. Im Frühjahr schwankt er aber melodisch zwischen Ges-Dur und Es. Kannst du mit dieser Wahrnehmung von mir etwas anfangen? Peter Roth Ja unbedingt. Für mich ist das Wasser für die Ohren und für das Auge das eigentliche Grundelement des Klanges. Ich kenne auch nicht Schöneres, als ein plätschernder Brunnen zum Einschlafen, das Spiel der Obertöne, wenn das Wasser fein durch die Metallröhre ins Becken fliesst. Aber auch in der Natur, im Gewässer vom Moor, den Bachläufen und Wasserfällen wird das Fliessen zum «weissen Rauschen», was ja eigentlich die Summe aller Obertöne ist. Das war KLANG2020
39 auch eine ganz frühe Einsicht in meinem Leben, auch das «weisse» Licht, das durch die Wassertropfen dringt und die Spektralfarben sichtbar macht. Man denke an den Regenbogen. Durch die Bre- chung des Lichtes entfaltet sich – wie bei einem Prisma – das ganze Spektrum der Farben und damit das Verborgene, das Mystische der Schöpfung. In den Spektralfarben erkennt man auch die Ana- logie zum Klang, den Obertönen, die man in der Musik herausarbei- tet oder extrahiert, sei es im Bau oder im Spiel eines Instrumentes oder in der Arbeit als Komponist. Diese Erkenntnis hat mich sehr geprägt und meine Projekte und Werke inspiriert. Christian Zehnder Ähnlich ergeht es mir, wenn ich auf der Alp im Gras liege und mich der Lautsphäre hingebe, dem Windspiel und den von weit her getragenen Klängen der Schellen. Darin liegt eine Verzauberung. Manch- mal meine ich im fernen «Glüüt» einen Chor zu hören, ein Fragment aus einer Flötensonate, oder das Spielen und Jauchzen von Kindern. Jede Landschaft bringt seine unverwechselbare Musik hervor. Die Kultur des «Johlens» im Toggenburg hätte nie in der Sahara entstehen können. Die topographische Charakteristik prägt, führt und bindet unsere Inspiration und Ausdruck, ob wir es wollen oder nicht. Peter Roth Es ist interessant; wenn man nur schon das Appenzell Inner- rhoden, Ausserrhoden und das Toggenburg miteinander ver- gleicht; die Topographie hat einen grossen Einfluss auf die Melo- dik der regionalen Musik. Die grossen Sprünge und die steilen Aufgänge im «Johlen» und auch die hohen Kopftöne der Toggen- burger Jodel sind für mich wie ein Abbild unserer Topographie. Wenn ich ins Appenzell Ausserrhoden gehe, ist es eine Hügelland- schaft und das passt zu den Chlausenzäuerli. Ein Chlausezäuerli im Toggenburg zu singen, ist schon möglich, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in der «gächen» Landschaft entstehen könnte. Aber natürlich mischen sich die Klänge der Regionen auch wieder miteinander. Im Abbild der Topographie kann man die Gemächlichkeit eines Chlausenzäuerlis mit einem kleinen Ambi- tus von Tönen wunderbar mit der Landschaft von Appenzell Aus- serrhoden verbinden. Die Toggenburger Melodien gehören wiede- rum irgendwie zu dieser Talschaft, eingeklemmt zwischen Säntis und Churfirsten. Im Gespräch mit Peter Roth
MUSIK 40 Christian Zehnder Wir beide lieben edle Tropfen auserlesener Weine. Im Gaumen entfaltet sich für mich z.B. ein 2016 Bordeaux, Château Pape Clément ein bisschen wie die Chöre in der H-Moll Messe von J. S. Bach in meiner Ohrmuschel: göttlich. Zwischen Wein und Musik gibt es viele Analogien. Man hat in Studien herausgefunden, dass beim Trinken von Wein während dem Abspielen von Musik sogar der Experte sein Urteil über den Wein völlig ändert. Nur wenige Spezialisten merkten in der Studie, dass es sich um den gleichen Wein handelte. Im Sufismus steht der Wein auch für die Liebe Gottes. Beeinflusst die Musik unsere Liebe und Offenheit für das Spirituelle? Hat Musik und Klang wirklich eine so unglaubliche Macht? Das Experiment mit dem Wein erinnert da ja schon fast an die Quantenphysik. Peter Roth Zuerst müsste man sagen, von der Quantenphysik her befin- den wir uns ja permanent in einem Feld der Schwingung, der allerlangsamsten messbaren Schwingung von der Erde bis zum Licht. Nun, das Bild, der Geschmack, die Farbe, der Geruch und der Tastsinn entstehen in unserem Wahrnehmungsapparat. Man könnte auch sagen, von aussen kommt ein Meer von Schwingun- gen und Frequenzen an unsere Nase, Ohren, Augen; kurz an unsere Sinne, und diese filtern ganz gewisse Aspekte S’Glüüt zu einem grossen Ganzen. Daraus ergibt sich eine Gesamtwahrnehmung, oder besser, eine Erfahrung. Es ist eine Komposition aus den verschiedenen menschlichen Wahrnehmungs- Vol. I & II Cyrill Schläpfer hat vor feldern. Johann Wolfgang von Goethe sagte ja Jahren verschiedenste schon: «Die Schönheit entsteht im Auge des Kuh-Alpweiden der Schweiz aufgenommen. Eine akus Betrachters». Erst was unsere Sinne am Ende tische Reise durch die Klang- interpretieren, dort entsteht die Schönheit. landschaften von 29 Alp- weiden. Das Geläut stammt vor allem von Alpherden aus dem Entlebuch, Muotat- hal, Schächental, Alpstein und aus Unterwalden. csr-records.ch KLANG2020
41 Christian Zehnder Immer wieder erwähnst du den Musiker John Coltrane. Er gilt heute noch als der Jazzsaxofonist schlechthin. Er war ein spiritueller Sinnsucher, ein expressiver Vulkanausbruch auf seinem Instrument, liebte aber auch lyrische Inseln. «Ich glaube an alle Religionen» sagte er einmal und meinte damit ihren gemeinsamen Kern. Das wunderbare Album «A Love Supreme» ist ein Bekenntnis dazu. Was verbindet dich mit dem gottestrunkenen Musikmystiker? Peter Roth Für mich war John Coltrane ein Sufi. Der Klang geht – wie der Geruch – am tiefsten, nämlich direkt in unser Stammhirn, viel- mehr noch als die Melodie und der Rhythmus. Als ich das erste Mal John Coltrane gehört habe, rührten seine Klänge eine solch tief versunkene Sehnsucht in mir, die nur damit zusammenhängen konnte, dass ich wieder in diese Welt reinkarniert wurde und die- ses verlorene Etwas darin erhören konnte. Für mich hat der Sound von John Coltrane etwas von den archaischen Hirtenkulturen, die stark mit den Obertonspektren verbunden waren. Er spielte ja auch ein unglaublich hartes Blatt (Mundstück) und schuf dadurch bei jedem gespielten Ton unglaublich dichte Wolken von Obertönen. Du kannst nur zwei Töne von ihm hören und du weisst genau, das ist John Coltrane. Er ist ein Magier der Klangfarben, der Obertöne. Sein Spiel ist Seelennahrung, seine Klänge sind heilend, wenn man sich auf ihn einlässt. Daneben gibt es eigentlich nur noch Miles Davis, der mich so in den tiefsten Orten der Seele berührt. Es ist ein Resonanzphänomen: Nicht jeder hört, empfindet dasselbe, es braucht eine gemeinsame Übereinstimmung, eine geistige Fre- quenz, um in Resonanz miteinander zu kommen. Christian Zehnder Auch Karlheinz Stockhausen war für dich ein wichtiger, inspirierender Künstler. Kompositionen wie «Stimmung» und «Sternenklang» befassen sich intensiv mit den Obertonstrukturen und dem Obertongesang. Für viele ist er bis heute aber immer noch völlig unzugänglich und sperrig geblieben. Er hat sich ja auch zwischen Esoterik und Egozentrik eingemauert und mit dieser Weltsicht viele Musiker verstört. Trotzdem, auch ich nähre mich immer wieder von seinen Werken und verrückten Gedanken. Wie würde er wohl einen Jodelclub Säntisgruess erleben, wenn wir ihn hierher einladen könnten? Was würde er in diesen Naturklängen wohl erhören? Im Gespräch mit Peter Roth
John Coltrane 42 KLANG2020
Karl Heinz Stockhausen 43 Johann Sebastian Bach
MUSIK 44 Peter Roth Stockhausen wäre sicher nicht erstaunt, wenn er die Reise machen könnte, die ich gemacht habe: Ich hatte einmal als Student neben Rudolf Kelterborn und anderen bei Karlheinz Stockhausen einen Kompositionskurs. Normalerweise arbeiteten wir in den Kursen mit Notenpapier. Aber dann kam Stockhausen und brachte Tongeneratoren und Synthesizer mit. Ich war erst einmal so über- fordert, ja enttäuscht, weil es meinen damaligen Vorstellungen von Komposition nicht im Geringsten entsprach: Was sollten diese rie- sigen, unsinnlichen elektronischen Kisten mit meiner Vorstellung von Musik schon zu tun haben? Und so wollte ich mich noch am gleichen Tag auf dem Sekretariat vom Kurs abmelden. Ich habe mich aber dann doch darauf eingelassen und durfte damit eine der wichtigsten Grunderfahrung der Musik in meinem Leben machen: Der Klang ist der Grundbaustein aller Musik. Melodie und Har- monie sind erst etwas Sekundäres und Rhythmus ist einfach eine langsame pulsierende Frequenz. Klänge sind wie Farben, wir brau- chen sie für die Komposition und es ist wesentlich, welche Farben wir mischen und wie sie zusammengesetzt sind. Wenn wir uns ein Bild von Mark Rothko anschauen, dann sind das auch einfachste Kompositionen aus Farben, aber in ihrem Wesen tief, hoch kom- plex und deshalb berühren sie uns. Christian Zehnder Jetzt fehlt eigentlich nur noch Johannes Sebastian Bach. Er hat ja immer auf das alte aristotelische Prinzip der Musik als Imitation der Natur verwiesen. Für Bach lag die Kunst der Musik zwischen der realen Welt – der Natur – und Gott, der diese reale Welt ordnet. Die musi- kalische Harmonie nehme Bezug auf die Ordnung der Natur und ihren göttlichen Ursprung. Fast wie ein essentieller Leitsatz der Klang- welt Toggenburg klingt das. Bach war seiner Zeit weit voraus und er wurde nach seinem Tod ja sogar eine Zeit lang vergessen; man stelle sich das mal vor! Und mit dem Komponisten Bach sind wir doch auf eine Art auch wieder beim Fliessen des Wassers, nicht nur seines Namen wegen. «Nicht Bach, Meer sollte er heissen» sagte Ludwig van Bethoven doch. KLANG2020
45 Peter Roth Der Bach, die Flüsse, das Meer – alles Wasser kommt als Regen zurück. Es ist alles zyklisch. Alles kommt wieder, wird verdichtet und vertieft. Die Postmoderne, die versucht, in einer geraden Linie die Moderne weiterzuschreiben, macht für mich manchmal einen verstörten Eindruck, vielleicht auch aus lauter Angst zu etwas zurückzukehren, wo wir schon einmal waren. Man kann aber etwas Erlebtes, etwas Gehörtes auch wieder ganz neu und anders erleben. Die Vollkommenheit von Bachs Musik erfährt man erst über die Zeit, dem wieder und wieder neu Erhören. Genauso ist es mit dem Klang und was die Klangwelt Toggenburg ermöglichen möchte. Zurück- zukehren zum Essentiellen, zum Ursprünglichen – aber nicht zum Volkstümlichen Zementierten, sondern auf dem Bewusstsein, dass alles Schwingung und miteinander verbunden ist. Christian Zehnder Bach war aber auch sehr weltlich, das dürfen wir nicht ver- gessen. In der Bauernkantate zum Beispiel geht es um den Gegensatz zwischen Volks- und Kunstmusik, und im Text um eine Bäuerin und einen Bauern an einem Fest, um den Tanz und durchaus erotische Anspielungen. Bach hat ja selber gerne Wein getrunken und war durch diesen auch dem göttlichen Rausch des Lebens sicher noch viel näher. Das werden wir jetzt auch tun: Aber jetzt Prost lieber Peter, unser Bordeaux wartet: oh du himmlischer Klang! Im Gespräch mit Peter Roth
MUSIK 46 Wiederbekanntmachung mit einem vergessenen Instrument Tromba Marina Ein seit der Barockzeit völlig in Vergessenheit geratenes Instrument steht am 1. Internationalen Naturton & Oberton Symposium 2020 im Zentrum. KLANG2020
47 Tromba Marina
MUSIK 48 Christian Zehnder Geige), während die rechte Hand die Saite mit dem Bogen streicht. Der eigenartige Ton dieses Instruments, der dem Klang einer gedämpften Trompete gleicht, wird durch den besonderen Steg erzeugt, auf den die Saite unten auf dem Resonanzboden gespannt ist. Dieser Steg hat beinahe die D Gestalt eines kleinen Schuhes, der vorne ganz niedrig und dünn, hinten hingegen höher as Trumscheit oder «Tromba und stärker ist. Auf dem hinteren Teil liegt Marina», später auch als Nonnengeige die Saite auf und verursacht beim Anstrei- bezeichnet, ist wohl noch heute eines der chen durch ihre Schwingungen, dass seltsamsten und faszinierendsten Streich- sich der vordere und leichte Teil des Steges instrumente des Abendlandes. Es hat auf dem Sangboden auf und ab bewegt, seinen Ursprung im Mittelalter und war in wodurch der schnarrende Ton – ähnlich der der Renaissance ein weit verbreitetes Ins- gedämpften Trompete – ertönt. trument. Selbst der in Wildhaus geborene Es ist schon irgendwie nachvollzieh- Reformator Zwingli – ein meisterhafter bar, wenn man diesen fast metallischen, Musiker und Multiinstrumentalist – soll es hellen und durchdringenden Klang hört, dass gespielt haben. dieses archaische Streichinstrument unter Das Trumscheit besteht aus einem anderem zum Namen «Marientrompete» meist konischen, zwei Meter langen Kasten gekommen ist. Der Klang ist einer prustenden in Dreiecksform und ist mit einer einzigen Naturtrompete manchmal wirklich täu- Darmsaite bestückt. Es könnte auf den schend ähnlich. Auch die Lautstärke kann es ersten Blick als Vorläufer des Kontrabasses mit den Naturtrompeten der damaligen durchgehen, ist aber etwas komplexer. Zeit aufnehmen, als wäre es die Streicher- Auf diesem Instrument sind, abgesehen vom alternative zum Blasinstrument. Später Grundton, nur Obertöne spielbar. Die Töne wurde das Instrument auch Nonnengeige werden, wie bei einem Monochord, durch die genannt, weil es oft in Klöstern und zu geist- harmonische Teilung der Saite erzeugt licher Musik gespielt wurde. und entsprechen daher der Naturtonreihe. Beim Spielen wird das Instrument schief vor sich hingestellt und der obere Teil gegen die Brust gestemmt. Mit dem Dau- men der linken Hand berührt der Spieler die Saite da, wo die zu greifenden Töne liegen (wie beispielsweise beim Flageolett auf der KLANG2020
49 Frühe Formen des Trumscheits Das Trumscheit geriet nach der stammen bereits aus dem 15. Jahrhundert. Barockzeit mit der Wiener Klassik mehr und Im 17. Jahrhundert und der ersten Hälfte mehr in Vergessenheit. Dass es heute wie- des 18. Jahrhunderts war das Instrument derentdeckt, erforscht und gespielt wird, ist dann richtig populär und es entstanden ein paar wenigen klangbegeisterten Musi- eine Reihe von Kompositionen. Der Gross- kern zu verdanken. Thilo Hirsch, eigentlich meister dieses nach ihm de facto aus dem ein Spezialist der «Viola da Gamma», setzte Gebrauch gekommenen Instruments war sich aus reiner Leidenschaft für den faszi- der Franzose Jean-Baptiste Prin (1668–1743). nierenden Klang lange wissenschaftlich mit Aufgewachsen in England, erlernte er dem Trumscheit auseinander. Gemeinsam das Trumscheit-Spiel von einem englischen mit Trumscheitspezialisten wird er im Lehrer und seinem Vater, mit dem er auch Rahmen des Klangfestivals in einem spezi auftrat. Er galt als Tromba Marina Wunder- ellen Projekt Werke für drei Trumscheite kind. Von seinem Vater wurde er dann und Trommeln uraufführen. auch nach Frankreich geschickt, um sich dort im Tanzen und Trumscheit-Spiel zu vervollkommnen. Prin etablierte sich als Tromba Marina Virtuose, Tänzer und Schauspieler (von 1698 bis 1704 übernahm er die Rolle des Harlequin am Théatre de la Foire in Paris). Die Virtuosität Prins auf diesem seltenen Instrument blieb auch dem Hof in Versailles nicht verborgen, sodass er von König Ludwig XIV. eine Anstellung als «Maître de Naturton & danse» und Tromba-Marina-Solist erhielt. Oberton Später liess er sich in Lyon nieder und wurde als Trumscheitlehrer und -spieler Symposium Im Rahmen des Klangfestivals tätig. Aus seinem Tagebuch geht hervor, 2020 findet auch das 1. Inter- dass er zu dieser Zeit mehr als 150 Trum- nationale Naturton & Oberton Symposium statt. Ein einma scheite bei Instrumentenbauern in Auftrag liger Einblick in die Vielfalt der gab. 1737 zog Prin nach Strassburg, wo er Magie der Töne, in Meisterkur- 1742 das Lehrbuch «Traité sur la trompette sen, Referaten und Konzerten. marine» verfasste. In diesem schrieb er klangwelt.swiss/ symposium über Bau, Technik und Geschichte des Ins trumentes. Unter anderem erwähnte er die afrikanische Ur-Trompete als möglicher Vorläufer des Trumscheits. Seine Manu- skripte und Instrumente vermachte er nach seinem Tod der Akademie von Lyon. Tromba Marina
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