Finanzierung der Corona-Kosten - tragfähig und tragbar - Studie Stand: September 2020

 
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Finanzierung der Corona-Kosten - tragfähig und tragbar - Studie Stand: September 2020
Finanzierung der Corona-Kosten –
 tragfähig und tragbar

Studie
Stand: September 2020

Eine vbw / bayme vbm Studie, erstellt vom
Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Universität zu Köln (FiFo Köln)

      www.vbm.de
Finanzierung der Corona-Kosten - tragfähig und tragbar - Studie Stand: September 2020
Hinweis

Zitate aus dieser Publikation sind unter Angabe der Quelle zulässig.
StudieSeptember 2020
                            Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar

Vorwort
Corona-Kosten mit einer nachhaltigen Finanzpolitik schultern

Die Corona-Krise belastet die öffentlichen Haushalte in Deutschland außerordentlich stark.
Verschiedentlich wird gefordert, dieser Situation mit Steuererhöhungen zu begegnen –
ein Weg, der die Krise allerdings verschärfen würde. Unsere Studie untersucht Maß und
Struktur der im Zusammenhang mit der Pandemie aufgenommenen Schulden. Die Ergeb-
nisse bestätigen die Bedeutung einer sowohl stabilitätsorientierten als auch flexiblen
Fiskalpolitik. Drei Aspekte sind uns in dem Zusammenhang besonders wichtig:

Erstens lassen sich die bisher aufgelaufenen Verpflichtungen des Bundes im Rahmen der
Schuldenbremse darstellen und tilgen. Die Schuldenbremse ist auch in Krisenzeiten eine
tragfähige Grundlage der Haushaltspolitik.

Zweitens lohnt sich als neuer Ansatz ein Blick darauf, wofür öffentliche Kredite im Einzel-
nen aufgenommen werden. Er ermöglicht belastbare Aussagen darüber, wie schnell die
Tilgung unterschiedlicher Schuldentypen erfolgen sollte, um auch für die nächste ähnlich
herausfordernde Situation gerüstet zu sein.

Drittens verbleiben aus unserer Sicht auf allen staatlichen Ebenen bis hin zur EU erhebliche
Risiken, die, falls sie eintreten, insbesondere auch vom Bundeshaushalt aufgefangen wer-
den müssten. In diesem Fall stehen auch vor dem Hintergrund der Schuldenbremse Inves-
titionen auf dem Prüfstand. Höhere Investitionen wären jedoch eine wesentliche Voraus-
setzung dafür, den Schuldendienst, soweit notwendig, auch langfristig tragbar zu halten.

Obwohl die Fiskalpolitik derzeit zurecht auf kurzfristig mit der Krise verbundene Aufgaben
und konjunkturelle Impulse ausgerichtet ist, gilt es also, ein wachsames Auge auf das
Investitionsgeschehen zu haben. Es ist deshalb durchaus sinnvoll, zu überlegen, wie die
Schuldenbremse investitionsorientiert fortgeschrieben werden kann.

Bertram Brossardt
01.09.2020
StudieSeptember 2020
Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar
StudieSeptember 2020
                              Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar

Inhalt
Zusammenfassung                                                                        1

1          Einleitung: Nachhaltige Staatsfinanzen in Krisenzeiten                      3

2          Einflusskanäle der Corona-Krise auf die Tragfähigkeit der
           Staatsfinanzen                                                              8

3          Typisierung unterschiedlicher Schulden-positionen                           14
3.1        Typisierung nach der Mittelverwendung                                       14

3.2        Mittelherkunft ergänzt die Mittelverwendung                                 16

3.3        Institutionelle Verortung als drittes Typisierungsmerkmal                   18

3.4        Managementregeln auf Grundlage struktureller Annuitäten                     19

4          Systematisierung der Neuverschuldung des Jahres 2020                        23

5          Stabilität und Weiterentwicklung der Schuldenbremse                         28

Literaturverzeichnis                                                                   31
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis                                                    32
Anhang                                                                                 33
Ansprechpartner / Impressum                                                            43
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                             Zusammenfassung

Zusammenfassung
Corona-Kosten tragfähig und tragbar halten

In unserer vorliegenden Studie werden die verschuldungsfinanzierten, durch die Corona-
Krise veranlassten Ausgaben des Bundes daraufhin untersucht, ob sie im Rahmen einer
nachhaltigen Finanzpolitik tragfähig und zugleich tragbar finanziert sind. Es zeigt sich, dass
die bislang eingegangenen Verpflichtungen trotz ihres enormen Volumens diesem doppel-
ten Anspruch sehr gut genügen können.

Um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Pandemie zu bekämp-
fen, ergreifen alle staatlichen Ebenen in Deutschland und Europa umfangreiche Maßnah-
men, die in Tragweite und Intensität schon heute einmalig sind. Für die öffentlichen Haus-
halte bedeutet das enorme Mehrausgaben, die zusammen mit den ebenfalls immensen
Steuerausfällen größtenteils durch neue Schulden bestritten werden. Dass die Corona-
Kosten zunächst über Haushaltsdefizite finanziert werden, ist ökonomisch klug und poli-
tisch in der kurzen Frist ohne Alternative. Auch die grundgesetzliche Schuldenbremse sieht
für konjunkturelle Einbrüche und für außergewöhnliche Notsituationen große Ausnahmen
von den engen Defizitregeln vor. Dennoch müssen von Anfang an auch die langfristigen
Auswirkungen auf die Staatsfinanzen betrachtet werden, um abzuschätzen, welche
Zukunftslasten aufgebaut werden. Ziel muss es sein, die kurzfristig notwendigen Zusatzbe-
lastungen in eine nachhaltige Finanzpolitik einzubetten, die investive Zukunftsvorsorge,
intergenerative Gerechtigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Einklang hält.

Die Kurzstudie formuliert diesen Anspruch mit zwei Kriterien: Die anlässlich der Corona-
Krise notwendigen neuen Staatsschulden sollen tragfähig und tragbar finanziert werden.
Tragfähig ist Neuverschuldung, wenn ihre Tilgungsfristen den Zeitprofilen der damit finan-
zierten Aufgaben entsprechen, so dass sie die bestehenden expliziten und impliziten
Zukunftslasten nicht über Gebühr erhöhen. Zugleich tragbar wird Neuverschuldung, wenn
sie nicht darauf angelegt ist, mit der wirtschaftlichen Wiederbelebung durch direkte Ein-
nahmeerhöhungen schnellstmöglich wieder getilgt zu werden. Um konjunkturell verur-
sachte Defizite, die nicht über automatische Stabilisatoren selbst getilgt werden, dennoch
nicht auf Dauer in die Zukunft fortzuschreiben, soll eine tragbare Finanzierung der Corona-
Kosten mittelfristige Tilgungspfade ohne prioritäre Steuermaßnahmen ins Auge fassen.

Diese Fristenlogik wird in der Untersuchung umgesetzt, indem die sogenannte goldene
Regel staatlicher Investitionsfinanzierung für jegliche kurz-, mittel- und langfristig ausge-
richtete öffentliche Aufgaben verallgemeinert wird. In Anlehnung an die Pay-as-you-use-
Maxime werden unterschiedliche Tilgungszeiträume formuliert, die den Wirkungs- bzw.
Absicherungszeiträumen der unterschiedlichen Mittelverwendungen entsprechen. Als Ver-
wendungszwecke der neu aufgenommenen Schulden werden dabei unterschieden: Unmit-
telbar Corona-bedingte Ausgaben, konjunkturelle Mehrausgaben und Mindereinnahmen,
intergenerative Maßnahmen sowie investive Ausgaben. Die als angemessen gerechneten
Tilgungszeiten reichen von der im konjunkturellen Aufschwung einsetzenden schnellen
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und automatischen Tilgung einiger neuer Verpflichtungen bis hin zur Tilgung von Investiti-
onskrediten über die Lebensdauer der jeweiligen Infrastrukturen und Investitionsgüter.
Diese längste Tilgungsfrist wird hier vereinfachend mit 30 Jahren angesetzt. Analog zu dem
Begriff des strukturellen Defizits aus der Schuldenbremse werden für verschiedene Til-
gungsdauern hier „strukturelle Annuitäten“ errechnet. Das sind unterstellte gleichmäßige
Jahresraten, die aber in der Realität konjunkturgerecht zu bedienen wären.

Stellvertretend für alle staatlichen Ebenen von der Gemeinde bis zur EU wendet die Kurz-
studie diese Maßstäbe auf die durch die Corona-Krise veranlassten neuen Schulden des
Bundes an, die bis zum Beginn der zweiten Jahreshälfte 2020 beschlossen worden sind.
Mit dem ersten und zweiten Nachtragshaushalt wurde eine Kreditaufnahme von insge-
samt 218,5 Milliarden Euro beschlossen. Nach Verrechnung mit den Salden der Sonderver-
mögen und abzüglich der Defizite, die sich über automatische Stabilisatoren selbst tilgen
können, verbleibt noch eine Neuverschuldung von 154 Milliarden Euro, die im Rahmen
einer tragfähigen und tragbaren Finanzierung der Corona-Kosten aktiv wieder zu tilgen ist.

Übersetzt in die Fristenlogik der Studie führt das zu strukturellen Annuitäten von anfäng-
lich acht Milliarden Euro; nach Ablauf der ersten Fristen sinken die Annuitäten dann
schrittweise. Diese Belastung ist gewiss nicht unerheblich, jedoch gut zu handhaben und
ohne Steuererhöhungen zu tragen. Zudem kollidieren solche strukturelle Tilgungsaufwen-
dungen nicht mit der grundgesetzlichen Neuverschuldungsgrenze, die für den Bund bei
0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Betrachtet man unsere Analyse aus dieser
Perspektive, bleiben die im ersten Halbjahr 2020 für den Bund neu veranlassten strukturel-
len Annuitäten mit insgesamt 0,23 Prozent des BIP deutlich unter dieser Grenze.

Die „Schwarze Null“ des Bundes ist zwar vorerst Geschichte. Die aber angesichts der aktu-
ellen Volumina an Corona-Hilfen überraschend moderate Zusatzbelastung lässt diese Ein-
buße finanzpolitisch und makroökonomisch gut verkraften. Für die aktuellen Corona-Kos-
ten des Bundes werden auch mittelfristig keine Steuererhöhungen als Gegenfinanzierung
benötigt. Dennoch kann für die Schuldenbremse keine bedingungslose Entwarnung ausge-
sprochen werden. Denn in der Mitte des Jahres 2020 herrschen noch erhebliche Ungewiss-
heiten über den Verlauf der Pandemie, ihrer wirtschaftlichen Folgen und weitere staatli-
cher Maßnahmen, die nötig werden dürften. Das gilt auch im Verhältnis des Bundes zu den
Ländern und Kommunen; ebenso zur Europäischen Union und zur Weltgemeinschaft.

Insofern lohnt ein Blick auf die zukünftige Schuldenbremse. Finanzwissenschaftlich ist sie
in ihrer heutigen Ausgestaltung durchaus nicht unproblematisch. Sie ist zwar nicht die
Ursache der seit 15 Jahren virulenten staatlichen Investitionskrise. Sie ist aber auch nicht
hilfreich bei deren Überwindung. Hier wäre es besser, die Schuldenbremse z. B. zu einer
an Nettoinvestitionen ausgerichteten goldenen Regel weiterzuentwickeln. Eine solche
investive Schuldenbremse muss manipulationsfest und transparent sein. Sie muss Sonder-
regeln für Krisen und Notlagen umfassen. Und sie muss im europäischen Kontext refor-
miert werden, denn der Fiskalpakt muss analog laufen. Hier gibt es auf deutscher wie auf
europäischer Ebene noch viel zu tun.
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                            Einleitung: Nachhaltige Staatsfinanzen in Krisenzeiten

1 Einleitung: Nachhaltige Staatsfinanzen in
  Krisenzeiten
Hohe Defizite wegen Corona und solide Staatsfinanzen sind kein Wider-
spruch, solange die neuen Schulden tragfähig und zugleich tragbar sind

Das Jahr 2020 bringt mit der Corona-Pandemie für Deutschland, Europa und die meisten
Länder der Welt einen tieferen Einschnitt als jede andere Krise seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs. Mit dem Beginn der zweiten Jahreshälfte 2020 hat die Pandemie seit ihrem
Ausbruch weltweit schon mehr als eine halben Millionen Menschen das Leben gekostet.
Wie sich diese Zahlen weiterentwickeln, ist noch gänzlich unabsehbar angesichts der un-
terschiedlichen medizinischen Kapazitäten und Abwehrstrategien, aber auch hinsichtlich
der fieberhaft vorangetriebenen Entwicklung von Arzneimitteln und Impfstoffen. Gesund-
heit und Schutz der Menschen müssen in dieser Situation immer Priorität haben. Unter
diesem Vorzeichen steht auch unsere vorliegende Kurzstudie „Finanzierung der Corona-
Kosten – tragfähig und tragbar“.

Die Kurzstudie betrachtet aus einer primär ökonomischen Perspektive die Corona-Kosten,
die bei der öffentlichen Hand anfallen. Angesichts der menschlichen Verluste und Einbu-
ßen der Haushalte und Unternehmen sind die Kosten für die öffentliche Hand gewiss nicht
die einzigen und auch nicht die höchsten. Gleichwohl spielen die staatlichen Lasten, die
durch die Pandemie veranlasst sind, eine besondere Rolle. Denn dem Staat kommt auf
allen seinen Ebenen – von den Kommunen über die Länder, den Bund bis zur Europäischen
Union – in einer solchen Krise eine doppelt wichtige Funktion zu. Nicht nur ist der Staat
oberster Garant und wichtiger Akteur bei der medizinischen und seuchenpolitischen
Bekämpfung der Epidemie. Dem Staat einschließlich der großen Sozialversicherungen fällt
es auch zu, den notwendig gewordenen gesellschaftlichen Stillstand und die wirtschaftli-
che Rezession abzufangen. Er soll dafür sorgen, dass temporäre Unterbeschäftigung nur
selten in die Arbeitslosigkeit führt und dass möglichst viele Unternehmen – seien es Einzel-
selbst-ständige, seien es Weltkonzerne – das Ende des erzwungenen Stillstandes erleben
und den Weg zurück in ihr normales Geschäft finden können.

Entsprechend groß sind die Löcher, die die Corona-Krise schon jetzt in die öffentlichen
Haushalte reißt. 2019 noch schloss der gesamtstaatliche Haushalt, d. h. das konsolidierte
Gesamtergebnis von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen, zum achten
Mal in Folge mit einem Überschuss ab. Nach den vom Statistischen Bundesamt ermittelten
Daten in der Abgrenzung nach den Maastricht-Kriterien betrug der Überschuss 49,8 Milli-
arden Euro. Damit reichte er nicht mehr ganz an die 62,4 Milliarden Euro heran, die 2018
mit einem Rekordergebnis hatten enden lassen. Die lange Reihe von Überschüssen hatte
dazu geführt, dass Deutschland seine Staatschuldenquote von 81 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts im Jahr 2019 auf 59,8 Prozent senken konnte – d. h. unter die 60-Prozent-
schwelle, die nach dem Maastricht-Vertrag und dem Fiskalpakt der vereinbarte Maßstab
der langfristigen Staatsverschuldung sein soll.
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Von diesen Konsolidierungserfolgen aus der Hochkonjunktur wird vorerst wenig bleiben.
Krisenzeiten sind Zeiten steigende Staatsverschuldung. Öffentliche Kreditaufnahme und
aktive Konjunkturpolitik sind auch im 21. Jahrhundert zentrale Elemente staatlicher Krisen-
reaktion. Diese Lektion hatte die Weltwirtschaft nach der Wirtschafts- und Finanzkrise von
2008 sehr gründlich (wieder) lernen müssen. Die gewonnene Erfahrung kam Deutschland
und seinen europäischen Partnern in der Corona-Pandemie nun sehr zugute, denn viele
Mechanismen der ökonomischen Krisenreaktion erwiesen sich als gut eingespielt. Insbe-
sondere die Stabilität des Bankensektors und der Finanzmärkte, in der letzten Krise die
Achillesferse der Weltwirtschaft, ist im Jahr 2020 kein vordringliches Thema.

Ein Element klassischer Konjunkturpolitik ist es auch, die Lasten, die in einer Krise als neue
Kredite aufgenommen werden müssen, nicht aus dem Auge zu verlieren und dafür zu sor-
gen, dass sie in guten Zeiten wieder abgebaut werden können. Dafür ist in Deutschland mit
den Regeln zur „Schuldenbremse“ des Bundes und der einzelnen Länder auch vorgesorgt.
Die unmittelbar der Konjunktur zuzurechnenden Defizite werden über ökonomisch kom-
plexe Ermittlungen quantifiziert und auf „Kontrollkonten“ gebucht, so dass sie in besseren
Zeiten konjunkturgerecht wieder zurückgeführt werden können. Für Neuverschuldung, die
darüber hinausgeht, müssen Tilgungspläne aufgestellt werden.

Spätestens an diesem Punkt wird es für den Außenstehenden undurchsichtig. Denn tat-
sächlich haben Bund und Länder mit ihren jeweiligen Corona-bedingten Nachtragshaushal-
ten eigene Tilgungspläne vorgelegt, sofern sie entsprechende über die Schuldenregel hin-
ausgehende Neuverschuldung beschließen mussten. Manche Länder haben beschlossen,
mit der Tilgung schon 2021 zu beginnen, die meisten 2023 oder 2024; andere wollen erst
ab 2025 damit starten oder legen sich, wie Nordrhein-Westfalen, noch nicht fest. Diese
mehrheitlich in der Osterzeit 2020 festgelegten Pläne spiegeln vor allem die Tatsache
wider, dass Tiefe und Dauer der Corona-Krise zu dieser Zeit noch gänzlich unkalkulierbar
waren. Auch heute sind wir noch ein gutes Stück davon entfernt, hier verlässliche Aussa-
gen treffen zu können. Weniger als der ungewisse Tilgungsstart fallen damit die unter-
schiedlichen Einschätzungen zur Tilgungsdauer ins Auge. Hier klafft das zeitliche Spektrum
zwischen drei Jahren (Sachsen-Anhalt) und fünfzig Jahren (NRW) auseinander. Die Mehr-
heit der Länder mit entsprechender Neuverschuldung legen Tilgungsdauern zwischen zehn
und dreißig Jahren vor; der Bund und der Freistaat Bayern haben zwanzig Jahre festge-
schrieben.1

Auch diese Tilgungsfristen sind unter einem Vorzeichen großer Ungewissheit über die Art,
Tiefe und Dauer der Corona-Krise festgelegt worden. Sie bilden zusammen mit den gro-
ßen, die Wahrnehmung zuweilen überwältigenden Beträgen von hunderten Milliarden
Euro öffentlicher Hilfsmittel die zentrale Motivation für die vorliegende Studie. Auch wenn
die Entwicklung zum Beginn der zweiten Jahreshälfte noch kaum mehr Gewissheit zulässt,
gibt es doch gute Gründe, angesichts der aufziehenden Schuldenlast unklarer Höhe und
Fristigkeit nach Orientierung zu suchen. Denn auf der einen Seite entsteht die zukunfts-
fromme Hoffnung, man müsse die „Corona-Schulden“ am besten niemals zurückzahlen.

1      Die Daten und Fristen sind einer Übersicht des Landesrechnungshofs Schleswig-Holstein (26.05.2020) entnommen.
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Auf der anderen Seite stünde das traditionelle keynesianische Rezept einer aktiven Stabili-
sierungspolitik, die z. B. der halbjährigen Umsatzsteuersenkung um drei Punkte unter den
19 Prozent-Standardsatz in der nächsten konjunkturellen Hochphase eine temporäre Erhö-
hung im gleichen Umfang über den Regelsatz entgegensetzen würde.

Aus heutiger Sicht können diese beiden Ideen in erster Linie dazu dienen, den Wunsch
nach mehr Klarheit und Struktur weiter zu motivieren. Als Orientierung für eine Finanzpoli-
tik in und nach der Corona-Krise können sie hingegen nicht dienen. Weder kann eine trag-
fähige, intergenerativ gerechte Finanzpolitik darauf bauen, die aus der akuten Krisenbe-
kämpfung entstehenden Defizite noch nicht völlig absehbarer Größe als Ewigkeitslast in
die Zukunft fortzuschreiben. Noch kann für die aus der Krise wieder gerade hochkom-
mende Wirtschaft und Gesellschaft eine „konjunkturgerechte“ Steuererhöhung auferlegt
werden, die ihr in wachstumspolitisch nicht tragbarer Weise schnell die volle Rechnung für
die Corona-Rettung präsentiert.

Die in und anlässlich der Corona-Krise notwendigen neuen Staatsschulden sollen tragfähig
und tragbar finanziert werden.

– Tragfähig: Jede Staatsverschuldung verändert die finanziellen Spielräume für öffentli-
  che Leistungen nicht nur der gegenwärtigen Generationen, sondern auch der kommen-
  den. Das gilt für neu aufgenommene Verschuldung oder schon überkommene, für expli-
  zite Verschuldung ebenso wie für implizite (z. B. unterlassene Investitionen, nicht
– gedeckte Pensionsversprechen). In der zinslosen Gegenwart aufgenommene Belastun-
  gen sind zwar leichter zu tragen als solche, die über Zinseffekte immer weiter anschwel-
  len. Dennoch addieren sich alle „Corona-Schulden“ zu den anderen intergenerativen
  Finanzierungen hinzu. (Zudem ist der zinslose Zustand makroökonomisch sehr unge-
  sund, so kommod er für das Schuldenmanagement auch erscheinen mag.) Nachhaltige
  Finanz-politik zieht ihr Selbstverständnis aus einem Gesamtbild dieser Pflichten und der
  entsprechenden Laufzeiten der Finanzierungen.

– Tragbar: Zugleich schadet sich jede Politik zur ökonomischen Wiederbelebung nach der
  tiefen Corona-Rezession deutlich, wenn sie auf schnelle steuerliche Kompensation der
  Einnahmenverluste aus der Krise setzt, sobald die Wirtschaft nach dem Wiedererrei-
  chen der Vor-Krisen-Leistungsfähigkeit wieder beginnt, Dynamik zu entwickeln. In der
  offenen Weltwirtschaft sind solche Maßnahmen sehr viel gefährlicher als dies im Öko-
  nomie-Lehrbuch zuweilen noch erscheinen mag. Denn Deutschland war schon vor der
  Corona-Krise ein Staat mit nicht mehr wettbewerbsgerechten Steuersätzen.2 Hinzu
  kommt, dass Europa und mit ihm Deutschland vor mehreren industriepolitischen Her-
  ausforderungen stehen, um bei wichtigen Zukunftstechnologien wie z. B. der künstli-
  chen Intelligenz nicht ins Hintertreffen zu geraten.3 Um dennoch konjunkturell verur-
  sachte Defizite, die nicht über automatische Stabilisatoren selbst getilgt werden, nicht

2      Vgl. Wiss. Beirat des BMF (2019).
3
       Vgl. Thöne/Kreuter (2020) für einen Überblick der (nicht allein) industriepolitischen Herausforderungen der EU und
       ihrer Mitgliedsstaaten.
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    auf Dauer in die Zukunft fortzuschreiben, sollte eine tragbare Finanzierung der Corona-
    Kosten mittelfristige Tilgungspfade ohne prioritäre Steuermaßnahmen ins Auge fassen.

Beide Ansprüche könnten in einen großen und vollständigen Rahmen für die langfristige
Finanzpolitik jeder Gebietskörperschaft (einschließlich der Europäischen Union) eingebet-
tet werden. Die vorliegende Kurzstudie kann diesen Versuch allerdings nicht unternehmen.

Vielmehr gehen wir einfacher vor. Wir identifizieren neu aufgenommene Schulden nach
ihrer Mittelverwendung und Mittelherkunft und klassifizieren sie anschließend hinsichtlich
ihrer tragfähigen und tragbaren Finanzierung. Auf dieser Grundlage formulieren wir
Managementregeln als einfache Heuristiken, mit denen umfangreiche und vielschichtige
Neuverschuldungsmaßnahmen transparent gemacht werden können. Am Ende der
Betrachtung kann prinzipiell jede Verschuldung, die durch Ausgaben oder Einnahmeaus-
fälle anlässlich der Corona-Krise eingegangen wurde oder wird, einer typspezifischen Til-
gungsfrist zugeordnet werden. Auf dieser Grundlage werden aufgabenspezifische „struktu-
relle Annuitäten“ formuliert, die eine tragfähige und zugleich tragbare Art der Finanzie-
rung der Corona-Kosten widerspiegeln.

Dabei orientiert sich der Begriff der strukturellen Annuität im ökonomischen Kern an den
Prinzipien der Schuldenbremse des Art. 115 des Grundgesetzes. Dort wird das tatsächliche
Defizit bzw. der tatsächliche Überschuss, vereinfacht gesprochen, in eine strukturelle und
in eine konjunkturelle Komponente aufgeteilt. In Anlehnung daran verstehen wir hier die
strukturelle Komponente als den allen konjunkturellen und anderen Schwankungen ent-
hobenen Langfristtrend. Ist das strukturelle Defizit in jedem Jahr tragfähig und tragbar,
sind es auch die Staatsfinanzen. Kann die strukturelle Annuität nach Maßgabe der Schul-
denbremse bzw. des europäischen Fiskalpakts in jedem Jahr finanziert werden, ist unge-
fähre Kompatibilität zur Tragfähigkeit der Staatsfinanzen gewährleistet. Dabei ist immer
festzuhalten, dass die Prinzipien einer nachhaltigen, intergenerativ gerechten Staatsfinan-
zierung bei vertiefter Betrachtung auch mehr als das verlangen können. Diese „große“
Frage soll ‒ wie dargestellt ‒ hier zwar nicht angegangen werden, da sie immer die
Gesamtheit der Staatsfinanzen betrachten muss.4 Unsere vereinfachte, auf die zusätzli-
chen Corona-Kosten beschränkte, Betrachtung wird gleichwohl einen guten Eindruck ver-
mitteln können, wie und in welche Richtung sich das Gesamtbild verändern wird.

Die tragfähige und tragbare Finanzierung der Corona-Kosten muss das Ziel für jede
Gebietskörperschaft sein, von der kleinsten Gemeinde bis zur großen EU. Ökonomische
Maßstäbe, wie wir sie hier formulieren, haben zudem keine Nationalität. Sofern sie richtig

4       Die vollständige langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen bzw. eines konkreten öffentlichen Haushaltes ist
        mit diesen einfachen Leitlinien noch nicht zwingend gewährleistet; sie tragen bei konsistenter Umsetzung aber weit zu
        einer intergenerativ nachhaltigen Finanzpolitik bei. Zum Gesamtbild fiskalischer Tragfähigkeit kommen noch demografi-
        sche Entwicklungen sowie die Kompensation von Versäumnissen aus der Vergangenheit (Investitionslücken, fehlende
        Versorgungsrücklagen u. ä.). In diesem Sinne vollständige Tragfähigkeitsrechnungen werden derzeit nur vereinzelt auf
        der kommunalen Ebene realisiert (vgl. Difu/FiFo, 2018, sowie Koldert/Thöne, 2018). Der aktuelle 5. Tragfähigkeitsbe-
        richts des BMF bietet – mit Ausnahme der Investitionslücken – aber auch schon ein sehr umfassendes Bild (vgl. BMF
        2020 sowie Werding et al., 2020). Thöne (2020) diskutiert die Zukunftsinvestitionen und Tragfähigkeit der Finanzpolitik
        zu Anfang der Corona-Krise.
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sind und zudem als richtig akzeptiert werden, sollte die tragfähige und tragbare Finanzie-
rung der Corona-Krise Ziel und Maßstab der längerfristigen Finanzpolitik jedes Staates
inner- und außerhalb der EU sein.

Dennoch gilt das quantitative Hauptaugenmerk dieser Studie dem Bund. Er wird als ver-
gleichsweise verlässliche und zugleich generalisierbare Datengrundlage genutzt, um Krite-
rien einer tragfähigen und tragbaren Corona-Finanzierung exemplarisch darzustellen. Auf
die deutschen Länder auf der einen Seite und auf die Europäische Union auf der anderen
Seite werden nur kurze Blicke geworfen.

Doch der Bund wird hier nicht allein aus Daten- und Platzgründen in den Mittelpunkt
gerückt; in vieler Hinsicht ist er der Drehpunkt im Gesamtfiskus. Die Finanzen des europäi-
schen Vier-Ebenen-Staats sind aus deutscher Sicht als ein (wenn auch nicht perfektes)
System kommunizierender Röhren angelegt:5

– Die Gemeinden und Kreise sind über die (vertikalen) kommunalen Finanzausgleiche der
  einzelnen Länder mit den jeweiligen Landesfinanzen verbunden.

– Die Länder sind über den seit 2020 vertikal gestalteten Länderfinanzausgleich auf das
  Engste mit dem Bund verflochten. Zwar nicht de jure, aber doch de facto gibt hier die
  Finanzkraft des Bundes vor, wie gut die Länder finanziert sind.

– Schließlich ist die Europäische Union heute (noch) ebenfalls de facto von den Mitglieds-
  staaten und deren Stimme im Europäischen Rat abhängig. Die Eigenmittelbeschlüsse
  und der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) werden von den Mitgliedsstaaten determi-
  niert.

Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Bundes steht damit im Mittelpunkt einer tragfähigen
und tragbaren Finanzierung aller staatlichen Corona-Kosten. Das gilt, obwohl die dem
Bund zufallenden Finanzierungslasten gewiss nicht die einzigen der vier Ebenen sind. Inso-
fern ist unsere Betrachtung primär der Bundesfinanzen mehr als nur exemplarisch, sie
setzt am fiskalischen Kern aller Staatsfinanzierung an.

In Kapitel 2 geben wir einen aktuellen Überblick primär über die Finanzen der vom Bund zur
Bewältigung der Corona-Krise ergriffenen Maßnahmen. Kapitel 3 bietet eine grundsätzliche
Systematisierung verschiedener Schulden an, wobei zwischen Mittelherkunft, Mittelver-
wendung und institutioneller Verortung unterschieden wird. Diese Systematisierung wird in
Kapitel 4 auf die Corona-bedingte Neuverschuldung des Bundes angewandt. Kapitel 5 zieht
hieraus die Schlussfolgerungen, indem es sich mit der Angemessenheit der grundgesetzli-
chen Schuldenregel angesichts der neuen Herausforderungen befasst.

5      Vgl. Bullerjahn/Thöne (2018).
StudieSeptember 2020                                                                 8
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                                    Einflusskanäle der Corona-Krise auf die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen

2 Einflusskanäle der Corona-Krise auf die
  Tragfähigkeit der Staatsfinanzen
Im Mittelpunkt stehen die Nachtragshaushalte des Bundes und deren
Folgen für die Neuverschuldung

Die Corona-Pandemie mit den erzwungenen Lockdowns und deren Folgen werden die
Schuldenquoten aller europäischen Staaten in die Höhe treiben. Diese Anstiege werden
vor allem durch umfangreiche defizitfinanzierte Ausgabenprogramme verursacht, die für
gesundheitliche, seuchenpolitische und wirtschaftliche Hilfen aufgewendet werden.

Abbildung 1
Schuldenstand der Euro-Länder 2019 und Prognose 2020
(in Prozent des BIP)6

Quelle: Europäische Kommission, ameco.

6
        Die Prognose basiert auf der Annahme einer „unveränderten Politik“, es sei denn, es wurden glaubwürdig konkrete
        politischen Maßnahme angekündigt.
StudieSeptember 2020                                                      9
                            Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar

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Zudem wird das Bruttoinlandsprodukt vielerorts drastisch sinken, weil die Ausgaben der
privaten Haushalte rückläufig sind und die Unternehmen weniger investieren und abset-
zen. Infolgedessen sinken auch die Steuereinnahmen der Staaten, so dass zur Finanzierung
der Anti-Krisen-Maßnahmen in noch größerem Umfang Kredite aufgenommen und Anlei-
hen emittieren werden müssen. In der üblichen Darstellung der Schuldenlasten als Anteil
am Bruttoinlandsprodukt (BIP) wirkt das auf beiden Seiten der Quote in die gleiche Rich-
tung: Die Schulden steigen im Nenner; das BIP sinkt im Zähler (Abbildung 1).

Die Europäische Kommission erwartet, dass im laufenden Jahr die durchschnittliche Schul-
denquote des Euro-Raums um 17 Prozentpunkte auf fast 103 Prozent steigen wird (Stand:
06. Mai 2020). Die Verschuldung wird speziell in den Ländern besonders stark ansteigen,
die bereits von der Finanzkrise 2009 hart getroffen waren. In Italien ist ein Anstieg der
Schuldenquote um 24 Prozentpunkte zu erwarten, in Spanien und in Griechenland um
20 Prozentpunkte. Diesen Staaten drohen Herabstufungen in ihren Ratings als staatliche
Schuldner, wodurch die Kreditaufnahme verteuert und somit ihre Handlungsspielräume
zur Reaktion auf die Krise weiter eingeschränkt werden können.

Deutschland hingegen hat dank seiner erfolgreichen Konsolidierungspolitik und begünstigt
durch die lange währende Hochkonjunktur acht Jahre mit Haushaltsüberschüssen erfah-
ren. Die schnell gesunkenen Schuldenquoten der vergangenen Jahre übersetzen sich in
bessere Bedingungen zur Neuverschuldung. Diese Option wird nun auf allen gebiets-
körperschaftlichen Ebenen intensiv genutzt. Der Bund steht als finanzpolitischer Schlüssel-
akteur zwar im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Dieser Fokus leugnet zugleich nicht, dass
auch die anderen staatlichen Ebenen durch die Corona-Pandemie finanziell erheblich in
Anspruch genommen sind.

Bei den bisher auf europäischer Ebene beschlossenen Hilfen über die Europäische Investi-
tionsbank (EIB), den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und die temporäre
Kurzarbeitergeld-Rückversicherung (SURE) handelt es sich um zinsgünstige Darlehen an
besonders betroffene Unternehmen bzw. deren Mitgliedsstaaten. Sofern diese Darlehen –
bis insgesamt maximal 540 Milliarden Euro – von den Empfängern zurückgezahlt werden,
entsteht für die EU daraus noch kein originäres und längerfristiges Schuldenproblem. Der
von der Europäischen Kommission im Mai vorgeschlagene „Europäische Aufbauplan“ zur
Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Bewältigung des Corona-Schocks sieht jedoch
neben zusätzlichen Darlehen von bis zu 250 Milliarden Euro auch Transfers in Höhe von
500 Milliarden Euro vor, die aus künftigen Haushalten – nicht vor 2028 und nicht nach
2058 – finanziert werden sollen. Noch ist nicht beschlossen, wie diese Rückzahlung genau
erfolgen soll. Die Kommission schließt die Möglichkeit nicht aus, zu diesem Zweck neue
Eigenmittel einzuführen (wie z. B. Einnahmen aus einer Ausweitung des Emissionshandels-
systems, einer Steuer auf Aktivitäten von Großunternehmen, einer EU-Digitalsteuer). Es
könnte aber auch zu einer Erhöhung der Eigenmittel-Zahlungen aus den Steuereinnahmen
StudieSeptember 2020                                                              10
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der Mitgliedsstaaten kommen.7 Der Beschluss zur schnellen Umsetzung des „Aufbauplans“
wird eine der ersten großen Aufgaben der deutschen Ratspräsidentschaft ab Juli 2020 sein.
Sofern sich die skizzierten Planungen zu einer langfristigen Tilgung der dann europäischen
Corona-Schulden über bis zu 30 Jahre bewahrheiten, wird auch auf europäischer Ebene
die Frage der vorliegenden Studie nach einem angemessenen, ökonomisch fundierten
Management dieser Schulden relevant.

Bei den deutschen Ländern und ihren Kommunen ist das auch heute schon der Fall. Zwar
sind Bund, Länder und Kommunen über Gemeinschaftsteuern und gestufte Finanzaus-
gleichssysteme finanziell eng miteinander verbunden. Dennoch werden die Länder und
Kommunen ihre Corona-Kosten größtenteils selbst managen und letztlich auch tragen
müssen. Beznoska und Pimpertz (2020) tragen in einer aktuellen vbw Kurzstudie die ge-
genwärtig schon bekannten Corona-Kosten dieser beiden Ebene zusammen. Bei den
Ländern sind dies für 2020 zusammen 101,4 Milliarden Euro, davon 66,4 Milliarden Euro
Mehrausgaben und 35 Milliarden Euro steuerliche Mindereinnahmen. Auf der kommuna-
len Ebene werden vorerst Corona-Kosten von 19,6 Milliarden Euro veranschlagt. Hier
dominieren eindeutig die steuerlichen Mindereinnahmen mit 15,6 Milliarden Euro, Mehr-
ausgaben werden mit vier Milliarden Euro beziffert.

Die Neuverschuldung auf Bundesebene wird hier detaillierter betrachtet, um auf die wei-
tere Analyse hinzuführen. Schon im März hat die Bundesregierung einen ersten Nachtrags-
haushalt für 2020 verkündet, mit dem sie eine sofort wirksame Antwort auf die Auswir-
kungen der Corona-Pandemie geben wollte. Am 17. Juni legte die Bundesregierung dann
einen Entwurf für einen zweiten Nachtragshaushalt für 2020 vor, der einige der Sofort-
maßnahmen korrigiert und die finanziellen Voraussetzungen schafft, um unter anderem
das am 03. Juni 2020 vom Koalitionsausschuss beschlossene Konjunkturpaket schon teil-
weise im laufenden Jahr umzusetzen. Ende Juni 2020 haben Bundestag und Bundesrat den
Nachtragshaushalt und die nötigen Steueränderungen beschlossen.

Tabelle 1 fasst die Details der beiden Nachtragshaushalte für 2020 zusammen. Insgesamt
sind in ihnen zusätzliche Ausgaben in Höhe von 147,3 Milliarden Euro veranschlagt, der
erwartete Rückgang der Einnahmen beträgt zusammen 71,2 Milliarden Euro.

7
       Die überwiegend am Bruttonationaleinkommen (BNE) orientierten Eigenmittel der EU entsprechen in ihrer Wirkung
       Zahlungen der Mitgliedsstaaten an den EU-Haushalt; dies wiederum würde die künftigen nationalen Haushalte belasten.
StudieSeptember 2020                                                              11
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Tabelle 1
Nachtragshaushalte des Bundes für 2020

                                                                                                             Mrd. Euro

Mehrausgaben                                                                                                    147,3
darunter    Soforthilfe Kleinunternehmen und Solo-Selbständige                                                   18,0
            Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Unternehmen                                      25,0
            Pandemiebekämpfung und Pandemievorsorge                                                              13,5
            Zuschüsse an Gesundheitsfonds und Ausgleichsfonds                                                      5,3
            Mittelaufstockung ALG II, Kosten der Unterkunft, Grundsicherung im Alter, etc.                       11,1
            Überjähriges Liquiditätsdarlehen an der Bundesagentur für Arbeit                                       9,3
            Ausgleichszahlungen nach § 21 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes                                   11,5
            Vorsorge für den Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinde                               6,1
            Zahlungen aufgrund von Gewährleistungen und Garantien                                                  5,9
            Erhöhung des Eigenkapitals der Deutschen Bahn AG                                                       5,0
            Milderung und Prävention von pandemiebedingten Notlagen im Kulturbereich                               1,0
            Unterstützung der großen außeruniversitären Forschungsorganisationen                                   0,5
            Entwicklungszusammenarbeit und Auslandsbeziehungen                                                     2,2
            Ausbau von Ganztagschulen und Kinderbetreuung                                                          2,0
            Sicherung der beruflichen Ausbildung                                                                   0,1
            Unterstützung der regionalen Wirtschaftsstrukturen                                                     0,2
            Zuweisung an den Energie- und Klimafonds                                                             26,2
            Zuweisung an das Sondervermögen "Digitale Infrastruktur"                                               1,0
            Investitionen im Rahmen des Konjunkturpakets 2020                                                      3,0
            Investitionen für Fahrzeughersteller                                                                   1,0
            Zinsausgaben                                                                                          -2,9
Mindereinnahmen                                                                                                  71,2
darunter    Konjunkturbedingte Ausfälle bei BundesSt u. Bundesanteilen an GemeinschaftSt                         40,5
            Steuerliche Hilfsmaßnahmen (Corona-Steuerhilfegesetz)                                                17,6
            Ausgleich der Lasten des ÖPNV (Regionalisierungsgesetz)                                                2,3
Kreditaufnahme                                                                                                  218,5
Erhöhung der Gewährleistungsermächtigungen nach §3 Abs. 1 Haushaltsgesetz 2020                                  356,5

Quelle: BMF (2020a, 2020b)

Bei den Mehrausgaben des Bundes finden sich zunächst unmittelbare Hilfen zur Sicherung
der Existenz von kleinen und mittelständischen Unternehmen (33 Milliarden Euro) und von
Arbeitslosen (11,1 Milliarden Euro). Finanzielle Unterstützung für Sonderbelastungen
durch das neuartige Corona-Virus erhalten auch Krankenhäuser (11,5 Milliarden Euro);
ergänzende Bundeszuschüsse zur Stabilisierung der Beiträge werden für den Gesundheits-
fonds und die soziale Pflegeversicherung bereitgestellt (5,3 Milliarden Euro). Neben weite-
ren Einzelmaßnahmen zur Bekämpfung der unmittelbaren Auswirkungen der Krise und
kurzfristigen Konjunkturanreizen sind in verschieden Positionen Investitionen vorgesehen,
um die Innovations- und Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken (insgesamt
StudieSeptember 2020                                                                12
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28,9 Milliarden Euro). Insbesondere sollen die Digitalisierung und die Klimaschutztechnolo-
gie gefördert werden. Aber auch der Ausbau von Ganztagsschulen und Kinderbetreuung
sowie die weitere Entwicklung der regionalen Wirtschaftsstruktur werden gefördert.

Mindereinnahmen des Bundes resultieren im Wesentlichen aus Steuerausfällen aufgrund
der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage in Folge der Corona-Krise (rund
40,5 Milliarden Euro) und aus den steuerlichen Hilfsmaßnahmen nach dem zweiten
Corona-Steuerhilfegesetz (17,6 Milliarden Euro). Letzteres sieht unter anderem eine befris-
tete Senkung der Umsatzsteuersätze, die Verschiebung der Fälligkeit der Einfuhrumsatz-
steuer, einen einmaliger Kinderbonus von 300 Euro, eine vorübergehende Ausweitung des
Verlustrücktrags und die Wiedereinführung einer degressiven Abschreibung für bewegli-
che Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens vor.8

Zum Haushaltsausgleich nimmt der Bund Kredite in Höhe von 218,5 Milliarden Euro auf,
unter Berücksichtigung der Finanzierungssalden der Sondervermögen verbleiben noch
198,7 Milliarden Euro. Dies übersteigt den Betrag der zulässigen Verschuldung gemäß
Art. 115 GG („Schuldenbremse“) um 118,7 Milliarden Euro.9 Die Corona-Pandemie stellt
aber eine außergewöhnliche Notsituation dar, die sich der Kontrolle des Staates entzieht
und die die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt. Der Bund kann daher von der
in Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vorgesehenen Ausnahmeregelung Gebrauch machen. Der
Tilgungsplan zum ersten Nachtragshaushalt sieht vor, den über die zulässige Kreditober-
grenze hinausgehenden Mehrbetrag ab dem Bundeshaushalt 2023 bis 2042 jährlich linear
um ein Zwanzigstel zurückzuzahlen.

Neben den Veränderungen bei den Geldansätzen sieht der erste Nachtragshaushalt auch
die Erhöhung der Gewährleistungsermächtigungen von insgesamt bisher rund 465,2 Milli-
arden Euro auf 821,8 Milliarden Euro vor.

Zur Stabilisierung der großen Unternehmen der Realwirtschaft wird außerhalb des Bundes-
haushalts der sogenannte Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) als Sondervermögen ein-
gerichtet, zunächst befristet bis Ende 2021. Vorbild ist der „Sonderfonds Finanzmarktstabi-
lisierung“ (SoFFin), der 2008 gegründet wurde, um in der Finanzmarktkrise illiquide Ban-
ken zu unterstützen. Der WSF kann Garantien für Schuldtitel und Verbindlichkeiten von
Unternehmen bis zur Höhe von 400 Milliarden Euro übernehmen, um deren Liquiditäts-
engpässe zu beheben und Refinanzierungen zu unterstützen. Zudem wird das Bundesfi-
nanzministerium ermächtigt, für den WSF Kredite in Höhe von insgesamt 200 Milliarden

8      Einige der Maßnahmen im Rahmen des Corona-Steuerhilfegesetzes verschieben lediglich das Steuervolumen zwischen
       den Jahren, d. h. sie können 2020 zu einem Finanzierungsbedarf führen, belasten aber den Bundeshaushalt in der langen
       Frist nicht (Beznoska und Pimpertz, 2020).
9      Die nach Art. 115 GG maximal zulässige Nettokreditaufnahme setzt sich aus einer Strukturkomponente – 0,35 Prozent
       des nominalen Bruttoinlandsproduktes – abzüglich des Saldos der finanziellen Transaktionen und einer Konjunkturkom-
       ponente zusammen.
StudieSeptember 2020                                                      13
                            Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar

                            Einflusskanäle der Corona-Krise auf die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen

Euro aufzunehmen, von denen 100 Milliarden Euro zur Rekapitalisierung von Unterneh-
men eingesetzt und weitere 100 Milliarden Euro für Kredite an die KfW zur Refinanzierung
der von ihr im Rahmen der Corona-Krise aufgelegten Sonderprogramme verwendet wer-
den können. Da es sich bei den von der Kreditermächtigung umfassten Maßnahmen um
„finanzielle Transaktionen“ nach Art. 115 Abs. 2 GG handelt, stehen sie grundsätzlich
außerhalb der Begrenzung durch die Schuldenregel. Bei derartigen Transaktionen steht der
Kreditaufnahme der Erwerb von Finanzvermögen bzw. ein entsprechender Forderungser-
werb gegenüber. Man geht mithin davon aus, dass bei einer wirtschaftlichen Erholung die
Unternehmen die öffentlichen Kredite zurückzahlen werden und die Staatsbeteiligungen
wiederverkauft werden können (Boysen-Hogrefe, 2020). Nur für den Fall, dass Kredite aus-
fallen oder Beteiligungen an Unternehmen durch Insolvenz wertlos werden, kommt es zu
Ausgaben, die unter die Tilgungsanforderungen der Schuldenregel fallen.

Auch die Haushalte der Sozialversicherungsträger – insbesondere die der Bundesagentur
für Arbeit und die der Krankenkassen – sind durch geringere Beitragseinnahmen in Folge
des Wirtschaftseinbruchs und vom Gesetzgeber auferlegter Mehrausgaben, wie z. B.
Erleichterungen sowie Erhöhungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld, stark belastet. Die
Sozialversicherungen verfügten am Anfang der Krise über Rücklagen von rund 100 Milliar-
den Euro. Die Bundesregierung hat im zweiten Nachtragshaushalt zusätzliche Mittel zur
Stabilisierung der Beitragssätze bereitgestellt. Es ist heute allerdings noch sehr ungewiss,
wie groß die Lücken in den Haushalten der Sozialversicherungsträger am Ende der Krise
tatsächlich sein werden. Weitere finanzielle Unterstützungen durch den Bund – in Form
von Zuschüssen oder Darlehen – könnten daher erforderlich sein.
StudieSeptember 2020                                       14
                            Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar

                            Typisierung unterschiedlicher Schulden-positionen

3 Typisierung unterschiedlicher Schulden-
  positionen
Systematisierung von Maßnahmen und Krisenfolgen nach Mittelverwen-
dung und Mittelherkunft führt zu Managementregeln

Um die umfangreiche und heterogene Neuverschuldung des Bundes im Sinne einer
zugleich tragfähigen und tragbaren Finanzierung in den Griff zu bekommen, nutzen wir
einfache ordnende Prinzipien. Jeder Euro Neuverschuldung wird hinsichtlich seiner institu-
tionellen Verankerung im oder neben dem öffentlichen Haushalt, hinsichtlich der Mittel-
herkunft und vor allem mit Blick auf die Mittelverwendung betrachtet. Er wird in diesen
drei Dimensionen typisiert. Auf dieser Grundlage formulieren wir Managementregeln als
vereinfachende Faustregeln, mit deren Hilfe ein großes Konvolut neuer Schulden gut und
schnell geordnet und bewertet werden kann.

Im vorliegenden Abschnitt 3 wird diese Systematik mit einem Blick auf die jüngsten Nach-
tragshaushalte des Bundes und anlässlich der Corona-Krise neu entwickelt. Der Anspruch
dahinter ist aber allgemeiner formuliert. Die Typisierung und die darauf ansetzenden
Managementregeln sollen auch auf andere Gebietskörperschaften in Deutschland und
Europa anwendbar sein. Zudem verstehen sie sich insofern als allgemeine Handreichun-
gen, als sie auch ohne Corona- oder eine andere außergewöhnliche Krise geeignet sein sol-
len, die Kriterien einer tragfähigen und tragbaren Tilgung staatlicher (Neu-)Verschuldung
als einfache Faustregeln zu implementieren.

3.1 Typisierung nach der Mittelverwendung

Am Anfang dieser Betrachtung steht die Mittelverwendung. Jede auf dem Kreditweg finan-
zierte Staatsausgabe (bzw. Einnahmeneinbuße) hat eine bestimmte Ursache bzw. einen
konkreten Zweck. Das ökonomische Prinzip hinter unserer Typisierung verschiedener Mit-
telverwendungen folgt hier direkt aus der Natur des Kredits, konkret aus dessen optimaler
Laufzeit. Hierbei geht es in der finanzwissenschaftlichen Betrachtung nicht um Zinslast-
minimierung, Fristentransformation und ähnliche am Finanzmarkt wichtige Fragen. Die
finanzwissenschaftliche Perspektive beruht auf der elementaren Funktion des Kredites,
der eine einmalige bzw. unregelmäßige Finanzierungslast in einen gleichmäßigen Zah-
lungsstrom über die Zeit umwandelt.

Für Investitionen liegt die Antwort auf die Frage nach der optimalen Laufzeit auf der Hand:
Die ideale Finanzierung läuft ebenso lang wie die Lebens- bzw. Nutzungsdauer des Investi-
tionsguts. Das verteilt die Finanzierung gleichmäßig, ohne dass es zu Finanzierungsballun-
gen kommt oder noch Investitionen finanziert werden, die längst aus der Nutzung gefallen
StudieSeptember 2020                                        15
                            Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar

                            Typisierung unterschiedlicher Schulden-positionen

sind. In der kaufmännischen Betrachtung ist eine Finanzierung gemäß der Abschreibungs-
dauer als pragmatische Annäherung an die tatsächliche Lebensdauer eines Investitionsguts
naheliegend. Im öffentlichen Sektor ist das genauso. Hier gilt das als die „goldene Regel“
der Kreditfinanzierung staatlicher Investitionen. Diese auch als pay-as-you-use bezeichnete
Maxime ist in dreifacher Hinsicht ökonomisch vorteilhaft:

1. Zunächst ist sie intertemporal bzw. intergenerativ gerecht, weil sie die Finanzierungs-
   last für eine staatliche Investition gleichmäßig auf die Nutzer-Jahrgänge verteilt.
2. Sie ist auch insofern allokativ effizient, als damit eine Steuerglättung über die Zeit
   erreicht wird („tax smoothing“), d. h. zur Finanzierung unregelmäßiger großer Infra-
   strukturen müssen die Steuern nicht herauf- und danach wieder heruntergesetzt wer-
   den.
3. Das bringt schließlich auch den polit-ökonomischen Vorteil mit sich, dass Investitionen
   im Haushaltsprozess nicht gegenüber sofort zur Gänze wirksamen konsumtiven Ausga-
   ben diskriminiert werden.

Die bestechend einfache Logik der Pay-as-you-use-Regel ist als Spezialregel für Investitio-
nen aber noch gar nicht voll ausgeschöpft. Wir formulieren sie hier als allgemeine Maxime
für die ökonomisch vernünftige Verteilung unregelmäßiger Finanzierungslasten über die
Zeit. Neben die tatsächliche Nutzung einer staatlichen Leistung in einem bestimmten Zeit-
raum tritt hier noch die angemessene intertemporale Absicherung gegen konjunkturelle,
Epidemie- und andere Risiken. Auf dieser Grundlage werden im weiteren Verlauf für die
unterschiedlichen Mittelverwendungen jeweils angemessene Laufzeiten einer Kreditfinan-
zierung formuliert.

Im ersten Schritt werden dazu die verschiedenen Mittelverwendungen unterschieden, auf
die potenziell kreditfinanzierte Ausgaben (und Einnahmeneinbußen) entfallen. Hinsichtlich
der Mittelverwendung gibt es zunächst die Maßnahmen, die mit der Corona-Bekämpfung
im unmittelbaren Zusammenhang stehen. Eindeutig ist dies beispielsweise beim Erwerb
von Schutzkleidung und ähnlich gelagerten Ausgaben.

Daneben gibt es die konjunkturell bedingten Einflüsse auf die öffentlichen Haushalte. Die
Corona-Rezession ist makroökonomisch als Konjunkturkrise durchaus speziell, da hier ein
mit den Lockdowns verursachter Angebotsschock durch eine unmittelbar folgende Nach-
fragekrise verschärft wird. Dessen ungeachtet sind eine große Reihe von Einflüssen auf
den öffentlichen Haushalt als eindeutig konjunkturell zu typisieren. Hier ist jedoch zu un-
terscheiden zwischen Einflüssen, die als automatische Stabilisatoren wirken können (z. B.
automatischer Rückgang der regulären Steuereinnahmen), und aktiven stabilisierungspoli-
tischen Maßnahmen, wie z. B. der Senkung der Umsatzsteuersätze für das zweite Halbjahr
2020 oder Liquiditätszuschüsse an Unternehmen und Selbstständige. Wie später deutlich
werden wird, impliziert diese Unterscheidung einen andersgearteten Umgang mit den re-
sultierenden Schulden.

Neben den konjunkturellen und den unmittelbar Corona-bedingten Maßnahmen im enge-
ren Sinne gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, die sich nicht eindeutig in einer Richtung
typisieren lassen. An der Schnittstelle zwischen diesen beiden Kategorien werden sie in der
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                           Finanzierung der Corona-Kosten – tragfähig und tragbar

                           Typisierung unterschiedlicher Schulden-positionen

folgenden Tabelle 2 in der Kategorie „Zwischen Corona, Konjunktur und Wachstum“ veror-
tet. Dabei kann es sich beispielsweise den Erwerb von Unternehmensanteilen für die Pro-
duktion eines Impfstoffes handeln.

Neben diesen Bereichen der Mittelverwendung, die ihren Ursprung in den Herausforde-
rungen des Frühjahrs und Sommers 2020 haben, gibt es auch strukturelle Herausforderun-
gen. Diese umfassen einerseits intergenerative Aufgaben z. B. im Bereich der demografi-
schen Festigung sozialer Sicherung. Hinzu kommen andererseits investive Ausgaben, die
sich durch die Anschaffung konkreter Anlagegüter auszeichnen. Diese Unterscheidung im
Hinblick auf die Mittelverwendung ist in Tabelle 2 auf der horizontalen Achse abgebildet.

3.2 Mittelherkunft ergänzt die Mittelverwendung
Daneben erfolgt eine Differenzierung nach der Mittelherkunft. Nicht alle Maßnahmen
des Sommers 2020 werden einheitlich über Schulden finanziert. Vielmehr gab es sowohl
im Bundeshaushalt als auch bei den Sozialversicherungen freie Rücklagen oder Corona-
bedingte Minderausgaben, auf die im Rahmen der Nachtragshaushalte zurückgegriffen
wird. Zudem können die weiteren Lasten gemäß ihrer Mittelherkunft unterschieden wer-
den:

•   Kurzfristige Kredite, denen keine fest planbaren Zahlungsrückflüsse gegenüberstehen.
•   Langfristige Kredite und Anleihen, denen keine fest planbaren Zahlungsrückflüsse
    gegenüberstehen.
•   Mittel- oder langfristige Verbindlichkeiten, bei denen mit einer Tilgung durch Rück-
    flüsse gerechnet werden kann (beispielsweise der Erwerb von Anteilen in Not gerate-
    ner Unternehmen, die mittelfristig wieder veräußert werden sollen und deren Veräu-
    ßerungserlös die Verbindlichkeiten decken soll).
•   Haftungsverbindlichkeiten (also Haftungsrisiken z. B. aus Bürgschaften, die sich noch
    nicht in Form konkreter Verbindlichkeiten niedergeschlagen haben, wo aber zumindest
    anteilig mit einer Inanspruchnahme zu rechnen ist).
•   Implizite Schulden durch Unterlassen (zwingend notwendige investive oder Zukunfts-
    ausgaben, die nicht erfolgt sind). Da diese Maßnahmen kurz- oder mittelfristig nachge-
    holt werden müssen, stellen sie implizite Verbindlichkeiten dar.
•   Daneben ist denkbar, dass zur Finanzierung der Krisenfolgen Rücklagen aufgebraucht
    werden, die eigentlich für andere Aufgaben vorgesehen sind.

Diese verschiedenen Alternativen der Mittelherkunft sind auf der vertikalen Achse der
Tabelle 2 abgebildet.
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                                             Typisierung unterschiedlicher Schulden-positionen

Tabelle 2
Typisierung unterschiedlicher Schuldenpositionen

      Mittelver-       Unmittelbar          Zwischen             Konjunkturell        Konjunkturell        Intergenera-          Investive
      wendung          Corona-be-           Corona, Kon-         automati-            aktive Stabili-      tive Maßnah-          Maßnahmen
                       dingt                junktur und          scher Stabili-       sierungspoli-        men
                                            Wachstum             sator                tik
  Mittel-
  herkunft

  Kurzfristige         In langfristige      In langfristige      Zeitnah tilgen       Zeitnah tilgen       In langfristige       In langfristige
  Kredite              Schulden um-         Schulden um-         bzw. automa-         o. mittelfristi-     Schulden um-          Schulden um-
                       wandeln              wandeln              tische Tilgung       ger Finanzie-        wandeln               wandeln
                                                                                      rungsplan

  Langfristige         Längerfristi-        Längerfristi-        In kurzfristige      Mittelfristiger      Längerfristi-         Längerfristi-
  Kredite / An-        ger Finanzie-        ger Finanzie-        Kredite um-          Finanzie-            ger Finanzie-         ger Finanzie-
  leihen               rungsplan            rungsplan            wandeln              rungsplan            rungsplan             rungsplan

  Beteiligungen        Nach Anlass          Nach Anlass          Im Auf-              Im Auf-              Zweckgebun-           Zweckgebun-
                       wieder absto-        wieder absto-        schwung wie-         schwung wie-         dene Verwen-          dene Verwen-
                       ßen oder in          ßen oder in          der abstoßen         der abstoßen         dung der              dung der
                       Dauerbeteili-        Dauerbeteili-                                                  Rückflüsse            Rückflüsse
                       gung umwan-          gung umwan-
                       deln                 deln

  Haftungsver-         Entsprechend         Entsprechend         Entsprechend         Entsprechend         Entsprechend          Entsprechend
  bindlichkei-         der Risiken          der Risiken          der Risiken          der Risiken          der Risiken           der Risiken
  ten (Risiken,        und erwarte-         und erwarte-         und erwarte-         und erwarte-         und erwarte-          und erwarte-
  die nicht            ten Haftungs-        ten Haftungs-        ten Haftungs-        ten Haftungs-        ten Haftungs-         ten Haftungs-
  durch kon-           volumina do-         volumina do-         volumina do-         volumina do-         volumina do-          volumina do-
  krete Schul-         kumentieren          kumentieren          kumentieren          kumentieren          kumentieren           kumentieren
  den unterlegt        und Rückstel-        und Rückstel-        und Rückstel-        und Rückstel-        und Rückstel-         und Rückstel-
  sind)                lungen bilden        lungen bilden        lungen bilden        lungen bilden        lungen bilden         lungen bilden

  Implizite            Maßnahmen            Maßnahmen            Maßnahmen            Maßnahmen            Maßnahmen             Maßnahmen
  Schulden             nachholen.           nachholen.           nachholen.           nachholen.           nachholen.            nachholen.
  durch Unter-         Ggf. in expli-       Ggf. in expli-       Ggf. in expli-       Ggf. in expli-       Ggf. in expli-        Ggf. in expli-
  lassen               zite Schulden        zite Schulden        zite Schulden        zite Schulden        zite Schulden         zite Schulden
                       umwandeln            umwandeln            umwandeln            umwandeln            umwandeln             umwandeln

  Verzehr von          Auffüllen            Auffüllen            Auffüllen            Auffüllen            Auffüllen             Auffüllen
  zweckgebun-          durch expli-         durch expli-         durch expli-         durch expli-         durch expli-          durch expli-
  dene Rückla-         zite Schulden        zite Schulden        zite Schulden        zite Schulden        zite Schulden         zite Schulden
  gen für an-          oder freie           oder freie           oder freie           oder freie           oder freie            oder freie
  dere Zwecke          Rücklagen            Rücklagen            Rücklagen            Rücklagen            Rücklagen             Rücklagen

  „Freie“ Rück-        Soweit zuläs-        Soweit zuläs-        Soweit zuläs-        Soweit zuläs-        Soweit zuläs-         Soweit zuläs-
  lagen und            sig verwen-          sig verwen-          sig verwen-          sig verwen-          sig verwen-           sig verwen-
  Überschüsse          den. Im Auf-         den. Im Auf-         den. Im Auf-         den. Im Auf-         den. Im Auf-          den. Im Auf-
                       schwung wie-         schwung wie-         schwung wie-         schwung wie-         schwung wie-          schwung wie-
                       der aufbauen         der aufbauen         der aufbauen         der aufbauen         der aufbauen          der aufbauen

  Kurzfristige         In langfristige      In langfristige      Zeitnah tilgen       Zeitnah tilgen       In langfristige       In langfristige
  Kredite              Schulden um-         Schulden um-         bzw. automa-         oder in mit-         Schulden um-          Schulden um-
                       wandeln              wandeln              tische Tilgung       telfristigen         wandeln               wandeln

  Legende: Felder, die aus finanzwissenschaftlicher Sicht unbelegt sein sollten bzw. frei zu räumen wären, sind grau eingefärbt. Hier werden
  Hinweise gegeben, wo jeweiligen Positionen stattdessen einsortiert werden sollten.

Quelle: Eigene Darstellung.
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