Fleischfrei gesund und klimafreundlich essen - die Evidenz fehlt - Deutsches ...

 
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Fleischfrei gesund und klimafreundlich essen - die Evidenz fehlt - Deutsches ...
Foto: Dr. Scholl/Gaby Bittner
 Thema      Ernährung und Klima

Fleischfrei gesund und klimafreundlich
essen – die Evidenz fehlt
Die Debatte, ob Fleischkonsum gesund und noch zu rechtfertigen ist, fußt auf unsoliden Studien. Der wissenschaft-
liche Streit darum wird mit harten Bandagen geführt. Die Verteufelung der Fleischlobby ist hierbei ein beliebtes
Vorgehen. Allerdings hat auch die Gegenseite Interessenkonflikte, die den meisten nahezu unbekannt sind.

D
       er aufgeklärte Patient isst                von 2 Portionen unverarbeitetem          Fachkritik findet keinen Eingang in
       heute pflanzenbasiert und                  roten Fleisch je Woche für beide         die öffentliche Debatte. Vielmehr
       klimabewusst. „Herr Dok-                   Endpunkte eine Risikosteigerung –        bestärkt die Schlagzeile „Meat In-
tor, ich habe mir vorgenommen,                    allerdings um lediglich 3 %.             creases Heart Risks!“, die die New
mich gesünder zu ernähren und vor                    Das ist ein „Pseudoresultat“ und      York Times aus der Studie destillier-
allem weniger Fleisch zu essen“ –                 leicht zu entkräften. Denn sowohl        te, unwidersprochen den Zeitgeist.
so oder ähnlich vermitteln Patien-                Ungenauigkeiten in der Datenerhe-
ten, wie sehr sich das Negativima-                bung als auch mögliche systemati-        Mehr als nur Campusgeplänkel
ge von Fleisch verfestigt hat. Be-                sche Fehler in Beobachtungsstudi-        Die Diskussion um Fleisch in der
fördert wird dies durch Ernäh-                    en bedeuten, dass ein relatives Risi-    Ernährung wird nicht nur auf poli-
rungsmythen und Fake News.                        ko von 1,03 (95-%-Konfidenz-In-          tischer, sondern auch auf akademi-
   Meldungen über Nachteile des                   tervall: 1,01–1,06) schlicht nichts      scher Ebene zunehmend schärfer.
Fleischkonsums nehmen zu und                      aussagt. Auch ein Blick in die De-       Das zeigt ein aufsehenerregender
fügen sich zu einem scheinbar                     tails macht diese Studie unglaub-        Vorgang in der Welt der Wissen-
konsistenten Strauß von Argumen-                  würdig: Angeblich lag der durch-         schaft: Der Kanzler der Texas Agri-
ten für die fleischfreie Ernährung.               schnittliche Alkoholkonsum in der        cultural & Mechanical (A&M)
Vor Kurzem ist zum Beispiel er-                   Studie bei 1 g pro Tag. Das unter-       University, John Sharp, hat einen
neut eine Studie erschienen, die ei-              schätzt die realen Trinkmengen um        offenen Brief an den Präsidenten
ne Assoziation zwischen einem er-                 mindestens das Zehnfache, wie es         der Harvard-University, Laurence
höhten Verzehr von Fleisch und                    durch andere Untersuchungen zur          Bacow, geschrieben und sich gegen
der kardiovaskulären Mortalität                   Genüge belegt wurde.                     diffamierende Angriffe verwahrt.
sowie der Gesamtmortalität ver-                      Die fachliche Kritik kann zwar        Diese Angriffe kamen von der True
kündet (1). In 6 Kohorten (29 682                 aufdecken, warum solche Analysen         Health Initiative (THI), die von
Patienten) fand man in 19 Jahren                  auf derart wackeligen Füßen ste-         Harvard-Ernährungsexperten un-
Beobachtungsdauer pro Verzehr                     hen. Doch solche wissenschaftliche       terstützt wird. Die THI hatte einem

A 1384                                                                              Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 27–28 | 6. Juli 2020
MEDIZINREPORT

texanischen Forscher Bestechlich-      hebung von Ernährungsgewohnhei-                                                  daher auch in Metaanalysen unver-
keit unterstellt, nachdem er ge-       ten über Fragebögen beinhaltet vie-                                              meidbar. Ein weiteres Problem ist
meinsam mit 18 Autoren anderer         le Ungenauigkeiten und korreliert                                                der sogenannte „Recall Bias“. Er
Universitäten in einer Artikelserie    nur sehr unzulänglich mit dem tat-                                               bezeichnet die Unsicherheit in Be-
Zweifel an den Empfehlungen zur        sächlichen Verzehr bestimmter Le-                                                zug auf die korrekte Erinnerung an
Reduktion des Fleischkonsums ge-       bensmittel. Darüber hinaus sind                                                  das Ernährungsverhalten. Die Auto-
äußert hatte.                          Kohortenstudien, wie die für Hun-                                                ren um Guyatt betonen daher, dass
   Wissenschaftliches Diskutieren      derte Publikationen verwendeten                                                  auch Metaanalysen allenfalls unzu-
sei gefragt anstatt Polemik und Dif-   Nursesʼ Health Study (NHS) und                                                   längliche Evidenz für einen Ein-
famierungen, fordert Sharp von         die Health Professionalsʼ Study                                                  fluss von Fleisch auf Krankheitsri-
Harvard (2, 3). Er betonte, dass       (HPS) anfällig für systematische                                                 siken liefern könnten. Die Beweis-
nachweislich kein Sponsoring der       Fehler. Man beobachtet darin zwar                                                kraft sei insgesamt zu schwach, um
Studien durch die Fleischindustrie     eine freiwillig gewählte Ernährung.                                              daraus seriöse Empfehlungen für
stattgefunden habe. Richtig ist: Die                                                                                    die Bevölkerung abzuleiten.
Texas A&M University erhält als        Fleischlos, gebildet und schlank                                                    Das stellt Jahrzehnte epidemio-
Institution für ihren Agrarsektor      Die kann indes mit einer Vielzahl                                                logischer Forschung infrage, was
auch Spendengelder der Fleischin-      anderer positiver Verhaltensweisen                                               die geradezu panikartige Reaktion
dustrie in Höhe von circa 1,5 % ih-    oder auch Risikofaktoren assoziiert                                              der True Health Initiative erklärt.
res Gesamtbudgets.                     sein. Das bedeutet, dass Menschen,                                               Wie sehr sich die auf pflanzenba-
   Stein des Anstoßes für den hefti-   die sich gesund ernähren, auch                                                   sierte Ernährung eingeschworene
gen Streit war eine 2019 in den An-    sonst gesund leben, und umgekehrt,                                               Szene angegriffen fühlte, zeigt auch
nals of Internal Medicine erschie-     weshalb die Resultate nur bedingt                                                das Ausmaß der Gegenmaßnahmen.
nene Artikelserie (4–10). Darin ka-    dem Essen zuzuschreiben sind.                                                    Denn noch vor Publikation der kri-
men die Autoren nach streng evi-          Beispielsweise zeigt sich in Stu-                                             tischen Artikelserie in den Annals
denzbasierten Kriterien zu der         dien zum Verzehr von Fleisch, dass                                               und offensichtlich unter Bruch der
Schlussfolgerung, dass es keine        die Gruppen mit geringem Fleisch-                                                üblichen Vertraulichkeitsvereinba-
qualitativ ausreichenden wissen-       verzehr im Durchschnitt gebildeter,                                              rungen waren Informationen durch-
schaftlichen Belege gebe, die eine     schlanker, sportlich aktiver, selte-                                             gesickert und hatten für erheblichen
Empfehlung zur Reduktion des                                                                                            Wirbel gesorgt (12).
Fleischverzehrs rechtfertigten. Ei-       TABELLE                                                                          Die THI verlangte von der Zeit-
ner der Hauptautoren der Publikati-                                                                                     schrift, auf die Veröffentlichung der
                                          Nährwerte* von Beyond Meat- vs. Rindfleisch-Burger
on ist Dr. Gordon H. Guyatt von der                                                                                     Studien zu verzichten, und drohte
kanadischen McMaster University                                     Beyond Meat            Rindfleisch                  juristische Schritte wegen ver-
in Hamilton/Ontario, einer der Vä-          Kalorien                239 kcal               161 kcal                     meintlich „gesundheitsschädlicher
ter der Evidenzbasierten Medizin.                                                                                       Desinformation der Bevölkerung“
                                            Fett                    20 g                   9g
   Zum Thema Fleischverzehr gibt                                                                                        an. Der E-Mail-Account der verant-
es kaum randomisiert-kontrollierte          Kohlenhydrate           1,8 g                  0g                           wortlichen Chefredakteurin der An-
Ernährungsstudien mit harten End-           Eiweiß                  20 g                   20 g                         nals of Internal Medicine, Christine
punkten. In der Womensʼ Health              Eisen**                 5,4 mg                 2,5 mg                       Laine, wurde von Tausenden von
Initiative Study reduzierten die auf                                                                                    Mails überflutet und musste stillge-
                                            Calcium                 20 mg                  10 mg
die fettarme Ernährung randomi-                                                                                         legt werden.
sierten Frauen ihren Fleischverzehr         Ballaststoffe           3g                     0g                              Die Medizinjournalistin Rita Ru-
um rund 20 %. Dies ergab jedoch             Cholesterin             0 mg                   60 mg                        bin hat unlängst den offenbar koor-
keinerlei Unterschied bei den ver-                                                                                      dinierten Angriff der Fleischgegner
schiedenen Endpunkten wie Ge-          * je 100 g (mod. nach http://daebl.de/YN96)                                      in JAMA aufgedeckt (13). Zudem
                                       ** Das Beispiel Eisen lässt erkennen, dass die besonderen Eigenschaften einer
samtmortalität, Krebs oder Herz-       Mahlzeit immer mit berücksichtigt werden müssen. So kann der Körper 20 %
                                                                                                                        beleuchtet sie die oft übersehenen
Kreislauf-Erkrankungen (11).           des Eisens aus rotem Fleisch absorbieren, aber nur 1,4-7 % desjenigen aus        Interessenkonflikte der Gruppe um
   Guyatt und seine Kollegen spre-     Pflanzen.                                                                        den THI-Gründer Dr. David Katz.
chen sich dafür aus, dass Ernäh-                                                                                        Etliche der THI-Mitglieder erhiel-
rungsempfehlungen für die Allge-       ner Raucher und insgesamt gesün-                                                 ten Forschungsgelder und Sponso-
meinbevölkerung nicht auf schwa-       der waren als die Gruppen der                                                    ring von Lebensmittelkonzernen,
cher oder sehr schwacher Evidenz       Fleischesser. Derart systematische                                               die vornehmlich pflanzliche Pro-
aus Beobachtungsstudien beruhen        Unterschiede versucht man zwar                                                   dukte herstellen. Was mithin der te-
sollten. Und genau dies war und ist    statistisch herauszurechnen – mul-                                               xanischen Universität vorgeworfen
bisher regelhaft der Fall. Die Er-     tivariat adjustiert heißt das. Dies ist                                          wurde, kommt so als Bumerang auf
nährungsepidemiologie hat über         aber oft intransparent, denn das                                                 die THI-Mitglieder zurück.
Jahrzehnte die Ernährungsleitlinien    Ausmaß der Adjustierung für ein-                                                    Ähnlich verzerrt sind die Aussa-
dominiert, obwohl es schon lange       zelne, ungleich verteilte Risikofak-                                             gen zur Klimaschädlichkeit des
Kritik an der Qualität der Daten und   toren wird nicht bekannt gegeben.                                                Fleischkonsums. Früher hieß es:
ihrer Analysen gibt. Bereits die Er-   Eine Verzerrung der Resultate ist                                                „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“,

A 1386                                                                                                           Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 27–28 | 6. Juli 2020
MEDIZINREPORT

   GRAFIK

   Rindfleisch- und Kalbfleischkonsum (Kilogramm pro Kopf 2018)

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                    Türkei

        Europäische Union

           Großbritannien

           OECD Gesamt

                     Israel

                      USA
                 Paraguay
               Philippinen
                     China
            Saudi-Arabien
                      Peru

                   Ukraine
                  Malaysia

                    Japan
                  Ägypten

                  Vietnam

                Kolumbien

                     Korea

                 Südafrika
                  Schweiz
                Norwegen

                   Kanada
                      Chile

                  Brasilien

               Argentinien
                    Indien
                  Thailand
                   Nigeria

                 Äthiopien
               Indonesien

                       Iran
                  Pakistan

                   Mexiko

                 Russland

              Neuseeland

                Australien
              Kasachstan
heute eher: „Fleischkonsum ist der                    Cameron (Titanic, Avatar) mit „The          Der Klimaforscher Frank Mit-
Klimakiller Nummer 1.“ Der Gehalt                     Game Changers“ einen Netflix-Film        loehner von der University of Cali-
einer solchen Aussage ist indes eben-                 über die vermeintlichen Vorteile der     fornia in Davis stellt dies mittels Kli-
so fragwürdig wie die Aussagen über                   veganen Ernährung für Spitzensport-      makalkulator richtig (18): Pro Passa-
gesundheitsschädigenden Fleisch-                      ler gedreht. Den Hintergrund, dass       gier verursacht ein einfacher Flug
konsum. Nach den aktualisierten Da-                   Cameron in großem Stil in eine Fir-      von London nach New York City
ten der US-amerikanischen Umwelt-                     ma zur Herstellung von Pflanzenpro-      898 kg CO2-Emissionen. Rindfleisch
behörde EPA trägt der gesamte                         tein aus Erbsen investiert hat, kennen   aus den USA produziert pro Kilo-
Agrarsektor zu 9,3 % zu den Treib-                    die wenigsten (16). Eine fundierte       gramm Fleisch 22 kg an CO2-Emis-
hausgas-Emissionen bei (13). Mehr                     Gegendarstellung bietet Brian San-       sionen. 4 „Pounds” US-Rindfleisch
als drei Viertel stammen indes aus                    ders demnächst mit der Filmdoku          bewirken also rund 40 kg CO2-Aus-
Verkehr (27,9 %), Energieerzeugung                    „FoodLies“ – konzentriert zusam-         stoß. Das sind weniger als 5 % der
(26,9 %) und Industrie (22,2 %) (14).                 mengefasst im Internet unter             Emissionen pro Passagier für die ge-
Die Fermentation bei Wiederkäuern                     http://daebl.de/FM43.                    nannte Flugreise. Die Fake-News
trägt 2,7 % zu den gesamten Emis-                                                              wurden mittlerweile von der Websei-
sionen bei. Fast 3-mal so viel Methan                 Fleisch als Klimakiller?                 te von Impossible Foods entfernt.
wird dagegen durch Fracking, Müll-                    Gemeinsam erzeugen mithin ver-              Eine Vielzahl von Fleischersatz-
deponien und die Kohle- und Ben-                      schiedene Netzwerke die Vorstel-         produkten und Burgern aus Pflanzen-
zinproduktion freigesetzt, ein As-                    lung, dass Verzicht auf Fleisch das      protein ist in den letzten beiden Jah-
pekt, der häufig übersehen wird.                      Klima rettet. Der Chef von Impossi-      ren auf den Markt gekommen und
   Start-ups wie „Beyond Meat“                        ble Foods, Pat Brown, machte im          wird unberechtigt mit Behauptungen
oder „Impossible Foods“ und fast al-                  Magazin „The New Yorker“ folgen-         beworben, sie dienten gleichermaßen
le großen Lebensmittelkonzerne för-                   de Rechnung auf (17): „Stellen Sie       der Gesundheit und dem guten Kli-
dern zwecks Klimaschutz den Trend                     sich vor, Sie verzichten eine Zeit       magewissen. Vielen Verbrauchern
zum Kunstfleisch. Dahinter stecken                    lang auf 4 Pfund Fleisch und essen       dürfte indes nicht klar sein, welche
mächtige Investoren wie zum Bei-                      stattdessen unseren Impossible Bur-      umfangreiche chemische Zutatenlis-
spiel Bill Gates, der am Impossible                   ger, fliegen dann zum Shoppen von        te in den Pflanzenfrikadellen steckt.
Burger beteiligt ist (15). Die Umsät-                 London nach New York und müssen          Dazu zählt auch das Bindemittel Me-
ze mit veganen Produkten haben sich                   trotzdem kein schlechtes Gewissen        thylzellulose, die Grundsubstanz des
innerhalb weniger Jahre verviel-                      haben. Denn schließlich hat Ihr          Tapetenkleisters (19). Das Magazin
facht. Auch hier gilt es, mögliche In-                Fleischverzicht so viel CO2 einge-       Ökotest wies in jedem zweiten
teressenkonflikte zu erkennen. So                     spart wie ein Transatlantikflug. Sie     Fleischersatzprodukt        Rückstände
hat der bekannte Regisseur David                      fliegen also quasi klimaneutral.“        von Mineralölen nach (20).

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 27–28 | 6. Juli 2020                                                                     A 1387
MEDIZINREPORT

   Inzwischen wird unter dem Na-            den unlängst im Journal of Nutrition                                 dem ist die Finanzierbarkeit der Pla-
men „Planetary Health Diet“ von             insbesondere aufgrund mangelnder                                     netendiät ein unterschätztes Pro-
einer Allianz aus Vegetariern, Vega-        Transparenz massiv kritisiert (22).                                  blem. Mehr als eineinhalb Milliar-
nern, Klimaschützern und Lebens-            Der postulierte Benefit zur Senkung                                  den Menschen weltweit könnten sie
mittelkonzernen eine pflanzenba-            der Mortalität durch die „Planetary                                  sich schlicht nicht leisten, lautet die
sierte Kost weithin propagiert. Der         Health Diet“ halte strenger Überprü-                                 Kritik (Kommentar) (25).
suggestive Begriff führt die Ge-            fung nicht stand, hieß es dort. Darü-                                   Wenn Organisationen über Publi-
sundheit für den einzelnen und den          ber wurde so gut wie nicht berichtet.                                kationen in hochrangigen Journalen,
Planeten zusammen. Er entstammt                Aus Sicht der Ernährungsmedizin                                   mit dem Anstrich von vermeintlich
der viel diskutierten und von der           macht die Unterscheidung in tieri-                                   offiziellen Ernährungsempfehlun-
Presse in aller Welt gehypten Publi-        sche und pflanzliche Lebensmittel                                    gen Millionen gesunder Bürger dazu
kation der EAT-Lancet Commission            ohnehin keinen Sinn. Denn nicht nur                                  bewegen möchten, ihre Ernährungs-
von 2019 (21).                              Gemüse, Obst und Olivenöl, son-                                      gewohnheiten einschneidend zu ver-
   Darin schlägt ein Autorenteam um         dern auch Zucker, Softdrinks und                                     ändern, tragen sie eine hohe Verant-
Dr. Walter Willett vor, pro Tag nicht       sämtliche stärkereichen Weißmehl-                                    wortung. Es sollte sicherstellt sein,
mehr als 15 g Ei, maximal 7 g Rind-         produkte sind pflanzlich. Die „Pla-                                  dass die Umsetzung ihrer Empfeh-
fleisch sowie nicht mehr als einen          netary Health Diet“ würde bei einem                                  lungen auch mit eindeutigen ge-
Viertelliter Milch oder aus dieser          angenommenen Grundumsatz von                                         sundheitlichen Vorteilen einhergeht.
Milch hergestellte Milchprodukte zu         2 000 kcal etwa einer Zufuhr von                                     Dies, so zeigt die Artikelserie in den
verzehren – also ein kleines Stück          mehr als 330 g Kohlenhydraten pro                                    Annals of Internal Medicine, ist je-
Käse oder 100 ml Joghurt. Je weni-          Tag oder 55–60 % der gesamten Ka-                                    doch nicht der Fall.
ger tierische Produkte, umso besser,        lorien entsprechen. Die PURE-Stu-
lautete das Fazit. Dagegen sollen täg-      die hatte gezeigt, dass eine derart                                  Fleischqualität ist entscheidend
lich 300 g Gemüse, 100 g Obst und           kohlenhydratreiche Kost für den                                      Das Argument, der Fleischverzehr
gerne auch reichlich Reis, Mais, Kar-       überwiegenden Teil der Menschen                                      sei – nicht zuletzt auch in Deutsch-
toffeln, Weizen – Pasta und Brot –          schädlich ist und die Gesamtsterb-                                   land – bereits ausreichend hoch und
und bis zu 31 g Zucker auf dem Spei-        lichkeit erhöht (23, 24). Nicht um-                                  eine weitere Steigerung wäre defi-
seplan stehen. Wie man diese präzi-         sonst gilt die Kohlenhydratreduktion                                 nitiv nicht sinnvoll, mag stimmen.
sen Mengenangaben aus schwachen             – „low carb“ – vielen Experten als                                   Aber selbst wenn ganz Deutschland
epidemiologischen Daten ableiten            Meilenstein im Hinblick auf eine ge-                                 vegan äße, so Klimaforscher Frank
konnte, bleibt unverständlich.              sunde Ernährung. Die Resultate der                                   Mitloehner, wäre der Einfluss auf
   Die statistischen Methoden dieser        PURE-Studie werden im EAT-Paper                                      den weltweiten CO2-Ausstoß nicht
umstrittenen EAT-Publikation wur-           jedoch völlig übergangen. Außer-                                     einmal messbar (26).
                                                                                                                    Entscheidend ist nicht zuletzt,
                                                                                                                 die Qualität von Fleisch zu berück-
                                                                                                                 sichtigen. Fleisch ist nicht dasselbe
  KOMMENTAR                                                                                                      wie verarbeitetes Fleisch, zum Bei-
  Dr. med. Johannes Scholl, Präsident der Deutschen Akademie für Präventivmedizin                                spiel in Form von Wurstwaren.
                                                                                                                 Wenn die Qualität und die Zuberei-
                                                                                                                 tungsmethode beachtet werden, ist
  Die führenden Advokaten der „Planetary Health        gern und genüsslich vorzurechnen, wie viele
                                                                                                                 Fleisch ein gesundes Lebensmittel.
  Diet“ gehören nicht zu jenem 1,5 Milliarden Men-     Steaks man für die Treibhausgas-Emissionen
                                                                                                                 Auch im Sinne des Tierwohls wäre
  schen umfassenden armen Teil der Weltbevölke-        essen könnte, die Stordalens Privatjet verur-
                                                                                                                 es sinnvoll, wenn die Verbraucher
  rung, die sich diese nicht eben billige Kost über-   sacht (27).
                                                                                                                 bereit wären, für gutes Fleisch aus
  haupt nicht leisten könnten. Das verwundert nicht,      Solche Widersprüche sahen auch Fachleute
                                                                                                                 artgerechter Tierhaltung einen hö-
                                                       als Fingerzeig, die Authentizität der EAT-Foun-
                                                                                                                 heren Preis zu zahlen. Dass fleisch-
  Werbung für die                                      dation anzuzweifeln und die Hintergründe zu
                                                       recherchieren: Die Foundation selbst ist zwar
                                                                                                                 frei essen gesund ist und dem Kli-
  Planetendiät – cui bono?                             gemeinnützig, sie hat allerdings vor zwei Jahren
                                                                                                                 ma nützt, müsste jedoch erst noch
                                                                                                                 substanziiert werden.
                                                       eine weitere Institution namens „FReSH“ (Food
                                                                                                                                       Dr. med. Johannes Scholl
  ist doch die Gründerin der EAT-Foundation, Gun-      Reform for Sustainability and Health) ins Leben                                Facharzt für Innere Medizin,
  hild Stordalen, eine norwegische Milliardärsgat-     gerufen, mit der sie eng zusammenarbeitet.                                Ernährungsmedizin, Sportmedizin
  tin. Sie selbst trägt vermutlich mit einer noch so   FReSH wiederum hat eine Vielzahl einflussrei-
  teuren veganen „Global Health Diet“ auch eher        cher Mitglieder. Dazu zählen beispielsweise               Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein
  wenig zur Rettung des Planeten bei. Denn sie         Lebensmittelgiganten wie Cargill, ein Hersteller          Interessenkonflikt vorliegt.
  fliegt mit ihrem 20 Millionen US-Dollar teuren       von Zuckersirup. Oder Firmen, die Ceralien her-           Dieser Artikel unterliegt nicht dem Peer-Review-
  Privatjet jährlich etliche Male um die Welt. Die     stellen, darunter Danone und Nestlé, schließlich          Verfahren.
  britische Boulevardpresse hat es sich nicht neh-     Bayer und BASF als Saatgut- und Pflanzen-
  men lassen, solche Scheinheiligkeit anzupran-        schutzproduzenten.                                        Literatur im Internet:
                                                                                                                 www.aerzteblatt.de/lit2720
                                                                                                                 oder über QR-Code.

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MEDIZINREPORT

Zusatzmaterial Heft 27–28/2020, zu:

Ernährung und Klima

Fleischfrei gesund und klimafreundlich
essen – die Evidenz fehlt
Die Debatte, ob Fleischkonsum gesund und noch zu rechtfertigen ist, fußt auf höchst unsoliden Studien. Der
wissenschaftliche Streit darum wird mit harten Bandagen geführt. Die Verteufelung der Fleischlobby ist hierbei ein
beliebtes Vorgehen. Allerdings hat auch die Gegenseite Interessenkonflikte, die den meisten nahezu unbekannt sind.

Literatur
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    sed Red Meat, Poultry, or Fish Intake With          Med 2019; 171 (10): 767–8.                         dients? https://faq.impossiblefoods.com/hc/
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