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Foto: Dr. Scholl/Gaby Bittner Thema Ernährung und Klima Fleischfrei gesund und klimafreundlich essen – die Evidenz fehlt Die Debatte, ob Fleischkonsum gesund und noch zu rechtfertigen ist, fußt auf unsoliden Studien. Der wissenschaft- liche Streit darum wird mit harten Bandagen geführt. Die Verteufelung der Fleischlobby ist hierbei ein beliebtes Vorgehen. Allerdings hat auch die Gegenseite Interessenkonflikte, die den meisten nahezu unbekannt sind. D er aufgeklärte Patient isst von 2 Portionen unverarbeitetem Fachkritik findet keinen Eingang in heute pflanzenbasiert und roten Fleisch je Woche für beide die öffentliche Debatte. Vielmehr klimabewusst. „Herr Dok- Endpunkte eine Risikosteigerung – bestärkt die Schlagzeile „Meat In- tor, ich habe mir vorgenommen, allerdings um lediglich 3 %. creases Heart Risks!“, die die New mich gesünder zu ernähren und vor Das ist ein „Pseudoresultat“ und York Times aus der Studie destillier- allem weniger Fleisch zu essen“ – leicht zu entkräften. Denn sowohl te, unwidersprochen den Zeitgeist. so oder ähnlich vermitteln Patien- Ungenauigkeiten in der Datenerhe- ten, wie sehr sich das Negativima- bung als auch mögliche systemati- Mehr als nur Campusgeplänkel ge von Fleisch verfestigt hat. Be- sche Fehler in Beobachtungsstudi- Die Diskussion um Fleisch in der fördert wird dies durch Ernäh- en bedeuten, dass ein relatives Risi- Ernährung wird nicht nur auf poli- rungsmythen und Fake News. ko von 1,03 (95-%-Konfidenz-In- tischer, sondern auch auf akademi- Meldungen über Nachteile des tervall: 1,01–1,06) schlicht nichts scher Ebene zunehmend schärfer. Fleischkonsums nehmen zu und aussagt. Auch ein Blick in die De- Das zeigt ein aufsehenerregender fügen sich zu einem scheinbar tails macht diese Studie unglaub- Vorgang in der Welt der Wissen- konsistenten Strauß von Argumen- würdig: Angeblich lag der durch- schaft: Der Kanzler der Texas Agri- ten für die fleischfreie Ernährung. schnittliche Alkoholkonsum in der cultural & Mechanical (A&M) Vor Kurzem ist zum Beispiel er- Studie bei 1 g pro Tag. Das unter- University, John Sharp, hat einen neut eine Studie erschienen, die ei- schätzt die realen Trinkmengen um offenen Brief an den Präsidenten ne Assoziation zwischen einem er- mindestens das Zehnfache, wie es der Harvard-University, Laurence höhten Verzehr von Fleisch und durch andere Untersuchungen zur Bacow, geschrieben und sich gegen der kardiovaskulären Mortalität Genüge belegt wurde. diffamierende Angriffe verwahrt. sowie der Gesamtmortalität ver- Die fachliche Kritik kann zwar Diese Angriffe kamen von der True kündet (1). In 6 Kohorten (29 682 aufdecken, warum solche Analysen Health Initiative (THI), die von Patienten) fand man in 19 Jahren auf derart wackeligen Füßen ste- Harvard-Ernährungsexperten un- Beobachtungsdauer pro Verzehr hen. Doch solche wissenschaftliche terstützt wird. Die THI hatte einem A 1384 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 27–28 | 6. Juli 2020
MEDIZINREPORT texanischen Forscher Bestechlich- hebung von Ernährungsgewohnhei- daher auch in Metaanalysen unver- keit unterstellt, nachdem er ge- ten über Fragebögen beinhaltet vie- meidbar. Ein weiteres Problem ist meinsam mit 18 Autoren anderer le Ungenauigkeiten und korreliert der sogenannte „Recall Bias“. Er Universitäten in einer Artikelserie nur sehr unzulänglich mit dem tat- bezeichnet die Unsicherheit in Be- Zweifel an den Empfehlungen zur sächlichen Verzehr bestimmter Le- zug auf die korrekte Erinnerung an Reduktion des Fleischkonsums ge- bensmittel. Darüber hinaus sind das Ernährungsverhalten. Die Auto- äußert hatte. Kohortenstudien, wie die für Hun- ren um Guyatt betonen daher, dass Wissenschaftliches Diskutieren derte Publikationen verwendeten auch Metaanalysen allenfalls unzu- sei gefragt anstatt Polemik und Dif- Nursesʼ Health Study (NHS) und längliche Evidenz für einen Ein- famierungen, fordert Sharp von die Health Professionalsʼ Study fluss von Fleisch auf Krankheitsri- Harvard (2, 3). Er betonte, dass (HPS) anfällig für systematische siken liefern könnten. Die Beweis- nachweislich kein Sponsoring der Fehler. Man beobachtet darin zwar kraft sei insgesamt zu schwach, um Studien durch die Fleischindustrie eine freiwillig gewählte Ernährung. daraus seriöse Empfehlungen für stattgefunden habe. Richtig ist: Die die Bevölkerung abzuleiten. Texas A&M University erhält als Fleischlos, gebildet und schlank Das stellt Jahrzehnte epidemio- Institution für ihren Agrarsektor Die kann indes mit einer Vielzahl logischer Forschung infrage, was auch Spendengelder der Fleischin- anderer positiver Verhaltensweisen die geradezu panikartige Reaktion dustrie in Höhe von circa 1,5 % ih- oder auch Risikofaktoren assoziiert der True Health Initiative erklärt. res Gesamtbudgets. sein. Das bedeutet, dass Menschen, Wie sehr sich die auf pflanzenba- Stein des Anstoßes für den hefti- die sich gesund ernähren, auch sierte Ernährung eingeschworene gen Streit war eine 2019 in den An- sonst gesund leben, und umgekehrt, Szene angegriffen fühlte, zeigt auch nals of Internal Medicine erschie- weshalb die Resultate nur bedingt das Ausmaß der Gegenmaßnahmen. nene Artikelserie (4–10). Darin ka- dem Essen zuzuschreiben sind. Denn noch vor Publikation der kri- men die Autoren nach streng evi- Beispielsweise zeigt sich in Stu- tischen Artikelserie in den Annals denzbasierten Kriterien zu der dien zum Verzehr von Fleisch, dass und offensichtlich unter Bruch der Schlussfolgerung, dass es keine die Gruppen mit geringem Fleisch- üblichen Vertraulichkeitsvereinba- qualitativ ausreichenden wissen- verzehr im Durchschnitt gebildeter, rungen waren Informationen durch- schaftlichen Belege gebe, die eine schlanker, sportlich aktiver, selte- gesickert und hatten für erheblichen Empfehlung zur Reduktion des Wirbel gesorgt (12). Fleischverzehrs rechtfertigten. Ei- TABELLE Die THI verlangte von der Zeit- ner der Hauptautoren der Publikati- schrift, auf die Veröffentlichung der Nährwerte* von Beyond Meat- vs. Rindfleisch-Burger on ist Dr. Gordon H. Guyatt von der Studien zu verzichten, und drohte kanadischen McMaster University Beyond Meat Rindfleisch juristische Schritte wegen ver- in Hamilton/Ontario, einer der Vä- Kalorien 239 kcal 161 kcal meintlich „gesundheitsschädlicher ter der Evidenzbasierten Medizin. Desinformation der Bevölkerung“ Fett 20 g 9g Zum Thema Fleischverzehr gibt an. Der E-Mail-Account der verant- es kaum randomisiert-kontrollierte Kohlenhydrate 1,8 g 0g wortlichen Chefredakteurin der An- Ernährungsstudien mit harten End- Eiweiß 20 g 20 g nals of Internal Medicine, Christine punkten. In der Womensʼ Health Eisen** 5,4 mg 2,5 mg Laine, wurde von Tausenden von Initiative Study reduzierten die auf Mails überflutet und musste stillge- Calcium 20 mg 10 mg die fettarme Ernährung randomi- legt werden. sierten Frauen ihren Fleischverzehr Ballaststoffe 3g 0g Die Medizinjournalistin Rita Ru- um rund 20 %. Dies ergab jedoch Cholesterin 0 mg 60 mg bin hat unlängst den offenbar koor- keinerlei Unterschied bei den ver- dinierten Angriff der Fleischgegner schiedenen Endpunkten wie Ge- * je 100 g (mod. nach http://daebl.de/YN96) in JAMA aufgedeckt (13). Zudem ** Das Beispiel Eisen lässt erkennen, dass die besonderen Eigenschaften einer samtmortalität, Krebs oder Herz- Mahlzeit immer mit berücksichtigt werden müssen. So kann der Körper 20 % beleuchtet sie die oft übersehenen Kreislauf-Erkrankungen (11). des Eisens aus rotem Fleisch absorbieren, aber nur 1,4-7 % desjenigen aus Interessenkonflikte der Gruppe um Guyatt und seine Kollegen spre- Pflanzen. den THI-Gründer Dr. David Katz. chen sich dafür aus, dass Ernäh- Etliche der THI-Mitglieder erhiel- rungsempfehlungen für die Allge- ner Raucher und insgesamt gesün- ten Forschungsgelder und Sponso- meinbevölkerung nicht auf schwa- der waren als die Gruppen der ring von Lebensmittelkonzernen, cher oder sehr schwacher Evidenz Fleischesser. Derart systematische die vornehmlich pflanzliche Pro- aus Beobachtungsstudien beruhen Unterschiede versucht man zwar dukte herstellen. Was mithin der te- sollten. Und genau dies war und ist statistisch herauszurechnen – mul- xanischen Universität vorgeworfen bisher regelhaft der Fall. Die Er- tivariat adjustiert heißt das. Dies ist wurde, kommt so als Bumerang auf nährungsepidemiologie hat über aber oft intransparent, denn das die THI-Mitglieder zurück. Jahrzehnte die Ernährungsleitlinien Ausmaß der Adjustierung für ein- Ähnlich verzerrt sind die Aussa- dominiert, obwohl es schon lange zelne, ungleich verteilte Risikofak- gen zur Klimaschädlichkeit des Kritik an der Qualität der Daten und toren wird nicht bekannt gegeben. Fleischkonsums. Früher hieß es: ihrer Analysen gibt. Bereits die Er- Eine Verzerrung der Resultate ist „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“, A 1386 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 27–28 | 6. Juli 2020
MEDIZINREPORT GRAFIK Rindfleisch- und Kalbfleischkonsum (Kilogramm pro Kopf 2018) 35 30 25 Modifizert nach: Source: OECD Agriculture Statistics: OECD-FAO Agricultural Outlook (Edition 2019) 20 15 10 5 0 BRICS weltweit Türkei Europäische Union Großbritannien OECD Gesamt Israel USA Paraguay Philippinen China Saudi-Arabien Peru Ukraine Malaysia Japan Ägypten Vietnam Kolumbien Korea Südafrika Schweiz Norwegen Kanada Chile Brasilien Argentinien Indien Thailand Nigeria Äthiopien Indonesien Iran Pakistan Mexiko Russland Neuseeland Australien Kasachstan heute eher: „Fleischkonsum ist der Cameron (Titanic, Avatar) mit „The Der Klimaforscher Frank Mit- Klimakiller Nummer 1.“ Der Gehalt Game Changers“ einen Netflix-Film loehner von der University of Cali- einer solchen Aussage ist indes eben- über die vermeintlichen Vorteile der fornia in Davis stellt dies mittels Kli- so fragwürdig wie die Aussagen über veganen Ernährung für Spitzensport- makalkulator richtig (18): Pro Passa- gesundheitsschädigenden Fleisch- ler gedreht. Den Hintergrund, dass gier verursacht ein einfacher Flug konsum. Nach den aktualisierten Da- Cameron in großem Stil in eine Fir- von London nach New York City ten der US-amerikanischen Umwelt- ma zur Herstellung von Pflanzenpro- 898 kg CO2-Emissionen. Rindfleisch behörde EPA trägt der gesamte tein aus Erbsen investiert hat, kennen aus den USA produziert pro Kilo- Agrarsektor zu 9,3 % zu den Treib- die wenigsten (16). Eine fundierte gramm Fleisch 22 kg an CO2-Emis- hausgas-Emissionen bei (13). Mehr Gegendarstellung bietet Brian San- sionen. 4 „Pounds” US-Rindfleisch als drei Viertel stammen indes aus ders demnächst mit der Filmdoku bewirken also rund 40 kg CO2-Aus- Verkehr (27,9 %), Energieerzeugung „FoodLies“ – konzentriert zusam- stoß. Das sind weniger als 5 % der (26,9 %) und Industrie (22,2 %) (14). mengefasst im Internet unter Emissionen pro Passagier für die ge- Die Fermentation bei Wiederkäuern http://daebl.de/FM43. nannte Flugreise. Die Fake-News trägt 2,7 % zu den gesamten Emis- wurden mittlerweile von der Websei- sionen bei. Fast 3-mal so viel Methan Fleisch als Klimakiller? te von Impossible Foods entfernt. wird dagegen durch Fracking, Müll- Gemeinsam erzeugen mithin ver- Eine Vielzahl von Fleischersatz- deponien und die Kohle- und Ben- schiedene Netzwerke die Vorstel- produkten und Burgern aus Pflanzen- zinproduktion freigesetzt, ein As- lung, dass Verzicht auf Fleisch das protein ist in den letzten beiden Jah- pekt, der häufig übersehen wird. Klima rettet. Der Chef von Impossi- ren auf den Markt gekommen und Start-ups wie „Beyond Meat“ ble Foods, Pat Brown, machte im wird unberechtigt mit Behauptungen oder „Impossible Foods“ und fast al- Magazin „The New Yorker“ folgen- beworben, sie dienten gleichermaßen le großen Lebensmittelkonzerne för- de Rechnung auf (17): „Stellen Sie der Gesundheit und dem guten Kli- dern zwecks Klimaschutz den Trend sich vor, Sie verzichten eine Zeit magewissen. Vielen Verbrauchern zum Kunstfleisch. Dahinter stecken lang auf 4 Pfund Fleisch und essen dürfte indes nicht klar sein, welche mächtige Investoren wie zum Bei- stattdessen unseren Impossible Bur- umfangreiche chemische Zutatenlis- spiel Bill Gates, der am Impossible ger, fliegen dann zum Shoppen von te in den Pflanzenfrikadellen steckt. Burger beteiligt ist (15). Die Umsät- London nach New York und müssen Dazu zählt auch das Bindemittel Me- ze mit veganen Produkten haben sich trotzdem kein schlechtes Gewissen thylzellulose, die Grundsubstanz des innerhalb weniger Jahre verviel- haben. Denn schließlich hat Ihr Tapetenkleisters (19). Das Magazin facht. Auch hier gilt es, mögliche In- Fleischverzicht so viel CO2 einge- Ökotest wies in jedem zweiten teressenkonflikte zu erkennen. So spart wie ein Transatlantikflug. Sie Fleischersatzprodukt Rückstände hat der bekannte Regisseur David fliegen also quasi klimaneutral.“ von Mineralölen nach (20). Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 27–28 | 6. Juli 2020 A 1387
MEDIZINREPORT Inzwischen wird unter dem Na- den unlängst im Journal of Nutrition dem ist die Finanzierbarkeit der Pla- men „Planetary Health Diet“ von insbesondere aufgrund mangelnder netendiät ein unterschätztes Pro- einer Allianz aus Vegetariern, Vega- Transparenz massiv kritisiert (22). blem. Mehr als eineinhalb Milliar- nern, Klimaschützern und Lebens- Der postulierte Benefit zur Senkung den Menschen weltweit könnten sie mittelkonzernen eine pflanzenba- der Mortalität durch die „Planetary sich schlicht nicht leisten, lautet die sierte Kost weithin propagiert. Der Health Diet“ halte strenger Überprü- Kritik (Kommentar) (25). suggestive Begriff führt die Ge- fung nicht stand, hieß es dort. Darü- Wenn Organisationen über Publi- sundheit für den einzelnen und den ber wurde so gut wie nicht berichtet. kationen in hochrangigen Journalen, Planeten zusammen. Er entstammt Aus Sicht der Ernährungsmedizin mit dem Anstrich von vermeintlich der viel diskutierten und von der macht die Unterscheidung in tieri- offiziellen Ernährungsempfehlun- Presse in aller Welt gehypten Publi- sche und pflanzliche Lebensmittel gen Millionen gesunder Bürger dazu kation der EAT-Lancet Commission ohnehin keinen Sinn. Denn nicht nur bewegen möchten, ihre Ernährungs- von 2019 (21). Gemüse, Obst und Olivenöl, son- gewohnheiten einschneidend zu ver- Darin schlägt ein Autorenteam um dern auch Zucker, Softdrinks und ändern, tragen sie eine hohe Verant- Dr. Walter Willett vor, pro Tag nicht sämtliche stärkereichen Weißmehl- wortung. Es sollte sicherstellt sein, mehr als 15 g Ei, maximal 7 g Rind- produkte sind pflanzlich. Die „Pla- dass die Umsetzung ihrer Empfeh- fleisch sowie nicht mehr als einen netary Health Diet“ würde bei einem lungen auch mit eindeutigen ge- Viertelliter Milch oder aus dieser angenommenen Grundumsatz von sundheitlichen Vorteilen einhergeht. Milch hergestellte Milchprodukte zu 2 000 kcal etwa einer Zufuhr von Dies, so zeigt die Artikelserie in den verzehren – also ein kleines Stück mehr als 330 g Kohlenhydraten pro Annals of Internal Medicine, ist je- Käse oder 100 ml Joghurt. Je weni- Tag oder 55–60 % der gesamten Ka- doch nicht der Fall. ger tierische Produkte, umso besser, lorien entsprechen. Die PURE-Stu- lautete das Fazit. Dagegen sollen täg- die hatte gezeigt, dass eine derart Fleischqualität ist entscheidend lich 300 g Gemüse, 100 g Obst und kohlenhydratreiche Kost für den Das Argument, der Fleischverzehr gerne auch reichlich Reis, Mais, Kar- überwiegenden Teil der Menschen sei – nicht zuletzt auch in Deutsch- toffeln, Weizen – Pasta und Brot – schädlich ist und die Gesamtsterb- land – bereits ausreichend hoch und und bis zu 31 g Zucker auf dem Spei- lichkeit erhöht (23, 24). Nicht um- eine weitere Steigerung wäre defi- seplan stehen. Wie man diese präzi- sonst gilt die Kohlenhydratreduktion nitiv nicht sinnvoll, mag stimmen. sen Mengenangaben aus schwachen – „low carb“ – vielen Experten als Aber selbst wenn ganz Deutschland epidemiologischen Daten ableiten Meilenstein im Hinblick auf eine ge- vegan äße, so Klimaforscher Frank konnte, bleibt unverständlich. sunde Ernährung. Die Resultate der Mitloehner, wäre der Einfluss auf Die statistischen Methoden dieser PURE-Studie werden im EAT-Paper den weltweiten CO2-Ausstoß nicht umstrittenen EAT-Publikation wur- jedoch völlig übergangen. Außer- einmal messbar (26). Entscheidend ist nicht zuletzt, die Qualität von Fleisch zu berück- sichtigen. Fleisch ist nicht dasselbe KOMMENTAR wie verarbeitetes Fleisch, zum Bei- Dr. med. Johannes Scholl, Präsident der Deutschen Akademie für Präventivmedizin spiel in Form von Wurstwaren. Wenn die Qualität und die Zuberei- tungsmethode beachtet werden, ist Die führenden Advokaten der „Planetary Health gern und genüsslich vorzurechnen, wie viele Fleisch ein gesundes Lebensmittel. Diet“ gehören nicht zu jenem 1,5 Milliarden Men- Steaks man für die Treibhausgas-Emissionen Auch im Sinne des Tierwohls wäre schen umfassenden armen Teil der Weltbevölke- essen könnte, die Stordalens Privatjet verur- es sinnvoll, wenn die Verbraucher rung, die sich diese nicht eben billige Kost über- sacht (27). bereit wären, für gutes Fleisch aus haupt nicht leisten könnten. Das verwundert nicht, Solche Widersprüche sahen auch Fachleute artgerechter Tierhaltung einen hö- als Fingerzeig, die Authentizität der EAT-Foun- heren Preis zu zahlen. Dass fleisch- Werbung für die dation anzuzweifeln und die Hintergründe zu recherchieren: Die Foundation selbst ist zwar frei essen gesund ist und dem Kli- Planetendiät – cui bono? gemeinnützig, sie hat allerdings vor zwei Jahren ma nützt, müsste jedoch erst noch substanziiert werden. eine weitere Institution namens „FReSH“ (Food Dr. med. Johannes Scholl ist doch die Gründerin der EAT-Foundation, Gun- Reform for Sustainability and Health) ins Leben Facharzt für Innere Medizin, hild Stordalen, eine norwegische Milliardärsgat- gerufen, mit der sie eng zusammenarbeitet. Ernährungsmedizin, Sportmedizin tin. Sie selbst trägt vermutlich mit einer noch so FReSH wiederum hat eine Vielzahl einflussrei- teuren veganen „Global Health Diet“ auch eher cher Mitglieder. Dazu zählen beispielsweise Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein wenig zur Rettung des Planeten bei. Denn sie Lebensmittelgiganten wie Cargill, ein Hersteller Interessenkonflikt vorliegt. fliegt mit ihrem 20 Millionen US-Dollar teuren von Zuckersirup. Oder Firmen, die Ceralien her- Dieser Artikel unterliegt nicht dem Peer-Review- Privatjet jährlich etliche Male um die Welt. Die stellen, darunter Danone und Nestlé, schließlich Verfahren. britische Boulevardpresse hat es sich nicht neh- Bayer und BASF als Saatgut- und Pflanzen- men lassen, solche Scheinheiligkeit anzupran- schutzproduzenten. Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit2720 oder über QR-Code. A 1388 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 27–28 | 6. Juli 2020
MEDIZINREPORT Zusatzmaterial Heft 27–28/2020, zu: Ernährung und Klima Fleischfrei gesund und klimafreundlich essen – die Evidenz fehlt Die Debatte, ob Fleischkonsum gesund und noch zu rechtfertigen ist, fußt auf höchst unsoliden Studien. Der wissenschaftliche Streit darum wird mit harten Bandagen geführt. Die Verteufelung der Fleischlobby ist hierbei ein beliebtes Vorgehen. Allerdings hat auch die Gegenseite Interessenkonflikte, die den meisten nahezu unbekannt sind. Literatur 1. Zhong VW, Van Horn L, Greenland P, et al.: 10. Carroll AE, Doherty TS: Meat Consumption March 2020). Associations of Processed Meat, Unproces- and Health: Food for Thought. Ann Intern 19. Impossible: Foods/FAQ: What are the ingre- sed Red Meat, Poultry, or Fish Intake With Med 2019; 171 (10): 767–8. dients? https://faq.impossiblefoods.com/hc/ Incident Cardiovascular Disease and All- 11. Assaf AR, Beresford SAA, Risica PM, et al.: en-us/articles/360018937494-What-are-the- Cause Mortality. 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