FLEISCHATLAS KLIMA UND - ÖSTERREICHISCHE AUSGABE - Global 2000
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FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2021 JUGEND, D KLIMA UN NG ERNÄHRU ÖSTERREICHISCHE AUSGABE
IMPRESSUM Die österreichische Ausgabe des FLEISCHATLAS 2021 ist ein Kooperationsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, beide WIen. Inhaltliche Leitung: Basisausgabe: Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung, Katrin Wenz, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Österreichische Beiträge: Dagmar Gordon, GLOBAL 2000 Projektmanagement, Grafikrecherche: Dietmar Bartz Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger Dokumentation und Schlussredaktion: Andreas Kaizik, Sandra Thiele (Infotext GbR) Mit Originalbeiträgen von Reinhild Benning, Matthias Brümmer, Christine Chemnitz, Inka Dewitz, Dagmar Gordon, Sabine Großhaupt, Astrid Häger, Carla Hoinkes, Heike Holdinghausen, Kristin Jürkenbeck, Ilse Köhler-Rollefson, Silvie Lang, Jonas Luckmann, Bettina Müller, Sarah Neuhuber, Elisabeth Penz, Lia Polotzek, Christian Rehmer, Julia Schmid, Maureen Schulze, Shefali Sharma, Achim Spiller, Anna Steinacher, Lisa Tostado, Veronika Weissenböck, Katrin Wenz, Sabine Wichmann, Stephanie Wunder, Anke Zühlsdorf Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller beteiligten Partnerorganisationen wieder. Die Flächenfarben der Landkarten zeigen die Erhebungsgebiete der Statistik an und treffen keine Aussage über eine politische Zugehörigkeit. Titel: Ellen Stockmar Bildbearbeitung: Roland Koletzki 1. Auflage, Januar 2021 Österreichische Ausgabe: Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 Geschäftsführung Agnes Zauner und René Fischer UWZ_Vermerk_GmbH_4C_Umweltzeichen_Vermerk.qxd 31.05.13 08:02 Seite 1 Druck: Druckerei Janetschek GmbH, 3860 Heidenreichstein. Ausgezeichnet gedruckt mit„Druckerzeugnisse“ nach der Richtlinie dem Österreichischen Umweltzeichen „Schadstoffarme Druckerzeugnisse“, des ÖsterreichischenUW-Nr. 637. Umweltzeichens Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier. gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 Dieses Werk mit Ausnahme des Coverfotos steht unter gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ der Creative-Commons-Lizenz des „Namensnennung – Österreichischen Umweltzeichens · Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen. Sie können die einzelnen Infografiken dieses Atlas für eigene gedrucktZwecke nach dernutzen, Richtliniewenn der Urhebernachweis Bartz/Stockmar, CC BY 4.0 in der Nähe der Grafik steht„Druckerzeugnisse“ des Bartz/Stockmar (M), CC BY 4.0.) (bei Bearbeitungen: Österreichischen Umweltzeichens Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 Download: www.global2000.at/publikationen/fleischatlas
INHALT Stallhaltung und der Schweinemast insgesamt. Biologische Haltung ermöglicht ein artgemäßeres Leben, aber der Marktanteil ist gering. 20 KÄLBER AUS ÖSTERREICH WIE DIE MILCHWIRTSCHAFT 02 IMPRESSUM ZU TIEREXPORTEN FÜHRT Zehntausende lebende Kälber verlassen jedes Jahr 06 VORWORT Österreich, um bei niedrigeren Tierschutzstandards gemästet zu werden. Eine Mangelernährung führt 08 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN zum begehrten hellen Fleisch – das dann vielleicht ÜBER FLEISCH UND DIE WELT wieder nach Österreich importiert wird. 10 KONSUM 22 FUTTER ALLTAGSESSEN UND LUXUSGUT ERNTEN, BIS DER VIEHTROG VOLL IST Die globale Nachfrage nach Fleisch steigt durch Über ein Drittel aller Feldfrüchte weltweit landet Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in den Mägen von Nutztieren – allein eine weiter an, allerdings langsamer als noch vor Milliarde Tonnen Soja und Mais jährlich. Die zehn Jahren. Geflügel macht dabei einen immer Futtermittelindustrie und die Tierhalter wollen größeren Anteil aus. Die großen Unterschiede das noch steigern. beim Pro-Kopf-Konsum zwischen Ländern und Bevölkerungsgruppen bestehen fort. 24 KONZERNE DAS ZIEL IST MARKTMACHT – VOM 12 KONSUM IN ÖSTERREICH STALL BIS ZUM KÜHLREGAL AUF DIE TELLER DER REPUBLIK Globale Fleischkonzerne spielen eine wichtige Die Österreicherinnen und Österreicher essen nicht Rolle bei der Frage, wie Fleisch und Futtermittel mehr ganz so viel Fleisch wie noch vor zehn Jahren. produziert, transportiert und gehandelt werden. Zugleich bedroht der Strukturwandel viele Höfe. Ernährung ist lukrativ: Unter den 100 größten Dabei könnte eine extensivere Produktion Massentier- Lebensmittel- und Getränkemultis der haltung vermeiden und die Natur besser schützen. Welt finden sich auch die zehn umsatzstärksten Schlacht- und Weiterverarbeitungsbetriebe. 14 HANDEL IN DIE FALSCHE RICHTUNG 26 WERTSCHÄTZUNG IN ÖSTERREICH Beim Assoziierungsabkommen zwischen der EU DELIKATESSEN VON FRÜHER – UND HEUTE und vier Mercosur-Staaten geht es um viel Fleisch Innereien galten lange als wenig attraktive Speisen. und Futtermittel, den Regenwald und das Klima. Sie erfordern Fachwissen, Übung und Lust an der Aber die EU hat Angst vor billigen Importen, Zubereitung und sind damit der schnellen Küche und der Widerstand wächst. Ob das Abkommen unterlegen. Doch die „Nose to Tail“-Bewegung möchte in Kraft tritt, ist deshalb fraglich. wieder das ganze Tier als Nahrungsmittel betrachten. 16 PRODUKTION 28 PASTORALISMUS EINE PROBLEMATISCHE NAHRUNG KARGES LAND UND REICHER NUTZEN UND IHRE GROSSEN ERZEUGER Mobile Hirtenvölker ziehen mit ihren Nutztieren noch Globalisierung und Reformen in vielen Ländern über die abgelegensten Weiden. Diese Wirtschafts- Asiens und Osteuropas haben die Produktion form, der Pastoralismus, ist ökonomisch bedeutend tierischer Erzeugnisse in den letzten Jahrzehnten und klimafreundlich, aber auch stark bedroht. erhöht. Tierseuchen tragen dazu bei, dass die kleinbäuerlichen Betriebe verlieren. 30 KLIMA DER FUSSABDRUCK DER TIERE 18 MASTSCHWEINE IN ÖSTERREICH Der Anteil der Viehzucht an den globalen Treibhaus- EINE FRAGE DER HALTUNG gasemissionen wird oft unterschätzt, doch in der Das meiste in Österreich verzehrte Fleisch Klimarechnung hinterlassen die Nutztiere und ihr stammt vom Schwein. Massenproduktion und Futter deutliche Spuren. Es gibt Vorschläge, das zu Preisdruck sorgen für vielerlei Mängel bei der ändern. 4 FLEISCHATLAS 2021
32 PESTIZIDE 44 PRODUKTION IN DEUTSCHLAND IN DER EU VERBOTEN, RABIATER STRUKTURWANDEL IN SÜDAMERIKA ERLAUBT Die Zahl der Tierhaltungen in Deutschland sinkt Weltweit steigt die Verwendung von Pestiziden seit Jahrzehnten – und zwar schnell. Finanzkräftige in der Landwirtschaft. Einige der gefährlichsten Betriebe vergrößern dagegen ihre Bestände Stoffe wurden in der EU bereits verboten, noch. Bei der Verteilung der Tiere und beim kommen in anderen Teilen der Welt aber im großen Ökoanteil unterscheiden sich die Regionen stark. Stil zum Einsatz. Viele sind für den Anbau von Soja und Mais bestimmt, die meist im Futtertrog von 46 SCHLACHTHÖFE IN DEUTSCHLAND Nutztieren landen. KLIMA DER ANGST Die Corona-Infektionen haben ein grelles 34 WASSER Licht auf die schlechten Arbeitsverhältnisse DER UNSICHTBARE DURST DER in deutschen Schlachthöfen geworfen. TIERE – UND IHRES FUTTERS Es müsste, gegen den Trend, mehr staatliche In allen tierischen Produkten steckt auch ein Kontrollen geben. Wasserfußabdruck. Dabei ist nicht die Gesamt- menge zu betrachten, sondern nach 48 VERSCHWENDUNG IN DEUTSCHLAND Wasserkategorien zu unterscheiden. Grünes VIEL ZU WENIG WIRD VERMIEDEN Wasser gibt es genug – auf möglichst wenig blaues Entlang der gesamten Wertschöpfungskette und graues Wasser kommt es an. verenden Tiere und werden Hunderttausende Tonnen Fleisch vergeudet. Die Verschwendung 36 MOORE von Ressourcen für deren Produktion ist enorm. WIEDERVERNÄSSUNG ALS CHANCE In vielen Teilen Europas werden Rinder auf 50 KULTURWANDEL entwässerten Moorböden gehalten. Seit ihrer VERHÄNGNISVOLLE SYMBOLIK Trockenlegung emittieren die Torfböden Kritik am Fleischverbrauch muss es mit vielem enorme Mengen an Treibhausgasen. Die aufnehmen: mit geschicktem Marketing, klimaverträgliche Nutzung dieser Flächen zu gesellschaftlichen Werten und Traditionen. Für organisieren, wäre Aufgabe der Agrarpolitik. einen reduzierten Fleischkonsum müssen sich langfristig die sozialen Normen ändern. 38 ANTIBIOTIKA ZU VIEL DAVON IM TIERSTALL – UND 52 ERSATZPRODUKTE EINE GEFAHR FÜR DIE MENSCHEN ÜBERALL WIRD EXPERIMENTIERT Antibiotika helfen bei vielen Erkrankungen. Veganer und vegetarischer Ersatz für Fleisch Das große Problem: Erreger in Menschen und Tieren und Wurst wird schnell beliebter – und für können gegen Antibiotika resistent werden, eine Großkonzerne attraktiv. Als Nächstes entbrennt tödliche Gefahr. Doch in der Nutztierhaltung werden wohl die Konkurrenz mit In-vitro-Fleisch. sie noch immer nicht sparsam genug eingesetzt. Start-ups mit Produkten aus dem Labor sprießen aus dem Boden. 40 PANDEMIEN GEFÄHRLICHE KONTAKTE 54 POLITIK Viehzucht und Fleischverzehr sind Ursachen NÄCHSTE SCHRITTE für den Ausbruch von Krankheiten, die von Längst haben zivilgesellschaftliche Wildtieren auf Menschen übergehen. Solche Organisationen Vorschläge für eine klima- Zoonosen können katastrophal sein – wie im und umweltfreundliche Tierhaltung Fall von Covid-19. ausgearbeitet. Doch Fortschritte zeichnen sich nur bei den Haltungssystemen ab. 42 JUGENDUMFRAGE WENIGER FLEISCH, MEHR FUTURE 56 AUTORINNEN UND AUTOREN, Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung ernähren QUELLEN VON DATEN, KARTEN sich doppelt so viele 15- bis 29-Jährige vegetarisch UND GRAFIKEN oder vegan. Für viele junge Erwachsene ist der Verzicht auf Fleisch ein politisches Statement. 58 ÜBER UNS FLEISCHATLAS 2021 5
VORWORT E s schien wie ein Weckruf, als im Sommer 2020 Covid-19 in Deutschlands größtem Schlachthof ausbrach: Die erste Welle „ Trotz Skandalen und Corona – die Regierungen wollen von einer „Fleischwende“ der Pandemie verklang gerade, da meldeten nichts mehr wissen. die Gesundheitsämter mehr als 1.500 in- fizierte Arbeiterinnen und Arbeiter in dem Mega-Schlachtbetrieb von Tönnies in Rheda- an der Branche vorbeigezogen sind. Für uns Wiedenbrück. Dort, wo am Tag knapp 30.000 ist es kaum nachvollziehbar, wie wenig sich Schweine geschlachtet werden, musste we- ändert – trotz der seit nun fast zehn Jahren gen der Pandemie alles stillgelegt werden. anhaltenden öffentlichen Kritik und der vie- Infiziert waren vor allem Arbeiterinnen und len Skandale. Arbeiter aus dem Ausland, die für wenig Geld Uns hat in diesem Zusammenhang inter- in der Fabrik arbeiten und unter prekären essiert, wie die jüngere Generation mit ihrem Bedingungen wohnen. Die Deutsche Agrar- beeindruckenden Engagement gegen die ministerin Klöckner verkündete einen grund- Klimakrise diese Beharrungskräfte der legenden Wandel in der Fleischindustrie, Fleischindustrie erlebt. Daher haben wir sogar ein „Fleisch-Gipfel“ wurde organisiert. eine repräsentative Umfrage in Auftrag ge- Endlich der Moment für einen grundlegen- geben, in der Meinungsbilder von Menschen den Wandel? Leider nein. Durch den Kampf zwischen 16 und 29 Jahren erhoben wurden. der Gewerkschaften endet nun die Zeit der D Leiharbeit und der Werkverträge in den ie Ergebnisse zeigen, dass mehr als deutschen Schlachthöfen. Ein erster wichti- zwei Drittel der jüngeren Generation ger Schritt. Doch weiter geht der Umbau der die heutige Fleischindustrie ablehnen. deutschen Fleischindustrie nicht. Sie sehen in der Fleischproduktion eine In Österreich ist die Situation nicht viel Bedrohung für das Klima und ernähren sich besser: Die Corona-Ausbrüche in oberösterrei- doppelt so oft vegetarisch und vegan wie der chischen Schlachthöfen im Juni zeigten ein- Durchschnitt der gesamten Bevölkerung. mal mehr, dass das System der industriellen Und sie sehen Handlungsbedarf beim Staat: Fleischproduktion an allen Ecken und Enden Er soll Konsumentinnen und Konsumenten kracht. Es ist fast immer von extrem prekären darin unterstützen, sich klimafreundlich zu und/oder gesundheitsgefährdenden Arbeits- ernähren. Das sind interessante Ergebnisse, bedingungen geprägt. Es basiert auf Ausbeu- denn im Gegensatz dazu proklamieren tung – nicht nur von Menschen, sondern auch viele Politikerinnen und Politiker, dass von Tieren und der Natur. Die Auswirkungen Ernährung eine persönliche Entscheidung auf die Umwelt, die eine industrielle Produk- sei – und der Staat nichts gegen den Konsum tion von Fleisch anrichtet, sind verheerend, von billigem Fleisch unternehmen könne. wenn wir nur an die Zerstörung der Biodiver- Doch das ist falsch. So wie die Produk- sität, Wasservernichtung und Grundwasser- tionsbedingungen kann der Staat auch den verschmutzung denken. Konsum beeinflussen. Ernährung ist zwar Die Corona-Aufregung erinnert an die vie- individuell. Doch Gesetze und Regeln können len anderen Skandale, die in den letzten unsere Konsumentscheidungen zugunsten Jahrzehnten ohne wirkliche Konsequenzen von Nachhaltigkeit und Gesundheit steuern. 6 FLEISCHATLAS 2021
Instrumente dafür gibt es zahlreiche: fiskalische, informatorische und rechtliche. Vor allem aber bedarf es eines entschie- „ Ernährung ist zwar individuell. Doch Gesetze und Regeln können unsere denen politischen Willens zur Veränderung. Konsumentscheidungen steuern. Doch die Regierungen wollen von einer „Fleischwende“ trotz der sichtbaren Probleme offenbar nichts wissen. Das ist Vor acht Jahren haben wir den ersten auch im globalen Zusammenhang ein Fleischatlas veröffentlicht. Seitdem hat sich dramatischer Irrweg, weil die ökologischen, in Deutschland einiges verändert. In Gesell- sozialen und gesundheitlichen Folgen der schaft, Medien und Wissenschaft ist Fleisch industriellen Fleischproduktion ignoriert inzwischen als kritisches Thema etabliert. werden: Ohne Kurswechsel wächst die Konsumenten und Konsumentinnen greifen Fleischproduktion bis zum Jahr 2029 noch immer häufiger zu vegetarischen Produkten einmal um 40 Millionen Tonnen auf dann oder zu Fleisch aus besserer Haltung. mehr als 360 Millionen Tonnen Fleisch pro D Jahr. Die Folgen kann man sich kaum aher soll dieser Atlas all diejenigen in vorstellen, weil bereits jetzt die ökologischen ihrer Arbeit und ihrem Engagement Grenzen unseres Planeten überschritten unterstützen, die sich für Klimage- werden und die Klima- und Biodiversitäts- rechtigkeit einsetzen. Er beleuchtet die krise für viele Menschen weltweit dramati- Probleme, die aus der industriellen Fleisch- sche Auswirkungen hat. produktion entstehen, und liefert neue Daten und Fakten zu Themen, die wir auch I m Jahr 2015 haben sich die Staats- und zuvor schon aufgegriffen haben. Auch wenn Regierungschefs der Welt auf die globalen es noch an positiven Trends mangelt – es Entwicklungsziele (SDGs) geeinigt. Der wird deutlich, dass viele Menschen, die die Schutz des Klimas, der Biodiversität, der Machenschaften der Fleischindustrie nicht Meere und allem voran das Ende von Hunger mehr hinnehmen wollen, sich zunehmend und absoluter Armut stehen auf der Liste für Klima, Nachhaltigkeit, Tierwohl und der 17 Ziele. Die Landwirtschaft ist eng mit Ernährung interessieren und einsetzen. dem Erfolg der Ziele verknüpft, doch steht Das ist großartig. Darum möchten wir mit gerade die industrielle Fleischproduktion diesem Atlas vor allem ihr Engagement mit dem im Weg. Sie befeuert die Klimakrise, Informationen stärken. Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste, vertreibt Menschen von ihrem Land. Die globalen Nachhaltigkeitsziele Barbara Unmüßig müssen wir in neun Jahren erreichen. Und Heinrich-Böll-Stiftung das bedeutet, dass die Industrieländer Agnes Zauner ihren hohen Fleischverbrauch auf Kosten GLOBAL 2000 des Klimas, der Biodiversität, globaler Gerechtigkeit und des Tierwohls um mindes- Eva Rosenberg tens fünfzig Prozent reduzieren müssen. VIER PFOTEN FLEISCHATLAS 2021 7
12 KURZE LEKTIONEN ÜBER FLEISCH UND DIE WELT 1 Die globale Fleischproduktion wächst. Doch KLIMA UND BIODIVERSITÄT können nur geschützt werden, wenn die Industrieländer ihren FLEISCHKONSUM HALBIEREN. 2 Je mehr Wälder für FUTTERMITTEL gerodet werden, desto mehr schrumpfen die LEBENSRÄUME der Wildtiere. Der Kontakt zwischen Menschen und Tieren wird enger – das begünstigt die Übertragung von Viren und die Entstehung neuer PANDEMIEN. 3 Der STRUKTURWANDEL in der Landwirtschaft geht weiter. Wenige Betriebe – die ihre Tiere unter industriellen Bedingungen halten – wachsen noch. 4 Der Einsatz von ANTIBIOTIKA IN DER TIERHALTUNG führt zu immer mehr RESISTENTEN KEIMEN. Dies bedroht die Wirksamkeit von Antibiotika, einem der wichtigsten Mittel der Humanmedizin. 5 Die führenden Anbauländer von Futter- mitteln gehören zu den größten Anwendern von PESTIZIDEN – zum Schaden von Grundwasser und BIODIVERSITÄT. 6 Die fünf größten FLEISCH- UND MILCHKONZERNE emittieren genauso viele KLIMASCHÄDLICHE GASE wie Exxon, der größte ÖLMULTI der Welt. 8 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / STOCKMAR 7 Mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen EMISSIONEN stammen in Österreich aus der Nutztierhaltung. Der Anbau von Futtermitteln im In- und Ausland verschlingt enorme LANDFLÄCHEN. 8 Unsere GEWOHNHEITEN, Rollenbilder und die Werbung sowie gesellschaftliche Traditionen regen zum FLEISCHESSEN an. Die Ernährungsindustrie profitiert vom Status quo. |||||| SCHWEIN? |||||| FREITAGS GEHABT! |||||| |||||| STOP! FÜRS KLIMA ||| ||||| INLANDSFLÜGE NUR FÜR INSEKTEN ||||| ||| GRÜNKOHL STATT BRAUNKOHLE 9 Die konventionelle, intensive Schweinehaltung in Österreich ist in der Fleischindustrie mit MASSENPRODUKTION und PREISDRUCK begründet. 10 Junge Menschen ernähren sich doppelt so häufig VEGETARISCH UND VEGAN wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Viele sehen Ernährung nicht nur als etwas Individuelles, sondern wollen, dass der Staat STÄRKER EINGREIFT. 11 Der Markt für FLEISCHERSATZPRODUKTE wächst schnell. Ein großer Teil der jungen Konsumentinnen und Konsumenten findet, dass sie GUT SCHMECKEN. 12 Trotz der globalen Auswirkungen hat kein Land der Welt eine STRATEGIE ZUR SENKUNG DES FLEISCHKONSUMS. Dabei können Regierungen durch GESETZE und finanzielle Anreize wichtige Beiträge dazu leisten. FLEISCHATLAS 2021 9
KONSUM ALLTAGSESSEN UND LUXUSGUT Die globale Nachfrage nach Fleisch steigt son gegessen werden, sind es in den USA und Australien durch Wirtschafts- und Bevölkerungs- mehr als 100 Kilogramm. Seit einigen Jahren sinkt die Nach- wachstum weiter an, allerdings langsamer frage in einigen Industrieländern leicht, weil die Bedenken bezüglich Gesundheit, Tierwohl und Umwelt zunehmen. als noch vor zehn Jahren. Geflügel Das größte Wachstum des Fleischkonsums wird in den macht dabei einen immer größeren Anteil Ländern des Südens stattfinden. Der Industrieländerorgani- aus. Die großen Unterschiede beim sation OECD zufolge steigt die Nachfrage dort bis 2028 vier Pro-Kopf-Konsum zwischen Ländern und Mal mehr als in den Industrieländern. Ausgehend von ei- Bevölkerungsgruppen bestehen fort. nem viel geringeren Niveau, dafür aber mit deutlich größe- rem Bevölkerungswachstum als in den Industrieländern, ist der zusätzliche Konsum pro Person nicht sehr hoch. Auf dem D er weltweite Fleischkonsum hat sich in den vergange- afrikanischen Kontinent wird das besonders deutlich. Dort nen 20 Jahren mehr als verdoppelt und erreichte 2018 wächst die Nachfrage insgesamt zwar besonders schnell, 320 Millionen Tonnen. Die Bevölkerung ist gewach- aber pro Person steigt der Fleischkonsum in den nächsten sen, die Einkommen sind gestiegen – beide Faktoren haben zehn Jahren kaum – von 17 auf 17,5 Kilogramm. die Zunahme zu ungefähr gleichen Teilen verursacht. Die Auf die bevölkerungsreichste Nation der Welt, China, Prognosen für die Fleischindustrie waren ohnehin schon entfällt fast ein Drittel des gesamten heutigen Fleischkon- gut – bis 2028 wird der Fleischkonsum möglicherweise noch sums und ein Drittel des Wachstums der vergangenen 20 einmal um 13 Prozent wachsen. Jahre, auch wenn der Pro-Kopf-Verbrauch immer noch bei Doch noch immer ist Fleisch für viele Menschen auf der weniger als der Hälfte des Verbrauchs in den USA liegt. Die Welt ein Luxusgut, dessen Konsum stark vom Einkommen Nachfrage nach Fleisch wird wohl auch in China weiter stei- abhängt. Durch die weltweite Wirtschaftskrise im Zusam- gen, das Wachstum jedoch deutlich geringer werden. Denn menhang mit Covid-19 sind die Einkommen vieler Men- die Sorge um Übergewicht wächst, und ab 2030 wird die Be- schen eingebrochen. Die Weltbank geht davon aus, dass bei völkerungszahl wieder zurückgehen. anhaltender Krise rund 150 Millionen Menschen unter die In Afrika und Asien wird der Fleischkonsum die Produk- Armutsgrenze rutschen werden und viele weitere Millionen tion überholen. Daher werden auch die Importe zunehmen, gravierende Ausfälle bei ihren Einkommen haben werden. besonders schnell in Subsahara-Afrika. Der Anstieg der Das gilt auch für China, den Staat mit dem größten Fleischimporte wird aber vom nichtchinesischen Asien an- Fleischkonsum weltweit. Zusammen mit dem Ausbruch getrieben. Auf die Region insgesamt werden bis 2029 rund eines anderen Virus, der Afrikanischen Schweinepest, ist 56 Prozent des Welthandels entfallen. Covid-19 der maßgebliche Grund für den schwächeren Kon- Die globalen Großtrends treffen nicht auf alle Fleisch- sum von Schweinefleisch im Jahr 2020. Die Bekämpfung sorten in gleichem Maße zu. Während der Anteil von Rind von Covid-19 ließ die Wirtschaft in China im ersten Halbjahr 2020 um über drei Prozent schrumpfen. In den meisten Industrienationen liegt der Fleischkon- Trotz einer mehr als fünfmal größeren sum seit Jahrzehnten relativ konstant auf hohem Niveau. Bevölkerung verbrauchen die ärmeren Länder nicht Während in Deutschland 2019 fast 60 Kilogramm pro Per- einmal doppelt so viel Fleisch wie die reicheren FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO INDUSTRIELÄNDER SIND KEIN VORBILD Fleischkonsum entwickelter und sich entwickelnder Länder, nach Fleischarten, Jahresdurchschnitt 2017–19, in 1.000 Tonnen Rind und Kalb Geflügel Pro-Kopf-Verzehr 68,6 Schwein Schaf (Einzelhandelsgewicht), Kilogramm pro Jahr 29.300 41.200 48.400 2.700 entwickelte Länder* gesamt: 121.600 26,6 40.200 75.100 76.000 12.300 sich entwickelnde Länder * gesamt: 203.600 * nach der bis heute üblichen Einteilung der FAO, entwickelt: Kanada, USA, Europa, GUS, Japan, Israel, Südafrika, Australien, Neuseeland; sich entwickelnd: alle anderen 10 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OWID LANDSCHAFT, WIRTSCHAFT, TRADITIONEN Fleischverbrauch nach Ländern und Wirtschaftsleistung, pro Kopf, 2017 Kilogramm pro Jahr 140 bis unter 20 kg 20 bis unter 40 40 bis unter 60 USA 60 bis unter 80 120 80 bis unter 100 über 100 100 Brasilien Deutschland Italien Frankreich 80 Großbritannien Länder mit über 50 Millionen Einwohnerinnen und Russland Einwohnern nach Wirtschaftsleistung in US-Dollar Südkorea Vietnam und Fleischverbrauch in Kilogramm pro Jahr, 2017 Mexiko 60 Südafrika China Myanmar Japan Philippinen 40 Iran Türkei Ägypten Pakistan Thailand 20 Kenia Äthiopien Tansania Indonesien Nigeria Indien Dem. Rep. Kongo (k. A.) 0 Bangladesch 0 1.000 2.000 5.000 10.000 20.000 50.000 100.000 US-Dollar Generell gilt: Je reicher, um so mehr Fleisch und Schaf am Gesamtkonsum abnimmt, essen die Men- wird konsumiert. Aber viele weitere Faktoren schen immer mehr Schwein und Geflügel. Geflügel allein beeinflussen den Pro-Kopf-Verbrauch wird rund die Hälfte des globalen Zuwachses in den kom- menden zehn Jahren ausmachen. In den USA zum Beispiel ist der Pro-Kopf-Konsum von Rindfleisch in den vergange- USA – wo die Ernährung generell fleischlastig ist – sind es nen 30 Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen, wäh- immer noch rund fünfzig Prozent mehr. In ärmeren Regio- rend sich der von Geflügel mehr als verdoppelte. Das liegt nen der Welt sind die Einkommen extrem unterschiedlich, unter anderem am Preisvorteil und dem niedrigeren Fett- was sich auch im Pro-Kopf-Fleischkonsum widerspiegelt. anteil. Auf Schweinefleisch entfallen rund 28 Prozent des Die Oberschicht kommt dabei auf Werte, die denen in den Wachstums in den kommenden zehn Jahren, angetrieben OECD-Ländern ähneln, wohingegen für die viel größere Un- vor allem durch den steigenden Konsum im asiatischen ter- und untere Mittelschicht Fleisch ein seltener Luxus ist. Raum. In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern es- Auch deswegen bleibt es für viele ein Statussymbol. sen die Menschen allerdings kaum Schweinefleisch, weil der Verzehr für große Teile der Bevölkerung aus religiösen Gründen nicht infrage kommt. FLEISCHATLAS 2021 / OWID GEFLÜGEL DOMINIERT Die Daten zur Gesamtnachfrage und dem durchschnitt- Zunahme des Weltverbrauchs nach Fleischarten, lichen Konsum in einzelnen Ländern geben nur ein unvoll- mit Knochen, in Millionen Tonnen ständiges Bild ab, denn auch innerhalb der Länder ist die 10,5 350 15,8 Nachfrage mit Blick auf die sozioökonomischen Strukturen 71,6 sehr unterschiedlich. In den industrialisierten Regionen 300 Schafe und Ziegen nimmt der Fleischkonsum pro Kopf tendenziell mit höhe- Rinder und Büffel 250 120,9 Schwein rer Bildung und höherem Einkommen ab. Auch Frauen und 200 Geflügel Jugendliche essen weniger Fleisch als Männer. In Deutsch- andere land zum Beispiel verzehren Männer im Durchschnitt etwa 150 doppelt so viel Fleisch und Wurst pro Tag wie Frauen. In den 127,3 100 50 Der Fleischkonsum hat enorm zugenommen. 0 Inzwischen ist als Ursache der zunehmende Wohlstand 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2018 kaum weniger wichtig als das Bevölkerungswachstum FLEISCHATLAS 2021 11
KONSUM IN ÖSTERREICH AUF DIE TELLER DER REPUBLIK Die Österreicherinnen und Österreicher le liegt Geflügel mit 12,4 Kilogramm pro Kopf, gefolgt von essen nicht mehr ganz so viel Fleisch wie Rind und Kalb mit durchschnittlich 11,9 Kilogramm pro noch vor zehn Jahren. Zugleich bedroht der Kopf. Schaf und Ziege mit 0,8 Kilogramm und Innereinen mit 0,3 Kilogramm pro Person landen weniger häufig auf Strukturwandel viele Höfe. Dabei könnte eine dem Teller. Zusätzlich werden diverse andere Fleischsorten extensivere Produktion Massentierhaltung gegessen, etwa Wild mit 0,7 Kilogramm pro Kopf. vermeiden und die Natur besser schützen. Insgesamt blieb der jüngste Fleischkonsum in Öster- reich über 30 Jahre lang eher stabil, erst in den vergangenen I m europäischen Vergleich liegt Österreich beim Fleisch- 5 Jahren ist ein leichter Trend zu einem reduzierten Fleisch- konsum im Spitzenfeld. 2019 lag der Verbrauch pro Kopf verzehr erkennbar. Dieser lag im Jahr 2014 noch bei 65 Ki- bei durchschnittlich 93,8 Kilogramm. Verzehrt wurden logramm pro Kopf und ist seither um 3,7 Prozent gesunken. davon 62,6 Kilogramm, der Rest sind Schlachtabfälle wie Allerdings gibt es je nach Fleischart große Unterschiede. Der Knochen und Sehnen, oder er wird zum Beispiel als Tierfut- Genuss von Schweinefleisch nimmt ab, bei Geflügel wird es ter verwendet. eher mehr. Zusätzlich landeten bei den Österreicherinnen Am beliebtesten bei den Österreicherinnen und Öster- und Österreichern durchschnittlich 7,9 Kilogramm Fisch reichern ist das Schweinefleisch. Hiervon aßen sie 2019 auf dem Tisch. Auch Umfragen zeigen einen Trend, der sich im Durchschnitt 36,4 Kilogramm pro Person. Gerichte mit weg von Schwein und Innereien hin zu Fisch, Geflügel und Schweinefleisch haben in der österreichischen Küche eine Wild bewegt. lange Tradition und sind von vielen schwer wegzudenken – Insgesamt verspeist jede Österreicherin und jeder Öster- besonders beliebt ist das Schweineschnitzel. An zweiter Stel- reicher also mehr als 70 Kilogramm Fleisch, inklusive Fisch, pro Jahr. Tatsächlich ist es bei einem durchschnittlichen Er- wachsenen wohl noch mehr, da zum Beispiel Kinder und Menschen, die überhaupt kein Fleisch essen, in der Berech- JUNGE MÄNNER AN DEN FLEISCHTÖPFEN nung nicht gesondert berücksichtigt wurden. Ein Drittel Häufigkeit von Fleisch- und Wurstkonsum in Österreich nach Alters- gruppen und Geschlecht, Gesundheitsumfrage 2019, in Prozent der befragten Einwohnerinnen und Einwohner geben einer Studie zufolge an, mindestens einmal täglich Fleisch- oder nie seltener 1 bis 4 Mal wöchentlich täglich Wurstprodukte zu konsumieren. Weitere 40 Prozent essen drei bis vier Mal pro Woche Fleisch oder Wurst. 15- bis 30- bis 45- bis 60- bis Der Anteil von Fleisch und Geflügel aus biologischer unter 30- unter 45- unter 60- unter 75- Tierhaltung liegt im ersten Halbjahr 2020 bei 5,6 Prozent – Jährige Jährige Jährige Jährige das ist ein Anstieg von etwa 1 Prozent seit 2018. Der Bioan- 1,8 1,6 0,7 0,7 1,9 teil bei Wurst und Schinken bleibt mit 3,2 Prozent stabil. 1,9 2,9 4,1 1,2 3,8 2,2 7,4 4,6 Verglichen mit einem Anteil an Biomilch von mehr als 25 3,6 4,8 5,0 Prozent sind diese Zahlen ernüchternd. Im Supermarkt fällt die Entscheidung auf kostengünstigere Produkte aus kon- ventioneller Landwirtschaft. 38,4 Im Jahr 2019 wurden in Österreich 90,7 Millionen Hüh- 47,6 ner, mehr als 5 Millionen Schweine, 680.000 Rinder und Käl- 55,0 ber, 342.000 Schafe und Lämmer, 53.800 Ziegen und Kitze 65,2 und 564 Pferde, Fohlen und sonstige Einhufer geschlachtet, 59,1 65,4 das sind jede Sekunde circa 3 Tiere. Zählt man die Menge des 58,0 72,7 75,7 erzeugten Fleisches zusammen, ist der Bedarf der Österrei- cher und Österreicherinnen zwar um 109 Prozent gedeckt. 48,0 Doch auch hier zeigen sich Unterschiede bei den jeweiligen 43,1 Tierarten. Bei Hühnern überstiegen die Schlachtungen 2019 die FLEISCHATLAS 2021 / STATISTA, STATISTIK AUSTRIA 32,0 des Vorjahres um 5,8 Prozent. Der Selbstversorgungsgrad 28,4 26,9 liegt bei Geflügel dennoch nur bei 72 Prozent, was zusätz- liche Importe erfordert. Anders ist das Verhältnis bei Rind- 18,6 17,7 und Kalbfleisch: Hier werden 142 Prozent des Eigenbedarfs Männer essen deutlich mehr Fleisch als Frauen. Auch die Zahl der Vegetarierinnen ist viel höher als die der Vegetarier 12 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / STATISTIK AUSTRIA WO DAS TIER ZUR NAHRUNG WIRD Erfasste Schlachtungen in Österreich, 2019, Auswahl, Zahl der Tiere Ziegen 13.000 Schweine 173.000 5.063.000 Hühner Schafe 680.000 Rinder 90.702.000 Vom Schlachten zum Verbrauch: Zu den im Inland produziert. Bei Schweinefleisch wäre der Bedarf gedeckt, geschlachteten Hühnern sind bei 72 Prozent Selbstversorgung trotzdem werden mehrere Hunderttausend Tonnen impor- noch mehr als ein Viertel Importe hinzuzuzählen tiert und exportiert. Der größte Überschuss herrscht bei den Innereinen, wo mehr als das Sechsfache des Bedarfs produ- ziert wird. Die österreichische Fischproduktion kann nur 6 gas, die massiv zum Klimawandel beitragen. Mehr als die Prozent des heimischen Bedarfs bedienen. Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen gehen in Öster- Vegetarisch ernähren sich Umfragen zufolge etwa 4 Pro- reich auf das Konto der Nutztierhaltung. Die Erzeugung von zent der österreichischen Bevölkerung, vegan zirka 1 bis Futtermitteln verschlingt enorme Landflächen, zusätzlich 2 Prozent. Daran hat sich in den vergangenen fünf Jahren ist Österreich auf den Import eiweißreicher Nahrung für kaum etwas geändert. Der wirtschaftliche Anteil pflanz- seine Tiere angewiesen. Eine ökologisch vertretbare Vieh- licher Fleischersatzprodukte liegt bei rund einem Prozent wirtschaft erfordert, dass Österreicherinnen und Österrei- des Gesamtumsatzes an Fleisch. Häufig wird die Massen- cher den Fleischkonsum reduzieren. Das brächte mit großer tierhaltung als Motiv für eine fleischlose Ernährungsweise Wahrscheinlichkeit auch Vorteile für die Gesundheit mit erwähnt. sich. Im Jahr 2019 standen Herz-Kreislauf-Erkrankungen an Die österreichische Landwirtschaft ist zwar im Vergleich oberster Stelle der Todesursachen, gefolgt von Krebs. zu anderen europäischen Ländern noch eher kleinstruktu- riert, dennoch gab es etwa im Jahr 1993 im Durchschnitt noch weniger als 20 Rinder pro Betrieb, während es 2018 DOMINANTE SCHWEINE bereits mehr als 30 Tiere waren. Ein noch deutlicheres Bild Entwicklung des Fleischverzehrs in Österreich, zeigt sich in der Schweinehaltung: Während 1993 auf jeden in Kilogramm pro Kopf und Jahr Schweinehalter durchschnittlich knapp über 30 Tiere ka- Rind Schwein Huhn gesamt men, lag diese Zahl 2018 bei mehr als 125 Schweinen. Dabei brächte eine extensive Viehwirtschaft nicht nur 66,0 66,5 65,0 62,6 einen ethischen, sondern auch einen Vorteil für den Natur- schutz mit sich. Denn während zum einen stickstoffhaltige 40,3 40,0 39,2 Ausscheidungen der Tiere zu Überdüngungen von Wiesen, 36,4 Äckern und Weiden führen und Gewässer belasten, gehen zum anderen extensive Weideflächen verloren – und mit FLEISCHATLAS 2021 / STATISTIK ÖSTERREICH ihnen zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die auf diese Le- bensräume angewiesen sind. Dazu kommen Kohlendioxid und weitere potente Treibhausgase wie Methan und Lach- 11,8 11,5 12,3 11,9 11,5 12,4 11,9 12,4 Der Fleischverzehr in Österreich ist leicht rückläufig. Vor allem 2004 2009 2014 2019 Schweinefleisch wird weniger nachgefragt FLEISCHATLAS 2021 13
HANDEL IN DIE FALSCHE RICHTUNG Beim Assoziierungsabkommen zwischen Regierung rechnet in einer eigenen Untersuchung damit, der EU und vier Mercosur-Staaten geht dass allein der erleichterte Marktzugang für Rindfleisch aus es um viel Fleisch und Futtermittel, dem Mercosur die Abholzung im südamerikanischen Wirt- schaftsblock über sechs Jahre hinweg um mindestens 5 Pro- den Regenwald und das Klima. Aber die zent pro Jahr steigern könnte. Das sind weitreichende Fol- EU hat Angst vor billigen Importen, und gen, obwohl der Anteil der Mercosur-Rindfleischexporte in der Widerstand wächst. Ob das Abkommen die EU im Verhältnis zur gesamten Produktion dort – mehr in Kraft tritt, ist deshalb fraglich. als 11 Millionen Tonnen Lebend- und 7,8 Millionen Tonnen Schlachtgewicht – gering ist. Rindfleisch ist heute schon einer der Haupttreiber von Ü ber 20 Jahre hat es gedauert, bis die EU und die Merco- Entwaldung. Sie führt zu einer Zerstörung der Lebens- sur-Länder Argentinien, Brasilien, Uruguay und Para- grundlage indigener und kleinbäuerlicher Gemeinden. Im guay ein Assoziierungsabkommen für ihre beiden Amazonas grasen auf 63 Prozent aller entwaldeten Flächen Wirtschaftsräume ausgehandelt haben. Es sieht vor, bei 92 Rinder. Zwischen 70 und 80 Prozent aller Rindfleischimpor- Prozent der Importe aus dem Mercosur in die EU und bei 91 te in die EU kommen aus den Mercosur-Ländern. 50 Prozent Prozent in Gegenrichtung die Zölle nach einer Übergangs- der aus Brasilien in die EU gelieferten landwirtschaftlichen frist abzuschaffen. Dadurch wird der Export von Agrarpro- Produkte sind auf Abholzung zurückzuführen, vor allem dukten wie Ethanol, Soja und Rindfleisch aus Südamerika Soja, Rindfleisch und Kaffee. und im Gegenzug der Export europäischer Produkte wie Auch die Exporte von Geflügel- und Schweinefleisch Autos, Maschinen oder Chemieprodukte in die Mercosur- würden mit dem Abkommen steigen. 180.000 Tonnen Ge- Staaten enorm erleichtert. Wenn das Abkommen im EU- flügelfleisch sollen zollfrei importiert werden dürfen, zu- Ministerrat angenommen wird, müssen anschließend das sätzlich zu den bereits eingeführten 392.000 Tonnen. Bei EU-Parlament und die Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten Schweinefleisch kämen 25.000 Tonnen zu einem geringen sowie die Parlamente und Regierungen der Mercosur-Län- Zollsatz hinzu. Dies entspräche fast einer Verdoppelung der der zustimmen. Schweinefleischimporte aus dem Mercosur in die EU, die Das Abkommen würde die Fleischexporte aus dem Mer- derzeit bei 33.000 Tonnen liegen. cosur ausweiten. Zu den 200.000 Tonnen Rindfleisch, die Ähnlich sehen die Prognosen für Soja aus, das zu einem bereits von dort in die EU gelangen, könnten weitere 99.000 großen Teil als Tierfutter für die europäische Fleischindus- Tonnen ohne oder mit geringen Zöllen importiert werden. trie dient. Brasilien ist der größte Exporteur von Sojapro- Die im Juli 2020 von der EU publizierte Nachhaltigkeitsfol- dukten weltweit. Das SIA-Dokument der EU geht davon aus, genabschätzung (Sustainability Impact Assessment, SIA) dass der Import von Ölsaaten aus dem Mercosur um bis zu erwartet nach den Einzelbestimmungen einen Anstieg der 5,9 Prozent ansteigen könnte und gravierende ökologische Rindfleischimporte um 30 bis 64 Prozent. Die französische Folgen hätte. Einer Studie von 2019 zufolge werden fast zwei Drittel aller verkauften Pestizide in Brasilien im Anbau von Soja und Zuckerrohr eingesetzt. Mit dem Abkommen würden die Einfuhrzölle auf Pestizide in den Mercosur abge- FLEISCHATLAS 2021 / BLOOMBERG SOJA VOR DEN ZEITEN DER STRAFZÖLLE schafft, die derzeit bei bis zu 14 Prozent liegen. Der Handel Die wichtigsten Handelsströme der Sojabohnen, 2017, in Millionen Tonnen mit Pestiziden würde gestärkt, was der EU- und vor allem der deutschen Chemieindustrie zugute käme. Das EU-Mercosur-Abkommen würde sich nicht nur ne- 37,5 gativ auf die Waldbestände und die Biodiversität in Teilen 5,0 Südamerikas auswirken. Auch das Klima würde in Mitlei- EU-28 USA China denschaft gezogen. Die zusätzlichen CO2-Emissionen ent- 9,5 stünden wegen weiterer Entwaldung, stärkerer Produk- 13,5 48,0 tion und zunehmendem Transport. Die Folgeabschätzung 8,8 Frankreichs hat sogar ergeben, dass unter diesen Bedingun- Brasilien gen die Produktion eines Kilos Rindfleisch in Lateinamerika 20,5 mit viermal höheren Treibhausgasemissionen verbunden 22,5 andere wäre als eine Produktion in Europa. Dass das Abkommen in Argentinien Kraft tritt, ist noch nicht ausgemacht. Als 2018 die USA Strafzölle gegen China verhängten, kaufte China weniger in den USA und mehr in Südamerika. Die starken Zwischen den drei weltgrößten Sojahändlern – den USA, Schwankungen seither lassen derzeit keine Aussagen über Trends zu. Brasilien und, als Kunde, China – ist die EU eher unbedeutend. Scheitert das Handelsabkommen, bleibt es dabei 14 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO ZENTREN DES FLEISCHHANDELS 3,1 Staaten mit mehr als fünf Millionen Tonnen Fleischkonsum und/oder mehr als einer Million Tonnen 3,9 Im- oder Exporte, Jahresdurchschnitt 2017–19, in Millionen Tonnen 0,8 2,0 1,8 0,7 1,6 Russland Großbritannien 0,3 Kanada Japan USA 2,0 0,0 EU-28 0,0 China 1,4 2,0 0,8 0,6 0,0 Korea Mexiko Indien 0,0 1,5 0,4 0,0 1,6 Thailand Vietnam 0,0 1,2 Brasilien 0,3 0,1 Australien Argentinien 0,1 Importe Neuseeland 6,7 Exporte 0,7 6,1 1,1 7,5 2,2 Auf drei etwa gleich große Exporteure – die USA, Zu groß ist die Kritik. Landwirtinnen und Landwirte in die EU und Brasilien – entfallen fast Europa befürchten, aufgrund sinkender Preise nicht mit- 60 Prozent aller internationalen Fleischverkäufe halten zu können. Nichtregierungsorganisationen kritisie- ren die Vergünstigung von Pestizidexporten und die Folgen für das Klima. Immer mehr EU-Mitgliedsstaaten zeigen sich In nicht bindender Abstimmung votierte das EU-Parla- ebenfalls skeptisch bis kritisch. In Frankreich, den Nieder- ment für Änderungen. EU-Handelskommissar Valdis Dom- landen, Belgien, Irland, Luxemburg und Österreich sind sich brovskis hat allerdings betont, dass das Abkommen nicht Regierungen oder Parlamente einig, dass das Abkommen in erneut aufgemacht und nachverhandelt werde. Nachbes- seiner derzeitigen Form nicht ratifiziert werden kann. Auch serungen würden sich auf Protokollanhänge, Fahrpläne die deutsche Bundeskanzlerin äußerte Bedenken. oder Ähnliches beschränken. So ist es auch aus anderen EU-Abkommen bekannt. Der Ratifizierungsprozess hat sich bereits in das Jahr 2021 verschoben. Auf Eis gelegt, wie es Fleisch und Soja gegen Autos und Maschinen – Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU- das Mercosur-Abkommen trägt dazu bei, eine Parlamentes, forderte, ist das Abkommen damit allerdings solche Handelsstruktur aufrechtzuerhalten keinesfalls. FLEISCHATLAS 2021 / AFP DAS ABKOMMEN IM ÜBERBLICK Außenhandel im Mercosur-EU-Wirtschaftsraum, Mercosur EU EU Mercosur in Milliarden Euro, 2018 insgesamt 42,5 44,9 nach Ländern 31,7 8,4 1,7 0,7 33,6 9,3 1,4 0,6 Brasilien Argentinien Uruguay Paraguay nach Warengruppen 14,6 12,2 15,7 19,0 11,7 14,3 Nahrungsmittel Rohstoffe Maschinen, Fahrzeuge chemische Produkte sonstiges Differenzen durch Rundung FLEISCHATLAS 2021 15
PRODUKTION EINE PROBLEMATISCHE NAHRUNG UND IHRE GROSSEN ERZEUGER Globalisierung und Reformen in vielen zent – mehr Fleisch importiert als im Vorjahr. Am meisten Ländern Asiens und Osteuropas haben die profitiert haben die brasilianischen Erzeugerkonzerne, die Produktion tierischer Erzeugnisse in den Rekordmengen von Geflügel- und Schweinefleisch nach China lieferten. Aber auch die EU hat ihre Ausfuhren ausge- letzten Jahrzehnten erhöht. Tierseuchen baut. Im ersten Halbjahr 2020 wuchsen die Schweinefleisch- tragen dazu bei, dass die kleinbäuerlichen exporte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 15 Pro- Betriebe verlieren. zent. Die Lieferungen nach China verdoppelten sich. Als die ASP im Spätsommer 2020 Deutschland erreichte, stoppten D ie globale Fleischproduktion ist im Jahr 2019 das ers- Importländer wie China, Südkorea und Japan die Einfuhren te Mal seit 1961 nicht gewachsen, sondern um zwei aus Deutschland. Daraufhin revidierte die EU-Kommission Prozent auf 325 Millionen Tonnen gesunken. Hierfür ihre positive Exportschätzung für das Jahr 2020 und sagte ist die Afrikanische Schweinepest (ASP) und nicht ein rück- für 2021 ein Minus von 10 Prozent voraus. Ein Zeichen für gängiger Konsum der Hauptgrund. So hat die ASP in China Verwerfungen auf dem Weltmarkt ist das aber nicht: Insge- dazu geführt, dass die Produktion von Fleisch insgesamt um samt werden noch immer nur etwa 11 Prozent des weltweit 10 Prozent, von Schweinefleisch sogar um mehr als 20 Pro- produzierten Fleisches international gehandelt. zent eingebrochen ist. Mitte 2019 waren mit 150 bis 200 Mil- Rückblickend betrachtet ist die globale Fleischproduk- lionen Schweinen mindestens 30 Prozent der chinesischen tion in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewachsen. In Schweinepopulation infiziert und die Produktion auf dem den 1970er-Jahren betrug sie gerade mal ein Drittel der heu- niedrigsten Niveau seit 2003. Vor der ASP-Epidemie war die tigen Menge. Die OECD geht davon aus, dass sie – etwas ver- Schweinefleischproduktion des Landes doppelt so groß wie langsamt bis 2029, also fast bis zum Referenzjahr 2030 der die der EU und betrug mehr als das Fünffache der US-Menge. globalen Entwicklungsziele – um weitere 40 Millionen Ton- Trotz der jüngsten Einbrüche bleibt China aber mit 80 Mil- nen steigen wird. Dann wäre, wenn vorher nicht politisch lionen Tonnen Fleischproduktion neben den USA, Brasilien, umgesteuert wird, eine Produktion von etwa 366 Millionen Russland und Deutschland eines der wichtigsten fleischpro- Tonnen pro Jahr erreicht. duzierenden Länder der Welt. Auch der globale Handel mit Fleisch war und ist deut- lich vom Ausbruch der Schweinepest beeinflusst. Insgesamt In vielen Gegenden der Welt nimmt die wurden etwa 6,8 Prozent mehr Fleisch gehandelt. Allein Fleischproduktion weitherin zu. In der EU ist dieser China hat im Jahr 2019 zwei Millionen Tonnen – also 37 Pro- Trend seit etwa 20 Jahren abgeschwächt BOOM-BUSINESS Entwicklung der Fleischproduktion in wichtigen Erzeugerländern und in der EU sowie in deren Mitgliedsstaaten, Auswahl*, in Millionen Tonnen 90 9 80 China 8 Deutschland Spanien 70 7 60 6 50 5 Frankreich Polen 40 EU-28 4 Italien 30 3 20 Brasilien 2 Niederlande USA Russland FLEISCHATLAS 2021 / OWID 10 1 Indien Großbritannien 0 Argentinien 0 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2018 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2018 * zum Erhebungszeitpunkt noch mit Großbritannien. Deutschland vor 1990: mit DDR. Rückgang der ostdeutschen Fleischproduktion nach dem Beitritt der DDR zur BRD 16 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO OSTEN IM ZENTRUM Größte Produzentenländer für die wichtigsten tierischen Produkte, Jahresdurchschnitt 2017–19, 50.500 in 1.000 Tonnen 23.100 21.800 5.000 3.700 1.600 230 13.200 Russland 11.900 11.800 7.300 China 13.800 650 70 USA EU-27 9.100 3.700 2.500 300 740 20.400 4.000 Indien 120 Brasilien 2.900 2.100 600 50 Argentinien 6.500 4.800 Rind Schwein Geflügel Schaf EU-27 ohne Großbritannien Wo Fleisch und Milch hergestellt werden, 80 Prozent des Wachstums dürfte in den Ländern des entstehen nicht nur Nahrungsmittel, sondern Südens stattfinden. Die größten Produktionsländer bleiben auch Belastungen für Mensch und Natur China, Brasilien, die USA und die Mitgliedsstaaten der EU. Gemeinsam könnten sie 2029 noch 60 Prozent des weltwei- ten Fleisches produzieren. Mittelbare Auswirkungen der ASP gibt es auch in Geflügelfleisch bleibt der Bereich mit dem stärksten Deutschland. Die Preise für Schweinefleisch sind infolge der Wachstum in der Fleischbranche. Fast die Hälfte der gesam- Exportverbote und des großen Angebots auf dem Inlands- ten Zuwächse in der Fleischproduktion in den kommenden markt deutlich gesunken. Dies setzt besonders kleinere Be- zehn Jahren soll im Geflügelsektor stattfinden. Niedrige Pro- triebe, die etwas teurer produzieren, unter Druck. duktionskosten, ein kurzer Produktionszyklus und damit Viele Bereiche der Tierhaltung haben Erfahrungen mit auch niedrige Verkaufspreise tragen dazu bei, dass Geflügel Seuchen gemacht. Bei Rindern war es BSE, bei Geflügel zum Fleisch der Wahl sowohl für Produzentinnen und Pro- die Vogelgrippe, und nun ist auch die Schweinepest aus- duzenten als auch Verbraucherinnen und Verbraucher ge- gebrochen. Aber die Pandemien sind nur ein Faktor des worden ist. Strukturwandels, den die Fleischproduktion seit Jahren Die Afrikanische Schweinepest hat den Strukturwandel durchläuft. in der Fleischindustrie Chinas stark beschleunigt, heißt es in Die Tierhaltung hat sich in den vergangenen 50 Jahren einer Analyse. Ihr zufolge werden kleinere Betriebe die Fol- grundlegend geändert. Immer weniger Tiere werden auf gen der Notschlachtungen wirtschaftlich schlechter über- der Weide gehalten. Der größte Teil des Fleisches kommt stehen und mehr als 55 Prozent die Schweinezucht nach der aus Stallhaltung oder der Haltung aus sogenannten „Feed- Tötung ihrer Tiere nicht wieder aufnehmen können. Im Jahr lots“, in denen die Tiere unter freiem Himmel auf ähnlich 2003 seien etwa 70 Prozent der chinesischen Schweinepro- kleiner Fläche gehalten werden. Die konzentrierte Haltung duktion aus Betrieben mit bis zu 49 Tieren pro Jahr gekom- und die wachsende Zahl der Nutztiere erfordern immer men und nur 3 Prozent aus Betrieben mit 10.000 oder mehr mehr Futtermittel aus Getreide oder Ölsaaten. Das wieder- Tieren. Im Jahr 2022 hingegen würden etwa 42 Prozent der um bedeutet, dass Landflächen wie Wälder oder Wiesen in gesamten Produktion von Betrieben mit mehr als 10.000 Äcker umgewandelt werden. Aufgrund all der negativen Tieren stammen, während Betriebe mit unter 50 Tieren nur Auswirkungen auf Klima und Umwelt ist Fleisch zu einem noch mit etwa 3 Prozent dabei seien – und diese Erwartun- der besonders problematischen Konsumgüter unserer gen stammen noch aus der Zeit vor dem ASP-Ausbruch. Welt geworden. FLEISCHATLAS 2021 17
MASTSCHWEINE IN ÖSTERREICH EINE FRAGE DER HALTUNG Das meiste in Österreich verzehrte Fleisch rial ist zwar vorgeschrieben, wird aber nicht oder nicht in stammt vom Schwein. Massenproduktion ausreichender Qualität oder Quantität bereitgestellt. Einem und Preisdruck sorgen für vielerlei Mastschwein bis 110 Kilogramm müssen 0,7 Quadratmeter, ab einem Gewicht von 110 Kilogramm ein Quadratmeter Mängel bei der Stallhaltung und der zur Verfügung gestellt werden. Das entspricht ungefähr der Schweinemast insgesamt. Biologische Größe einer Duschkabine. Haltung ermöglicht ein artgemäßeres Aus Tierschutzsicht ist das alles selbstverständlich völlig Leben, aber der Marktanteil ist gering. ungenügend. Denn hier werden die Tiere dem Haltungssys- tem angepasst, sie müssen dafür sogar körperliche Eingriffe M it einem Fleischkonsum von durchschnittlich 62,6 über sich ergehen lassen. Es sollte aber genau umgekehrt Kilogramm pro Person jährlich, davon 36,4 Kilo- sein: Eine moderne, tierschutzkonforme Haltung sollte den gramm Schweinefleisch, liegt Österreich weltweit Bedürfnissen der Tiere angepasst sein. im Spitzenfeld und deutlich über wissenschaftlichen Emp- 57 Prozent der in Österreich gehaltenen Schweine fris- fehlungen zu einer ausgewogenen Ernährung. Die Gesund- ten ihr Leben auf Vollspaltenböden. Das bedeutet für die heit ist allerdings nicht das einzige Problem. reinlichen Tiere ein Leben über ihren eigenen Fäkalien. Mehr als 97 Prozent des in Österreich produzierten Durch den harten und kalten Boden leiden sie unter Ge- Schweinefleischs stammen aus konventioneller Tierhal- lenksentzündungen, Lungenkrankheiten, ausgelöst durch tung. Sie erlaubt sogenannte Vollspaltenböden, also Beton- die Ammoniakdämpfe, sowie Verhaltensstörungen. Ein Bo- böden mit eingelassenen Spalten, durch die der Schweine- den mit naturnaher, weicher Einstreu fördert nicht nur die kot nach unten fällt. Ebenso erlaubt ist die Ferkelkastration Gesundheit und das Wohlbefinden von Schweinen, sondern ohne Betäubung, und die Ringelschwänze werden trotz Ver- bot routinemäßig kupiert. Zuchtsauen werden im qualvol- len Kastenstand und damit praktisch in einem Käfig gehal- An vielen Stellen reichen die Vorschriften nicht ten. Eine Einstreu für die Tiere ist nicht verpflichtend, ebenso aus, um Tierhaltung deutlich stärker am Tierwohl wenig ein Außenbereich. Adäquates Beschäftigungsmate- auszurichten. Viele Schritte sind möglich EIN SCHWEINESTALL MIT ZUKUNFT Elemente einer Schweinehaltung, die sich am Tierwohl ausrichtet, Schaubild Angebote zum Spielen, Fressen, Putzen verschiedene Bodenbeläge genügend Platz qualifizierteres Klimawechsel, Personal vorzugsweise ins Freie FLEISCHATLAS 2021 / WBA, STOCKMAR keine keine Kastrierung weniger Amputationen ohne Betäubung Medikamente 18 FLEISCHATLAS 2021
SCHWEIN GEHABT Bestand an Zuchtsauen, Ferkeln und Mastschweinen in Österreich und nach Bundesländern sowie Abnahme des Bestandes und der Zahl der Betriebe seit 1995 -8,0 % Niederösterreich 769.200 Zahl der Tiere, 2019 Oberösterreich 1.085.700 700.000 bis 1,1 Millionen -29,5 % 40.000 bis 120.000 unter 10.000 -64,0 % -67,1 % Abnahme seit 1995 -74,7 % in Prozent -77,2 % -27,7 % Salzburg 9.600 Burgenland 41.300 Vorarlberg 4.700 -42,6 % Tirol 9.990 Steiermark 739.400 Gesamtbestand, Anzahl in Millionen Kärnten 113.300 Zahl der Betriebe, in 1.000 3,7 107 3,4 3,2 3,1 3,2 3,2 83 3,0 2,9 2,8 FLEISCHATLAS 2021 / STATISTIK AUSTRIA 61 53 46 38 30 26 21 1995 1999 2003 2005 2007 2010 2013 2016 2019 Bundesländer: ohne Wien Schweinehaltung findet in Österreich vor allem in reduziert auch die Ausstöße von Methan. Laut aktuellen Stu- drei Bundesländern statt. Zentrum ist Oberösterreich, dien wird bei der Haltung auf Vollspaltenböden doppelt so wo auch der Bestandsrückgang am niedrigsten war viel Methan ausgestoßen wie in derjenigen auf Stroh. Pro Jahr werden so gut wie alle 2,7 Millionen männlichen Ferkel in Österreich in den ersten Tagen ihres Lebens ohne Be- stammen von gentechnisch veränderten Sojabohnen aus täubung kastriert, um das minimale Risiko des Ebergeruchs Südamerika. Um sie anzubauen, werden dort Regenwälder beim Schweinefleisch zu vermeiden. Die Tiere leiden dabei er- und anderer wertvoller Lebensraum vernichtet. hebliche akute und länger andauernde Schmerzen sowie gro- Der Grund für die weitgehend konventionelle und damit ßen Stress. In Ländern wie Norwegen, der Schweiz und Schwe- intensive Schweinehaltung in Österreich liegt im System den ist die betäubungslose Ferkelkastration bereits verboten. Fleischindustrie, das sich vor allem auf Massenproduktion In Großbritannien und Irland kastrieren Landwirtinnen und und Preisdruck stützt. Der Lebensmitteleinzelhandel und Landwirte die Ferkel nicht, da das gesamte Produktionssystem die Gastronomie befeuern dies zusätzlich mit zahlreichen schon vor vielen Jahrzehnten auf Ebermast umgestellt wurde. Lockangeboten und Sonderaktionen für Fleisch. Der Preis- Neben der Ebermast gibt es mit der Immunokastration – die kampf zerstört nicht nur die Wertigkeit von Fleisch und er- die Bildung von Geschlechtshormonen immunologisch ver- höht den Druck auf Umwelt und Landwirtschaft, er zemen- hindert – oder der Kastration unter Narkose oder durch Gabe tiert auch schlechte Standards bei der Haltung der Tiere. von Schmerzmitteln andere praktikable Alternativen. Ein Verzicht auf Billigfleisch-Rabatte wäre daher ein erster Die biologische Haltung garantiert dem Schwein ein et- Schritt, um den Druck auf die Landwirtschaft zu verringern was artgemäßeres Leben. Allerdings kommen in Österreich und angemessene Erzeugerpreise zu fördern. nur 2,7 Prozent der Tiere in diesen Genuss. Vollspaltenbö- Neben einer Förderung artgerechterer Haltungssyste- den sind hier – wie auch bei speziellen Tierwohlprogram- me wäre eine bessere Kennzeichnung auch Teil der Lösung. men – verboten. Einem Schwein steht doppelt so viel Platz Während bei Frischfleisch in Österreich über die Herkunft zu wie in konventioneller Haltung und ein Außenbereich. informiert werden muss, gibt es bei verarbeiteten Produkten Die betäubungslose Ferkelkastration ist allerdings nicht wie Grillwürsten, die in der Regel vor allem aus Schweine- einmal in der biologischen Haltung ausdrücklich verbo- fleisch bestehen, oder mariniertem Fleisch keine verpflich- ten. Auch unterscheiden sich weder der Transport noch die tenden, flächendeckenden Angaben dazu. Sie allein greifen Schlachtung von den konventionellen Standards. Allerdings allerdings aus Sicht des Tier- und Konsumentenschutzes garantieren die biologische Haltung sowie auch die meisten ebenfalls zu kurz. Nur eine zusätzliche Information über die gängigen Tierschutz-Gütesiegel eine zu 100 Prozent gen- Haltungsform schafft die nötige Transparenz, Verbrauche- technikfreie Fütterung. Denn 80 Prozent des für die konven- rinnen und Verbrauchern bewusste Kaufentscheidungen zu tionelle Tierhaltung importierten Sojaschrots in Österreich ermöglichen. FLEISCHATLAS 2021 19
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