Flora Incognita - Halbautomatische Bestimmung der Pflanzenarten Thüringens mit dem Smartphone - UN-Dekade Biologische Vielfalt
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Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen 53 (3) 2016: 121–125 121 JANA WÄLDCHEN, ANGELIKA THUILLE, MARCO SEELAND, MICHAEL RZANNY, ERNST-DETLEF SCHULZE, DAVID BOHO, NEDAL ALAQRAA, MARTIN HOFMANN & PATRICK MÄDER Flora Incognita – Halbautomatische Bestimmung der Pflanzenarten Thüringens mit dem Smartphone Zusammenfassung Abstract Flora Incognita – Semi-automatic Plant Species Identi- fication with Mobile Devices Artenkenntnis ist eine grundlegende Voraussetzung für den Schutz Species knowledge is essential for protecting biodiversity. People von Biodiversität. Menschen sind eher bereit, Pflanzen und Tiere are more willing to protect plants and animals that they personal- zu schützen, wenn sie diese aus eigener Erfahrung kennen und ly experienced before. The identification of plants by conventional wertschätzen. Die Bestimmung von Pflanzen mit herkömmlichen keys is very complex, time consuming, and due to the use of spe- Bestimmungsbüchern gestaltet sich für den Laien sehr komplex, cific terms frustrating for non-experts. This creates a hard to over- zeitintensiv und durch die Verwendung zahlreicher Fachtermini oft come hurdle for novices interested in acquiring species knowledge. schwierig. Dadurch entsteht eine große Hürde für Interessierte, Modern communication techniques are a continuous companion welche sich Artenkenntnisse aneignen möchten. Bildbände haben in today’s life and provide an opportunity to simplify conventional einen Teil dieser Lücke erfolgreich gefüllt, sie sind aber meist im Frei- identification methods. The goal of our “Flora Incognita” project land oder auf einem Sonntagspaziergang nicht verfügbar. Im Ge- is developing a method for semi-automatic plant identification via gensatz dazu sind digitale Kommunikationstechniken Teil unseres mobile devices. The process will lead a user through an interactive Alltags geworden und bieten die Möglichkeit, herkömmliche Be- series of identification steps. Part of these steps will utilise image stimmungsmethoden zu vereinfachen. Im Rahmen des Forschungs- recognition techniques to identify plant traits. An accompanying projektes „Flora Incognita“ soll ein Verfahren zur teilautomatischen web-based platform will allow ambitious interested users to con- Pflanzenbestimmung mittels mobiler Endgeräte entwickelt werden. tribute in our project. Das Verfahren wird den Nutzer durch eine interaktive Folge von Er- kennungsschritten zur gesuchten Art führen. Dabei wird ein Teil der Bestimmungsmerkmale automatisch durch Bilderkennung erfasst, Umwelt- und Standortfaktoren in die Erkennung einbezogen und der Nutzer gebeten, abhängig von der konkreten Situation, zusätz- liche Fragen zu beantworten oder Bildteile zu markieren. Die Erken- nungssoftware auf Basis einer internetbasierten Plattform erlaubt den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Nutzern und regt ambitionierte Interessierte zur Mitarbeit am Projekt an. Key words Plant identification, smartphone, app, Flora Incognita, image recognition EINLEITUNG Artenkenntnisse in unserer Gesellschaft sogenannte „plant blindness“ in unse- und dass sogar bei Biologen die Arten- rer Gesellschaft. Pflanzen bilden für das Die Vereinten Nationen haben die Jahre kenntnis abnimmt. Wie viele Menschen ungeübte Auge eine anonyme grüne 2011 bis 2020 zur Dekade für die biolo- können einzelne Arten sicher anspre- Masse ohne Individualität, selbst eine gische Vielfalt erklärt. Durch diese Maß- chen und ihr Vorkommen in einen öko- Blumenwiese wird von vielen Menschen nahme soll die Bedeutung der Biodiver- logischen Zusammenhang stellen? Un- nur als „Gras“ wahrgenommen (JÄKEL & sität für unser Leben ins Bewusstsein der tersuchungen zeigen, dass Schülerinnen SCHAER 2004). Dieses Bild deckt sich mit Weltöffentlichkeit rücken. Hintergrund und Schüler nur wenige Pflanzen- und Beobachtungen von Wissenschaftlern, ist eine zunehmende Gefährdung der Tierarten kennen. Nach Umfragen an die feststellen, dass auch viele Studen- Biodiversität in nahezu allen Ländern bayerischen Schulen kennt der Durch- ten nur über mangelhafte Artenkennt- der Erde (PIMM et al. 2014), die im We- schnittsschüler lediglich 4,2 von 12 Vo- nisse verfügen. Diese Entwicklung ist für sentlichen, direkt oder indirekt, durch gelarten (ZAHNER et al. 2007) und 3,7 von Naturschutz und Landnutzung prekär. Menschen verursacht wird (MURPHY & 12 Baumarten (DACHS et al. 2009). Beson- Denn mit schwindenden Kenntnissen ROMANUK 2014). ders defizitär ist die Formenkenntnis der über Tiere, Pflanzen und ökologische heimischen Wildkräuter (JÄKEL & SCHAER Zusammenhänge nimmt auch die Be- Naturschutzverbände und Wissenschaft- 2004; HESSE 2002). WANDERSEE & SCHUSTER reitschaft in der Bevölkerung ab, sich für ler beklagen zunehmend mangelnde (1998) kritisieren schon seit 1998 eine Naturschutz- und Umweltschutzbelange
122 Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen 53 (3) 2016: 121–125 einzusetzen (LINDEMANN-MATTHIES 2005, intuitives Bedienkonzept und ihr Funk- aber auch die optische Gestaltung der 2002). Wie soll man für den Schutz der tionsumfang lässt sich durch zusätzliche Anwendung variiert werden. Ein au- Vielfalt von Arten werben, wenn diese Anwendungen (Applications – Apps) er- tomatisches Kartiersystem übermittelt Vielfalt der Bevölkerung praktisch nicht weitern. Während 2010 weltweit noch zweifelsfrei identifizierte Individuen mit bekannt ist? rund 300 Millionen Smartphones ver- ihrem Standort zur weiteren Nutzung kauft wurden, waren es im Jahr 2015 an zentrale Datenbanken von Natur- Schwindende Artenkenntnisse sind bereits mehr als 1,4 Milliarden Geräte schutzbehörden und Forschungsein- nicht nur allgemein in der Bevölkerung (International Data Corporation 2016 richtungen. Nutzern, Behörden und zu beobachten. FROBEL & SCHLUMPRECHT www.idc.com). Diese technischen Ent- Wissenschaftlern steht dann eine offe- (2014) halten in ihrem Gutachten „Ero- wicklungen beeinflussen bereits in vielen ne Plattform zur Verfügung, mit deren sion der Artenkenner“ fest, dass sich Lebensbereichen unsere Art zu Lernen Hilfe sie in einer an soziale Netzwerke auch innerhalb des ehrenamtlichen und sich Wissen anzueignen und bieten angelehnten Umgebung Wissen teilen Engagements für Natur- und Umwelt- auch eine Möglichkeit zur Förderung der und Artenkataloge erweitern können. schutz – traditionell getragen von Men- Artenkenntnis. Die Entwicklung neuer Wissenschaftler bekommen die Mög- schen die sich durch besondere Tier- und Kommunikationstechniken und deren lichkeit, weitere innovative Ansätze in Pflanzenkenntnis auszeichnen („Arten- ständige Verfügbarkeit machen es mög- den Bestimmungsprozess und die Nut- kenner“) – eine tiefgreifende Änderung lich, herkömmliche Bestimmungsmetho- zerplattform zu integrieren. Gleichzeitig vollzieht. Eine strukturierte Befragung den zu revolutionieren. Artbestimmun- können sie die in der zentralen Daten- von 70 Sachverständigen, welche selbst gen mit Hilfe von Bestimmungsbüchern bank erfassten Informationen nutzen, im Bereich der Beschaffung von Grund- sind komplex, zeitintensiv und damit für um beispielsweise die Variation von Ar- lagen für den Naturschutz tätig sind, Laien oft schwierig. Dadurch entsteht ten und ihrer Merkmale wissenschaftlich ergab einen deutlichen Rückgang der eine große Hürde für Interessierte, die auszuwerten. Eine weitergehende Nut- Artenkenner im jeweiligen persönlichen sich Artenkenntnisse aneignen möch- zung der zentralen Datenbank besteht Umfeld praktisch aller Befragten um ten, obgleich Bildbände einen Teil dieser zum Beispiel in der Dokumentation von 21% in den letzten 20 Jahren. Dies zeigt Lücke gefüllt haben. Bücher sind aber Arten und der Veränderung derer Be- eindeutig ein generelles Problem, das für im Freiland nicht immer verfügbar. Ar- stände über die Zeit. die Zukunft des Naturschutzes höchste tenbestimmung kann vereinfacht und Relevanz hat, insbesondere weil nur damit einer breiten Öffentlichkeit zu- 8% der derzeitigen Artenkenner unter gänglich gemacht werden, indem mo- KONZEPT 30 Jahre alt und viele über 60-Jährige bile Endgeräte den Nutzer unterstützen. noch aktiv sind. In den kommenden Jah- Ein umfassendes Vor- und Fachwissen Abbildung 1 zeigt den schematischen ren ist kein nennenswerter Nachwuchs ist für diese Art der Bestimmung nicht Ablauf des Bestimmungsverfahrens. zu erwarten. Daher ist für die nächsten nötig, sodass ein größerer Personenkreis Der sich im Rahmen des Projektes ent- zehn bis zwanzig Jahre von einem Rück- damit angesprochen werden kann. Eine wickelnde Prozess zur Pflanzenbestim- gang der Anzahl von Artenkennern aus- teilautomatische Bestimmungshilfe soll mung wird teilautomatisiert sein, da er zugehen (FROBEL & SCHLUMPRECHT 2014). dazu beitragen, dass Menschen sich ak- automatische, halbautomatische und Planungsbüros, Umweltverbände und tiv für die Natur interessieren, mehr Na- manuelle Merkmalsbestimmung in ei- Naturschutzbehörden beklagen bereits turverständnis entwickeln und sich für nem inkrementellen Prozess verknüpft. heute den zunehmenden Rückgang an den Erhalt der Biodiversität einsetzen. Es kommen, soweit wie möglich, au- entsprechend ausgebildeten Hochschul- tomatische Techniken (u. a. Bilderken- absolventen, gerade in einer Zeit, in wel- nung, Standortabfragen) zum Einsatz, cher der Bedarf an gut ausgebildeten ZIELSETZUNG ergänzt durch Interaktionen mit dem Artenkennern steigt, da die nationalen Benutzer. Ein weiterer Schwerpunkt und internationalen Biodiversitätsstra- Das Ziel des „Flora Incognita“-Projekts liegt auf der Nutzung von Merkmalsab- tegien einen Aufschwung erfahren. Mit besteht in der Entwicklung eines interak- hängigkeiten. Das bedeutet, dass be- dem Fehlen solider Artenkenntnis tritt tiven Verfahrens zur teilautomatischen reits erkannte Merkmale und deren die Bedeutung des Arten- und Biotop- Bestimmung der wildwachsenden Blü- Ausprägungen im Erkennungsprozess schutzes in der Bevölkerung und in der tenpflanzen Thüringens. Die Benutzer- helfen, genauere Erwartungswerte für Politik vermehrt in den Hintergrund. freundlichkeit soll dabei im Vordergrund weitere zu erkennende Merkmale zu stehen. Die Basis hierfür bildet eine an prognostizieren. Nach der erfolgreichen Gleichzeitig steigt in der gesamten Be- rechentechnische Möglichkeiten ange- Bestimmung erhält der Nutzer Informa- völkerung und insbesondere bei Kindern passte Merkmalsdatenbank. Die Vorteile tionen zur bestimmten Art. und Jugendlichen das Interesse für digi- automatischer Bilderkennung kombi- tale Medien. Diese sind aus dem Leben niert mit Nutzerinteraktionen erhöhen Technisch wird die Umsetzung des Ver- der meisten Menschen nicht mehr weg- die Genauigkeit des Bestimmungspro- fahrens aus zwei verteilten Applikati- zudenken. Seit der Einführung des Apple zesses. Dieser Prozess wird didaktisch onen bestehen, einer Software für das iPhone® im Jahr 2007 sind Smartphones auf das Vorwissen und das Interesse mobile Endgerät (App) und in Form von für eine breite Masse von Anwendern des Nutzers (z. B. Schüler, Laie, Experte) internetbasierten Diensten (s. Abb. 1). ständiger Begleiter und unverzichtbares abgestimmt. Dazu kann beispielsweise Ziel ist es, auf dem mobilen Endgerät Hilfsmittel geworden. Sie besitzen ein die Schwierigkeit ergänzender Fragen, nur eine Erfassung und grobe Filterung
JANA WÄLDCHEN et al.: Flora Incognita 123 Flora Incognita Server Datenbank über Arten und deren Merkmale (3) Abfrage zusätzlicher Datenbanken entsprechend der Umgebungsdaten Gerät ist drahtlos (2) Übertragung des aufgenommenen mit dem Internet Bildes und zusätzlicher Um- gebungsfaktoren (z. B. Position, Externe Datenbanken verbunden Richtung, Datum, Nutzertyp) (z. B. Landnutzungskarten, Habitatkarten, geologische Karten, phenologische Daten) (4) [Iterativ] Berechnung des nächsten zu erfassenden Merkmals. Der Nutzer wird aufgefordert Merkmals- fragen zu beantworten oder weitere Detailaufnahmen (6) [Pflanze bestimmt] der Pflanze zu machen (z. B. Blüte im Bild markieren, Blatt Erfassung interessanter Merk- fotografieren oder Dornen am Stengel erkennen). malsausprägung in Erkennungsstand und neue Anfrage an das Gerät wissenschaftlichen Daten- banken, Kartierung der Art (1) Erstellen einer initialen Nutzer mit mobilem (5) [Pflanze bestimmt] für Naturschutzbehörden Aufnahme der Pflanze Endgerät und Projekt- Artspezifische Informationen mit Unterstützung der software werden an das Gerät geschickt Datenbanken der wissenschaftliche Software Naturschutzbehörden Datenbanken Abb. 1: Schematischer Ablauf des Bestimmungsverfahrens. (Illustration: J. WÄLDCHEN & P. MÄDER) Die Zeichnungen der Pflanzen wurden von der zur Nutzung freien Internetseite www.clker.com/clipart-26684.html entnommen. der Daten vorzunehmen; die eigentliche und Abbildungen den Erkennungspro- male durch Bildanalysen automatisch zu Analyse und Bestimmung wird durch ei- zess (s. Abb. 2). Jedes Merkmal erhielt erkennen. nen zentralen internetbasierten Dienst einen vorläufigen Schwierigkeitsgrad (Cloud-Service) erfolgen. Vorteile dieser zugeordnet. Der dadurch gesteuerte Be- Automatische Bestimmung Realisierung sind die höhere Rechen- stimmungsprozess stellt zu Beginn die via Bilderkennung leistung der Server, verglichen mit den am einfachsten eingestuften Fragen. Im In der Vegetationsperiode 2015 erfolg- begrenzten Fähigkeiten der mobilen weiteren Verlauf des Projekts sollen die te eine erste Feldstudie im Rahmen des Geräte, und die Möglichkeit, das System vergebenen Schwierigkeitsstufen durch Projektes. Dabei wurden je 25 Individuen selbstlernend auszulegen, da die Roh- empirische Studien bestätigt bzw. gege- von 32 Trocken- und Halbtrockenrasen- daten zentral erfasst werden. Zusätzlich benenfalls korrigiert werden. Des Weite- arten mit einem handelsüblichen Smart- in den Erkennungsprozess einbezogene ren besteht die Möglichkeit, eine Art auf phone in einer standardisierten Aufnah- Datenbanken erlauben aufgrund des verschiedenen Wegen richtig zu bestim- meprozedur und unter verschiedenen Umfangs und / oder der Form der Lizen- men. Wenn zum Beispiel zur Frage nach Lichtbedingungen, verschiedenen Hin- zierung keine Installation auf dem mobi- einem bestimmten Merkmal mehrere tergründen und mit einer Farb- und Län- len Gerät (z. B. geologisches Kartenma- Antworten denkbar sind, wird die Pflan- genkalibrierung fotografiert. Neben der terial, Landnutzungskarten). ze über mehrere Wege verschlüsselt, um Gesamtansicht ergänzten Detailaufnah- „Sackgassen“ im Bestimmungsprozess men der Blattunter- und -oberseite so- zu vermeiden. Außerdem erlaubt dem wie der Blüte senkrecht und parallel zur STAND DER UMSETZUNG Nutzer eine „Ich weiß nicht – Funktion“ Blütenstandsachse die Datenbasis. Diese bestimmte Merkmale zu überspringen. Bilddaten dienen dazu, die Bilderken- Merkmalsdatenbank und Abbildung 2 illustriert den manuellen nungstechniken zu trainieren und deren manueller Bestimmungsprozess Bestimmungsprozess am Beispiel des Leistungsfähigkeit und Erkennungsrate In einem ersten Schritt wurden für ca. Ausdauernden Gänseblümchens Bellis zu untersuchen.Abbildung 3 zeigt die 400 Blütenpflanzen je 25 Merkmale in perennis basierend auf der aktuellen prinzipielle Methodik zur Bilderken- einer Datenbank abgelegt. Diese bildet Merkmalsdatenbank. Bei der Frage zur nung. Während dichotome Schlüssel die Grundlage für den manuellen An- Blattform sind zwei Antworten möglich. und die menschliche Wahrnehmung auf teil am Bestimmungsprozess. Zunächst Wird die Frage nach der Blattform mit: der Identifikation der jeweils relevanten wurden dabei besonders verbreitete „spatelförmig“ beantwortet, folgt die Pflanzenteile (z. B. Kronblatt) und der Er- und häufige und / oder auffällige Arten Frage nach der Struktur des Blattrandes fassung der abgefragten Attribute (z. B. ausgewählt, die auch das Interesse von (die korrekte Antwort lautet „ganzran- „spitz zulaufend“) beruhen, werden in Nicht-Botanikern wecken. dig“) und das Ende des Bestimmungs- der Bilderkennung anhand mathemati- prozesses ist erreicht. Wählt der Nutzer scher Definitionen und Regeln eindeutig Die erfassten Merkmale beziehen sich bei der Blattform dagegen „verkehrt definierte Bildregionen erfasst. Solche sowohl auf den Spross und die Laub- eiförmig“, adressiert die letzte Frage die Bildregionen umfassen homogene und blätter (Blattstellung, Blattform etc.) als Blütenfarbe. Unabhängig von der ge- von ihrer jeweiligen Umgebung abge- auch auf die Blüte (Art des Blütenstands, wählten Antwort in der Frage zur Blatt- grenzte Bereiche, d. h. Punkte im Bild, Anzahl der Kronblätter etc.). Die Aus- form liefert der Bestimmungsprozess die die sich aufgrund starker Änderungen wahl erfolgte so, dass sie auch Nutzer korrekte Art. von ihrer Umgebung unterscheiden. mit geringem oder keinem botanischen Die visuelle Information einer solchen Vorwissen erkennen. Neben einer kur- Neben der Optimierung des beschriebe- Umgebung wird in eine mathematisch zen Beschreibung der zu erfassenden nen Prozesses ist ein Hauptziel des Pro- vergleichbare Form gebracht, einen so- Merkmale unterstützen Piktogramme jektes, möglichst viele geeignete Merk- genannten Deskriptor, der möglichst
124 Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen 53 (3) 2016: 121–125 und Textur von Pflanzenteilen beschrei- ben, die besten Erkennungsergebnisse Blütenstand liefert. So können die bisher erfassten 32 Pflanzenarten mit einer Genauigkeit langge- unregel- von 94% anhand einer Aufnahme ihrer einzeln schirmartig kugelig streckt mäßig Blüte aus der Vogelperspektive automa- tisch bestimmt werden. Die verbleiben- den 6% sind fehlerhafte Erkennungen von visuell sehr ähnlichen Arten, wie Blattstellung sie in Abbildung 4 dargestellt sind. Mo- tivierend für den weiteren Einsatz von Bilderkennungstechniken ist die Tatsa- wechselständig gegenständig quirlständig grundständig che, dass die Hinzunahme einer weite- ren Perspektive, nämlich der Blüte aus der Seitenansicht, eine Verbesserung Anzahl Kronblätter der Bilderkennungsrate auf aktuell etwa 99% erlaubt. Die Evaluierung der Tech- 3 4 5 6 >6 niken hat außerdem gezeigt, dass für jede Pflanzenart und Perspektive etwa 20 Aufnahmen benötigt werden, um ein ausreichendes Training der Technologie Blattgliederung zu ermöglichen. Generell gilt: je mehr Bilder zur Verfügung stehen, umso bes- Blätter einfach Blätter zusammengesetzt ser ist die automatische Bestimmung. IHRE UNTERSTÜTZUNG FÜR Blattform UNSER PROJEKT (CITIZEN SCIENCE) schuppen- spatel- verkehrt herzförmig förmig förmig dreilappig eiförmig In der Vegetationsperiode 2017 ist eine umfangreiche Studie zur Beschaffung des nötigen Bildmaterials zum Training unserer Bilderkennungstechnologie ge- Blattrand plant. Dabei bitten wir erstmalig, neben den Botanikern und ehrenamtlichen ganzrandig gekerbt gesägt gezähnt Kartierern der TLUG, auch interessier- te Enthusiasten um Unterstützung. Mit der leicht zu bedienenden App können Blütenfarbe in kürzester Zeit Pflanzen und Pflanzen- gelb weiß blau/violett/purpurn teile fotografiert und die Bilder auf den Projektserver hochgeladen werden. Die- Abb. 2: Darstellung des manuellen Bestimmungsprozesses mit Hilfe von Piktogrammen am se App ist keine Bestimmungsanwen- Beispiel des Ausdauernden Gänseblümchens Bellis perennis. dung, sondern dient dazu, eine große (Illustrationen: A. THUILLE & J. WÄLDCHEN) Bilddatenbank für das Forschungspro- jekt aufzubauen. Diese Bilder werden unabhängig von den Aufnahmebedin- abdruck, der die visuelle Erscheinung der für die Entwicklung und das Training der gungen des Bildes (z. B. Skala, Belich- fotografierten Pflanzenteile beschreibt Bilderkennungstechnologien verwendet tungsverhältnisse, leichte Änderungen und die Bilderkennung ermöglicht. Es und sind ein wichtiger Bestandteil für in der Perspektive) ist. Die Gesamtheit hat sich gezeigt, dass eine Kombination die Entwicklung einer halbautomati- solcher Deskriptoren ist eine Art Finger- von Deskriptoren, welche Form, Farbe schen Pflanzenbestimmungs-App. Wir Abb. 3: Schematische Darstellung der Bilderkennungsmethodik. (Aufn. M. RZANNY, Illustration: M. SEELAND)
JANA WÄLDCHEN et al.: Flora Incognita 125 freuen uns auf eine breite Unterstüt- Lotus corniculatus Scabiosa columbaria Teucrium chamaedrys zung aus der Bevölkerung. Werden Sie Teil unseres Forschungsteams! Fotogra- fieren Sie während Spaziergängen und Wanderungen interessante Blütenpflan- zen für uns. Diese App ist verfügbar für alle verbreiteten Mobiltelefone (iOS, An- droid). Den Link zur Installation finden Sie auf unserer Projektwebseite www. floraincognita.de. Hier halten wir Sie auch immer auf dem aktuellen Stand der Entwicklung. Hippocrepis comosa Knautia arvensis Prunella grandiflora DANK „Flora Incognita“ ist ein Verbundprojekt, welches gemeinsam vom Bundesministe- rium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), dem Bundesamt für Natur- schutz (BfN) sowie von der Stiftung Na- turschutz Thüringen nach der Richtlinie Abb. 4: Beispiele von sehr ähnlichen Arten, die zu einer fehlerhaften Erkennung führen können. zur Förderung von Forschungsvorhaben (Aufn. M. RZANNY) zur Umsetzung der Nationalen Strategie Auftr. BUND Naturschutz in Bayern e. V., ZAHNER, V., S. BLASCHKE, P. FEHR, S. HERLEIN, zur biologischen Vielfalt gefördert wird. Nürnberg K. KRAUSE, B. LANG & C. SCHWAB (2007): Vo- Die Verbundpartner sind die Technische HESSE, M. (2002): Eine neue Methode zur gelarten-Kenntnis von Schülern in Bayern. Universität in Ilmenau sowie das Max- Überprüfung von Artenkenntnissen bei – Vogelwelt 128: 203–214 Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Schülern. Frühblüher: Benennen - Selbst- Des Weiteren besteht eine wissenschaft- einschätzen - Wiedererkennen. – Zeit- Dr. Jana Wäldchen liche Zusammenarbeit mit der Thüringer schrift für Didaktik der Naturwissenschaf- Dr. Angelika Thuille Landesanstalt für Umwelt und Geologie ten 8 (8): 53–66 Dr. Michael Rzanny Prof. Dr. Ernst-Detlef Schulze (Dr. WERNER WESTHUS), der Arbeitsgruppe International Data Corporation (2016): [abgerufen am 03.04.2016] Max-Planck-Institut für Biogeochemie TINE RÖMERMANN) am Institut für Spezielle JÄKEL, L. & A. SCHAER (2004): Sind Namen Hans-Knöll-Str. 10 · 07745 Jena Botanik sowie der Arbeitsgruppe Biolo- nur Schall und Rauch? Wie sicher sind jwald@bgc-jena.mpg.de giedidaktik (Prof. Dr. UWE HOSSFELD) der Pflanzenkenntnisse von Schülerinnen und Friedrich-Schiller-Universität Jena. Schülern? – Berichte des Institutes für Di- Prof. (JP) Dr. Patrick Mäder Dr. Marco Seeland daktik der Biologie, IDB Münster 13: 1–24 David Boho Projektlaufzeit: 2014–2019 LINDEMANN-MATTHIES, P. (2002): The influence Nedal Alaqraa Förderkennzeichen: of an educational program on Children’s Martin Hofmann BMBF: 01LC1319A, 01LC1319B perception of biodiversity. – Journal of En- BfN / BMBU: 3514 685C19 vironmental Education Vol. 33: 22–31 TU-Ilmenau Helmholtzplatz 5 · 98693 Ilmenau Stiftung Naturschutz Thüringen: LINDEMANN-MATTHIES, P. (2005): ‘Loveab- patrick.maeder@tu-ilmenau.de SNT-082-248-03/2014 le’ mammals and ‘lifeless’ plants: how Projektkoordination: children’s interest in common local orga- Prof. (JP) Dr. PATRICK MÄDER nisms can be enhanced through observa- www.floraincognita.de tion of nature. – International Journal of Science Education 27: 655–677 MURPHY, G. E. P. & T. N. ROMANUK (2014): LITERATUR A meta-analysis of declines in local species richness from human disturbances. – Eco- DACHS, C., U. AMMER & R. VOGL (2009): Stu- logy and Evolution 4 (1): 91–103 die über das Waldwissen von bayerischen PIMM, L., C. N. JENKINS, R. ABELL, S. P. BROOKS, Schülern der 3. Jahrgangsstufe. – Hrsg.: J. L. GITTLEMAN, L. N. JOPPA, P. H. RAVEN, Schutzgemeinschaft Deutscher Wald – C M. ROBERTS & J. O. SEXTON (2014): The Landesverband Bayern e. V. biodiversity of species and their rates of FROBEL, K. & H. SCHLUMPRECHT (2014): Erosion extinction, distribution and protection. – der Artenkenner. – Abschlussbericht im Science 344: 988
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