Flora Incognita - Halbautomatische Bestimmung der Pflanzenarten Thüringens mit dem Smartphone - UN-Dekade Biologische Vielfalt

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Flora Incognita - Halbautomatische Bestimmung der Pflanzenarten Thüringens mit dem Smartphone - UN-Dekade Biologische Vielfalt
Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen 53 (3) 2016: 121–125                                                                             121

JANA WÄLDCHEN, ANGELIKA THUILLE, MARCO SEELAND, MICHAEL RZANNY, ERNST-DETLEF SCHULZE,
DAVID BOHO, NEDAL ALAQRAA, MARTIN HOFMANN & PATRICK MÄDER

Flora Incognita –
Halbautomatische Bestimmung der
Pflanzenarten Thüringens mit dem Smartphone

 Zusammenfassung                                                             Abstract
                                                                             Flora Incognita – Semi-automatic Plant Species Identi-
                                                                             fication with Mobile Devices

 Artenkenntnis ist eine grundlegende Voraussetzung für den Schutz            Species knowledge is essential for protecting biodiversity. People
 von Biodiversität. Menschen sind eher bereit, Pflanzen und Tiere            are more willing to protect plants and animals that they personal-
 zu schützen, wenn sie diese aus eigener Erfahrung kennen und                ly experienced before. The identification of plants by conventional
 wertschätzen. Die Bestimmung von Pflanzen mit herkömmlichen                 keys is very complex, time consuming, and due to the use of spe-
 Bestimmungsbüchern gestaltet sich für den Laien sehr komplex,               cific terms frustrating for non-experts. This creates a hard to over-
 zeitintensiv und durch die Verwendung zahlreicher Fachtermini oft           come hurdle for novices interested in acquiring species knowledge.
 schwierig. Dadurch entsteht eine große Hürde für Interessierte,             Modern communication techniques are a continuous companion
 welche sich Artenkenntnisse aneignen möchten. Bildbände haben               in today’s life and provide an opportunity to simplify conventional
 einen Teil dieser Lücke erfolgreich gefüllt, sie sind aber meist im Frei-   identification methods. The goal of our “Flora Incognita” project
 land oder auf einem Sonntagspaziergang nicht verfügbar. Im Ge-              is developing a method for semi-automatic plant identification via
 gensatz dazu sind digitale Kommunikationstechniken Teil unseres             mobile devices. The process will lead a user through an interactive
 Alltags geworden und bieten die Möglichkeit, herkömmliche Be-               series of identification steps. Part of these steps will utilise image
 stimmungsmethoden zu vereinfachen. Im Rahmen des Forschungs-                recognition techniques to identify plant traits. An accompanying
 projektes „Flora Incognita“ soll ein Verfahren zur teilautomatischen        web-based platform will allow ambitious interested users to con-
 Pflanzenbestimmung mittels mobiler Endgeräte entwickelt werden.             tribute in our project.
 Das Verfahren wird den Nutzer durch eine interaktive Folge von Er-
 kennungsschritten zur gesuchten Art führen. Dabei wird ein Teil der
 Bestimmungsmerkmale automatisch durch Bilderkennung erfasst,
 Umwelt- und Standortfaktoren in die Erkennung einbezogen und
 der Nutzer gebeten, abhängig von der konkreten Situation, zusätz-
 liche Fragen zu beantworten oder Bildteile zu markieren. Die Erken-
 nungssoftware auf Basis einer internetbasierten Plattform erlaubt
 den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Nutzern und
 regt ambitionierte Interessierte zur Mitarbeit am Projekt an.

 Key words
 Plant identification, smartphone, app, Flora Incognita, image recognition

EINLEITUNG                                          Artenkenntnisse in unserer Gesellschaft           sogenannte „plant blindness“ in unse-
                                                    und dass sogar bei Biologen die Arten-            rer Gesellschaft. Pflanzen bilden für das
Die Vereinten Nationen haben die Jahre              kenntnis abnimmt. Wie viele Menschen              ungeübte Auge eine anonyme grüne
2011 bis 2020 zur Dekade für die biolo-             können einzelne Arten sicher anspre-              Masse ohne Individualität, selbst eine
gische Vielfalt erklärt. Durch diese Maß-           chen und ihr Vorkommen in einen öko-              Blumenwiese wird von vielen Menschen
nahme soll die Bedeutung der Biodiver-              logischen Zusammenhang stellen? Un-               nur als „Gras“ wahrgenommen (JÄKEL &
sität für unser Leben ins Bewusstsein der           tersuchungen zeigen, dass Schülerinnen            SCHAER 2004). Dieses Bild deckt sich mit
Weltöffentlichkeit rücken. Hintergrund              und Schüler nur wenige Pflanzen- und              Beobachtungen von Wissenschaftlern,
ist eine zunehmende Gefährdung der                  Tierarten kennen. Nach Umfragen an                die feststellen, dass auch viele Studen-
Biodiversität in nahezu allen Ländern               bayerischen Schulen kennt der Durch-              ten nur über mangelhafte Artenkennt-
der Erde (PIMM et al. 2014), die im We-             schnittsschüler lediglich 4,2 von 12 Vo-          nisse verfügen. Diese Entwicklung ist für
sentlichen, direkt oder indirekt, durch             gelarten (ZAHNER et al. 2007) und 3,7 von         Naturschutz und Landnutzung prekär.
Menschen verursacht wird (MURPHY &                  12 Baumarten (DACHS et al. 2009). Beson-          Denn mit schwindenden Kenntnissen
ROMANUK 2014).                                      ders defizitär ist die Formenkenntnis der         über Tiere, Pflanzen und ökologische
                                                    heimischen Wildkräuter (JÄKEL & SCHAER            Zusammenhänge nimmt auch die Be-
Naturschutzverbände und Wissenschaft-               2004; HESSE 2002). WANDERSEE & SCHUSTER           reitschaft in der Bevölkerung ab, sich für
ler beklagen zunehmend mangelnde                    (1998) kritisieren schon seit 1998 eine           Naturschutz- und Umweltschutzbelange
Flora Incognita - Halbautomatische Bestimmung der Pflanzenarten Thüringens mit dem Smartphone - UN-Dekade Biologische Vielfalt
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einzusetzen (LINDEMANN-MATTHIES 2005,        intuitives Bedienkonzept und ihr Funk-       aber auch die optische Gestaltung der
2002). Wie soll man für den Schutz der       tionsumfang lässt sich durch zusätzliche     Anwendung variiert werden. Ein au-
Vielfalt von Arten werben, wenn diese        Anwendungen (Applications – Apps) er-        tomatisches Kartiersystem übermittelt
Vielfalt der Bevölkerung praktisch nicht     weitern. Während 2010 weltweit noch          zweifelsfrei identifizierte Individuen mit
bekannt ist?                                 rund 300 Millionen Smartphones ver-          ihrem Standort zur weiteren Nutzung
                                             kauft wurden, waren es im Jahr 2015          an zentrale Datenbanken von Natur-
Schwindende Artenkenntnisse sind             bereits mehr als 1,4 Milliarden Geräte       schutzbehörden und Forschungsein-
nicht nur allgemein in der Bevölkerung       (International Data Corporation 2016         richtungen. Nutzern, Behörden und
zu beobachten. FROBEL & SCHLUMPRECHT         www.idc.com). Diese technischen Ent-         Wissenschaftlern steht dann eine offe-
(2014) halten in ihrem Gutachten „Ero-       wicklungen beeinflussen bereits in vielen    ne Plattform zur Verfügung, mit deren
sion der Artenkenner“ fest, dass sich        Lebensbereichen unsere Art zu Lernen         Hilfe sie in einer an soziale Netzwerke
auch innerhalb des ehrenamtlichen            und sich Wissen anzueignen und bieten        angelehnten Umgebung Wissen teilen
Engagements für Natur- und Umwelt-           auch eine Möglichkeit zur Förderung der      und Artenkataloge erweitern können.
schutz – traditionell getragen von Men-      Artenkenntnis. Die Entwicklung neuer         Wissenschaftler bekommen die Mög-
schen die sich durch besondere Tier- und     Kommunikationstechniken und deren            lichkeit, weitere innovative Ansätze in
Pflanzenkenntnis auszeichnen („Arten-        ständige Verfügbarkeit machen es mög-        den Bestimmungsprozess und die Nut-
kenner“) – eine tiefgreifende Änderung       lich, herkömmliche Bestimmungsmetho-         zerplattform zu integrieren. Gleichzeitig
vollzieht. Eine strukturierte Befragung      den zu revolutionieren. Artbestimmun-        können sie die in der zentralen Daten-
von 70 Sachverständigen, welche selbst       gen mit Hilfe von Bestimmungsbüchern         bank erfassten Informationen nutzen,
im Bereich der Beschaffung von Grund-        sind komplex, zeitintensiv und damit für     um beispielsweise die Variation von Ar-
lagen für den Naturschutz tätig sind,        Laien oft schwierig. Dadurch entsteht        ten und ihrer Merkmale wissenschaftlich
ergab einen deutlichen Rückgang der          eine große Hürde für Interessierte, die      auszuwerten. Eine weitergehende Nut-
Artenkenner im jeweiligen persönlichen       sich Artenkenntnisse aneignen möch-          zung der zentralen Datenbank besteht
Umfeld praktisch aller Befragten um          ten, obgleich Bildbände einen Teil dieser    zum Beispiel in der Dokumentation von
21% in den letzten 20 Jahren. Dies zeigt     Lücke gefüllt haben. Bücher sind aber        Arten und der Veränderung derer Be-
eindeutig ein generelles Problem, das für    im Freiland nicht immer verfügbar. Ar-       stände über die Zeit.
die Zukunft des Naturschutzes höchste        tenbestimmung kann vereinfacht und
Relevanz hat, insbesondere weil nur          damit einer breiten Öffentlichkeit zu-
8% der derzeitigen Artenkenner unter         gänglich gemacht werden, indem mo-           KONZEPT
30 Jahre alt und viele über 60-Jährige       bile Endgeräte den Nutzer unterstützen.
noch aktiv sind. In den kommenden Jah-       Ein umfassendes Vor- und Fachwissen          Abbildung 1 zeigt den schematischen
ren ist kein nennenswerter Nachwuchs         ist für diese Art der Bestimmung nicht       Ablauf des Bestimmungsverfahrens.
zu erwarten. Daher ist für die nächsten      nötig, sodass ein größerer Personenkreis     Der sich im Rahmen des Projektes ent-
zehn bis zwanzig Jahre von einem Rück-       damit angesprochen werden kann. Eine         wickelnde Prozess zur Pflanzenbestim-
gang der Anzahl von Artenkennern aus-        teilautomatische Bestimmungshilfe soll       mung wird teilautomatisiert sein, da er
zugehen (FROBEL & SCHLUMPRECHT 2014).        dazu beitragen, dass Menschen sich ak-       automatische, halbautomatische und
Planungsbüros, Umweltverbände und            tiv für die Natur interessieren, mehr Na-    manuelle Merkmalsbestimmung in ei-
Naturschutzbehörden beklagen bereits         turverständnis entwickeln und sich für       nem inkrementellen Prozess verknüpft.
heute den zunehmenden Rückgang an            den Erhalt der Biodiversität einsetzen.      Es kommen, soweit wie möglich, au-
entsprechend ausgebildeten Hochschul-                                                     tomatische Techniken (u. a. Bilderken-
absolventen, gerade in einer Zeit, in wel-                                                nung, Standortabfragen) zum Einsatz,
cher der Bedarf an gut ausgebildeten         ZIELSETZUNG                                  ergänzt durch Interaktionen mit dem
Artenkennern steigt, da die nationalen                                                    Benutzer. Ein weiterer Schwerpunkt
und internationalen Biodiversitätsstra-      Das Ziel des „Flora Incognita“-Projekts      liegt auf der Nutzung von Merkmalsab-
tegien einen Aufschwung erfahren. Mit        besteht in der Entwicklung eines interak-    hängigkeiten. Das bedeutet, dass be-
dem Fehlen solider Artenkenntnis tritt       tiven Verfahrens zur teilautomatischen       reits erkannte Merkmale und deren
die Bedeutung des Arten- und Biotop-         Bestimmung der wildwachsenden Blü-           Ausprägungen im Erkennungsprozess
schutzes in der Bevölkerung und in der       tenpflanzen Thüringens. Die Benutzer-        helfen, genauere Erwartungswerte für
Politik vermehrt in den Hintergrund.         freundlichkeit soll dabei im Vordergrund     weitere zu erkennende Merkmale zu
                                             stehen. Die Basis hierfür bildet eine an     prognostizieren. Nach der erfolgreichen
Gleichzeitig steigt in der gesamten Be-      rechentechnische Möglichkeiten ange-         Bestimmung erhält der Nutzer Informa-
völkerung und insbesondere bei Kindern       passte Merkmalsdatenbank. Die Vorteile       tionen zur bestimmten Art.
und Jugendlichen das Interesse für digi-     automatischer Bilderkennung kombi-
tale Medien. Diese sind aus dem Leben        niert mit Nutzerinteraktionen erhöhen        Technisch wird die Umsetzung des Ver-
der meisten Menschen nicht mehr weg-         die Genauigkeit des Bestimmungspro-          fahrens aus zwei verteilten Applikati-
zudenken. Seit der Einführung des Apple      zesses. Dieser Prozess wird didaktisch       onen bestehen, einer Software für das
iPhone® im Jahr 2007 sind Smartphones        auf das Vorwissen und das Interesse          mobile Endgerät (App) und in Form von
für eine breite Masse von Anwendern          des Nutzers (z. B. Schüler, Laie, Experte)   internetbasierten Diensten (s. Abb. 1).
ständiger Begleiter und unverzichtbares      abgestimmt. Dazu kann beispielsweise         Ziel ist es, auf dem mobilen Endgerät
Hilfsmittel geworden. Sie besitzen ein       die Schwierigkeit ergänzender Fragen,        nur eine Erfassung und grobe Filterung
JANA WÄLDCHEN et al.: Flora Incognita                                                                                                                                    123

                                                                                                    Flora Incognita Server Datenbank
                                                                                                    über Arten und deren Merkmale      (3) Abfrage zusätzlicher Datenbanken
                                                                                                                                           entsprechend der Umgebungsdaten
 Gerät ist drahtlos                   (2) Übertragung des aufgenommenen
 mit dem Internet                         Bildes und zusätzlicher Um-
                                          gebungsfaktoren (z. B. Position,                                                                          Externe Datenbanken
 verbunden
                                          Richtung, Datum, Nutzertyp)                                                                           (z. B. Landnutzungskarten,
                                                                                                                                                Habitatkarten, geologische
                                                                                                                                                   Karten, phenologische
                                                                                                                                                           Daten)
                                                                      (4) [Iterativ] Berechnung des nächsten zu erfassenden
                                                                             Merkmals. Der Nutzer wird aufgefordert Merkmals-
                                                                             fragen zu beantworten oder weitere Detailaufnahmen            (6) [Pflanze bestimmt]
                                                                             der Pflanze zu machen (z. B. Blüte im Bild markieren, Blatt        Erfassung interessanter Merk-
                                                                             fotografieren oder Dornen am Stengel erkennen).                    malsausprägung in
                                                                             Erkennungsstand und neue Anfrage an das Gerät                      wissenschaftlichen Daten-
                                                                                                                                                banken, Kartierung der Art
(1) Erstellen einer initialen   Nutzer mit mobilem      (5)   [Pflanze bestimmt]                                                                für Naturschutzbehörden
    Aufnahme der Pflanze        Endgerät und Projekt-         Artspezifische Informationen
    mit Unterstützung der       software                      werden an das Gerät geschickt                            Datenbanken der
                                                                                                                                                 wissenschaftliche
    Software                                                                                                         Naturschutzbehörden
                                                                                                                                                  Datenbanken

Abb. 1: Schematischer Ablauf des Bestimmungsverfahrens. (Illustration: J. WÄLDCHEN & P. MÄDER)
Die Zeichnungen der Pflanzen wurden von der zur Nutzung freien Internetseite www.clker.com/clipart-26684.html entnommen.

der Daten vorzunehmen; die eigentliche                  und Abbildungen den Erkennungspro-                             male durch Bildanalysen automatisch zu
Analyse und Bestimmung wird durch ei-                   zess (s. Abb. 2). Jedes Merkmal erhielt                        erkennen.
nen zentralen internetbasierten Dienst                  einen vorläufigen Schwierigkeitsgrad
(Cloud-Service) erfolgen. Vorteile dieser               zugeordnet. Der dadurch gesteuerte Be-                         Automatische Bestimmung
Realisierung sind die höhere Rechen-                    stimmungsprozess stellt zu Beginn die                          via Bilderkennung
leistung der Server, verglichen mit den                 am einfachsten eingestuften Fragen. Im                         In der Vegetationsperiode 2015 erfolg-
begrenzten Fähigkeiten der mobilen                      weiteren Verlauf des Projekts sollen die                       te eine erste Feldstudie im Rahmen des
Geräte, und die Möglichkeit, das System                 vergebenen Schwierigkeitsstufen durch                          Projektes. Dabei wurden je 25 Individuen
selbstlernend auszulegen, da die Roh-                   empirische Studien bestätigt bzw. gege-                        von 32 Trocken- und Halbtrockenrasen-
daten zentral erfasst werden. Zusätzlich                benenfalls korrigiert werden. Des Weite-                       arten mit einem handelsüblichen Smart-
in den Erkennungsprozess einbezogene                    ren besteht die Möglichkeit, eine Art auf                      phone in einer standardisierten Aufnah-
Datenbanken erlauben aufgrund des                       verschiedenen Wegen richtig zu bestim-                         meprozedur und unter verschiedenen
Umfangs und / oder der Form der Lizen-                  men. Wenn zum Beispiel zur Frage nach                          Lichtbedingungen, verschiedenen Hin-
zierung keine Installation auf dem mobi-                einem bestimmten Merkmal mehrere                               tergründen und mit einer Farb- und Län-
len Gerät (z. B. geologisches Kartenma-                 Antworten denkbar sind, wird die Pflan-                        genkalibrierung fotografiert. Neben der
terial, Landnutzungskarten).                            ze über mehrere Wege verschlüsselt, um                         Gesamtansicht ergänzten Detailaufnah-
                                                        „Sackgassen“ im Bestimmungsprozess                             men der Blattunter- und -oberseite so-
                                                        zu vermeiden. Außerdem erlaubt dem                             wie der Blüte senkrecht und parallel zur
STAND DER UMSETZUNG                                     Nutzer eine „Ich weiß nicht – Funktion“                        Blütenstandsachse die Datenbasis. Diese
                                                        bestimmte Merkmale zu überspringen.                            Bilddaten dienen dazu, die Bilderken-
Merkmalsdatenbank und                                   Abbildung 2 illustriert den manuellen                          nungstechniken zu trainieren und deren
manueller Bestimmungsprozess                            Bestimmungsprozess am Beispiel des                             Leistungsfähigkeit und Erkennungsrate
In einem ersten Schritt wurden für ca.                  Ausdauernden Gänseblümchens Bellis                             zu untersuchen.Abbildung 3 zeigt die
400 Blütenpflanzen je 25 Merkmale in                    perennis basierend auf der aktuellen                           prinzipielle Methodik zur Bilderken-
einer Datenbank abgelegt. Diese bildet                  Merkmalsdatenbank. Bei der Frage zur                           nung. Während dichotome Schlüssel
die Grundlage für den manuellen An-                     Blattform sind zwei Antworten möglich.                         und die menschliche Wahrnehmung auf
teil am Bestimmungsprozess. Zunächst                    Wird die Frage nach der Blattform mit:                         der Identifikation der jeweils relevanten
wurden dabei besonders verbreitete                      „spatelförmig“ beantwortet, folgt die                          Pflanzenteile (z. B. Kronblatt) und der Er-
und häufige und / oder auffällige Arten                 Frage nach der Struktur des Blattrandes                        fassung der abgefragten Attribute (z. B.
ausgewählt, die auch das Interesse von                  (die korrekte Antwort lautet „ganzran-                         „spitz zulaufend“) beruhen, werden in
Nicht-Botanikern wecken.                                dig“) und das Ende des Bestimmungs-                            der Bilderkennung anhand mathemati-
                                                        prozesses ist erreicht. Wählt der Nutzer                       scher Definitionen und Regeln eindeutig
Die erfassten Merkmale beziehen sich                    bei der Blattform dagegen „verkehrt                            definierte Bildregionen erfasst. Solche
sowohl auf den Spross und die Laub-                     eiförmig“, adressiert die letzte Frage die                     Bildregionen umfassen homogene und
blätter (Blattstellung, Blattform etc.) als             Blütenfarbe. Unabhängig von der ge-                            von ihrer jeweiligen Umgebung abge-
auch auf die Blüte (Art des Blütenstands,               wählten Antwort in der Frage zur Blatt-                        grenzte Bereiche, d. h. Punkte im Bild,
Anzahl der Kronblätter etc.). Die Aus-                  form liefert der Bestimmungsprozess die                        die sich aufgrund starker Änderungen
wahl erfolgte so, dass sie auch Nutzer                  korrekte Art.                                                  von ihrer Umgebung unterscheiden.
mit geringem oder keinem botanischen                                                                                   Die visuelle Information einer solchen
Vorwissen erkennen. Neben einer kur-                    Neben der Optimierung des beschriebe-                          Umgebung wird in eine mathematisch
zen Beschreibung der zu erfassenden                     nen Prozesses ist ein Hauptziel des Pro-                       vergleichbare Form gebracht, einen so-
Merkmale unterstützen Piktogramme                       jektes, möglichst viele geeignete Merk-                        genannten Deskriptor, der möglichst
124                                                                                      Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen 53 (3) 2016: 121–125

                                                                                                                         und Textur von Pflanzenteilen beschrei-
                                                                                                                         ben, die besten Erkennungsergebnisse
                                                                                           Blütenstand                   liefert. So können die bisher erfassten
                                                                                                                         32 Pflanzenarten mit einer Genauigkeit
                                                             langge-    unregel-                                         von 94% anhand einer Aufnahme ihrer
        einzeln                  schirmartig   kugelig        streckt    mäßig
                                                                                                                         Blüte aus der Vogelperspektive automa-
                                                                                                                         tisch bestimmt werden. Die verbleiben-
                                                                                                                         den 6% sind fehlerhafte Erkennungen
                                                                                                                         von visuell sehr ähnlichen Arten, wie
                                                                                          Blattstellung                  sie in Abbildung 4 dargestellt sind. Mo-
                                                                                                                         tivierend für den weiteren Einsatz von
                                                                                                                         Bilderkennungstechniken ist die Tatsa-
wechselständig gegenständig quirlständig             grundständig
                                                                                                                         che, dass die Hinzunahme einer weite-
                                                                                                                         ren Perspektive, nämlich der Blüte aus
                                                                                                                         der Seitenansicht, eine Verbesserung
                                                                                      Anzahl Kronblätter                 der Bilderkennungsrate auf aktuell etwa
                                                                                                                         99% erlaubt. Die Evaluierung der Tech-
    3                4                  5                6              >6                                               niken hat außerdem gezeigt, dass für
                                                                                                                         jede Pflanzenart und Perspektive etwa
                                                                                                                         20 Aufnahmen benötigt werden, um ein
                                                                                                                         ausreichendes Training der Technologie
                                                                                        Blattgliederung                  zu ermöglichen. Generell gilt: je mehr
                                                                                                                         Bilder zur Verfügung stehen, umso bes-
   Blätter einfach              Blätter zusammengesetzt                                                                  ser ist die automatische Bestimmung.

                                                                                                                         IHRE UNTERSTÜTZUNG FÜR
                                                                                             Blattform                   UNSER PROJEKT (CITIZEN SCIENCE)
                  schuppen-          spatel-                            verkehrt
  herzförmig        förmig           förmig      dreilappig             eiförmig                                         In der Vegetationsperiode 2017 ist eine
                                                                                                                         umfangreiche Studie zur Beschaffung
                                                                                                                         des nötigen Bildmaterials zum Training
                                                                                                                         unserer Bilderkennungstechnologie ge-
                                                                               Blattrand                                 plant. Dabei bitten wir erstmalig, neben
                                                                                                                         den Botanikern und ehrenamtlichen
 ganzrandig       gekerbt             gesägt     gezähnt
                                                                                                                         Kartierern der TLUG, auch interessier-
                                                                                                                         te Enthusiasten um Unterstützung. Mit
                                                                                                                         der leicht zu bedienenden App können
                                                                                               Blütenfarbe               in kürzester Zeit Pflanzen und Pflanzen-
    gelb                 weiß         blau/violett/purpurn                                                               teile fotografiert und die Bilder auf den
                                                                                                                         Projektserver hochgeladen werden. Die-
Abb. 2: Darstellung des manuellen Bestimmungsprozesses mit Hilfe von Piktogrammen am                                     se App ist keine Bestimmungsanwen-
Beispiel des Ausdauernden Gänseblümchens Bellis perennis.                                                                dung, sondern dient dazu, eine große
(Illustrationen: A. THUILLE & J. WÄLDCHEN)
                                                                                                                         Bilddatenbank für das Forschungspro-
                                                                                                                         jekt aufzubauen. Diese Bilder werden
unabhängig von den Aufnahmebedin-                                            abdruck, der die visuelle Erscheinung der   für die Entwicklung und das Training der
gungen des Bildes (z. B. Skala, Belich-                                      fotografierten Pflanzenteile beschreibt     Bilderkennungstechnologien verwendet
tungsverhältnisse, leichte Änderungen                                        und die Bilderkennung ermöglicht. Es        und sind ein wichtiger Bestandteil für
in der Perspektive) ist. Die Gesamtheit                                      hat sich gezeigt, dass eine Kombination     die Entwicklung einer halbautomati-
solcher Deskriptoren ist eine Art Finger-                                    von Deskriptoren, welche Form, Farbe        schen Pflanzenbestimmungs-App. Wir

Abb. 3: Schematische Darstellung der Bilderkennungsmethodik. (Aufn. M. RZANNY, Illustration: M. SEELAND)
JANA WÄLDCHEN et al.: Flora Incognita                                                                                                     125

freuen uns auf eine breite Unterstüt-               Lotus corniculatus              Scabiosa columbaria             Teucrium chamaedrys
zung aus der Bevölkerung. Werden Sie
Teil unseres Forschungsteams! Fotogra-
fieren Sie während Spaziergängen und
Wanderungen interessante Blütenpflan-
zen für uns. Diese App ist verfügbar für
alle verbreiteten Mobiltelefone (iOS, An-
droid). Den Link zur Installation finden
Sie auf unserer Projektwebseite www.
floraincognita.de. Hier halten wir Sie
auch immer auf dem aktuellen Stand
der Entwicklung.
                                                   Hippocrepis comosa                  Knautia arvensis              Prunella grandiflora

DANK

„Flora Incognita“ ist ein Verbundprojekt,
welches gemeinsam vom Bundesministe-
rium für Bildung und Forschung (BMBF),
dem Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
(BMUB), dem Bundesamt für Natur-
schutz (BfN) sowie von der Stiftung Na-
turschutz Thüringen nach der Richtlinie        Abb. 4: Beispiele von sehr ähnlichen Arten, die zu einer fehlerhaften Erkennung führen können.
zur Förderung von Forschungsvorhaben           (Aufn. M. RZANNY)
zur Umsetzung der Nationalen Strategie            Auftr. BUND Naturschutz in Bayern e. V.,        ZAHNER, V., S. BLASCHKE, P. FEHR, S. HERLEIN,
zur biologischen Vielfalt gefördert wird.         Nürnberg                                          K. KRAUSE, B. LANG & C. SCHWAB (2007): Vo-
Die Verbundpartner sind die Technische         HESSE, M. (2002): Eine neue Methode zur              gelarten-Kenntnis von Schülern in Bayern.
Universität in Ilmenau sowie das Max-             Überprüfung von Artenkenntnissen bei              – Vogelwelt 128: 203–214
Planck-Institut für Biogeochemie in Jena.         Schülern. Frühblüher: Benennen - Selbst-
Des Weiteren besteht eine wissenschaft-           einschätzen - Wiedererkennen. – Zeit-           Dr. Jana Wäldchen
liche Zusammenarbeit mit der Thüringer            schrift für Didaktik der Naturwissenschaf-      Dr. Angelika Thuille
Landesanstalt für Umwelt und Geologie             ten 8 (8): 53–66                                Dr. Michael Rzanny
                                                                                                  Prof. Dr. Ernst-Detlef Schulze
(Dr. WERNER WESTHUS), der Arbeitsgruppe        International Data Corporation (2016):  [abgerufen am 03.04.2016]              Max-Planck-Institut für Biogeochemie
TINE RÖMERMANN) am Institut für Spezielle      JÄKEL, L. & A. SCHAER (2004): Sind Namen           Hans-Knöll-Str. 10 · 07745 Jena
Botanik sowie der Arbeitsgruppe Biolo-            nur Schall und Rauch? Wie sicher sind           jwald@bgc-jena.mpg.de
giedidaktik (Prof. Dr. UWE HOSSFELD) der          Pflanzenkenntnisse von Schülerinnen und
Friedrich-Schiller-Universität Jena.              Schülern? – Berichte des Institutes für Di-     Prof. (JP) Dr. Patrick Mäder
                                                                                                  Dr. Marco Seeland
                                                  daktik der Biologie, IDB Münster 13: 1–24
                                                                                                  David Boho
Projektlaufzeit: 2014–2019                     LINDEMANN-MATTHIES, P. (2002): The influence
                                                                                                  Nedal Alaqraa
Förderkennzeichen:                                of an educational program on Children’s         Martin Hofmann
BMBF: 01LC1319A, 01LC1319B                        perception of biodiversity. – Journal of En-
BfN / BMBU: 3514 685C19                           vironmental Education Vol. 33: 22–31            TU-Ilmenau
                                                                                                  Helmholtzplatz 5 · 98693 Ilmenau
Stiftung Naturschutz Thüringen:                LINDEMANN-MATTHIES, P. (2005): ‘Loveab-
                                                                                                  patrick.maeder@tu-ilmenau.de
SNT-082-248-03/2014                               le’ mammals and ‘lifeless’ plants: how
Projektkoordination:                              children’s interest in common local orga-
Prof. (JP) Dr. PATRICK MÄDER                      nisms can be enhanced through observa-
www.floraincognita.de                             tion of nature. – International Journal of
                                                  Science Education 27: 655–677
                                               MURPHY, G. E. P. & T. N. ROMANUK (2014):
LITERATUR                                         A meta-analysis of declines in local species
                                                  richness from human disturbances. – Eco-
DACHS, C., U. AMMER & R. VOGL (2009): Stu-        logy and Evolution 4 (1): 91–103
  die über das Waldwissen von bayerischen      PIMM, L., C. N. JENKINS, R. ABELL, S. P. BROOKS,
  Schülern der 3. Jahrgangsstufe. – Hrsg.:        J. L. GITTLEMAN, L. N. JOPPA, P. H. RAVEN,
  Schutzgemeinschaft Deutscher Wald –             C M. ROBERTS & J. O. SEXTON (2014): The
  Landesverband Bayern e. V.                      biodiversity of species and their rates of
FROBEL, K. & H. SCHLUMPRECHT (2014): Erosion      extinction, distribution and protection. –
  der Artenkenner. – Abschlussbericht im          Science 344: 988
Die Zeitschrift "Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen" erscheint mit vier Heften jährlich
u d ist i Jahresabo e e t für de gü stige Betrag vo 13 € i kl. Versa d oder i Ei zelhefte
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