Flüchtlinge unterstützen Diskriminierung entgegentreten - Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen

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Flüchtlinge unterstützen Diskriminierung entgegentreten - Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Flüchtlinge unterstützen
Diskriminierung entgegentreten
Grundlagenwissen zu Flucht und Grundlagenwissen
                               Asyl in Niedersachsen
                                                zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   1
Flüchtlinge unterstützen Diskriminierung entgegentreten - Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Flüchtlinge unterstützen
Diskriminierung entgegentreten
Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Inhaltsverzeichnis
Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Wozu und für wen ist dieses Heft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6
Wer ist ein Flüchtling? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8
Wie viele Flüchtlinge gibt es weltweit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9
Woher kommen Flüchtlinge, wohin gehen sie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Wie kommen Flüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . 11
Aus welchen Ländern kommen Flüchtlinge in die
Bundesrepublik Deutschland und wie viele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Alltagsrassismus I – und was Sie tun können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Wie läuft das Asylverfahren ab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Wer erhält Schutz als Flüchtling? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Relikt aus vergangener Zeit: Der Begriff „Rasse“                                                             . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Was passiert bei einer Ablehnung des Asylantrages? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Alltagsrassismus II - und was Sie tun können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Wie kommen Flüchtlinge nach Niedersachsen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Aus welchen Ländern kommen Flüchtlinge nach Niedersachsen
und wie viele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Zahlen hinterfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Wie wohnen Flüchtlinge in Niedersachsen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Alltagsrassismus III - und was Sie tun können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Welche sozialen Leistungen erhalten Flüchtlinge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Warum es keinen Abschnitt zur Kriminalität gibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Wie ist die medizinische Versorgung von Flüchtlingen geregelt? . . . . . . . . . . . . 31
Was sind „Residenzpflicht”und „Urlaubsscheine”? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Gibt es Sprach- und Integrationskurse für Flüchtlinge?                                                       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4        Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Wie ist der Zugang zu Kindergärten und Schulen für
Flüchtlingskinder in Niedersachsen geregelt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Unter welchen Voraussetzungen dürfen Flüchtlinge
in Deutschland arbeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Arbeitsmarktzugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Weitere Handlungsempfehlungen – Das können Sie tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Weiterführende Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

                                                                                                 Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen          5
Wozu und für wen ist dieses Heft?
Vor dem Hintergrund schwerer Kri-                          leistungen als Propaganda entlarvt und
sen und weltweit steigender Flücht-                        auch klar gemacht, dass eine frühzeiti-
lingszahlen fliehen vermehrt Asylsu-                       ge Aufnahme und Integration von Asyl-
chende auch nach Deutschland. Die                          suchenden im öffentlichen Interesse
Aufnahme der Flüchtlinge wird be-                          liegt. Im Hinblick auf den furchtbaren
gleitet von öffentlichen Diskussionen,                     Bürgerkrieg in Syrien hat die Landes-
Protesten gegen die Unterbringung                          regierung mehrfach erklärt, dass eine
von Flüchtlingen in Deutschland und                        Aufnahme weiterer Flüchtlingskontin-
Polemiken von Politiker_innen ge-                          gente auch bei uns eine humanitäre
gen das vermeintliche Ausnutzen der                        Verpflichtung darstellt.
Sozialsysteme. Während neue Initia-
tiven zur Anwerbung ausländischer                          Wir möchten Interessierten am Thema
Arbeitskräfte ersonnen werden und                          Asyl und Flucht einen kurzen und mög-
“Willkommenscenter” aus dem Boden                          lichst leichten Einstieg in die Sachlage
sprießen, werden zeitgleich populis-                       geben und sie mit Fakten und Argu-
tische Kampagnen gegen bestimmte                           menten versorgen. Für diejenigen, die
Gruppen von Flüchtlingen – etwa aus                        bereits einige Informationen haben,
den Balkan-Staaten – gestartet und                         bietet die Broschüre einen schnellen
fortlaufend Menschen in Deutschland                        Überblick über die aktuelle (Rechts-)
– tätlich und verbal – angegriffen, weil                   Lage und deren Veränderungen der
sie „ausländisch“ aussehen.                                letzten Jahre in Niedersachsen.
                                                           Darüber hinaus geben wir einige Hin-
Auch das Thema Asyl wird dabei aufge-                      weise dazu, wie in einer kontroversen
griffen. Neonazistische und rechtspo-                      Diskussion zum Thema Asyl argumen-
pulistische Gruppierungen und Parteien                     tiert bzw. wie rassistischen und diskri-
– aber auch eine Vielzahl von Personen                     minierenden Übergriffen im Alltag be-
und Gruppen aus der so genannten                           gegnet werden kann. Damit wollen wir
„bürgerlichen Mitte der Gesellschaft“                      all diejenigen stärken, die sich in der
- hetzen mit entsprechenden Slogans                        öffentlichen, oft aufgeheizten Debatte
gegen alles „Ausländische“ bzw.                            um Flucht, Asyl und Rassismus in unse-
Nicht-Deutsche“. Die niedersächsische                      rer Gesellschaft für eine sachliche Aus-
Landesregierung hat hier in wohltuen-                      einandersetzung zugunsten von Flücht-
der Weise eindeutig Position ergriffen,                    lingen und gegen Rassismus einsetzen
rassistische Kampagnen gegen einen                         möchten.
angeblichen Missbrauch von Sozial-

6   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Alle angesprochenen Themen werden
von uns nur angerissen und bieten eine
weitaus größere Komplexität, als wir sie
in diesem Heft behandeln können. In-
haltliche Positionierungen spiegeln die
Meinung der Herausgeber_innen wider
und decken sich mit denen zahlreicher
Flüchtlings- und Menschenrechtsorga-
nisationen. Wir laden alle Leser_innen
zu einer weiteren Beschäftigung mit
den Themenfeldern ein: durch zusätz-
liche Broschüren, durch Seminare und
Veranstaltungen sowie gemeinsame
Diskussionen. Eine Linkliste für weitere
Informationen findet sich am Ende die-
ses Heftes.

Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

                                           Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   7
Wer ist ein Flüchtling?
Flüchtlinge sind Menschen, die auf-                        Artikel 16a des Grundgesetzes formu-
grund von politischer, religiöser oder                     liert ein Recht auf Asyl für politisch
ethnisch begründeter Verfolgung,                           Verfolgte. Dieses zunächst umfas-
Folter, häuslicher Gewalt, Krieg und                       send gewährte Recht auf Asyl wurde
Bürgerkrieg, drohender Todesstrafe,                        1993 im sogenannten „Asylkompro-
Zerstörung der Existenzgrundlagen,                         miss” deutlich eingeschränkt. Seitdem
Naturkatastrophen oder anderweitig                         wird denjenigen der grundgesetzliche
drohender Gefahren und menschen-                           Schutz verweigert, die über ein siche-
rechtswidriger Behandlung ihre Her-                        res europäisches Land („Drittstaaten-
kunftsregion verlassen und in anderen                      regelung“) nach Deutschland einrei-
Gebieten des Landes oder in einem an-                      sen. Aufgrund der geografischen Lage
deren Land Schutz suchen. Flüchtlinge                      Deutschlands hat dieser Schutz damit
müssen auf der Suche nach Sicherheit                       massiv an Bedeutung verloren. Der
meist eine ungewisse und oft lebens-                       „Asylkompromiss” stellt damit fak-
gefährliche Reise auf sich nehmen.                         tisch nahezu eine Abschaffung des all-
                                                           gemeinen Grundrechts auf Asyl nach
Im Rahmen des Asylverfahrens wird                          dem Grundgesetz dar. Durch die Genfer
festgestellt, wer als Flüchtling Schutz                    Flüchtlingskonvention, die Europäische
erhält. Dabei führen nicht alle Gründe,                    Menschenrechtskonvention und weite-
die einen Menschen zur Flucht veran-                       re völkerrechtlich verbindliche Abkom-
lasst haben, nach den geltenden Geset-                     men werden viele Flüchtlinge dennoch
zen und Konventionen zu einer rechtli-                     auch in Deutschland geschützt. Im Rah-
chen Anerkennung als Flüchtling.                           men der sog. Dublin III-Verordnung ent-
                                                           ledigt sich Deutschland - durch die Ab-
Wenn wir in der Broschüre den Be-                          schiebung der Zuständigkeiten an die
griff „Flüchtling“ verwenden, meint                        europäischen Nachbarstaaten - jedoch
dies nicht den Rechtsstatus des aner-                      auch in etlichen Fällen (derzeit sind es
kannten Flüchtlings, sondern umfasst                       nahezu ein Drittel aller Verfahren) sei-
all jene, die um einen solchen Schutz                      ner Verantwortung.
nachgesucht haben.

8   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Wie viele Flüchtlinge gibt es weltweit?
Nach Angaben des Hohen Flüchtlings-      onen zunächst in anderen Regionen
kommissars der Vereinten Nationen        ihres Herkunftslandes Schutz gesucht
(UNHCR) befanden sich 2013 über 51,2     und die Landesgrenzen nicht über-
Millionen Menschen weltweit auf der      schritten (sogenannte Binnenvertrie-
Flucht. Davon haben etwa 33,3 Milli-     bene). 1

Nur wenige Flüchtlinge kommen nach
Europa. 2013 baten lediglich knapp
435.000 Menschen in den 28 Mitglied-
staaten der EU um Asyl.2 50 Prozent
aller Flüchtlinge weltweit sind Kinder
und Jugendliche unter 18 Jahren.3

                                         1   UNHCR: Global Trends 2013, www.unhcr.org
                                         2   Eurostat: Asyl in der EU 28, http://epp.
                                             eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUB
                                             LIC/3-24032014-AP/DE/3-24032014-AP-DE.PDF
                                         3   UNHCR: Global Trends 2013, www.unhcr.org

                                              Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   9
Woher kommen Flüchtlinge,
wohin gehen sie?
Aufgrund der kritischen Lage in ihren
Herkunftsländern machen Menschen
aus Afghanistan, Syrien und Somalia
mehr als die Hälfte der weltweit Flüch-
tenden aus.
Etwa 86 Prozent von ihnen leben nach
ihrer Flucht in Ländern wie z.B. Pakis-
tan, dem Iran oder dem Libanon, Län-
dern also, die selbst von Krisen und Un-
sicherheit geprägt sind. Häufig handelt
es sich hierbei um Nachbarstaaten der
Krisengebiete, aus denen die Flüchtlin-
ge kommen.4 Viele Menschen wollen
oder können keine weiten Fluchtwege
zurücklegen. Hinzu kommt, dass die
Flucht nicht nur ungewiss und oft le-
bensgefährlich, sondern auch teuer ist.
Menschen aus armen Verhältnissen ha-
ben kaum eine Chance, nach Europa zu
fliehen.

                                                            4   UNHCR: Global Trends 2013, www.unhcr.org4

10   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Wie kommen Flüchtlinge
in die Bundesrepublik Deutschland?
Legale Möglichkeiten, nach Europa zu       und das Antrags- und Auswahlverfah-
gelangen, gibt es für Flüchtlinge kaum.    ren an viele Bedingungen geknüpft ist,
Zudem werden die Land- und Luftwe-         erleichtert diese Regelung nur für einen
ge sowie die Küsten überwacht. Auf-        Bruchteil der vertriebenen Menschen
grund dieser Abschottungspolitik der       aus Syrien die Flucht in ein Land, in dem
Europäischen Union sind Flüchtlinge in     sie vor Verfolgung sicher sind und eine
der Regel auf Fluchthelfer_innen oder      Lebensperspektive vorfinden.
„Schlepper_innen” und auf oft gefähr-
liche Fluchtwege angewiesen. Daher         Mit der sogenannten Dublin-Verord-
kommt es immer wieder zu Todesfällen,      nung haben sich die EU-Staaten sowie
beispielsweise im Mittelmeer vor der       Norwegen, Island, Liechtenstein und
italienischen Insel Lampedusa oder in      die Schweiz auf Zuständigkeitsprinzi-
der Ägäis. Die Zielländer der Flüchtlin-   pien für die Prüfung eines Asylantra-
ge innerhalb Europas sind unterschied-     ges verständigt. Im Wesentlichen ist
lich. Wenn Flüchtlinge in die Bundes-      danach der Staat für die Prüfung des
republik Deutschland kommen, haben         Asylantrages zuständig, welcher dem
sie in der Regel einen langen Weg von      Flüchtling die Einreise nach Europa er-
den EU-Außengrenzen hinter sich. Nur       möglicht hat. Dies führt im Ergebnis zu
wenige Flüchtlinge gelangen über den       einer Abschiebung der Verantwortung
Luftweg nach Deutschland.                  an die Staaten, die an den Grenzen Eu-
                                           ropas liegen. Vor allem Italien, das im
Anders verhält es sich bei Flüchtlingen,   Rahmen der „Mare nostrum“-Aktion
die im Rahmen von Resettlement- oder       seit Oktober 2013 viele Flüchtlinge
sonstigen Aufnahmeprogrammen nach          aus Seenot gerettet hat, und Bulgarien
Deutschland kommen. Damit sind Pro-        sind gegenwärtig überfordert. Dennoch
gramme gemeint, die ausgewählten           werden Flüchtlinge auch aus Deutsch-
Flüchtlingen aus Krisenregionen im         land in diese Staaten abgeschoben.
Rahmen humanitärer Hilfsaktionen die       Die Folge ist, dass Flüchtlinge keine
Einreise nach Deutschland ermöglichen.     Mitsprachemöglichkeiten über ihren zu-
Derzeit betrifft das vor allem Menschen    künftigen Lebensort haben. Freunde und
aus Syrien. Sie erhalten vorab die Auf-    Verwandte (über die Kernfamilie hinaus)
nahmezusage und können legal einrei-       in dem eigentlichen Zielland, Sprach-
sen. Da aber das Kontingent begrenzt       kenntnisse, Anerkennungschancen der

                                                Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   11
Fluchtgründe o. Ä. spielen keine Rolle.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland
wird bei einem Asylantrag zunächst ge-
prüft, ob eventuell ein anderes Land für
das Verfahren zuständig ist. Europa ist
damit zu einem großen Verschiebebahn-
hof für Flüchtlinge geworden.

Flüchtlings- und Menschenrechtsor-
ganisationen fordern, dass Flüchtlinge
selbst bestimmen können sollen, in
welchem Land der EU sie den Asylan-
trag stellen und das Verfahren durch-
laufen möchten. 5

                                                            5   Memorandum Flüchtlingsaufnahme in der
                                                                Europäischen Union: Für ein gerechtes und
                                                                 solidarisches System der Verantwortlichkeit,
                                                                www.proasyl.de

12   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Aus welchen Ländern kommen Flüchtlinge
in die Bundesrepublik Deutschland
und wie viele?
2013 kamen die meisten Asylantrag-         Deutschland hat im EU-Vergleich zwar
steller_innen in Deutschland aus der       in absoluten Zahlen die meisten Asyl-
Russischen Föderation, Syrien, Serbien,    anträge, jedoch müssen die Zahlen ins
Afghanistan, Mazedonien, dem Iran,         Verhältnis zur Bevölkerungsgröße ge-
dem Irak, Pakistan, Eritrea und Soma-      setzt werden, um ein sinnvolles Bild
lia.6 2013 stellten ca. 110.000 Men-       zeichnen zu können: Mit knapp 16 Asyl-
schen einen Asylerstantrag in Deutsch-     anträgen pro 10.000 Einwohner_innen
land. Damit bewegen sich die Zahlen        lag Deutschland 2013 auf Platz 7 der
in etwa auf dem Niveau von 1996. Im        EU-Staaten.8
ersten Halbjahr 2014 wurden bereits
67.000 Asylerstanträge gestellt.7 Daher
gehen die Prognosen von einem An-
stieg der Zahlen gegenüber 2013 aus.

Flüchtlingszahlen schwanken. 1992
war mit rund 438.000 Asylanträgen ein
Höchststand erreicht. 2007 gab es mit
19.164 Anträgen einen Tiefpunkt bei
den Asylantragszahlen in der Bundes-
republik Deutschland. Daraufhin wur-
den in den einzelnen Bundesländern
Unterbringungsplätze abgebaut. Erst
in den letzten Jahren stieg die Zahl der
Flüchtlinge in Deutschland aufgrund
neuer Krisen und Kriege oder zuneh-
mender Diskriminierung in verschiede-
nen Regionen der Welt wieder an.
                                           6   BAMF: Das Bundesamt in Zahlen 2013 (Asyl),
                                                www.bamf.de
                                           7   BAMF: Schlüsselzahlen Asyl 1. Halbjahr 2014,
                                               www.bamf.de
                                           8   Eurostat, Asyl in der EU28, http://epp.
                                               eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/3-
                                               24032014-AP/DE/3-24032014-AP-DE.PDF

                                                 Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   13
Alltagsrassismus I - und was sie tun können
Vorurteile, Alltagsrassismus, Diskriminierungen

Neulich
an der familiären Kaffeetafel
„Nicht mehr lange und wir haben
hier in Deutschland die Scharia und
nur noch verhüllte Frauen.”

                                                            Neulich in der Betriebskantine
                                                            „Ich würde von einem Schwarzen
                                                            kein Auto kaufen.”

Neulich in der Straßenbahn
„Wenn dieses Asylheim hierhin
kommt, ist es vorbei mit dem Frieden
in unserem Ort.”

14   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
 Machen Sie sich und anderen
  die Macht der Worte bewusst.
  Klären Sie, welche Grundannah-
  me hinter mancher Bemerkung
  steht und welche Bilder hervor-
  gerufen werden. (Die Angst vor
  einer Übermacht des Islam in
  Deutschland entbehrt jeglicher
  Fakten und seriösen Prognosen.)
  Rassistische Aussagen sind zu-
  meist Pauschalisierungen oder
  Einzelerfahrungen. Erfragen Sie     Setzen Sie Vorurteilen und ab-
  Hintergründe oder Belege, aber       wertenden Bemerkungen etwas
  immer auf sachlicher Ebene.          entgegen!
  Rückfragen helfen. Was hat die
                                      Widerspruch ist wichtig, auch
  Hautfarbe eines Menschen mit
                                       wenn keine direkt Betroffenen
  der Seriosität des Verkäufers zu
                                       anwesend sind. Bleiben rassis-
  tun? Woher kommt diese Annah-
                                       tisch diskriminierende Bemer-
  me? Warum sollte es mit dem
                                       kungen unwidersprochen stehen,
  Frieden im Ort vorbei sein, wenn
                                       entsteht der Eindruck von Zu-
  Flüchtlinge dort wohnen?
                                       stimmung und gesellschaftlichem
                                       Konsens.
                                      Entgegnen Sie Fakten, hinter-
                                       fragen Sie, verdeutlichen Sie Zu-
                                       sammenhänge oder wechseln Sie
                                       einfach mal die Perspektive (Was
                                       würden Sie eigentlich als Roma in
                                       einem Armutsviertel in Südosteu-
                                       ropa tun, wenn Sie in einer Bara-
                                       cke ohne Strom und Wasser leben
                                       müssten, eine durchschnittliche
                                       Lebenserwartung von 48 Jahren
                                       hätten und sich Ihnen die Mög-
                                       lichkeit böte, diesen Lebensver-
                                       hältnissen zu entfliehen?)

                                        Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   15
Wie läuft das Asylverfahren ab?
Für das Vorbringen der Asylgründe und                       gerichte entschieden werden. Auch das
zur Klärung, ob ggf. ein anderer Staat                      Auftreten oder Bekanntwerden neuer
für die Prüfung zuständig ist, wird beim                    oder veränderter Gefährdungssituatio-
Bundesamt für Migration und Flüchtlin-                      nen und Sachlagen kann sich auf die
ge (BAMF) eine Anhörung des Flücht-                         Verfahrensdauer auswirken.
lings durchgeführt. Auf der Grundlage                       Zur Vorbereitung auf die Anhörung
dieser persönlichen Angaben und wei-                        erhalten Flüchtlinge Informationsblät-
terer spezifischer Informationen zu den                     ter zum Asylverfahren in einer ihnen
Herkunftsländern trifft das BAMF dann                       verständlichen Sprache. Darüber hin-
eine Entscheidung, ob Asyl nach dem                         aus haben sie allerdings nicht ausrei-
Grundgesetz, nach der Genfer Flücht-                        chend Zugang zu Rechtsbeistand und
lingskonvention oder anderer Schutz in                      ausführlicher Beratung im Vorfeld der
Deutschland gewährt wird.                                   Anhörung, obwohl ihre Aussagen dort
                                                            eine elementare Bedeutung für die
Während der Zeit des Verfahrens be-                         Bewertung ihrer Asylanträge und da-
kommen Flüchtlinge die „Aufenthalts-                        mit für die mögliche Anerkennung als
gestattung“ als Aufenthaltspapier.                          Flüchtling und für ihren zukünftigen
Diese bleibt als Bescheinigung über die                     Lebensort haben.
Rechtmäßigkeit des Aufenthalts erhal-
ten, solange das BAMF noch nicht über
den Asylantrag entschieden hat, bzw.
solange ein Rechtsmittel gegen die Ab-
lehnung des Asylantrags aufschieben-
de Wirkung entfaltet.
Das Asylverfahren kann innerhalb we-
niger Wochen entschieden werden
oder sich über einen längeren Zeitraum
bis zu mehreren Jahren hinziehen. Je
nach Herkunftsland und Zahl der an-
hängigen Fälle ist die Entscheidungs-
dauer über Asylanträge beim BAMF
oder den Gerichten unterschiedlich
lang. In manchen Fallkonstellationen
stellen sich grundsätzliche Fragen, die
erst nach vielen Jahren durch die Ober-

16   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Wer erhält Schutz als Flüchtling?
Das Bundesamt für Migration und                       Verbot der Abschiebung bei drohender
Flüchtlinge (BAMF) und ggf. die Gerich-               Todesstrafe, Folter oder unmenschlicher
te (in der Überprüfungsinstanz) ermit-                Behandlung, oder bei einer erheblichen
teln, ob nach den geltenden Regelun-                  konkreten Gefahr für Leib, Leben oder
gen Asyl gewährt wird.                                Freiheit im Herkunftsland. Man spricht
Neben dem Artikel 16a (1) Grundge-                    hier von sogenanntem „subsidiären
setz – „Politisch Verfolgte genießen                  Schutz“.
Asylrecht“ – ist v.a. die Genfer Flücht-              Mit der Entscheidung des BAMF er-
lingskonvention ein wichtiges Doku-                   hielten 2013 rund 1 Prozent einen
ment zum Schutz von Flüchtlingen. Sie                 Schutzstatus nach dem Grundgesetz,
besagt, dass eine Person nicht in einen               12 Prozent nach der Genfer Flüchtlings-
Staat abgeschoben werden kann, in                     konvention und rund 12 Prozent nach
dem sein Leben oder seine Freiheit we-                nationalen und internationalen Schutz-
gen seiner ethnischen Herkunft, Religi-               kriterien. Insgesamt wurde damit 2013
on, Nationalität, seiner Zugehörigkeit                in 25 Prozent aller Asylentscheidungen
zu einer bestimmten sozialen Gruppe                   des BAMF Flüchtlingen ein Schutz-
oder wegen seiner politischen Überzeu-                status zugesprochen. 38 Prozent aller
gung bedroht ist.                                     Asylanträge wurden durch das BAMF
Über die Schutzkriterien nach dem                     abgelehnt. Die restlichen Anträge (37
Grundgesetz oder der Genfer Flücht-                   Prozent) wurden inhaltlich nicht ge-
lingskonvention hinaus werden noch                    prüft, da beispielsweise ein Dublin-Ver-
weitere nationale und internationale                  fahren zur Zuständigkeit eines anderen
Schutzkriterien geprüft; wie z. B. ein                EU-Mitgliedstaates eingeleitet wurde.

                              13,5

                38,5                 11,4

                                                       Abbildung 1 - Entscheidungen
                              36,7
                                                      des BAMF (über 80.978 Anträge) in %
                                                      Quelle: Pro Asyl (2014): Die Zahlen und Fakten 2013.
                                                      In: Pro Asyl (Hrsg.): Gemeinsam gegen Rassismus!
                                                      Tag des Flüchtlings 2014. Frankfurt am Mai: Pro Asyl.

   Ablehnungen                Subsidiärer Schutz
   Nicht inhaltlich geprüft   Anerkennung nach
                                                      9    Genfer Flüchtlingskonvention, www.unhcr.de
   (z.B. Dublin-              der Genfer              10   BAMF: Das Bundesamt in Zahlen 2013 (Asyl),
   Verfahren)                 Flüchtlingskonvention        www.bamf.de

                                                              Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   17
Rechnet man diese Anzahl an Verfah-
ren heraus, die inhaltlich gar nicht ge-
                                                            Relikt aus vergangener
prüft wurden, so ergibt sich ein noch
höherer Anteil an Menschen, denen
                                                            Zeit: Der Begriff „Rasse“
Schutz zugesprochen wurde. 2013 hat
das BAMF danach in knapp 40 Prozent                         Es gibt keine menschlichen Rassen.
der Verfahren, in denen es überhaupt                        Die ursprünglichen auf den Phänoty-
inhaltlich entschieden hat, Schutz ge-                      pen basierenden Einteilungen haben
währt. Im ersten Quartal 2014 lag die                       sich seit dem Aufkommen der Mikro-
bereinigte Gesamtschutzquote bei                            biologie als falsch herausgestellt.11
43,5%, im zweiten Quartal 2014 bei                          Der Grund: Die genetischen Variationen
46,4%. Im Jan.-Mai 2014 waren 11%                           innerhalb eines Phänotyps sind größer
aller Gerichtsentscheidungen positiv.                       als der Abstand zu einem beliebigen
                                                            anderen Phänotyp.12
Hinzu kommt, dass im Rahmen der
Überprüfung einer ablehnenden Ent-                          Die Einteilung von Menschen in ver-
scheidung des BAMF durch die Verwal-                        schiedene „Rassen“ diente und dient
tungsgerichte noch weiteren Flücht-                         lediglich zur Zuschreibung von soge-
lingen Schutz zugesprochen, also die                        nannter (Un-)Wertigkeit und ist damit
Entscheidung des Bundesamtes aufge-                         ausschließlich ein Machtinstrument.
hoben wird. Von Januar bis Mai 2014                         Dies ist immer die Grundlage von Ras-
endeten immerhin 11% aller Gerichts-                        sismus: Abwertung anderer zur Auf-
entscheidungen mit einer Schutzgewäh-                       wertung seiner selbst.
rung. Gut die Hälfte der Asylsuchenden                      Wer heute noch von menschlichen Ras-
wird also dauerhaft bleiben können.                         sen spricht, muss sich den einen oder
                                                            anderen (wenig schmeichelhaften) Vor-
Wem Schutz durch das BAMF oder                              wurf gefallen lassen. Innerhalb unserer
das Verwaltungsgericht zugesprochen                         Spezies gibt es allenfalls unterschiedli-
wird, erhält eine Aufenthaltserlaub-                        che Ethnien.
nis. Diese ist zunächst immer befristet,
wird aber verlängert, wenn die Gründe
weiterhin vorliegen. Mit der Aufent-                         11 Lexikon der Biologie in 15 Bänden, Band 11,
haltserlaubnis erhalten die Flüchtlinge                         Heidelberg 2003, S. 422
                                                                (Spektrum akademischer Verlag)
uneingeschränkten Zugang zum Ar-                            12 Horst Seidler: Die biologi(sti)schen
beitsmarkt, zu Integrationskursen und                           Grundlagen des Rassismus. In: Justin Stagl,
                                                                Wolfgang Reinhard (Hrsg.): Grenzen des
zu regulären Sozialleistungen.                                  Menschseins: Probleme einer Definition des
                                                                Menschlichen. Böhlau 2005 sowie Robert
                                                                Miles, Rassismus. Einführung in die Geschichte
                                                                und Theorie eines Begriffs. Hamburg 1992

18   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Was passiert bei einer Ablehnung
des Asylantrages?
Bei Ablehnung des Asylantrags be-           Flüchtlinge mit Duldung leben mit der
kommt der Flüchtling in der Regel eine      ständigen Ungewissheit über ihre nä-
„Duldung“, solange eine Ausreise oder       here Zukunft. Die Duldung ist zeitlich
Abschiebung nicht möglich ist. Diese        kurz bemessen, gewöhnlich wird sie
ist mit vielen Auflagen und Einschrän-      für einen Zeitraum von drei Monaten
kungen verbunden.                           erteilt, selten länger als sechs Mona-
Eine „freiwillige Ausreise“13 ist für die   te, oft auch nur für einen Monat. Sie
Betroffenen oft alles andere als frei-      muss dann jeweils verlängert werden,
willig; sie wird vielmehr von den Aus-      was immer wieder neue Ungewissheit
länderbehörden mit der Drohung einer        bedeutet. Manche Flüchtlinge leben
anderweitigen Abschiebung erzwun-           schon seit vielen Jahren mit einer sol-
gen. Abschiebungen sind massive Ein-        chen „Kettenduldung“ in Deutschland.
griffe in das Selbstbestimmungsrecht        Eine humanitäre Bleiberechtsregelung
der Menschen, es sind Zwangsmittel          ist dringend notwendig, um Flüchtlin-
der Verwaltung, die eine Wiederein-         gen eine Aufenthaltsperspektive zu
reisesperre nach sich ziehen sowie die      geben, die längst ihren Lebensmittel-
Abgeschobenen zur Begleichung der           punkt in Deutschland haben, aber noch
entstandenen        Abschiebungskosten      immer kein Aufenthaltsrecht besitzen.15
verpflichten (sollten sie wieder einrei-
sen dürfen bzw. wollen). 14

Es kann passieren, dass Flüchtlinge
jahrelang im Status der Duldung le-
ben. Gründe für die Duldung können
beispielsweise folgende sein: Fehlen-
de Pässe, fehlende Reiseverbindun-
gen in vom Krieg zerstörte Länder,
medizinische Gründe oder noch nicht         13   Unwort des Jahres 2006, www.spiegel.de/
abgeschlossene aufenthaltsrechtliche             kultur/gesellschaft/unwort-des-jahres-
Folgeverfahren beim BAMF oder dem                freiwillige-ausreise-a-460881.html
                                            14   Siehe auch: Gemeinsames Heft der
Verwaltungsgericht.                              Landesflüchtlingsräte: Abschiebung, 2012,
                                                 www.hinterland-magazin.de/ausgabe19.php
                                            15   Mehr Informationen
                                                 unter: www.proasyl.de/de/themen/bleiberecht/

                                                   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   19
Alltagsrassimus II - und was Sie tun können

„Ich gehe durch die Einkaufspassage
mit einer Freundin. Viele Leute sind
dort unterwegs. Uns kommen ein
Mann und eine Frau entgegen. Die
Frau sagt, wir sollten abhauen und
dorthin zurückgehen, wo wir herge-
kommen seien. Der Mann hebt dro-
hend seine Hand und ich habe Angst,
dass er meine Freundin schlagen
wird.”
                                                            „Ich stehe in der Klassentür, um mein
                                                            Kind abzuholen. Da kommt die Lehre-
                                                            rin vorbei, begrüßt mich und fragt ne-
                                                            benbei, warum ich ein Kopftuch trage;
                                                            ob wir zu Hause Läuse hätten?”

„Ich gehe auf der Straße. Mir kommt
ein Mann entgegen. Als er auf meiner
Höhe ist, spuckt er mir genau vor die
Füße. Sein stechender Blick in meine
Augen sagt mir, wie ich das Spucken
zu verstehen habe.”

20   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
 Mischen Sie sich ein!
 Wenn Sie ZeugIn von Alltagsras-
  sismus werden, versuchen Sie
  zunächst, die Bedrohlichkeit der
  Situation einzuschätzen. Nie-
  mand muss sich selbst in Gefahr
  bringen, jede_r kann aber Auf-
  merksamkeit erzeugen und Hilfe
  holen.
 Machen Sie verbal deutlich, dass
  Sie die Bemerkung oder Geste für     Ergreifen Sie sichtbar Partei für
  inakzeptabel halten und benen-        die beleidigte und diskriminierte
  nen Sie klar die Diskriminierung.     Person. Sprechen Sie die beläs-
                                        tigten Personen an, zeigen Sie
                                        ihnen, dass sie diese Situation
                                        nicht allein bewältigen müssen.
                                        Solidarisieren Sie sich.
                                       Sollte Ihnen die Situation bedroh-
                                        lich erscheinen, sprechen Sie kon-
                                        kret andere Zeug_innen an und
                                        treten Sie gemeinsam der diskri-
                                        minierten Person zur Seite.
                                       Organisieren Sie ggf. weitere
                                        Hilfe oder rufen Sie die Polizei.

                                         Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   21
Wie kommen Flüchtlinge
nach Niedersachsen?
Wenn Menschen in Deutschland Asyl                           In Braunschweig, Friedland und Bram-
beantragen, werden sie nach dem                             sche befinden sich die Erstaufnahme-
sogenannten Königsteiner Schlüssel                          einrichtungen der Landesaufnahmebe-
prozentual auf die Bundesländer ver-                        hörde für Flüchtlinge in Niedersachsen.
teilt. Ein weiteres Kriterium ist das Her-                  Dort verbringen sie die erste Zeit ihres
kunftsland, da die Bundesländer un-                         Aufenthaltes. Nach maximal drei Mona-
terschiedliche Zuständigkeiten haben.                       ten werden sie dann auf die jeweiligen
Niedersachsen nimmt rund 9,3 Prozent                        Landkreise bzw. kreisfreien Städte ver-
aller Asylsuchenden in Deutschland                          teilt und dort untergebracht. Aufgrund
auf. Keine Rolle bei der Verteilung spie-                   der gestiegenen Flüchtlingszahlen und
len Wünsche der Flüchtlinge oder die                        der begrenzten Unterbringungskapazi-
Frage, ob schon Verwandte (über die                         tät in den Erstaufnahmeeinrichtungen
Kernfamilie hinaus) oder Freund_innen                       erfolgt eine Verteilung der Flüchtlinge
irgendwo in Deutschland leben.                              derzeit schon nach wenigen Wochen.

22   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Aus welchen Ländern kommen Flüchtlinge
nach Niedersachsen und wie viele?
Die zuständige Behörde für die Prü-         Ende Februar 2014 (Stichtag 28.02.14)
fung der Asylanträge ist – wie gesagt       hielten sich 10.352 Personen im lau-
– das Bundesamt für Migration und           fenden Asylverfahren (mit dem Aufent-
Flüchtlinge (BAMF). In Niedersachsen        haltspapier „Aufenthaltsgestattung“) in
gibt es Außenstellen auf dem Gelän-         Niedersachsen auf. Darüber hinaus leb-
de der Erstaufnahmeeinrichtungen in         ten zu dem genannten Zeitpunkt 10.918
Braunschweig, Friedland und Bramsche        Flüchtlinge mit einer „Duldung“ als Auf-
(sowie eine Nebenstelle in Oldenburg,       enthaltspapier, d. h. einer Aussetzung
die aber keine Asylanhörungen durch-        der Abschiebung – über wenige Wochen
führt). Nicht jede Außenstelle bearbeitet   oder auch viele Jahre – meist nach ne-
Asylanträge aus allen Herkunftsländern.     gativ abgeschlossenem Asylverfahren.
In Friedland werden derzeit nur Anträge     22.255 Flüchtlinge halten sich mit einer
von Menschen aus Afghanistan, Syrien,       Aufenthaltserlaubnis nach völkerrecht-
dem Irak, der Russischen Föderation, der    lichen, humanitären und politischen
Türkei, dem Libanon, Eritrea, Pakistan      Gründen in Niedersachsen auf.16
und Vietnam bearbeitet. Da die Außen-
stellen des Bundesamts in Friedland,
Braunschweig und Bramsche derzeit z.
B. nicht für die Republik Tschad zustän-
dig sind, werden Flüchtlinge aus diesem
Land nicht Niedersachsen zugewiesen.

                                            16   Nach einer Anfrage an das Bundesamt
                                                 für Migration und Flüchtlinge

                                                   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   23
Zahlen hinterfragen
                                                            In Niedersachsen leben circa 7,8 Milli-
                                                            onen Menschen, davon rund 450.000
                                                            Menschen mit ausländischer Staats-
                                                            angehörigkeit (Stand 2012). Ihr Anteil
                                                            liegt damit bei 5,8 Prozent der Gesamt-
                                                            bevölkerung.17 Damit liegt Niedersach-
                                                            sen bundesweit auf Platz 10 und unter
                                                            dem deutschen Durchschnitt von 8,2
                                                            Prozent. Der Anteil der Bevölkerung
                                                            mit ausländischer Staatsangehörigkeit
                                                            ist also in nur sechs Bundesländern
                                                            niedriger.
                                                            Die Diskussion um die „Ausländer_in-
                                                            nenquote” verschleiert die falsche
                                                            Grundannahme einer homogenen Be-
                                                            völkerung in Niedersachsen. Sie fes-
                                                            tigt die Einteilung in „wir“ (die Nie-
                                                            dersachsen) und „die“ (die als fremd
                                                            Empfundenen). Eine Einteilung, die
                                                            ein falsches Bild ergibt: Migration und
                                                            Wanderungen gibt es schon immer. Und
                                                            ab wann ist eigentlich jemand ange-
                                                            kommen und gilt als „alteingesessen“?

                                                            17   http://www.statistik-portal.de/statistik-
                                                                 portal/de_jb01_jahrtab2.asp

24   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Wie wohnen Flüchtlinge in Niedersachsen?
Die in Niedersachsen aufgenommenen                    Wo sich Kommunen aufgrund der ge-
Flüchtlinge werden den Landkreisen                    stiegenen Zahl der Asylsuchenden ge-
bzw. kreisfreien Städten prozentual un-               zwungen sehen, Flüchtlinge (vorüber-
ter Berücksichtigung der Bevölkerungs-                gehend) in Gemeinschaftsunterkünften
zahl zugewiesen.18 Die großen Städte                  unterzubringen, drängt der Flüchtlings-
in Niedersachsen nehmen prozentual                    rat auf die Entwicklung und Umset-
erheblich mehr Flüchtlinge auf als die                zung kommunaler Aufnahmekonzepte,
ländlichen Gebiete. Die Standpunk-                    welche eine begleitende Beratung und
te der Landesaufnahmebehörde für                      Unterstützung der Betroffenen und
Flüchtlinge in Braunschweig, Friedland                ein „Auszugsmanagement” in eige-
und Bramsche verfügen aktuell über                    ne Wohnungen zum frühestmöglichen
rund 500 Plätzen je Einrichtung. Die                  Zeitpunkt vorsehen20.
Flüchtlinge leben hier in der Regel bis
zu 3 Monate und werden im Anschluss                   Die Gemeinschaftsunterbringung führt
auf die Landkreise bzw. kreisfreien                   nämlich zu einer Reihe von Proble-
Städte „verteilt“.                                    men.21 Der Wohnort und auch die Art der
                                                      Unterbringung wird den Flüchtlingen
Hinsichtlich der Form der Unterbrin-                  meist ohne eigenes Mitspracherecht
gung macht das Land den Kommunen                      zugewiesen. In Gemeinschaftsunter-
keine Vorschriften. Das Innenministeri-               künften sind Privatsphäre oder Rück-
um hat jedoch an die Kommunen ap-                     zugsmöglichkeiten selten bzw. aus-
pelliert, Flüchtlinge nach Möglichkeit                geschlossen. Außerdem befinden
dezentral unterzubringen19. Die meis-                 sich mehrere der niedersächsischen
ten Kommunen in Niedersachsen haben                   Gemeinschaftsunterkünfte in Stadt-
sich entsprechend entschlossen, auf                   randlage oder kleineren Orten mit
Massenlager und Gemeinschaftsunter-                   unzureichender Anbindung an den öf-
künfte nach Möglichkeit zu verzichten.                fentlichen Nahverkehr.

18   § 1 AufnG; http://www.nds-voris.de/jportal/?
     quelle=jlink&query=AufnG+ND&psml=bsvo
     risprod.psml&max=true&aiz=true#jlr-AufnG         20   Die Städte Osnabrück, Hannover und
     NDV3P1%20jlr-AufnGNDV2P1                              Göttingen haben bereits entsprechende
19   Siehe HAZ 22.08.2013: „Landesinnenminister            Konzepte entwickelt.
     Boris Pistorius (SPD) rät dringend dazu, keine   21   Siehe auch: Gemeinsames Heft der Landes-
     Massenquartiere für ausländische Flüchtlinge          flüchtlingsräte: AusgeLAGERt (2011),
     einzurichten. Das Land bemüht sich im                 www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_
     Zusammenwirken mit den Kommunen um                    redakteure/Broschueren_pdf
     eine dezentrale Unterbringung der                     /AusgeLAGERt.pdf
     Asylbewerber.“

                                                             Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   25
Abgeschottet von der Gesellschaft,                          Nach dem niedersächsischen Aufnah-
räumlich sehr beengt und oft ohne jeg-                      megesetz erhalten die Landkreise und
liche Aufgabe müssen Flüchtlinge einen                      kreisfreien Städte vom Land pro auf-
tristen Alltag leben, weshalb viele psy-                    genommenem Flüchtling und Monat
chisch und physisch krank werden oder                       Pauschalen in Höhe von 5 932 Euro pro
nicht genesen können. Zudem bieten                          Person für die Unterbringung, soziale
Gemeinschaftsunterkünfte einen An-                          Leistungen und Sozialbetreuung so-
griffspunkt für rassistische Übergriffe.                    wie medizinische Leistungen.22 Zurecht
                                                            monieren kommunale Sozialverbände,
Viele dieser Probleme können mit ei-                        dass der Satz zu niedrig ist.
ner Unterbringung in städtischen Woh-
nungen mit guter Erreichbarkeit und
Infrastruktur (Ärzt_innen, Einkaufs-,
Freizeit-, Bildungsmöglichkeiten, Be-
ratungsangebote) gelöst werden bzw.
entstehen erst gar nicht. Um eine ge-
sellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen,
sind Flüchtlinge besonders auf solche
Strukturen angewiesen. Es bedarf da-
rüber hinaus eines tragfähigen und
menschenwürdigen Unterbringungs-,
Beratungs- und Unterstützungskon-
zeptes für die Flüchtlinge im jeweiligen
Landkreis oder in der jeweiligen kreis-
freien Stadt.

                                                            22   § 4 AufnG; http://www.nds-voris.de/jportal/
                                                                 ;jsessionid=A8DA8E54B6682325229618BC05
                                                                 FE1420.jpf4?quelle=jlink&query=AufnG+ND
                                                                 &psml=bsvorisprod.psml&max=true&aiz=true
                                                                 #jlr-AufnGNDrahmen

26   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Alltagsrassismus III - und was Sie tun können

Schuhladen
„Ich schaue nach Schuhen, als eine
Verkäuferin zu mir kommt und sagt,
ich solle meine Tasche öffnen. Ich fra-
ge, wieso. Sie sagt, dass ein Kunde ge-
sehen habe, wie ich ein paar Schuhe
dort hineingesteckt hätte. Ich erwidere,
dass ich keine Schuhe in meiner Tasche
habe und wer mich denn beschuldige.
Das könne sie nicht sagen und ich sol-
le die Tasche aufmachen. Mittlerweile
schauen einige andere Kunden zau uns
                                           Diskothek
herüber. Mir ist die Situation unange-     „Letzte Woche war ich zu Besuch bei
nehm und ich zeige den Inhalt meiner       Freunden. Wir wollten am Abend zu-
Tasche. Damit ist die Sache für die Ver-   sammen in einer Diskothek feiern ge-
käuferin erledigt. Unter den Blicken der   hen. Ich war noch nicht richtig an der
anderen Kunden gehe ich aus dem La-        Tür, da hat mich die Security schon
den. Ich bin wütend. Und traurig.”         nach meinem Pass gefragt. Ich habe
                                           ihm meine Papiere und meinen „Ur-
                                           laubsschein“ gezeigt. Er hat vermutet,
                                           dass ich betrüge und mir unterstellt,
                                           dass das kein richtiger Ausweis, son-
                                           dern nur eine Kopie sei. Der Abend mit
                                           meinen Freunden hat dort an der Tür
                                           schon geendet. Ich wollte die Polizei
Bahnhof                                    rufen, weil ich dachte, sie können mir
                                           vielleicht helfen. Aber ich hatte Angst,
„Am Bahnhof komme ich mir oft schon        dass die Security recht hat und mit
vor wie ein guter Bekannter der Polizis-   meinen Papieren wirklich etwas nicht
ten. Ständig halten sie mich an und fra-   stimmt. Ich habe mich so geschämt.
gen mich nach dem Ausweis. Sie fragen      Alle haben mich angestarrt.”
nur mich und keine Leute mit weißer
Hautfarbe.”

                                                Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   27
 Der erste Schritt ist das Wahr-
       nehmen einer solchen Situation.
       Sehen Sie, dass dunkelhäutige
       oder schwarzhaarige Menschen
       in solch „offiziellen“ Situationen
       angesprochen werden, vergewis-
       sern Sie sich kurz durch Hinsehen
       und Hinhören über die Art des
       Gespräches und ob alles in Ord-
       nung ist. Handelt es sich um ei-
       nen normalen Vorgang oder um
       eine Diskriminierungssituation?
       Werden beispielsweise nur dun-
       kelhäutige oder schwarzhaarige
       Menschen nach ihrem Ausweis
       gefragt, ist dies bereits eine nicht
       begründete Ungleichbehandlung,
       sogenanntes „racial profiling“.
      Haben Sie den Eindruck, es han-
       delt sich um eine ungewöhnliche                         Handelt es sich um eine Situati-
       Situation, die eine Diskriminie-                         on, in der jemand diskriminiert
       rung darstellen könnte, bleiben                          wird, schalten Sie sich in das
       Sie in der Nähe und beobachten                           Gespräch ein. Fragen Sie, warum
       Sie das Geschehen.                                       diese Person „besonders“ be-
                                                                handelt wird. Machen Sie deut-
                                                                lich, dass Sie das Vorgehen für
                                                                nicht akzeptabel halten, dass Sie
                                                                diese Art der Sonderbehandlung
                                                                ablehnen, und benennen Sie die
                                                                Diskriminierung. Stärken Sie die
                                                                diskriminierte Person.
                                                               Sprechen Sie nicht anstelle der
                                                                Betroffenen, sondern bleiben Sie
                                                                die Unterstützung. Agieren Sie
                                                                nicht ohne Einverständnis der Be-
                                                                troffenen und nehmen sie ihnen
                                                                nicht ihre eigene Stimme.

28     Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Welche sozialen Leistungen erhalten Flüchtlinge?
Mit der Einschränkung des Asylrechts      stände – in der Regel als Sachleistung
in Deutschland 1993 („Asylkompro-         zur Verfügung gestellt bekommen.
miss“) trat gleichzeitig das Asylbewer-   Der §1a AsylbLG stellt jedoch eine er-
berleistungsgesetz (AsylbLG) in Kraft.    hebliche Einschränkung der Sozialleis-
Flüchtlinge erhielten danach bis zu       tungen für Asylbewerber_innen und
40% niedrigere Sozialleistungen als       Flüchtlinge dar. Nach diesem Paragra-
andere Sozialleistungsberechtigte.        phen dürfen soziale Leistungen z.B.
                                          gekürzt werden, wenn sie nicht aktiv
Sozialleistungen orientieren sich am      mithelfen, den zur Abschiebung erfor-
Existenzminimum, das ein menschen-        derlichen Pass aus dem Herkunftsland
würdiges Leben ermöglichen soll. Das      zu besorgen. Entsprechend erhalten
Bundesverfassungsgericht entschied im     Geduldete und sonstige vollziehbar
Juli 2012 mit den Worten „Die Men-        ausreisepflichtige Ausländer_innen oft-
schenwürde ist migrationspolitisch        mals nur eingeschränkte Leistungen.
nicht zu relativieren“, dass die Men-     Der Paragraph wurde unter anderem
schenwürde nicht mit dem Ziel einge-      als „Abschiebung durch Aushungern“23
schränkt werden darf, Zuwanderung zu      kritisiert.
begrenzen. Das Urteil besagt zudem,       Über den Bundesrat forderten Flücht-
dass die Leistungshöhe des AsylbLG        lings- und Menschenrechtsorganisa-
verfassungswidrig und umgehend eine       tionen die Abschaffung des § 1a. In
Neuregelung zu treffen ist. Die ange-     vielen Bundesländern wird der Para-
ordnete Neuregelung des AsylbLG wur-      graph heute nicht mehr angewandt.
de bisher jedoch noch nicht umgesetzt.    In Niedersachsen ist dies jedoch nicht
                                          der Fall. Der Paragraph findet weiterhin
Seit der Entscheidung des Bundesver-      Verwendung.
fassungsgerichtes erhalten Flüchtlinge    Da das Asylbewerberleistungsgesetz
im Grunde dieselbe Höhe an Sozial-        ein diskriminierendes Sondergesetz ist,
leistungen wie andere Menschen auch.      fordern Flüchtlings- und Menschen-
Allerdings liegt der ausgezahlte Re-      rechtsorganisationen dessen Abschaf-
gelsatz weiterhin etwas niedriger, weil   fung und die Leistungsgewährung nach
Flüchtlinge bestimmte Leistungen – z.B.   den bestehenden Sozialgesetzbüchern.
Möbel und andere Einrichtungsgegen-
                                          23   Siehe Berliner Zeitung (07.02.1998);
                                               http://www.berliner-zeitung.de/archiv/abschie
                                               bung-durch-aushungern,10810590,9394690.
                                               html

                                                 Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   29
Warum es keinen Abschnitt zur Kriminalität gibt
Auch wenn es immer wieder behauptet                         angezeigt werden. Dies ist aber vor
wird: Hinweise darauf, dass Flüchtlin-                      allem ein mögliches Indiz für “racial
ge öfter straffällig werden als andere                      profiling“, also die Verdächtigung von
Menschen, gibt es nicht. Menschen                           vermeintlich ausländisch aussehenden
nichtdeutscher Herkunft generell sind                       Menschen. Nicht zuletzt die Ermittlun-
nicht krimineller als die Durchschnitts-                    gen zu den NSU-Morden haben das
bevölkerung und die Kriminalitätsrate                       erschreckend deutlich gemacht: Zehn
im Umfeld von Asylunterkünften ist                          Jahre lang wurden die Angehörigen
nicht höher als anderswo.24 Die Krimi-                      der Opfer von der Polizei als mutmaß-
nalstatistik der Polizei, die immer wie-                    liche Täter_innen behandelt, während
der als Argument für eine angeblich                         tatsächlich deutsche Rassist_innen die
höhere Kriminalität von Migrant_in-                         Täter_innen waren – sie aber blieben
nen und Flüchtlingen herangezogen                           von der Polizei unbehelligt.
wird, ist irreführend.25 Ein wichtiger                      Ein weiteres Problem: Die Arten der
Grund: Die Polizei-Statistik erfasst Tat-                   Straftaten werden nicht unterschieden,
verdächtige, und nicht Täter_innen.                         obwohl manche Verstöße, beispielswei-
Daraus kann man lediglich schließen,                        se gegen das Aufenthaltsgesetz, von
dass (vermeintliche) „Ausländer_in-                         deutschen Staatsangehörigen gar nicht
nen“ häufiger unter Verdacht gera-                          begangen werden können.26
ten und polizeilich kontrolliert oder

                                                             24 Taz vom 2.7.2013, fr-online.de vom 11.7.2013,
                                                                berliner-zeitung.de vom 11.7.2013 und „Zahl
                                                                der Diebstähle in Greiz nicht höher“,
                                                                Thüringer Allgemeine vom 14.11.2013
                                                            25 Bundeszentrale für Politische Bildung:
                                                                „Ausländerkriminalität“ – statistische Daten
                                                                und soziale Wirklichkeit. (2012), www.bpb.de
                                                            26 Pro Asyl/Amadeu-Antonio-Stiftung:
                                                                pro menschenrechte. contra vorurteile.
                                                                (2014), www.proasyl.de

30   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Wie ist die medizinische Versorgung von
Flüchtlingen geregelt?
Flüchtlinge sind nicht in der in Deutsch-   Die Vergabepraxis dieser Behand-
land üblichen Form per Chipkarte            lungsscheine und somit der Zugang
krankenversichert. Ihre medizinische        zu Allgemein- und Fachärzt_innen für
Versorgung regelt das Asylbewerber-         Flüchtlinge ist niedersachsenweit sehr
leistungsgesetz (AsylbLG). Daraus ent-      unterschiedlich.
stehende Einschränkungen gelten für         In der Praxis führt diese Regelung zu
die ersten 4 Jahre des Aufenthaltes in      vielen Problemen. Bestimmte Medika-
Deutschland, ggf. aber auch darüber         mente, Heil- und Hilfsmittel wie Brillen
hinaus.                                     oder orthopädische Einlagen, Psycho-
Nach dem AsylbLG sind Kosten zur            therapien für traumatisierte Flücht-
Behandlung akuter Erkrankungen und          linge oder aber auch Überweisungen
Schmerzzustände zu gewähren. Dies           zu Fachärzt_innen werden Flüchtlin-
schließt die Versorgung mit Arznei-         gen oft verweigert. Ein Beispiel: Bei
und Verbandmitteln sowie sonstiger          der Zahnbehandlung werden akute
zur Genesung, zur Besserung oder zur        Schmerzbehandlungen von den Sozial-
Linderung von Krankheiten oder Krank-       ämtern getragen. Das umfasst oft aber
heitsfolgen erforderlichen Leistungen       nicht die Kosten für eine Zahnfüllung,
mit ein. Dazu zählen auch die amtlich       sondern nur das Ziehen des Zahnes.
empfohlenen Schutzimpfungen und die         Dadurch werden Flüchtlingen oft er-
medizinisch gebotenen Vorsorgeunter-        haltbare Zähne gezogen, was einen
suchungen.                                  massiven Eingriff in die körperliche Un-
                                            versehrtheit darstellt.
Allerdings müssen die Flüchtlinge vor
jeder Behandlung einen Krankenschein        Das AsylbLG macht eine solche un-
beantragen und damit die Zustimmung         haltbare Praxis erst möglich. Auch
für die Übernahme der anfallenden Be-       deswegen fordern Flüchtlings- und
handlungskosten beim örtlichen Sozial-      Menschenrechtsorganisationen dessen
amt einholen. Dies führt zu umständ-        Abschaffung und die Leistungsgewäh-
lichen Wege- und Wartezeiten - und          rung nach den bestehenden Sozialge-
dazu, dass die behördlichen Sachbear-       setzbüchern.
beiter_innen entscheiden (müssen), ob
der Krankenschein und damit die medi-
zinische Behandlung gewährt wird.

                                                 Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   31
Ein ungehinderter Zugang zu medizini-
scher Versorgung ist dringend notwen-
dig. Ein gutes Beispiel – auch unter dem
bestehendem AsylbLG – sind Bremen
und Hamburg: In beiden Stadtstaaten
wurde mit der AOK Bremen ein Vertrag
geschlossen, nach dem Flüchtlinge eine
Chipkarte erhalten und sich wie andere
Krankenversicherte auch medizinisch
behandeln lassen können. Die Landes-
regierung prüft derzeit, ob ein solches
Modell auch in Niedersachsen funktio-
nieren kann.

32   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Was sind „Residenzpflicht”
und „Urlaubsscheine”?
Die „Residenzpflicht“ ist eine bundes-    fen, dann drohen ihnen Geld- oder im
rechtliche Regelung, welche Flüchtlin-    Wiederholungsfall sogar Haftstrafen.
gen mit einer „Aufenthaltsgestattung“     An Bahnhöfen oder anderen öffent-
oder „Duldung“ ein bestimmtes Ge-         lichen Orten kontrolliert die Polizei
biet zuweist, in dem sie sich aufhalten   immer wieder Menschen, die „auslän-
müssen bzw. „erlaubnisfrei aufhalten      disch“ aussehen, u. a. wegen möglicher
dürfen“. Eine solche einschränkende       Verstöße gegen die Residenzpflicht.
Regelung kennt kein anderes EU-Land.
Die Bundesländer haben die Möglich-       Häufig wird die Residenzpflicht mit der
keit, diesen „Bewegungsraum“ vom          „Wohnsitzauflage“ verwechselt. Diese
Landkreis/der kreisfreien Stadt bis       meint die Zuweisung des Wohnortes.
zum ganzen Bundesland auszudehnen         Auch wenn sich Flüchtlinge in Nieder-
und auch bundeslandübergreifend zu        sachsen ohne Genehmigung frei bewe-
regeln. Davon hat Niedersachsen Ge-       gen dürfen, bleibt diese Wohnsitzauf-
brauch gemacht: Seit 2012 können sich     lage davon unberührt, d. h. Flüchtlinge
Asylsuchende im gesamten Bundesland       können nicht selbstbestimmt umziehen
Niedersachsen frei bewegen. Flüchtlin-    bzw. einen anderen Wohnsitz wählen,
ge mit einer „Aufenthaltsgestattung“      sondern müssen dies beantragen. Ein
dürfen sich ohne behördliche Erlaubnis    Umzug in einen anderen Landkreis oder
grundsätzlich auch in Bremen aufhalten,   in ein anderes Bundesland wird nur bei
jedoch nicht in weiteren Bundesländern.   Vorliegen eines Rechtsanspruchs (Zu-
                                          sammenleben mit Frau und minderjäh-
Wenn Flüchtlinge den ihnen zugewie-       rigen Kindern), zur Ermöglichung einer
senen Bereich verlassen wollen, weil      Erwerbstätigkeit oder bei Vorliegen
sie zum Beispiel Freunde oder Verwand-    gravierender Härten (z.B. Pflege eines
te außerhalb Niedersachsens besuchen      nahen Verwandten) genehmigt.
möchten, brauchen sie eine schriftliche
Genehmigung (einen „Urlaubsschein“)       Für deutsche Staatsbürger_innen ist es
der Ausländerbehörde. Überschreiten       normal, sich in Deutschland, der EU und
Flüchtlinge die Bundeslandgrenzen         vielen weiteren Ländern frei bewegen
ohne vorherige Erlaubnis, weil ihnen      zu können. Flüchtlinge sind durch die
der „Urlaubsschein“ versagt wurde,        Residenzpflicht stark in ihrer Bewe-
und werden von der Polizei aufgegrif-     gungsfreiheit eingeschränkt und wer-

                                               Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   33
den durch diese Ungleichbehandlung
diskriminiert. 27

Auch für Flüchtlinge muss eine un-
eingeschränkte Bewegungsfreiheit in
Deutschland gelten. Außerdem müssen
die grund- und menschenrechtswidrigen
Kontrollen nach äußeren Merkmalen,
wie z. B. Hautfarbe oder Gesichtszüge
(auch als „Racial Profiling“ bezeichnet)
flächendeckend in der polizeilichen Pra-
xis ausgeschlossen werden. 28

                                                            27   Siehe auch: www.residenzpflicht.info
                                                            28   Institut für Menschenrechte:
                                                                 „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige
                                                                 Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a
                                                                 Bundespolizeigesetz (2013),
                                                                 www.institut-fuer-menschenrechte.de

34   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
Gibt es Sprach- und
Integrationskurse für Flüchtlinge?
Flüchtlinge mit den Aufenthaltspa-                 In manchen niedersächsischen Orten
pieren „Aufenthaltsgestattung“ oder                werden von einigen Beratungsstellen
„Duldung“ haben bislang keinen An-                 oder ehrenamtlichen Mitarbeiter_in-
spruch auf Integrationskurse zum Erler-            nen kleinere Sprachkurse angeboten,
nen der deutschen Sprache – unabhän-               um überhaupt ein Erlernen der Sprache
gig davon, wie lange sie schon hier sind.          zu ermöglichen. Erstorientierungshilfen
Flüchtlinge mit „Aufenthaltsgestat-                in der deutschen Sprache gibt es auch
tung“ und Duldung dürfen nach 9 bzw.               bei der Landesaufnahmebehörde (LAB)
12 Monaten Aufenthalt in Deutsch-                  in Friedland, Braunschweig und dem-
land grundsätzlich arbeiten – und er-              nächst auch in Bramsche.
halten auf dieser Basis ggf. auch die              Ohne Deutschkenntnisse ist es schwie-
Möglichkeit, Kurse zur berufsbezoge-               rig, sich auf Behörden, bei Ärzt_innen,
nen Deutschförderung zu besuchen.29                im Kindergarten, der Schule oder im
In welchem Ausmaß Flüchtlinge                      Alltag zu verständigen. Die Bedeutung
ab 2015 zu derartigen Sprachkur-                   von Sprache zur gesellschaftlichen Teil-
sen zugelassen werden, stand bei                   habe wird immer wieder betont. Des-
Redaktionsschluss noch nicht fest.                 halb ist es notwendig, dass Flüchtlingen
Allerdings ist der Arbeitsmarktzugang              Zugang zu Integrationskursen gewährt
eingeschränkt. 30                                  wird – von Beginn ihres Aufenthaltes in
                                                   Deutschland an und unabhängig von
                                                   ihrem konkreten Aufenthaltsstatus.31

29   Für 2014 ist eine Verkürzung des              31   Siehe auch: Beschluss der Integrationsmini-
     Arbeitsverbots auf 3 Monate geplant.               sterkonferenz, März 2013, www.sms.sachsen.
     Das Gesetzgebungsverfahren dazu läuft              de/download/Verwaltung/Ergebnisprotokoll_
     derzeit noch in Bundestag- und -rat.               Band_I_Beschluesse.pdf
30   Näheres zum so genannten nachrangigen
     Arbeitsmarktzugang für diese Personen-
     gruppen unten unter dem Kapitel „Unter
      welchen Voraussetzungen dürfen Flüchtlinge
      in Deutschland arbeiten?“.

                                                          Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen   35
Wie ist der Zugang zu Kindergärten
und Schulen für Flüchtlingskinder in
Niedersachsen geregelt?
Alle Kinder in Niedersachsen haben ab                       Je nach seinen Deutschkenntnissen
dem ersten Geburtstag Anspruch auf                          kann das Kind in eine sogenannte
einen Platz in einer Kindertageseinrich-                    Sprachlernklasse überwiesen werden.
tung. Da aber in einigen Regionen nur                       Die Schulpflicht gilt bei jeder Art von
sehr begrenzt freie Plätze vorhanden                        Aufenthalt – die Kinder müssen ledig-
sind, ist es vor allem für Menschen, die                    lich gemeldet sein. Jedoch kann die
sich nicht mit den Zugängen und Forma-                      Schulpflicht auch ruhen, wenn bei nicht
litäten auskennen, schwierig, einen Be-                     ausreichenden Deutschkenntnissen ein
treuungsplatz zu bekommen. Um diesen                        Sprachkurs besucht wird.
Rechtsanspruch wahrnehmen zu kön-                           Nach den Erlebnissen im Herkunftsland
nen, sind sie oft auf Hilfe angewiesen.                     und der Flucht stehen Flüchtlingskin-
                                                            der vor vielen Herausforderungen: Eine
Nach 3 Monaten Aufenthalt in Deutsch-                       neue Umgebung, eine fremde Sprache,
land unterliegen Flüchtlingskinder in                       viele neue Regeln. Zudem haben einige
Niedersachsen der 12-jährigen Schul-                        von ihnen aufgrund der Flucht lange
pflicht (mindestens 9 Jahre lang in                         Zeit keine Schule besuchen können.
Schulen der Primarstufe und der Se-                         Um festzustellen, ob sie eine beson-
kundarstufe I und anschließend in der                       dere Förderung benötigen, können die
Sekundarstufe II, entweder durch den                        Kinder – meist im Alter von 5 Jahren
Besuch einer allgemein bildenden oder                       – an einem „Verfahren zur Feststellung
einer berufsbildenden Schule). Sie be-                      Sonderpädagogischen Förderbedarfs“
ginnt mit Vollendung des sechsten                           teilnehmen. Ein solches Verfahren muss
Lebensjahres oder, wenn das sechste                         von den Eltern oder der Schule bean-
Lebensjahr bis zum 30.09. vollendet                         tragt werden. In dem Verfahren wird
werden wird, zum Schuljahresbe-                             geprüft, ob eine besondere Förderung
ginn des jeweiligen Jahres. Wenn ein                        für das Kind nötig ist. Je nachdem kann
Kind erst nach diesem Zeitpunkt nach                        das Kind auf eine allgemeine oder auf
Deutschland kommt, kommt es in die                          eine Förderschule überwiesen werden. 32
jeweilige Klasse analog zu seinem Alter.
                                                            32   BAMF, http://www.bamf.de/DE/Willkommen/
                                                                 Bildung/Schulsystem/schulsystem.html?
                                                                 nn=1367904

36   Grundlagenwissen zu Flucht und Asyl in Niedersachsen
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